Der Dachsbau
Am Ende der DA-Stunde bekamen die Schüler noch mit auf den Weg gegeben, wie sie sich in Zukunft am Besten zu verhalten hatten. Idealerweise sollten sie immer in großen Gruppen durch die Korridore gehen und von nun an stets ihre Zauberstäbe bereit halten. Es war besser, man wäre so gegen den nächsten Angriff vorbereitet.
„Ich habe mit Lysander gesprochen", erzählte Lily Colin und Eric auf dem Rückweg hoch in den Gemeinschaftsraum.
Da das Drängen der Schüler so dicht war, glaubte sie nicht, belauscht zu werden, wenn auch Emma mit einem Ohr zuhörte.
„Heißt, wann ziehen wir es durch?", wollte Colin wissen.
„Sobald wir bereit sind", antwortete Lily und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
Eric nickte zustimmend und Emma runzelte die Stirn. Die drei Freunde hatten sie bisher nicht in ihren Plan eingeweiht, denn es hatte sich bisher noch keine günstige Gelegenheit ergeben.
Schon die ganze Zeit war Lily am Grübeln gewesen, wie sie James seinen Tarnumhang dieses Mal am Besten für eine Nacht entwenden konnte, ohne dass er es merkte. Zur Not müsste es am Ende ohne den Umhang gehen, aber das war deutlich riskanter, da sowohl die Lehrer als auch Mrs Norris und Filch überall im Schloss herumstreiften, besonders jetzt, wo das ganze Schloss alarmiert war.
So strichen die Tage im November dahin, es wurde stetig kälter und aus November wurde Dezember. Beim Quidditch-Training abends war Lily nun inzwischen so kalt, dass sie sich kaum noch auf dem Besen halten konnte, dabei trug sie wie die anderen Spieler des Teams Handschuhe. Meist kam sie abends komplett durchgefroren zurück ins Schloss. An ihren Plan, James den Tarnumhang abzuluchsen, war nicht mehr zu denken.
„Wir könnten ihn stehlen, während ihr beim Training seid", schlug Colin schließlich eines Abends vor, als sie zu viert vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum saßen und Colin Dormy mit Miniatur-Drachenfutter von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze fütterte.
Lily zog die Brauen hoch.
„Würdet ihr euch das denn zutrauen?", fragte sie ihn.
Colin sah etwas verlegen drein und wippte dann den Kopf hin und her.
„Was soll schon schiefgehen? Zur Not sagen wir, dass wir uns eben in der Tür geirrt haben."
„Eine andere Wahl haben wir wohl nicht", seufzte Lily, „und wenn dich jemand erwischen sollte, dann sag eben, dass ich dich dazu angestiftet hätte."
Abwesend streichelte Lily Morgana über das Fell und warf einen Blick aus dem Fenster, wo es inzwischen angefangen hatte zu schneien. Lily, Colin, Eric und Emma verbrachten den Abend noch am Feuer, bis Lilys Cousine Dominique kam und ihnen sagte, dass sie ins Bett gehen müssten. Lily konnte sich jedoch denken, dass das nicht auf ihren Mist gewachsen war. So wie es bisher gewirkt hatte, schienen Dominique ihre Pflichten als Vertrauensschülerin ziemlich egal zu sein. Wahrscheinlich hatten Gracie und Alan ihr befohlen, dass sie sich nun endlich auch einmal kümmern sollte.
Am nächsten Morgen hatten die Gryffindor-Zweitklässler eine Doppelstunde Zauberkunst zusammen mit den Hufflepuffs, in der sie nun kurz vor den Ferien noch den Schrumpfzauber lernen sollten. Jeder hatte dazu wieder eine Feder bekommen, die am Ende der Doppelstunde idealerweise verkleinert sein sollte. Durch das laute Gewusel von Lilys Mitschülern, die allesamt laut „Reducio!" riefen, suchte Lily das Gespräch zu Lysander.
„Wir machen es heute Abend", sagte sie, „Wir sind um Mitternacht vor eurem Porträtloch."
„Ihr habt doch ein Porträtloch?", setzte sie nach, als ihr auffiel, dass sie keine Ahnung hatte, wo sich der Hufflepuff-Gemeinschaftsraum überhaupt befand.
„Nein", antwortete Lysander überrascht, „Aber weißt du, wo die Küche ist?"
