An Melethil: Danke! Ich hab schon Schläge für die Kürze erwartet (grins) Ich hoffe, deiner Hand geht es besser. Ist schon doof, wenn man die nicht richtig bewegen kann.
An Amilang: Holprig? Naja... ich wüßte zwar jetzt nicht so genau, wo, aber möglich ist es. Ich hab es eben einen Tag vor meinem Geburtstag fertig gestellt und war dadurch heftig im Stress (Augenzwinker), aber es macht mir gar nichts aus, wenn man ein bisschen wählerisch ist. Ich bin das auch.
So, nun viel Spaß!
LG Vypox
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Warnungen: Gewalt!
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Entführungen
Die Mitte des Novembers war bereits überschritten und doch fiel noch immer kein Schnee. Eiskalter Wind wehte über den Anduin, der nur aufgrund seiner starken Strömung jegliches Gefrieren des Wassers verhinderte. Das mit Raureif bedeckte Gras reizte jeden Morgen mit seiner weißen Pracht, welche die pralle Sonne jedoch bereits nach wenigen Stunden immer wieder vernichtete, um spätestens am Abend wieder dessen winterliche Bräune freizulegen.
Tagein, tagaus wanderte die Gemeinschaft am Anduin entlang Richtung Norden. Nur fern am Horizont konnten die Elben in östlicher Richtung eine feine, dunkle Linie sehen, welche sich scheinbar unendlich lang nach Norden erstreckte – der Eryn Lasgalen. Es zog niemanden wirklich dorthin – die Aussicht auf ein baldiges Zusammentreffen mit Thranduils Volk reizte nicht, und so wanderten sie am Ufer des Anduin entlang, um mit Fisch ihre Vorräte aufzufüllen und sich das Lembas für schwerere Zeiten aufzusparen. Selbst nachts schreckte sie der kalte Wind auf dem Fluss nicht und sie lagerten meist nur wenige hundert Fuß von dem nächtlich Schwarz gefärbten, fließenden Strom entfernt. Geschützt von einigen Sträuchern, entfachten sie abends ein kleines Lagerfeuer, bereiteten den Fisch darin zu und wärmten sich.
Agarmaethor hielt sich weiterhin von der Gemeinschaft fern. Seit Legolas ihre Tränen gesehen hatte, schien sie noch verschlossener und vorsichtiger. Immer darauf bedacht, dass nicht auch andere Gemeinschaftsmitglieder derartige von ihr nicht kontrollierbare Vorkommnisse beobachten, suchte sie sich eigene Lagerplätze fernab der Gruppe. Die Nähe zu der Gemeinschaft war ihr zuwider, und selbst Amlugûrs freundliche Überredungsversuche vermochten dies nicht zu ändern. Eingerollt in ihr Wolfsfell lagerte sie in kleinen Senken oder zwischen einigen Sträuchern und schlief – müde und erschöpft, als wäre sie seit Tagen auf der Flucht vor einhundertfünfzig Uruk-hai.
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Dunkelheit. Als öffneten sich zwei Augenlider...
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Agarmaethor schreckte auf. Unsicher, ob sie tatsächlich ein Geräusch vernommen oder ob es sich um eine Sinnestäuschung gehandelt hatte, spähte und lauschte sie in die Dunkelheit. Einige Fledermäuse flatterten ohne Scheu über ihren Kopf hinweg.
"Verfluchte Biester!", murmelte sie, doch sie glaubte nicht daran, dass die Fledermäuse der Grund ihres Aufschreckens waren. Etwas anderes war anwesend – eine ihr unbekannte Kälte, die nicht vom Wetter verursacht wurde.
Vorsichtig richtete sie sich auf und nahm ihren Dolch in die Hand. Gerade als sie sich zum Lager der Anderen begeben wollte, näherte sich eine dunkle Gestalt – lautlos und elbenhaft schnell. Agarmaethor gelang es noch einen lauten Warnruf auszustoßen, bevor die Gestalt über sie herfiel.
Einer Raubkatze gleich wich Agarmaethor einem Keulenhieb aus und stach ihren Dolch dem Angreifer zwischen die Rippen, ahnend, dass der Stich nicht tödlich war. Doch als habe der Angreifer keine Verletzung erlitten, holte er mit seiner Keule erneut aus. Geschickt entzog sie sich erneut der Keule und suchte dann ihr Heil in der Flucht, denn weitere Schatten tauchten in der Dunkelheit auf und sie fühlte deren kalte und gefährliche Nähe.
Ihr zweiter lauter Ruf hallte über die Ebene, während sie in großen Sprüngen auf das Lager der Gemeinschaft zu eilte. Ein Knüppel wurde ihr zwischen die Beine geworfen und ließ sie stolpern. Aufgehalten durch ihren Fehltritt wurde sie eingeholt, und von dunklen Gestalten umringt. Ihr gelang ein weiterer Messerstich zwischen die Rippen eines Angreifers, der ihn tot zusammensacken ließ, doch zu viele Hände griffen plötzlich nach ihren Handgelenken und behinderten sie im Kampf, eine Hand wurde auf ihren Mund gepresst und unterdrückte damit weitere Hilferufe, und zwei weitere Hände legten sich um ihren Hals und nahmen ihr die Luft.
Sie rang mit den Angreifern, stach mit ihrem Messer gezielt um sich und fügte Verletzungen zu, deren Schwere sie nicht erkennen konnte, doch die Hände an ihrem Hals drückten immer kräftiger und nahmen ihr die Kraft zu kämpfen. Taumelnd vor Luftnot hielt sie schließlich inne und sackte zusammen. Ihr wurde schwarz vor den Augen und nur die Hoffnung auf Rettung durch die Gemeinschaft gab ihr die Kraft, nicht in Ohnmacht zu fallen.
Noch während ihre Sinne langsam schwanden, begann sie ihren heftigen Widerstand gegen den Angriff zu bereuen – er hatte so viel Luft in ihren Lungen verbraucht, dass der gesamte Kampf nur wenige Sekunden angedauert hatte, viel zu wenig, um der Gemeinschaft ein Eingreifen zu ermöglichen und vor allem viel zu wenig, um zu ihr zu eilen.
Agarmaethor fühlte, wie jemand ihre Füße ergriff, die Hände sowohl von ihrem Mund als auch von ihrem Hals abließen und ihr ein Knebel in den Mund gestopft wurde. Eine weitere Hand entriss ihr den Dolch und drehte den Arm nach hinten, um sie besser festhalten zu können. Sie drückte sich gegen die Gestalt, stemmte sich nach oben und klemmte den Kopf eines Gegners zwischen ihre Füße. Ruckartig brach sie ihm das Genick, doch ihre eigene Bewegung kugelte ihren rechten Arm aus, der noch immer verdreht und festgeklemmt in den Fängen eines Gegners war.
Ihr Schmerzensschrei erstickte im Knebel, als eine Keule sie von hinten traf und ihren Widerstand endgültig brach.
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Pallando und Alatar trugen das alte Menschenpaar aus dem Stall und betteten es ins Gras. Während Pallando zurück zu dem verletzten Hund eilte, näherte sich Alatar der offen stehenden Tür des Wohnhauses. Ohne Zögern trat er ein und sah sich um. Ein kurzer Flur führte ihn in ein Wohnzimmer mit einem großen, hölzernen Tisch und vier umgekippten Stühlen. Kampfspuren zeichneten den Boden, Blut klebte an den Wänden und zeugten von deutlich mehr als zwei Räubern oder Opfern. Zurück über den Flur erreichte Alatar eine Treppe, die in das obere Stockwerk des Hauses führte, wo er drei Schlafräume vorfand, von denen er eines sofort dem alten Paar zuzuordnen wusste. Ein weiteres stand sauber und leer, doch das dritte wurde eindeutig von jemandem bewohnt.
Alatar untersuchte das Zimmer ausführlich und eilte zu Pallando zurück. Dieser brachte gerade den verstorbenen Hund zu dem toten Ehepaar, um ihn gemeinsam mit den beiden Alten zu begraben.
„Hier wohnte noch jemand", erklärte Alatar beinahe atemlos. „Ich fand Kleider und lange dunkle Haare. Vielleicht stammen sie von dieser Lútholwen? Wir sollten sie suchen! Möglicherweise versteckt sie sich hier irgendwo oder braucht Hilfe!"
