Harry schlug die Tür hinter sich zu als er in sein Zimmer trat. Irgendwie musste er Dampf ablassen. Er war so wütend, er kochte beinahe, er war wütend auf Minerva, auf Hermine und auf sich selbst.

„Verdammtes Saupack", fluchte er, „wie konntet ihr mir das antun. Botschafter, pha, zum Handlanger wollen die mich machen! Von den eigenen Leuten kalt gestellt!"

Harry wollte sich nicht beruhigen. Er ging im Zimmer, wie ein Tiger, auf und ab, fluchte vor sich hin und verstand die Welt nicht mehr.

„Ich bin Harry Potter, der „Junge der lebt". Wie können die es wagen!"

Er hörte das Klopfen nicht. Erst als Ron fragte:„Harry, willst du reden?", warf er seinen Kopf herum und sah, dass sein Freund durch die leicht geöffnete Türe hineinlugte.

„Raus!" schrie er nur. Und augenblicklich verschwand Ron und die Tür schloss sich.

Harry atmete tief ein. Genau dasselbe hatte Hermine auch zu ihm gesagt. Er lehnt sich mit dem Rücken an die geschlossene Tür. Er schloss die Augen. Er wollte niemanden sehen. Er wollte alleine sein.

Sein Herz raste vor Wut und in seinem Kopf dröhnten Hermines Worte: „regulärer Dienst ... Botschafter ... beruhig dich ..."

Er wollte sich nicht beruhigen! Wieso auch? Sein ganzes Leben hatte er gegen Voldemort gekämpft, er musste, er hatte keine Wahl – und jetzt? ABSERVIERT!

All die Jahre hatte er sich für den Widerstand eingesetzt, sein Leben riskiert – und jetzt?

„Es zahlt sich nicht aus, niemand dankt es dir!"

„Es zahlt sich nicht aus, niemand dankt es dir!"

„Es zahlt sich nicht aus, niemand dankt es dir!"

„Nein!" schrie Harry und riss die Augen auf, um zu sehen, wen ihn hier auslachte. Aber da war niemand. Nur er allein mit seiner Erinnerung an eine harte Diskussion.

„Draco!" seufzte Harry leise, „du irrst dich!"

„Ich werde gebraucht, der Orden, die Menschen, sie brauchen mich", fügte er mit bestimmter Stimme hinzu.

„Ja genau, du wirst gebraucht", antwortete Draco hämisch, „Sie benutzen dich! Die Mächtigen spielen mit dir und schieben dich wie eine Schachfigur wohin es ihnen passt, je nach Strategie. Und sobald dein Leben weniger Wert hat als ihre Ziele, wirst du geopfert. Ganz einfach!"

Harrys Augen funkelten vor Zorn.

„Du verstehst es nicht. Es gibt keine Ziele, es gibt nur EIN Ziel: Voldemort und sein Anhänger zu vernichten! Der ganze Widerstand arbeitet auf dieses Ziel hin. Und um das zu erreichen, wird es Opfer geben. Ich bin Teil dieses Krieges, ich bin dazu bestimmt gegen Voldemort zu kämpfen. Er selbst hat mich erwählt. Es ist mein Weg und ich werde ihn gehen bis zum Schluss. Egal welche Opfer ich bringen muss."

„Hör schon auf, Harry, wer hat dir das erzählt? Hat dir Dumbledore diese Gehirnwäsche verpas...

„Lass Dumbledore aus dem Spiel!" schnitt Harry Draco scharf das Wort ab, „Du ...", Harry stockte. Dies war nicht der Moment, um alte Wunden aufzureissen. „Du hast ihn nicht gekannt!" fügte er deshalb halbherzig hinzu.