„Ungefähr", erklärte Lily.
Sie war zwar nie selbst dort gewesen, hatte aber schon einiges darüber gehört. Ihr Bruder James zum Beispiel hatte sich oft dorthin geschlichen, um sich extra Essen zu besorgen und nach gewonnenen Quidditchspielen besorgten er und seine Freunde oft Essen für die Gryffindors. Die Küche war soweit sie wusste direkt unter der Großen Halle und durch den Keller erreichbar.
„Dann kommt in den Korridor", sagte Lysander, „Den Rest zeige ich euch."
Nach der Doppelstunde Zauberkunst folgte eine Doppelstunde Kräuterkunde, die allerdings durch das Mittagessen unterbrochen wurde, und den Nachmittag verbrachten Lily, Colin und Eric in der Bibliothek. Neben Quidditchtraining und DA-Abenden hatte Lily inzwischen Probleme mit den Hausaufgaben hinterherzukommen und Professor Crouch, als auch Professor Binns erwarteten noch fertige Aufsätze bis zum nächsten Tag.
„Ich habe meine Ausgabe von Die neusten Entdeckungen bisher unbekannter phantastischer Tierwesen immer noch nicht", beschwerte sich Eric.
„Ich kann dir meine leihen", sagte Lily und zog das Buch aus ihrer Tasche.
Bisher hatten sie es im Unterricht kaum gebraucht, was aber wohl auch daran lag, dass die meisten Lehrer selbst keine Ausgabe bekommen hatten. Überhaupt hatte man sich mit den Nachlieferungen offenbar schwer getan.
„Danke", sagte Eric und nahm Lilys Buch entgegen.
„Denkt daran heute Abend den Tarnumhang zu besorgen", erinnerte Lily ihre beiden Freunde, „Lysander erwartet uns um Mitternacht im Keller."
Als Lily, Colin und Eric mit ihren Hausaufgaben fertig waren, gingen sie nach draußen, um im frisch gefallenen Schnee eine Schneeballschlacht zu machen. Fast die gesamte Schülerschaft von Hogwarts war draußen und so hatten die Vertrauensschüler einiges an Arbeit, denn Marius und Fred hatten es sich zur Aufgabe gemacht Schneebälle zu verhexen, die vorzugsweise Slytherinschülern nachjagten. Oliver McKinnon hatte zusammen mit seinem Freund Steven Thomson einen Schneemann gebaut, den sie zum Leben erweckt hatten und nun über den ganzen Hof rollte. Auch der Poltergeist Peeves hatte es sich den Spaß nicht entgehen lassen und ließ riesige Schneekugeln direkt über den Köpfen von Schülern fallen. Ein solches Chaos hatte Hogwarts selten gesehen.
Trotz der eisigen Kälte kannte Lilys Bruder James kein Erbarmen und ließ das Quidditchtraining wie gewohnt stattfinden. Das Spiel gegen die Hufflepuffs würde das schwierigste Spiel der Saison werden, hatte er erklärt, als Fred gerade einen Witz darüber machen wollte, dass sie die Hufflepuffs doch locker wegstecken würden.
Lily konnte beim Training jedoch nur an eines denken, nämlich, dass ihr Plan klappte, in den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs einzudringen. Unkonzentriert, wie sie war, war dies damit das erste Training, in dem sie es nicht schaffte auch nur ein Tor zu werfen. Die Enttäuschung stand James ins Gesicht geschrieben und er sagte ihr, dass, wenn sie gegen die Hufflepuffs auch so spielen würde, dass sie dann gar nicht erst anzutreten brauchten.
Mit einem mulmigen Gefühl und schlechtem Gewissen nahm sie nach dem Training eine heiße Dusche und machte sich dann auf in den Gemeinschaftsraum.
„Wir haben ihn", sagte Colin stolz.
Lily strahlte.
Wie geplant gingen sie zunächst früh ins Bett, nur um sich später unten im Gemeinschaftsraum zu treffen. Zu viert quetschten sie sich unter den Tarnumhang und gingen dann dann durch das Porträtloch. Ein Blick zurück verriet ihnen, dass die Fette Dame ausgeflogen war. Vermutlich traf sie sich einmal wieder mit ihrer Freundin Violet zum Tee, doch darum konnten sie sich kümmern, wenn es soweit war. Sieben Stockwerke marschierten die vier eingepfercht unter dem Tarnumhang die Treppen hinunter bis in den Keller. In einem breiten steinernen Korridor, der über und über mit Porträts voller Essen behangen war, hielten sie inne.
