Hallo, ihr Lieben!

Ich weiß, das Kapitel ist kurz und es tut mir auch ehrlich leid, weil es dieses Mal nicht für die ganzen ADDs reicht, aber ich werde es nachholen! Versprochen!

Viel Spaß mit dem neuen Kap!

Vypox, der Kampfzwerg

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Entwicklungen

Alatar und Pallando zählten die Wochen und Monate nicht mehr, die bereits seit Beginn ihrer Wanderung in den Osten vergangen waren. Es wunderte sie nicht, dass die Elben einst Jahre benötigten, um von Cuiviénen in den Westen Mittelerdes zu gelangen. Der Weg war nicht schwierig zu bewältigen, doch die endlos erscheinende eintönige Einöde nagte an ihrer Ausdauer.

Sie trafen auf einige wenige kleinere Städte, etliche Siedlungen und unzählige Dörfer, und je öfter sie Menschen begegneten, desto schockierter waren sie, denn die Menschen schienen nur für sich zu leben und zu arbeiten, für ihre Familien und gelegentlich auch für ihre Dörfer oder Siedlungen – doch kein Fürst oder König einte die verstreuten Bewohner der östlichen Lande, und somit fehlte auch jeglicher Zusammenhalt zwischen ihnen. Das einzige, das sie alle miteinander verband, war der Neid, denn die Berichte über den Reichtum des Westens wanderten wie Legenden von Mund zu Mund und steigerten Eifersucht und Hass auf die reichen Völker des Westens.

Pallando beobachtete diesen Neid mit Furcht, denn eben dieses Gefühl war es, das ihnen die Ausführung ihres Auftrages zunehmend erschweren würde und so suchte er den Kontakt mit den Menschen, um ihre Bedürfnisse und Nöte zu erfahren und den Neid und die Missgunst durch Hilfe und Rat zu bekämpfen

Alatar lagen die Menschen nicht so am Herzen. Je öfter er auf Menschen des Ostens traf, die sich durch ihren kleinen, stämmigen Wuchs, ihre gelbliche Haut und ihre durchweg schwarzen Haare stark von denen des Westens unterschieden, desto mehr hielt Alatar sie für Spielzeuge Saurons, die allein durch Geld und Gold manipulierbar waren. Vernunft und Verstand sprach er ihnen nicht zu und verwies immer wieder auf ihre niedere Kultur.

Er verurteilte sie und bezeichnete sie abfällig als „Ostlinge", ein Name, von dem sowohl Pallando als auch Alatar wussten, dass die Menschen den Schimpf darin nicht erkennen würden, doch dieser Name diente nicht allein einer Herkunftsbestimmung.

Ostlinge waren einst die Stämme der Menschen, die Beleriand nach der „Schlacht des jähen Feuers" im ersten Zeitalter der Sonne betraten, dort für Morgoth kämpften und später in der „Schlacht der tausend Tränen" durch ihren Verrat eine große Rolle spielten. Und ebendiese Stämme waren es, die während der „Großen Schlacht" am Ende des ersten Zeitalters vollständig vernichtet wurden. Keiner von ihnen existierte mehr.

Doch Alatar brachte diesen Begriff aus dem Westen mit und nutzte ihn zu Pallandos Unmut unentwegt. Pallando empfand Mitleid mit den Bewohnern des Westens, die seit nunmehr fünfhundert Jahren immer wieder von Überfällen und Raubzügen einiger Menschen aus dem Osten heimgesucht wurden und denen außer ihrer Wehrhaftigkeit nichts verblieben war, als darüber zu trauern und die Menschen des Ostens zu beschimpfen. Er hatte kein Verständnis für Alatars Verhalten, welches er als überheblich empfand. Es war ihre Aufgabe, Kontakte zu den Menschen aufzubauen und nicht sie zu beurteilen oder gar zu verachten.