Gemeinsam durchsuchten sie gründlich die nähere Umgebung, doch das Einzige, das sie fanden, waren Fußabdrücke im weichen Boden. Alatar nutzte das letzte Licht der untergehenden Sonne und untersuchte sie.
„Etwa zehn Personen... darunter eine Frau!", murmelte er.
„Die Menschen haben sie wohl verschleppt", schlussfolgerte Pallando.
„Wahrscheinlich!" Alatar erhob sich vom Boden und ließ seinen Blick entlang der Spuren schweifen. „Leider macht es keinen Sinn, sie heute noch zu verfolgen. Es wird gleich dunkel sein und ich habe keine Elbenaugen. Lass uns hier rasten!", schlug er vor.
Pallando nickte und folgte Alatar zurück zu der kleinen Ansiedlung. „Sind zehn Krieger nicht ein wenig viel für uns? Wollen wir sie wirklich verfolgen und sie stellen?", fragte er dabei zaghaft. „Du denkst doch nicht etwa erneut über die Verwendung eines Zaubers nach, der alle verbrennen lässt? Ich träume bis heute von ihren Schreien und verkohlenden Körpern!"
Alatar lachte. „Ach was! Zehn! Das ist doch gar nichts! Du hast doch gesehen, wie sie vor etwas Magie davon rennen. Dafür muss ich mich nicht anstrengen!"
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Auf Agarmaethors ersten lauten Ruf hin schossen die Elben wie von einer Wespe gestochen in die Höhe und schauten die Wache einen Moment lang fragend an, doch diese eilte bereits in die Dunkelheit. Ohne Worte zu verlieren ergriffen sie ihre Waffen und folgten ihm so lautlos und schnell, dass Gimli weiterhin den Schlaf des Gerechten schlief.
Leichtfüßig eilten sie in die ungefähre Richtung des Rufes und erkannten bereits von weitem einen Kampf zwischen Agarmaethor und elf weiteren Gestalten, von denen eine mit einem knackenden Geräusch, welches wohl durch ihr brechendes Genick verursacht wurde, zu Boden sank, wo bereits ein weiterer verkrümmter Körper lag.
Die Elben spannten ihre Bögen, doch die Angreifer hatten sie bereits bemerkt und teilten sich auf. Vier trugen den bewegungslosen Körper Agarmaethors davon, die verbliebenen sechs stellten sich den Elben entgegen und blockierten mit ihren Schilden die surrenden Pfeile.
Legolas' Blick folgte den davoneilenden Gestalten mit Agarmaethors Körper, und anstatt sich dem Angriff Amlugûrs anzuschließen, welcher mit gezücktem Schwert die übrigen Elben in den Kampf führte, schlug er einen großen Bogen und folgte der ungefähren Richtung der Fliehenden. Es kostete ihn Zeit, doch er wollte nicht in die Schlacht verwickelt werden. Das Klirren aneinander schlagender Schwerter verhallte hinter ihm, während er lautlos am Anduin entlang den Entführern folgte, doch sie waren schnell und hatten einen großen Vorsprung. Weit vor ihm sah er ihre Schatten im Fluss verschwinden.
Entsetzt hielt Legolas den Atem an. Der Anduin war an dieser Stelle praktisch unpassierbar. Um das zu wissen lebte er bereits lange genug in dieser Gegend. Etwa sechzig Meilen weiter nördlich befand sich die „Alte Furt", als einzige wirklich ungefährliche Möglichkeit über den Anduin zu schwimmen... Doch hier?
Mit gespanntem Bogen spähte er über die Wasseroberfläche und entdeckte die Köpfe der Fliehenden, welche sich scheinbar flussabwärts treiben ließen um den Verfolgern zu entkommen, doch Legolas konnte ihre Köpfe nicht voneinander unterscheiden und befürchtete, Agarmaethor mit seinen Pfeilen zu treffen. Ins Wasser wagte er sich nicht, und so ließ er enttäuscht den Bogen sinken und eilte zurück zu den Anderen, welche den Kampf inzwischen beendet hatten. Bereits von weitem sah er, wie sie einige Leichname untersuchten oder rasteten und auf ihn warteten. Weit in der Ferne jedoch beobachtete er eine dunkle Gestalt, die eilig davonlief.
„Ork-Elben!", rief Elladan ihm bereits von weitem zu und rieb sich ein schmerzendes Bein.
Wie Blitze erschienen Legolas Bilder aus seiner Erinnerung an die Jagd nach dem Ork-Elben westlich des Nebelgebirges und dessen Versuch, ihm eine Keule auf den Kopf zu schlagen. Verwundert kniff er seine Augenbrauen zusammen. Konnte es möglich sein, dass der Ork-Elb damals gar nicht ihn sondern Agarmaethor hatte angreifen wollen?
„Wären wir nicht in der Überzahl gewesen, hätte der Kampf schlimmer ausgehen können. Ich danke Adar° und Glorfindel, dass sie mit uns so hart geübt haben, denn nie im Leben glaubte ich, einmal gegen einen elbengleichen Gegner antreten zu müssen!", fügte Elrohir hinzu und riss Legolas aus seinen Gedanken.
„Sie sind über den Fluss geflohen und haben sich dabei von der Strömung ein Stück nach Süden treiben lassen!", erklärte Legolas.
Amlugûr erhob sich aus dem Gras. „Du kennst mit Sicherheit eine Stelle am Ufer, die sich dafür eignet, den Fluss zu passieren? Wir müssen schnellstmöglich folgen!"
„Du meinst eine Stelle außer der „Alten Furt" sechzig Meilen nördlich von hier? Nein! Keine, die nicht gefährlich oder zeitaufwendig wäre!", erwiderte Legolas.
„Warum sollten wir den Fluss passieren? Wir wissen doch gar nicht, ob sie nicht am Ostufer an Land gehen. Warum folgen wir nicht dem entflohenen Ork-Elben? Er wird uns doch sicher ebenfalls zu dem Ziel der anderen Gruppe führen?", fragte Maethrim und schaute nachdenklich zum Fluss.
Legolas schüttelte den Kopf. „Ich würde sie nicht vollkommen aus den Augen lassen, indem wir das Risiko eingehen, dass der einzelne Ork-Elb von jemandem abgefangen wird oder doch zu einem anderen Ort läuft."
Amlugûr nickte und schaute besorgt nach Osten. „Wir sollten uns teilen. Eine Gruppe folgt dem Ork-Elben und eine weitere läuft am Flussufer entlang und versucht herauszufinden, wo die Entführer an Land gegangen sind."
Legolas stimmte ihm zu. „In etwa zwanzig Stunden könnten wir im Süden einen Übergang erreichen. Wenn wir bis dahin keine Spuren von ihnen gefunden haben, sind sie wohl doch am Westufer gelandet, doch das verschafft uns die Möglichkeit, sicher über den Anduin zu schwimmen und dann wieder nach Norden zu gehen. Wirklich erfolgversprechend ist das alles zwar nicht, aber ich wage es nicht, hier ins Wasser zu gehen." Legolas schüttelte den Kopf. „Die Ork-Elben scheinen die Gefahren des Stromes nicht zu kennen."
Die Einigkeit zwischen Legolas und Amlugûr über das weitere Vorgehen erstaunte alle und so teilte sich die Gemeinschaft wortlos auf und jede Gruppe setzte sich in Bewegung. Legolas eilte noch schnell zu Gimli und weckte diesen.
„Wir müssen wirklich schnell hinterher. Du gehst weiter Richtung Norden bis zur Alten Furt. Dort verläuft die Waldstraße und du folgst ihr ostwärts bis zum Wald, doch du wirst ihn nicht betreten! Das ist ganz wichtig! Wenn du ihn erreicht hast, wendest du dich nach Norden und läufst an seinem Rand entlang bis du auf Rhosgobel stößt, dem Haus von Radagast. Wenn er da ist, dann wird er gastfreundlich sein, wenn er nicht da ist, wirst du trotzdem dort auf uns warten! Es könnte einige Tage dauern!"
Ohne weitere Erklärungen packte er seine restlichen Sachen zusammen und eilte zu seiner Gruppe. Gimli sagte nichts zu alledem. Die Enttäuschung darüber, niemandem helfen zu können, stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch er verstand, dass er einfach zu langsam für eine derartige Verfolgungsjagd war und erinnerte sich an die Jagd, die er mit Aragorn und Legolas unternahm, als die beiden Halblinge Merry und Pippin entführt wurden.