Draco schien das kurze Zögern richtig zu deuten und stimmte Harrys Entscheidung indirekt zu indem er fortfuhr: „Ich habe auch immer gedacht, dass meine Zukunft vorgeben ist, aber dem ist nicht so. Sie mich jetzt an! Ich bin frei zu tun, was ich wirklich will. Ich habe mich von den Erwartungen, die andere und ich selbst in mich gesetzt haben, befreit. Ich kann machen, was ICH will!"

„Aber ich tue, was ich wirklich will, wenn ich meine Bestimmung erfülle!" versuchte es Harry noch einmal.

„Du hast deine grosse Liebe für den Orden aufgegeben. WOLLTEST du das wirklich?" Dracos Stimme war kalt und hart.

Harry schluckte, wie konnte Draco es nur wagen!

„Ich wollte Ginny nicht gefährden, der Krieg ist schon schlimm genug." Harrys Stimme klang erstaunlich überzeugt.

Hätte Draco Harry nicht besser gekannt, hätte er ihm diese Begründung abgekauft. So aber überlegte er sich nur, wie viele Male Harry wohl sich selbst schon mit diesem Satz getröstet hatte.

„Du wirst schon sehen. Es zahlt sich nicht aus, niemand dankt es dir!"

Harry wollte Draco damals nicht glauben – und jetzt?

Er ging hinüber zum Bett und warf sich bäuchlings darauf. Seine Nase vergrub er im dicken Kopfkissen.

Hätte er ein glücklicheres Leben, wenn er wie Draco bei den Muggeln leben würde? Er könnte mit Draco zusammensein, aber um welchen Preis? Er würde mit dem Wissen leben müssen, dass die magische Welt in einem Krieg versinkt. Könnte er einfach nichts tun? Er bezweifelte es.

Andererseits, was hielt ihn hier? Die Ereignisse der letzten Stunde überschatteten alles Gute.

Wieso war plötzlich alles so kompliziert? All die Jahre zuvor hatte er nie daran gezweifelt das Richtige zu tun – und jetzt?

Harry spürte die Tränen in ihm hochsteigen aber er tat nichts, um sie daran zu hindern.

Es klopfte an der Tür.

Harry wischte sich mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht und setzte sich auf.

„Harry, kann ich reinkommen?" fragte Ron zögerlich von draussen.

Dieser nickte stumm, wurde sich aber bewusst, dass Ron das nicht sah und fügte mit zittriger Stimme hinzu: „Ja, bitte."

Er rechnete es Ron hoch an, dass er noch einmal versuchte mit ihm zu reden, obwohl er ihn vorhin so barsch abgewiesen hatte und auch Hermine schrecklich beschuldigt hatte. Ron war wirklich ein Freund.

„Harry, ich denke, wir sollten darüber sprechen", fing Ron an. Er war überrascht Harry in so schlechter Verfassung zu sehen. Er musste geweint haben. Und auch jetzt schien er emotional äusserst labil.

Harry nickte wieder stumm. Ron war demnach informiert. Er versuchte abzuschätzen, wie Ron seine Anschuldigungen gegenüber Hermine wertete, aber Rons Gesicht zeigte keine Regung.

„Es tut mir leid." Harry sah Ron direkt in die Augen.

„Deswegen bin ich nicht hier, Harry. Mach das mit Hermine selber aus!" Ron blickte ebenso durchdringlich zurück. Dieser senkte den Blick, wie konnte er nur glauben, dass Hermine einen Beschützer vorschickt? Er schämte sich.

„Wir sollten über dich sprechen, über deine neue Auf..."

„Welche neue Aufgabe?" unterbrach ihn Harry scharf. „ Ich wurde abserviert! Verstehst du ABSERVIERT!" Harrys Stimme überschlug sich beinahe.

„Hör endlich damit auf!" schrie Ron ebenso laut zurück. „Hör auf!"

Harry verstummte sofort, mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet.