Für Alatars Verhalten mochte ausschlaggebend sein, dass er nur sehr selten in den Genuss eines guten Bratens, einer ansprechenden Unterhaltung oder von Pfeifenkraut und Alkohol in angenehmer Umgebung kam. Doch unter den Barbaren des Ostens, wie Alatar sie auch gelegentlich zu nennen pflegte, waren solche Annehmlichkeiten nur sehr selten zu finden, und je tiefer sie gen Osten strebten, desto unglücklicher wurde Alatar.

Auch Pallando empfand Sehnsüchte, die er nicht genau definieren konnte, doch im Gegensatz zu Alatar war er sich sicher, dass seine bedeutungsvollste Entscheidung war, den Weg Richtung Osten einzuschlagen, und sie schien ihm richtig. So war er es, der sich und Alatar weiter trieb, der nicht aufgeben wollte und mit seiner Energie Alatar mit sich zog – Tag für Tag.

Auch an jenem Frühlingsabend schritt er eifrig voran. Ein kühler und erfrischender Wind blies den süßen Duft junger Blüten über die sonst so karge Ebene, welche einen Hauch von Erinnerungen weckten. Schweigend und verträumt setzte er einen Fuß vor den anderen und bemerke erst sehr spät einen gewaltigen Felsen am Horizont.

„Sieh mal, da vorne! Der Felsen sieht aus, als habe man ein halbes Radieschen auf eine Scheibe Butterbrot gelegt." Er erregte Alatars Aufmerksamkeit, welcher die letzten Stunden damit verbracht hatte, auf den Boden zu starren und sich zu langweilen.

Tatsächlich glühte der Felsen rot in der Abendsonne. Seine scharfen Umrisse zeichneten sich deutlich von der restlichen Umgebung ab, und mit viel Phantasie konnte man ihn auch für ganz andere Nahrungsmittel halten.

„Wir haben uns nur drei Tage bei den Halblingen aufgehalten und doch übernimmst du ihre Sprechweise", murmelte Alatar hungrig. Der Vergleich mit dem Radieschen hatte seinen Appetit geweckt. „Und womit würdest du die seltsame dunkle Wolke über dem Felsen vergleichen?"

Pallando kniff die Augen zusammen, um die Wolke besser sehen zu können. „Geflügelbeilage", sagte er schließlich und grinste, als er Alatars gierige Augen sah.

Eigentlich war die Wolke viel zu weit entfernt, um sich überhaupt sicher sein zu können, dass auch nur ein Vogel darunter war, doch Pallando vermutete es, denn eines konnte er erkennen – die Form änderte sich unentwegt, obwohl die Wolke an einer Stelle stand und vom Wind nicht davon geweht wurde. Es konnte sich nur um Vögel handeln, und innerlich fühlte er sich sehr wohl bei diesem Gedanken, denn Vögel in solchen Schwärmen umlauerten oft Felder und Äcker, damit sie die frische Saat rauben konnten. Vielleicht gab es dort eine kleine Siedlung? Doch bis zum nächsten Abend würde er sich noch gedulden müssen. Der Felsen war zu weit entfernt, um ihn noch vor der Dunkelheit zu erreichen.

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging bemerkten die beiden Wanderer eine kleine schwarze Rauchsäule - zuviel Rauch für ein Lagerfeuer und zuwenig für einen größeren Brand. Was auch immer deren Ursache war, sie befand sich jedenfalls direkt vor dem Felsmassiv. Ein konkretes Ziel vor Augen beschleunigten sie ihre Schritte und erreichten bereits am späten Nachmittag einen kleinen Wald, aus dessen Inneren die letzten Reste des Rauches emporstiegen.

