Liebste Leser!

Seid ihr alle im Urlaub oder halten andere Unwägbarkeiten euch ab? Ich hoffe, es lag nicht daran, dass euch das letzte Kap nicht gefallen hat? (schnief)

Trotzdem hier das nächste. Ich hoffe, es gefällt euch, denn es ist mein persönliches Lieblingskapitel (zusammen mit dem nächsten)

Viel Spaß

Vypox

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16. Eryn Lasgalen

Am darauffolgenden Morgen beerdigten Pallando und Alatar das alte Ehepaar und deren Hund. Obwohl sie die Nacht in der Scheune verbracht hatten und die Gedanken an das Geschehene ihnen einen unruhigen Schlaf beschert hatten, brachen sie schon früh am Morgen voller Tatendrang auf, um die Spur der Mörder und möglicherweise auch Entführer zu verfolgen. Mit großen Schritten eilte Alatar voraus und suchte mit seinen Blicken immer wieder nach den Spuren der Menschen, die im weichen und moosigen Untergrund stellenweise auch nach vielen Stunden noch gut erhalten waren.

Als sie aus dem Wald wieder auf die Ebene traten, sahen sie, wie die Spur in gerader Richtung auf das große Felsplateau zulief und scheinbar in der steilen Wand verschwand.

Hastig eilten sie zu dem Felsen und blieben erstaunt stehen. Alatar suchte mit seinen Fingern an der Felswand nach einem Knopf oder Hebel, doch nirgendwo befand sich eine Vorrichtung, um einen Eingang freizulegen.

„Vielleicht ist ein Losungswort erforderlich?", fragte Pallando nach einer Weile.

„Und welches? Es gibt hier keinen Hinweis?", brummte Alatar ungeduldig. Er mochte derartige Rätsel nicht.

Die Mittagssonne schien von oben auf sie herab und bot keinen Schatten vor dem Felsen, der die Hitze auf sie zu reflektieren schien, doch weder Pallando noch Alatar ließen sich davon beeindrucken und harrten vor dem Felsen aus, starrten ihn an und dachten nach. Es musste eine Lösung geben. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, und die Schatten wieder länger wurden, traute Pallando seinen Augen nicht. Er glaubte in der steilen Felswand winzige Stufen zu entdecken, die allein durch den Schattenwurf sichtbar wurden.

Neugierig tastete er die Wand erneut ab.

„Ich kann es nicht fassen!", murmelte er. „Da sollen die Menschen hinaufgeklettert sein? Das sind doch weder Bergziegen noch Zwerge!"

Alatar schob ihn jedoch energisch beiseite und begann den Aufstieg. „Wenn die da hochklettern können, können wir das schon lange!" Und tatsächlich schien das Klettern weniger schwierig zu sein, als es zunächst den Anschein hatte, denn Pallando sah seinen Freund nur wenige Minuten später hoch über sich. Den langen Stab am Rücken befestigt, den blauen Mantel im Winde wehend, stieg dieser die Stufen immer weiter empor. Pallando entschloss sich, ihm zu folgen, doch ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er erinnerte sich an den gemeinsamen Absturz am Meer von Rhûn und mochte den Gedanken nicht, sich sechshundert Fuß in die Höhe zu begeben. Doch Alatar war ihm bereits weit voraus und schwankte nicht eine Sekunde lang.

Unter Aufbringung all seinen Mutes stieg Pallando Alatar hinterher und erreicht schwer atmend das Ende der Treppe. Eine gewaltige Ebene breitete sich vor ihnen aus, steinig und ohne jegliches Grün. Sie hielten Ausschau, doch nirgends war ein sich bewegender Punkt oder etwas anders zu sehen, das auf Leben hinwies.

„Nicht, dass ich die Fläche überschauen könnte, aber es gibt hier nicht einmal mehr eine Spur!", knurrte Alatar. „Wo sollen wir hin? Wo sind SIE hin? Die Ostlinge sind doch mit Sicherheit nicht ohne Grund auf diesen Felsen gestiegen?"

Pallando schüttelte nachdenklich seinen Kopf. „Vielleicht haben sie nur eine Abkürzung gewählt, um nicht um den Felsen laufen zu müssen und sind an einer anderen Stelle wieder hinabgestiegen?"

„Das wäre eine Katastrophe, nachdem wir solange nach diesem Weg gesucht haben. Ohne Ortskenntnis werden wir den Abstieg nie finden! Wir müssen hier wieder nach heruntersteigen und dann um den Felsen laufen, um zu sehen, ob die Spur irgendwo weitergeht", erklärte Alatar knapp, doch ein kurzer Blick auf den Sonnenstand ließ ihn zögern. „Wir sollten heute Nacht hier rasten. Es wird gleich dunkel, und dann ist der Abstieg zu riskant."

Mit ihren Mänteln versuchten beide, es sich auf dem harten Felsen so bequem wie nur möglich zu machen, und als die Nacht ihren dunklen Schleier über die Landschaft warf, schliefen beide sofort ein. Seltsam scharrende Geräusche störten Pallandos Schlaf, doch es war ein sanftes Rütteln, welches ihn schließlich weckte.

Verschlafen versuchte Pallando sich aufzusetzen und seine Umgebung zu erfassen, doch die Müdigkeit ließ seine Augenlider so schwer sein, dass er sie nicht öffnen konnte.

„Bitte helft mir!", wimmerte eine Frauenstimme leise in sein Ohr.

Sein Erstaunen und seine Überraschung wirkten wie ein Eimer voll Wasser, welcher ihm gerade ins Gesicht geschüttet wurde, und er riss seine Augen auf. Eine schlanke Gestalt huschte von ihm weg zu Alatar und rüttelte auch diesen wach. Alatar war geistesgegenwärtig genug, um ohne Fragen sofort zu seiner Waffe zu greifen und argwöhnisch in die Nacht zu lauschen. Leise Schritte mehrerer Personen hallten durch die öde Stille der Hochebene.

„Sie verfolgen mich und wenn sie mich wieder fangen, dann..." Die junge Frau führte ihren Satz nicht zu Ende.

Pallando ergriff seinen Stab und spähte in die Dunkelheit, doch seine Augen konnten sich nicht mit denen Alatars messen. Wie eine Raubkatze erhob sich dieser und eilte den Schritten entgegen. Pallandos Blick blieb an der zitternden und erschöpft am Boden kauernden Gestalt hängen, doch plötzlich gewannen das Klirren von Metall und ängstliche Schreie nicht weit von ihm entfernt seine Aufmerksamkeit, und er eilte Alatar in die Dunkelheit hinterher.

