„Bist du so schwach, dass du deine eigenen Leute verrätst?", fragte die Frau, die dabeigewesen war, als man sie gefangen hatte, während sie zu der Kammer mit den Heilkapseln geführt wurden.

Jetzt, von nahem, und ohne blendendes Licht konnte McKay sehen, dass eines ihrer Augen milchweiß war. Das andere war stechend hellblau und musterte ihn voller Verachtung.

Er rollte mit den Augen. Seine Knie schienen immer noch merkwürdig unsicher zu sein, doch es half ein ganzes Stück, aus der unmittelbaren Nähe von Darlan weg zu sein und nicht mehr eine Waffe an den Schädel gepresst zu bekommen.

„Das sind nicht meine Leute", sagte er.

Die Frau schnaubte.

„Er ist ein Fremder auf diesem Planeten", sagte Gewelden, und brachte sich damit einen Stoß in der Rücken ein. Er verbiss sich einen Schmerzenslaut, doch McKay konnte sehen, wie fest er die Lippen aufeinander pressen musste.

„Als ob wir das nicht wüssten", sagte die Frau kalt. „Aber er ist auch ein Privilegierter. Er ist ein Soldat, er ist einer von ihnen"

Wie falsch sie damit lagen. McKay unterdrückte ein verächtliches Lachen, und schüttelte den Kopf.

„Meine Leute sind nicht so", sagte er, doch niemand schien ihm zuzuhören.

„Das hätte ich nicht gedacht, nicht von dir", sagte die Frau zu Gewelden, der stur an ihrem Gesicht vorbeistarrte.

„Obwohl du ein Unterirdischer bist, habe ich immer gedacht, du verstehst unser Leiden – du wärest anders"

„Das ist kein Verrat an euch, Anva", sagte Gewelden. „Er sollte nicht mit hereingezogen werden, er kann nichts dafür-"

„Wir können uns nicht leisten, aufzufliegen, so kurz bevor", sagte Anva und warf McKay einen kühlen Blick zu.

„Ich hätte euch nicht verraten", protestierte dieser.

Die Frau gab ein ungläubiges Lachen von sich.

„Natürlich"

„Wirklich", sagte McKay und seufzte. „Ich habe es schon einmal gesagt, ich sage es noch mal – unsere Leute sind nicht so wie die Unterirdischen"

Sie schüttelte nur den Kopf.

„Ihr seid alle gleich"

Der Heilkapselraum war immer noch halb mit Trümmern gefüllt, doch jetzt standen in seinen Ecken Lampen, die die Kammer in ein unruhiges Licht tauchten. Grob wurden McKay und Gewelden in eine Ecke gezerrt.

„Hinsetzen", kommandierte Anva, und trat dann einige Schritte zurück.

„Ihr solltet besser nichts versuchen", sagte sie. „Ich weiß nicht, warum Darlan euch am Leben gelassen hat – in meinen Augen seid ihr nichts wert. Verräter" – sie schien das Wort gerade zu auszuspucken – „Und Unterirdische. Wenn sie fliehen wollen –" Sie wandte sich an die Wachen, die sich alles mit unbewegter Miene angeguckt hatten – „Erschießt sie"

Alle nickten – sie benahmen sich nicht sehr militärisch, fiel McKay auf- und dann verließ Anva den Raum. Die Wachen postierten sich an der Tür, einige Meter von McKay und Gewelden entfernt.

McKay schwieg einige Zeit – er war sich nicht sicher, ob sie sprechen durften – doch dann ergriff Gewelden das Wort.

„Danke", sagte er und lächelte müde.

McKay brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, was er meinte.

„Oh, das", sagte er schließlich. „Kein Problem"

„Nicht, dass es lange war nützen würde", sagte Gewelden. Er hatte die Knie angezogen, und die Arme darum gelegt.

„Noch ist es nicht soweit", sagte McKay, und war das nicht falsch? Es war sein Job, in Panik zu geraten und immer das Schlechteste anzunehmen.

Gewelden antwortete nicht, und die Stille begann McKay auf die Nerven zu gehen.

„Gut, ein paar Sachen verstehe ich immer noch nicht", sagte er schließlich, und Gewelden sah auf.