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Agarmaethor erwachte aus ihrer Ohnmacht als ihr kaltes Wasser ins Gesicht schlug. Sie öffnete die Augen und erfasste sofort ihre Lage. Vollständig gefesselt wurde sie von einem Ork-Elben festgehalten, mit welchem sie mitten im Anduin trieb. Drei weitere befanden sich vor und hinter ihr. Jeder von ihnen hielt sich an einem großen Stück zurecht geschnitzten Holzes fest, welches ihm vor dem Untergehen bewahrte.
Agarmaethor wunderte sich über den Aufwand und den Plan als solchen. Die Holzstücke waren nicht einfach zufällig ergriffen oder gesammelt worden – sie waren präpariert, um den Nutzern möglichst viel Sicherheit zu gewähren. Diese Ork-Elben schienen nicht annähernd so dumm zu sein, wie die Uruk-hai oder Orks, denen sie bisher begegnet war. Dies hier waren gefährlichere Gegner. Doch trotz dieses Vorgehens war die Reise riskant. Immer wieder stießen Gegenstände, die von der Strömung vom Grund des Flusses hochgerissen wurden, gegen ihre Beine und fügten ihnen Prellungen zu.
Mit Mühe gelang es ihr, den Kopf zu heben und über den Fluss zu schauen, doch sie konnte keine Hilfe durch die Gemeinschaft erspähen. Die Zeit im kalten Wasser erschien ihr unendlich lang. Zu gerne hätte sie den Stand der Sterne gesehen um abschätzen zu können, wie lange sie bereits von der schnellen Strömung des Wassers südwärts getrieben wurden.
Kaum erreichte die Gruppe das Ostufer, warf einer der Ork-Elben sie über seine Schulter und eilte weiterhin Richtung Südosten. Agarmaethor beobachtete mit Entsetzen, welch beeindruckendes Tempo diese Kreaturen vorlegten und fürchtete beinahe, die Gefährten würden ihr nicht folgen können. Mit aller Kraft begann sie sich auf der Schulter ihres Trägers zu winden und ihm das Laufen zu erschweren, doch da spürte sie ihren ausgekugelten Arm. Die beißende Kälte des Wassers hatte ihr bisher jeden Schmerz genommen, aber dies änderte sich schlagartig.
Agarmaethor unterdrückte ein Aufstöhnen und biss die Zähne zusammen, während sie sich erneut wand, um wenigstens das Tempo ihres Träger zu verlangsamen. Ihr Bemühen zeigte schnell Wirkung. Der Träger hielt an und warf sie grob auf den Boden. Agarmaethor wurde beinahe schwarz vor den Augen, als ihre Schulter auf die Erde prallte und nahm nur nebenbei wahr, wie ein Ork-Elb auf sie zuging und eindringlich zu ihr sprach. Unfähig zu reagieren ließ sie ihn reden, doch dem Ork-Elben schien dies zu missfallen. Mit einer krachenden Ohrfeige beendete er seine Rede.
Agarmaethor schmeckte das Blut ihrer aufgeplatzten Lippe und ihr Schädel brummte, doch die Ohrfeige beeindruckte sie nicht. Kaum befand sie sich wieder auf der Schulter ihres Trägers begann sie diesen erneut zu behindern und es blieb nicht bei einer Ohrfeige. Der Ork-Elb warf sie zu Boden, schlug mit seiner Keule zu und schenkte ihr eine schmerzfreie Bewusstlosigkeit.
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Legolas führte seine Gruppe am Strom entlang Richtung Süden. Unentwegt beobachtete er die Flussufer und den Sand auf dem Boden.
„Warum haben wir nicht die Furt im Norden genommen? Wenigstens ein Teil von uns hätte somit schneller das andere Ufer erreicht als diese Gruppe?", fragte Rochdil.
„Du müsstest sechzig Meilen nach Norden und wieder sechzig Meilen nach Süden, um überhaupt die ungefähre Höhe unseres letzten Lagerplatzes zu erreichen. Du wärst nicht schneller. Außerdem glaube ich daran, dass sie am Ostufer an Land gehen werden. Wir werden ihre Spuren hier finden oder sie sogar abfangen. Davor bin ich überzeugt", erklärte Legolas.
Rochdil kräuselte die Stirn. „Warum denkst du das?"
„Ich erinnere mich bereits die ganze Zeit über an Celeborns Rede von den Fledermäusen, die nach Osten flogen!", lächelte Legolas selbstbewusst.
Rochdils Augen leuchteten auf. „Ja! Du könntest Recht haben!"
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Gimli lag den Rest der Nacht wach. Es war ihm nicht gelungen, auch nur ein Auge zu schließen, und kaum zeigten sich die ersten Sonnenstrahlen, erhob er sich und befolgte Legolas' Bitte, auch wenn dieser einen kühlen Befehlston angeschlagen hatte. Manchmal trat der Königssohn arg in ihm hervor – fand Gimli. Er packte die Sachen zusammen, nahm dabei auch das zurückgebliebene Reisegepäck Agarmaethors mit sich und machte sich auf den Weg zu Radagast.
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Als Agarmaethor aus ihrer Ohnmacht erwachte hing sie noch immer über der Schulter eines Ork-Elben. Mit Schmerzen in jedem Glied und vor allem in ihrer Schulter gelang es ihr, den Kopf zu heben und ein wenig zu drehen. Es schien Mittag zu sein, doch sie wusste nicht zu sagen, wie viele Tage seit Beginn ihrer Ohnmacht vergangen waren. Das Einzige, dessen sie sich sicher war, war die Richtung, die die Ork-Elben einschlugen – Südosten.
Agarmaethor neigte ihren Kopf leicht zur Seite und es gelang ihr, einen Blick auf einen neben ihr laufenden Ork-Elben zu werfen. Er schien müde zu sein, was ihr Anlass zur Hoffnung gab, doch der Anführer der Gruppe hatte ihre Bewegung bemerkt und ließ anhalten. Grob wurde sie auf den Boden geworfen und und nur knapp konnte sie einem erneuten Sturz auf ihre verletzte Schulter entgehen. Ein Ork-Elb trat auf sie zu, brach mit seinen kräftigen Fingern ihren Mund auf und entnahm ihr den Knebel, um ihr eine scharf brennende Flüssigkeit einzuflößen.
Berechnend und bewusst provokativ, spukte Agarmaethor dem Ork-Elben die Flüssigkeit direkt ins Gesicht. Wütend versetzte dieser ihr einen kräftigen Tritt in ihren Magen. Schmerz durchfloss ihren gesamten Körper und sie begann Blut zu würgen. Nur am Rande bemerkte sie, wie der Anführer den Ork-Elben anbrüllte und von Agarmaethor wegstieß. Es schien wirklich darauf anzukommen, dass sie zumindest lebendig das Ziel erreichte.
„Ihr Diener einer fliegenden Ratte!", fauchte Agarmaethor und hustete dabei heftig. „Mein Arm ist ausgekugelt und ich will Wasser!"
Der Anführer näherte sich mit fragendem Blick und redete ruhig auf sie ein, doch sie verstanden sich gegenseitig nicht und Agarmaethor standen die Hände nicht zur Verfügung, um zu gestikulieren. Resigniert wandte sie den Kopf zur Seite und sah einen Ork-Elben knien, der die kurze Pause dafür nutzte, seine Stichwunden zu verbinden. Verbittert sah er sie an, aber sie schaute nur höhnisch zurück. Sollte er doch leiden!
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Legolas führte seine Gruppe über die Ebene zwischen dem Anduin und Eryn Lasgalen. Immer mit dem Blick auf den Boden suchte er nach neuen Spuren. Seit nunmehr zwei Tagen eilten sie mit nur Minuten andauernden Trinkpausen den Entführern hinterher. Elladan hatte die Spuren am Ufer zuerst entdeckt und allein die Tatsache, dass Legolas mit seiner Vermutung Recht behalten hatte, gab ihnen so viel Hoffnung auf eine baldige Rettung Agarmaethors, dass sie alle ihre letzten Kräfte mobilisierten, um auch weiterhin ohne größere Rast die Geschwindigkeit halten zu können.
