Liebe Leser,

wie sicherlich den meisten von euch aufgefallen sein wird, gab es letzte Woche kein neues Kapitel. Das hing schlicht damit zusammen, dass mein Rechner bzw. mein Netzteil vom Rechner die Hitze nicht vertragen hat und seinen Geist aufgab. Leider erfolgte der Austausch nicht sehr schnell und ich hatte nicht einmal Gelegenheit, mein Kapitel meiner Beta zuzuschicken, so dass sich alles um eine Woche verzögert hat. Das tut mir auch schrecklich leid.

Meine zu den Reviews habe ich ans Ende der Geschichte gefügt.

Viel Spaß!

Euer Vypox

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Die Aufgabe der Gemeinschaft

Viele Tagen ritten Odan, Haunar und Rufur mit ihrem Krieger-Gefolge über eine endlos erscheinende Ebene. Es gab nichts zu bereden und so wurde die schneidende Stille nur ab und zu durch das Schnaufen der Reittiere unterbrochen. Trotz der winterlichen Kälte schwitzten alle in ihren Rüstungen. Die Sonne prallte ohne Gnade auf das Metall und das dunkle Leder, blendete abends die Augen und ließ die Krieger in der Kälte der Nächte wieder gnadenlos im Stich. Sie fühlten sich beinahe so, als wären sie einer Folter ausgesetzt, und doch war ihnen bewusst, dass es Schlimmeres gab als das – die Grünaugen.

Unaufhörlich schweifte der Blick der Krieger am Horizont entlang, ständig auf der Suche nach der großen Gefahr, die ihnen durch die Grünaugen drohte. Unaufhörlich bewachten sie die Lagerplätze mit größtmöglicher Aufmerksamkeit und unaufhörlich schärften sie während der Ruhepausen ihre Waffen, als fürchteten sie jederzeit einen Überraschungsangriff – eine Furcht, die bisher noch nie unbegründet war.

Nur Odan saß gedankenverloren auf seinem struppigen Pferd oder neben dem Lagerfeuer, schaute schweigsam der Sonne im Westen entgegen und grübelte. Was sollte er auch sonst tun, als zu grübeln? Es war nicht seine Aufgabe, diesen Trupp zu führen oder den Weg zu bestimmen. Seine Aufgabe war ganz anderer Art. Er seufzte als er daran dachte, was ihm wohl noch bevorstand und er seufzte, weil die Krieger dieser Gemeinschaft die weite und riskante Reise nur unternahmen, damit er sicher sein Ziel erreichen konnte, um das zu tun, was getan werden musste.

„Was seufzt du so?", riss ihn Rufur aus seinen Gedanken.

„Ach, ich denke nur über unsere Aufgabe nach. Mir ist schleierhaft, wie wir diese Frau finden wollen", murmelte Odan in seinen Bart hinein. „Wir kennen nicht einmal ihr wirkliches Aussehen und haben nur eine wage Beschreibung! Schwarz-silberne Haare und wunderschön! Prächtig! Besser ging die Beschreibung wohl wirklich nicht! Wie sollen wir sie aufspüren?"

„Tröste dich! Ich habe schon eine vage Idee, und Bizar-kûn gab mir einige interessante Hinweise über die Strecke, die sie wohl wählen wird. Er ist nicht umsonst Berater der ..."

„Hm..., ja", unterbrach ihn Odan etwas ungeduldig. „Welche Pläne hast du denn?"

„Oh! Ich stelle mir das alles recht einfach vor. Bizar-kûn nannte mir einige Orte, die sie mit Sicherheit erreichen wird. Sie ist gezwungen, dorthin zu gehen. Wir werden sie an einem davon abfangen. Und wenn das nicht klappt...", Rufur zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen, „und sollten die Grünaugen sie schneller finden als wir, dann werden wir uns an ihre Fersen hängen müssen und hoffen, dass es nicht für uns alle tödlich enden wird."

Odan schüttelte zweifelnd seinen Kopf.

„Zweifle nicht! Wir bemühen uns doch schließlich alle! Und immerhin haben wir unsere Mäntel und unsere Schuhe, die es uns leichter machen, unentdeckt zu bleiben. Ich halte es für einen Fehler, unser „halbes" Heer, wie Haunar es bezeichnet, mitgenommen zu haben. Einige wenige, vielleicht nur wir drei, wären unauffälliger gewesen. Ich denke, wir sollten die Krieger irgendwo zurücklassen und uns zu zweit auf die Suche begeben."

Rufurs Zuversicht steckte Odan an und er schaute hinter sich zu den fünfzig Kriegern, die ihnen so entschlossen folgten. Alle waren sie in schlichte, aber gute Rüstungen gekleidet, mit Wurfäxten, Wurfmessern, Speeren und Kriegsäxten ausgerüstet und alle waren sie gut beritten. Zu Fuß wären sie sicher unauffälliger gewesen, doch die Zeit drängte! Allein deshalb hatte man die besten Reiter unter den Kriegern gewählt.

„Am Meer von Rhûn wäre ein guter Ort, um die Truppen zu verstecken. Jedenfalls entnehme ich das dem, was Bizar-kûn mir von der Gegend dort erzählt hat", schlug Odan vor.

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Agarmaethor sehnte sich nach etwas Ruhe. Sie fühlte sich von den vielen und nicht unbedingt angenehmen Neuigkeiten, den bewundernden und erstaunten Blicken während des Nachtmahls und den vielen Fragen ihrer Tischnachbarn erdrückt und eingeengt. Sie brauchte den freien Himmel über sich und die kühle frische Luft, um für einige kurze Momente alles von sich werfen zu können und wieder frei durchzuatmen.

Sie entledigte sich der unbequemen Schuhe und bedauerte das Fehlen ihrer eigenen Kleidung, während sie barfuß und mit kleinen Schritten zur Leiter lief, welche sie wieder vom Mallornbaum herunter führen sollte. Vorsichtig kletterte sie die einzelnen Stufen hinab und beobachtete dabei misstrauisch die lórischen Wächter auf den einzelnen Plattformen des Baumes. Immer wieder schüttelte sie den Kopf über diese Form des Auf- und Abstieges. Agarmaethor konnte sich nicht vorstellen, wie die Herrin des Goldenen Waldes einen derartig demütigenden Weg benutzte, der jedem erlaubte, ihr unter das Kleid zu schauen. Sie vermutete einen weiteren, geheimen Pfad oder eine Wendeltreppe im Inneren des Baumes.

Erleichtert atmete Agarmaethor auf, als sie den Boden und das kühle Gras unter ihren Füßen spürte. Ein sanfter Windhauch streichelte ihre Haut und sie schloss die Augen, um das leise Plätschern des Baches zu genießen. Blind und nur dem Geräusch des Wassers folgend, ertasteten ihre Füße das kühle Nass. Wie jedes fließende Wasser barg auch dieses in sich Stärke und Willenskraft, Eigenschaften, die sich Agarmaethor so sehr ersehnte, dass sie dem Lauf des Baches folgte, als führe dieser sie zu der Quelle seines Geheimnisses.

Doch als sich das leise Plätschern in ein sanftes Rauschen verwandelte öffnete Agarmaethor wieder ihre Augen und sah das Wasser in eine flache Senke fließen, wo es unerreichbar im Erdboden verschwand. Es nahm sein Geheimnis mit sich und das Geräusch aneinander reibender Steine klang dabei wie ein hämisches Lachen, welches Agarmaethor erschreckt zusammenzucken ließ.

Aus dem Schatten einer großen Mallornbaum-Wurzel, die sich rund um die Senke wand, trat Galadriel hervor. Sie hielt einen Krug in den Händen, den sie mit dem Wasser des Baches füllte und auf einem kleinen Sockel mit einer Schale abstellte.

Lautlos glitt Agarmaethor einige Schritte zurück und versteckte sich im nächtlichen Schatten der Bäume. Sie wollte mit der Herrin des Goldenen Waldes sprechen, wollte es schon so oft und doch quälten sie Ängste, denn sie wusste, Galadriel würde ihr jegliche Kontrolle über die Preisgabe ihrer intimsten Geheimnisse und unangenehmsten Erinnerungen entreißen, indem sie in ihren Gedanken eindränge, die sie, so sehr sie es sich auch wünschte, nicht einfach verdrängen konnte.

'Du fürchtest dich, weil du glaubst, ich könnte dich verhöhnen für das, was ich in dir sehen kann, dich verspotten, dich gar verachten... oder noch schlimmer... Mitleid mit dir empfinden – Du fürchtest dich, weil du glaubst, ich könnte all diese Dinge tun, die du für dich allein beanspruchst und dir selbst antun möchtest. Doch fürchte dich nicht! Ich überlasse das allein dir! Du bedarfst meiner Person nicht, um dich selbst schlecht zu fühlen. Ich bitte dich aus einem anderen Grund zu mir!'