„Hier muss es sein", flüsterte Lily den anderen zu und sie nahmen den Tarnumhang ab.
„Hey", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen und sie fuhren erschrocken herum.
Es war jedoch nur Lysander, der sich offenbar in der Küche bedient hatte, denn er trug einige Kürbispasteten auf dem Arm.
„Kommt mit!", befahl er, was sich die Gryffindors nicht zweimal sagen ließen.
Sie liefen den Korridor entlang hinter Lysander her vorbei an den Gemälden mit Essen, bis sie endlich vor einem großen Stapel mit Holzfässern standen, der plötzlich in einer im Schatten verborgenen Nische auf der rechten Seite erschien.
„Hier ist es", sagte Lysander gemütlich und zog seinen Zauberstab hervor.
Mit diesem tippte er eines der Holzfässer an, sodass, wenn man genau hinhörte, eine Melodie erklang.
„Das ist die Melodie von Helga Hufflepuff", erklärte er lässig kauend, „Man darf es nicht falsch machen, sonst tränken dich die anderen Fässer in Essig."
Kaum hatte Lysander geendet, öffnete sich das Fass, als wäre es immer eine Einganstür gewesen. Lysander ging vor und Lily, Colin, Eric und Emma folgten ihm hinterher einen schmalen erdigen Gang entlang, der leicht aufwärts führte und schlussendlich in einem gemütlichen runden Raum mit niedriger Decke endete. Lily fühlte sich stark an einen Dachsbau erinnert, auch wenn sie in ihrem Leben nie einen betreten hatte, dennoch gaben ihr besonders die niedrige Decke das Gefühl, unter der Erde zu sein.
Ansonsten war der Raum in den fröhlichen, bienenähnlichen Farben Gelb und Schwarz gehalten, die durch die Verwendung von hochglanzpoliertem, honigfarbenem Holz für die Tische und die runden Türen, die zu den Jungen- und Mädchenschlafsälen führen mussten, noch betont wurden.
Eine farbenfrohe Fülle von Pflanzen und Blumen schien die Atmosphäre des Hufflepuff-Gemeinschaftsraums zu genießen: Verschiedene Kakteen standen auf hölzernen, runden Regalen, die gebogen waren, um sich den Wänden anzupassen. Viele von ihnen winkten und tanzten ihnen zu, während kupferfarbene Pflanzenhalter, die an der Decke baumelten, dazu führten, dass Ranken von Farnen und Efeu über ihr Haar strichen, wenn man unter ihnen hindurchging.
„Gemütlich", stellte Colin fest und sah sich weiter um.
Ein Porträt über dem hölzernen Kaminsims, das über und über mit dekorativen tanzenden Dachsen beschnitzt war, zeigte Helga Hufflepuff, die mit einem winzigen, goldenen Becher, der zwei Griffe hatte, wohl auf ihre Schüler anstieß.
Ansonsten war der Raum eher dunkel, was aber vermutlich daran lag, dass es derzeit nachts war. Kleine, runde Fenster in Bodennähe am Fuße des Schlosses gaben den Blick frei auf den draußen liegenden Schnee und Lily vermutete, dass der Raum tagsüber trotz der niedrig liegenden Fenster sehr sonnig wirken musste.
„Also, ich habe mich auch schon umgesehen", sagte Lysander, „aber hier gibt es keine Spiegel. Ihr könnt euch natürlich aber auch gern selbst überzeugen."
Lily nickte und sofort machten sich Colin, Eric, Emma und sie ans Werk, den Hufflepuff-Gemeinschaftsraum zu durchsuchen. Jedes Porträt wurde genau unter die Lupe genommen, jede Pflanze mit ihrem Topf beiseite geschoben und begutachtet, doch Lysander hatte Recht. Hier im Gemeinschaftsraum war nichts zu finden.
„Was ist mit den Schlafsälen?", fragte Colin.
Lysander nickte.
„Da gibt es allerdings Spiegel, aber ..."
Er hielt inne und in der Stille konnten sie plötzlich Schritte vernehmen.
