° Melethil: Naja. Es war ein klitzekleiner Schritt zum Näherkommen. So schnell kann und darf das auch nicht gehen, oder? Sie ist ja schon etwas merkwürdig (kicher). Aber was die Länge des Kaps betrifft... heute kannst du dich nicht beklagen. Es ist das längste bisher überhaupt (lach)

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Lórien

Dunkelheit. Als würden sich zwei Augenlider öffnen, dringt plötzlich Licht ein und ein Bild entsteht. Der Blick fällt auf die Blüten einiger Blumen. Es ist Nacht und die Blumen scheinen im Dunkeln zu glühen. Sanft streicht eine weibliche Hand darüber, pflückt sie jedoch nicht. Der Blick hebt sich und fällt auf ein Vogelnest in einem Baum. Ein winziger Vogel sitzt dort auf einem Ast und zwitschert fröhlich vor sich hin – mitten in der Nacht. Der Blick wandert weiter und schließlich erscheinen die Sterne am Himmel. Lange bleibt der Blick dort hängen.

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Die Gemeinschaft rastete noch bis zum nächsten Morgen am Limklar, doch dann drängte Haldir Amlugûr trotz der Verwundeten zum Aufbruch. Obwohl wegen des vermuteten Orkangriffes auf Lórien bereits Galwion und Valarin vorausgeschickt worden waren um eine Warnung an Celeborn zu überbringen, war Haldir als Hauptmann der Grenzwachen unruhig und warf sich unentwegt selbst Pflichtvernachlässigung vor, weil er nicht gemeinsam mit den beiden aufgebrochen war.

Ihr Weg sollte nordöstlich noch ein Stück durch den Fangorn führen, bevor sie über eine Ebene hinweg Lórien von Süden aus betreten wollten. Gemeinsam eilten sie zwei Tage am Limklar entlang und würden bald die Ebene vor Lórien erreichen. Legolas versuchte sich an Agarmaethor zu halten, um eine sich möglicherweise ergebende Gelegenheit ausnutzen zu können, sie noch einmal auf ihre Vermutungen über die Orks anzusprechen. Gerade, als er einen solchen Moment gekommen sah, hob er zum Sprechen an, doch Agarmaethor deutete ihm wild gestikulierend an, er möge schweigen. Dabei war ihr Gesicht angespannt und sie schien während des Laufens in den Wald hineinzulauschen.

„Wieder...!"

Legolas verstand sofort, worauf sie sich bezog. Das Flattern, welches beide bereits am Teich gehört hatten, erklang auch hier. Agarmaethor ignorierte ihn und winkte Amlugûr, Elladan, Elrohir, Haldir und Gimli zu sich. Amlugûr gab Legolas ein unmissverständliches Zeichen, dass dieser sich zurückzuziehen habe. Beleidigt darüber, erneut aus Beratungen ausgeschlossen zu werden, obwohl selbst Gimli dieses Mal daran teilnahm, entfernte er sich.

„Wo willst du hin? Es geht auch dich etwas an!", rief Agarmaethor ihm hinterher.

„Es geht auch die anderen Elben etwas an und trotzdem fragst du sie nicht!", erwiderte er und steuerte auf Mithlondion zu, der sich am Ende der Reihe befand.

Agarmaethor runzelte unwillig die Stirn. „Willst du dich wie ein beleidigtes Bübchen benehmen?"

Beleidigtes Bübchen? Legolas drehte sich abrupt zu ihr um, legte sofort wieder an Geschwindigkeit zu und erreichte die Gruppe, als diese gerade mit den Beratungen begonnen hatte.

„... Könnt ihr es nicht hören? Sie verfolgen uns schon seit etwa zwei Tagen – seltsamerweise sowohl im Dunkeln, als auch bei Tageslicht. Ich konnte das Geräusch zunächst nicht zuordnen. Es waren weder Orks noch andere Kreaturen, die mir in den Sinn kamen. Aber gestern habe ich sie gesehen. Sie sind immer um uns herum und ich halte das nicht für Zufall."

„Tagsüber und Nachts? Hm... Fledermäuse spionierten schon oft für dunkle Mächte. Doch woher sollten diese jetzt kommen? Sauron ist nicht mehr und auch Dol Guldur ist zerstört. Und Saruman...?", fragte Elladan zweifelnd. „Hat ihn denn noch jemand gesehen, seit er Isengart verließ? Hat er überhaupt noch Macht? Und selbst wenn, warum sollte er uns verfolgen lassen? Also ich sehe keinen Sinn darin, sich jetzt Sorgen darum zu machen."

Agarmaethor sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Elladan geriet in Erklärungsnot.

„Der Weg aus Lórien hinaus dürfte doch für Spione gegen unsere Mission viel interessanter sein, ich meine..."

Elladan spürte einen unsanften und nur bedingt heimlich gelungenen Tritt aus der Richtung Haldirs.

Agarmaethor sah die Gruppe misstrauisch an und blieb stehen. Mit einem Blick auf Legolas, der diesen zum Schweigen veranlassen sollte, fragte sie kalt. „Was für eine Mission? Denkt ihr nicht, ich sollte die Gefahren kennen, in die ihr mich bringt?"

„Es ist nichts! Gar nichts!", beeilte sich Elrohir. „Vater hat uns gebeten, Großmutter aufzusuchen und bereitete uns darauf vor, dass sie eine winzige Aufgabe für uns hat. Wir wissen noch nicht, worum es sich handelt, aber es hat ganz bestimmt nichts mit Mittelerde zu tun."

Wie blöd er sich selber vorkommen musste, sah man seinem Gesicht deutlich an und der nächste Tritt Haldirs blieb auch nicht aus. Eine halbe Lüge ist immer noch eine Lüge, dachte sich Legolas und lachte in sich hinein. Die Panik hinter Elrohirs betont unschuldigem Gesicht war einfach zu komisch, wenn man wusste, dass Agarmaethor sich schon lange dachte, dass noch mehr hinter der Reise steckte als nur ein Besuch.

Agarmaethor sah alle einen Moment nachdenklich an. „Das geht mich alles wohl nichts an, und Lórien ist nah. Es mag sein, dass die Fledermäuse erst dahinter für euch eine Gefahr darstellen, aber ich denke trotzdem, ihr solltet euch bereits jetzt zumindest Gedanken machen, etwas dagegen zu unternehmen. Schließlich liegt die Vermutung doch recht nahe, dass das alles eure WINZIGE Aufgabe, die GAR nichts mit Mittelerde zu tun hat, betrifft."

Ironie, wenn auch nur einen Hauch davon, hatte ihr bisher niemand zugetraut – offenbar nicht einmal Amlugûr, denn selbst dieser sah sie einen Moment lang erstaunt an.

„Wir erreichen bald das Ende des Waldes und kommen auf eine Ebene. Wenn sie uns da folgen, können wir sie mit dem Bogen abschießen. Wir haben dort freies Schussfeld", schlug Haldir schließlich zögerlich vor.

Gimli lehnte sich genüsslich an einen Baum und brummte: „Also ich will euch liebend gerne dabei zusehen, wie ihr sinnlos in die Luft schießt, denn ich glaube, dass nicht einmal ihr Elben in der Lage wärt, alle zu beseitigen.

„Und außerdem könnten sie einen für uns recht unangenehmen Gegenangriff starten!", pflichtete Legolas ihm bei.

„Das sind Fledermäuse, du törichter Prinz! Die werden uns beißen, aber Gegenangriff? Das erfordert taktisches Denken!", fuhr Amlugûr ihn an. „Oder hast du etwa..."

„Er hat aber Recht!", unterbrach ihn Agarmaethor, und Legolas verschränkte die Arme und sah Amlugûr mit einem beinahe selbstgefälligen Lächeln an. „An der Schlacht der fünf Heere waren riesige Schwärme von Fledermäusen beteiligt, die, wie auch immer organisiert, über die Gegner hergefallen sind. Legolas wird das wissen, schließlich war es sein Vater, der dort mit seinem Heer kämpfte. Was schlägst du also vor?", wandte sich Agarmaethor schließlich an Legolas.

