„Okay, weißt du, wo wir genau sind?", fragte McKay, und Gewelden nickte. Er ließ die Augen über die winzige Lichtung vor der Stahltür gleiten, auf der sie standen. Der Boden fiel zum Waldrand hin ab, und Sträucher und lange Gräser wuchsen so dicht zwischen den Bäumen dort, dass McKay nicht erkennen konnte, wie der Boden dort weiter verlief, doch irgendwas schien ihm den Eindruck zu geben, dass es dort sehr steil abfallen würde.
„Ja, wir haben diesen Ausgang öfter benutzt"
Darvo ließ einen Seufzer der Erleichterung hören, und starrte dann den Captain ungeduldig an.
„Und – sollten wir dann nicht – losgehen?", fragte er.
„Losgehen?", echote Gewelden dumpf.
Darvo sah ihn verwirrt an, und blickte dann zu McKay, der schief lächelte.
„Wohin?", sagte er.
„Was- oh!" Darvos Augen wurden rund. „Was... was sollen wir denn jetzt tun...?"
„Wir müssen sehen, dass wir zum Gate kommen", sagte McKay langsam. „Wenn ihr in Schwierigkeiten kommt, wenn ihr hier bleibt, dann kommt mit uns. Wir würden euch Asyl gewähren..."
Darvo blickte entsetzt, doch Gewelden nickte nachdenklich.
„Ja... ja, das wäre vielleicht eine Lösung..."
„Aber – aber – Asyl?", stotterte Darvo. „Wir sollen unsere Heimat verlassen...?"
„Darvo", sagte Gewelden geduldig. „Es wird wohl keine andere Möglichkeit geben. Darlan und seine Leute sind nicht gerade für ihre Gnade bekannt"
Darvos Augen schienen sich zu verdunkeln. Er erstarrte, sein blasses Gesicht zuckte, und bei seinen nächsten Worten vibrierte seine Stimme vor Hass.
„Diese – diese verdammten – diese miesen kleinen schlechten-"
Doch Gewelden schüttelte den Kopf.
„Nein, Darvo, versuche nicht, ihnen die ganze Schuld zu geben. Sie haben von uns Unterirdischen in Sachen Grausamkeit gelernt..."
Darvo Lippen zitterten, doch er kniff den Mund zusammen und schwieg.
„So...", sagte Gewelden, und sah McKay wieder an, der die Szene stillschweigend beobachtet hatte, und lächelte dünn. „Wir sollten vielleicht warten, bis sich... die Lage ein wenig beruhigt hat..."
„Bis sie gewonnen haben, meinst du?", fragte Darvo scharf.
Gewelden seufzte, und McKay zögerte kurz, bevor er sprach.
„Aber das ist nicht sicher, nicht wahr?"
„Nicht vollkommen", murmelte Gewelden. „Wir hatten so viele Fehlschläge mit der Technologie bisher – es ist beinahe, als wären wir verflucht, oder so..." Er seufzte auf und schwieg.
Darvo machte ein verächtliches kleines Geräusch, doch noch bevor McKay oder Gewelden irgendetwas sagen konnten, zeriss ein langgezogenes Heulen die Abendstille.
Die drei Menschen fuhren zusammen, und froren dann ein, abwartend.
„Was war das?", flüsterte Darvo, die Augen weit aufgerissen und zwischen die dunklen Bäume starrend. „Was...?"
Es sollte ihm etwas sagen, das Geräusch, dass wusste McKay, aber er konnte – er kam einfach nicht darauf – das Heulen wurde heller - und er dachte verzweifelt Ich weiß was das ist das ist das ist das ist wichtig das bedeutet – doch da schrie Gewelden schon: „Zur Seite!" und warf sich auf Darvo, der mit ihm zu Boden ging, und die kleine Lichtung vor der Stahltür zum Waldrand herunterkugelte, während McKay sich abstieß, um wegzuspringen –
- doch irgendwie kam er nicht richtig auf, und dann verstummte das Heulen für einen winzigen Moment, und dann explodierte die Granate und er flog einfach -
Zweige brachen, splitterten mit lautem Knacken, und er erhaschte einen winzigen Blick auf den Himmel, um dann wieder nur ein verwaschenes Gemisch aus Grün und Braun zusehen und wow, ich muss fallen und schließlich, endlich, kam die Welt zur Ruhe.
