Zita: Danke, dass du mir so treu bist g


Einundzwanzig

Das Pferd Agarmaethors trug Legolas, welcher das zweite Pferd mit dem unbekannten Toten neben sich führte, sicher und zielstrebig zurück zur Talsenke. Seit Beginn des Rückweges hatte sich das Wetter gebessert. Der Wind blies nicht mehr so kalt und gelegentlich schien der Mond durch die noch immer verhangene Wolkendecke. Der Boden war aufgeweicht und mit jedem Hufschlag der zwei Pferde erklang ein klatschendes Geräusch, verursacht durch den Sog in der aufgeweichten Erde.

Als Legolas die Herde erreichte, war der Kampf bereits beendet. Die Elben hatten ein sehr kleines Feuer im Zentrum der Senke entfacht. Während einige umher liefen und ihre durch dem Kampf verstreute Ausrüstung wieder einsammelten beschäftigten sich andere mit der Wundversorgung. Erschrocken bemerkte Legolas jedoch, dass viele von den Gefährten fehlten. Er konnte nur neun Elben ausmachen. Auch Elladan und Elrohir sowie Agarmaethor und Amlugûr konnte er nicht erblicken. Legolas ließ die Pferde am Rande der Senke zurück und eilte zu der Feuerstelle. Dort saß Gimli und sah ihm ernst entgegen.

„Meine Augen betrüben mich. Wo sind die anderen, Gimli? Sind sie gefallen?", fragte er fast tonlos.

Haldir näherte sich und Legolas sah in dessen Augen große Vorwürfe. „Sie sind unterwegs und durchsuchen die Gegend", sagte Haldir leise. „Sie versuchen auch ein Grab vorzubereiten, um Degilrims Körper vor Aasfressern zu schützen."

Legolas traute seinen Ohren kaum. „Was... Was ist geschehen?"

„Genau das würden wir gerne von dir wissen, Legolas!", ertönte die kalte und harte Stimme von Agarmaethor. Auch Amlugûr schob sich zwischen zwei Pferdekörpern hindurch und starrte Legolas unfreundlich an.

„Ich habe dir ausdrücklich gesagt, du sollst die Pferde nicht verlassen." Amlugûr war wütend und laut. Agarmaethor ließ sich am Feuer nieder und gelassen vergrößerte er die Flammen, so dass die nähere Umgebung nun gut beleuchtet war. Die Gegend schien sicher zu sein.

„Schrei ihn nicht so an, Amlugûr! Höre erst, was er zu sagen hat! Vielleicht hatte er einen guten Grund, um Degilrim und die Herde zu verlassen?", sagte Agarmaethor ruhig, aber noch immer mit der kalten, unfreundlichen Stimme.

Legolas war ihm trotzdem dankbar, dass er sich erst einmal erklären durfte und erzählte kurz das gesamte Geschehen bis zu dem Punkt, als er den Unbekannten mit dem Messer tötete. Er hielt einen Moment inne, um seine Gedanken über den Toten zu sammeln, konnte jedoch nicht fortfahren, da es aus Mithlondion heraus brach: „Wegen eines einzigen Tieres hast du uns und Degilrim im Stich gelassen? Dieses eine Tier hat einem unserer Gefährten das Leben gekostet!"

Andere begannen nun ebenfalls erbost und aufgeregt auf Legolas einzureden bis Agarmaethor die Hand hob und um Ruhe bat. Er sah Legolas ernst an.

„Auch ich kann dein Verhalten nicht billigen. Die Aufgaben waren klar verteilt und ich denke, dir war bekannt, welche Verantwortung du zu tragen hattest. Du magst geglaubt haben, du wärst aus dem Kampfgeschehen ausgeschlossen worden und hättest in der zweiten Reihe gestanden, doch dem war nicht so.

Diesen acht Orks, die unsere Linien durchbrochen haben, ist etwas gelungen, was fast einhundert anderen von diesen stinkenden Kreaturen nicht gelang. Sie töteten einen eurer Gefährten."

Agarmaethor machte eine Pause und alle schauten ihn erwartungsvoll an. Schließlich kniff er nachdenklich die unter der Asche kaum erkennbaren Augenbrauen zusammen und fuhr fort.

„Ihr habt für 20 Personen nur noch elf Pferde zur Verfügung. Die Pferde waren wichtig, denn ohne sie seid ihr fast genau so langsam wie die Orks." Agarmaethors prüfender Blick fiel dabei auf Gimli.

„Du hast versagt, Legolas!", sagte Amlugûr leise, aber bestimmt. „Auf unsere Kosten."

Legolas sah alle betroffen an. Hatte er etwa mit seinem Rufen die Orks auf die Herde aufmerksam gemacht? Hatte er damit den Tod Degilrims verursacht, der sich völlig allein gelassen acht Orks gegenüber sah? Legolas fühlte sich, als habe er selbst Hand an Degilrim gelegt. Er verspürte den Drang, seine Hände an seiner Hose abzuwischen und nur seine Selbstbeherrschung hielt ihn davon ab. Noch nie hatte er sich für den Tod eines Elben verantwortlich gefühlt und diese neue Erfahrung schmerzte auf eine ihm bisher unbekannte Art.

Agarmaethor unterbrach seine Gedanken und sprach ruhig weiter. „Nichts desto Trotz hast du etwas berichtet, was mich nachdenklich stimmt. Dieser Fremde... er konnte sich den Pferden nähern und sich eines bemächtigen, ohne dass diese scheuten oder sich wehrten. Bei einem Ork wäre dies unmöglich gewesen. Hinzu kommt, dass er dir nicht einmal aufgefallen wäre, hätte dich das Pferd nicht beiseite gerissen. Es besorgt mich, dass ein solches Wesen mit einhundert Orks in Richtung Süden zu reisen scheint. Der Regen hat viele Spuren weggeschwemmt und möglicherweise haben die verbliebenen Orks den Leichnam beseitigt. Ich hoffe jedoch trotz allem, dass wir den Ort wiederfinden, um den Leichnam genauer untersuchen zu können. " Er erhob sich und lief zielstrebig zu den Pferden.