Legolas war einen Moment sprachlos. Hatte sie ihn gerade wirklich gefragt?

„Komm! Entscheide!", forderte sie auf.

Jetzt sollte er nicht nur einen Vorschlag machen, sondern auch noch entscheiden. Legolas schluckte vor Überraschung.

„Ich glaube, wir sollten Elladans Vorschlag folgen und die Schwärme bis Lórien ignorieren - aber nicht, weil sie uns bis dahin nicht stören oder gefährden, sondern weil Galadriel möglicherweise ein Mittel hat, welches wir verwenden können. Ich selber kenne keines."

Agarmaethor sah ihn stumm an. Legolas glaubte nicht, dass sie seiner Meinung war, aber vermutlich hatte auch sie keine besseren Vorschläge, deshalb nickte sie nur und ging wieder mit großen Schritten voran.

Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung und erreichte schon bald die Ebene. Alle konnten jetzt die Fledermäuse beobachten. Sie versuchten gar nicht, sich zu verstecken und schienen tatsächlich den Wanderern zu folgen. In mehreren kleineren Schwärmen flatterten sie über der Gemeinschaft her.

„Sie werden es nicht wagen, in Lórien einzudringen", murmelte Haldir. Aber besorgt beobachtete er die Schwärme.

°


Ein mit Wolken verhangener, dämmriger Himmel verdunkelte die Umgebung. Einzelne Regentropfen fielen nieder und benetzten die Gesichter Pallandos und Alatars.

So düster, wie das Wetter war, so düster war auch die Stimmung Alatars. Schweigend lief er immer weiter und weiter und würdigte Pallando keines Blickes.

„Was ist los, mein Freund? Was bedrückt dich?", fragte Pallando schließlich.

„Mich bedrückt die Überzeugung, dass unsere Aufgabe hier nicht erfüllt werden kann", erwiderte Alatar, und es war das erste Wort seit Tagen, welches er sprach.

„Warum denkst du das? Wir sind doch erst vor einigen Monaten hier im Osten angekommen und haben bisher kaum etwas unternommen!" Pallando tippte Alatar freundschaftlich an.

„Es geht auch nicht darum, dass wir bereits etwas hätten unternehmen können. Ich halte es nur für aussichtslos. Seit einer Ewigkeit laufen wir über die Ebenen. Wir waren in so vielen Städten und Dörfern bei den Menschen und überall sehe ich nur eines – Verdorbenheit. Was findest du Gutes hier?"

„Mich wundert, was du sagst", erwiderte Pallando. „Du genießt das Bier und den Wein. Du rauchst Pfeifenkraut und du isst von den größten Leckereien der Köche. Gefällt es dir nicht mehr?"

„Mich wundert dein Humor." Alatars Augen blitzten verletzt auf. „Wein, Pfeifenkraut und gutes Essen gibt es auch im Westen. Aber dort gibt es gute Menschen. Hier denken die Menschen nur an eines... an Geld und Gold, an falsche Versprechungen und Macht. Einige wenige Andersdenkende, die es vereinzelt noch gibt, brechen in den Westen auf, aber alle anderen, die mit ihren Rüstungen klappern und ihre Schwerter schleifen, die wollen nichts Gutes erreichen. Sie töten und rauben, lügen und betrügen und denken nur an den eigenen Vorteil. Glaubst du wirklich, wir werden ihnen mit Ratschlägen beistehen können? Glaubst du wirklich, sie davon überzeugen zu können, Sauron zu widerstehen? Ich glaube nicht daran. Ich wünschte, wir wären im Westen geblieben und hätten dort mit den Menschen zusammengearbeitet – vielleicht gemeinsam mit Aiwendil, Curumo oder Olórin."

Pallando sah Alatar nachdenklich an. „Denkst du nicht, dass du ein wenig hart bist in deinem Urteil? Als wir noch im Westen waren, hast du nie einen Fuß in die großen Städte der Menschen gesetzt und auch unterwegs haben wir nur kleinere Dörfer aufgesucht. Du hast also die meisten Menschen im Westen nie gesehen und weißt nicht, ob sie nicht doch mit denen im Osten vergleichbar sind."

„Sie sind nicht mit den Menschen hier vergleichbar, da bin ich mir sicher. Erinnerst du dich an den Elben in dem Entwald? Er hat die Menschen in Gondor gelobt. Ein Elb, ein Erstgeborener! Ich glaube ihm jedes Wort und bin sicher, dass die Menschen im Westen edel und klug sind, tugendhafter jedenfalls als diese hier." Alatars Stimme verriet einen inneren Schmerz.

„Erinnerst du dich an die Elben im Westen? Oder auch an den Entwald? Alleine er ist es wert, im Westen zu leben. Die grünen Blätter, die singenden Vögel... Hier gibt es nichts. Entweder eine riesige, weite Steppe, oder ein ekelhafter Sumpf, oder dieser Wald hier rechts neben uns. Es ist Frühling und kein Blatt bewegt sich im Wind. Knorrige, gefährlich aussehende Äste wehren uns ab, als wären wir unerwünschte Eindringlinge. Was ist das für ein böser Wald?" Alatar schaute verbittert auf die laublosen Äste, die sich fast geisterhaft nach ihnen auszustrecken schienen um sie davonzujagen.

„Es tut mir leid, dass du so unglücklich bist, doch ich denke, du steigerst dich in etwas hinein. Der Wald braucht sicher im Frühling nur etwas länger als andere Wälder, um seine Blätter treiben zu lassen. Du solltest nicht damit beginnen, überall nur noch das Böse zu vermuten. Das ist ungerecht und macht dich blind für das Gute." Pallando sprach ruhig und eindringlich.

Alatar sah ihn skeptisch an. „Du sagst doch selbst, dass ich damit begonnen habe einen Instinkt für Gefahren zu entwickeln. Weißt du, was mein Instinkt mir sagt? Dass die Gefahr für den Westen immer größer wird, je mehr wir uns dem Osten nähern. Manchmal glaube ich sogar, dass wir den Osten gar nicht weiter erforschen sollten. Ich habe kaum noch Hoffnung."

„Gib nicht auf, Freund. Es soll im Osten noch Zwerge und Elben geben. Vielleicht müssen wir diese auf unsere Seite ziehen."

Resigniert nickte Alatar mit dem Kopf. „Ja. Vielleicht...", murmelte er und verfiel wieder in sein Schweigen.

°


Ganze drei Tage war die Gemeinschaft zu Fuß unterwegs. Agarmaethor wechselte mit niemandem ein Wort und vermied es, auch nur irgendjemandem gegenüber den Eindruck zu erwecken, sie habe Interesse an einem Gespräch. Selbst Amlugûr gelang es nicht, sich mit ihr zu unterhalten. Ständig schien sie zu grübeln und immer wieder beobachtete sie besorgt den Himmel und die Schwärme an Fledermäusen, die sich dort tummelten. Doch niemand in der Gemeinschaft glaubte, dass ihre Schweigsamkeit und ihre Besorgnis bezüglich der Fledermäuse in einem Zusammenhang miteinander standen, denn je mehr sich die Gruppe Lórien näherten, desto unruhiger schien sie zu werden, und dies obwohl immer weniger Fledermäuse in der Luft schwirrten.

Erst als sie am Horizont die Schatten der Bäume Lóriens erblickten, erhob Agarmaethor das Wort und sprach Haldir an.

„Sag, Haldir! Wie ist es in Lórien? Ich habe schon so viel über Galadriel und Celeborn gehört, doch nie hat mein Fuß die Grenzen des Goldenen Waldes übertreten. Stimmt es denn, dass die Herrin des Goldenen Waldes die Gedanken anderer lesen kann? Tut sie das immer und bei jedem?", fragte sie ihn.

Legolas lief hinter Haldir und stutzte etwas wegen ihrer Frage, denn sie klang, als würde sie etwas verbergen und doch in den Goldenen Wald wollen.

„Ja. Sie kann einem in den Kopf schauen und Gedanken lesen, doch nur die Gedanken, die man hat. Sie spricht auch über Gedanken. Schon oft hat sie mich auf diesem Weg kriti... ähm... nun ja. Es ist besser so, als vor der gesamten Grenzwache."

