Harry musste eingeschlafen sein, denn als er die Augen öffnete, stand die Sonne bereits tief und tauchte den nahen Wald und den Garten in ein tiefes rot.
Er blieb noch eine Weile liegen, um die Abendstimmung zu geniessen. Aber dann begann sein Magen zu knurren und er beschloss die Küche aufzusuchen. Eigentlich hoffte er, dass Malfoy heute kochen würde, denn davon verstand er wirklich etwas. Harry schmunzelte beim Gedanken, wie viel er in den paar Tagen schon an Gewicht zugelegt hatte. Nicht dass es zu viel war. Nach seiner langen Bewusstlosigkeit brauchte sein Körper die Energie und auch Malfoy schien sehr zufrieden mit Harrys „Fortschritten".
Und wirklich, Malfoy war in der Küche zu Werke.
„Lässt du dich auch mal wieder blicken", begrüsste Draco Harry tadelnd.
„Ich war am Fluss", versuchte Harry sich unnötigerweise zu erklären.
„Nein, wirklich?" rief Draco sarkastisch aus und fuhr mit dozierender Stimme weiter:„Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, das Flussufer ist vom Haus bestens zu überblicken."
„Du beobachtest mich, welche Ehre!", erwiderte Harry belustigt.
Malfoy regte keine Mine.
„Schnapp dir ein Brettchen und ein Messer. Die Tomaten müssen noch gerüstet werden. Ich nehme an, deine Tante hat dir gezeigt, wie das geht." Und somit wandte sich Draco wieder seinen Töpfen zu.
Harry war leicht irritiert, hatte Malfoy soeben über seine Familie gesprochen ohne ausfällig zu werden?
Aber er sagte nichts weiter und tat wie ihm geheissen.
Es war die Gelegenheit, ideal für einen kleinen Schwatz. Harry überlegt Fieberhaft, wie er ein Gespräch anfangen konnte.
„Spielst du noch Quidditch?" kam es unvermittelt von Draco.
Harry wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Malfoy wollte etwas über ihn wissen. Quidditch, dass er da nicht selber drauf gekommen war!
„Ja, nein, ja, ich meine ...", stammelte Harry.
„Bist du sicher, dass es dir gut geht?" fragte Draco gespielt besorgt „Ich denke, ich werde dich nach dem Essen noch einmal gründlich untersuchen. Du bist abwesend und hast plötzliche Gefühlsausbrüche, das ist doch selbst für dich nicht normal."
Harry seufzte, warum war denn das so schwierig mit Draco.
„Es ist nichts", fügte er matt hinzu.
„Lass mich das entscheiden"
Sie arbeiteten schweigend weiter.
„Ich spiele nicht mehr", nahm Harry den Faden wieder auf, „nicht mehr wie zu Hogwartszeiten. Ab und an ein kleines Spiel mit Freuden, drei gegen drei."
„Du warst nicht schlecht. Nie gedacht Profi zu werden?"
„Geträumt vielleicht, aber Quidditch spielst du ein paar Jahre, und dann?"
„Ach ja, du hast Recht. Dein jetziger Job als Voldemorts Todfeind hat da viel mehr Zukunftsperspektiven." Draco grinste böse.
„Ha, Ha", äffte Harry ein Lachen nach.
„Und du, spielst du noch?" wollte jetzt auch Harry wissen.
„Ich leb hier unter Muggeln, schon vergessen?" Es klang fast so als würde Draco das bereuen.
„Du warst ein Ass. Hättest es in die Topliga schaffen können."
„Danke für die Blumen, aber Malfoy und Quidditch, das passt nicht zusammen. Nicht seriös genug, meinte mein Vater"
Draco sagte das so dahin, wie wenn nichts wäre. Dabei jagte nur schon der Gedanke an Lucius Malfoy Harry einen kalten Schauer über den Rücken. Es gab nur drei Zauberer, die er fürchtete, Voldemort, Snape, den er jetzt eigentlich von seiner Liste streichen konnte, und Malfoy senior. Glücklicherweise wurde dieser immer noch in Azkaban verwahrt und jeder Befreiungsversuch seiner Todessergilde konnte bis heute vereitelt werden.
Harry versuchte seinen Schrecken und seine Gedanken zu verbergen. Und erwidert vielleicht ein bisschen zu schnell und unüberlegt: „Jetzt kann dir dein Vater wohl kaum noch Vorschriften machen."
Kaum hatten diese Worte seine Lippen verlassen, bereute Harry sie auch schon. Er spürte Dracos prüfenden Blick auf sich. Es war ein Fehler gewesen, jetzt über die Vergangenheit zu sprechen. Es vergingen ein paar für Harry schier endlose Sekunden. Sollte das schon das Ende des Gespräches sein?
Doch dann fügte Draco gleichgültig hinzu:„Jetzt bin ich zu alt, um noch wirklich gut zu werden. Dieser Zug ist lange abgefahren."
Harry nickte stumm. Wie konnte Draco bloss mit so banalen Worten und so teilnahmslos über die letzten Jahre sprechen. War es für ihn nach Hogwarts so einfach gewesen? Wohl kaum. Harry selbst hatte eine schwierige und entbehrungsreiche Zeit hinter sich und er wusste, dass sich das kaum in der nächsten Zeit ändern würde.
„Ohne dich wäre der Kampf um den Hauspokal nicht derselbe gewesen", gab Harry unumwunden und sogar etwas melancholisch zu.
„Keine falsche Anerkennung! Kein einziges Mal hatten wir mehr Punkte als ihr, obwohl du in Zaubertränke bei Snape ständig Punkte verloren hast. Und das nicht zu knapp!" Draco schien sichtlich amüsiert bei dieser Erinnerung.
Wie schaffte es Draco bloss in den wenigen Sätzen, die drei mächtigsten Männer der dunklen Seite zu erwähnen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken? Harry war überrascht und beeindruckt zugleich. Es war so gut wie unmöglich diese Personen im Gespräch mit seinen Freunden zu erwähnen, ohne dass diese ehrfurchtsvoll schwiegen. Malfoys ungezwungener Ansatz war wirklich erfrischend.
„Tu bloss nicht so unschuldig, ich weiss genau, wem ich das zu verdanken habe!" Harry lachte herzlich. Er trug Draco nichts nach. Ihre Rivalitäten waren nun schon so lange her und es tat gut über vergangene Zeiten zu plaudern.
Es schien als hätten sie endlich ihre Anlaufschwierigkeiten überwunden.
Sie unterhielten sich den ganzen Abend über Hogwarts, die Lehrer und Lehrerinnen, die vielen Aufgaben, ihre Feindschaft und natürlich Quidditch. Sie liessen die ganzen Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten, Revue passieren, vermieden es allerdings tunlichst über den Kreig, Voldemort, Dumbledore, die Todesser, den Orden oder die Zeit seit Dumbledores Tod zu sprechen.
