Der Abend, an dem sie und ihre Familie das Haus im Ligusterweg verließen, folgte auf einen strahlenden Sommertag. Petunia hatte nochmal die Geranien gegossen, auch wenn sie sich nicht sicher war, für wen. Die Böden waren gewischt, die Regale staubfrei und der Rasen war gemäht. Niemand konnte ihr nachsagen, sie hätte ihr Leben nicht unter Kontrolle. Jedenfalls oberflächlich.

Nun strich sie ziellos durch die Räume und versuchte allerlei fremdem Volk auszuweichen, das sich mal wieder eigenmächtig Zutritt in ihr Haus verschafft hatte. Vernon würde auch noch dahinterkommen: Dies war nicht mehr ihr Zuhause. Nicht nach allem, was sich hier zugetragen hatte. Nach all den Erinnerungen, die sie mit diesem Ort verband.

Deborah lugte schüchtern hinter der offenen Eingangstür hervor und Petunia lächelte ihr geistesabwesend zu. Wo würden sie leben? Irgendwo in Cornwall, wo man den Himmel sehen konnte? In der Stadt, auf dem Land? Vernon stand kurz vor der Pensionierung und sie hatten gute Rücklagen. Alles war möglich. Zum ersten Mal in ihrem Leben, hatte Petunia das Gefühl, keinen konkreten Plan für die kommenden Jahre zu haben. Dudley würde endlich aus Harrys unheilvollem Schatten treten und eine glanzvolle Karriere als … sie wusste nicht was, antreten. Das alles spielte keine Rolle mehr.

Was jetzt zählte, war, dass Vernon den Wagen vorfuhr und ihr Gepäck einlud. Petunia streifte sich ihren Reisemantel über und sah in den Spiegel im Flur. Sie war älter geworden, doch die vierzig sah man ihr und ihrem unverändert goldblonden Haar wirklich nicht an. In gewisser Weise hatte sie ihr Leben noch vor sich. Vielleicht nicht die besten Jahre, aber immerhin etwas. Sie hatte gelernt, diese Dinge gelassener zu betrachten.

Schweigend folgte sie Vernon und Dudley nach draußen. Vorbei an fremden Hexen und Zauberern, die geradezu Spalier standen. Kein Wort des Grußes oder der Anerkennung nach ihren jahrelangen Mühen. Dumbledore selbst war, nach allem was sie gehört hatte, tot.

Sie wusste nicht, wie sie diese Nachricht bewerten sollte. Nicht dass sie erwartet hatte, in seinem Testament aufzutauchen, doch es war seltsam, den Mann, der so viel Macht über ihr Leben gehabt hatte, so leise und unspektakulär von der Bildfläche verschwinden zu sehen.

Petunia drehte sich nochmal zu Harry um und erlaubte sich, ihn einmal nicht als das Sinnbild für ihr lebenslanges Leid zu betrachten, sondern als das, was er war: Ein dünner Teenager mit verstrubbeltem schwarzem Haar, grünen Augen hinter runden Brillengläsern und einer großen Narbe auf der Stirn.

Wie gut sie diese Narbe kannte. Wie oft sie versucht hatte, Harrys Haar zu zähmen, um sie zu verdecken. Wie sehr sie Petunia an den unverwundenen Tod ihrer Schwester erinnerte. Für einen kurzen Moment hatte sie das Bedürfnis, ihren Neffen, das Einzige was ihr von Lily noch geblieben war, in die Arme zu schließen. Doch da fiel ihr Blick auf Deborah - das Leben, das sie hätte haben können - und das Gefühl verschwand. Manche Narben heilen nie.

Sie drehte sich um und zog das Gartentor hinter sich zu. Ohne hinzusehen, wusste sie, dass Deborah verschwunden war. Und ohne es zu bedauern, war ihr klar, dass sie sie nie wieder sehen würde. Sie stieg in das Auto zu ihrer Familie, ihrem Mann und ihrem Sohn, dem Leben, dass sie sich ausgesucht hatte. Dem Leben, das gerade erst begann.