„Hier haben sie angehalten!" Uiwador entpuppte sich als ein ausgezeichneter Spurenleser, der selbst die leichten und kaum sichtbaren Spuren der Ork-Elben zu finden vermochte. Er selbst verwies bescheiden immer und immer wieder darauf, allein der Träger Agarmaethors hinterließe Spuren im Raureif bedeckten Gras des Morgens. Der Boden sei zu hart, und der leichte, elbenhafte Schritt der Entführer mache eine wirklich gute Fährtensuche beinahe unmöglich.
„Blut!", stellte Uiwador dabei fest. „Ich kann die genaue Farbe jedoch nicht mehr erkennen! Es könnte auch von einem verletzten Ork-Elben stammen."
„Von wem auch immer das Blut stammt, die Verletzung hält sie hoffentlich auf", erklärte Elrohir und schritt voraus, um die anderen hinter sich her zu ziehen. „Wir nähern uns dem Eryn Lasgalen. Glaubst du, sie wollen tatsächlich in Thranduils Reich eindringen?"
Legolas schüttelte den Kopf. „Der Krieg um Dol Guldur hat die Grenzen der Reiche verschoben. Der Süden gehört nun zu Lórien, der Norden zu meinem König und die Mitte wurde den Menschen überlassen. Ein Bereich dort wird die „Engen des Waldes" bezeichnet und erlaubt einen vergleichsweise kurzen Weg durch den Wald. Ich denke, sie wollen dorthin und da sie bereits den kürzesten Weg wählen, können wir diesen nicht abschneiden.
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Einsam und schwer bepackt wanderte Gimli bereits seit einigen Tagen und folgte dabei Legolas' Wegbeschreibung. Mühelos erreichte er die Furt und folgte dem Verlauf der Alten Waldstraße bis er unmittelbar am Waldrand des winterlich laubfreien Eryn Lasgalen stand.
Erleichtert darüber, nicht sogleich erneut etwas derart suspektes wie einen Wald betreten zu müssen, wandte er sich frohen Herzens nach Norden und folgte einem Pfad. Wälder hatte er in letzter Zeit ausreichend oft betreten!
Nach nur kurzer Zeit erreichte er ein kleines Holzhaus. Vorsichtig klopfte er an dessen Eingangstür. Als niemand erschien, rüttelte er daran, doch die Tür war verschlossen. Ein wenig enttäuscht entfernte er sich und untersuchte die Umgebung. Hinter dem Haus befand sich ein kleiner Schuppen. Davor stand ein großer, flacher Holzklotz. Einige kleinere Holzblöcke standen darum herum, als handele es sich um einen Tisch mit Stühlen.
Gimli setzte sich auf einen der kleineren Blöcke. Sein Magen knurrte und er beschloss, zunächst etwas zu essen. Mit hungrigem Blick kramte er in seiner Tasche und fand nach einigem Suchen ein Stück Lembas darin. Vorsichtig, um nicht zu viel auf einmal zu essen, knabberte er an dem Brot.
Er wusste nicht, wie lange sein Aufenthalt hier andauern würde und wollte sparsam sein. Das Lembas sollte ein kleines Weilchen halten.
Er knabberte weiter, doch während er dabei genüsslich über die winterbraune Ebene vor dem Haus schaute und die wärmenden Sonnenstrahlen genoss, fühlte er einen heftigen Windzug um seinen Kopf und gewahrte einen großen, schwarzen Raben, welcher ihn umkreiste und sich schließlich auf den großen Holzklotz setzte und ihn neugierig beäugte.
Gimli musterte seinerseits den Vogel, während er weiter an dem Lembas knabberte, doch plötzlich hielt er inne. Hatte der Rabe gerade gebettelt? Ungläubig schüttelte er den Kopf, brach aber ein Stück seiner Ration ab und warf es dem Raben hin, der es geschickt auffing und sich genüsslich darüber hermachte. Kaum hatte er das Lembas verschlungen beäugte der Rabe Gimli erneut.
„Das reicht, mein Freund", murmelte Gimli. „Ein Stück ist gerade genug für einen Zwergen und du hattest ein Viertel davon und bist nur ein Rabe."
„Krah!" Der Rabe krächzte, als müsse er sich räuspern. „Ich habe ein Viertel davon und bin nur ein Rabe. Ich bin satt."
Gimli schaute überrascht auf. „Oh! Du gehörst zu den Raben von Erebor! Ich habe schon viel von euch gehört und es hieß immer, es gäbe einige unter euch, die des Westrons mächtig wären, doch noch nie bin ich bisher einem begegnet!"
„Auf wen wartest du hier?", fragte der Rabe.
„Ich warte auf fünfzehn Elben, genau genommen vierzehn Elben und eine Elbe."
„Soso! Ein Zwerg wartet allein auf fünfzehn Elben, genau genommen vierzehn Elben und eine Elbe", krächzte der Rabe. „Warum wartet ein Zwerg auf fünfzehn Elben, genau genommen vierzehn Elben und eine Elbe?"
„Wir wollen gemeinsam in den Düsterwald oder Eryn Lasgalen, wie er jetzt heißt. Aber von Grün sehe ich derzeit nichts und Düsterwald passt einfach besser."
„Ein Zwerg will freiwillig in den Wald der grünen Blätter!" Würde der Rabe nicht derart krächzen, hätte Gimli einen Anflug von Ironie in dessen Stimme wahrgenommen.
„Nun ja. Wir wollen König Thranduil aufsuchen."
Der Rabe krächzte, als wolle er vor Schreck husten. „Das wirst du nicht überleben, Zwerg!"
„Oh! Prinz Legolas ist unter uns. Ich hoffe doch sehr, dass er die Spitzohren davon abhalten kann, mir auch nur ein Haar zu krümmen", erwiderte Gimli unbekümmert.
„Krah! Selten kommt es vor, dass Zwerge und Elben gemeinsam unterwegs sind. Selbst in den großen Kriegen wurden die Schlachten getrennt geführt. Aber bei der Schlacht der Fünf Heere, da waren sich selbst die Düsterwaldelben einig mit den Zwergen. Hast du damals Prinz Legolas kennengelernt?"
„Nein. Ich wusste auch gar nicht, dass Prinz Legolas überhaupt anwesend war, doch mein Vater Glóin kämpfte dort. Er erzählte Schreckliches über diese Schlacht. Nicht nur Orks und Warge kämpften auf der dunklen Seite, auch Fledermäuse in riesigen Schwärmen waren dabei. Es muss grauenhaft gewesen sein." Gimli schüttelte sich. „Aber auch die Wölfe waren riesig und blutrünstig", fuhr er fort. „Die haben..."
Der Rabe hielt seinen Kopf schräg und lauschte den Ausführungen Gimlis über die Schlacht der Fünf Heere.
„Nun ja. Ich hoffe, es hat dich nicht gelangweilt. Es ist schön, einmal ein Himmelstier zu treffen, dass uns wohl gesonnen ist. In letzter Zeit werden wir nur von Fledermäusen verfolgt. Ständig kreisen sie über uns und drohen mit Übel und Missgeschick. Und? Was machst du so?", fragte Gimli, als er seine Erzählung beendet hatte. Was sollte er den Raben auch anderes fragen?
„Ich unterhalte mich gerade mit einem Zwerg. Krah. Hast du noch ein Stück Lembas?"
„Ja, natürlich. Woher kennst du eigentlich Lembas?..."
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Dunkelheit brach herein – zwei weitere Tage waren vergangen. Die Ork-Elben ruhten nur wenig. Immer wieder wurden sie von ihrem Anführer angetrieben und gehetzt. Agarmaethor sorgte sich indessen mehr und mehr, weil ihre Gefährten sie noch immer nicht eingeholt hatten. Möglicherweise suchten sie gar nicht nach ihr? Quälende Gedanken reihten sich neben den dumpfen Schmerz in ihrer Schulter. Vielleicht kümmerte es die Gemeinschaft nicht, dass sie nicht mehr unter ihnen weilte? Vielleicht stand der Gemeinschaft noch ein anderer Weg zu Thuringwethil offen, und sie hatte beschlossen, Agarmaethor ihrem Schicksal zu überlassen?