„Warum bist du..." Es schien richtig, ihn nun zu duzen. „...einer von ihnen?"

Gewelden seufzte, und setzte dann ein halbherziges Lächeln auf.

„Reicht es dir nicht, dass ich halt ein netter Mensch bin?", fragte er.

„...Nein"

Gewelden lachte.

„Nein, du hast natürlich recht. Die Leute unten... die Unterirdischen... sie werden von anfang an so erzogen, dass sie kein Mitleid mit den Oberen haben. Ich wäre genauso geworden... nun, ich war genauso... wenn ich nicht eine Tochter gehabt hätte."

Geweldens Gesicht verzog sich einen Moment, und er fuhr sich mit der Hand über den Mund, als ringe er um Beherrschung. McKay horchte auf.

„Sie war ... ein süßes Mädchen, wunderschön. Das beste, was mir und meiner Frau je passiert ist. Ein Sonnenschein, stets lächelnd und glücklich. Neugierig. Intelligent. Dunkelblonden Locken, Sommersprossen – unzählige – und blaue, blaue Augen." Er brach ab. Bitterkeit kroch über seine Züge, und das Lächeln, das über sein Gesicht gekommen war, als er von seiner Tochter gesprochen hatte, verschwand. „Später... als sie fünf war... fanden wir dann heraus, dass diese wunderschönen blauen Augen beinahe blind waren, und immer schlechter wurden."

Er gab ein ersticktes Geräusch von sich, und McKay merkte zu seinem Entsetzen, dass Gewelden lachte.

„Und das war alles", sagte er. „Mehr brauchte es nicht, um sie zum Tode zu verurteilen. Unser wunderschönes kleines Mädchen, unser Sonnenschein – sie nahmen sie uns weg, brachten sie zu den Oberen"

Er schüttelte den Kopf, holte dann ein paarmal tief Atem.

„Die Wraith haben sie nicht gekriegt, dennoch hat sie nicht die erste Woche überlebt. Sie haben im Wald gespielt, sie und die anderen Kinder. Es war Winter. Sie hat nicht gemerkt, dass sie über einen kleinen, zugefrorenen Tümpel lief, sie konnte doch fast nichts sehen. Sie haben sie noch rausgezogen, aber – aber in der selben Nacht noch ist sie gestorben. Ihr Körper war zu schwach, und die Oberen hatten nichts, was sie für sie tun konnten – sie erhalten keine medizinische Versorgung. Einer von ihnen, der hier unten arbeitete, hat mir später von ihrem Tod erzählt."

Er seufzte, und sah dann McKay an.

„Das ist jetzt zehn Jahre her, doch seitdem habe ich unser System hassen gelernt", sagte er. „Ein System, das kleine Mädchen sterben lässt, nur weil sie einen Fehler haben. Ich habe mir geschworen, dass ich einer von denen sein wollte, die es ändern würden"

„Mein Gott", murmelte McKay. Gewelden lächelte ihn schwach an.

„Und mit Darlan ist mir diese Möglichkeit gegeben worden", sagte er.

Wie- ich dachte, er ist einer von den Unterirdischen... Darvo hat mir das Bild gezeigt...", sagte McKay.

„War er auch", sagte Gewelden. „Er wurde abgeschossen, über unserem Planeten, zum Glück. Sein Flugzeuug verbrannte, er überlebte, schwer verletzt- seine Kleider waren bis zur Unkenntlichkeit zerrissen und verbrannt – und das Wichtigste, er zog sich eine Kopfwunde zu und-"

„- verlor das Gedächtnis", sagte McKay, fassungslos.

„Genau", sagte Gewelden und grinste. „Die Oberirdischen leben über ein großes Gebiet verstreut. In Wirklichkeit machen sie die Mehrheit unseres Volkes aus. Jedenfalls – sie fanden ihn und pflegten ihn gesund. Er lebte ihr Leben, er lernte jemanden lieben, er sah welche von ihnen sterben. Und dann... erlangte er sein Gedächtnis zurück."

„Musste ja so kommen", sagte McKay, und Gewelden lachte kurz auf.