Haldir wandte beschämt seinen Blick von Agarmaethor ab. Diese ignorierte jedoch zu seinem Glück seine letzte Bemerkung.

„Und wie erfolgt dann ein Empfang? Stehen letztlich alle stumm herum?", fragte sie neugierig weiter.

Haldir räusperte sich verlegen. „Weißt du, wir reden nicht gerne darüber, da wir so eine große Hochachtung vor Herrn Celeborn empfinden, aber es ist meist so, dass er während eines Empfangs sehr ausschweifende Reden hält, nur... niemand hört ihm zu. Alle sind mit ihren Gedanken beschäftigt."

„Ärgert das Celeborn denn nicht? Er muss doch bemerken, dass Galadriel ihm die Aufmerksamkeit der Zuhörer nimmt?"

„Nein? Ich habe darüber noch nicht nachgedacht, doch jetzt denke ich, dass er möglicherweise die Reden nur deshalb hält, damit nicht alle stumm herumstehen und ich glaube fast, es macht ihm Spaß, einige Anwesende danach mit Fragen über seine Rede zu quälen, in dem Wissen, dass sie nicht zugehört haben." Haldir grinste. „Ich hatte ihn gar nicht so eingeschätzt, doch du bringst mich jetzt darauf."

Agarmaethor grinste nicht. „Und, wie ist Caras Galadhon? Wie sieht es aus?", fragte sie weiter.

Haldirs Blick wurde verträumt. „Es ist einfach unglaublich schön." Er schwieg einen Moment sinnierend, bevor er schließlich fortfuhr: „Caras Galadhon ist ein wundervolle Stadt. Sie befindet sich auf einer großen, kreisrunden Ebene, die von einem tiefen Graben umrandet ist. Die Stadt ist umgeben von einer grünen Mauer und dahinter wachsen riesige Mallornbäume. Man muss auf einem weißen Pflastersteinweg am Graben entlang gehen um eine weiße Brücke zu erreichen, die einem den Weg über den Graben ermöglicht. Schließlich steht man vor einem großen Tor und dahinter ist die Stadt. Prächtig, wundervoll. So schön, dass ich es nicht in Worte fassen kann."

Er schwieg wieder, starrte weiterhin verträumt in den Himmel und schien seine Ausführungen beendet zu haben, doch Agarmaethor blickte unzufrieden drein.

Legolas, der dies bemerkte, lächelte. „Versuchen kann man es aber einmal. Wenn du es möchtest, erzähle ich dir, wie es war, als ich mit den Gefährten nach Caras Galadhon kam."

Sie nickte.

„Nun, soweit Haldir die Umgebung beschrieben hat, ist alles wahr, aber es ist nicht das, was ich gesehen habe, als ich dort ankam. Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen und ihr Leuchten spiegelte sich auf allen Blättern, Blüten und Gräsern wieder. Es schien fast so, als würde die Natur sich darum bemühen, die letzten Sonnenstrahlen einzufangen, um in der Nacht davon zu zehren. Es war ein Farbenspiel, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Mallornbäume ragten so hoch in den Himmel, dass ich noch heute nicht weiß, wie groß sie sind. Mir schien es, als würden ihre Spitzen den Himmel berühren und die Wolken kitzeln. Es wurde dunkel, als wir die Stadt betraten, aber in den Bäumen war so viel Licht. Es funkelte und blitzte in allen erdenklichen Farben. Manchmal dachte ich, der Sternenhimmel selbst wäre mir so nah. Von überall ertönte ein wundersamer Gesang, mit Liedern, die ich noch nie gehört hatte und obwohl jeder ein anderes Lied sang, war mir, als wäre alles eine große Harmonie."

Legolas' Augen leuchteten vor Vergnügen, als er in den Erinnerungen schwelgte. Er sah Agarmaethor an und stutzte einen Moment. Machte sie sich lustig über ihn? Ihm schien es, als würden ihre Augen ihn amüsiert ansehen. Er lächelte sie an, erfreut darüber, eine positive Regung in ihr hervorgerufen zu haben.

„Wenn man in Lórien ist, ist die Seele in vollkommener Ruhe. Man vergisst die Zeit und viele Schmerzen, die man in sich trägt", sagte Haldir plötzlich.

Legolas beobachtete, wie sich die Augen Agarmaethors veränderten. Sie wurden wieder starr und kalt. Agarmaethor ging zurück an die Spitze des Zuges und ließ beide stehen. Fast hätte Legolas Haldir gegenüber seinen Unmut darüber geäußert, weil dieser Agarmaethor verscheucht hatte, aber das war nicht nötig. Haldir schaute ihr bekümmert hinterher.

„Ich dachte, diese Nachricht würde sie freuen", murmelte er.

Am frühen Nachmittag des vierten Tages erreichten sie die ersten Ausläufer des lórischen Waldes. Riesige grüne Bäume, denen die kühlen Winde der Ebene nichts anhaben konnten, empfingen sie. In ihren Wipfeln war alles voller Leben. Vogelgesang erklang und Eichhörnchen flitzten an den Baumstämmen entlang. Schon in diesem Moment hatten fast alle Elben das Gefühl, sie würden hierher gehören und die Fledermausschwärme waren verschwunden.

„Ich werde euch führen. Dann müssen wir nicht noch einmal rasten, bevor wir Caras Galadhon erreichen", sagte Haldir und schritt nun voraus.

Er führte sie durch ein kurzes Stück des grünen Waldes, bis sie den Celebrant erreichten, welcher hier, kurz vor seiner Mündung in den Anduin, breit, doch dafür nicht allzu tief war. Haldir fand schnell eine passende Stelle, um den Fluss zu überqueren. Hinter dem Strom erhoben sich gigantische Mallornbäume. Durch das frühe Hereinbrechen der Dunkelheit im Winter schien bereits am Nachmittag das Sternenlicht blass auf die Gruppe herab. Die Bäume erhielten dadurch einen seltsam grauen Stamm und ihr Laub einen goldenen und silbernen Schimmer.

Haldir führte sie weiter. „Wir werden beobachtet und erwartet. Deshalb begegnet uns niemand", erklärte er nur sachlich und schritt voraus.

Legolas bemerkte, wie sich Agarmaethors Hände an einem ihrer Kurzschwerter festklammerten und sie unsicher um sich schaute, mit einer Körperhaltung, die sie wie ein sprungbereites Reh aussehen ließ. Und doch schien ihre Neugier sie vorwärts zu treiben. Dies erinnerte ihn daran, wie es dem Ringträger und einigen anderen Gefährten ergangen war, als sie das erste Mal Lórien betraten – auf der Flucht vor den Orks und doch verängstigt von der Umgebung des lórischen Waldes.

Nach einigen Stunden straffer Wanderung erreichte die Gemeinschaft das große Tor in der grünen Mauer um Caras Galadhon. Haldir sprach leise einige Worte, das Tor sprang auf und er geleitete sie durch eine schmale und von hohen Wänden eingeschlossene Gasse direkt in die Stadt hinein. So spät am Abend schienen die Elben Lóriens nicht mehr unterwegs zu sein, doch überall in den Bäumen erklangen Stimmen und Lichter erhellten die Treppen und Pfade. Ihr Weg führte sie einen steilen Hügel hinauf, der mit großen Mallornbäumen bewachsen war. Alles schien dem zu entsprechen, wie Legolas es in seinen eigenen Worten darzustellen versucht hatte. Seine Blicke kreuzten die Agarmaethors, und er verstand, dass sie alles ebenso wahrnahm, wie er es beim ersten Mal getan hatte.

Nachdem sie über verschiedene Wege den Hügel hinaufgestiegen waren, erreichten sie dessen höchsten Punkt. Eine große grüne Grasfläche mit einem Bach im Schatten eines gewaltigen Mallornbaumes lud zum Rasten ein. Die Lichter aus den angrenzend wachsenden Bäumen wurden im silbern glänzenden Stamm des Mallorns reflektiert, so dass dieser die gesamte Umgebung zu beleuchten schien. An seinem Stamm befand sich eine weiße Leiter, die von einigen Wächtern bewacht wurde. Höflich verbeugten sie sich, als Haldir die Gemeinschaft zu dem Mallorn führte.