Seine menschlichen Augen vermochten schon bald die Umrisse einiger miteinander kämpfender Personen ausmachen, doch als er den Schauplatz des Geschehens erreichte, bot sich ihm ein grausames Bild. Zwei tote Krieger lagen mit abgetrennten Köpfen und drei weitere mit aufgeschlitzten Bäuchen am Boden. Ein weiterer stand mit erhobenem Schwert Alatar gegenüber und zitterte am ganzen Leib. Seine Augen suchten nach einem Fluchtweg, und obwohl ihm die gesamte Ebene dafür offen stand und nichts ihn daran hätte hindern können einfach wegzulaufen, harrte er ängstlich aus, bis ein Schlag durch Alatars Stab ihn tödlich am Kopf traf und er in sich zusammensackte.

Wie gebannt beobachtete Pallando das Geschehen, doch ein Schrei der jungen Frau an ihrem Lagerplatz riss ihn aus seiner Agonie, und er eilte zurück – gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass ein weiterer Krieger die junge Frau verschleppte. Doch gerade als Pallando seinen Stab hob, um sich dem Krieger zu stellen, ließ dieser von der jungen Frau ab, stieß sie zu Boden und eilte in die Dunkelheit – in die Arme Alatars. Nie wieder würde dieser Krieger... nie wieder würde überhaupt einer dieser Krieger einen Sonnenaufgang bewundern können! Alatar kannte keine Gnade. Aus den Augenwinkeln konnte Pallando beobachten, wie Alatar sein Schwert an der Kleidung eines Gefallenen reinigte, bevor er es wieder in die Scheide steckte.

Angewidert wandte sich Pallando der jungen Frau zu und half ihr, aufzustehen.

„Seid Ihr verletzt?", fragte er besorgt und sah sich die Frau dabei genauer an.

Eine Elbenfrau war sie nicht, doch sie war hübsch. Langes dunkles Haar fiel ihr über die Schultern. Glatte, makellose Haut, hell wie Elfenbein, ließ ihr Gesicht im Schein der wenigen Sterne weich und freundlich erscheinen. Ihr Kleid war im Bereich der rechten Schulter aufgerissen, so dass eine kleine blutende Wunde sichtbar wurde. Verlegen versuchte sie, mit den Händen das Kleid soweit zusammenzuhalten, damit es nicht noch mehr als ihre Schulter preisgab.

„Moment bitte! Ich versorge das", fuhr Pallando fort und begann in seiner Tasche zu wühlen. Einige Heilkräuter und Verbandsmaterial führte er immer mit sich.

Fürsorglich kümmerte er sich um die Verletzung, während Alatar mit seinem Dolch sicherstellte, dass auch wirklich alle Angreifer tot waren.

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Die Anwesenheit Grimbeorns und seiner wachsamen Gefährten erlaubte der Gemeinschaft einen erholsamen Schlaf, doch als alle am nächsten Morgen kurz vor dem Sonnenaufgang erwachten, lag Agarmaethor noch immer zusammengerollt neben dem Lagerfeuer und schlief.

„Oh Elbereth! Sie schläft wie ein Mensch oder Zwerg!", seufzte Maethrim gelangweilt, während Aneru sich bemühte, sie sachte zu wecken, doch sie rührte sich nicht.

Legolas beobachtete das Geschehen. „Vielleicht hatte sie erneut eine Vision und wir haben es nicht bemerkt?", fragte er unsicher. „In diesem Fall wäre sie ohnmächtig und wir dürften noch einige Tage hier verbringen."

Amlugûr schüttelte den Kopf. „Vielleicht ist sie auch nur erschöpft. Sie hat schließlich viel durchgemacht!"

Schweigend saßen die Elben im Kreis um das Lagerfeuer, frühstückten ausführlich und beobachteten Agarmaethor.

Grimbeorn und seine Gefährten packten ihre Sachen zusammen.

„Ihr braucht uns mit Sicherheit nicht mehr, oder?", fragte er mit seiner tief dröhnenden Stimme und verabschiedete sich von allen herzlich.

„Pass auf dich auf!", raunte er Legolas noch zu, bevor er die Gemeinschaft endgültig verlassen wollte. „Diese Frau ist mir nicht geheuer. Sie benimmt sich überhaupt nicht so, als wäre sie normal. Sie ist so... so... unelbenfrauenhaft!"

„Wie ein Krieger!", erwiderte Legolas mit einem sanften Lächeln.

„Ja!", knurrte Grimbeorn. „Aber irgendwie auch nicht richtig wie ein Krieger! Irgendwie ist sie nichts Halbes und nichts Ganzes!"

Legolas lächelte noch einmal sanft und winkte ihm hinterher, als er zwischen den dichten Zweigen eines blattlosen Strauches verschwand. Dann wandte er sich zu Agarmaethor um und fuhr sich mit der Hand nachdenklich durchs Haar. 'Nichts Halbes und nichts Ganzes!', wiederholte er in Gedanken. Vermutlich hatte Grimbeorn den Nagel auf den Kopf getroffen, denn genau das war es wohl, was Agarmaethor über sich selbst dachte, weil ihr ihre Erinnerungen fehlten. Sie fühlte sich unvollkommen.

„Oh Eru! Ist sie das wirklich?", rief Aneru plötzlich laut. „Wurde sie vielleicht von den Ork-Elben vertauscht?"

Erstaunt sammelten sich alle um den schlafenden Körper Agarmaethors und starrten sie an.

„Sie lächelt!", flüsterte Rochdil fassungslos.

„Sie träumt etwas Schönes", schmunzelte Elladan. „Wenn ich etwas Schönes träume, möchte ich auch nicht erwachen, sondern alles möglichst lange aufrechterhalten."

„Ihr Lächeln ist bezaubernd!", murmelte Amlugûr und betrachtete sie fasziniert. „Noch nie sah ich..." Er beendete seinen Satz nicht.

Legolas blickte Amlugûr erstaunt von der Seite an. Er selbst kannte Agarmaethor erst sein einigen Wochen, doch wie viele Jahre mochte Amlugûr sie kennen? Und auch er hatte sie noch nie lächeln sehen?

„Nicht einmal bei einem Scherz?", nahm ihm Aneru die Frage ab.

Amlugûr schüttelte bedauernd den Kopf. „Wir sollten uns lieber entfernen. Wenn sie erwacht und uns so im sie herum sieht, wird sie uns entweder den Hals umdrehen oder sie ergreift die Flucht", sagte er jedoch nur und setzte sich wieder ans Feuer, um sein Fleisch aufzuessen.

Eine Fledermaus umkreiste die Gemeinschaft und hing sich an einen Ast. Ärgerlich ergriff Uiwador seinen Bogen und schoss einen Pfeil auf das Tier, das mit einem gellenden, letzten Quieken zu Boden fiel.

Erschrocken fuhr Agarmaethor auf. Ihr Gesichtsausdruck verriet die Enttäuschung, die sie empfand, als sie nach einigen Sekunden realisierte, dass sie sich nicht mehr in ihrem Traum befand.

„Wir müssen weitergehen. Wo ist Gimli? Ist er bereits bei Thranduil?", fragte sie und verlor kein Wort darüber, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand und alle nur auf sie zu warten schienen.

„Bei Eru, nein!", entfuhr es Elrohir. „Das hätten wir Gimli nie antun können. Er wartet in Rhosgobel, bei Radagast."