„Auch er wollte die Unterirdischen büßen lassen, für das, was sie guten Menschen antaten. Die Oberirdischen ... sie müssen einen Großteil ihrer Ernte abgeben, es gibt oft Hungersnöte – ohne die Unterirdischen wären sie in der Tat viel besser dran. Nun, Darlan jedenfalls erinnerte sich- und er erinnerte sich auch, bei welchen Kampf er abgeschossen worden war, und worum es dabei gegangen war..."

„Technologie", murmelte McKay. Gewelden nickte, und fuhr dann fort:

„Das Tunnelsystem erstreckt sich unglaublich weit. Der Kampf fand weit entfernt von diesem Unterirdischen- Stützpunkt statt. Durch die Explosionen stürzte allerdings ein großer Teil der Gänge ein, und so glaubten die Unterirdischen, die Technologie und das Tunnelsystem wären verloren – doch Darlan wusste es besser. Er und hunderte von den Oberirdischen machten sich auf die Suche, und fanden tatsächlich einige Eingänge in das Tunnelsystem, die nicht im Kampf zerstört worden waren. Tja, und dann – dann fanden sie die Sache mit dem Erbcode heraus"

Er brach ab, und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, sprach dann weiter: „Eigentlich ... eigentlich konnten wir ganze fünf Leute, Darlan eingeschlossen, finden, die diesen Erbcode hatten. Aber ... es gab Unfälle. Viele, viele Unfälle. Manche mussten wir vertuschen.Wissenschaftler halfen uns - du glaubst nicht, wie viele Leute einen Verwandten an Oben verloren haben... wir haben es geschafft, bis jetzt."

„Aber wenn es Unfälle gab", setzte McKay an, und fühlte sich irgendwie schlecht, als er fortfuhr: „Wenn ihr diese Technologie noch nicht wirklich beherrschen könnt – meint ihr wirklich, ihr könnt gewinnen...?"

Zum allerersten Mal zögerte Gewelden, dann schlug er die Augen nieder.

„Vor einigen Stunden... hätte ich noch voller Überzeugung ja gesagt"

McKay seufzte.

Wahrscheinlich musste es ausgesprochen werden. Er warf Gewelden, der das Gesicht in den Händen vergraben hatte, einen mitleidigen Blick zu.

„Darlan ist ein Irrer, nicht wahr?", fragte er.

„Oh ja, ist er", antwortete Gewelden dumpf.

McKay seufzte abermals.

„Welche Technologie will er einsetzen?", fragte er.

Gewelden sah ihn scharf an, entschied dann aber offensichtlich, dass es jetzt auch nicht mehr drauf ankam, und öffnete den Mund.

„Halt den Mund", raunzte eine der Wachen.

Geräuschvoll klappte Gewelden den Mund wieder zu.

„Als würde das jetzt noch von Wichtigkeit sein", sagte McKay verächtlich, und das Gesicht des Bewaffneten verdüsterte sich. Er machte Anstalten auf McKay zuzugehen, als plötzlich das unmissverständliche Krachen einer Explosion das Gewölbe erschütterte.

Einen Herzschlag lang schaute der Mann erschrocken, dann hellte sich sein Gesicht auf.

„Es beginnt!", flüsterte Gewelden. Er hatte sich, ebenso wie McKay erhoben. Sie standen dicht beieinander in der Ecke, und McKay konnte sich nicht verkneifen, nach oben zu schauen, an die steinerne Decke.

Hatten diese Idioten denn noch nie etwas von Einsturzgefahr gehört?

„Hinsetzen!", schrie auf einmal einer ihrer Bewacher, die ihre Blicke wieder auf ihre Gefangenen gerichtet hatten, und fuchtelte mit seiner Waffe. „Sofort wieder hinsetzen!"

„Schon gut", sagte Gewelden beschwichtigend, und nahm die Hände hoch, während er sich langsam wieder hinsetzte. McKay tat es ihm gleich, und die Wächter entspannten sich.

McKay wusste, sie waren viel zu tief unter der Erde, um Schreie hören zu können, dennoch konnte er nicht anders, als zu lauschen. Wieder krachte es, und er zuckte zusammen, als Steinsplitter auf seine Schulter rieselten.

„Verdammt!", zischte er, und starrte Gewelden an, der auch milde besorgt aussah. „Was denken die, was sie da tun...? Wenn die Explosionen so weitergehen..."