Noch bevor sie den Wald betraten nahm Alatar sein Schwert in die Hand. Wenn nicht gerade Alkohol seinen Körper beherrschte, besaß er einen für Pallando schier unbeschreiblichen Instinkt für Gefahren. Vorsichtig betrat Alatar den Wald und spähte. Pallando folgte ihm. Er selbst nahm seinen Wanderstab fest in beide Händen und fühlte sich bereit, diesen im Kampf einzusetzen. Aufmerksam beobachtete auch er die hohen Farne und Sträucher, doch seine Aufmerksamkeit wurde von dem Schrei eines Vogels abgelenkt, welcher sich plötzlich in die Höhe schwang und seine Kreise über den beiden zog. Eine Krähe.

Besorgnis überkam ihn, denn wo es Krähen gab, gab es oftmals totes Fleisch. Pallando versuchte seine Erinnerungen an geplünderte Dörfer und Siedlungen zu verdrängen... An die Leichname der Frauen und Kinder, die angezündeten Scheunen und abgeschlachteten Schweine und Rinder. Die Menschen hier im Osten überfielen nicht nur die Menschen im Westen, sie raubten und mordeten auch unter ihresgleichen, wenn sie sich in den Siedlungen und Dörfern Nahrung und Kleidung erhofften und die Siedlungen von außen den Eindruck machten, als gehe es den Menschen gut... Als hätten sie es nicht nötig, sich den plündernden Horden anzuschließen.

Langsam schritten Pallando und Alatar zwischen den Bäumen auf die Rauchsäule zu. Alatar war noch immer angespannt und Pallando beobachtete, wie dieser seine gesamte Aufmerksamkeit auf einen etwa zwanzig Fuß entfernten Strauch richtete. Pallando selbst konnte dort nichts erkennen. Als die Krähe noch einmal laut aufkreischte und verschwand, brachen zwei vollständig bewaffnete und mit guten Rüstungen ausgestattete Männer hervor, deren Angst einflößendes Geschrei Pallando einen Schauer über den Rücken jagte.

Die Männer beließen es nicht bei ihren markerschütternden Schreien und stürzten mit ihren Schwerten auf Alatar, der direkt vor ihnen stand, doch dieser überlegte nicht lange. Er richtete seinen Stab auf die Angreifer und noch bevor der erste ihn erreicht hatte flog dieser in einem hohen Bogen durch die Luft und krachte mit dem Kopf gegen einen Baumstamm. Der zweite blieb entsetzt stehen, starrte Alatar mit von Todesangst erfüllten Augen an, drehte sich um und suchte sein Glück in der Flucht. Alatar lachte ihm genüsslich hinterher.

„So ein Feigling!", murmelte er dann.

„Du hast den anderen getötet", sagte Pallando vorwurfsvoll, nachdem er dessen Körper untersucht hatte.

„Ich habe es nicht bezweckt, doch ich bereue es auch nicht", erwiderte Alatar kühl und schaute wieder auf die sich allmählich ausdünnende Rauchsäule. „Er hat uns angegriffen. Damit hat er es verdient. Verdorbenes Pack!", fügte er hart hinzu und näherte sich gemessenen Schrittes dem Ursprung des schwarzen Rauches.

Pallando eilte ihm hinterher, nicht ohne einen bedauernden Blick auf den unbegrabenen Leichnam des Mannes zu werfen. Einige hundert Schritte vor dem hohen Felsmassiv endete der Wald und dahinter erstreckte sich eine sehr kleine und saubere Siedlung, bestehend aus einem Wohnhaus aus Stein, einem bis auf die Grundmauern abgebrannten Vorratslager sowie einer Scheune und einem Stall mit einer Warenkutsche davor.

Ohne sich um eventuelle Gefahren zu kümmern, lief Alatar auf die Scheune zu und durchsuchte sie gründlich.

„Schau dir das an, Pallando!", rief Alatar aus dem Inneren der Scheune. „Das alles wurde brutal vernichtet, und wer wird wohl dafür verantwortlich sein?" Zynismus schwang in seiner Stimme. „Hast du Gegenstände solch schöner Art bereits einmal hier im Osten gesehen? Die Menschen hier haben weder Phantasie noch Willen, sich mit Kunst zu befassen – und sie haben auch keinen Respekt davor, derartige Fertigkeiten anderer zu schätzen. Bisher sah ich nur Dreck, Krankheit und Widerwärtigkeit." Angeekelt von seinen Gedanken und Erinnerungen wandte er sich ab.