Agarmaethor trat wieder in das Mondlicht, um sich Galadriel zu stellen, die auffordernd aus der Senke zu ihr heraufschaute. Über eine Leiter stieg Agarmaethor zu ihr.

'Ein kluger Mann war dein Vater und einen klugen Schutz erdachte er sich für seine Tochter, um sie so ganz aus dem Blickfeld der dunklen Mächte zu rücken. Doch schweres Leid traf dich dabei, viel schwerer, als er es vermutlich vorherzusehen glaubte.'

„Vermutlich!", erwiderte Agarmaethor verschlossen.

'Es fühlt sich fremd an, sich selbst mit anderen Augen sehen zu müssen und ich kann nur erahnen, wie es dir geht! Du bist innerlich zerrissen. Mehrfach!'

Sie näherte sich Agarmaethor und schaute ernst in deren Augen.

'Deine Wahrnehmung ändert sich. Alles erscheint dir in einem anderen Licht und du selbst wirst in einem anderen Licht gesehen. Du bist deshalb unsicher und verängstigt, spielst eine Rolle, die du aus früheren Zeiten noch sehr gut kennst, denn nur in ihr fühlst du dich stark und nur in ihr findest du inneren Halt.

Doch eigentlich möchtest du fliehen, und selbst dies ist dir nicht vergönnt, denn du lebst in zwei Welten, von denen dir eine nur im Traum erscheint und dabei für dich so wirklich, greifbar und gegenwärtig ist, wie die Welt hier, in der du mit mir sprichst. Die Träume, sie fesseln dich, lassen nicht von dir ab und zwingen dich, nicht nach Valinor oder in die Hallen von Mandos zu fliehen. Sie treiben dich dazu, danach zu streben, beide Welten wieder miteinander zu verbinden und dich damit vollständig zu fühlen. Daher glaubst du, dass du deine Vergangenheit in der Zukunft findest und du glaubst auch, dass es ohne die Vergangenheit keine glückliche Zukunft für dich geben wird.'

Galadriel lächelte mit einem Ausdruck tiefsten Verständnisses.

'Du fühlst dich unvollkommen, du fühlst dich gefangen, denn du hast den Eindruck, nicht mehr wirklich über dein Leben entscheiden zu können. Du fühlst dich erdrückt von einer tief in dir sitzenden Unsicherheit und du glaubst, du könntest die Last nicht tragen, die auf deinen Schultern liegt. Dabei musst du sie nur mit jemandem teilen, dich jemandem anvertrauen.'

„Das tat ich und er glaubte mir sogar, doch ich fühle mich seitdem nicht besser", erwiderte Agarmaethor leise.

'Nein? Wirklich nicht? Ich gebe zu, dass es dafür größerer Geduld bedarf, und er muss sich noch entscheiden, wohin sein Weg ihn führen soll. Aber es war dein erster Schritt, den er veranlasst hat. Du hast dich einer Gemeinschaft angeschlossen und ihr geholfen einen Weg hierher zu finden. Das hättest du ohne ihn nicht getan. Und ohne ihn wärst du nicht hier und hättest nicht einen Anfang für deine Suche gefunden.'

„Es ist wahr, dass mir hier Dinge eröffnet wurden, die ich vorher nicht einmal ahnte. Ich kenne nun meinen Namen, meine Herkunft und auch einiges mehr, an welches sich Herr Celeborn zu erinnern vermochte. Doch es ist nicht wahr, dass diese Neuigkeiten ein Anfang für meine Suche waren, denn wohin hätte ich von hier aus gehen sollen? Ost-in-Edhil steht nicht mehr und alle, die mich besser kannten, sind in den Hallen von Mandos oder in Valinor – so jedenfalls sagte es Herr Celeborn und ich habe guten Grund ihm zu glauben. Nein, der Weg hierher hat nur meinen Wissensdurst verstärkt. Den Anfang zu meiner Suche habe ich jedoch alleine gefunden, ohne Gemeinschaft und ohne sichtbare Hilfe." Selbstbewusst blitzten Agarmaethors Augen Galadriel an.

'Du sprichst von deiner Vision im Nebelgebirge! Doch was glaubst du? Wohin werden dich deine Schritte lenken?'

„Ich habe einige Tage benötigt, um das Ereignis im Nebelgebirge nicht für einen durch Erschöpfungsschlaf verursachten Traum zu halten, sondern ihn als Vision zu erkennen, die mich möglicherweise weiterführt. Und nun weiß ich, dass ich mich auf die Suche nach zwei Personen begeben muss, einer menschlichen Frau und einem Elben. Ich werde einige Zeichnungen anfertigen und..."

Galadriel legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und brachte damit Agarmaethor zum Schweigen. Sie trat zu dem kleinen Sockel mit der Schale und dem Krug, goss vorsichtig etwas Wasser in die Schale, hauchte darauf und wartete, bis sich der mit Sternen gefüllte Himmel im ruhigen Wasser widerspiegelte.

'Entschlossenheit spricht aus dir und der Glaube, dass es weiterer Hilfe nicht bedarf. Doch komm zu mir und schau in meinen Spiegel. Er zeigt Dinge, die waren, Dinge, die sind und Dinge, die sein mögen. Er zeigt Dinge, die man sich wünscht und doch zeigt er auch Dinge, die man nicht gerne sehen möchte. Schau hinein und suche nach einer Antwort! Vielleicht siehst du, wen du suchst!' Galadriel lächelte bedeutsam.

Agarmaethor lenkte ihre Schritte zu dem kleinen Podest und beugte sich über die Schale. Eärendils Licht spiegelte sich in dem klaren Wasser wider und erinnerte sie an einen Wunsch, den sie tief in sich versteckte und bisher niemandem preisgab.

Doch dann verschwand das Licht und das Spiegelbild des hellsten Sterns am Himmel wurde durch eine hässliche Landschaft mit hohen und nackten Felsen verdrängt. Ein breiter Fluss wand sich hindurch, dessen sandiges und träges Wasser eine große und kahle Insel umschloss. Eine Brücke verband das östliche Ufer mit einem hohen Turm auf der Insel. Prächtig verziert und doch gefährlich und böse warf er seinen nächtlichen Schatten über den Fluss und versuchte jeden zu vertreiben, der sich der Insel unerwünscht näherte. Obwohl es nur ein Blick in den Spiegel Galadriels war, fühlte Agarmaethor die Gefahr, die von diesem Turm ausging. Es bedurfte dabei noch nicht einmal der knurrenden und umher streunenden Wölfe, deren Raufereien auf ihre Art dafür sorgten, dass die schwächeren unter ihnen keiner weiteren Mahlzeit mehr bedurften. Doch die Raufereien endeten in dem Moment, als eine dunkle Gestalt auf einen Vorbau in großer Höhe trat.

Die gewaltige und ungreifbare Macht der Gestalt schien allein durch seine Anwesenheit auf die gesamte sichtbare Umgebung zu wirken. Agarmaethor entdeckte Bäume an den Ufern des Flusses, deren letztes Blatt kraftlos zu Boden fiel, als dieses Wesen in Erscheinung trat. Mit angespannter Körperhaltung beobachtete es den Horizont, als erwarte es jemanden und tatsächlich zeichnete sich vor dem hellen Mond am nächtlichen Himmel eine große und geflügelte Silhouette ab, näherte sich und verschwand durch eine Öffnung in einer Seitenwand im Turm.

Nur kurze Zeit später betrat eine weitere Person in einem langen Mantel und in Begleitung eines großes Hundes die Brücke. Der Mantel fiel zu Boden und eine Elbenfrau von einzigartiger Schönheit kam zum Vorschein, so schön, dass Agarmaethor der Atem stockte. Traurig schaute die Elbenfrau auf den Turm und begann ein Lied zu singen. Die Wölfe auf der Insel erstarrten und äugten fragend zu der Gestalt auf dem Turm, doch diese schwieg und rührte sich nicht. Als jedoch die Elbenfrau ein weiteres Lied anstimmte, begann die Erde zu beben und die Wölfe jaulten jämmerlich. Einige flohen in den Turm, doch selbst dieser erzitterte und konnte ihnen keinen Schutz gewähren.

Agarmaethors Blick folgte den fliehenden Wölfen und diese geleiteten ihn in den Turm, wo sich ein Raum enthüllte, der eher einer schmutzigen Höhle glich. Die geflügelte Gestalt, die nur wenige Minuten zuvor den Raum über eine Wandöffnung betreten hatte, stand in dessen Mitte. Sie schlug die Flügel über ihrem Kopf zusammen, um sich vor den Klängen des Gesanges zu schützen, doch es schien nichts zu nutzen. Taumelnd und torkelnd tapste sie mit ihren krummen Beinen zum hinteren Ausgang des Turmes, stieß sich ihren Kopf an einer Säule und sackte kurz zusammen. Vor Schmerzen verzerrt verdrehte sie ihre Augen und riss sich schließlich das Fell vom Leib, um in weiblicher, menschlicher Gestalt zu Fuß aus dem Turm zu fliehen.