Legolas atmete tief durch. Wenigstens eine Sache schien er richtig gemacht zu haben. „Es ist nicht nötig, im Schlamm zu suchen. Er erschien mir vom ersten Moment an so seltsam, dass ich dachte, er würde alle interessieren", rief er Agarmaethor hinterher.

Agarmaethors wandte sich um und seine kalten, grauen Augen lagen einen Moment nachdenklich auf Legolas. „Nun, das erspart uns den Weg. Bring ihn her!"

Noch immer bedrückt lief Legolas zu den Pferden und holte den Toten, trug diesen zum Feuer und warf dort die Leiche zu Boden. Die Flammen des Feuers beleuchteten den Unbekannten vollständig, so dass eine ungestörte und eingehende Betrachtung möglich war. Doch was sie da sahen ließ alle erstarren.

War das ein Elb? Ein androgyner Körper lag vor ihnen, so androgyn wie fast alle Elben ihn hatten. Er war in dunkles Leder gekleidet und an seinem Gürtel befanden sich verschiedene Waffen und Werkzeuge. Lange braune Haare lagen wirr und ungeflochten neben seinem Gesicht, dessen scheinbar sonst so ebenmäßigen und feinen Züge durch ein hässliches Grinsen verunstaltet waren. Dunkelgrüne Augen funkelten und glänzten, als sei der Unbekannte noch am Leben, doch sie starrten in den Himmel, als würden sie ihn auf ewig verfluchen. Seine Hände, verklebt mit Blut und Erde, waren zu einer Faust verkrampft und gaben nur bei genauer Betrachtung ihr Geheimnis preis – kurz, schwarze Krallen.

Amlugûr streifte mit der Hand ein paar Haare beiseite und legte dabei spitze Ohren frei.

„Ein seltsamer Elb!", murmelte Agarmaethor. Er beugte sich zu dem Toten und nahm mit seinem Finger etwas Blut aus der Stichwunde, um daran zu riechen. „Es riecht fast wie Orkblut. Hat er noch irgendetwas gesagt, bevor er starb?", wandte er sich an Legolas.

„Ja. Es klang wie Quenya, aber ich verstand es nicht und kann es auch nicht wiederholen. Zu sehr schmerzte mich das Wort in meinen Ohren und von diesem Wort wurde mir so kalt." Fast kam Furcht bei Legolas auf, als er sich an die Situation erinnerte. „Er hatte irgendwie eine... eine dunkle Aura."

Alles starrten wieder gebannt auf den Toten.

„Eine Kreuzung Ork-Elb?", fragte Gimli ungläubig. „Ich meine... Orks stammen von Elben ab, aber..."

„Ist er alt oder ist er jung? Ich meine ist er aus einer alten oder einen neuen Orkzucht?", unterbrach ihn Elladan leise. Auch einige andere stellten jetzt die wildesten Vermutungen an, worum es sich bei dem Toten handeln könnte.

Es wäre wohl so weitergegangen, wenn Gimli nicht überrascht ausgerufen hätte: „Seht! Die Wurfmesser des Toten. Es sind die gleichen, die auch in Degilrim steckten. Nicht die Orks haben ihn getötet, sondern der fremde Ork-Elb hier!"

Alle verstummten und folgten mit ihren Blicken Taurol, welcher eilig das Wurfmesser aus Degilrims Leichnam holte. Man verglich sie miteinander und tatsächlich schienen sie von der gleichen Machart zu sein. Das Licht des Lagerfeuers spiegelte sich in der sehr einfachen und unverzierten Waffe und ließ sie blutrot erscheinen. Doch so schlicht die Waffe auch war, sie war hervorragend ausbalanciert und konnte mit Sicherheit tödlich eingesetzt werden – nicht nur bei Degilrim.

„Wenn es die gleichen Messer sind, dann heißt das, dass der Ork-Elb noch ausreichend davon übrig hatte, um auch Legolas aus der Entfernung zu töten. Es wäre ihm sicherlich gelungen, so abgelenkt wie Legolas war. Warum hat er es nicht getan?", fragte Elrohir skeptisch.

„Die Frage müsste vielmehr lauten, warum er Legolas mit einem Knüppel niederschlagen wollte. Er hatte noch so viele andere Waffen bei sich. Einen Knüppel benutzt man doch da nur, wenn man sein Opfer nicht töten oder es vielleicht sogar entführen will. Und selbst im Zweikampf hat er den Knüppel bevorzugt", erwiderte Agarmaethor.

„Entführen?", fragte Legolas erstaunt. „Warum sollte mich jemand entführen wollen?"

„Weil du ein Prinz, der Sohn von König Thranduil, bist!", stellte Aneru fast feierlich fest. „Vielleicht will jemand deinen Vater unter Druck setzen?"

Legolas schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wir werden wohl nicht mehr erfahren, welche Hintergründe die Tat hatte und wir werden wohl zunächst auch nicht erfahren, ob es noch mehr Kreaturen dieser Art gibt, obwohl auch ich davon ausgehe", warf Agarmaethor ein.„Wir sollten uns alle bewusst machen, dass es diese... diese Ork-Elben gibt, denn von nun an dürft ihr euch nicht mehr allein auf eure Augen und Ohren verlassen. Sie sind scheinbar genau so lautlos wie Elben und wahrscheinlich haben sie noch andere elbische Fähigkeiten. Die Wachposten müsst ihr ab jetzt verstärken und gründlicher positionieren, wenn ihr weiter nach Süden reist. Achtsamkeit ist jetzt für euch noch viel wichtiger als früher."