Pallando folgte dem Ruf und fand Alatar über einige zerstörte oder stark beschädigte elbische Vasen und Schmuckstücke aus dem Westen sowie zwergische Helme und kunstvoll geschmiedete Gürtelschnallen, Werkzeuge und Rüstungsteile gebeugt.

„Was redest du da? Wenn sich die Menschen im Osten nicht für Kunst interessieren würden, gäbe es dies alles hier gar nicht. Wenn ich auf die Wagen vor der Scheune schließe, lebten hier Händler und gäbe es keine Abnehmer für die Waren, würde sich ein Handel nicht lohnen. Und sieh dich um! Hier ist es sauber und ordentlich."

Alatar schaute sich tatsächlich um. „Und? Was bringt es den Menschen hier? Haben nicht gerade zwei Räuber diese Ansiedlung verlassen? Hast du nicht die abgebrannten Häuser und Siedlungen auf unserem Weg über die Ebenen gesehen? Dort lebten auch einst saubere und ordentliche Menschen – vielleicht. Jetzt sind sie tot und die Verdorbenheit der anderen nimmt Überhand. Schon bald wird es im Osten keine guten Menschen mehr geben. Sie werden vernichtet – durch ihr eigenes Volk."

„Und unsere Aufgabe ist es, dies zu verhindern. Wir müssen den Menschen hier helfen!"

„Ich fürchte, es ist zu spät", murmelte Alatar. „Bis wir soweit sind, wirklich etwas zu unternehmen..."

Er beendete seinen Satz nicht, denn er wusste, dass Pallando ihn verstand. Schweigend verließ er die Scheune und strebte auf den Stall zu, vor dessen Eingang ein zotteliger Hund in einer großen Blutlache lag. Pallando hatte ihn vorher nicht bemerkt und großes Mitgefühl ergriff ihn, als der Hund ihn mit großen bettelnden Augen anwinselte. Vorsichtig, um dem Tier keine Schmerzen zuzufügen, streichelte Pallando sein Fell und untersuchte dabei eine klaffende Wunde an dessen Bauch. Er glaubte jedoch nicht, dem Hund noch helfen zu können - der Blutverlust war zu groß. Trotzdem suchte er einige Kräuter hervor und kümmerte sich um das schwache Tier.

Alatar warf ihm einen verstehenden Blick zu und betrat vorsichtig den Stall. Ein leises Geräusch weckte seine Aufmerksamkeit und so durchquerte er den Hauptgang des Stalles langsam und lautlos. Schritt für Schritt näherte sich Alatar dem letzten Verschlag an der Rückwand. Mit einem kurzen, heftigen Stoß öffnete er dessen Tür und stieß einen Schreckenslaut aus.

Pallando ließ den Hund liegen und eilte zu dem erstarrten Alatar, um selbst einen Blick in den Verschlag zu werfen. Was er erblickte, ließ auch ihn innehalten. Auf der Erde lagen zwei alte Menschen. Ihre Gesichter waren dem Boden zugewandt und ihre Hände an die Gitterstäbe einer Futterkrippe gebunden. Blutige Striemen verliefen quer über ihre Rücken und Fliegen setzten sich bereits auf die Wunden. Ein unangenehmer Geruch lag in der Luft.

Alatar löste sich zuerst aus seiner Starre, beugte sich herunter und durchschnitt mit seinem Messer die Handfesseln. Vorsichtig drehte er die erste Person um und blickte in das Gesicht einer alten Frau mit weißem, strähnigen Haar, welches blutig an ihrer Stirn klebte. Obwohl ihre offenen Augen von unendlichen Qualen berichteten und ihr Gesicht die roten und blauen Flecken des Todes aufwies, wirkten ihre Gesichtszüge freundlich und sanft und spiegelten damit die Gutmütigkeit und Herzlichkeit dieser Frau wider.