„Ist es das, was ich denke?", hauchte Agarmaethor in den Spiegel, als dessen Bild für einen Moment ergraute, doch neue Bilder lenkten sie von ihren Gedanken ab.

Weiche Formen einer grüner und blühender Landschaften lösten das Grau des Spiegels ab. Wie im Flug glitten diese vorüber - große Städte, saubere Siedlungen, einige Gehöfte mit reifem Korn auf den Feldern, grasenden Rinder und Pferden und gut ausgebauten Märkten an Kreuzungen oder Furten. Agarmaethors Herz schlug schneller, als sie gewaltige Wälder sah, die sich über die einst fast toten Ebenen von Eregion erstreckten.

Überall entdeckten ihre Augen Leben. Selbst in Mordor wuchsen Gräser und Blumen, Bienen und Vögel flogen umher. Mordor war kaum wieder zuerkennen – allein der Vulkan, der ruhig und unbedrohlich im Hintergrund stand, zeugte von der einstigen Dunkelheit dieser Gegend. Agarmaethor erspähte Zwerge, die sich in den Bergen um Mordor niedergelassen hatten. Sie schienen ihre Städte nicht mehr allein unter der Erde gebaut zu haben. Bis hin in die grünen Weiten Mordors und um das Nurnen-Meer herum reichen ihre Wege und Siedlungen.

Zwerge, Elben und Menschen bereisten gleichermaßen die vorhandenen Straßen und Schiffe. Sie handelten auf den Märkten miteinander, sangen und lachten gemeinsam. Agarmaethor bemerkte Städte von gewaltigem Ausmaß und mit einer Vielzahl von Vertretern der unterschiedlichen Völker, die sich alle den gemeinsamen Lebensraum teilten. Und sie schienen harmonisch nebeneinander zu leben.

Berauscht von der Schönheit der Bilder, schaute Agarmaethor auf und suchte Galadriels Blick, doch diese erwiderte ihn nicht. Sie sah so starr und ernst in den Spiegel, dass Agarmaethor sich diesem wieder zuwandte. Der Flug über die Landschaften war beendet. Agarmaethor schien es, als würde sich ein müder Vogel auf einen Hügel setzen und nur noch in eine Richtung spähen, um den Ausblick zu genießen. Doch dieser wurde gestört. Einige braunhaarige, grünäugige Personen mit schwarzen Krallen an den Fingern traten ins Bild. Agarmaethor erkannte sie sofort wieder – Ork-Elben! Sie begleiteten eine dunkelhaarige Frau – die selbe, die sich das Fell vom Leibe gerissen hatte. Sie schaute in die gleiche Richtung wie der müde Vogel, erwartungsvoll und angespannt.

Der Horizont rötete sich, glühte fast, und eine Feuersbrunst breitete sich allmählich über die blühenden Landschaften aus. Ein gewaltiger Krieg tobte. Agarmaethor versuchte auszumachen, wie viele Ork-Elben den Menschen, Elben und Zwergen gegenüber standen, doch sie entdeckte keine Ork-Elben. Menschen waren es, die gegen Elben, Zwerge und einige wenige andere Menschen kämpften. Es waren keine Ostlinge oder Südländer... es waren die Fahnen Gondors und Rohans, die in den Reihen der Krieger wehten und deren Waffen sich gegen die Allianz aus Elben, Zwergen und Menschen richteten.

Das gewaltige Heer der Allianz verkleinerte sich von Sekunde zu Sekunde. Leichname pflasterten die einst so grünen Wiesen – es fielen vor allem Elben und Zwerge. Agarmaethor begriff im ersten Moment nicht, was geschah, doch dann bemerkte sie, wie ein Elb einem Menschen ein Schwert in den Bauch stieß. Der Mensch torkelte zurück, entfernte das Schwert und erschlug den Elben, als wäre er nie verletzt worden. Agarmaethor hielt vor Schreck den Atem an und ihre Augen weiteten sich.

Die Frau auf dem Hügel lächelte. Ihre vor Freude strahlenden Augen machten sie betörend schön und doch harmonierte ihre glückliche Erscheinung so wenig mit den Bildern des Krieges, dass sie weder gewinnend noch reizend wirkte – es ließ sie gefährlich erscheinen.

Das Bild in Galadriels Spiegel ergraute und als das Licht der Sterne über Lórien von dem klaren Wasser in der Schale zurückgeworfen wurde, hob Agarmaethor den Kopf und sah Galadriel schockiert und zugleich fragend an.

„Ist es das, warum die Gruppe aus Imladris hierher reiste? Ist die Verhinderung dieser Ereignisse die Aufgabe, die sie hier übernehmen soll?"

Agarmaethor schüttelte sich bei der Erinnerung an die soeben gesehenen Bilder.

'Ja, genau dies ist die Aufgabe der Gemeinschaft. Und als ich die Frau vom geheimen Schatten auch in deinen Erinnerungen an deine Vision wiedererkannte, wollte ich dir diese Bilder nicht vorenthalten, denn ich möchte dich bitten, der Gruppe zu gestatten, mit dir zu ziehen... dich zu begleiten!

Agarmaethors Augen weiteten sich vor Schreck. Allein der Gedanke, mit einer ihr noch immer fremden Gemeinschaft eine möglicherweise sehr lange Reise antreten zu müssen, war ihr zuwider und verursachte ein ungutes Gefühl.

„Ich plane nicht, mich auf die Suche nach dieser Frau zu machen. Ich denke, zunächst werde ich den Elben aufsuchen oder vorher noch einen ganz anderen Weg einschlagen."

Galadriel erwiderte: 'Du darfst deine Schritte lenken, wohin du möchtest. Weder verlange ich, noch erwarte ich etwas von dir. Doch dir muss bewusst sein, dass die Frau, die möglicherweise dein inneres Gleichgewicht wieder herstellen kann, auch eine große Gefahr für dich darstellt, für dich und Mittelerde. In ihr ist die dunkle Saat Morgoth's aufgegangen und erblüht. Sie war nicht umsonst die geflügelte Botin zwischen Sauron in Tol-in-Gaurhoth und Morgoth in Angband.

Möchtest du dich dieser Gefahr wirklich alleine stellen? Und was wäre, wenn die Gemeinschaft ohne dich und noch vor dir erfolgreich in ihrer Suche wäre. Könnte dies nicht dazu führen, dass die letzte Spur zur Erfüllung deiner Sehnsüchte nach deiner eigenen Vollkommenheit zerstört wird?'

Agarmaethor blickte gequält auf den Boden und nickte schließlich zustimmend. Galadriel lächelte sie dankbar an.

'Auch wenn du andere Interessen, als die der Gemeinschaft verfolgst, wirst du sehen, dass diese dir unterwegs eine große Hilfe sein kann. Diese Suche wird dich sehr viel Kraft kosten. Du wirst an die Grenzen deiner Belastbarkeit getrieben werden und du fühlst bereits jetzt eine gewisse Müdigkeit in deinen Gliedern. Verschwende deine Kraft nicht, indem du alles selbst in die Hand nimmst und alle Verpflichtungen und Leiden alleine tragen willst.'

Galadriels Hand berührte sanft Agarmaethors Wange, doch Agarmaethor zuckte, wie von Schmerzen gepeinigt, zurück und wich dem Versuch einer weiteren Berührung aus.

'Das wirklich Traurige an allem ist, dass ich dir nicht wirklich hätte helfen können, wenn du früher zu mir gekommen wärst.'

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Dunkelheit. Als würden sich zwei Augenlider öffnen würden, dringt plötzlich Licht ein und ein Bild entsteht. Sie steht in einer Bibliothek mit großen Tischen, beladen mit unzähligen Büchern und Zeichnungen. Ihr Blick fällt auf einen Arbeitsbereich in der Mitte des Raumes. Auch dort befinden sich viele Zeichnungen. Sie setzte sich auf einen Stuhl und sieht sich die Zeichnungen an. Es sind nicht nur kunstvolle Entwürfe von Schmuckstücken mit Blumen, Blühten und Pflanzen aller Art, auch technische Zeichnungen sind darunter vertreten, wie die eines mechanischen Vogels oder dem genauen Schliff verschiedener Edelsteine.

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Den nächsten Vormittag verbrachten viele Gäste damit, sich Caras Galadhon und die umliegenden Wälder anzusehen. Agarmaethor jedoch fühlte sich nicht im Stande, unbeschwert durch Lórien zu streifen. Das Gespräch mit Galadriel beschäftigte sie. Genaugenommen handelte es sich beinahe um einen Monolog der Herrin des Goldenen Waldes, doch sie hatte vieles von dem ausgesprochen, was Agarmaethor niemals über die Lippen gekommen wäre. Gerade weil sie die Wahrheit so sachlich und tatsächlich ohne Spott, Verachtung oder Mitleid ausgesprochen hatte, fühlte sie Agarmaethor innerlich angeschlagen. Es war so schwer, sich Bilder vor Augen führen zu lassen, die einem die eigenen Fehler und Schwächen zeigten.