„Niemand hat dich abserviert!" fuhr Ron mit kontrollierter Stimme weiter. Und noch bevor Harry dazu kam, dazwischen zu rufen, fügte er hinzu: „Versteh uns doch! Du warst weg. Du warst ein halbes Jahr weg. Harry, unser Leben ging weiter, der Krieg ging weiter. Wir wussten nicht, wo du warst, ob du überhaupt noch lebst. Wir haben nach dir gesucht, vergebens. Niemand, kein Späher, kein gefangener Todesser wusste etwas über dich. Wir dachten, du seist tot. Wir haben gehofft, dass du zurückkommst, aber wir haben versucht weiterzumachen. Harry, wir hatten eine schwere Zeit."

Ron schluckte leer bei der Erinnerung an die schlaflosen Nächte und fruchtlosen Recherchen. Harry konnte den Schmerz in den Augen seines besten Freundes sehen und erste leise Zweifel schlichen in seine Überzeugung abserviert worden zu sein.

„Wir mussten uns eine neue Struktur überlegen, obwohl wir doch alle wollten, ja wünschten, dass du zurück kommst. Dies ist auch der Grund, warum Hermine jetzt alleinige Kommandantin des „Dorfes" ist. Niemand wollte in deine Fussstapfen treten."

Mit diesen Worten setzte sich Ron neben Harry aufs Bett und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Harry, wir haben dich nicht abserviert", fügte Ron beinahe flehend hinzu.

Harry wusste, dass im Krieg schnelle Entschlüsse über Sieg oder Niederlage entschieden. Hätte er selbst nicht auch so gehandelt? Er selbst hatte Nachfolger für wichtige Positionen nur zwei drei Tage nach der jeweiligen Beerdigung eingesetzt.

„Aber ich will meinen Job zurück. Ich bin wieder da! Fit wie eh und je, selbst Hermine hat das freudig bestätigt. Ich bin kein Botschafter, jeder weiss das!" Harry versuchte seine letzte Rechtfertigung.

Ron zeigte seine Ratlosigkeit:„Ich muss zugeben, ich verstehe das auch nicht ganz. Ich würde dich liebend gern als Kommandant zurück haben, und ehrlich gesagt, glaube ich, dass das ganz „Dorf" das möchte."

„Genau was ich meine! Ich bin der geborene Kommandant", Harry war vielleicht etwas überheblich, aber im Grunde stimmte ihm Ron zu.

„Nichtsdestotrotz setzt Minerva die Kommandanten ein. Wenn sie nicht will, ist nichts zu machen", fügte Ron halbherzig hinzu, „andererseits solltest du deine neue Rolle vielleicht mehr als Lehrer sehen, denn als Botschafter."

„Ron, willst du mich jetzt bequatschen?" Harrys Stimme war wieder äusserst gereizt.

„Ich bin auf deiner Seite! Das weißt du doch, Harry!" bekräftigte Ron noch einmal. „Aber du bist der geborene Lehrer. Erinnere dich an „Dumbledors Armee". Da warst du grossartig, und du weißt es", fügte Ron grinsend hinzu.

Auch über Harrys Gesicht huschte ein Lächeln. Wie lange war diese Geschichte her? Ewig!

„Die Rolle des Botschafters ist sehr weit gefasst, du kannst sie mehr oder weniger gestalten wie du möchtest. Überleg es dir, Harry, es könnte auch eine Chance sein!"

Harry nickte zustimmend. So negativ, wie er die Sache anfangs gesehen hatte, war sie vielleicht gar nicht. Mit Minerva wollte er auf jeden Fall noch sprechen, aber bis dahin war noch Zeit.

„Wissen die anderen schon Bescheid?" fragte Harry nur.

„Nein, Minerva wollte deine neue Rolle selbst verkünden. Ausser Hermine und mir weiss noch niemand etwas."

Ron war etwas über die Frage und das schnelle Einlenken von Harrys Seite überrascht, aber im Grunde war er froh. So schlecht fand er die neue Aufgabe für Harry gar nicht und er hoffte, dass Harry das auch so sah.