Die Annäherung

Harry schreckte aus dem Schlaf hoch, was sein Rücken allerdings sofort mit einem stechenden Schmerz quittierte. Harry sank stöhnend zurück auf die Liege. Er konnte es gar nicht glauben, er hatte schon wieder geschlafen! Malfoys Massage hatte ihn total entspannt. Harry schauderte bei dem Gedanken daran, wem er dieses Gefühl zu verdanken hatte.

Malfoy hatte sich verändert, das war offensichtlich. Harry fragte sich nur wiefern. Wie war es dazu gekommen? Wer war Malfoy jetzt? Harry hätte Malfoy am liebsten ausgefragt.

Was hast du in den letzten Jahren gemacht?

Wie bist du ein Heiler geworden?

Warum bist du ein Muggelarzt?

Seit wann lebst du in der Muggelwelt?

Wo ist deine Mutter?

Wie bist du hierher gekommen?

Warum bist du kein Todesser?

Auf welcher Seite stehst du?

Warum hast du mich gerettet?

Warum hast du dich versteckt?

Aber soweit waren sie nicht. Sie hatten sich auf Waffenstillstand geeinigt. Warum sollten sie sich besser kennenlernen? „Aber Malfoy hat mein Leben gerettet", dachte Harry, „er hätte es nicht tun müssen. Vielleicht hatte sich Malfoy ja nach allem doch zu einer guten Person entwickelt." Harry lächelte bei diesem Gedanken, vielleicht war er naiv, aber er war sich fast sicher, dass er den heutigen Draco Malfoy besser kennenlernen wollte.

Harry fand Malfoy in der Küche, wo dieser das Nachtessen auf Muggelart zubereitete. Harry grinste. „Was?" zischte Draco als er das breite Grinsen auf Potters Gesicht sah. „Ich hätte nie gedacht, dich je in einer Küche arbeiten zu sehen, geschweige denn in einer Muggelküche"; gab Harry offen zu. „Ich denke, da hab ich noch andere Überraschungen für dich bereit", lachte Malfoy beruhigt, dass Harry sich wirklich Mühe gab, Konversation zu machen.

„Meine Kochkünste sind eher begrenzt", gestand Harry, „Ich musste zwar immer meiner Tante beim Rüsten und Abwaschen helfen, aber wie man wirklich kocht, nach welchem Rezept, hat sie mir nie gezeigt."

„Dann wird's höchste Zeit! Ich hoffe bloss, du machst dich besser als in „Zaubertränke"!" spöttelte Malfoy und schob ihm das Rezeptbuch hin. „Seite 84, Tiramisu, liegt in deiner Verantwortung. Zutaten sind im Kühlschrank."

Harry nahm das Buch, öffnete die genannte Seite und begann die Zutaten zusammenzustellen und abzuwägen. Das Erstaunliche war, dass die Zusammenarbeit mit Malfoy angenehm, ja sogar lustig war. Harry brauchte nie um Hilfe zu bitten. Malfoy schien zu wissen, wann er gebraucht wurde. Und Harry war ihm dankbar dafür. Er gewöhnte sich auch an Malfoys bissige Kommentare. Er spürte, dass er ihn damit nicht verletzten wollte, sondern nur ein bisschen aufstacheln.

Malfoy war sehr geschickt in der Küche, bei ihm sah alles so leicht und locker aus. Harry kam sogar das Wort elegant in den Sinn, als er Malfoy beobachtete.

„Wo hast du kochen gelernt?", fragte Harry plötzlich, inständig hoffend, dass diese Frage keine Tretmine war.

„Mein Exfreund hat es mir beigebracht", antwortete Malfoy lakonisch. Er schien seine Gedanken ganz bei der Sauce zu haben, die er umrührte.

Harry stutzte: Exfreund wie ihn ehemaliger männlicher Liebhaber? Malfoy war schwul? Malfoy mit einem Mann? Mit einem Muggel? Harrys Gedanken drehte sich.

„Harry, geht's? Willst du dich lieber hinlegen?" fragte Malfoy gespielt besorgt, „Komm schon, ich hab dir gesagt, ich stecke voller Überraschungen."

„Du bist... du bist ... schw … ho… ", stotterte Harry.

„Sagen wir, ich bin dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt", belehrte ihn Malfoy.

Harry schluckte. Er wusste, er benahm sich blöd. Was war denn schon dabei. Als Georg sich bei ihm geoutet hatte, hatte Harry nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Er hat sich gefreut, dass Georg endlich den Mut hatte, sich selbst zu sein. Aber das hier war anders. Das hier war Malfoy! Draco Malfoy der letzte Erbe einer Dynastie von Reinblütern. Sein Erzfeind... ok ehemaliger Erzfeind. Verarschte Malfoy ihn?

„Du bist schwul?" fragte Harry nochmals, da ihm so schnell nichts passendes einfiel.

„Ich sagte schon, ich bin dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt. Diese Schubladen brauch ich nicht mehr. Ich habe mich zu lange damit und darin gelebt", wiederholte Malfoy.

Harry war die Tragweite der Antwort nicht bewusst, aber das wichtigste hatte er mitbekommen, Malfoy stand auch auf Männer. Harry fühlte sich plötzlich flau im Magen.

„War er ein Muggel?" Potter schien seine Stimme wieder gefunden zu haben.

„Ja, zum Glück. Er hat mir so ziemlich alles beigebracht, dass ich heute über die Muggelwelt weiss. Als ich hierher kam, war ich total aufgeschmissen. Sven war ein Engel, wie man hier so schön sagt" Draco lächelte beim Gedanken an seinen ersten Freund.

„Warum hat es nicht geklappt?" fragte Potter weiter.