„Da kommt jemand!", rief er und sofort hechteten alle hinter das nächstgelegene Sofa.
Lily breitete den Tarnumhang über sich und Emma aus, die dasselbe Versteck gewählt hatte. Tatsächlich tauchte ein paar Sekunden später ein dunkelhaariger Vertrauensschüler aus einem der Gänge auf, die zu den Schlafsälen führen mussten. Dieser schritt geradewegs durch den Raum hindurch. Ohne auch nur nach links oder rechts zu sehen, steuerte er auf den Ausgang zu. Lily hielt den Atem an. Als sie sicher sein konnten, dass die Luft wieder rein war, tauchten auch Colin, Eric und Lysander hinter den Sofas auf.
„Hast du ihn gesehen?", fragte Lily Lysander.
„Nur flüchtig. Ich war damit beschäftigt hinter dem Sofa zu bleiben und nicht gesehen zu werden", antwortete dieser.
„Ich kenne ihn", sagte Emma plötzlich, „Er hat mir in der ersten Woche geholfen, hinunter in die Große Halle zu kommen. Wie genau heißen denn eure Vertrauensschüler?"
„Nun bei den Siebtklässlern ist es Frank Bones, bei den Sechstklässlern Leonard Walters und bei den Fünftklässlern Lucas Hitchens. Den solltet ihr ja kennen."
Lily nickte.
„Dann war es Leonard Walters", erklärte Emma zufrieden.
Lily warf ihr einen skeptischen Blick zu, schüttelte jedoch den Kopf.
„Okay, das war seltsam", gab sie zu, „Aber vielleicht will er auch einfach nur in die Küche für einen kleinen Mitternachtssnack. Ich finde, wir sollten nicht vergessen, warum wir eigentlich hier sind."
Eric nickte.
„Was ist nun mit den Schlafsälen?", fragte er wiederholt an Lysander gewandt.
„Bei den Jungen habe ich alles durchsucht. Da war nichts Auffälliges, aber die Schlafsäle der Mädchen kann man nicht betreten, wenn man kein Mädchen ist", erklärte er.
Verstehend nickte Lily und warf sich den Tarnumhang über.
„Ich gehe allein und ihr versteckt euch, falls dieser Walters wiederkommt", befahl sie.
„Warte", sagte Colin, „Nimm doch Emma mit!"
Emmas Augen leuchteten, als Lily sich einverstanden erklärte und sie zu ihr unter den Umhang schlüpfte. Zusammen machten sich die beiden auf durch den rechten Gang, der laut Lysander zu den Mädchenschlafsälen führte.
Ein wenig komisch kam Lily sich schon vor, sich hier in die Schlafsäle zu schleichen. Besonders seltsam war es, ihre Hufflepuff-Mitschülerinnen beim Schlafen zu sehen. Mithilfe von Emma ging das Durchsuchen der Schlafsäle jedoch sehr schnell. Bei den Drittklässlerinnen war es besonders einfach, da diese heute Nacht wohl auf dem Astronomieturm waren und sich Lily und Emma nicht vorsichtshalber unter dem Tarnumhang verstecken mussten. Am Ende, als sie auch bei den Siebtklässlerinnen durch waren, mussten sie jedoch erkennen, dass all die Mühe vergebens gewesen war. Hier war kein Spiegel der Rache. Das Seltsamste, was die beiden entdeckt hatten, waren herumliegende Zaubertrankzutaten bei den Erstklässlerinnen gewesen.
„Nichts", seufzte Lily, als sie zusammen mit Emma zurück in den Gemeinschaftsraum kam.
„Nichts?", fragte Colin entsetzt.
Enttäuscht zuckte Lily die Schultern.
Gemeinsam bedankten sie sich bei Lysander und wünschten ihm noch eine gute Nacht, bevor sie sich den Umhang wieder überwarfen und sich zurück in den Gryffindorturm machten.
„Wenn wir doch schon hier unten sind, könnten wir doch gut noch etwas zu Essen mitnehmen. Ich finde die ganze Sucherei hat mich ziemlich hungrig gemacht", beschwerte sich Colin.
Eric warf Lily einen genervten Blick zu.