Agarmaethor bemühte sich, genau diese Bilder zu verdrängen und suchte nach Ablenkung. Lautlos schlich sie durch die Gänge des Palastes. Sie plante nichts Verbotenes, doch sie wollte keine Aufmerksamkeit erregen, und ungehindert erreichte sie die Tür zum Garten, in welchen sie Celeborn am Vorabend geführt hatte. Einen Moment lang ließ sie die kühle, frische Luft hoch oben im Mallornbaum auf sich wirken, doch dann nahm sie sich die Zeit, um sich die einzelnen Kunstwerke aus dem ehemaligen Garten ihres Vaters genauer anzusehen.

Ihr Blick fiel zunächst auf die Pflanzen in den großen Holzkästen, denen sie am Vorabend kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Auch sie waren geschmiedet, doch von welch filigraner Art und wie zerbrechlich sie waren! Agarmaethor wagte es nicht, irgendetwas zu berühren. Mit Bewunderung schaute sie sich die einzelnen Blüten und Blätter an und beobachtete erstaunt, wie einige Insekten um die Blüten herumschwirrten und sich erfolglos um Pollen bemühten. Agarmaethor beugte sich vorsichtig herunter und schnupperte. Ein dezenter und doch betörender Duft stieg in ihre Nase. Sie konnte sich kaum von diesen Blumen trennen. Wie war es nur möglich, so etwas herzustellen? Und sie selbst sollte mit ihren Händen derartiges geschaffen haben?

Verwundert schüttelte sie den Kopf und erhob sich wieder, um auf das Holzgeländer des Gartens zu schauen. Noch am Abend war sie mit silbernen und goldenen, leuchtenden Blüten geschmückt, doch nun erkannte sie keinen besonderen Glanz. Vorsichtig verursachte sie mit ihren Händen einen Schatten um eine der Blüten, um die Möglichkeit zu prüfen, ob die Blüten Dunkelheit und Helligkeit voneinander unterscheiden konnten und tatsächlich erleuchtete ein matter Schimmer die Innenflächen ihrer Hände.

Agarmaethor betrachtete jede einzelne Blüte genau und stellte überrascht fest, dass jede von ihnen einzigartig war – wie in der Natur. Wie viel Zeit sie wohl dafür verwendet hatte? Beeindruckt wanderte ihr Blick noch einmal durch den kleinen Garten. Nur zufällig schaute sie dabei über das Geländer hinaus und bemerkte, dass sich der Garten nur fünfzehn Fuß direkt über der großen Plattform befand - als eine frei hängende Terrasse, unter welcher sich ein Ein- und Ausgang für den Palast zu befinden schien. Die gewaltige Plattform erstreckte sich so weit, dass ihr ein Blick auf die Pfade von Caras Galadhon verwehrt blieb, doch dafür wurde sie mit einem überwältigenden Ausblick auf die Wälder von Lórien belohnt. Dunkelgrün und üppig erstreckte er sich bis in die Ferne und ein Fluss räkelte sich still und gemütlich zwischen den Bäumen. Agarmaethor schloss für einen Moment die Augen und genoss die Ruhe.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, lief vor ihrer Terrasse Legolas unruhig auf und ab. Er schien soeben aus dem Palast getreten zu sein und ließ seinen Blick suchend am Gebäude entlang schweifen. Agarmaethor wollte sich schnell zurückziehen, doch als sie seinen Blick auf sich spürte blieb sie stehen und sie schauten sich gegenseitig einen Moment lang an.

„Suchst du etwas?", fragte Agarmaethor schließlich, um die peinliche Stille zu unterbrechen.

„Ähm...ja", erwiderte er verlegen und Agarmaethor war sich nicht sicher, ob seine Ohren nicht gerade erröteten. „Ich suche ein Versteck. Kennst du eines?"

Etwas verwirrt sah Agarmaethor ihn an. „Verkrieche dich doch in deinem Quartier! Oder klettere die Leiter herunter und geh in Gimlis Pavillon", schlug sie vor.

„Das ist nicht möglich. Da sind sie schon und lauern. Ich kenne mich hier nicht gut genug aus, um eine Abstellkammer oder etwas Ähnliches zu finden." Nervös trat Legolas von einem Bein aufs andere und schaute sich beschämt um.

„Wer sind 'SIE'?", fragte Agarmaethor noch verwirrter. „Du hast doch nichts getan, was du nicht solltest, oder?"

„Bitte! Kann ich mich bei dir da oben verstecken? Ist das als Versteck geeignet?" Beinahe flehend schaute er zu ihr herauf.

Agarmaethor zuckte hilflos mit den Schultern und versuchte zu beurteilen, ob der Garten ein geeignetes Versteck vor lórischen Wachen darstellte, doch als leise Stimmen im Hintergrund ertönten und Legolas' Gesichtszüge einen Anflug von leichter Panik zum Ausdruck brachten, erklärte sie ihm den Weg zu „ihrem" Garten.

Legolas eilte hastig durch die Tür unter der Terrasse und trat nur kurze Zeit später in den Garten. Ohne ein Wort zu sagen, lehnte er sich an die Wand des Gebäudes und lauschte angespannt. Die Stimmen näherten sich, und Agarmaethor sah einige Elbenfrauen über die Plattform unter der Terrasse huschen.

„Vor DENEN versteckst du dich?", fragte Agarmaethor fassungslos. „Warum denn das?"

Legolas schaute verschämt und zerknirscht auf den Boden. „Ich fürchte, sie schlagen mich mit einer Keule nieder und zerren mich an den Haaren in ihre Quartiere!", murmelte er undeutlich.

„Wie bitte?" Agarmaethor staunte noch mehr.

„Sie sind hinter mir her. Schon als ich das letzte mal hier weilte, bahnte sich dies an, doch nun ist es noch schlimmer. Ständig erzählen sie mir, wie gut ich aussähe, wie klug und mutig ich sei, dass ich doch so ein großer Held wäre...", versuchte er sich zu erklären.

„Und das gefällt dir natürlich überhaupt nicht", fragte Agarmaethor spöttisch. „Das kann ich wahrlich nachfühlen!"

Legolas zog die Augenbrauen zusammen. „Du verstehst gar nichts. Die wollen mich haben. Meine Erwähnung der Keule und der Haare war kein Scherz. Es geht hier um nichts anderes."

„Haben? Wofür denn?", fragte Agarmaethor bass erstaunt.

War Agarmaethor wirklich gedanklich so blockiert, dass sie nicht verstand, wovon er redete? Irgendwie kam Legolas das Gesprächsthema bekannt vor. Doch auch Gimli konnte seinen Erklärungsversuchen nicht folgen, warum also sollte sie es? Vielleicht weil sie nicht Gimli war?

„Sie wollen nur mit mir essen, im Wald spazieren oder ähnliche Albernheiten unternehmen", versuchte er es auf einem anderen Wege zu erklären.

„Du meinst, sie suchen nach einer Möglichkeit, um mit dir ins Gespräch zu kommen?", hakte Agarmaethor nach.

Legolas wusste nicht, ob sie ihn veralberte oder nicht, doch ihr Gesicht war so ernst, wie es ernster kaum sein konnte.

„Nein, nein. Ein Gespräch ist das, was wir gerade führen. Die suchen nur nach einer Gelegenheit, um sich mir vorzuführen... mir ihre Vorzüge zu zeigen..."

Erwartungsvoll sah er Agarmaethor an. Würde sie es begreifen oder sich ebenso verhalten wie Gimli und sich amüsieren?

„Ich verstehe!", sagte sie jedoch nur schlicht.

Gelangweilt lehnte sie sich über die Brüstung und betrachtete die inzwischen wieder leere Plattform. Legolas war es dabei unmöglich, ihre Gesichtszüge zu erkennen und er fühlte sich verunsichert. Unschlüssig darüber, welche Alternative ihm lieber wäre, fragte er sich, ob ihr Verhalten nur auf schlechte Diplomatie zurückzuführen war, welche eigentlich verbergen sollte, dass sie gar nichts verstand oder ob sie ihm nur nicht zeigen wollte, wie sehr sie sich gerade lustig machte?

„Du verstehst es nicht", murmelte er schließlich, als er zu der Erkenntnis kam, dass sich diese Elbenfrau überhaupt nicht lustig machen konnte. Er hatte sie bisher nicht einmal lächeln gesehen. Also verblieb nur die erste Alternative.

Agarmaethor drehte sich wieder zu ihm um und sah ihn beinahe empört an.

„Doch, das tue ich. Du meinst, sie zeigen dir ihre Vorzüge und bemühen sich darum, dir angenehm aufzufallen, damit du sie beachtest. Und dabei haben sie überhaupt kein Interesse an dem, was du selbst für deine Stärken hältst, denn sie glauben, diese bereits zu kennen."