„Ihr sprecht immer von ihr und euer. Wollt Ihr uns nicht vielleicht begleiten? Wir haben gesehen, was Ihr zu leisten vermögt und Eure Worte waren bisher stets klug und besonnen. Wenn Amlugûr nichts dagegen hat, würde ich, für meine Person, mich gerne Eurer Führung anvertrauen", sagte Mithlondion und blickte dabei fragend auf Agarmaethor.

Dieser sah ihn wie erstarrt an. „Nein! Das kommt nicht in Frage. Geht euren Weg alleine!"

Zweifelnd sah er dabei auf Amlugûr. Dieser beugte sich vor und sagte leise und kaum hörbar: „Der Wind kommt gerade aus dem Süden. Wenn du immer entgegen der Windrichtung reist, dann ist es die gleiche wie die unsere."

Agarmaethor zögerte noch immer. „Ihr kennt mich nicht und ich lege keinen Wert darauf dies zu ändern", sagte er schließlich leise und seine Augen blitzten auf. „Deshalb werde ich nachts nicht bei euch im Lager schlafen. Ich will meine Ruhe! Und wenn ihr meine Führung wollt, dann gewöhnt euch daran, dass ich hart bin. Ich lasse im Notfall Verletzte zurück und erwarte, dass man dies auch mit mir tut, wenn es notwendig ist. Ich nehme wenig Rücksicht auf Schwache, wenn sie die Gruppe aufhalten und ich erwarte, dass es darüber keine Diskussion gibt, wenn dieser Fall eintreten sollte."

Wieder blitzten seine Augen auf und musterten alle Anwesenden. „Aber ich werde nicht ständig bei euch sein. Ich bin es gewohnt, meine eigenen Wege zu gehen und vor allem in wichtigen Dingen nur meinen eigenen Handlungen zu vertrauen." Er schaute die Gemeinschaft prüfend an. „Wenn ich nicht da bin, solltet ihr weiterhin Amlugûr folgen, mit welchem ich alle Pläne absprechen werde. Wenn auch nur einer gegen diese Vorgehensweise ist, dann werde ich gehen."

Alle stimmten zu – und zu Legolas' Überraschung selbst Amlugûr, der doch nun auf einen Teil seiner Führung verzichten musste.

„Dann sind wir also wieder einundzwanzig", murmelte Gimli.

Die Gruppe löste sich auf und alle gingen wieder ihren Aufgaben nach. Legolas entfernte sich ebenfalls. Er ging zu den Pferden, die ihn wenigstens nicht weiter ansprechen würden. Gedankenverloren streichelte er das Maul des Pferdes Agarmaethors. Er verdankte ihm sein Leben oder zumindest seine Freiheit.

„Du hast mein Pferd geritten, als du den Ork-Elben verfolgt hast!" Legolas wandte sich um. Agarmaethor stand hinter ihm und sah ihn durchdringend, jedoch nicht vorwurfsvoll an.

„Ja. Das habe ich. Ein kluges Tier ist das. Wie lautet sein Name?"

„Meine Pferde tragen keine Namen. Namen führen zu persönlichen Beziehungen. Ein Pferd muss man opfern können, wenn es sein muss. Warum? Warum hast du gerade ihn geritten?"

„Er stand direkt bei mir, als der Ork-Elb mich angriff. Er war es, der mich von der Keule wegzerrte."

„Direkt neben dir stand er?" Es war keine Frage, sondern eher eine gemurmelte Feststellung. Agarmaethor ließ Legolas stehen und ging.


Dunkelheit. Als würden sich zwei Augenlider öffnen, dringt plötzlich Licht ein und ein Bild entsteht. Eine wunderschöne Stadt ist zu sehen. Überall befinden sich Elben und laufen geschäftig umher. Märkte, Werkstätten, schöne Häuser. Auch Zwerge bieten ihre Waren an. Der Blick wandert über die Fassaden der Gebäude und bleibt an einem Palast hängen. Reich geschmückte Fenster und Säulen umgeben die Außenwände und Blumen und Blüten unbekannter Art wachsen in großen Rabatten vor einem prachtvollen Toreingang.


Die Aufregung des Abends hatte sich gelegt. Die Flamme des Feuers wurde gelöscht und alle, denen es vergönnt war, legten sich schlafen. Agarmaethor hatte seine Ankündigung wahr gemacht und sich von der Gruppe entfernt.

Auch Legolas und Gimli lagerten wieder etwas abseits, doch anstatt zu schlafen hielten sie sich gegenseitig wach. Gimli konnte einfach nicht an Schlaf denken. Fast hatte er das Gefühl er müsse platzen, wenn er Legolas nicht von dem großen Kampf berichten könne. Temperamentvoll und ausführlich gestaltete er seine Rede und führte mit seinen Armen fast jeden Schlag noch einmal aus, als durchlebe er die Schlacht von neuem.

„Der hat gekämpft - das war einfach überragend. Agarmaethor hat so unter den Orks gewütet, wie ich es nur bei Boromir und Éomer gesehen habe... na ja... Aragorn kann eben niemand das Wasser reichen. Die Bogenschützen haben ihre Köcher leer geschossen. Das war vielleicht eine Arbeit, die Pfeile wieder einzusammeln! Und nachdem die Gruppe Orks die Linie durchbrochen hatte, wollten es die anderen ihnen gleichtun. Sie hatten inzwischen gemerkt, dass Agarmaethor und ich die Uruk-hai getötet hatten. Es war weniger ein gezielter Durchbruchversuch als eine panische Flucht nach vorne. Sie hatten keine Chance. Ich habe die Toten nicht gezählt, aber viele können es nicht gewesen sein, die überlebt haben. Der Plan von Agarmaethor war einfach brillant. Und er ist aufgegangen!"