Sie wollte dieser kleinen nagenden Stimme in ihrem Kopf nicht glauben. Diese Ork-Elben gehörten zu Thuringwethil, und selbst wenn die Gemeinschaft einen anderen Weg zu ihr kannte, wäre es nicht trotz allem sinnvoll zu erfahren, warum sie entführt wurde? Doch genau bei diesem Gedanken traf sie beinahe der Schlag. Wurde sie möglicherweise dazu benutzt, um die Ork-Elben zu Thuringwethil verfolgen zu können? Missbrauchte man ihre Situation gerade?
Die Last auf den Schultern ihres Trägers, die Verletzung eines weiteren Ork-Elben... Die Gemeinschaft MUSSTE einfach schneller sein als ihre Entführer. Ihre Schlussfolgerung MUSSTE stimmen! Die Gemeinschaft ließ sie absichtlich in den Fängen dieser Kreaturen, um sich zu Thuringwethil bringen zu lassen! Agarmaethors Herz raste vor Zorn über diese Erkenntnis und ließ sie bereuen, dieser Gemeinschaft überhaupt geholfen zu haben, Lórien zu erreichen.
Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, ob die Entführung nicht auch ihrem eigenen Interesse entsprechen könne, schließlich wollte auch sie zu Thuringwethil, und was wäre einfacher, als sich zu ihr tragen zu lassen? Doch wieder war da eine kleine innere Stimme, die ihr mitteilte, dass sie die Kontrolle über ihr Tun verloren hatte. Vor die Füße dieser dunklen Dienerin Saurons geworfen zu werden war kein guter Ausgangspunkt, um über das zu verhandeln, was sie von dieser begehrte. Auch Galadriels Worte über Thuringwethils Schwäche und darüber, dass möglicherweise noch etwas ganz anderes hinter all dem stecke, klangen in ihrem Kopf.
Der Gemeinschaft mochte es egal sein, wenn sie ihre Erinnerungen nicht zurückerhielt. Als Verfolger behielten sie die Kontrolle über das Geschehen! Erneut fühlte sie ihren Puls vor Frust und Enttäuschung rasen, doch ein kühler Schatten um sie herum lenkte sie ab. Agarmaethor blickte zur Seite und gewahrte einen Wald. Diese Ork-Elben waren tatsächlich in den Eryn Lasgalen eingedrungen!
Hoffnungen keimten in ihr auf. Hier im Wald könnte es Elben geben, die ihr helfen würden. Selbst Thranduils Krieger würden eine Elbenfrau nicht in den Fängen dieser Kreaturen lassen. Agarmaethor wartete einige Stunden, und als die Morgensonne ihr erstes Licht zwischen die kahlen Äste warf, kreischte sie, laut und hoch wie ein verängstigtes Kind, in Sindarin und Westron um Hilfe.
Die Ork-Elben zuckten erschrocken zusammen. Agarmaethors lang anhaltendes Schweigen hatte sie in der Sicherheit gewogen, ihr Widerstand wäre gebrochen. Hastig eilte ein Ork-Elb zu ihr und steckte ihr ein großes Stück stinkenden Stoffes in den Mund. Wieder redete der Anführer drohend auf sie ein und deutete mit seiner Hand einen Keulenschlag an.
Höhnisch blickte Agarmaethor ihn an. Sie hatte bereits ihr Ziel erreicht und wenn sie tatsächlich niemand gehört haben sollte, dann war es auch egal, wenn man sie erneut mit einer Keule schlug.
Der Anführer beließ es bei seiner eindringlichen Rede und die Gruppe eilte weiter – Stunde um Stunde und Agarmaethors Hoffnung schwand mit jedem Schritt, den sie durch den Wald rannten. Niemand hatte sie gehört.
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Legolas und seine Gruppe befanden sich bereits nahe am Waldrand. Seit Tagen sank seine Hoffnung mehr und mehr, die Ork-Elben mit Agarmaethor zu erreichen, und allein das Wissen, dass er seine Gruppe im Wald besser führen würde als es einem Ork-Elben möglich war, seinen Weg zu finden, gab ihm noch Zuversicht.
Wie auch er selbst waren seine Kameraden müde und erschöpft. Selten wurden Elben derart an ihre Grenzen getrieben wie bei dieser Verfolgungsjagd, und sie war kein Vergleich zu dem, was Legolas mit Gimli und Aragorn erlebt hatte, als sie die Uruk-hai über die Ebenen von Rohan verfolgten, nein... sie glich der Flucht vor den Uruk-hai im Nebelgebirge, nur dass ihnen das mühselige Klettern über Felsen erspart blieb.
Nicht selten kam Legolas der Gedanke, Agarmaethor kooperiere mit den Ork-Elben, um möglichst schnell Thuringwethil und ihre Erinnerungen zu finden. Warum sonst waren diese so schnell und scheinbar so unermüdlich? Doch er verdrängte diesen Gedanken. Sie war eine Elbenfrau und niemals würde sie mit derartigen Kreaturen zusammenarbeiten. Oder doch? Wieviel waren ihr ihre Erinnerungen wert? Wie weit würde jemand gehen, der beinahe 5000 Jahre lang seine Erinnerungen suchte und nun sein Ziel vor Augen hatte? Der Zweifel nagte an ihm.
Ein lauter Ruf Anerus ließ seine Aufmerksamkeit auf einen sich bewegenden Punkt in weiter Ferne richten, welcher im Dickicht des Waldes verschwand – der geflohene Ork-Elb. Legolas verfolgte mit seinem Blick die ungefähre Richtung, aus welcher der Ork-Elb kam und entdeckte weitere Punkte in großer Ferne. Leise zählte er. Amlugûr und seine Gruppe!
Mit aufmunternden Worten trieb er seine Gefährten erneut an und führte sie zum Waldrand. Schon bald würde er auf den Rest der Gemeinschaft treffen, wenn diese ihre Richtung beibehielt.
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„Dort vorn befindet sich eine Stadt mit dem Namen Rumlak", erklärte Rufur Odan. „Dort sollten wir erst einmal Halt machen und uns nach Kartenwerk umsehen."
„Nein. Ich möchte dort nicht in Erscheinung treten. Ich wollte nicht ohne Grund, dass unser „halbes Heer" weiter im Süden bleibt und Haunars geistreiche Vorschläge war ich ebenfalls leid. Würde ich seinen Ideen folgen, bräuchten wir mehr als unser Heer, denn ganz Mittelerde würde sich gegen uns verschwören!", erwiderte Odan zynisch.
Er wollte nicht zugeben, wie nervös er war, denn der Zeitpunkt seiner Aufgabe rückte immer näher.
„Komm schon! Dort soll es einen Markt geben, der so groß ist wie die Vorhalle unserer Könige."
„Das beeindruckt mich jetzt aber...", murmelte Odan gereizt.
„Und es soll dort ein richtiges Badehaus geben! Endlich einmal wieder waschen!", rief Rufur enthusiastisch.
„Auf keinen Fall werde ich mich dabei von meinen Waffen trennen!", fauchte Odan ihn an.
Rufurs Augen blitzten auf. „Aber sicherlich wirst du doch unseren Feind kennen lernen wollen, oder?"
Fassungslos sah Odan Rufur an. „Was meist du? Ist SIE etwa hier? Sagtest du nicht, dass..."
„Nein. Nicht SIE, aber einige von dem Volk, deren Zugehörigkeit sie vorgibt. Elben!" Rufur drehte nervös seine Daumen umeinander.
„Elben sind nicht unsere Feinde, und ich muss sie mir auch nicht anschauen! Die Grünaugen sind so elbenhaft, dass es wohl kaum Unterschiede zu ihnen geben wird!", erwiderte Odan etwas patzig.
„Ja, das stimmt. Elben sind wie Grünaugen, nur anders!"
Odan runzelte die Stirn. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Elben gesehen – nur die Grünaugen, denen er wohl nicht ganz zu Unrecht eine enge Verwandtschaft zu den Elben zuschrieb.
„Was meinst du mit 'anders'?", hakte er ungeduldig nach. „Rufur, manchmal könnte ich dir den Hals umdrehen, den Bart abschneiden und die Ohren noch dazu... Was heißt, sie sind wie die Grünaugen nur anders. Heißt das so etwas in der Art wie: meine Schwester ist wie ich nur anders?"
„Nun, eben anders! So wie Rotgold und Gelbgold sich unterscheiden!", erklärte Rufur geduldig.