„Wir müssen jetzt ganz nach oben", erklärte er. „Wer müde wird, kann sich auf einem talan ausruhen - es ist keine Schande, denn nicht jeder ist solch einen Aufstieg gewohnt."

Gimli und Legolas kannten sowohl diesen Satz Haldirs als auch die Leiter. Sie grinsten sich schief an. Der Aufstieg war tatsächlich beschwerlich und mit nichts zu vergleichen, was die Gruppe im Gebirge erlebt hatte. Doch schließlich erreichten sie eine riesige Plattform, einen talan. Vor ihren Augen erhob sich ein reich verzierter, weißer Palast, der einen großen Teil des noch lange nicht enden wollenden Stammes des Mallornbaumes umschloss. Staunend blieben sie vor einer großen, mit Schnitzereien geschmückten Tür stehen.

„Hier wohnen die edle Frau Galadriel und ihr Gemahl Celeborn", erklärte Haldir schlicht. „Meine lórischen Gefährten und ich werden euch nun verlassen. Geht nur durch diese Tür. Ihr erreicht dann einen Empfangsraum und ihr werdet dort erwartet."

Er wandte sich ab und verließ die Gruppe zusammen mit Orodben und Berion. Zögernd blickten die meisten Mitglieder der Gemeinschaft die Tür an.

„Was steht ihr denn hier noch alle so herum?", fragte Elladan nach einer Weile spöttisch. „Euch beißt doch hier niemand! Wir sind doch alle eingeladen worden!" Er öffnete die Tür.

Legolas' Blick fiel auf Agarmaethor, die verträumt mit einem Blatt des Mallornbaumes gespielt zu haben schien und durch Elladans Worte aufgeschreckt und scheinbar verunsichert wurde. Hastig zog sie sich zurück und betrat, eingeklemmt zwischen Talfbenn und Maethrim, den Palast.

Direkt hinter der Eingangstür befand sich ein ovaler Raum, in dessen Mitte der Stamm des Mallornbaumes emporragte. Der Raum war mit einem weichen Licht beleuchtet und ein großer Ast des Baumes hing fast Schatten spendend über mehreren bequemen Sesseln, in denen einige Elben saßen.

An der Rückwand des Raumes standen zwei weitere Sessel. In einem von ihnen saß ein Elb mit silbernen, offenen Haaren. Weisheit und Energie blitzten aus seinen Augen. Seine lange weiße Robe, prunkvoll mit vielen silbernen Fäden bestickt, unterstrich seine herrschaftliche Stellung. Stolz sah er den Ankömmlingen entgegen.

Neben ihm saß eine hoch gewachsene Elbenfrau mit goldenem Haar. Sie trug ebenfalls ein langes weißes Gewand. Ruhig und mit einem freundlichen Blick schaute sie auf die eingetretene Gruppe, die sich schließlich dicht beieinander im Raum zusammendrängte und erwartungsvoll auf die beiden Elben unter dem Ast schaute.

Elrohir zuckte bereits und wollte vortreten, aber da wurde er unterbrochen.

„Mae govannen!", rief Celeborn, der Elb im weißen Gewand, erfreut aus und erhob sich aus seinem Sessel. „Willkommen in Lórien!"

Alle verneigten sich vor Celeborn und Galadriel und murmelten ehrfurchtsvoll einige Grußworte.

„Gimli Glóinssohn! ... Legolas, Thranduils Sohn!", fuhr er fort, „Die Gefährten sind noch immer vereint, wie ich sehe... Ich hoffe, Euer Weg war nicht zu beschwerlich?"

Ein amüsierter und beinahe schon spöttischer Blick traf Gimli, welcher noch immer wegen der vielen Stufen schnaufte. Auch Galadriel erhob sich nun aus ihrem Sessel, grüßte mit einem gewinnenden Lächeln und bewegte sich auf die Gruppe zu. Dabei raffte sie mit ihren Händen das lange Kleid und hob es hoch, so dass alle Anwesenden ein Paar zierliche Kristallschuhe mit schlanken Füßen darin erblicken konnten. Sie näherte sich Gimli, küsste ihn auf die Stirn und sagte:

„Für meinen Helden, der meine Ehre zu verteidigen wusste, obwohl es eigentlich die Aufgabe anderer hätte sein sollen."

Dabei zeigte sie noch einmal demonstrativ ihre Schuhe, lächelte Rochdil und Aneru an und setzte sich wieder in ihren Sessel. Aneru schaute etwas betreten auf die Spitzen seiner Schuhe, Gimli kratzte mit seinem Fuß verlegen auf dem Boden herum - Rochdil aber wurde so rot, dass er schon fast glühte. Schnell zog er sich in die hinterste Reihe der Gruppe zurück.

Celeborn lächelte ihm hinterher, doch plötzlich erstarrte er für einen Moment, bevor er schnellen Schrittes auf Agarmaethor zueilte, sie am Arm fasste und aus der Menge der Gemeinschaft zog, so dass sie plötzlich vollkommen alleine stand und alle sie ansehen konnten. Er verbeugte sich tief vor ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Hand. In einem unbeschreiblich weichen Tonfall, der mit fast jeder Silbe unterstrich, wie positiv angetan er von ihr war, hauchte er:

„Die Herrin Silamîriel° Linnolelei°° von Eregion. Wie schön, Euch wieder zu sehen. Mein Herz war voll Trauer, als ich sah, dass das Reich Eures Vaters vernichtet wurde, und ich glaubte Euch tot. Die Juwelen-Schmieden, der Palast, alles war zerstört und niedergebrannt. Es hieß, die Orks hätten alle getötet oder wären mit Elrond fortgezogen. Doch wie ich sehe, geht es Euch gut und Ihr seid, wenn ich so sagen darf, schöner denn je. Was habt Ihr seitdem gemacht?"

Wurde sie vorher nur von allen angesehen, wurde sie jetzt angestarrt. Auch Legolas glaubte einen Moment lang, ihn habe ein Blitzschlag getroffen, aber er fing sich schnell wieder und bemerkte mit Genugtuung, dass selbst Amlugûr über das Geschehene vollkommen überrascht war.

Agarmaethor blickte wie betäubt auf den direkt vor ihr stehenden Celeborn. Sie wurde kreidebleich und schwankte. Vorsichtshalber hielt Celeborn eine Hand bereit, um sie sicher aufzufangen.

„Was ist mit Euch? Immer noch so schüchtern wie früher? Das müsst Ihr nicht sein!", fragte er besorgt.

„Bedränge sie nicht mit Fragen! Sie muss sich erst einmal ausruhen", erklang die wunderschöne, tiefe, weibliche Stimme Galadriels.

Sie lächelte alle freundlich an. „Wir werden alle gemeinsam ein Nachtmahl zu uns nehmen. Nach dem Essen werden wir alle ein wenig plaudern – nicht war Silamîriel?"

Agarmaethor nickte mechanisch. Eine Elbenfrau erschien aus dem Hintergrund, fasste Agarmaethor am Handgelenk und zog sie sanft mit sich. Beinahe willenlos ließ sie sich führen.

°


Die Elbe führte Agarmaethor durch das große Haus zu einer Treppe und von dort zu einem leeren Gemach. Es war groß und hell erleuchtet. Obwohl sich in dem Raum nur wenige Möbel befanden, schien es Agarmaethor gemütlich, und gerne hätte sie sich in die weichen Kissen des Bettes geworfen, wenn sie nicht zugleich so verwirrt von dem soeben Geschehenen gewesen wäre. Eigentlich war sie nicht nur verwirrt, sondern auch wütend - war wütend darüber, dass sie verwirrt war und sich in einer Lage befand, aus der sie noch keinen Ausweg wusste.

„Möchtet Ihr ein Bad nehmen, Herrin Silamîriel?", fragte die Elbenfrau. Agarmaethor schrak zusammen. Sie konnte mit dem Namen, den ihr Celeborn gegeben hatte, nichts anfangen.