Behutsam schloss Alatar die Augen der Toten und warf eine Pferdedecke über ihren Körper bevor er sich der zweiten Person zuwandte und diese umdrehte. Der panische Blick eines vollkommen eingeschüchterten Mannes trafen ihn. Die Angst hinderte diesen zu stöhnen oder gar zu sprechen. Alatar öffnete eine Trinkflasche an seinem Gürtel, benetzte die Lippen des Mannes und tätschelte mit seiner Hand die Hand des Alten. Beruhigende und fürsorgliche Worte verließen Alatars Lippen und erreichten den Alten und dieser beruhigte sich zunehmend.

„Was ist geschehen?", fragte Alatar leise und weich, während er dem Alten noch mehr Wasser einflößte. Pallando wühlte indessen in seiner Tasche und suchte noch mehr Kräuter heraus, um die üblen Verletzungen behandeln zu können, doch wie auch dem Hund räumte er dem Mann nicht viel Hoffnung ein.

„Wegen der Zwerge...", hauchte der Alte. „Sie kamen eigentlich wegen der Zwerge..." Der Blick des schwer Verletzten verdunkelte sich plötzlich und verlieh dem anschließenden Aufblitzen seiner Augen noch mehr Ausdruck. Er ballte seine Fäuste so sehr, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Verrat!", krächzte er wütend und begann zu weinen. „Lútholwen!"

„Lútholwen?", hakte Alatar nach.

Der Mann nickte, doch sein Blick brach, bevor er noch mehr Auskunft geben konnte. Alatar schloss auch seine Augen und wickelte ihn in eine Decke.

„Lútholwen ist Sindarin und heißt soviel wie „bezaubernde Frau". Ich weiß nur nicht, was er damit sagen wollte", murmelte Pallando.

„Vielleicht gibt es hier einen magisch begabten Menschen?", fragte Alatar ungläubig.

Pallando zuckte mit den Schultern. „Warum verwendet er dann ein elbisches Wort? Ich glaube eher, es handelt sich um einen Namen, vielleicht um eine Elbenfrau! Wir sollten zusehen, dass wir etwas mehr herausfinden... vielleicht im Haus", schlug er vor.

Alatar nickte. Gemeinsam trugen sie die leblosen Körper der beiden Alten aus dem Stall und betteten sie ins Gras.

„Ist dir das aufgefallen?", fragte Alatar dabei. „Diese Menschen hier waren keine Ostlinge. Sie stammten aus dem Westen – sie sahen jedenfalls so aus!"

„Ist das der Grund, warum du dich so um den Alten gesorgt hast?", fragte Pallando leise, erhielt jedoch keine Erwiderung.

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Früh am Morgen brach die Gemeinschaft auf. Die Vögel waren soeben erst erwacht, als die inzwischen um die fünf lórischen Krieger verkleinerte Gemeinschaft durch das große Tor in südöstlicher Richtung durch den lórischen Wald schritt. Von Caras Galadhon aus waren es nur wenige Meilen bis zum Zusammenfluss von Celebrant und Anduin an welchem sich auf einer Landzunge ein kleiner Hafen befand. Dort wollten sie über den Anduin setzen und an dessen Ostufer entlang Richtung Norden in Thranduils Reich wandern.

Legolas und Gimli erinnerten sich gut an die Bootsfahrt der Ringgemeinschaft, die mit Boromirs Tod und der Entführung von Merry und Pippin jäh endete. Doch während Legolas die Erinnerung an die Bootsfahrt gedanklich mit dem Bedauern verknüpfte, nicht auch dieses Mal auf den Nutzen von Booten zurückgreifen zu können, da sie entgegen der äußerst gefährlichen Strömung des Anduin rudern mussten, verband Gimli seine Erinnerungen an die schönste und reichste Gabe, die er je erhalten hatte – Galadriels Haar.