Agarmaethor nickte und lief schweigend voraus, während die anderen noch schnell das Lagerfeuer löschten und ihr hinterher eilten. Kopfschüttelnd beobachtete Legolas sie. Sie wollte allein sein und setzte sich immer wieder von der Gruppe ab, gedankenverloren, als hinge sie noch immer ihrem Traum nach. Erst Stunden später gesellte sie sich wieder der Gemeinschaft zu und lief schweigend neben Legolas.

„Wovon hast du heute Nacht geträumt?", fragte er sie.

Große graue Augen blickten ihn zornig an. „Was geht es dich...", brauste sie auf, doch dann hielt sie mitten im Satz inne und schluckte verlegen. „Von Bäumen, von unbeschreiblich schönen Gärten, von duftenden Blumen und singenden Vögeln, von Ents und von mir, wie ich zwischen all dem stehe und es genieße", fuhr sie schließlich leise und gefasst fort.

Legolas lächelte sie aufmunternd an und überging ihren ärgerlichen Tonfall, indem er unbeirrt nachhakte: „Also von Dingen, die du jederzeit haben kannst, wenn du nur willst?"

Sie traten aus dem Wald heraus auf die Ebene, die sie zum Anduin führen würde, und Agarmaethors Blick schweifte über die braune Fläche. Ihr Blick trübte sich.

„Nein. Diese Dinge, von denen ich träumte, gibt es nicht mehr. Sie sind tot, genau so wie meine Familie. Allein dieser Wald hier ist noch erhalten." Sie wies mit einem kleinen Schwenken ihres Kopfes auf den Eryn Lasgalen.

Legolas sah sie erstaunt an. „Du warst bereits einmal hier? Du hast es nie erwähnt!"

„Nicht im Reiche Thranduils. Dieses wusste ich immer zu meiden, und es gab für mich auch keinen Grund, deinen Vater aufzusuchen. Doch ich befand mich oft im Süden und beobachtete Ork-Bewegungen um Dol Guldur", erklärte sie. Leise und traurig fuhr sie fort: „Auch in meinen Träumen bin ich oft dort, doch meist nur am Rande des Waldes und sehr viel weiter im Süden. Damals war alles noch anders, besser... bezaubernder. Nie wieder wird es etwas derart Schönes geben. Alles ist zerstört."

Einen Moment lang verstand Legolas nicht, wovon sie sprach, doch dann erinnerte er sich an Erzählungen seines Vaters. Sein Blick folgte ihrem in den Süden. „Du hast Recht. Die Gärten der Ents waren mit nichts zu vergleichen, was je ein Auge erblicken konnte. Sie waren ein Wunder – nach allem, was ich hörte - und es ist bedauerlich, dass sie während des ersten Ringkrieges zerstört wurden", sagte er. „Doch dies alles ist Vergangenheit und lebt nur noch in den Erinnerungen derer, die die damalige Zeit überlebten. Der Eryn Lasgalen hingegen lebt im Hier und Jetzt, und er ist glanzvoller und prächtiger als jeder Garten der Ents. Ich bewundere die Schönheit und Reinheit angelegter Gärten und ich achte die Arbeit, die hinter all der Pflege steckt, doch ich liebe das freie und wilde Wachstum der Pflanzen, ihre Stärke und ihren Willen, sich gegen die Widrigkeiten der Welt durchzusetzen. Dies ist für mich ein Zauber, wie er wirklicher und schöner nicht sein kann."

Agarmaethors Blick schweifte über die blattlosen und grauen Äste der Bäume am Waldrand. „Ja", murmelte sie. „Ich verstehe dich. Selbst in dieser Jahreszeit zeigt sich der Wald in einer Schönheit, die nicht einmal in Lórien zu finden ist. Ich mag es, wenn der Morgenreif die kleineren und zarteren Zweige umhüllt und sie dadurch einen interessanten Kontrast zu den dunklen Stämmen der Bäume bilden. Ich liebe es, wenn ein kleiner, bunter Vogel zwischen dem Grau des Winters auf einem Ast hockt und mit seinem sonnigen Trällern den Frühling herbeiruft. Dieser Wald lebt die Jahreszeiten aus – mit den duftenden Blüten des Frühlings und dem erwachenden Leben, dem grünen Blattwerk des Sommers, das wohltuenden Schatten spendet und dem bunten Laub des Herbstes, das so wunderbar raschelt, wenn man barfuß hindurchschlendert. Es ist nicht wie im Fangorn oder in Lórien, wo die Zeit still zu stehen scheint. Hier ist das Leben Wirklichkeit."

Legolas' Augen funkelten fröhlich. „Genau so ist es. Und deshalb liebe ich diesen Wald von ganzem Herzen."

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Gimli hatte es sich indessen in einem kleinen, offen stehenden Schuppen hinter dem Haus von Radagast gemütlich gemacht. In hohen Regalen fanden sich Werkzeuge und viele abgelegte Kleidungsstücke des Istar. Gimli fragte sich zwar, wozu ein Zauberer Werkzeug benötigte, doch deren Vorhandensein verkürzte ihm die Zeit. Während er auf die Elben wartete, hackte er einen Stapel Brennholz, welcher Radagast wohl gute fünf Jahre Arbeit ersparen würde. Er reparierte das Dach des Schuppens, räumte die Regale auf, schärfte die Werkzeuge, und schließlich versuchte er sich sogar daran, aus einem großen Stein in der Nähe des Hauses eine Statue zu meißeln.

Als die Elben Rhosgobel erreichten, grinste ihnen eine gewaltige steinerne Grimasse entgegen, doch keiner wagte zu fragen, was oder wen diese Statue darstellen sollte. Höfliche Blicke verdrängten ein schallendes Lachen.

„So! Haben wir unsere Kriegerschönheit also wieder?", rief Gimli bereits von Weitem und schwenkte seine Axt, um den sechsten Jahresvorrat an Brennholz vorzubereiten. „Während ihr euch körperlich betätigt habt, habe ich mir Gedanken gemacht."

„Wie ist das möglich? Handwerker, Künstler und Denker zugleich!", rief Rochdil mit einem gespielt bewundernden Blick auf die Statue.

„Habt ihr euch nicht auch gefragt, warum Agarmaethor von den Ork-Elben entführt wurde?", fuhr Gimli unbeirrt fort. „Ging es möglicherweise darum, die Visionen zu unterbrechen? Sollte sie uns den Weg zu Thuringwethil nicht mehr zeigen können? Doch wäre es dann nicht besser gewesen, sie sofort zu töten?"

„Ist es dir gelungen, deine eigenen Fragen zu beantworten? Nein? Dann weiß ich, warum du soviel Zeit hattest, diesen wundervoll riechenden Felsen zu misshandeln", bemerkte Aneru frech.

Gimli schnappte nach Luft, doch Agarmaethor unterbrach ihn, bevor er etwas erwidern konnte. „Es war bereits der zweite Versuch mich zu entführen", sagte sie leise und erntete viele erstaunte Blicke.