„Toll, dass wir so einen großartigen Führer und Antreiber in die Gruppe aufgenommen haben", unterbrach Legolas den Redeschwall seines Freundes mit sarkastischem Tonfall. „Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können." Legolas war allein deshalb noch wach, weil er sich Gedanken um das neue Mitglied der Gruppe machte.

Gimli sah Legolas verständnislos an. „Wenn es dir nicht passt, dann hättest du doch etwas sagen können. Agarmaethor hätte sich dann nicht angeschlossen!"

„Sicher", seufzte Legolas. „Ausgerechnet ich, der die Pferde auf dem Gewissen hat, soll sich dagegen auflehnen, dass das Loch, das der Ork-Elb in unsere Reihen gerissen hat, wieder geschlossen wird."

„Aber was hast du gegen Agarmaethor? Bis jetzt hat er noch nichts getan, was uns irgendwie geschadet hätte – bis auf das elbische Stinkzeug an meinem Bein vielleicht."

„Es ist nicht, was er getan hat, sondern was hinter ihm steckt. Fragst du dich nicht auch, warum er sein Gesicht hinter schwarzer Asche verbirgt? Selbst Amlugûr erkannte ihn zunächst nicht wieder und musste offenbar mühselig von Agarmaethor überzeugt werden. Auch frage ich mich, wie man so hart und unnachgiebig sein kann. Er gibt seinem Pferd nicht einmal einen Namen, damit ER nicht leiden muss, wenn er es opfert. Und was heißt, er reitet immer entgegen der Windrichtung? Außerdem finde ich es sehr seltsam, wie oft er uns doch so zufällig über den Weg läuft. Vielleicht ist er ein Spion gegen unsere Reise und unseren Auftrag? Vielleicht nutzt er die Nächte, in denen er nicht bei uns schläft, zum Weitergeben gewonnener Erkenntnisse?"

„Wenn du das glaubst, dann verfolge ihn doch in der nächsten Nacht - oder vielleicht sogar jetzt. Ich denke, er ist einfach nur ein Einzelgänger und will wenigstens nachts seine Ruhe haben", erwiderte Gimli grummelnd.

Legolas verstand das als echte Aufforderung und erhob sich von seinem Nachtlager, um sich zu den Wachen zu begeben. Als er dort erfuhr, dass Agarmaethors Wache demnächst anstand, bot er sich an, ihn wecken zu gehen. Er ließ sich die Richtung zeigen und näherte sich leise. Agarmaethor hatte sich zusammen mit seinem Pferd hinter dem nächsten Hügel begeben. Er lag in einer kleinen Senke neben einem Strauch. Das Pferd war an den Strauch gebunden und knabberte gierig an dessen Zweigen.

Vorsichtig und lautlos schlich Legolas heran. Das Pferd hatte ihn bereits wahrgenommen und wollte im ersten Moment auf seine Anwesenheit hin reagieren, aber es schien ihn zu erkennen und blieb ruhig. Noch war Agarmaethor vollständig von dem Strauch verdeckt. Legolas schlich herum und warf einen neugierigen Blick. Agarmaethors Gesicht war noch immer geschwärzt und mit Orkblut verklebt, aber die Kapuze seines Mantels hatte sich von seinem Kopf gelöst und langes, schwarzes Haar mit silbernen Strähnen und nach Kriegerart geflochten fiel auf den Boden. Eine sehr seltene Haarfarbmischung, wie Legolas fand.

Agarmaethor lag ruhig atmend und schien die Anwesenheit von Legolas nicht zu bemerken. Trotz der Asche, die seine Gesichtszüge fast vollständig entstellten, glaubte Legolas zu sehen, wie verkrampft diese waren. Tatsächlich zuckte Agarmaethor plötzlich zusammen, so dass sich Legolas entdeckt wähnte, doch Agarmaethor begann plötzlich, sich auf dem Boden hin und her zu wälzen. Er wimmerte nicht und gab auch sonst keinen Laut von sich, aber seine Bewegungen und seine verkrampfte Körperhaltung ließen darauf schließen, dass er unruhige und aufwühlende Träume haben musste.

Legolas war erschüttert. Dieser Elb hatte sich von der Gruppe entfernt, weil er nicht dabei beobachtet werden wollte, wie er unter Alpträumen litt! In diesem Moment tat es ihm richtig leid, dass er Agarmaethor Verrat unterstellt hatte. Wie gelähmt schaute er noch einige Sekunden auf den Schlafenden, der in seiner Situation völlig hilflos erschien. Wie konnte er alleine in der Wildnis überleben, wenn man ihn so überraschen konnte? Oder war er sonst nicht allein?

Als hätte Agarmaethor die andauernden Blicke gespürt war er plötzlich mit einem Satz Agarmaethor auf den Beinen und Legolas fühlte die kalte Klinge eines Dolches auf seiner Brust. Er war regelrecht überrumpelt von der Geschwindigkeit der Reaktion und vor allem davon, dass Agarmaethor offenbar sofort gewusst zu haben schien, wo sich der Störer befand.

„Was willst du hier?", fragte er unfreundlich.

„Ich wollte Euch zu Eurer Wachschicht holen."