„Ich bin da, um Euch zu helfen", flötete die Elbenfrau weiter. „Ich helfe Euch aus der Kleidung, wasche Euch und helfe Euch wieder in die Kleidung. Wenn Ihr baden wollt, dann wartet bitte einen Moment. Ich muss noch etwas holen."

Sie verließ das Gemach und ließ Agarmaethor zurück. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, setzte sich Agarmaethor auf die Bettkante und bedeckte mit den Händen ihre Augen, als würde dies helfen, alles Geschehene ungeschehen oder zumindest ungesehen zu machen.

„Warum dieser Name?", flüsterte sie zu sich selbst. „Näher an 'Silmaril' konnte der Name kaum sein. Und dies als Tochter Celebrimbors, des Schmiedes der Ringe der Macht und dem Enkel Fëanors, dem Erschaffer der Silmarilli."

Wie war das mit den Silmarilli? Drei große Kristalle mit dem Licht der Bäume von Valinor und von Varda geweiht, so dass jeder sich die Hand daran verbrannte, der zu unrein war, sie zu berühren? Von Varda geweiht war sie mit Sicherheit nicht. Und verbrannte Hände? War es nicht so, dass die Silmarilli für Hochmut, Eitelkeit und Gier standen? Und was sagte Baumbart? Er erinnere sich nur an schlechte Dinge?

Eine Träne lief ihr aus den Augen – die erste seit acht Monaten und die zweite seit mehreren Jahrtausenden. Erschrocken wischte sie die Träne weg. Dies durfte nicht zur Gewohnheit werden!

Die Elbenfrau erschien wieder in Agarmaethors Gemach. Mit fröhlichem Lächeln öffnete sie eine Tür zu einem kleinen Nebenraum. Duftender Wasserdampf füllte das Schlafzimmer und lenkte Agarmaethor von ihren trüben Gedanken ab. Die Elbenfrau trat zu ihr und schob sie sanft, aber energisch, von der Bettkante in den Baderaum hinein, um ihr dort beim Entkleiden zu helfen.

„Ich kann das allein", fauchte Agarmaethor hart und schob die Elbenfrau grob von sich.

Unbekümmert wandte sich die Elbenfrau dem Bad zu und fügte weitere Kräuter und duftende Öle in das heiße Wasser. Zögernd löste Agarmaethor das Wolfsfell und den Waffengurt, öffnete die Rüstungsverschlüsse und hob die Rüstung über ihren Kopf. Die Tunika, die Beinkleider und die Unterwäsche folgten.

So vollkommen nackt und ohne Waffen in den ihr fremden Gemächern mit einem ihr fremden Namen fühlte sie sich mit einem Mal hilflos. Angst kroch plötzlich in ihr hoch, eine Angst, die sie noch nie in ihrem Leben verspürt hatte. Sie war einst ein Krieger gewesen und hatte als solcher viel erlebt, vielen Gefahren gegenübergestanden und dabei durchaus Angst gehabt, aber diese Angst war ihr vollkommen neu. Es war die Angst vor völliger Ausweglosigkeit und Verlorenheit. Fast panisch beugte sie sich wieder zu ihrer Kleidung hinunter und wollte sie ergreifen, doch die Hände der Elbenfrau schoben sie zu dem großen Bottich mit warmem Wasser und halfen ihr hinein.

Agarmaethor atmete den Duft der Kräuter tief ein und sogleich verspürte sie eine vollkommene Sorglosigkeit, so, als wäre soeben eine schwere Last von ihren Schultern genommen worden. Es war nicht real. Tief in ihrem Inneren lauerten noch immer ihre Ängste, doch die Dämpfe schienen diese zumindest für einen Moment zu verjagen und Agarmaethor fühlte sich unendlich wohl.

„Danke!", hauchte sie nach einer Weile und glaubte zu spüren, dass ihre Worte von ihrer Wohltäterin vernommen wurden. Galadriel hatte mit Sicherheit genau diese Kräuter für ihr Bad bestimmt.

Das Wasser kühlte ab und nur unwillig verließ Agarmaethor das entspannende Bad. Kaum hatten ihre Füße den kalten Boden berührt, wurde sie wieder mit der Realität konfrontiert. Ihre Kleidung war verschwunden. Wütend blitzten ihre Augen die Elbenfrau an, die ihr ein Handtuch reichte.

„Sie sind bei der Reinigung", erklärte diese schlicht. „Der Herr hat angeordnet, dass ich Euch ein Kleid übergeben soll."

„Ich trage kein Kleid! Du beschaffst mir meine eigene Kleidung sofort wieder!"

Agarmaethors Stimme erklang wieder kraftvoll und selbstbewusst, doch die Elbenfrau zuckte nur hilflos mit den Schultern.

„Der Herr hat es so angeordnet."

„So? Der Herr? Er will wohl, dass ich nackt zum Abendessen erscheine?" Agarmaethor näherte sich drohend der Elbe. Selbst ihre Waffen waren verschwunden und so drückte sie die Elbenfrau mit der Hand an die Wand und griff ihr grob an den Hals.

„Meine Sachen! Her damit!", fauchte sie erbarmungslos.

Einen Moment lang schien die Elbenfrau tatsächlich verängstigt, fing sich aber recht schnell wieder.

„Es tut mir leid. Wirklich!", flüsterte sie. Lauter gelang es ihr nicht zu sprechen, denn Agarmaethors Hand würgte sie bereits an der Kehle, doch in dem Moment ließ sie los und die Elbenfrau rutschte kraftlos an der Wand auf den Boden hinunter.

„Gib mir das Kleid!", seufzte Agarmaethor.

Sie hasste sich in diesem Moment selbst. Es war eine so ungerechte Situation. Ihre Sachen waren verschwunden und sie wurde genötigt, ein Kleid anzuziehen. Statt sich einfach zu verweigern, tat sie der Elbenfrau Gewalt an! Gewalt war schon so oft die Lösung für viele Probleme gewesen, aber da war sie auch noch ein Krieger. Gewalt war damals Lebensinhalt! Und jetzt? Jetzt versuchte sie sich daran zu klammern, was einmal war, damit es ihr nicht noch einmal verloren ging, versuchte das aufrecht zu erhalten, was sie noch bis vor acht Monaten verkörpert hatte, doch es funktionierte nicht richtig. Wie sollte es auch?

Die Elbenfrau erhob sich wieder und öffnete einen großen Schrank. Daraus entnahm sie ein silberfarbenes Kleid mit schwarzen Schnüren und schwarzer Bestickung.

„Ist es nicht wunderschön?", fragte die Elbenfrau, als wäre nichts vorgefallen. „Es wird Euch gut stehen. Es ist genau wie Euer Haar."

Agarmaethor stöhnte kurz auf, ließ sich dann aber von der Elbenfrau helfen. Sie hasste dieses Kleid vom ersten Moment an - nicht nur, dass es unbequem war, es war auch noch unbequem und zudem gehörten auch ein Paar unbequeme Schühchen dazu. Kaum war sie fertig, da klopfte es an der Tür.

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„Herein!", rief Legolas.

Angespannt saß er auf seinem Bett und schaute aus dem Fenster. Wie Agarmaethor wurde auch ihm ein eigenes Gemach in dem großen weißen Palast zugewiesen. Gimli hatte es bevorzugt, den Pavillon zu bewohnen, welcher einst für die Mitglieder der Ring-Gemeinschaft gebaut wurde. So war Legolas allein für sich und konnte den Gedanken nachhängen, denen er eigentlich gar nicht nachhängen wollte.

Auf sein 'Herein' öffnete sich die Tür und eine Elbenfrau erschien mit Tüchern, Laken und allerlei anderen Dingen im Arm.

„Die Herrin hat mich gebeten, das Gemach so vorzubereiten, dass es Euch gerecht wird, mein Herr", flüsterte die Elbenfrau verlegen. Das Gemach war bereits in tadellosem Zustand und Legolas konnte sich nicht von dem Gedanken befreien, dass die Elbenfrau wohl aus einem anderen Grund hier war.