Legolas nickte beipflichtend. „Auch ich denke, dass der Ork-Elb nicht mich sondern Agarmaethor entführen wollte, als er mich bei der Pferdeherde westlich des Nebelgebirges überfiel. Es regnete und mein Haar war durch den Umhang verdeckt. Zudem stand ich direkt neben Agarmaethors Pferd. Das Gesicht des Ork-Elben verriet Überraschung, als ich mich von der Kapuze befreite, doch ich verstand seine Reaktion damals nicht."

Gimli und die Elben sahen Agarmaethor verwundert an. „Und die Orks und Uruk-hai..., waren sie auch auf der Suche nach dir?", fragte Mithlondion und zog dabei ernst seine Augenbrauen hoch.

„Das weiß ich nicht, doch ich vermute es. Ich hatte bereits lange vor meinem Zusammentreffen mit euch Konflikte mit kleineren Gruppen von Orks, doch ich sah keinen Zusammenhang mit meiner Person. Aber als die Uruk-hai nie ihre Skimitare gegen mich einsetzten, sondern nur ihre Fäuste, gab mir dies zu denken, doch woher sollte ich wissen, dass ihr Interesse gerade meiner Person galt? Warum auch? Ich kann mir bis heute diese Frage nicht beantworten." Bedauern schwang in ihrer Stimme mit. „Es war sicherlich nicht meine Absicht, euch in Gefahr zu bringen. Im Gegenteil. Ich glaubte, sie durch mein Tun von euch fernzuhalten."

„Wir können es nicht ändern und wissen nun, worauf wir uns eingelassen haben. Ich hoffe, wir finden bald heraus, warum derartiges Interesse an deiner Person besteht", erklärte Amlugûr.

Aufmunternd nickten alle Agarmaethor zu, doch sie wandte ihren Blick ab und schaute zum Eryn Lasgalen. „Es wird Zeit aufzubrechen und das Reich Thranduils zu betreten", sagte sie schlicht.

Legolas nickte. „Ich muss euch leider einige Verhaltensregeln auferlegen. Das ist wichtig und Verstöße können böse enden!", warnte er.

Erwartungsvoll schauten ihn alle an.

„Wenn wir vor meinen König treten, überlasst mir das Wort. Keiner wird sprechen, wenn er nicht gefragt wird, selbst wenn es noch so sehr auf der Zunge brennt. Wenn es etwas Wichtiges zu sagen gibt, teilt mir das hinterher mit und ich kläre das alleine mit meinem König. Gimli, du solltest nach Möglichkeit niemandem gegenüber erwähnen, dass dein Vater hier einst ein Gefangener war, dem die Flucht gelungen ist. Daran erinnert sich mein König überhaupt nicht gerne."

„Du nennst deinen Vater 'mein König'?", fragte Aneru erstaunt.

„Nur, wenn ich im Eryn Lasgalen befinde. Außerhalb nenne ich ihn Vater, doch in seinem Reichen haben die Bäume Ohren und berichten ihm alles", erwiderte Legolas abweisend und fuhr fort, weitere Verhaltensregeln zu erklären: „Solltet ihr angesprochen werden, dann beendet jeden Satz mit 'Herr'." Er wandte sich an Agarmaethor. „Für dich gelten besondere Regeln. Du darfst keinem männlichen Elben in die Augen schauen, auch keinem in der Gemeinschaft. Blicke zu Boden und widersprich meinem König nicht. Wenn ihr alle euch an die Regeln haltet, wird mein König einen sehr guten Eindruck gewinnen, und das ist nützlich, weil wir möglicherweise seine Unterstützung für die Weiterreise benötigen werden."

Amlugûr schüttelte den Kopf. „Das ist doch lächerlich! Er ist dein Vater! Wie kann er seinem eigenen Sohn und der Rettung Mittelerdes seinen Beistand verweigern?"

„Du wirst schon sehen, wie lächerlich mein Vater ist", erwiderte Legolas warnend und wandte sich dem Wald zu. „Lasst uns gehen."

Über einen schmalen Pfad führte er die Gemeinschaft in den Eryn Lasgalen, in Thranduils Reich. Doch als der Pfad in dichtem Gestrüpp endete, wies ihnen Legolas auch ohne Wegmarkierungen zielsicher den Weg zu Thranduils Höhlen. Niemand aus dieser Gemeinschaft kannte sich hier besser aus als er. Sechs Tage hatte er für ihre Wanderung durch den Wald veranschlagt und am Abend des letzten Tages erreichten sie die nahe Umgebung des Palastes.

Noch immer verbargen sich die Waldelben vor ihnen. Nur einige schmale Wege und Stege über plätschernde Bäche, ließen die Existenz der Waldbewohner erahnen, und jeder in der Gemeinschaft fühlte unentwegt heimliche Blicke – kalt und abweisend.

Schon bald erreichten sie eine Steinbrücke, welche den Übergang über einen wild und laut rauschenden Fluss ermöglichte. Dahinter führte eine steile Treppe zu einer großen, mit Gras bewachsenen Terrasse. Die Gemeinschaft hielt an und schaute sich um. In einer Höhe von mehr als einhundert Fuß genossen sie einen atemberaubenden Ausblick über die Wipfel der Bäume, doch hinter ihnen erhob sich ein bewaldeter Berg, umringt von steilen Felsmassiven. Die Flügel eines mächtigen Steintores versperrten den Zugang zum Berg, doch sie öffneten sich wie durch einen Zauber, als Legolas sich ihnen näherte.

Gemeinsam schritten sie hindurch und erreichten einen Hof, welcher durch die hohen Felswände fast vollständig im Schatten lag. Vor einem weiteren Tor standen einige Wachen. Ernst und kühl schauten sie der Gemeinschaft entgegen und verneigten sich nur kurz vor Legolas.

„Legt hier eure Waffen ab!", forderte Legolas die Gemeinschaft auf und ging mit gutem Beispiel voran. Die Wachen nahmen die Waffen entgegen und lagerten sie in einer großen Truhe am Rande des Palasteinganges.

Legolas führte die Gemeinschaft in den Berg. Über unzählige gewundene und breite Gänge, die durch vielen Treppen mit anderen Ebenen verbunden schienen, geleitete er sie in die Tiefe des Berges.

Agarmaethor wunderte sich nicht darüber, wie das Volk Thranduils den Jahrtausende andauernden Kampf gegen Riesenspinnen und Orks überleben konnte. Dieser Palast glich einer einzigen Festung. Die vielen Türen wiesen auf unzählige Räume und weitere Gänge hin, die in Notfällen sicherlich hunderte von Elben aufnehmen und beschützen konnten, doch die Gänge, die sie durchschritten, waren weitgehend leer. Nur vereinzelt begegneten sie einigen Waldelben, die sich vor Legolas knapp verbeugten und die anderen Mitglieder der Gemeinschaft keines Blickes würdigten.