„Wie soll ich sagen... wir haben uns auseinandergelebt." Draco wusste, dass diese Antwort nichtssagend war, aber er hatte keine Lust, die Trennung mit Potter durchzudiskutieren. Sie hatten sich während dem Kochen gut unterhalten, aber Freunde waren sie noch nicht. Ausserdem schien sich Potter seit seinem outing unwohl zu fühlen. Gryffindors waren doch so tolerant und aufgeschlossen. Draco war etwas enttäuscht über Potters Reaktion, liess sich aber nichts anmerken.

„Und wie steht es bei dir?" wollte Malfoy gerade heraus wissen.

Harry errötete. „Ich bin ... bin nicht s... nicht schwul", stammelte er, seinen Blick starr auf den Boden gerichtet.

Malfoy prustete los: „Nein... nein... nicht das! Potter, das glaub ich ja nicht!" Er lachte schallend. „Ich meine, bist du in einer Beziehung, wie läuft so dein Liebesleben?"

Harry schoss wieder die Röte ins Gesicht. Wie konnte er nur so dumm sein! Er benahm sich wie ein Dreizehnjähriger. Reiss dich zusammen, dachte er bei sich und antwortete: „Ich bin Single" und wie zur Entschuldigung fügte er bei: „Der Orden sähe es nicht gerne, wenn ich liiert wäre."

„Aha" Malfoy klang verwundert, „wen meinst du mit Orden, den Phönixorden?"

Harry fühlte sich ganz klein. Er nickt nur.

„Und hast du nie die „Regel" gebrochen, so ein kleiner Flirt oder so was?" stichelte Malfoy, um die Stimmung wieder etwas zu heben.

„Ich hatte eine Beziehung mit Ginny Weasley" begann Harry zögerlich mit leiser Stimme. Er sprach nicht gern darüber, aber er wollte Malfoy auch nicht vor den Kopf stossen.

„Ja, die kenn ich, netter Rotschopf" grinste Malfoy wohl wissend, dass Harry eine gaaaaaaanz andere Antwort erwartet hatte.

„Wir waren drei Monate zusammen, aber ... die Umstände waren ... gegen uns", sprach Harry weiter. Seine Stimme zitterte.

„Du meinst der Orden hat eure Beziehung nicht gutgeheissen" stellte Malfoy klar.

„Ja, auch, aber es war ... wir konnten... ich ...", Harry brach ab.

„Ihr habt euch unter dem Druck getrennt", bot Malfoy an. Er konnte förmlich sehen, wie sehr Harry immer noch unter dieser Trennung litt. Und es wunderte ihn ein bisschen, dass Harry so offen über seine Beziehung sprach, aber es störte ihn nicht, im Gegenteil.

Harry nickte kaum merklich und fügte hinzu: „Dann ist sie für drei Jahre an die Universität des St. Mungos Hospitals, um Heilerin zu werden. Seit sie zurück ist, sind wir Freunde."

„Die Universität des St. Mungos ist sehr gut", versuchte Draco das Thema zu wechseln.

„Ja, eine der besten", nahm Potter dankend den Themawechsel an, „wo hast du gelernt?"

„Ich war an keiner magischen Universität. Komm ich zeig dir, wo ich gelernt habe." Draco sprang freudig auf und zog Potter hinter sich her in den ersten Stock. Sie traten in das Zimmer neben Dracos Schlafzimmer. Es war eine riesige Bibliothek. Harry kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Von aussen sah das Zimmer so klein und unscheinbar aus, aber von innen... es war schlicht überwältigend. Bücher soweit das Auge reichte.

„Dies sind die wichtigsten Bücher aus der Malfoy Bibliothek. Ich hab sie hierhergebracht, damit ich sie immer griffbereit habe" erklärte Draco und fügte hinzu: „Ich denke also in den nächsten drei Wochen, sollte es dir nicht langweilig werden hier." Draco war erleichtert als er das Strahlen in Potters Augen sah. „Schau dich um, nimm was du willst. Ich gehe zurück und die Küche und koch fertig. Ich rufe dich, wenn das Essen bereit ist."

Nachdem Essen sass Harry im Wohnzimmer vor dem Kamin. Er war froh über das kleine Feuer, das ihn wärmte. Das Essen hatte vorzüglich geschmeckt und auch Harrys Dessert, das Tiramisu, war gelungen. „Beim Kochen bist du wirklich besser als bei „Zaubertränke"", hatte ihn Malfoy gelobt. Er zog die Füsse auf den Sessel und kuschelte sich in die Wolldecke, wenig später döste er mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

„Harry, komm, wach auf. Du solltest besser ins Bett", hörte Harry leise eine Stimme. Er öffnete die Augen und versank in Dracos sturmgrauen Augen. Harry schloss irritiert die Augen und schluckte. Als er sie wieder öffnete, waren Dracos Augen wieder die silbernen Spiegel wie eh und je. Harry schüttelte seinen Kopf, er musste noch geträumt haben.

„Harry, du sollst besser im Bett schlafen. Es war ein anstrengender Tag für dich. Komm ich helf dir ins Bett."

Harry nickte und stand auf. Er war froh, dass Malfoy ihn stützte, denn sein Körper war wieder ganz steif. Er fühlte Dracos Arm um seine Taillie und lehnte sich an seine Schulter. Vielleicht war er noch ein bisschen schlaftrunken, aber es störte ihn nicht im geringsten, dass Draco ihn berührte, im Gegenteil.

Draco half beim Umziehen und cremte mit geübten Händen Harrys Rücken ein. „Schlaf gut, Harry" wünschte Draco, als er ihn sorgfältig zudeckte. Harry schien bereits eingeschlafen zu sein. Doch gerade als er die Tür hinter sich schliessen wollte, hörte er Harry flüstern: „Danke, Draco."