„Fragt sich nur, wer von ihnen das Rotgold ist und wer das Gelbgold! Der Vergleich ist eine Beleidigung für jeden, dem Gold nah am Herzen liegt! Vielleicht hättest du lieber Giftpilze miteinander vergleichen sollen!", knurrte Odan.
„Nun... es heißt, die Elben stünden nicht auf der dunklen Seite!", erwiderte Rufur.
„Hör auf! Ich habe schon verstanden. Was ist die beste Möglichkeit für eine Hexe, wie diese schwarzhaarige Frau, um sich vor Angriffen und Anfeindungen zu schützen? Sich als eine Elbenfrau unter Elben zu verbergen! Ich will nicht nach Rumlak! Ich werde schon früh genug echte Elben zu sehen bekommen und ich sage dir bereits jetzt voraus, dass sie mich nicht positiv beeindrucken werden! Dafür ist ihre Ähnlichkeit mit den Grünaugen viel zu groß! Wir werden unseren Plan beibehalten! Du bleibst hier in Rumlak, während ich nach Norden gehe und in dieser Stadt, Esgaroth oder so ähnlich, verweile. Wenn Bizar-kûn Recht behält, dann wird sie irgendwann aus dem Wald von dem König mit dem unaussprechlichen Namen kommen und von da aus Richtung Rhûn reisen."
„Wenn wir sie nicht bereits verpasst haben", warf Rufur ein.
„Wenn... wenn...!", Odan wendete sein Pferd nach rechts und ließ Rufur zurück...
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Noch bevor Legolas den Waldrand erreichte, wartete Amlugûr mit seiner Gruppe auf ihn. Er war nicht ohne Legolas in den Wald gegangen und nutzte die kurze Zeit zur Rast. Er und seine Gefährten wirkten ebenso abgehetzt und müde wie Legolas' Gruppe.
„Habt ihr noch Lembas?", fragte Mithlondion schon von weitem. „Der Verbrauch ist hoch, wenn man so viel Energie braucht!"
Legolas schüttelte bedauernd den Kopf und reichte sein letztes Wasser an Rhîon, dessen durstiger Blick Mitleid erregend war.
„Es ist unglaublich, wie schnell diese Ork-Elben sind!", stöhnte Elladan.
Amlugûr schüttelte den Kopf und reichte ihm einen kleinen, braunen Wasserbeutel. „Koste mal die letzten Tropfen, die sich noch darin befinden!", forderte er ihn auf.
Elladan leckte misstrauisch einige Tropfen und spie sie wieder aus. „Widerlich! Aber ich ahne dessen Wirkung! Es ist sehr... belebend! Die Ork-Elben setzten damit alle Energiereserven frei, doch wenn sie zu oft davon trinken verrecken sie vermutlich."
Amlugûr nickte. „Entweder ist ihr Ziel nahe oder aber sie treffen bald auf Unterstützung", murmelte er.
„Was nur bedeuten kann, dass wir diese Rast hier beenden sollten", fügte Legolas hinzu. „Die Spur des einzelnen vereinigt sich hier mit der Spur der Gruppe. Wir können gemeinsam weiterlaufen."
Mühsam quälten sich einige sitzende Elben auf die Beine und sie setzten sich in Bewegung.
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Eine weitere Nacht brach über Agarmaethor herein. Der Wald um sie herum erschien ihr immer düsterer, doch vielleicht war es auch nur ihre Hoffnung, die verschwunden war und die Welt in Dunkelheit hüllte. Es erschreckte sie selbst, wenn sie daran dachte, dass sie bereits aufgegeben hatte, daran zu glauben, jemand würde ihr helfen, und es erschreckte sie ebenfalls, wie sie sich allmählich an die dunkle Aura der Ork-Elben gewöhnte und diese sie nicht mehr frieren ließ.
Die Ork-Elben rannten und rannten, doch plötzlich blieb ihr Träger abrupt stehen. Vorsichtig hob Agarmaethor den Kopf, konnte jedoch nichts erblicken. Die Ork-Elben unterhielten sich leise und bewegten sich dann vorsichtig, beinahe schleichend, vorwärts. Das kostete Zeit. Agarmaethor hob erneut ihren Kopf. Irgendetwas geschah hier! Ein Paar glühender Augen schauten sie aus einem Gebüsch an. Elben waren das mit Sicherheit nicht. Ein weiteres Paar und schließlich ein drittes gesellten sich hinzu. Panik überkam Agarmaethor. Raubtiere? Dies waren eindeutig Raubtieraugen. Vollkommen erstarrt bemühte sie sich, dem Ork-Elben unter ihr das Tragen zu erleichtern, um ihm die Flucht zu ermöglichen – nicht, dass sie ihm den Tod nicht gegönnt hätte, doch sie selbst wollte leben, wollte weiter existieren, um ihre Erinnerungen wieder zu finden.
Ihr Träger warf sie jedoch erneut auf den harten Boden. Agarmaethor schlug mit dem Kopf auf einem Stein auf und spürte etwas Warmes an ihrem Hals entlanglaufen. Ihr wurde schwindelig und sie nahm gerade noch wahr, wie etwas Großes, Grauschwarzes aus dem Gebüsch sprang und den Ork-Elben attackierte. Erneut wurde ihr schwarz vor Augen.
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Wieder näherte sich ein Tag seinem Ende. Die Elben waren inzwischen tief in den Wald eingedrungen und folgten Legolas, der voll in seinem Element war.
„Seht her! Abgebrochenen Zweige! Das ist vor höchstens zwei Stunden geschehen." Er wollte die Gefährten motivieren, die sich vollkommen erschöpft hinter ihm her schleppten. Allein Amlugûr schien genug Kraft zu haben, um die anderen vorwärts zu treiben. Kein Laut des Zweifels oder der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens glitt ihm über die Lippen.
„Zwei Stunden!", Rochdil stöhnte.
„Das ist gut!" Auch Amlugûr wollte die Gefährten aufmuntern und bestärken. „Wenn wir auf die nächste Rast verzichten, erreichen wir sie vor Sonnenaufgang!" Legolas sah ihn erstaunt von der Seite an. Diese Kraft, die Amlugûr mobilisierte... Liebte er Agarmaethor doch heimlich?
Legolas führte die Gemeinschaft immer tiefer in den Wald und nur wenige Stunden später roch er ein Feuer. Staunend runzelte er die Stirn. Die Ork-Elben hatten es mit Sicherheit nicht entfacht! Alle Elben ergriffen ihre Bögen und machten sich zu einem Kampf bereit. Mit einer Hand deutete Legolas an, wie sie sich aufteilen sollten um das Feuer und die, die es entfacht hatten, zu umzingeln. Vorsichtig folgten sie seinem Handzeichen und näherten sich an, bis sie die Stimmen einiger Männer deutlich hören konnten.
Legolas spähte um ein großes Gebüsch und begegnete dem direkten Blick Agarmaethors. Aus ihrem vor Müdigkeit und Schmerzen gezeichneten Gesicht sahen ihn zwei kalte und abweisende Augen an. Fast könnte man meinen, sie sei noch in Gefangenschaft, so unglücklich wirkte sie dadurch, doch ihre Hände waren nicht gefesselt. Ein Arm hing ihr schlaff an der Seite und in der anderen Hand hielt sie ein großes Stück Fleisch.
„Ihr seht so abgehetzt aus! War irgendetwas?", rief einer der Männer in durchdringendem Bass durch den nächtlichen Wald.
Erst jetzt wandte Legolas seinen Blick von Agarmaethor ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Menschen um sie herum.
„Grimbeorn!", rief er überrascht und kam aus seinem Versteck. Die anderen Elben folgten seinem Verhalten und erhoben sich ebenfalls. „Sei gegrüßt, Grimbeorn. Bist du heute einmal mit Gesellschaft unterwegs?"
Legolas näherte sich einem bullig gebauten und lustig dreinschauenden Mann, der ihm auch gleich ein frisch gebratenes Stück Fleisch reichte.
„In Gesellschaft, und das war auch absolut notwendig", erwiderte dieser und deutete mit einer Handbewegung an, die Elben mögen sich setzen und ebenfalls Fleisch zu sich nehmen.