Trotz der Schlichtheit der Gänge war Agarmaethor von dem Palast beeindruckt. Nie hatte ihr Fuß einen Schritt in die Wohnstätten der Zwerge gesetzt, doch beinahe genau so stellte sie sich deren Siedlungen vor. Die Gänge waren mit großer Sorgfalt aus dem Stein geschlagen, an der Decke abgerundet und vollkommen geglättet worden. In den Hauptgängen befanden sich fein ausgearbeitete Reliefs, die vergangene Kriege und Schlachten abbildeten.

Vor einer großen und aufwändig geschnitzten Holztür hielt Legolas an. Noch einmal atmete er tief ein und aus, bevor er die Tür öffnete und die Gemeinschaft in eine Halle führte. Etwa zweihundert Fuß hohe, verzierte Säulen stützten die abgerundete Decke und ließen jeden Anwesenden spüren, wie klein und minderwertig er war. An den Wänden befanden sich steinerne Statuen unterschiedlichster Art, deren Augen durch kleine Edelsteine ersetzt wurden und in die Decke der Halle waren bunte Steine eingearbeitet worden, deren Zusammenstellung den Eindruck erweckte, als stünden alle im Schatten der Bäume des Eryn Lasgalen.

In der Mitte der Halle befand sich ein prachtvoll geschnitzter Sessel. In ihm saß ein blonder Elb - Thranduil. Er trug einen Laubkranz im Haar und hielt einen geschnitzten Eichholzstab in der Hand. Ein kalter und starrer Blick aus Augen, deren Farbe an die Spiegelung des Himmels in einer Schwertklinge erinnerte, traf die Mitglieder der Gemeinschaft und musterte sie. Hinter ihm stand eine größere Anzahl weiterer Elben, die die Gemeinschaft mit ähnlichen Blicken maß.

Jeder hielt sich an die Verhaltensregeln, nur Gimli ließ seinen Blick bewundernd an den Wänden entlang schweifen.

„Beim großen Mahal, ist das ein Meisterw...", entfuhr es ihm, doch Amlugûr legte ihm so schnell seine Hand auf den Mund, dass Gimli gar nicht anders konnte, als in Amlugûrs Finger zu beißen, der dabei zwischen seine Zähne geriet. Amlugûr unterdrückte ein Aufjaulen und zog nur kurz eine Grimasse, doch eine kleine Bewegung des Eichholzstabes des Elben in der Mitte der Halle ließ einige bewaffnete Wachen erscheinen, die Amlugûr ohne ein Wort zu verlieren ergriffen und ihn zum Ausgang zogen.

„Herr!", rief Amlugûr. „Warum bestraft Ihr mich? Was habe ich verbrochen?"

Thranduil richtet seinen ungnädigen Blick auf Amlugûr und erwiderte, als würde er einen Gesetzestext auswendig zitieren: „Das gewaltsame Unterbrechen jeglicher Äußerung gegenüber dem König wird mit einem Tag und einer Nacht Kerker bestraft."

„Aber Herr!", rief Amlugûr, während ihn die Wachen weiter zum Ausgang der Halle schleiften. „Ich wollte doch nur verhindern, dass der Zwerg Euch unerlaubt anspricht. Das ist doch schließlich ebenfalls verboten!"

„Ihr habt Recht. Ich gestehe es ein. Und da Ihr mich soeben unerlaubt angesprochen habt, werdet Ihr eine weitere Nacht in meinen Kerkern verbringen müssen", erwiderte Thranduil kalt.

„Herr!", rief Amlugûr panisch. „Aber der Zwerg... er hat doch auch..."

„Das grundlose und unangebrachte Beschuldigen anderer ist verboten und wird mit einer Nacht Gefängnis bestraft!" Thranduil winkte herablassend mit seinem Stab und gähnte beinahe beim Zitieren der Gesetzestexte. „Ihr habt mich soeben erneut unerlaubt angesprochen, doch ich gewähre Euch die Gnade, dafür nicht noch eine weitere Nacht an einem Ort zu verbringen, welcher einst unhöflichen Zwergen als Unterkunft diente. Und bevor Ihr einen weiteren Fehler begeht, und dies scheint Eure herausragendste Eigenschaft zu sein, beantworte ich Eure Frage, die Euch so sehr auf der Zunge brennt: Der Zwerg..." Ein arroganter Blick traf Gimli. „hat seinen Satz nicht beenden können, da er von Euch gewaltsam daran gehindert wurde. Somit liegt seinerseits keine Straftat vor."

Legolas drückte Gimli auf die Schulter und zwang diesen sacht in die Knie, was Thranduil zu einem gnädigen Blick veranlasste. Amlugûr wollte seiner Beschwerde etwas hinzufügen, doch ein warnender Blick von Legolas hielt ihn zurück. Nur wenige Sekunden später verschwand er mit den Wachen des Königs.

Agarmaethor hatte ihren Blick gesenkt und konnte das Geschehen nur aus den Augenwinkeln beobachten, doch sie fühlte, wie der Rest der Gemeinschaft geschockt den Atem anhielt. Respektvoll und höflich verbeugten sich alle.

„Du darfst sprechen!", wandte sich Thranduil an Legolas.

Mit einem verkrampften Lächeln trat Legolas auf Thranduil zu, kniete sich vor ihm nieder und küsste den Ring an dessen Hand.

„Mein König!", sagte er laut und achtungsvoll. „Ich danke Euch für die Ehre und Gnade, die Ihr mir und meinen Gefährten erweist, indem Ihr uns in Eurer großen Halle empfangt."

Er erhob sich von seinen Knien und ging auf die Gemeinschaft zu, wobei er mit der Hand auf einzelne Personen wies.

„Mein König! Das sind meine Gefährten. Dies sind die Söhne Elronds, Elrohir und Elladan, dies sind Aneru, Talfbenn, Maethrim, Lhainir, Rhavan, Mithlondion, Taurol, Rochdil, Rhîon und Uiwador. Es sind Elben aus Imladris und Lindon. Und hier steht Gimli, mein Freund und Weggefährte aus dem Ringkrieg. Du wirst sicher bereits von ihm gehört haben. Er war stets ein treuer Begleiter." Legolas ließ wohlweislich das übliche 'Glóinssohn' weg, um nicht alte Erinnerungen bei seinem König zu wecken.

Schließlich stand er vor Agarmaethor. Sachte ergriff er ihren Ärmel und zog sie ein Stück nach vorne. „Verzeih mir...", raunte er ihr dabei zu.

„Und das ist Silamîriel Linnolelei, Tochter Celebrimbors, des Königs Eregions", erklärte er laut und gab ihr einen leichten Stups. Kurz und stolz verbeugte sie sich vor Thranduil.

Erdrückendes Schweigen lag im Raum und Agarmaethor wurde nervös. Sie fühlte die durchbohrenden Blicke Thranduils.