„Du hast heute keine Wachschicht. Warum kommst du mich holen und schläfst nicht?", die Fragen kamen einem Verhör gleich und wieder fühlte Legolas, wie Agarmaethors harte Stimme ihn in die Knie zwangen zu antworten.

„Ich konnte noch nicht schlafen und habe mich deshalb angeboten."

„Wenn du nicht schlafen kannst, warum hast du dann nicht die Wache eines Elben übernommen, der gerne geschlafen hätte?" Die Frage schien Legolas berechtigt und wahrscheinlich hätte er genau dies getan, wenn sich die Sache nicht anders verhalten hätte.

„Ach so!" Agarmaethors Augen blitzten ihn böse an. „Du hast mich verfolgt! Warum? Traust du mir nicht?" Der kalte Dolch stach noch immer leicht durch Legolas' Tunika.

Legolas zögerte, fasste jedoch Mut. „Nein. Ich traue dir nicht. Du hast zu viele Geheimnisse. Wie du Amlugûr überzeugen konntest, dass er dich kennt, obwohl er dachte, du seist ein Elbenmörder, kommt mir verdächtig vor. Dass du dein Gesicht schwarz einfärbst, kommt mir verdächtig vor. Man kann an deinen Zügen nicht erkennen, was du denkst, und das macht dich verdächtig." Wie selbstverständlich sprach er Agarmaethor plötzlich mit „du" an und sah ihm direkt und ohne Scheu in die Augen.

Agarmaethor runzelte daraufhin die Stirn und musterte Legolas lange bevor er antwortete: „Du hast Recht. Du weißt gar nichts über mich und ich werde mein Leben auch nicht vor dir ausbreiten. Es ist dein gutes Recht, mir zu misstrauen." Er wandte sich ab und ging zu seinem Wachposten.


Vollständig bepackt eilte Odan durch die dunklen Gänge zum Treffpunkt. Nur der leicht grünliche Schimmer der Seitenwände erleuchtete den Weg. Rufur und Haunar sollten ihn in der großen Vorhalle erwarten, aber gerade, als er um die letzte Ecke biegen wollte, stand plötzlich ein riesiger Schatten vor ihm. Erschrocken hielt er an und hob seinen Blick ein wenig, um in blaugraue, freundliche Augen zu schauen.

„Seid gegrüßt!" Odan verbeugte sich ehrfürchtig.

„Sei auch du gegrüßt! Warum bist du so erschrocken? Du weißt doch, dass ich in diesen Hallen wandele?", kam die freundliche Antwort seines Gegenübers.

Verschämt schaute er zu Boden. „Nun ja. Wandeln..." er lächelte verkrampft und sein Blick wanderte nun vom Boden auf einen Stuhl, der mit großen Rädern ausgestattet war. „Wandeln ist vielleicht das falsche Wort."

„Du hast Mut, mit mir solche Scherze zu machen!", erwiderte der andere. „Das ist der Grund, warum ich dich für diese Aufgabe vorgeschlagen habe."

„Weil ich Scherze mache?", fragte Odan verwirrt.

„Nein... weil du mutig bist, obwohl ich gerade an deinem Verstand zweifele. Aber das wird wohl noch der Schreck gewesen sein." Der grauhaarige, alte Mann lächelte ihn an. „Viele erschrecken sich immer wieder vor mir, obwohl sie mich kennen. Sie sagen, das läge an meinem Schatten. Er wäre immer so groß, obwohl ich an diesen Stuhl hier gebunden bin."

„Woran liegt das?"

„Es ist der Schatten eines aufrechten Mannes und nicht der eines gebrochenen. Ich habe mir diesen Schatten Untertan gemacht – allein durch meinen Willen, denn er soll mir immer vor Augen führen, dass nur mein Körper gebrochen ist, nicht mein Wille und meine Stärke!"

„Das ist gut. Damit macht ihr auch anderen Mut, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Ihr seid nicht ohne Grund ein gutes Vorbild", murmelte Odan.

„Ich sehe... wir verstehen uns und ich habe großes Vertrauen darin, dass du deine Aufgabe gut erfüllst. Deshalb verüble es mir bitte nicht, wenn ich dir für alle Fälle noch etwas mitgebe."

Aufmerksam nickte Odan dem alten Mann zu...


Am nächsten Morgen wollte die Gemeinschaft über ihren weiteren Weg beraten. Alle setzten sich in einen Kreis und schauten erwartungsvoll auf Amlugûr und Agarmaethor.

Amlugûr begann: „Wir stinken und mir wird allmählich übel davon. Ich bewundere alle, die hier ruhig sitzen und Lembas essen können." Er schaute dabei kritisch Galwion und Valarin an. „Agarmaethor, du kennst dich hier gut aus. Wo gibt es hier eine Möglichkeit, die Pferde zu tränken, die Wasservorräte aufzufrischen und uns endlich von dem Geruch zu befreien, ohne dass uns die Orks aufspüren?"

Agarmaethor wog den Kopf hin und her. „Der sandige Boden hier schluckt jeden Tropfen Wasser. ihr seht selbst, wie es dem Regen von heute Nacht ergangen ist. Aber weiter südlich, vor dem Hulsten-Kamm, gibt es mehrere kleinere Quellflüsse, die sich in kleineren Seen und Tümpeln ergießen. Dort sollte es möglich sein zu rasten und sich zu erfrischen. Das Problem wird jedoch der Weg dorthin sein. Die Quellflüsse befinden sich sehr nahe am Nebelgebirge und wir müssen uns statt südlich nun südöstlich bewegen. Das wird dazu führen, dass unsere Spuren die Wege von nördlich kommenden Orkhorden kreuzen. Sie würden die Verfolgung aufnehmen und uns jagen."