Wie auch bei ihrem letzten Besuch waren die Herren des Goldenen Waldes anwesend. Erhaben und Stolz standen Celeborn und Galadriel am Ufer und schauten der Gemeinschaft entgegen. Schweigend, als handele es sich um einen Abschied für die Ewigkeit, sahen sich alle gegenseitig an. Die Boote lagen im Wasser und lórische Elben erwarteten die Mitglieder der Gemeinschaft, um sie über den Fluss zu rudern.

„Die Zeit des Abschieds ist gekommen und jene der Gemeinschaft, die sich entschlossen haben mit ihr zu gehen, haben eine Aufgabe übernommen, die sowohl schwierig als auch kräftezehrend ist. Ich fürchte, bei einer kurzen Reise zu König Thranduil wird es nicht bleiben und ich fürchte auch, dass euer Weg euch in Gegenden führen könnte, die aus unserer Sicht unerforscht und unbekannt sind", durchbrach Galadriels weiche Stimme die erdrückende Stille. „Doch eure Herzen sollen voller Mut sein, eure Arme nicht schwach und eure Beine nicht müde werden, und so möchte ich euch einen Abschiedstrunk reichen. Möge dieser dafür sorgen, dass ihr alle Lórien in guter Erinnerung behaltet und möge er euch Glück und Erfolg bringen!"

Galadriel ließ sich einen großen Kelch mit Met reichen und übergab diesen Celeborn, welcher einen Schluck daraus trank und ihn zurückgab. Jedem einzelnen Gemeinschaftsmitglied bot Galadriel den Kelch an und verabschiedete sich mit schlichten und freundlichen Worten.

Ein Vogel schreckte auf, als die Gemeinschaft in die Boote stieg und die Wellen des Flusses laut gegen deren Rümpfe schlugen. Heftig flatternd flog der Vogel an der Gemeinschaft vorüber. Viele Blicke folgten ihm.

„Herrin? Was können wir gegen die Fledermäuse unternehmen, die uns bisher gefolgt sind?", fragte Amlugûr.

Galadriel lächelte wissend. „Manchmal genügt ein einfaches Gespräch, um die Dunkelheit zu vertreiben."

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Unzählige Tage ritten die 53 Krieger unter Haunars Führung über die Ebenen. Weder Menschen noch Grünaugen begegneten ihnen und sie suchten deren Nähe auch nicht. Doch dies verursachte eine bedrückende Stille, welche der Einöde den allerletzten Reiz nahm und die Krieger allein ihren Gedanken überließ, die ihnen keine Ruhe ließen.

„Fürchtest du dich ein wenig?", fragte Rufur Odan eines Abends am Feuer.

„Fürchten? Ja, irgendwie schon. Sie ist eine Art Hexe, und ich fürchte mich vor allem vor einem Blick in ihre Augen. Doch selbst in einem offenen Kampf möchte ich ihr nicht gegenüberstehen", erwiderte Odan.

„Deshalb versuchen wir den offenen Kampf zu vermeiden, doch was glaubst du würde geschehen, wenn sie dir in die Augen schaut? Glaubst du, sie würde dich davon überzeugen, dass unser Vorhaben falsch ist? Glaubst du, du würdest sie plötzlich mögen? Denn das ist es, wovor ich mich fürchte...", murmelte Rufur. „... vor dieser Art von Magie."

„Ja, Bizar-kûn warnte uns, sie sei eine Meisterin der Täuschung und in der Lage, alle von ihrer Unschuld und Reinheit zu überzeugen... mit allen Mitteln! Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie sich mit ihrer bösen Magie einen mächtigen und einflussreichen Krieger als Geliebten zuzulegen versuchte, der für ihre Glaubwürdigkeit kämpft. Tzt!" Odan spuckte verächtlich aus.