„Ich weiß, ich weiß", stöhnte Gewelden.

„Weiß Darlan das auch?", fragte McKay ungeduldig, und Gewelden lächelte schief.

„Ich denke schon"

„Oh, großartig..."

Der Boden erzitterte. McKay widerstand nur Mühsam der Versuchung, sich die Ohren zuzuhalten – der Lärm war schmerzhaft.

Er konnte nicht einfach sitzen bleiben und darauf warten, dass alles über ihm zusammenstürzte-

„Hey! Setz dich wieder hin!"

„Falls ihr es noch nicht gemerkt habt, diese Kammer ist Sekunden davon entfernt einzustürzen – verdammt, wir müssen raus hier, ihr Idioten-"

Wie um seine Worte zu bestätigen, bebte die Erde erneut, und er verlor fast das Gleichgewicht.

„Hinsetzen! Sofort!"

„- verdammt, wir werden alle draufgehen, wir müssen hier raus-"

Krachend zog sich der Riss durch den Stein über ihnen. Innerhalb eines Herzschlages hüllten Staubschwaden den Raum ein, und mit einem dumpfen Poltern fielen Felsbrocken zu Boden. Etwas knackte, und dann kehrte wieder trügerische Stille ein, nur unterbrochen von McKays und Geweldens heißerem Husten.

„Ca – Captain?", keuchte McKay, während ihm Tränen über die Wangen liefen. „Bist du- bist du okay?"

„Ich bin hier", röchelte Gewelden, und McKay spürte seine tastende Hand auf seinem Arm. „Wir sind... wir sind noch am Leben, oder?"

„Scheint so...", würgte McKay, und wischte verzweifelt mit der linken Hand über sein Gesicht, womit er den stechenden Staub immer weiter in seine Augen hineinrieb. Er tastete seinerseits nach Gewelden, und fand seine Schulter.

„Sind wir... sind wir eingeschlossen?"

„Ich weiß nicht", sagte McKay. Endlich klärte sich sein Blickfeld ein wenig. Der Staub schien sich zu legen, und er konnte im Licht der letzten verbliebenen Lampe vage die Umrisse des Ausgangs ausmachen. Er schien nur noch halb so groß wie vorher zu sein, große Felsbrocken lagen vor ihm.

Mühsam richtete McKay sich auf. Sein Kopf schmerzte wieder, ein unruhiges Pochen in seinem Hinterkopf, und er krümmte sich halb zusammen.

„Ver... dammt"

„Alles okay?", keuchte Gewelden, und McKay biss die Zähne zusammen. Er würde Beckett volljammern, doch jetzt schien es ihm erst einmal ratsamer, zu handeln.

„Ja"

Er richtete sich wieder auf, und trat einige zögerliche Schritte vor. Sein linker Fuß schien wegzurutschen, und er sah nach unten, und ging dann in die Hocke und berührte mit dem Zeigefinger vorsichtig den Boden.

Nass. Warm und nass.

Er richtete sich wieder auf, und hielt Gewelden wortlos seine Hand hin. Der Mann starrte auf die im Licht der Lampe glänzenden Finger, und sagte dann mit flacher Stimme:

„Die Wachen"

„Ja", flüsterte McKay. „Sie... sie standen zu nah am Eingang... dabei... dabei habe ich ihnen noch gesagt, dass wir hier raus müssen..."

Gewelden nickte abwesend, legte ihm dann die Hand auf die Schulter.

„Komm jetzt. Wir sollten... hier verschwinden"

Er hatte recht, McKay wusste es, und mühsam nahm er sich zusammen. Er nickte, und Gewelden ging rasch die letzte der Lampen holen.

McKay vermied, nach unten zu sehen, als Gewelden mit dem Licht zurückkehrte, doch der Captain schüttelte den Kopf.

„Man sieht nichts", sagte er leise. „Hier ist nur Blut"

Sie kletterten über die Steine – über die Wächter, dachte McKay, und spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Immer noch erschütterten vereinzelte Explosionen das Gewölbe, und als sie von den letzten Felsbrocken rutschten, konnte sie die Schreie hören, die durch die staubschwadenverhangenen Gänge hallten.