„Es ist jetzt Tag und die Orks rasten. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und wie ein Unwetter über die kleineren Horden herfallen", schlug Elladan in orkblutgierigem Tonfall vor.

„Das hält uns nur auf", gab Rhavan zu bedenken. „Wir sind hier nicht auf Orkjagd. Wir wollen nach... in den Süden. Wenn wir ihnen zufällig begegnen, dann würde ich deinem Vorschlag folgen."

„Wir haben den Orks gegenüber einen Vorteil. Wir können leicht für eine gewisse Zeit neben den restlichen Pferden her laufen. Wenn wir den Zwerg an ein Pferd binden fällt er auch nicht herunter, wenn wir Tag und Nacht über die Hügel eilen und die Orks so umgehen", meinte Berion.

„Ich werde an kein Pferd der Welt gebunden!", regte sich Gimli auf. „Eher wachsen mir Elbenohren!"

Agarmaethor hob beruhigend die Hand und Gimli verstummte. Legolas hatte schon seit einer kleinen Weile das Gefühl, als habe Agarmaethor Einfluss auf Gimli wie kein anderer, den er kannte – ihn selbst vielleicht ausgenommen. Er konnte sich jedoch nicht erklären, woher das kam.

„Das ist sehr riskant", wandte Agarmaethor ein. „Wir kennen ihr genaues Ziel nicht. Vielleicht gehen sie gar nicht so weit nach Süden, wie wir es wollen und stoßen dabei in eine große Ansammlung von ihnen. Es wäre schon gut, wenn wir wüssten, was die Orks eigentlich treiben. Nur leider bringt es nichts, Gefangene zu befragen. Sie sterben lieber, als dass sie uns antworten. Einen Unsichtbarkeitsring haben wir leider nicht." Sarkasmus schwang in der Rede Agarmaethors mit.

„Wie willst du es dann herausfinden?", fragte Amlugûr.

Agarmaethor wog seinen Kopf wieder hin und her. Legolas schien es, als sei nicht die Idee das Problem, sondern die Frage, wie man die Gruppe von seinem Vorschlag überzeugen könne.

„Es ist eine Aufgabe für gestandene Männer", sagte Agarmaethor schließlich. „Ich werde sie gar nicht erst in Angriff nehmen, wenn sich nicht wenigstens drei weitere Krieger finden, die bereit sind, das Widerlichste zu tun, was man sich vorstellen kann."

Alle schluckten und fragten sich, was Agarmaethor wohl meinen könnte.

„Wir vier müssen mehr als alles andere nach Orks stinken. Wir müssen jeden Geruch vertreiben, den wir sonst an uns haben. Gibt es denn Freiwillige?"

Elladan, Elrohir und Talfbenn meldeten sich. Legolas dachte auch einen Moment lang darüber nach, aber nachdem es nun bereits drei Freiwillige waren, wollte er sich nicht aufdrängen.

„Nun gut denn. Folgt mir!" Agarmaethor führte die drei zu den Leichnamen der Orks aus dem Kampf am Vorabend. Die übrigen Elben und auch Gimli folgten neugierig, was nun kommen möge.

Agarmaethor näherte sich einem toten Ork und ergriff ein Messer, welches neben diesem lag. Behände öffnete er mit dem Messer dessen Kleidung, soweit sie vorhanden war, und begann sich schließlich an ihm zu reiben. Er versuchte jedes Fleckchen Haut und jeden Fetzen Stoff seines Elbenmantels mit den Ausdünstungen des Orks zu beflecken. Angewidert wichen die anderen Elben zurück, aber die drei Freiwilligen näherten sich vorsichtig. Gimli roch zwar auch den Gestank der Orks, doch ihm wurde wieder einmal bewusst, wie fein der Geruchssinn der Elben sein musste, wenn der Gestank sie so sehr störte.

Agarmaethor forderte Elladan, Elrohir und Talfbenn auf, es ihm gleichzutun. Etwas zögerlich wiederholten sie die Prozedur bei sich selbst. Als sie fertig waren kam Agarmaethor ihnen ganz nahe und schien zu schnuppern.

„Das reicht nicht", sagte er schließlich. Mit dem Messer schlitze er den Ork auf. Geronnenes Blut gluckerte wie ein Brei langsam aus der Schnittwunde. „Hier! Schmiert euch ein! Besser nach Orkblut als nach Elb riechen." Agarmaethor machte es vor. Mit vollen Händen griff er in den toten Körper und holte die breiige Flüssigkeit heraus. Dann verteilte er es auf seinem Mantel, seinen Schuhen und auf Gesicht und Händen. Da sein Gesicht sowieso schwarz war, war äußerlich kaum ein Unterschied zu erkennen, aber der Gestank war bestialisch.

Talfbenn wandte sich kreidebleich ab und begann sich zu übergeben. Gimli klopfte ihm freundschaftlich auf den unteren Rückenbereich, denn weiter reichten seine Arme nicht. „Kopf hoch, Freund! Schlimmer als euer elbisches Stinkzeug auf meinem Bein riecht das doch auch nicht und das hast du doch auch erduldet." Aber er erhielt von Talfbenn nur einen bösen Blick.

Elladan und Elrohir wollten es Agarmaethor gleichtun. Sie näherten sich dem toten Ork, aber Agarmaethor winkte ab. „Wenn wir nicht mindestens vier sind, können wir es auch seinlassen." Legolas quälte sich zu seiner Entscheidung und teilte Agarmaethor mit: „Gut, dann werde ich mitgehen."

Agarmaethor sah ihn nur kurz an. „Nein. Du kommst ganz bestimmt nicht mit." Er erklärte nicht mehr, doch Legolas war zutiefst betroffen.