Noch während diese das Bett frisch bezog fühlte er sich von ihren Blicken verfolgt und flüchtete aus seinem Gemach auf den gewaltigen talan vor dem Palast. Schon bei seinem letzten Besuch in Lórien hatte er entdeckt, welch schönen Blick man von dort aus auf die Stadt und auf die Sterne genießen konnte. Er legte sich auf die Holzplanken der Plattform und starrte nachdenklich in den Himmel.

'Viele Gedanken machst du dir, Legolas, Thranduils Sohn.'

Er setzte sich erschrocken auf und erblickte Galadriel, die wie er in den Sternenhimmel schaute. Sie hatte kein Wort gesprochen, doch er spürte sie in seinen Gedanken. Höflich wollte er sich erheben, doch sie winkte ihm, sitzen zu bleiben.

'Viele Gedanken, viel mehr noch, als vor einigen Monaten, als du als Gefährte des Ringträgers hier weiltest. Ja, die Welt verändert sich und du suchst einen Platz darin. Du glaubtest, dein Weg wäre zu Ende, deine Ziele erreicht, als du vor den Schwarzen Toren Mordors die Orks fliehen sahst, doch dann breitete sich eine Leere in dir aus, die bisher allein deine Freundschaft zu Gimli füllen konnte und nun bist du hier – ein Gefährte einer anderen Gemeinschaft, die erneut eine Aufgabe für Mittelerde zu bewältigen hat.'

Galadriel lächelte Legolas sanft an.

„Herrin!", flüsterte er. „Ich trage Zweifel in mir, ob ich in diese Gemeinschaft gehöre. Allein wegen Gimli wollte ich meinen Beitrag leisten, doch nun fühle ich, dass weder er noch ich wirklich erwünscht sind. Und außerdem..."

'Und außerdem zweifelst du, ob dieser Weg überhaupt in die richtige Richtung führt, denn du fühlst dich dazu bereit, mit deinen eigenen Händen etwas Großes zu schaffen, etwas, das deiner Abstammung gerecht wird. In Ithilien hörtest du die Möwen schreien. Es zieht dich fort. und bisher ahnst du nur, welcher Art deine Sehnsüchte sind.'

„Ja", hauchte Legolas. „Herrin, sagt mir, warum wende ich mich nicht ab und gehe dorthin, wohin es mich zieht. Gimli würde mir mit Sicherheit folgen, wenn ich ihn ernstlich darum bitte."

'Du fragst nicht nach Gründen, warum du bleiben solltest, sondern nach Gründen, warum du nicht einfach gehst? Du fragst, als wäre es nicht letztlich das selbe und du fragst, als wäre dir die Antwort darauf unbekannt, dabei begleitet sie dich bereits dein ganzes Leben lang!'

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Galadriels Gesicht. Langsam ging sie auf ihn zu, hockte sich neben ihn und ließ einen Finger sacht über seine Stirn und seine Wange gleiten. Legolas schloss die Augen und genoss die Berührung.

'Als du geboren wurdest, hieß der ehemals so schöne 'Große Grünwald' seit mehr als einem Jahrtausend nur noch der 'Düsterwald'. Dein Vater kämpfte gegen Riesenspinnen, Orks und andere dunkle Kreaturen, verteidigte seine Grenzen erbittert und er gab nie auf. Er hoffte immer darauf, dass es wieder so wäre, wie es einst war und seine Hoffnung schlug sich in dir nieder.

Dein Name hat Bedeutung, ist schicksalhaft und war vor allem immer auch eine Bürde. 'Legolas' - Grünblatt – du warst das Symbol für seine Hoffnung, alles, was er so liebte, zurückzuholen. Der Wald sollte wieder so grünen, wie er es einst tat. Und als Dol Guldur zerschlagen wurde, war es nicht allein Anliegen Celeborns, den Düsterwald wieder umzubenennen. Dein Vater wollte dich damit ehren, der du mit der Ringgemeinschaft die Grundlage dafür geschaffen hast, seinen Traum zu erfüllen. Und so wurde der Düsterwald zum Eryn Lasgalen – dem 'Wald der grünen Blätter'.

Jeder Elb in Mittelerde kann über sein eigenes Leben entscheiden, solange er bereit ist, für den Rest seiner Existenz mit den Konsequenzen zu leben. Auch du kannst das. Doch manchmal sind es die eigenen Eltern, die hoffen und wünschen, dass ihre Kinder ihre Träume erfüllen, und so schreiben sie ihnen allein durch den Namen einen Lebensweg vor, der fast einem aufgezwungenen Schicksal gleicht.

Und so ziehst du mit der neuen Gemeinschaft, weil der 'Wald der grünen Blätter' nicht erneut zum 'Düsterwald' werden darf.'

„Warum erzählt Ihr mir die Geschichte, wenn Ihr doch wisst, dass ich sie kenne?", fragte Legolas leise und noch immer mit geschlossenen Augen.

'Dein Stolz und dein Selbstbewusstsein haben ein wenig gelitten auf der Reise hierher. Sie wurden durch andauernde Zweifel und Kritik anderer ein wenig... misshandelt, nicht wahr?'

Ein Schmunzeln glitt wieder über ihr Gesicht.

'Ich hege keinen Zweifel an dir und dem, was du tust. Ich habe vollstes Vertrauen und achte dich sehr!'

Legolas öffnete die Augen und sah sie erstaunt an. Innerlich fühlte er sich gestrafft und gestärkt durch diese wohltuenden Worte Galadriels.

'Du trägst die Bürde deines Namens mit Würde, hast es immer getan und bist bereit dazu, es auch weiterhin zu tun. Trotz der Schmach, der Kritik und der Zweifel, die du von anderen erfahren hast, bist du bereit, als Teil einer Gemeinschaft deinen Weg zu gehen und beharrst doch gleichzeitig darauf, dich nicht dem Willen anderer vollständig unterzuordnen. Du willst deinem eigenen Gefühl folgen können, welches dir schon oft den richtigen Weg gewiesen hat und ich achte dich für deine Konsequenz, selbst wenn du dich dafür der Gruppe entgegenstellen musst.

Bleib dabei! Folge deinen Gefühlen. Du wirst die richtigen Entscheidungen treffen, so wie es bisher auch immer der Fall war. Schlag dir aus dem Kopf, es anderen Recht machen zu wollen. Das würde dir nicht gelingen. Euer Auftrag ist schon schwer genug, als dass du noch zusätzlich sinnlos versuchen müsstest dich zu ändern. Du wirst sehen... viele Streitigkeiten erledigen sich von selbst. Hab nur Vertrauen in dich!'

Wieder strich der Finger über Legolas' Stirn und Wange. Legolas fühlte sich sehr viel besser als noch Minuten zuvor. Galadriel stärkte ihn, gab ihm Zuversicht...

„Schon als die Ring-Gemeinschaft vor einigen Monaten Imladris verließ, fragte ich mich, warum es gerade diese Mitglieder waren, aus denen sie bestand, warum nicht der weise, starke und erfahrene Elrond mit uns kam oder auch Celeborn, der berühmte Kriegsherr. Damals erklärte ich es mir damit, dass sie anderweitige Verpflichtungen hatten... Dol Guldur beispielsweise... oder die Verteidigung und der Schutz der Ringe.

Doch nun frage ich mich, was dem entgegensteht, dass nicht Celeborn uns begleitet, wenn sogar seine eigenen Enkel Teil der Gemeinschaft sind? Der Auftrag wird doch sicherlich nicht kampflos gelöst werden können. Wäre es denn nicht gut, wenn jemand anderes als... als... Amlugûr uns führt? Zum Beispiel Celeborn?"

Galadriel erhob sich wieder und schaute in die Sterne, wie sie es tat, als das Gespräch begonnen hatte.

'Eure Gemeinschaft besteht aus denen, die sich in Imladris freiwillig meldeten. Freiwillige sind immer besser für die Erfüllung eines Auftrages, vor allem, wenn er Gefahren in sich birgt. Dass es so viele sind, überraschte mich, es schadet jedoch auch nicht. Ihr werdet nicht im Verborgenen reisen müssen, wie es einst bei den Halblingen Frodo und Sam der Fall war.