„Du darfst ihr nicht in die Augen schauen, hörst du?", warnte Rufur. „Ihre Augen sollen den Glanz eines Juwels haben und die Gier nach Juwelen macht blind! Davor hat uns Bizar-kûn immer gewarnt. Du würdest ihr verfallen!"

Odan nickte.

„Aber die Augen sind doch der Spiegel zur Seele", warf Haunar ein.

„Diese Frau hat keine Seele", erwiderte Odan hart. „Sie ist abgrundtief böse, kennt keine wahren Gefühle und die, die sie kennt nutzt sie schamlos gegen andere aus. Dir ist die Geschichte doch bekannt!"

„Mein Mitleid gehört bereits jetzt demjenigen, den sie sich als neuen Geliebten auserkoren hat. Sie wird ihn wegwerfen wie Abfall, wenn sie ihn nicht mehr braucht", murmelte Rufur mitfühlend.

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Bereits einen Tag, nachdem die Gemeinschaft Lórien verlassen hatte, erschienen die Fledermäuse erneut.

Schweigend beobachteten die Krieger die kleinen, aber zahlreichen Schwärme. Diese schienen sich in Nahrungssuche und Verfolgung abzuwechseln, so dass keine Müdigkeit unter ihnen aufkommen konnte. Doch während die Krieger misstrauisch die Fledermäuse im Auge behielten und sich Gedanken darüber machten, was für ein Gespräch Galadriel wohl gemeint haben könnte, schien Agarmaethor die Gefahr eher vor als über der Gemeinschaft zu vermuten. Wie bereits auf dem Weg ins Nebelgebirge wanderte sie häufig voraus, suchte Spuren und kundschaftete die Umgebung aus. Neuigkeiten brachte sie jedoch nie mit.

Tage vergingen und alle wanderten zügig, so dass sie gut vorankamen. Schon bald erreichten sie den Zufluss des Ninglor in den Anduin und konnten in einiger Entfernung auf der Westseite des Anduin die Schwertelfelder erblicken – den für Isildur so verhängnisvollen Ort, der ihm Tod und den Verlust des EINEN RINGES brachte. Am Ostufer jedoch wuchsen einige Sträucher und weiches, wenn auch winterlich braunes Gras, so dass sich die Gemeinschaft hier für die Nacht einrichtete.

Ein kleines Lagerfeuer wurde entzündet, etwas Wild gebraten und alle wickelten sich in ihre Decken und schliefen bald ein. Das Lagerfeuer brannte langsam nieder. Immer neue Funken stoben von der Feuerstelle weg, als flüchteten sie vor einer unbekannten Gewalt, nichts ahnend, dass sie ein Teil davon waren. Nur die knackenden und knisternden Geräusche brennender Zweige durchbrachen die Stille der Nacht.

Legolas hielt Wache, doch seine Schicht neigte sich dem Ende zu. Aufmerksam schlich er immer wieder zwischen einigen Sträuchern umher, lauschte in die Dunkelheit, aber außer dem Flattern einiger geflügelter Tiere nahm er keine auffälligen oder unbekannten Geräusche wahr.

Amlugûr erschien hinter ihm, und ohne ein Wort miteinander zu wechseln löste er Legolas ab und schickte ihn mit einer schlichten Handbewegung zum Schlafen.

Legolas näherte sich dem Lagerfeuer, um noch etwas Holz nachzulegen und seine Hände vor dem Schlafengehen noch ein wenig zu wärmen. Die Flamme, geschürt zu neuer Kraft, flackerte heftig auf und bot ein spannendes Schattenspiel, welches Legolas fasziniert beobachtete und ihn dazu veranlasste, das Feuer noch etwas mehr zu schüren. Als die Flamme erneut aufflackerte fiel ihr Licht auf das Gesicht Agarmaethors. Auch in dieser Nacht hatte sie sich abseits gelegt, doch nicht weit genug vom Feuer entfernt, als dass man sie nicht hätte sehen können.