„Reicht es nicht, wenn du morgen früh beim Frühstück wieder etwas bekommst?", fragte Lily ihn belustigt, „Sieh mal, wir wissen nicht, wo dieser Walters hingegangen ist. Wenn er dich in der Küche erwischt, dann haben wir gleich wieder Ärger am Hals."
Colin seufzte.
„Du hast Recht", gab er zu, während er mit den anderen an der Küche vorbeischritt.
Der Rest des Rückwegs verlief ziemlich reibungslos, wenn man davon absah, dass Eric genau in dem Moment niesen musste, als der Fast kopflose Nick an ihnen vorbei schwebte. Erst im dritten Stock geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hätten. Schon aus weiter Ferne überlegten die vier, was dort hinten auf dem Boden des Korridors lag, bis ihnen dann klar wurde, dass es ein Mensch war und je näher sie dem reglosen Körper kamen, desto klarer wurde ihnen, dass es der Hufflepuff-Vertrauensschüler war, den sie eben noch lebendig aus dem Gemeinschaftsraum hatten schreiten sehen.
„Ist er... ist er tot?", fragte Colin.
Eric beugte sich zu ihm hinab und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, er atmet noch", sagte er, „Aber er braucht dringend Hilfe. Wir können ihn hier nicht einfach so liegen lassen!"
Die vier tauschten einige Blicke, bevor Lily schließlich etwas sagte.
„Wir machen es so", erklärte sie, „Ihr geht unter dem Umhang wieder hoch in den Gryffindorturm und ich hole Madame Longbottom."
„Ist dir klar, dass Gryffindor dann Punkte abgezogen werden?", fragte Emma.
„Emma!", rief Eric bestürzt, „Meinst du nicht, dass es hier um mehr geht, als um ein paar blöde Hauspunkte?"
Emma nickte betreten.
„Okay", sagte sie schließlich.
Lily reichte Colin den Tarnumhang mit der Bitte, ihn James möglichst heute Nacht noch wieder unterzujubeln.
Colin nickte, dann warf er den Umhang über sich, Emma und Eric und Lily rannte, wie sie noch nie gerannt war, den Korridor entlang zwei Stockwerke hinab in den Krankenflügel, wo sie Madame Longbottom aus dem Schlaf riss.
„Im dritten Stock liegt ein Schüler bewusstlos", japste Lily nach Luft.
Madame Longbottom, die noch ganz verschlafen war, sah Lily völlig verdattert an.
„Bitte, Sie müssen mitkommen!", rief Lily eilig und schließlich kam Madame Longbottom auch.
Lily bekam noch mit, wie sie unterwegs einen Patronus abschickte, jedenfalls flog eine silbrig weiße Gestalt aus ihrem Zauberstab, während sie mit ihr in den dritten Stock lief.
„Sehen Sie, hier ist er", rief Lily und deutete auf Leonard Walters bewusstlosen Körper.
Madame Longbottom beschwor gleich eine Trage herauf und befahl Lily wieder mitzukommen.
„Miss Potter", sagte Professor Crouchs Stimme entsetzt, als Lily zusammen mit Madame Longbottom wieder im Krankenflügel eintraf.
„Dürfte ich erfahren, was Sie zu so später Stunde mitten in der Woche im Schloss zu suchen haben?", fragte sie.
„Ich... äh", begann Lily, wurde dabei jedoch von Professor Longbottom unterbrochen.
„Meinen Sie nicht, dass wir viel dringendere Probleme haben, Fiona?", fragte er.
„Neville hat Recht", erklärte Professor Cauldwell, „Das war schon wieder ein Anschlag, schon wieder ein Anschlag auf einen Schüler meines Hauses. So langsam können wir es nicht mehr leugnen. Wer auch immer hinter dem Spiegel der Rache steckt, hat es eindeutig auf mein Haus abgesehen."
„Was genau fehlt ihm denn?", fragte Professor Baddock und klang genervt.
„Er ist bewusstlos, aber er wird wieder", antwortete Madame Longbottom, „Zum Glück hat ihn unsere Miss Potter rechtzeitig gefunden."
„Wo wir wieder beim eigentlichen Thema angelangt wären", sagte Professor Baddock und warf Lily einen bohrenden Blick zu.
Doch bevor Lily sich erklären konnte, kam der Schulleiter in Begleitung von Professor Thomas durch die Tür des Krankenflügels.