Verblüfft sah Legolas sie an. „Ähm... ja!" SO hätte er das nicht formuliert, doch Agarmaethors Verständnis seiner Lage gefiel ihm.

„Und du willst der Eroberer sein. Du willst dir ihre Vorzüge nicht zeigen lassen, du willst sie selbst entdecken", fuhr Agarmaethor fort.

Ein leichtes Lächeln schien über ihr Gesicht zu fliegen, aber Legolas war sich darüber nicht sicher.

„Das ist den Elben aus dem Eryn Lasgalen eigen!", sagte er gespielt selbstbewusst. „Wir sind alle etwas... ähm..."

„Klassisch!", ergänzte Agarmaethor.

Legolas musterte sie verwundert, konnte aber seinem bisherigen Gestammel nichts mehr hinzufügen.

„Ich gehe jetzt wieder", sagte Legolas schließlich, noch immer beschämt.

„Ja, gut." Agarmaethor nickte. „Doch wenn du ihnen noch einmal begegnest, dann solltest du ihnen schlicht sagen, dass du kein Interesse hast. Ich denke, das ist einfacher, als sich hastig eine Abstellkammer zu suchen und sich darin zu verkriechen."

„Eru sei Dank, handelte es sich nicht um eine Abstellkammer, sondern um diesen beeindruckenden, kleinen Garten hier", erwiderte Legolas und hoffte, das Thema wechseln zu können und diesem peinlichen Gespräch zu entfliehen.

Agarmaethor hob die Augenbrauen. „Dir gefällt der Garten hier? Warum? Was findest du so beeindruckend?"

Angestrengt betrachtete Legolas die Pflanzen und den Brunnen. Er hatte das Lob für den Garten eigentlich nur so dahin gesagt, doch nun fühlte er Agarmaethors erwartungsvollen Blick, welcher mit jedem Lidschlag zum Ausdruck brachte, dass sie ihm keine Aussicht auf Erfolg gab, etwas zu entdecken, was wohl wirklich beeindruckend war.

Beinahe lustlos schlenderte er auf die Fontäne in der Mitte des Gartens zu, beugte sich über das Becken und schnupperte. Vorsichtig steckte er einen Finger in die Flüssigkeit und leckte ihn ab. Verblüfft hob er den Kopf , schaute sie erstaunt an und rief: „Das ist Wein!"

„Wein?" Agarmaethor traute ihren Ohren nicht. Sie beugte sich nun ebenfalls zu der Fontäne herunter und kostete. „Ach was! Du irrst dich. Das ist schlichtes Wasser."

„Nein, nein! Wenn ich davon trinke schmeckt es wie Wein! Wirklich!", erklärte er mit Nachdruck.

Agarmaethor kostete noch einmal. „Für mich schmeckt es wie Wasser. Glaubst du, der Brunnen ist magisch?"

Gerade als sie den Kopf hob um ihn fragend anzusehen bemerkte sie ein breites Grinsen in seinem Gesicht.

„Nein. Ich wollte dich nur foppen."

Überrascht und sprachlos starrte Agarmaethor ihn an.

„Mir war einfach danach! Derartige Scherze wirken so... befreiend!", schmunzelte er.

Ein kräftiger Schwall Wasser aus der Fontäne traf ihn mitten ins Gesicht.

„Mir war einfach danach!", erklärte sie ruhig.

Legolas war sich erneut nicht sicher, ob nicht wieder ein winziges Lächeln über ihr Gesicht geglitten war. Er lachte sie freundlich an und ging zur Tür.

„Ist dir denn wirklich nichts in diesem Garten aufgefallen?", fragte Agarmaethor gerade noch, bevor er die Tür öffnete.

Legolas hielt inne und drehte sich zu ihr um. „Die goldenen und silbernen Blüten am Geländer sind recht hübsch, doch das einzige wirklich besondere sind die duftenden Metallblumen dort in den Kästen", erwiderte er schlicht und wollte erneut gehen.

„Die Blüten hier am Geländer leuchten in der Nacht."

Nochmals hielt sie ihn davon ab, den Garten zu verlassen. Verwundert drehte er sich um und musterte sie erstaunt. Schließlich setzte er sich auf eine kleine Bank an der Hauswand und wartete gespannt darauf, was nun folgen würde. Minutenlang geschah jedoch überhaupt nichts. Sie sah an ihm vorbei auf die Blüten in den Beeten.

„Agarmaethor, die Elbenmädchen sind weg. Ich könnte jetzt wieder gehen, oder möchtest du mich etwas fragen oder mit mir reden?", fragte er schließlich, als ihm die Zeit zu lang wurde.

Agarmaethor schreckte auf. „Nein... nein. Ich wollte nur nicht alleine sein."

„Du möchtest also zu zweit schweigen? Das ist gut!"

Er lehnte sich an die Wand und schloss seine Augen. Jetzt, da er wusste woran er war, konnte er auch Stunden so ausharren. Doch nach einigen weiteren Minuten spürte er, wie ihre Blicke ihn durchbohrten.

„Manchmal ist es wirklich schön gemeinsam zu schweigen, aber wenn du mich so ansiehst, dann denke ich, dass du doch lieber reden möchtest. Du scheinst so oft allein zu sein, dass du es manchmal leid bist, nicht wahr?", fragte er einfühlsam.

„Ich war nie allein!", erwiderte sie heftig und fügte leise hinzu: „Ich hab immer im Heer gemeinsam mit anderen gekämpft! Und wenn ich doch allein war, dann leistete mir zumindest mein Pferd... Dordo, meine ich, Gesellschaft."

Legolas staunte darüber, dass sie den Namen, den er dem Pferd gab, scheinbar akzeptierte.

„Es tut mir leid", murmelte er und zog seine Augenbrauen zusammen. Eine Person, die ihre Einsamkeit damit zu verhindern versuchte, indem sie mit anderen Kriegern kämpften oder ihre Zeit mit einem – wenn auch sehr klugen – Pferd verbrachte, verdienten sein vollstes Mitgefühl.

Wieder schwiegen sie einige Minuten und Legolas nahm sich vor, ihr dieses Mal die Stille zu gönnen, bis sie sie selbst unterbrechen wollte.

„Danke", sagte sie schließlich.

„Danke? Wofür?" Legolas bekam beinahe das Gefühl, er würde den Rest des Tages mit Staunen verbringen. Lórien schien Agarmaethors Verhalten gut zu tun.

„Danke, dass du mich Agarmaethor genannt hast und nicht Silamîriel. Ich empfinde den Namen Silamîriel nicht wirklich als meinen. Ich meine... dir ist inzwischen sicherlich bekannt, dass ich mich ab einem bestimmten Zeitpunkt an nichts mehr erinnern kann, und ich freue mich natürlich darüber, dass ich nun meinen richtigen Namen kenne, aber... er... er ist mir fremd und durch seine Bedeutung... da fühle ich mich mit ihm nicht wirklich gut. Mit dem Namen Agarmaethor fühle ich mich wohler", erklärte sie leise.

„Du meinst, mit diesem Namen fühlst du dich stärker?", hakte Legolas nach. Auch wenn Agarmaethor nicht auf seine Frage reagierte, spürte Legolas, dass er Recht hatte. „Darf ich dich etwas fragen?"

„Könnte ich dich daran hindern?", erwiderte sie und versenkte ihre Hand in dem kühlen Nass des Brunnens, als würde sie sich für eine unverschämte Frage sofort wieder mit einem Wasserschwall rächen wollen. Legolas beobachtete sie. Sie war mehr als fünftausend Jahre alt und doch erschien sie ihm, als wäre sie noch so jung und nicht annähernd so abgeklärt und gleichmütig, wie die anderen alten Elben, die er kannte. Langsam und mit Bedacht formulierte er seine Frage.

„Im Nebelgebirge..., als du in Ohnmacht gefallen bist... was war der Grund dafür? Das war doch nicht wirklich ein Schwächeanfall, oder?"

Legolas sah, wie ihre Augen ihn anblitzten.

„Was glaubst du, was der Grund dafür war?", fragte sie verschlossen.

„Du hattest eine Vision", erwiderte Legolas schlicht. Eigentlich hatte er nicht den Hauch einer Ahnung, wie man eine Vision erkennen könnte, aber er riet einfach ins Blaue hinein.

Fassungslos starrte sie ihn an. „Ja, du hast Recht. Und da ihr alle sowieso bald davon erfahren werdet, kann ich das auch zugeben."

„'ihr alle'?", wiederholte Legolas überrascht. „Deine Vision hat mit unserer Reise zu tun?"

„Nein, nicht wirklich, aber wie der Zufall so spielt, haben wir wohl das selbe Ziel."

„Was zeigte deine Vision?", fragte er, tonlos vor lauter Spannung.