„So? Nun wenn sie von solch hohem Range ist, dann gestatte ich ihr, mich ansehen." Thranduil sprach in einem arroganten Ton, als sei Agarmaethor gar nicht anwesend. Sie hob den Kopf und schaute stolz in die kalten und starren Augen Thranduils. Noch nie war sie jemanden begegnet, der derartig verschlossen und abweisend auf andere herabschauen konnte, und noch vor wenigen Monaten wäre sie gerne seine Schülerin gewesen.

„Warum bringst du all diese... Personen in mein Reich, mein Sohn?", fragte Thranduil und ignorierte die Anwesenheit der Gemeinschaft.

Legolas beantwortete die Frage seines Vaters nicht sofort. Er kniete sich erneut vor Thranduil nieder und Agarmaethor schien es, als versuche er alles, um sein Anliegen ohne Zögern und Stottern vorzutragen.

„Mein König! Wir bitten um einige Tage der Rast und Ruhe, bevor wir weiterreisen", sagte er schließlich klar, doch Agarmaethor hörte ein leises, unsicheres Räuspern.

„Wohin weiterreisen?", fragte Thranduil und seine Augen blitzten auf, als würde sich das Licht der Sonne in kaltem Eis reflektieren.

„Mein König! Die Herrin Galadriel und Herr Celeborn lassen Euch die herzlichsten Grüße übermitteln!", erwiderte Legolas.

Wäre die Situation nicht derart angespannt, hätten sicherlich einige Mitglieder der Gemeinschaft gelächelt. Was hätte Legolas sagen sollen? Keiner wusste, wohin die Reise führen würde und so schien es wohl das Beste zu sein, auf ein anderes Thema zu lenken.

Thranduil schien das Gleiche zu denken. Er zog seine Augenbrauen zusammen und wirkte damit gefährlich und unnahbar.

„Wer hat dich gelehrt, so auf meine Fragen zu antworten?", fragte er eisig und Legolas senkte verlegen den Blick. „Herzliche Grüße?", fuhr Thranduil fort, und in seinem Tonfall schwang Missmut mit. „Glauben die beiden, sie würden sich damit von ihrer Schande befreien, weil sie keinen Einfluss darauf nahmen, auch mich zu der Hochzeit Arwen Undómiels und König Aragorns einzuladen? Glauben die beiden, allein die Anwesenheit meines Sohnes zu einem Ereignis, welches die zukünftige Entwicklung Mittelerdes beeinflussen wird, wäre Vertretung genug? Sage mir, was Galadriel von mir erwartet, wenn gerade sie mir Grüße ausrichten lässt!"

Legolas atmete tief ein. „Mein König! Auch sie bittet um Eure Hilfe und Euren Beistand bei dem Auftrag, welcher der Rettung Mittelerdes dient."

„Der Rettung Mittelerdes!" Ein kaltes Lachen hallte zwischen den hohen Wänden. „Wieder einmal!" Purer Zynismus klang in seiner Stimme. „Ist etwa Sauron oder einer seiner Schergen zurückgekehrt?"

Legolas schwieg und dies schien dem Waldelbenkönig Antwort genug.

„Ich will davon nichts wissen", sagte Thranduil schließlich abweisend. „Sollen Celeborn und seine mächtige Gemahlin sich darum kümmern! Ich gewähre deiner Gemeinschaft Unterkunft für eine Nacht, doch danach möge sie schnellstmöglich diesen Wald verlassen!" Wieder sprach er, als wäre niemand außer ihm und Legolas anwesend.

Abfällig winkte er mit seinem Eichholzstab und einige Elben erschienen aus dem Hintergrund. Zwei von ihnen verneigten sich kurz vor Elladan und Elrohir und forderten diese auf, ihnen durch eine kleine Tür in der rechten Seitenwand zu folgen. Ein weiterer Elb schritt auf den Rest der Gemeinschaft zu und führte diese durch eine weitere Tür in der linken Seitenwand.

„Du, mein Sohn, bleibst bei mir! Lange warst du fort und mir scheint, ich muss dich erneut lehren, wie man sich anstandsvoll mir gegenüber verhält!", sagte Thranduil hart. Sein Blick wanderte zu Agarmaethor, die unauffällig dem Rest der Gemeinschaft in ihre Quartiere zu folgen versuchte.

„Herrin Silamîriel Linnolelei! Würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mein Gast sein? In diesem Falle würdet Ihr selbstverständlich ein ebenso standesgemäßes Gemach erhalten, wie die Söhne Elronds." Die Einladung klang ernst und duldete keinen Widerspruch.

„Ja, Herr. Gerne, Herr", erwiderte Agarmaethor möglichst höflich und sah Thranduil mit blitzenden Augen direkt an.

„Gut." Er klatschte erneut in die Hände und eine Elbenfrau erschien, die Agarmaethor aufforderte ihr zu folgen.

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Mit steifen Schritten folgte Legolas seinem Vater durch eine weitere Tür in einen langen Gang, welcher durch den halben Palast führte. Thranduil schwieg, und seine ebenmäßigen und schönen Gesichtszüge machten ihn durch ihre Starrheit undurchschaubar. Nichts deutete darauf hin, wie sehr er seinem Sohn zürnte, weil dieser eine unwillkommene Gruppe von Elben und einem Zwerg in sein Reich geführt hatte.

Doch als er in einen schmalen Gang bog, welcher vor einer großen Holztür endete, knurrte er: „Ich hätte lieber den Zwerg in eine feuchte Zelle werfen lassen. Glaube ja nicht, ich wüsste nicht, wer sein Vater ist. Die ganze Welt spricht von euch und euren Heldentaten! Wie könnte mir dabei entgehen, dass sein Vater damals zu dem nichtsnutzigen Pack gehörte, welches einst meinen dunklen Kerkern entfloh! Ich erinnere mich noch genau daran, wie viel Blut vergossen wurde, als wir die von den Zwergen aufgeschreckten Spinnen wieder zurückzudrängen versuchten. Vermutlich hat dieser Glóin bis heute kein Einsehen, welche Gefahren ihr Verhalten damals in sich barg."

Sie blieben vor der großen Holztür stehen und ohne seinen Sohn eines einzigen Blickes zu würdigen, öffnete Thranduil die Tür und ging voran. Legolas folgte ihm schweigend.

Kaum fiel die schwere Eichentür ins Schloss wandte sich Thranduil um, wandte sich Thranduil zu Legolas um und umschloss ihn in einer liebevollen Umarmung.

„Willkommen mein Sohn. Mein Herz zehrte danach, dich endlich wieder zu sehen. Und nun bist du da und willst sogleich wieder fort." Ein leiser Vorwurf klang in seiner Stimme.

„Ich will nicht, Ada°, ich muss. Elrond, Galadriel und Celeborn baten mich darum, die Gemeinschaft zu begleiten und ich glaube, meine Entscheidung war gut und richtig."

Legolas hielt seinen Vater noch einige Moment umarmt, bevor er sich löste und sich gelassen in einen bequemen Sessel setzte, um Thanduil in groben Zügen von ihrer Reise und Silamîriels Visionen zu erzählen.