Aber was Celeborn betrifft... Ich würde ihn nicht halten, wenn er mit euch kommen wollte, doch es ist auch nicht erforderlich, dass er mit euch reist. Es werden nicht die Schlachten sein, die die Gefahr für Mittelerde abwenden. Es wird der freie Wille sein. Der Gleiche, der Mittelerde in Gefahr bringt.'

Sie lächelte ihn wieder an, wandte sich dann ab und verschwand im Haus. Legolas setzte sich auf und schaute ihr nachdenklich hinterher. Ihr letzter Satz schien ihm der Bedeutungsvollste des gesamten Gespräches gewesen zu sein. Freier Wille... Noch immer nachdenklich kletterte er die Leiter des Mallornbaumes hinab zu Gimlis Pavillon und klopfte an.

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„Herein!", flüsterte Agarmaethor matt. Die Tür öffnete sich und Celeborn trat ein. Er lächelte sie freundlich an.

„Ich möchte nicht stören, Herrin Silamîriel Linnolelei, aber möchtet Ihr mit mir einen kleinen Spaziergang machen?"

Selbst wenn sie nicht gewollt hätte, sie hätte es nicht gewagt, diese Frage zu verneinen. Vorsichtig und sich in ihren Schuhen unsicher bewegend, erhob sie sich aus dem Sessel. Celeborn reichte ihr seinen Arm, in welchen sie sich einhaken sollte.

„Verzeiht mir, aber ich würde es bevorzugen, nicht gestützt zu werden, als sei ich eine alte Menschenfrau", sagte sie vorsichtig und fast ehrfürchtig. „Und bitte nennt mich nicht Herrin! Das bin ich nicht."

Celeborn lachte sie belustigt an und zog seinen Arm zurück.

„Ich nenne Euch Herrin, weil Ihr eine seid. Ich hatte schon immer großen Respekt vor Euch und und dem, was Ihr früher geschaffen habt. Dies hat sich nicht dadurch geändert, dass Ihr 5000 Jahre lang verschollen wart."

Galant hielt er ihr die Tür auf, führte sie einen langen Gang entlang, einige Treppen nach oben und trat mit ihr durch eine unscheinbare Holztür. Dahinter eröffnete sich ihnen ein kleiner Garten mit einem winzigen Brunnen in seiner Mitte. Er erstrahlte in einem magischen, blauen Licht, welches jedoch allein seiner eigenen Pracht diente. Um den Brunnen herum verblieb alles dunklen und nächtlichen Schatten, so dass sein Licht nicht den Anblick der silbern und golden glühenden Blumen beeinträchtigte, die ein dunkles Holzgeländer zierten. Auf dem Boden waren große, mit Erde gefüllte Kästen angebracht, in welchen Pflanzen und Blüten wuchsen, die Agarmaethor noch nie in Mittelerde gesehen zu haben glaubte.

Mit angehaltenem Atem stand sie da und ließ die Pracht des Gartens auf sich wirken. Celeborn setzte sich auf eine kleine Holzbank und beobachtete sie lächelnd.

„Wie wunderschön!", hauchte Agarmaethor. „Ich habe davon geträumt!"

„Ja. Und es ist wohl auch Euer Werk", sagte Celeborn weiterhin lächelnd.

„Wie bitte?" Agarmaethor wandte sich erstaunt um. „Ich verstehe nicht."

„Ihr versteht nicht?"

Celeborn erhob sich und griff mit der Hand nach einer der glühenden Blüten. Er legte sie Agarmaethor in die Hand und sie spürte, dass die Blüten nicht nur silbern oder golden glühten, sie waren aus Silber und Gold. Etwas Magisches schien in ihnen zu stecken.

„Einst standen diese Blüten, zusammen mit vielen anderen wunderbaren Dingen, im Garten des Palastes Eures Vaters. Celebrimbor und die Juwelenschmiede Eregions waren große Künstler und Handwerker. Er aber sagte immer, Ihr wärt es gewesen, die ihn und alle anderen Schmiede mit Eurem Gesang und Eurer Schönheit inspiriert habe. Ohne Euch wären die Kunstwerke nur alle halb so beeindruckend. Doch Ihr wart auch seine Tochter und Schülerin. Ihr habt sehr viel von ihm gelernt und was ich so hörte, ist vieles aus diesem Garten aus Eurer Hand. Ihr habt immer ein Auge für die kleinen und hübschen Dinge gehabt und damals hieß es, Ihr hättet Euch viel mit Imitationen und kreativen Veränderungen von Geschöpfen und Gegenständen der Natur beschäftigt – zwitschernde, künstliche Vögel, leuchtende Blumen, der eigenen Herstellung von glitzernden Steinen und vieles mehr. Nach dem Überfall Saurons auf Eregion verblieb von all den Kunstwerken nicht mehr viel - alles, was ich finden konnte und noch nicht zerstört war, sammelte ich zusammen und ließ diesen wundervollen Garten daraus errichten."

Agarmaethor wagte es nicht, eine weitere Blüte zu berühren. „Garten meines Vaters...", flüsterte sie.

„Ja. Galadriel hat mir gesagt, dass Ihr euch an nichts erinnert. Ich hatte gehofft, dass diese Blüten Euch helfen würden, aber dem scheint nicht so zu sein."

Agarmaethor schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich habe das Gefühl, als wären die Erinnerungen nicht einfach nur in meinem Kopf vergraben. Ich habe das Gefühl, sie sind gelöscht – unwiederbringlich."

Celeborn schüttelte bedauernd den Kopf und erhob sich, bereit zu gehen. Er öffnete die Tür und hielt sie Agarmaethor auf, doch diese zögerte.

„Vielleicht könntet Ihr mir etwas über mich erzählen. Ihr... Ihr scheint mich zu kennen... und vielleicht hilft es mir..., hilft es mir wieder ein Ich zu finden", flüsterte sie noch immer.

Celeborn schloss die Tür und sah sie nachdenklich an.

„Ich kannte Euch, aber ich kannte Euch nicht gut. Die Seelen aller, die Euch nahe standen, warten nun in Mandos' Hallen. Ich hatte kaum Umgang mit Euch und Eurem Vater. Um ehrlich zu sein...", er lächelte mild, „Celebrimbor und ich haben uns nicht besonders gut verstanden. Wir waren oft unterschiedlicher Meinung."

Er setzte sich wieder auf die Holzbank. „Was interessiert Euch denn am meisten?"

Eigentlich interessierte sie alles, doch sie war sich sicher, dass er die Frage, die sie beinahe erstickend quälte, nicht beantworten konnte. Warum sonst war er so überrascht über ihre Anwesenheit?

„Warum Silamîriel? Warum dieser Name? Mit dieser Herkunft?"

Celeborn sah sie nachdenklich an. „Ich würde meiner Tochter nie einen solchen Namen geben, aber ich bin auch nicht Celebrimbor, dessen wesentliche Eigenschaft darin bestand, vom Ehrgeiz zerfressen zu sein", sagte er. „Ich glaube nicht, dass ich Euch damit zu nahe trete, wenn ich mich derart äußere. Sein größter Wunsch war es immer, die gleichen Fähigkeiten zu haben, wie sein Großvater Fëanor, welcher ohne Übertreibung der größte Juwelenschmied aller Zeiten war. Vielleicht wollte er mit diesem Namen Euren Weg lenken und Eure Zukunft vorherbestimmen. Damals hieß es, er habe Euch gehütet, wie seinen eigenen Augapfel, eifersüchtig und gierig - fast weggeschlossen soll er Euch haben. Das war eigentlich nicht nötig, denn noch nie traf ich auf eine Elbenfrau, die derart schüchtern war, wie Ihr damals. Nie hättet Ihr es gewagt, mit einer fremden oder von Eurem Vater unerwünschten Person Kontakt aufzunehmen.

Trotzdem ließ er Euch nicht viele Freiheiten. Niemand durfte sich ohne sein Einverständnis nähern Vielleicht war der Name auch eine Drohung an alle - jeder würde sich die Finger verbrennen, der Euch begehrt und nicht gut genug war. Aber wer war schon gut genug für einen Vater wie ihn?"