Agarmaethor zögerte zunächst, doch dann erzählte sie: „Die Vision ist zweigeteilt. Zuerst sah ich eine Frau. Sie scheint euer Ziel zu sein – und auch meines. Über sie wirst du noch genug erfahren, wenn der Rat begonnen hat. Doch ich sah auch einen Elben. Er befand sich auf einem Fest in einem Wald. Viele Elben tanzten um einen Baum, welcher mit roten und weißen Blüten geschmückt war. Er selbst sah nur zu. Ich kann dir nicht sagen, um wen es sich handelt."

Legolas lächelte gewinnend. „Zumindest weiß ich, dass es sich um ein Fest im Eryn Lasgalen handelt. Doch kannst du den Elben nicht noch ein wenig genauer beschreiben? Vielleicht kenne ich ihn?"

Agarmaethors Augen funkelten ihn hoffnungsvoll an. So schnell eine Spur zu ihrer zweiten Suche zu finden, lag bisher fern ihrer Erwartungen. Verlegen räusperte sie sich.

„Ich bin nicht gut im Beschreiben von Personen, und ihn kann ich nur als schön, wirklich schön... also ich meine herausstechend schön, bezeichnen – helle, fast silber-blonde Haare, blaue Augen, und er trug eine grüne Tunika."

„Was? Mehr hast du nicht? Blonde Haare und blaue Augen habe auch ich und man sagt mir nach, auch ich wäre sehr schön." Legolas grinste frech.

Vollkommen gelangweilt entgegnete Agarmaethor: „Ja, ja! Du bist auch sehr schön und stichst aus der Menge heraus... wenn man dich mit Orks vergleicht!" Agarmaethors Augen blitzten schmunzelnd auf und ließen Legolas bestätigend grinsen. „Feiert ihr euer Herbstfest denn jedes Jahr?", fragte sie.

„Herbstfest?", fragte Legolas erstaunt.

„Oh! Ich dachte nur..., der blonde Elb trug einen Laubkranz aus roten Blättern und Beeren in seinem Haar", murmelte Agarmaethor fast entschuldigend.

„Wie bitte?", Legolas lachte schallend auf. „Du hattest eine Vision von meinem Vater? Von seiner Krone?"

„Warum lachst du?", fragte sie aufgebracht. „Was ist daran so lustig? Etwa weil ich ihn für schön halte? Wen interessiert das! Er ist gebunden! Seit mindestens achthundert Jahren, wenn ich so auf dich schaue!" Zornig blitzten ihre Augen ihn an.

„Es... es tut mir leid. Nein... es ist überhaupt nicht lustig. Eigentlich ist es eher tragisch. Du hast doch sicher bereits von der Freundlichkeit meines Vaters gehört und ich... war nur so... überrascht." Er dehnte das Wort 'Freundlichkeit' und machte damit deutlich, wie sehr er das Gegenteil meinte. Reumütig blickte er auf den Boden und sein Blick fiel dabei auf den Brunnen.

„Würde du mir vergeben, wenn ich dir das wahre Geheimnis dieses Brunnens erzähle?", fragte er vorsichtig.

Agarmaethor neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn – noch immer mit Zorn in den Augen.

„Lass es auf einen Versuch ankommen!", erwiderte sie kühl.

Legolas lächelte gewinnend. „Sein plätscherndes Wasser spielt eine Melodie. Wenn du genau hinhörst, dann nimmst du es wahr!"

Einen Wasserschwall erwartend setzte sich Agarmaethor vorsichtig auf den Beckenrand und lauschte. Zunächst vernahm sie nur ein leises Rauschen, doch mit sehr viel Konzentration glaubte sie tatsächlich eine Melodie zu hören.

„Du kennst das Lied nicht?", fragte Legolas ungläubig, als er Agarmaethors Gesichtsausdruck beobachtete. „Meine Mutter hat es mir früher oft vorgesungen. Es ist im Eryn Lasgalen sehr bekannt und ich glaubte immer, dass man es auch über dessen Grenzen hinaus kennen würde. Es handelt von der Liebe zu den Bäumen und Blumen. Mein Vater erzählte einmal, er habe es einst aus den Gärten der Ents mitgebracht. Das raschelnde Laub der Blätter im Wind habe es zu ihm getragen, als hätten die Bäume und Blumen selbst es gesungen."

„So!", erwiderte Agarmaethor wieder kühl und verschlossen. „Eine schöne Geschichte! Wir müssen jetzt jedoch zum Rat. Es ist Mittag."

°

°

Gerade noch pünktlich erreichten Legolas und Agarmaethor den Beginn des Rates im ovalen Empfangsraum des Palastes. Mit Ausnahme der fünf lórischen Mitglieder der aus Imladris angereisten Gemeinschaft, welche von Beginn an nur die Begleiter der Gruppe bis Lórien waren, saßen alle in bequemen Sesseln und schauten erwartungsvoll zu Celeborn und Galadriel.

Celeborn erhob sich.

„Vor langer, langer Zeit machten Elben und Menschen einen Fehler – einen Fehler, der so fatal war, dass er noch vor wenigen Monaten Mittelerde und möglicherweise sogar ganz Arda beinahe in die Dunkelheit gestürzt hätte. Uns gelang es trotz der gewonnenen Schlachten mit dem Heer des 'Letzten Bündnisses' nicht, den EINEN RING Saurons, den Herrscherring über alle Ringe der Macht, zu zerstören, obwohl die Gelegenheit dazu bestand."

Aufmerksam lauschten alle der einleitenden Rede Celeborns.

„Doch ein noch viel größerer Fehler war, dass wir den Einfluss der Zeit nicht ausreichend berücksichtigten. Obwohl Saurons Macht bereits im Jahre 1000 des dritten Zeitalters so sehr erstarkte, dass selbst die Valar es für nötig hielten, den Völkern Mittelerdes beratenden Beistand durch die Istari zu entsenden, suchten wir nie ernsthaft nach dem EINEN RING. Wir glaubten daran, er wäre verloren... ließen uns durch Sarumans Lügen täuschen und ignorierten dabei die wachsende und drohende Gefahr. Die dunkle Macht wohnte direkt vor unseren Augen in Dol Guldur und doch vergingen 1000 Jahre, bis sie zum ersten Mal vertrieben wurde. Doch wir achteten nicht ausreichend auf die Brutstätte dunkler Mächte und so nistete sie sich erneut dort ein und wieder verging eine sehr lange Zeit, bis es uns vor wenigen Monaten gelang, dessen Mauern endgültig nieder zu reißen. Während der gesamten Zeit glaubten wir, wir müssten nicht eilen... hätten genug andere Möglichkeiten, der Gefahr auf anderen Wegen zu begegnen, denn solange wir den Ring verloren glaubten, fürchteten wir Sauron nicht genug."

Mit einem warnenden und sehr ernsten Blick fuhr Celeborn fort.

„Eine solcher Fehler darf uns nicht noch einmal unterlaufen. Es gibt bereits neue Anzeichen für das Wachsen einer dunklen Bedrohung. Ihr alle habt einige davon bereits gesehen – die Fledermausschwärme am Himmel, Ork-Aktivitäten im Nebelgebirge und das Erscheinen von Kreaturen, die ihr Ork-Elben genannt habt. Doch das alles war es nicht, was uns auf die Gefahr aufmerksam machte. Als wir vor einigen Monaten vor den Mauern von Dol Guldur kämpften und diese noch nicht niedergerissen waren, beobachteten wir scheinbar organisierte Flüge von Fledermäusen einer uns bisher unbekannten Art. Zunächst war uns deren Bedeutung nicht bewusst, doch je länger wir sie beobachteten, desto offensichtlicher wurde, dass diese Fledermäuse Nachrichten transportierten – Richtung Nebelgebirge und Richtung Osten. Mordor jedoch liegt zu weit im Süden, als dass es Ziel dieser Kreaturen hätte sein können und so schöpften wir Verdacht."

Galadriel erhob sich ebenfalls und löste ihren Gemahl ab.

„Auf diesen Verdacht hin befragte ich meinen Spiegel und er zeigte mir ein Gesicht – ein Gesicht, dem ich einen Namen zuzuordnen wusste – Thuringwethil – die Frau vom geheimen Schatten."

Einige Elben im Raum hielten vor Überraschung die Luft an und starrten entsetzt zu Galadriel. Gimli rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.

„Verzeiht, Herrin, wenn ich frage...", Gimli räusperte sich verlegen, „doch mir ist der Name Thuringwethil nicht so geläufig wie vermutlich den Elben hier, und ich kenne ihre Geschichte nicht. Würde dies bitte jemand für mich erläutern? Warum halten einige hier die Luft an?"

Galadriel lächelte mild und verständnisvoll.