Grimbeorn deutete auf Agarmaethor. „Diese Elbenfrau hat ein Stimmorgan, dass sogar die Fledermäuse, die hier erstaunlicherweise herumschwirren, die Flucht ergriffen haben. Ich wollte diesem Beispiel folgen, doch dann dachte ich mir, dass eine Elbenfrau wohl nicht ohne Grund so kreischt. Und nun lagern wir hier und dahinten lagern die Reste dieser komischen Elben. Schmeckt euch das Fleisch?"
Die Elben hielten inne und schauten verwirrt zu ihm. „Keine Sorge. Das ist Rind. Von mir gezüchtet! Kennt ihr das etwa noch nicht?"
„Wie viele waren es?", hakte Legolas sogleich nach.
„Vier! Warum fragst du?"
„Der fünfte ist uns wohl entkommen!", murmelte Elladan. „Wir waren ihm in den Wald gefolgt, aber wenn er nicht hier ist, dann haben wir seine Spur wohl verloren."
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Amlugûr hockte sich indessen vor Agarmaethor. „Wie geht es dir?", fragte er weich. „Bist du verletzt? Wir waren sehr besorgt um dich!" Vorsichtig streckte er seine Hand aus und wollte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, doch Agarmaethor fuhr mit ihrem Kopf zurück und wich der Hand aus. Schmerz pochte in ihrem Nacken, ihr wurde beinahe wieder schwarz vor Augen und sie schwankte selbst im Sitzen. Amlugûr streckte sein Hand aus, um sie aufzufangen, doch mit letzter Kraft schob sie diese beiseite.
„Lass das! Du weißt doch, dass ich das nicht will! Fass mich nicht an!", fauchte sie hart.
Amlugûr zog seine Hand zurück. „Lass mich wenigstens deine Wunden behandeln. Du kannst doch nicht derart verletzt weiter mit uns reisen!"
„Ich werde überhaupt nicht mehr mit euch reisen. Ich entziehe mich hiermit eurer Gesellschaft!", erwiderte sie kalt.
Amlugûr musterte sie erstaunt. „Warum? Was ist denn geschehen? Wieso änderst du deine Meinung?", fragte er ungläubig, doch Agarmaethor erhob sich mühsam, ließ sich von den umher sitzenden Menschen eine gefüllte Wasserflasche geben und verließ zielstrebig das Lager.
„Wo willst du denn hin?", rief ihr Amlugûr hinterher. „Wir wollen doch auch zu König Thranduil! Das ist doch ein gemeinsamer Weg!" Doch Agarmaethor ging wortlos davon.
„Das ist vielleicht ein ungeheuerliches Weibsstück!", raunte Grimbeorn Legolas zu. „Mit ihrer linken Hand hat sie beinahe Romar erwürgt, als er sie von den Fesseln befreien wollte, dann dankt sie uns nicht einmal für ihre Rettung und hockt frustriert und mit finsterem Blick am Feuer, lässt ihren ausgekugelten Arm und ihre Verletzung am Kopf nicht behandeln, und kaut an einem Stück Fleisch, ohne auch nur einen Bissen herunterzuschlucken! Und in diesem Zustand will sie jetzt tagelang durch den Wald zu Thranduil? Das überlebt die NIE! Ist sie als Kind vielleicht zu oft auf den Kopf gefallen?", fragte er.
„Überleben würde sie es wohl. Es wäre nicht das erste mal, dass sie in einem solchen Zustand keine Hilfe annimmt. Störrisch wie ein Esel will sie auf eigenen Beinen stehen und lehnt Hilfe ab, wo sie nur kann!", erklärte Amlugûr mürrisch.
„Eine Frau, die es Männern gleichtun will, was?", lachte Grimbeorn schallend.
Legolas sah ihn erstaunt an. „Meinst du denn, es sei typisch männlich, sich jeder Hilfe zu verweigern?", fragte er und erhob sich, ohne eine Antwort Grimbeorns abzuwarten. Er ließ sich von Elladan etwas Verbandszeug und Kräuter geben und folgte Agarmaethor in den Wald.
„Weit bist du nicht gekommen!", sagte Legolas weich, als er sie erschöpft auf einem Baumstamm hocken sah.
„Ich habe lange nichts gegessen!", erwiderte sie kalt.
„Warum isst du dann das Fleisch von Grimbeorn nicht?" Legolas hockte sich vor sie und bereitete einige Kräuter in einer Schale zu einer winzigen Tinktur zu.
Sie erwiderte nichts und erhob sich von dem Baumstamm.
„Warum nicht?", hakte Legolas nach.
„Sie haben mir in den Magen getreten!", antwortet sie kalt. „Aber es geht schon wieder! Geh zurück zu deiner Gemeinschaft! Ich brauche dich nicht!"
Legolas hielt inne und schaute ihr nach, wie sie beinahe stolpernd durch den Wald zu gehen versuchte.
„Ich muss mich bei dir entschuldigen", sagte er leise.
Verwundert blieb sie stehen und drehte sich erwartungsvoll um.
„Es tut mir leid, dass ich geglaubt habe, du würdest mit den Ork-Elben kooperieren. Ich dachte, sie wären deshalb so schnell, weil sie durch dich nicht behindert wurden. Ich sah zwar unterwegs Blut, doch ich habe dem nicht dir richtige Bedeutung beigemessen. Es war zu wenig für eine ernsthafte Verletzung", erklärte er in bedauerndem Tonfall. „Erst als Amlugûr uns das Geheimnis ihrer Schnelligkeit verriet, weil er einen Wasserbeutel mit einem sehr anregendem Getränk gefunden hatte, wurde mir bewusst, dass dich keine Schuld trifft."
Legolas sah sie an und verstand ihren starren Blick nicht. „Es tut mir wirklich leid! Wie konnte ich annehmen dass du, die du so lange gegen dunkle Kreaturen gekämpft hast, mit ihnen zusammenarbeitest. Ich dachte fälschlicherweise, dir seien deine Erinnerungen derart wichtig, dass dir diese Entführung sogar entgegen käme."
Zögernd näherte sich Agarmaethor ihm und hockte sich zu seinen Füßen hin. Schweigend schaute sie in den Himmel zu den Sternen und beachtete Legolas lange Zeit nicht.
„Einige Sekunden lang erschien es mir als eine gute Idee", flüsterte sie schließlich. „Alles wäre für mich viel leichter gewesen. Du musst dich also für diese Gedanken nicht entschuldigen. Ich hatte eine andere Entschuldigung erwartet."
Legolas sah sie verwundert an. „Was meinst du?"
Agarmaethor erhob sich wieder und sah in den Himmel, als würde sie ihm dadurch näher sein.
„Ich glaubte, du würdest dich dafür entschuldigen, weil ihr mich als Köder für Thuringwethil missbraucht habt. Die Ork-Elben hätten euch schließlich direkt zu ihr geführt! Und euer plötzliches Auftauchen führte ich darauf zurück, dass Grimbeorn euren Plan zerstört hatte und ihr nun erneut auf meine Mitarbeit angewiesen seid", sagte sie leise und beobachtete eine Wolke am Himmel.
Doch plötzlich wandte sie sich mit blitzenden Augen zu Legolas um. „Die Existenz dieses Trankes ist eine Lüge!", fauchte sie kalt. „Die Ork-Elben waren vollständig erschöpft, denn wenn es so wäre, wie du es darzustellen versuchst, hätten sie sich nicht so einfach von einigen schlecht bewaffneten Menschen überrumpeln lassen! Warum belügst du mich? Warum hast du nicht einmal den Mut, dich für die Wahrheit zu entschuldigen? Du kommst mir hinterher gekrochen, bist nett und freundlich und willst mich doch nur umstimmen, deine Gemeinschaft wieder zu führen, weil ihr auf mich angewiesen seid! Wie schäbig! Gerade von dir hätte ich ein derartiges Verhalten nicht erwartet. Hat König Thranduil dir als Kind nicht beigebracht, dass die Wahrheit, auch wenn sie bitter ist, oft der bessere Weg zum Ziel ist? Wenn du wenigstens den Mut gehabt hättest, mir mitzuteilen, dass es euch allein auf Thuringwethil ankommt und meine Person dabei vollkommen gleich ist! Aber nein... ihr alle spielt mir Interesse an meiner Person vor... und dabei wollt ihr mich nur benutzen!"