„Haltst Du mich nicht für Manns genug, die Aufgabe zu übernehmen? Ich werde mich nicht übergeben!", erhob Legolas seine Stimme.

„Manns genug! Solche Worte aus deinem Munde? Wie alt bist du? Siebenhundert oder Achthundert Jahre? Alt genug, sollte man meinen, wichtige Aufträge zu erfüllen. Doch was hast du gestern getan? Gestern nach bist du, obwohl du keine Hintergründe oder Erkenntnisse über Art und Ausmaß einer Gefahr hattest, einem Unbekannten hinterher geeilt und hast die Pferde im Stich gelassen. Du hast nicht gerade Verantwortungsbewusstsein gezeigt. Und da soll ich dich auf so eine gefährliche Mission mitnehmen? Nein."

Damit war für Agarmaethor das letzte Wort gesprochen. Schließlich meldete sich Haldir, dem jedoch deutlich anzumerken war, wie sehr es ihn ekelte.

Agarmaethor schien die Vorbereitungen noch nicht beendet zu haben. Er setzte sich neben den Ork und begann...

Mehr als die Hälfte aller Elben brach jetzt zur Seite aus und übergab sich. Selbst Gimli schaute angeekelt auf Agarmaethor, welcher mit dem Messer den Ork häutete. Er schälte die Haut von den Muskeln und trennte mit einem geschickten Hieb den Schädel von der Wirbelsäule. Schließlich öffnete er die Knochen im Halsbereich des Schädels und kratzte die Hirnmasse heraus. Er machte nicht vor diesem einen Ork Halt. Er häutete mehrere und begann, deren Haut in größere Quadrate zu schneiden. Schließlich wandte er sich zu Legolas.

„Hier! Eine Aufgabe für dich! Nimm die Hautfetzen und binde sie an die Hufe der übrigen Pferde. Wenn sie gehen, hinterlassen sie zum einen weniger tiefe Spuren und zum anderen werden diese weniger nach Pferd riechen."

Legolas nahm die Hautfetzen entgegen. Wütend und verletzt zugleich, dass Agarmaethor ihn vor der gesamten Gruppe derart zurechtgewiesen hatte, blitzten seine Augen diesen an. Manns genug! Glaubte dieser Agarmaethor tatsächlich, dass es etwas besonderes sei, sich bei einer so widerlichen Aktion nicht zu übergeben? Und dann diese aufgedrängte Arbeit, den Pferden die Hufe zu umwickeln! War er ein Stallbursche? Oder sollte das die ihm von Elrond zugedachte Aufgabe sein, die ihn so beschäftigen würde, dass er sich nicht mit Entscheidungen für die Gruppe belasten sollte? Sein Herz hämmerte so heftig, dass er glaubte, alle anderen würden es hören, aber die kümmerten sich gerade um ihren jämmerlichen, körperlichen Zustand. Nur Gimli ging lachend zwischen den Elben auf und ab und machte seine Scherzchen.

„Butterblume, hä? Rosenwasser ist besser. Und deine Füße, mein Freund, riechen abends auch nicht besser. Das habe selbst ich schon spüren müssen. Und du? Die weiße Hautfarbe passt hervorragend zu deinen dunklen Haaren. Jetzt weiß ich, was mit „schönem Volk" gemeint ist. Selbst das Lembas sieht in dieser Form appetitlicher aus als festes Brot, wobei die Hirnmasse des Orks geradezu erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Lembas-Brei hat. Ah! Und du hast wohl außer dem Lembas noch etwas anderes genascht?"

Die Worte Gimlis munterten Legolas ein wenig auf, aber trotzdem bewegte er sich innerlich murrend zu den Pferden. Diese schienen ihm den Orkgeruch, den er durch die Hautfetzen mit sich führte, übel zu nehmen. Gleichzeitig erkannten sie jedoch auch den Elben hinter dem Geruch und waren verwirrt. Einige blieben schließlich stehen, bereit sofort zu flüchten, andere wichen ihm aus und er hatte Schwierigkeiten, ihre Mähnen zu greifen, um sie festzuhalten. Allein das Pferd Agarmaethors rührte sich nicht, als Legolas sich mit der Orkhaut näherte.

„Braves Tier. Du hast einen Namen verdient. Dordo werde ich dich nennen." Er streichelte die Schnauze und begann schließlich mit dem Umwickeln der Hufe. Dabei fiel sein Blick zum ersten Mal auf die Innenseite des linken Hinterbeines des Pferdes. Erschrocken musste Legolas feststellen, dass Dordo dort ein Geschwür hatte. Agarmaethor schien versucht zu haben, es mit einer Kräutertinktur oder etwas ähnlichem zu behandeln, so dass das Geschwür etwas verfärbt war, doch es war eindeutig ein Geschwür.

„Armes Tier", murmelte Legolas und tätschelte es noch einmal. Wahrscheinlich würde es nicht alt werden.

Kindergedichte in Sindarin aufsagend, die die Pferde beruhigten, gelang es Legolas schließlich, alle Tiere mit Haut an den Hufen auszustatten und für die Weiterreise vorzubereiten. Als er zu den anderen Elben zurückgekehrt war, hatten sich deren Mägen allmählich beruhigt. Amlugûr gab Anweisung, mit den Pferden in die von Agarmaethor vorgegebene Richtung zu reiten, während Agarmaethor, Haldir, Elladan und Elrohir sich in Richtung Norden auf den Weg machten. Sie wollten die Gegend erkunden und sicherstellen, ob weitere Orkhorden in den Süden wanderten.