Er lächelte und dachte an seine eigene Tochter. Agarmaethor trat zu ihm und lauschte gebannt, wie er ihr aus einer Zeit berichtete, die so weit zurücklag, dass ihr alles wie ein Märchen erschien. Sie wurde nicht müde, ihm zuzuhören und war enttäuscht, als er sie daran erinnerte, dass das gemeinsame Nachtmahl noch auf sie warte.

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„Kommst du jetzt mit zum Essen oder brauchst du noch lange, um die Stelle zu kaschieren, an der Galadriels Kuss ihre Spuren hinterlassen hat?", fragte Legolas.

Schon geraume Zeit wartete er im Pavillon darauf, gemeinsam mit seinem Freund den Aufstieg zum Palast auf dem höchsten talan antreten zu können, doch Gimli beschäftige sich im Bad. Nur ein 'Neidisch!' erklang aus dem Nebenraum und entlockte Legolas ein kleines Lächeln.

Frisch Gewaschen, gekämmt und mit sauber geflochtenen Bart erschien er schließlich und trieb Legolas zur Eile an, weil er endlich etwas in seinen leeren Magen bekommen wollte. Gemeinsam kletterten sie über die Leiter wieder auf die oberste Plattform, betraten den weißen Palast und folgten den Handzeichen einiger lórischer Wächter bis hin zu einer großen Flügeltür.

Dahinter befand sich ein Saal mit Tischen in Form eines Hufeisens. Die Rundung des Hufeisens schien für Celeborn und Galadriel vorgesehen zu sein, denn diese Plätze wurden von einigen Elben, die sich eifrig mit der Tischdekoration beschäftigten, blockiert. Legolas und Gimli wurden auf zwei direkt angrenzende Plätze verwiesen und erwarteten dort den Beginn des Nachtmahls.

„Wie verfressen müssen wir eigentlich aussehen", murmelte Gimli Legolas zu, der etwas betreten mit einem leeren Glas spielte. „Die Dekoration ist noch nicht einmal fertig."

Hungrig beobachtete Gimli die weiteren Vorbereitungen, bis nach und nach weitere Gäste eintrafen. Auch Haldir war darunter und setzte sich neben Gimli.

„Es hat keinen Orkangriff gegeben. Nachdem unsere zwei Boten Lórien erreichten, entsandte der Herr einige Späher. Sie fanden viele Spuren, aber die Orks selbst waren verschwunden", berichtete er.

„Wie kann das sein?", fragte Gimli. „Irgendeinen Plan hat es doch gegeben. Wir haben doch selbst dieses Leder gesehen?"

Haldir zuckte mit den Schultern. „Vielleicht haben sich die Orkhäuptlinge gegenseitig umgebracht und die Orks waren führerlos an einem Angriff nicht mehr interessiert? Oder es gibt eine uns unbekannte Begründung? Schließlich war doch auf dem Leder auch diese dicke rote Linie östlich des Nebelgebirges."

Sie setzten ihre Unterhaltung nicht weiter fort, denn alle in dem inzwischen gut gefüllten Raum schwiegen mit einem mal und schauten Galadriel entgegen, die allein und höflich lächelnd durch die Tür schritt und sich zu ihrem Platz begab.

Ein leises Raunen ging durch den Raum und auch Haldir flüsterte erstaunt: „Das habe ich noch nie erlebt, dass die Herrin ohne ihren Gemahl zu einer solchen Festlichkeit erscheint! Normalerweise warten sie aufeinander."

Kurze Zeit später öffnete sie die Flügeltür ein weiteres Mal. Celeborn und Agarmaethor traten ein. Das soeben noch hintergründige Gemurmel der Gäste verstummte und alle blickten gebannt auf Agarmaethor, die unbeholfen in Kleid und Schuhen zu ihrem Platz tippelte. Celeborn schritt langsam genug neben ihr her, um sie nicht allein den Blicken der Gäste auszusetzen und sie damit zu demütigen.

Mit stolzer Körperhaltung – anders konnte man sich in den Schuhen auch nicht bewegen – und gesenktem Blick erreichte sie ihren Platz und setzte sich. Es half ihr nicht, dass Galadriel sie ermutigend ansah. Inständig hoffte sie auf die Tischrede eines profilierungssüchtigen lórischen Elben, der damit die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

Als habe Celeborn ihre Gedanken gelesen, erhob und räusperte er sich. Augenblicklich galt die gesamte Aufmerksamkeit im Raum ihm und Agarmaethor atmete auf.

„Mae govannen! Ich möchte nochmals alle herzlich willkommen heißen..."

Hatte Agarmaethor gehofft, jemand würde eine Rede halten, hoffte sie nun, dass diese bald ende. Bis auf Worte wie 'Dol Guldur', 'Ringkrieg', 'Zwerge', 'Dol Guldur', 'Dol Guldur' und noch einmal 'Dol Guldur' nahm sie nichts von dem auf, was die plaudernde Stimme Celeborns an sicherlich sehr nützlichen Informationen verbreitete. Und dabei bedurfte es nicht einmal Galadriels in ihrem Kopf, um der Rede nicht folgen zu können.

Um nicht einzuschlafen, beobachtete sie die anderen Gäste. Gimli hörte Celeborn mit leuchtenden Augen zu. Ihn schien die Rede ungemein zu interessieren und Agarmaethor nahm sich vor, auf Gimli zurückzugreifen, sollte sie jemand nach dem Inhalt der Rede fragen. Die meisten anderen stocherten mit ihren Gabeln im Essen herum und tauschten gegenseitig bedeutungsvolle Blicke aus. Haldir bemühte sich ernsthaft wach zu bleiben. Ihm fielen regelmäßig die Augen zu, wofür er von Gimli oft genug strafend angeschaut wurde und gelegentlich einen Seitenhieb erhielt. Auch Legolas kämpfte wacker. Sein starres Gesicht ließ auf einen inneren Kampf schließen, den Agarmaethor nur allzu gut kannte. Legolas bemühte sich, jegliches Gähnen zu unterdrücken.

Allein der Gedanke daran ließ Agarmaethor selber gähnen und zu spät bemerkte sie, dass Celeborn sie just in diesem Moment erstaunt ansah und in seiner Rede innehielt. Agarmaethor befürchtete einen bösen Blick oder eine Kritik, aber Celeborn beugte sich zu Galadriel hinunter und Agarmaethor hörte ihn flüstern:

„Warum tust du nichts? Warum lässt du mich im Stich? Jetzt merkt jeder, mit welch ödem Unsinn ich hier alle langweile!"

Galadriel lächelte nur amüsiert und zwinkerte ihm zu. Mit einem kurzen, verzweifelten und vorwurfsvollen Blick auf seine Gemahlin, richtete er sich wieder stolz und selbstbewusst auf und trug die kleine Demütigung mit Würde.

„Nun. Ich komme zum Ende, denn ich will niemandem das schmackhafte Mahl und danach sein wohlverdientes Bett vorenthalten..."

Plötzlich war wieder die gesamte Aufmerksamkeit aller Gäste auf ihn gerichtet. Er genoss es. Agarmaethor sah es ihm an, denn mit einem Mal bekam er einen beinahe spitzbübischen Gesichtsausdruck – fast unpassend für einen Kriegsherren wie Celeborn.

„Also wie ich bereits ausführte, die Schlacht mit den Mächten in Dol Guldur..." Einige unterdrückte Seufzer waren zu hören. „... ist nun vorbei und wir leben wieder in Frieden." Er schmunzelte. „Ich möchte alle Gäste, die heute hier eingetroffen sind, zu einem Rat morgen Mittag im Empfangsraum bitten. Bis dahin wünsche ich einen guten Appetit und danach einen erholsamen Schlaf."

Er setzte sich wieder und genoss den Applaus der Gäste, wohl wissend, dass er ihn nur als der Herr des Goldenen Waldes erhalten hatte. Doch darüber war er erhaben.

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° sila scheinen, mit weißem oder silbernen Licht

mîr Juwel

Name daher: Mädchen, mit dem silberscheinenden Juwel bzw. Mädchen des silberscheinenden Juwels

°° Linnolelei – singende Träume