Sprachlos sah Legolas sie einige Sekunden an, bevor er ernüchtert erwiderte: „Nicht Thranduil, sondern du bist mein Lehrer! Tag für Tag lebst du mir vor, die Gemeinschaft wäre nur Dreck an deinen Schuhen, welchen du freundlicherweise nicht entfernst, weil du darum gebeten wurdest. Doch der eigentliche Grund, warum du ihn nicht entfernst, ist doch der, dass er dir dabei nützlich ist, schlimmeren Dreck fernzuhalten!
Du benutzt uns und ich habe gelernt, das ebenso zu tun. Die ganze Zeit über gaukle ich dir nur vor, ich wäre nett, freundlich, hilfsbereit, nicht nachtragend und fürsorglich, doch deine enorme Welterkenntnis hat mich entlarvt! Ich gebe es zu, dass ich in Wirklichkeit gemein und hinterhältig bin. Ich habe es wirklich nur darauf abgesehen, diese Thuringwethil zu finden, und wenn ich sie erst einmal in meiner Schusslinie habe, gibt es kein Halten mehr. Dich werde ich in einen Abgrund stoßen, damit du nicht störst, und Thuringwethil erhält zwei wohl gesetzte Pfeile in die Brust! Genau das war mein Plan, doch leider geht er nicht mehr auf, weil du die Wahrheit hinter meinem Tun erkannt hast!" Enttäuscht schüttelte er den Kopf.
Mit geweiteten Augen sah Agarmaethor ihn an. „Du redest in einem Tonfall, als hätte ich Unrecht! Hast du tatsächlich die Frechheit mir weismachen zu wollen, dass ihr mich um meinetwillen retten wolltet?", brauste sie auf.
„Ja. Und diesen Trank gibt es wirklich. Dass diese einfachen Menschen die Ork-Elben besiegen konnten, liegt daran, dass es keine einfachen Menschen sind. Der eine von ihnen ist Grimbeorn, Beorns Sohn. Sein Vater war in der Lage einen mächtigen Ork-Häuptling während der Schlacht der Fünf Heere zu töten!"
„Gestaltenwandler... Raubtiere...!", flüsterte Agarmaethor fassungslos und die Wahrheit von Legolas' Behauptung wurde ihr bewusst, als sie sich an die Raubtieraugen erinnerte, die sie kurz vor ihrer Bewusstlosigkeit sah.
„Und weil wir gerade bei der Wahrheit sind..., fuhr Legolas unbeirrt zynisch fort. „Ich wollte dir schon immer sagen, dass ich es wunderbar finde, wie schlecht du dich selbst behandelst. Ich mag das. Ich blühe richtig dabei auf, wenn ich zusehe, wie sich jemand nicht helfen lässt, weil er sich selbst gerne leiden sieht. Ich liebe es, weil ich dann immer das Leben anderer mit meinem eigenen vergleiche und zu der Erkenntnis gelange, dass es mir immer noch besser geht. Das baut auf! Schon deshalb bin ich bemüht, dich in der Gruppe zu halten. Oder warum glaubst du halte ich es mit Amlugûr so lange aus? Ganz einfach! Ich sehe dich an und fühle mich großartig, denn dir geht es definitiv schlechter als mir! Du lässt dir nicht einmal den Arm wieder einrenken oder deine Kopfwunde behandeln! Wie kann es mir da schlecht gehen? Und alle anderen halten es genau so! Galadriel, Mithrandir, Estel und auch Gimli! Sie alle! Ich..."
„Was in Erus Namen willst du von mir?", unterbrach Agarmaethor ihn. „Willst du eine Entschuldigung für meine Ansichten? Die hast du dir verdient. Es tut mir leid, dass ich dich der Lüge bezichtigt habe. Wirklich!"
„Und?", fragte Legolas kühl.
„Was meinst du mit 'und'?"
„Ich will mehr als das hören! Ich will hören, dass es dir leid tut uns unterstellt zu haben, wir hätten dich mißbraucht und allein deshalb verfolgt, weil wir zu Thuringwethil wollen."
„Das ist mit der Erklärung für die Geschwindigkeit der Ork-Elben noch lange nicht aus der Welt!", erwiderte Agarmaethor abweisend. „Was sonst hättet ihr für einen Grund, mir zu folgen?"
Legolas seufzte leise auf. „Ich meinerseits habe dich nicht verfolgt, um dich aufgrund der Visionen zurückzuholen, sondern einfach, weil du eine Elbenfrau bist. Ich würde NIE eine Angehörige meines Volkes in den Fängen derartiger Kreaturen lassen und ich finde es verletzend, dass du mir derartiges zutraust. Aber selbst wenn dem so wäre, dass andere dich nur wegen der Visionen von den Ork-Elben befreien wollten und es dabei nicht um deine Person als solche ging, bist du selbst schuld daran. Jedem, der freundlich zu dir ist, stößt du gegen den Kopf. Du vermutest überall hinterhältige Gedanken. Glaubst du denn ernsthaft, Amlugûr würde dir etwas antun? Er versuchte dir die Strähne aus deinem Gesicht zu streichen und eine solche Geste zeugt von Sympathie! Er mag dich offenbar. Er wollte dich aufmuntern. Und als dir jemand ein Stück Fleisch reichen wollte, hast du ihn zurückgewiesen, weil du glaubtest, er hielte dich nicht für fähig, dir selbst ein Stück zu nehmen. Und ich wollte dir deinen traurigen Traum nehmen, der dich weinen ließ und durfte dein kaltes Kurzschwert spüren."
Agarmaethor drehte sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Sie kämpfte mit sich und Legolas sah ihrem Gesicht an, dass gerade viel in ihr vorging. Er wusste, sie wollte etwas sagen und wartete geduldig.
Nachdenklich senkte sie den Blick. „Mein Verstand sagt, dass du wohl recht hast, doch mein Gefühl lässt mich zweifeln. Die letzten Monate haben mir zu sehr zugesetzt", flüsterte sie. „Sie haben so vieles verändert, was mich schlicht überfordert und mich misstrauisch macht, zu misstrauisch, wie mir mein Verstand sagt, und doch werde ich meine Zweifel nicht einfach so los."
Legolas nickte und schenkte ihr das strahlendste Lächeln, das er besaß. „Es wäre wirklich gelogen zu behaupten, wir hätten nicht auch Interesse daran, dass du uns zu Thuringwethil führst. Doch du bist dadurch Teil der Gemeinschaft geworden und damit mehr als nur ein Führer!" In warmem Tonfall fuhr er fort: „Ich weiß nicht, was mit dir geschehen ist, aber manchmal braucht es einfach Zeit, um Schmerzen zu vergessen oder sich seinen Ängsten zu stellen. Ich kann von dir nicht verlangen, dass du uns alle sofort ins Herz schließt, aber vielleicht kannst du dich einfach ein bisschen mehr bemühen, uns entgegen zu kommen oder uns zu erlauben, dir etwas Gutes zu tun, wenn du dazu selbst nicht in der Lage bist. Oder kannst du dir den Arm selbst wieder einrenken?"
Agarmaethor schüttelte den Kopf.
„Also frage ich dich so ganz ohne Hintergedanken: Erlaubst du mir, deine Verletzungen zu behandeln und dir den Arm wieder einzurenken?"
„Nein!"
Legolas stockte der Atem, doch sie fuhr fort: „Bitte frag Elladan, ob er es tun kann. Ich weiß, dass er viel von seinem Vater gelernt hat!"
Legolas atmete erleichtert auf und erhob sich.
„Dann lass uns zu ihm gehen! Du siehst auch sehr müde aus! Schlafe eine Nacht, bevor du entscheidest, ob du uns wirklich verlassen willst", sagte er.
Agarmaethor senkte den Kopf. „Ihr könntet Thuringwethil ohne mich gar nicht finden!", flüsterte sie.
„Ja, das ist wahr, aber ich würde dich deshalb trotzdem nicht unter Druck setzen! Das einzige, was ich verlangen würde ist, dass du ab jetzt wieder am Lagerfeuer schläfst. Ein weiterer Versuch, dich zu entführen, kann damit einfacher vermieden werden und das ist auch in deinem Interesse."
Agarmaethor nickte. Schweigend gingen sie gemeinsam zum Lagerfeuer zurück.
°
°
°adar Vater