Und dann kam die Schwärze.
XXX
Langsam, langsam kam die Welt zurück. Kribbelnd kroch das Leben wieder in seine Glieder, und mit dem Gefühl kam der Schmerz. Einfach alles tat ihm weg, am allermeisten vielleicht der Kopf – es pochte dumpf und langsam hinter seinen Schläfen. Er überlegt, ob er sich bewegen sollte, konnte sich aber nicht so recht entscheiden. Vielleicht war es besser, liegen zu bleiben, denn wenn das Liegen schon so weh tat, wie musste dann das Aufstehen schmerzen? Es wäre möglicherweise okay, die Augen zu öffnen, dachte McKay schließlich, und blinzelte vorsichtig. Und zuckte zusammen.
Es konnte nichts sehen.
War er- ? Hatte es etwas mit seiner Kopfverletzung zu tun? Oh, sicher, er hatte davon gehört, dass so etwas passieren konnte, aber eigentlich doch nicht wirklich, zumindest nicht ihm ... oder?
Er spürte, wie sich seine Atmung beschleunigte. Oh, Gott. Das durfte doch nicht wahr sein. Er konnte doch nicht blind sein, schon gar nicht jetzt, nicht verletzt und allein im Wald-
Ein Gedanke, der schon die ganze Zeit versucht hatte, sich bemerkmerkbar zu machen, schaffte es nun endlich, sich in sein Bewusstsein zu winden, und McKay atmete aus, und kam sich dann sehr, sehr dumm vor.
Natürlich. Es war nachts.
Deshalb konnte er nichts sehen, und hey, das stimmte noch nicht einmal. Zähneknirschend hob McKay den Kopf, und schaffte es, die schattenhaften Umrisse der Bäume auszumachen. Verdammt. Es half alles nichts, er musste schließlich doch noch aufstehen.
Er stemmte sich auf zitternden Armen hoch, und blieb dann schwankend und gebückt stehen und versuchte angestrengt, sich nicht zu übergeben.
Verdammt. Verdammt verdammt verdammt, wie um alles in der Welt sollte er es in diesem Zustand zum Gate schaffen?
Endlich schaffte er es auch, den Oberkörper aufzurichten. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, und er zitterte in der kühlen Nachtluft.
Etwas knackte. McKay verharrte, zitternd und schwer atmend, und versuchte zu lauschen, was sich allerdings als ziemlich schwierig erwies, da es in seinen Ohren rauschte.
Wieder brachen Äste, und McKay taumelte einige Schritte rückwärts, um dann schwer wieder auf dem Boden zu landen.
Schritte, schwer und unkoordiniert, und riss die Augen auf, und versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Da war noch jemand –
„Hallo?" Es war vielleicht dumm, doch jetzt kümmerte es ihn auch nicht mehr. Außerdem, der Unbekannte klang selbst nicht so, als wäre er topfit.
„Wer ist da?"
Stille antwortete ihm, und er hielt lang genug den Atem an, um jemand anderen schwer atmen zu hören.
Vielleicht war es doch es Fehler gewesen –
Immer noch Stille, und dann durchzuckte ein Gedanke wie ein Blitz McKay, und er schob die Hand in seine Hosentasche. Seine Finger schlossen sich um die kühle, glatte Oberfläche des Schildes, und grünes Glühen erhellte die Nacht, und dann berührte der schildkrötenartige Stein McKays Brust.
Wumm.
Im ersten Moment begriff er gar nicht, was passiert war. Dann wurde ihm bewusst, dass er auf dem Rücken lag, alle viere von sich gestreckt – wow, war ihm übel jetzt bloß nicht kotzen –
Wieder drehte sich die Welt, und wieder flog er, bis er mit dem Rücken mit einem Baum kollidierte – nun ja, nicht wirklich mit seinem Rücken – vielleicht hätte es ihm sogar das Rückrat gebrochen, dachte McKay, wenn nicht das Schild den Schlag geschluckt hätte. Er spürte den Schlag nicht mehr als den Aufprall eines Kissens, doch es war das Schwindelgefühl, das ihn Aufstöhnen ließ – bloß nicht sich übergeben, dass dürfte ganz hässlich werden mit dem Antikerschild-
„Stop!", presste er hervor, und schon wurde er wieder hochgehoben, während er verzweifelt versuchte, den Blick zu fokussieren. Wer hielt ihn-?