„Und was erwartet ihr von mir?", fragte Thranduil erstaunt. „Wie kann ich euch denn helfen?"

„Nun... Silamîriels Vision enthielt ein Bild von dir und sie erhofft sich Hilfe bei ihrer Suche nach ihren Erinnerungen. Doch ihre Vision enthielt ebenfalls ein Bild Thuringwethils, von der sie glaubt, auch diese könne etwas zu ihrer Suche beitragen. Die Gemeinschaft folgt ihr, weil sie hofft, Silamîriel würde sie zu Thuringwethil führen. Kannst du Silamîriel helfen? Kannst du uns helfen? Weißt du etwas von Thuringwethil oder Silamîriels Erinnerungen?"

Thranduil runzelte die Stirn. „Ich weiß überhaupt nichts", erwiderte er nachdenklich. „Wirklich nicht. Es ist kein böser Wille, der euch die Hilfe versagt."

Er erhob sich aus seinem Sessel und lief gedankenvoll auf und ab. „Ist sie denn wirklich die Tochter Celebrimbors?", fragte er schließlich. „Keine Sorge! Ich lasse sie nicht aus ihren Gemächern werfen, wenn sie es nicht ist!"

„Galadriel und Celeborn sind sich da sehr sicher. Es wird wohl stimmen, dass sie die Tochter Celebrimbors ist, doch sie selbst erinnert sich nicht daran. Ihre Vergangenheit wurde ausgelöscht und sie leidet sehr darunter!"

„Das ist verständlich", murmelte Thranduil noch immer gedankenvoll. „Auch wenn ich vermutlich mehr unter diesem Namen als unter verlorenen Erinnerungen leiden würde. Silamîriel – wie schicksalhaft für eine Elbenfrau aus einer Familie, die letztendlich an den Silmarilli zerbrach... Wie konnte Celebrimbor sie nur derart bestrafen?"

„Verstehe ist das richtig, dass du Celebrimbor kanntest?", fragte Legolas erstaunt.

Thranduil lächelte. „Oh ja! Doch das ist lange... sehr lange her. Er war verrückt... wahnsinnig! Nichts schien ihm damals wichtiger gewesen zu sein, als seinem Großvater Fëanor zu gleichen, der mindestens ebenso verrückt gewesen sein muss. Jeder wusste das, doch Celebrimbors Arbeiten waren stets von solch hoher Qualität und Einzigartigkeit, dass jeder ihn achtete und die meisten sein oft ignorantes Verhalten seiner Umwelt gegenüber hinnahmen. Ich glaube, beinahe jeder zeigt eine gewisse Toleranz, wenn eine entsprechende Gegenleistung für diese geboten wird, und Celebrimbor bot viele kunstvolle Gegenleistungen."

Unruhig rutschte Legolas in seinem Sessel hin und her. „Du kanntest ihn und bist doch seiner Tochter nie begegnet?", fragte er ungläubig. „Wie kann das sein?"

„Oh Elbereth! Weißt du, wie lange das alles her ist? Das letzte mal, als ich ihn sah, war Eregion noch nicht einmal gegründet worden! Als Silamîriel geboren wurde, besaß ich bereits keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich hörte nur von diesem glücklichen Ereignis und fragte mich damals ernsthaft, wann und vor allem warum er sich Zeit dafür genommen hatte, etwas zu erschafften, das ich als ein lebendiges Wunderwerk bezeichnen würde... Kinder sind immer ein Wunder!", fügte er noch stolz lächelnd hinzu, als er Legolas' fragendem Blick begegnete.

Legolas errötete verlegen und senkte den Blick, doch Thranduil ging lächelnd auf ihn zu, umfasste sein Gesicht sanft mit seinen Händen und zwang ihn sacht ihm in die Augen zu schauen.

„Sag mir, mein Sohn...", fragte er verschmitzt, „findest du nicht auch, dass es langsam Zeit wird ebenfalls derartige Wunderwerke zu erschaffen?"

„Ada!", fuhr Legolas entrüstet auf. „Wie kannst du nur so etwas sagen? Das hast du bisher noch nie getan!"

Thranduil ließ seine Hand durch Legolas' Haar gleiten und schmunzelte. „Du hast mir bisher auch noch nie eine Elbenfrau vorgestellt."

„Ada!" Legolas schnappte empört nach Luft und nahm dabei Thranduils schnippischen Blick nicht wahr. „Sie ist allein wegen ihrer Visionen bei uns und weil..."

„Natürlich ist sie das!", unterbrach Thranduil seinen Sohn mit einem verspielten Lächeln. „Doch danach habe ich dich gar nicht gefragt!"

Sprachlos sah Legolas ihn an, doch dann funkelten seine Augen und er erwiderte: „Sie findet DICH schön, sehr schön, unbeschreiblich schön – nicht mich. Das jedenfalls war ihre Beschreibung von dir, als sie dich in ihrer Vision sah."

Thranduil warf Legolas einen mehrdeutigen Blick zu und Legolas beschloss, die unverfrorene Frage seines Vaters verdiene Rache.

„Ist Silamîriel denn nicht eigentlich genau nach DEINEM Geschmack? Ich sah dir auf den ersten Blick an, wie umwerfend und hinreißend sie dir erschien", sagte er spitzbübisch. „Und noch nie hast du einer Elbenfrau außer nana°° erlaubt, dir direkt in die Augen zu schauen. Der Hofstaat wird entsetzt sein!"

Thranduils Blick wandelte sich und ein bedeutungsvolles Lächeln huschte über sein Gesicht. „Möglicherweise...?", erwiderte er gedehnt. „Doch nun liebe ich deine Mutter und eine Entscheidung zwischen ihnen war, Elbereth sei Dank, nie notwendig. Und so überlasse ich dir gerne das Feld."

Legolas schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Vielleicht können wir auf das eigentliche Thema zurückkommen?", fragte er.

„Du lenkst ab, mein Sohn!", warf Thranduil ihm scherzhaft vor. „Vor allem, da du weißt, dass ich euch nicht helfen kann. Was gibt es da noch zu besprechen?"

„Nun, um ehrlich zu sein", erwiderte Legolas, „insgeheim habe ich nie daran geglaubt, dass du irgendetwas mit Silamîriels Erinnerungen zu schaffen hattest. Ich glaube jedoch, dass du aus irgendeinem Grund ein Wegpunkt zu Thuringwethil bist. Silamîriel wird eine neue Vision empfangen, die uns weiterführen wird. Ich fühle, dass ich Recht habe, doch ich weiß es nicht."

Thranduil zuckte mit den Schultern. „Es würde mich schon sehr interessieren, warum gerade ich ein solcher Wegpunkt sein soll. Diese Thuringwethil war mit Sicherheit nie in meinem Palast oder bei mir – jedenfalls hätte ich sie wohl kaum erkannt. Vielleicht findest du es heraus, mein Sohn."