„Schon wieder ein Anschlag?", fragte Professor Wennell, der ohne seinen gelben Spitzhut seltsam wirkte.
„Schon wieder ein Schüler aus meinem Haus!", beschwerte sich Professor Cauldwell besorgt.
„Ein Schüler?", fragte Professor Wennell, „Na, dann war es aber kein richtiger Anschlag, oder?"
Professor Crouch klappte die Kinnlade herunter.
„Miss Potter war gerade dabei uns zu erzählen, wie es dazu gekommen ist", warf Professor Longbottom ein, „Wenn Sie alle so freundlich wären, ihr zuzuhören."
„Ah ja, Miss Potter", lächelte Professor Wennell Lily an.
Lily schluckte. Sie hatte sich die Geschichte in den wenigen Minuten, die sie hier gestanden hatte, zurechtgelegt. Nun musste sie sie nur noch glaubwürdig vortragen.
„Also, ich bin aufgewacht, weil ich Hunger hatte", begann Lily, „Deshalb habe ich mich hinunter in die Küche geschlichen, aber gerade als ich dort ankam, kam dieser Hufflepuff-Vertrauensschüler um die Ecke. Ich habe dann überlegt, ob ich ihm folgen soll, aber als ich ihm letztendlich hinterher bin, war er plötzlich verschwunden. Danach habe ich ihn im dritten Stock gefunden, bewusstlos."
Die Lehrer hörten ihr alle aufmerksam zu und Lily fragte sich, ob sie ihrer Geschichte Glauben schenken würden. Professor Baddock jedenfalls musterte Lily genau, ganz so, als würde er versuchen, ihr durch seinen strengen Blick die Wahrheit zu entlocken.
„Haben Sie sonst irgendetwas gesehen?", fragte Professor Crouch.
Lily schüttelte den Kopf.
„Nein", erklärte sie, „Als ich ihn gefunden habe, war er schon bewusstlos und es war niemand weit und breit zu sehen."
„Merkwürdig", sagte Professor Baddock langsam, ohne den Blick von Lily abzuwenden.
„Das klingt doch ganz nach einem weiteren Anschlag", beharrte Professor Cauldwell.
„Was glauben Sie denn könnte Mr Walters ausßerhalb seines Bettes im dritten Stock gesucht haben, Miss Potter?", fragte Professor Thomas an sie gewandt, doch Lily zuckte die Schultern.
„Ich weiß es nicht, er ist einfach nur starr geradeaus gelaufen", sagte sie und dachte daran, wie Walters den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs durchquert hatte.
Professor Longbottom nickte verstehend.
„Wenn Sie mich entschuldigen. Ich möchte gern noch auf ein Wort allein mit Miss Potter draußen vor der Tür führen", erklärte er und bedeutete Lily mitzukommen.
Eilig folgte Lily ihm.
„Das war die Wahrheit?", fragte er, als die Tür des Krankenflügels hinter ihnen ins Schloss gefallen war.
Schweigend nickte Lily. Sie wollte ihn nicht direkt belügen, auch wenn ihre Lüge niemandem schadete.
„Nun bleibt mir aber nichts anderes übrig, als Gryffindor 50 Punkte abzuziehen", sagte Professor Longbottom streng.
„50?", wiederholte Lily ungläubig.
„Glaub nicht, dass dieser Verlust mich nicht genauso sehr schmerzt wie dich, Lily, aber ich muss dir ja nicht erklären, dass es schlichtweg verboten ist, sich nach der Sperrstunde hinauszuschleichen", erklärte er.
„Auch nicht, weil man Hunger hat!", fügte er noch hinzu.
Schuldbewusst sah Lily zu Boden.
„Und nach den Ferien sprechen wir dann noch einmal übers Nachsitzen", seufzte Professor Longbottom, „und nun ab ins Bett mit dir."
Das ließ Lily sich nicht zweimal sagen. Sie hatte schon etwas in der Art befürchtet, doch dass es gleich 50 Punkte und Nachsitzen werden würden, hätte sie nicht gedacht.
Liebe neue Leser,
lasst doch bitte mal ein Review da!
Wir sind nun genau bei der Hälfte angekommen. Im nächsten Kapitel fährt Lily in die Weihnachtsferien.
Ein Sidechapter gibt es heute nicht.
LG elhelado