Mit Erstaunen beobachtete Legolas, wie sich Agarmaethor mit den anderen drei Elben abmarschbereit machte. Jeder von ihnen hatte sich statt ihrer Elbenpfeile einen Köcher mit Orkpfeilen verschiedenster Art gegriffen und war fast vollständig in eine Haut von jeweils einem Ork gehüllt. Der ausgehöhlte Schädel hing über ihren eigenen Köpfen und Blut, vermischt mit restlicher Hirnmasse, tropfte ihnen auf die Schultern.

Gimli stellte sich, noch immer lachend, vor Agarmaethor und schaute diesen provokativ an.

„Ich hätte zu gerne auch deinen Mageninhalt kennengelernt!", rief er belustigt aus und wollte Agarmaethor mit seinem Lachen anstecken, doch Agarmaethors Augen blitzen ihn nur kalt an.

Gimli schwieg einen Moment lang überrascht und fuhr dann scheinbar unbekümmert fort: „Du glaubst doch nicht, dass ich einen Elben, der wie ein Ork aussieht und sogar so stinkt noch mit „Sie" anspreche?"

Agarmaethor verzog keine Miene und nickte ihm nur kurz zu. Er ignorierte das fast schon erleichterte Aufatmen des Zwerges und wandte sich vor dem Abschied noch einmal an Legolas.

„Du wirst mein Pferd reiten. Du bist dir dessen wahrscheinlich nicht bewusst, aber du scheinst der einzige außer mir zu sein, den es so sehr in seiner Nähe duldet, dass es dich sogar auf seinen Rücken lässt. Sei vorsichtig mit ihm."

„Es geht ihm nicht gut. Nicht wahr?", fragte Legolas leise.

„Ja", antwortete Agarmaethor und Legolas glaubte eine gewisse Trauer in seiner Stimme zu hören. „Gar nicht gut." Beide schwiegen einen Moment und sahen auf das schöne, braune Tier in der Herde.

„Sag mir, Agarmaethor", Legolas wollte die Gelegenheit nutzen, „ist mein Fehltritt gestern wirklich der Grund, warum ich heute nicht mitkommen darf?" Er fragte ruhig und wollte nicht den Eindruck erwecken, er wäre ein beleidigtes kleines Kind, auch wenn er sich innerlich so fühlte.

Agarmaethor sah ihn einen Moment nachdenklich an. „Das ist auch ein Grund. Nicht der einzige, aber der wichtigste. Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann. Nicht, dass ich Verrat vermute – das wäre wohl Unsinn - aber Zuverlässigkeit ist eine sehr wichtige Angelegenheit in Gefahrensituationen, vor allem, wenn man mit jemandem zusammenarbeiten muss, der auf einen angewiesen sein könnte. Als du dem Ork-Elben hinterher geeilt bist, hast du Degilrim im Stich gelassen. Du wusstest nichts von seinem Tod und so hätte er den acht Orks allein gegenüber gestanden. Du hast etwas Gutes tun wollen, aber du hast nicht nachgedacht. Das ist gefährlich."

Legolas' Augen weiteten sich ein wenig. Jetzt den Ringkrieg als Argument einzuführen wäre wohl mehr als unpassend gewesen.

„Werde ich jetzt immer ausgeschlossen?", frage er leise. „Ich möchte das nicht. Was kann ich tun, damit ich das Vertrauen der Gruppe und... deines erlange?" Legolas war wirklich verunsichert.

Agarmaethor sah ihn nachdenklich an. „Ich weiß es nicht. Es ist schwer zu sagen. Ich kann dich nur warnen. Verrückte, waghalsige Mutproben würden alles nur schlimmer machen.

Die meisten halten dich wegen des Ringkrieges für einen Helden. Held sein ist jedoch kein Dauerzustand. Man ist Held in einer Sache und in der nächsten Angelegenheit haben viele große Erwartungen und glauben, man wäre in der Lage, die neue Situation genau so zu meistern wie die erste."

„Ich verstehe nicht...", fragte Legolas vorsichtig.

Agarmaethor trat ganz nah an ihn heran, so dass Legolas seinen Atem spüren konnte. Eindringlich und fest in die Augen schauend sagte Agarmaethor schließlich:

„Glaubst du von dir selbst, du wärst jetzt ein Held? Oder glaubst du, du müsstest dich immer wieder neu beweisen, damit dein Heldentum nicht mit dem Ringkrieg endet? Das sind Fragen, die du dir nur selber beantworten kannst.

Ich hoffe..., nein..., ich wünsche dir, dass deine Handlungen nicht dadurch motiviert sind, dich selbst beweisen zu wollen. Denn genau das ist es, was zu waghalsigen und undurchdachten Handlungen führt, und es ist sehr egoistisch und auch gar nicht heldenhaft.

Wenn du aber du selbst bleibst, und wirklich das tust, was du für wirklich richtig hältst, dann werden auch die anderen dir wieder vertrauen. Vielleicht ist das das einzige, was ich dir dazu sagen kann."

Legolas fühlte einen kleinen Stich. Er musste über Agarmaethors Worte nachdenken. Zumindest war sein Ärger über dessen Entscheidung verflogen. Agarmaethor lief inzwischen wieder zu den drei anderen Kundschaftern, um sich mit ihnen auf den Weg zu machen.

„Glaubst du, Dordo würde mir erlauben, Gimli mit auf den Rücken zu nehmen?", rief Legolas ihm noch hinterher.

Agarmaethor blieb stehen und starrte Legolas an. „Dordo? Du gibst meinem Pferd einen Namen? Hast du mir nicht zugehört, was ich dir über Pferde und Namen erzählt habe? Vergiss ihn sofort wieder!" Agarmaethors Stimme war wieder hart und unfreundlich. „Und ja, mein Pferd liebt Zwerge mehr als Menschen und Elben!", fügte er noch hinzu und ging.