„Aufhören, es bringt eh nichts-"
„Was!", fauchte jemand, und schüttelte ihn (Oh, Gott, nicht – bloß nicht- ) und im fluoreszierenden Glühen konnte McKay die verzerrten Züge Darlans ausmachen.
Er sah – wahnsinnig aus. Der Irrsinn hatte einem reinen, eisigen Wahn platz gemacht, der Darlans attraktives Gesicht beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte. Das Weiß eines Auges schien mit Blut gefüllt zu sein, das Gesicht grau-weiß, mit violetten Blutergüssen auf Schläfen und Wangen. Er verzog den Mund – kleine Risse in seinen blassen Lippen öffneten sich und sonderten rubinfarbene Blutstropfen ab – und etwas verspätet begriff McKay, dass Darlan lächelte.
„Hey..."
Er hielt ihn immer noch hoch, wurde Rodney mit Schrecken bewusst, mit einer Hand. McKay wusste, er war wahrlich kein leichter Mann, und selbst die Kraft des Wahnsinns sollte einem nicht zu so etwas befähigen.
Was zum...? – Technologie. Wir können gewinnen.
Doch Darlans blutiges Auge schimmerte durch die Dunkelheit, und das Echo von Geweldens Stimme hallte unheilvoll in McKays Erinnerung.
Es hat viele ... Unfälle gegeben. ...beinahe, als wären wir verflucht, oder so...
„Hey, ...McKay, nicht wahr?", flüsterte Darlan, und McKay nickte mühsam und mit zugeschnürter Kehle.
Langsam, als bereite es ihm Mühe, runzelte Darlan die Stirn, und der Blick seiner dunklen, nun schwarz wirkenden Augen flackerte über die in flimmerndes Grün getauchte Figur McKays.
„Was... ist das?", murmelte Darlan.
„Etwas, was mich vor dir beschützt", sagte McKay, und Darlan sah ihn mit leeren Augen an. Er blinzelte, mit einem Auge.
„Schp –schpion", zischte Darlan, und Speicheltröpfen flogen ihm von den Lippen.
McKay verdrehte unwillkürlich die Augen. Entnervung wallte in ihm auf, und vertrieb für einen Moment lang das Entsetzen.
„Nein, du Idiot", sagte er. „Ich bin kein verdammter Spion – ich – wir sind Besucher, wir kamen um zu handeln...!"
Oh, Mist. Er hatte „wir" gesagt. Warum musste ihm immer so etwas herausrutschen?
Doch Darlan schien McKays Ausrutscher nicht zu bemerken. Langsam, langsam ließ er den Arm sinken, bis McKays Fußspitzen den Boden berührten.
Gerade, als McKay den Mund öffnete, um zu sprechen, erhellte sich der Nachthimmel. McKay zuckte zusammen, und beide Männer starrten zum nun wieder schwarzen Firmament. In der Ferne donnerte es.
„Ihr kämpft noch immer", flüsterte McKay, und wieder breitete sich das schreckliche Lächeln auf Darlans Gesicht aus.
„Jaaa...", hauchte er, und drehte sich zur Seite. Seine Augen glänzten, als er zwischen den Baumwipfeln hindurchstarrte. „Sch -siehst du es denn nicht?"
Es war nicht leicht zu bemerken. McKay starrte in den dunklen Himmel, und gerade als er dachte, dass es wohl wirklich nichts zu sehen gab, bemerkte er, dass er die Silhouetten der Baumkronen sehen konnte – was...
Der Himmel glühte ganz sanft rötlich.
„Es brennt", flüsterte Darlan.
„Was brennt?", fragte McKay sofort. Wieder begann Übelkeit in ihm aufzusteigen.
„...Alles", sagte Darlan lächelnd.