„Die Bitte um Verzeihung ist nicht notwendig, Gimli Glóinssohn. Thuringwethils letztes bekanntes Erscheinen liegt schon viele tausend Jahre zurück und jeder vermutete, sie sei damals vernichtet worden. Ihre damalige Existenz schien bisher bedeutungslos. In Gestalt einer großen Fledermaus mit eisernen Krallen wurde sie als Botin zwischen Morgoth's Angband und Saurons Sitz Tol-in-Gaurhoth eingesetzt - zwei Orten, die während des Untergangs von Beleriand vom Meer verschlungen wurden. Niemand maß Thuringwethil bisher größere Bedeutung und es war auch nicht bekannt, dass sie heute in Gestalt einer Menschenfrau in Mittelerde wandelt."

„Verzeiht trotzdem noch einmal, Herrin, doch wie kann eine Fledermaus in Menschengestalt in Mittelerde wandeln?", hakte Gimli noch einmal nach und bemerkte dabei zu seiner Erleichterung, dass diese Frage nicht nur ihn beschäftigte.

Celeborn wandte sich an Gimli und fuhr erklärend fort:

„Einst liebte der Mensch Beren die schönste Elbenfrau, die jemals in Mittelerde wandelte – Lúthien. Lúthiens Vater Thingol mochte den Gedanken nicht, dass ein einfacher Mensch eine Verbindung mit Lúthien eingehen wollte und so stellte er Beren die Bedingung, er möge vorher einen Silmaril aus der Eisernen Krone Morgoth's brechen und ihm diesen bringen. Beren jedoch geriet dabei in Gefangenschaft und saß in den Verliesen von Tol-in-Gaurhoth.

Lúthien entfloh dem Einfluss ihres Vaters und machte sich auf den Weg, um Beren zu befreien. Gemeinsam mit Huan, dem einstigen Jagdhund Oromës, erreichte sie Tol-in-Gaurhoth und begann dort zu singen. Ihr Gesang erschütterte die Grundfeste des Turmes und rief Sauron zum Kampf heraus, denn die dunklen Kreaturen konnten die Schönheit und Magie ihrer Stimme nicht ertragen. Sie litten darunter und auch Thuringwethil verkraftete dies nicht. Indem sie sich ihr Fledermausfell vom Leibe riss, gelang es ihr, in Gestalt einer Menschenfrau dem Turm und somit auch Lúthiens Gesang zu entfliehen. Doch eben dieses war uns neu, denn bisher hieß es nur, Huan habe das Fell an sich genommen und Lúthien gebracht, welche in Gestalt der Fledermaus nach Angband flog. Was genau aus Thuringwethil geworden war, war bisher unbekannt."

Galadriel erhob erneut das Wort.

„Wie es scheint, hat Thuringwethil bis heute überlebt, denn in mein Spiegel zeigte mir eine erschreckende Begebenheit mit einer Verbindung zum hier und jetzt – den Ork-Elben."

Ausführlich berichtete Galadriel von den Bildern der blühenden Landschaften, die in einem Krieg verglühten, von Thuringwethil, welche gemeinsam mit den Ork-Elben lächelnd das grausame Schauspiel beobachtete und von den Menschen, denen ein Schwert im Bauch nichts anhaben konnte.

Bis auf Agarmaethor saßen alle der Gemeinschaft mit geweiteten Augen in ihren Sesseln. Galadriel und Celeborn ließen ihnen die Zeit, die soeben gehörten Neuigkeiten zu durchdenken.

„Untote Menschen?", flüsterte Uiwador schließlich. „Die gegen Elben kämpfen?"

„Nicht untot! Unsterblich!", sagte Galadriel ernst.

„Oh Elbereth!", stöhnte Maethrim. „Eru sei Dank, haben wir noch viel Zeit, um diese Gefahr zu beseitigen, denn ehe Mordor wieder erblüht, müssen noch tausende von Jahren vergehen!"

„Was redest du da?", fragte Elladan aufgebracht. „Bist du der einleitenden Rede nicht gefolgt? Wir dürfen nicht noch einmal so lange warten, bis es fast zu spät ist. Wir müssen die Wurzel allen Übels anpacken, wenn Gelegenheit dazu besteht!"

„Gelegenheit? Was denn für eine Gelegenheit? Wurde denn bisher gesagt, wo wir sie finden und was wir genau tun sollen? Genügt es, Thuringwethil zu vernichten?"

„Niemand wird hier vernichtet!", sagte Agarmaethor laut und kalt. Ihre Augen blitzten die Anwesenden böse an. „Niemand wird vernichtet, solange ich keine Gelegenheit hatte, mit Thuringwethil zu sprechen und meine eigenen Angelegenheiten zu regeln!"

„Dir liegt das Schicksal Mittelerdes aber sehr am Herzen!", erwiderte Maethrim kühl.

Agarmaethor neigte ihren Kopf und musterte ihn beinahe feindselig. „Wenn es nicht so wäre, hätte ich nicht Jahrtausende damit verbracht, gegen Orks und anderes Gezücht zu kämpfen. Doch ich habe ebenso lange damit verbracht, nach einer Spur zu suchen, die mich zu meiner Vergangenheit führt. Jetzt habe ich diese möglicherweise gefunden und ich werde sie nicht deshalb ungenutzt lassen, weil ihr nur darauf aus seid, Thuringwethil zu töten!"

Maethrim hob seine Stimme und erwiderte zynisch: „Ja, du hast Recht! Vermutlich ist es gar nicht nötig, sie zu töten – es wird reichen, ihr ein schönes Lied vorzusingen!"

„Es ist eure Aufgabe, alles zu tun, was notwendig ist, um diese Zukunft zu verhindern. Und wenn dafür die Vernichtung Thuringwethils erforderlich ist, dann gehört auch dies zu eurer Aufgabe. Doch fürchte ich, dass ein Lied am Ende des Geschehens keinen Beitrag leisten wird, denn wir kennen die gesamten Hintergründe nicht - möglicherweise ist Thuringwethil nur ein kleiner Bestandteil einer Begebenheit ganz anderer Art und möglicherweise ist sie auch nur ein Bindeglied zu anderen Personen, die die Entwicklung Mittelerdes viel eher bestimmen können, als Thuringwethil dazu in der Lage wäre. Sie ist nicht mächtig. Sie war nur eine Botin zwischen Sauron und Morgoth und ich traue ihr weder die Fähigkeit zu, Ork-Elben zu erschaffen noch Menschen unsterblich zu machen. Das dürfen wir nicht vergessen!", schlichtete Galadriel und ihre weiche, tiefe Stimme beruhigte einige erhitzte Gemüter. „Und wenn die Gelegenheit besteht, Thuringwethil zu Silamîriels Vergangenheit zu befragen, dann sollte diese nicht ungenutzt vergehen."

„Wenn auch du Thuringwethil suchst, bedeutet das wohl, dass du uns begleiten wirst?", fragte Uiwador Agarmaethor vorsichtig.

„Nein. Das bedeutet, dass ich euch gestatte, MICH zu begleiten, denn ohne mich werdet ihr sie nicht finden. Ihr habt keine Spur von ihr oder ihrem Aufenthaltsort – doch mir wurde eine Vision geschenkt, die mir den Weg weisen soll."

„Eine Vision? Was für eine Vision? Ich kann mich nicht erinnern, dass du früher empfänglich warst für derartige Dinge. Warum bekommst du JETZT eine Vision?", fragte Amlugûr skeptisch.

Agarmaethor zuckte mit den Schultern und sprach Amlugûr direkt an: „Ich vermute, die Valar hatten Erbarmen mit mir oder wurden von jemandem, der mich von früher kannte, gebeten, mir eine Richtung zu weisen! Ich werde Irmo danken, wenn ich meinen Fuß auf den Boden von Valinor setze."

„Und du solltest MIR danken, dass du überhaupt noch Gelegenheit hast, deiner Vision folgen zu können, denn ohne mich wärst du jetzt bereits in Valinor, um Irmo dafür zu danken, dass er dir die Vision gerade auf der Flucht vor fast 150 Uruk-hai geschickt hat!", murmelte Legolas.

Mit funkelnden Augen wandte sich Agarmaethor zu ihm und wollte etwas erwidern, doch Aneru lenkte sie ab.

„Und was zeigt deine Vision?", fragte dieser. „Wo ist sie?"

„Ich sah Thuringwethil in einer großen Höhle", erwiderte Agarmaethor knapp.

„Fein! Dann werden wir nun alle Höhlen in Mittelerde durchsuchen müssen!", murmelte Mithlondion spöttisch. „Ein großartiger Wegweiser ist deine Vision."

Schweigend starrten alle auf den Boden. Nur Galadriel und Celeborn setzten sich gelassen wieder in ihre Sessel und beobachteten die Gemeinschaft.

„Nun... ich wüsste eine Höhle, in welcher wir mit der Suche beginnen könnten!", sagte Legolas schließlich. „In der meines Vaters – in Thranduils Höhlen!"

Galadriel lächelte sanft und nickte Legolas wohlwollend zu.