Legolas betrachtete ihre verkrampften Gesichtszüge, doch gerade, als er sich wieder abwenden wollte stutzte er. Unsicher schaute er noch einmal zu Agarmaethor und zweifelte einen Moment lang daran, dass sie schlief. Vorsichtig näherte er sich ihr, um sich davon zu überzeugen, dass ihn seine Augen nicht getäuscht hatten.

Er hatte sich nicht getäuscht und das verursachte in ihm tiefe Bestürzung. Vom Licht des Feuers blutrot verfärbte Tränen rannen Agarmaethor aus beiden Augen - sie weinte im Schlaf. Überrascht blieb Legolas vor ihr stehen und sah, wie weitere Tränen eine glänzende Spur in ihrem Gesicht hinterließen.

Mitgefühl überkam ihn, so dass er sich vorsichtig über sie beugte und ihr mit dem Zeigefinger sacht eine Träne aus dem Gesicht strich. Kaum hörbar flüsterte er dabei: „Losto si mae!°"

Es war unmöglich so schnell auszuweichen, wie er das kalte Metall eines Kurzschwertes an seinem Hals spürte – wieder einmal.

„Was fällt dir ein!" Es war keine Frage, es war eine aufgebrachte Feststellung, die ihm Agarmaethor entgegen fauchte.

„Ich wollte nur..."

„Was wolltest du nur?", unterbrach sie ihn harsch. „Austesten, wie unaufmerksam ich während meines Schlafes bin?"

„Nein!", wehrte er vehement ab. „Ich sah deine Tränen und..."

Sekunden vergingen, bevor Agarmaethor ihr Kurzschwert senkte und ihn von dem kalten Metall erlöste. Beinahe verwirrt tastete sie mit ihrer Hand nach den Tränen, die sie nicht auf ihrer Haut zu spüren schien, wischte sie weg und betrachtete kopfschüttelnd ihre feuchten Finger.

Legolas' Blicke auf sich spürend zischte sie ihn noch immer leise, aber kalt und abweisend erneut an: „Starr mich nicht so an, als flüstere dir Nienna°° dies zu! Und wenn du mich schon anstarren musst, dann tue dabei wenigstens so, als stünde Morgoth persönlich vor dir!"

Legolas senkte den Blick. Er zürnte ihr nicht, denn er verstand, wie unangenehm für sie eine solche Situation sein musste.

„Es tut mir leid, nur deine Tränen erinnerten mich an meine, die ich nachts im Schlaf vergoss, als meine Mutter meinen Vater und mich verließ, um nach Valinor zu reisen, obwohl ich noch ein laes°°° war."

In dem Moment spürte er ihren Blick auf sich ruhen, der zu sagen schien: 'Du mit DEINEM Vater allein? Vielleicht bist du es, den Nienna betrauern sollte!'

Tatsächlich fauchte sie ihn nicht mehr an, sondern erwiderte leise und bestimmend: „Mach das nie wieder!"

Ihre Stimme klang dabei unendlich müde und als Legolas seinen Blick wieder hob, glaubte er einen Moment lang, Agarmaethors silberne Haarsträhnen seien nicht silbern, sondern grau, wie die Haare alter Menschen. Doch als eine vorüberziehende Wolke das Mond- und Sternenlicht wieder freigab, war er sich seiner Augen nicht mehr sicher.

„Geh schlafen und lass mich in Zukunft besser in Ruhe, denn ich kann nicht versprechen, dass mein Schwert beim nächsten Mal erneut so kurz vor deinem Hals Halt macht, wenn man mich aus dem Schlaf reißt!", sagte Agarmaethor und wandte ihm den Rücken zu.

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°Schlaf jetzt gut!

°°Nienna ist eine Valie (weibl. Vala), welche der Trauer kundig ist und das Leid anderer beweint

°°°Kleinkind