„Warum sollten wir in die Höhlen deines Vaters? Beherbergt er dort etwa Thuringwethil?", fragte Amlugûr spöttisch.

Legolas kniff die Augenbrauen zusammen und erwiderte ärgerlich. „Wohl kaum! Doch Agarmaethors Vision enthielt auch ein Bild meines Vaters und wenn wir die Höhle mit Thuringwethil nicht finden können, warum sollten wir nicht dem folgen, was wir an Spuren haben? Möglicherweise führt uns der Weg zu ihm nicht weiter, oder er führt nur zu einer weiteren Quelle von Agarmaethors Erinnerungen, doch ich sehe auch die Möglichkeit, dass das Bild von ihm ein Schritt in die Richtung zu Thuringwethil ist. Vielleicht folgen weitere Visionen mit weiteren Zwischenschritten! Ich gebe zu, das ist nur ein Vorschlag von mir, doch ich denke, er ist nicht von der Hand zu weisen! Wenn du jedoch zunächst nach Moria möchtest, tue dir keinen Zwang an!"

Amlugûr erhob sich von seinem Sitzplatz und sah Legolas böse an.

„Woher kennst du Agarmaethors Vision? Hat sie dir davon berichtet, bevor wir alle überhaupt vom Vorhandensein einer solchen Vision wussten?", fragte er scharf.

Bestärkt durch Galadriels Lächeln und seine Erinnerungen an sein Gespräch mit ihr, stellte auch Legolas sich aufrecht vor Amlugûr und erwiderte kühl und gelassen: „Warum sollte sie es mir nicht erzählen? Schließlich haben Gimli und ich ihr im Nebelgebirge geholfen und sie nicht liegengelassen, und schließlich waren wir es, die sie vor allen Gefahren beschützt haben, vor ALLEN – auch vor denen, die nicht mit den Uruks, sondern ihrer Vision zusammenhingen!"

Agarmaethor schaute Legolas befremdlich an. Wovon redete er gerade? Was für Gefahren? Warum stritten die beiden sich eigentlich gerade? Und außerdem... sie hatte es doch Legolas erzählt, weil er danach gefragt hatte und er es ohnehin bald erfahren hätte. Sie schüttelte den Kopf und holte Luft, um etwas zu sagen, doch Talfbenn kam ihr zuvor.

„Werden wir denn im Eryn Lasgalen überhaupt willkommen sein?", fragte er. „Man hört so vieles über König Thranduil!"

Legolas ließ Amlugûr einfach stehen, wandte sich an Talfbenn und sagte sehr ernst: „Willkommen? Wohl kaum! Man wird euch geduldig und möglicherweise auch höflich aufnehmen und mit Freuden wird man euch wieder gehen sehen. Mein Volk ist niemandem, außer den dunklen Mächten, feindlich gesinnt, doch wie auch die Herren Lóriens wissen, ist mein Volk lieber für sich allein. Es mag keine Störung und duldet keine Einmischung in seine Angelegenheiten. Handel – ja, aber nur bis an die Grenzen unseres Reiches."

„Das hat mein Vater vor mehr als sechzig Jahren am eigenen Leib erleben müssen!", brummte Gimli bestätigend. „Dunkle, feuchte Zellen! Und nur wegen einiger aufgescheuchter Spinnen und eines gestörten Festes!"

„Thranduil ist tatsächlich nicht bekannt für seine Gastfreundschaft, aber er wird offenen Hass allen gegenüber zeigen, die seinem Sohn nicht den gebührenden Respekt entgegen bringen", fügte Galadriel hinzu und blickte Amlugûr freundlich an.

Auch Legolas wandte sich wieder Amlugûr zu. „Du darfst nicht glauben, dass alle Elben meines Volkes so umgänglich sind, wie ich es bin. Eigentlich ist es sehr schwierig, mit einem Elben aus dem Eryn Lasgalen in einen freundlichen Kontakt zu treten, geschweige denn, mit ihm befreundet zu sein - es sei denn, man gehört selbst zum Volke Thranduils."

Agarmaethors Augen weiteten sich. Auch sie hatte schon viel von der Unfreundlichkeit und Härte Thranduils gehört und Legolas hatte dies bereits im Garten bestätigt.

„Glaubst du denn, dass er mir oder vielleicht auch uns Hilfe leisten wird? Ich meine außer einer kurzen Beherbergung? Würde er meine Fragen überhaupt beantworten wollen?"

Angespannt erwartete sie Legolas' Antwort. Es konnte doch schließlich nicht sein, dass ihre Vision zu einer Person führte, die sie nicht zumindest etwas weiterführte?"

Legolas hob nachdenklich eine Augenbraue. „Mein Vater hält es da wohl eher ein wenig wie Thingol, der Lúthien nur für den Silmaril hergeben wollte: Gib du mir etwas und ich gebe dir auch etwas! Aber selbst dieses Entgegenkommen behält er sich für Personen vor, die ihm zumindest etwas angenehm erscheinen – was auch immer dies bei ihm bedeuten mag." Legolas wandte sich wieder zur Gemeinschaft. „Wenn wir uns jetzt entscheiden, zunächst Thranduil aufzusuchen, weil wir hoffen, dass es von ihm aus einen Hinweis auf Thuringwethil gibt, dann erwarte ich, dass sich sich mit Betreten des Eryn Lasgalen alle nach mir richten und meinen Anweisungen folgen."

Die Mitglieder der Gemeinschaft schauten sich gegenseitig fragend an. Die Aussicht, in den Eryn Lasgalen und zu dessen König zu gehen war nicht sehr angenehm.

„Natürlich gehen wir zunächst zu König Thranduil! ICH jedenfalls werde dies tun und ihr dürft mir gerne folgen!", sagte Agarmaethor laut und bestimmt. „Wohin sollte ich auch sonst gehen? Selbst ich bin nicht erpicht darauf, blind und möglicherweise vollkommen umsonst, alle Gebirge Mittelerdes abzusuchen!"

Sie erhob sich wie zur Bestätigung, dass es keine Alternative gäbe, und mit ihr erhoben sich auch Celeborn und Galadriel aus ihren Sesseln.

„So sei es!", sagte Galadriel. „Die Zeit drängt zwar nicht und noch scheint mir die Gefahr wie eine kleine dunkle Wolke am Horizont zu sein, doch sollten tatsächlich noch mehr Visionen folgen, die den Weg weisen, dann seid gewiss, dass diese viel Kraft kosten und jeder unnötige Aufenthalt nur schädlich für Silamîriel ist. Allein aus diesem Grunde solltet ihr hier so bald wie nur möglich aufbrechen!"

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Bevor Fragen oder Kommentare kommen... NEIN! Sie wird am Ende nicht Thuringwethil besingen und damit die Welt retten. (g)

Re-Reviews

Melethil: Es freut mich, dass dir das Kap so gut gefallen hat. Die Bedeutung des Namens Grünblatt im Verbindung mit dem Wald war meine Idee. Ich habe mir das mal irgendwann so überlegt und sollte es doch von jemanden anderes so veröffentlicht worden sein, dann ist das Zufall. (grins), aber ich hatte mir gedacht, dass Tolkien wohl keine Namen bedeutungslos vergeben hätte.

Melethil zu Mondzauber: Ich weiß nicht, aber ich ahne, dass du die gleiche Melethil bist, die bei ff.de für „Mondzauber – Ithil schlichtet" gereviewt hat. Falls dem so ist, wollte ich hier auch ein Re-Review für dich schreiben. (g). Ich wollte nämlich mal anmerken, dass ich kein Drama verfasse! (Mehr verrate ich jetzt aber über das Ende nicht... ich bin übrigens prinzipiell auch Happy-End-süchtig und lese deshalb SEHR SELTEN Dramen).

Amilang zu Kapitel 10: (lol) Ja, die Sache mit Haunar war witzig gemeint und es freut mich, dass du lachen konntest. Ich habe öfter mal etwas Witz hineingetan. Das lockert ungemein auf, finde ich. Deshalb ist es ja trotzdem noch keine Comedy (die ich übrignes SEHR GERNE lese). Dass der zweite Teil holprig ist, tut mir leid – war natürlich keine Absicht. Aber ich weiß da jetzt auch nicht, wie ich das noch ändern soll.

Amilang zu Kapitel 13: Danke, für dein Lob. Ich denke, Celeborn wäre da nicht wirklich erzürnt darüber. Er ist ein alter, gelassener Elb und die sind schwer aus der Ruhe zu bringen. Vor allem bin ich davon überzeugt, dass diese ganz weisen und alten Elben immer großes Verständnis für die jungen und unerfahrenen Elben und Menschen haben. (hoff).

Zita zu Kapitel 6-12: Wow, als ich das gesehen habe, war ich erstmal ganz baff! (knuddel). Mehr kann ich auf Anhieb so gar nicht sagen. Ist ja auch ne ganze Menge, auf das ich einzugehen hätte. (grins und hoff auf dein Verständnis)