„Du hilfst uns also?", fragte Legolas hoffnungsvoll.

„Wie soll ich euch denn helfen? Ich kann euch nur Unterkunft und Verpflegung anbieten, bis sich deine Vermutung bewahrheitet oder widerlegt. Ich fürchte, dass dies Wochen dauern könnte, doch was bleibt mir anderes übrig? Wenn mein Sohn sich in immer neue Abenteuer stürzen will, kann ich es wohl kaum verhindern, indem ich euch aus dem Reich werfen lasse."

„Ada, ich danke dir!", sagte Legolas erleichtert. „Ich weiß, wie schwer es dir fällt, Fremde in deinem Reich willkommen zu heißen."

„Ist schon gut!", knurrte Thranduil verlegen. „Wenn es um die Rettung Mittelerdes geht, kann ich meine Hilfe wohl kaum verweigern! Ich hätte euch nur gerne auf anderem Wege geholfen. Galadriel macht es sich leicht. Sie schenkt euch einfach etwas Nützliches und schickt euch davon!"

„Sie hat uns nichts geschenkt", schmunzelte Legolas.

„Wie? Hat sie nicht? Als die Ringgemeinschaft in Lórien weilte, hat sie Schätze verteilt und nun steht Mittelerde erneut auf dem Spiel und sie schenkt nichts?" Fassungslos sah Thranduil Legolas an. „Sie glaubt doch wohl hoffentlich nicht, dass ich das übernehmen werde?"

„Nein, ada! Bestimmt nicht!", warf Legolas beruhigend ein.

„Sie soll aber nicht denken, ich wäre geizig!", knurrte Thranduil.

„Das denkt sie mit Sicherheit nicht! Niemand weiß doch von deiner Schatzkammer tief unten im Keller!" Legolas unterdrückte ein Lachen.

„Willst du mich verspotten? Immerhin riskiere ich meinen Sohn!", rief Thranduil beinahe aufgebracht. „Hier!"

Er öffnete seine Tunika, griff an seinen Hals und öffnete den Verschluss einer Kette, die durch einen silberfarbenen Ring geführt war.

„Nimm dies! Ich weiß nicht, ob dir der Ring helfen wird – mit Sicherheit nicht, aber es soll nicht heißen, ich könnte mich nicht von meinen Schätzen trennen!"

„Ada! Das ist das Wertvollste, das du besitzt!", warf Legolas ein und verweigerte die Annahme. „Ich kann das nicht annehmen und ich kann es auch nicht gebrauchen!"

„Ach was! Jeder kann das gebrauchen, und es ist auch nicht das Wertvollste", kunrrte er und zwang Legolas, den Ring anzunehmen. „Das Wertvollste bist du und für dich ist mir nichts zu schade. Wenn du ihn nicht während dieser Reise verwenden kannst, dann wird der später nützlich sein, wenn du den Eryn Lasgalen für immer verlässt... Nein! Sag nichts! Ich fühle doch, dass es dich fortzieht. Du willst auf eigenen Beinen stehen und ich kann dein Bestreben nur unterstützen! Was würde es auch nutzen, dir dabei hinderlich zu sein? Nimm den Ring! Ich gebe ihn gerne. Ich glaube sogar, dass ich ihn hier nie mehr benötigen werde."

Legolas senkte verlegen den Blick. „Ada... das ist... ich... ich danke dir!" Er umarmte Thranduil. „Nicht für den Ring, denn noch immer bin ich der Meinung, du solltest ihn behalten, aber ich danke dir dafür, dass du mir meinen Weg bereiten willst. Ich fürchtete, du würdest es nicht verstehen..."

„Oh Sohn! Ich erfülle doch beinahe all deine Wünsche. Selbst diesen unflätigen Elben, der nun in meinen Kellern sitzt, habe ich dir zu Liebe dort untergebracht. Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, sich spontan auch nur halbwegs sinnvolle Regeln auszudenken und zu zitieren, nur damit niemand erfährt, dass es allein dein Wunsch war, ihm ein wenig Zeit zum Nachdenken zu verschaffen?"

Legolas lachte. „Ich danke dir auch für diese Hilfe und freue mich, dass du meine Zeichen richtig verstanden hast."

„Falle ich eigentlich bei meinem Sohn in Ungnade, wenn ich seine Gemeinschaft weiterhin so herablassend behandele? Ich würde gerne meinen ungastlichen Ruf aufrechterhalten!", sagte Thranduil mit einem verschmitzten Lächeln. „Es macht das Leben im Eryn Lasgalen um so vieles leichter, wenn nicht Horden von streunenden Weltrettern, gierigen Schatzsuchern oder aufdringlichen Händlern hindurchziehen!"

„Ich will dir deinen Spaß nicht nehmen!" Legolas grinste, doch in einem scherzhaft warnenden Tonfall fuhr er fort: „Mach, was du denkst, aber lass deine Finger von Gimli! Er wird nicht für seinen Vater gerade stehen!"

„Natürlich nicht! Er ist dein Freund! Zwerg hin oder her! Er lässt sich von dir sogar in die Knie zwingen, um bei mir nicht in Ungnade zu fallen! So einen Freund wirst du selten finden!" Thranduil schmunzelte. „Es ist schon spät und ich verspüre einen leichten Hunger. Willst du nicht noch etwas mit mir essen?"

Beide machten sich auf den Weg in den Speisesaal des Palastes.

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Stolz betrachtete Pallando sein Werk. Der Verband um die Verletzung der jungen Frau saß fest und verdeckte auch das Wesentliche unter ihrem zerrissenen Kleid.

„Wie heißt Ihr?", fragte er sie, während er in seiner Tasche wühlte und nach Nähgarn und Nadel suchte, um das Kleid wenigstens etwas zu reparieren.

„Mein Name ist Lútholwen", erwiderte sie schüchtern und schaute verlegen auf den gesamten Tascheninhalt, den Pallando vor ihr ausbreitete.

„Er besitzt einen nimmervollen Beutel", erklärte Alatar scherzend. „Er wird nie voll, und was auch immer er braucht, er wird es nach einer kleinen Wühlerei finden." Er grinste Lútholwen schelmisch an. „Ich bin Alatar und dies ist mein Freund Pallando!", fügte er hinzu.

Sie nickte und lächelte. Ihr Lippen legten dabei eine Reihe makelloser, strahlender Zähne frei, die in ihrem weiß einen wundervollen Kontrast zu dem Rot der Lippen bildeten. Ihre Augen strahlten dabei, als würde sie mit ihnen die Nacht erhellen wollen.

Pallando näherte sich mit Nadel und Faden und flickte den zerrissenen Stoff.

„Ich möchte Eure Laune nicht verderben", sagte Pallando dabei leise „doch Ihr solltet wissen, dass wir nicht weit von hier ein altes Ehepaar fanden. Es ist tot und wir haben es beerdigt."

Pallando sah, wie ihr Lächeln erstarrte und sie ihn entsetzt ansah. Tränen rannen plötzlich über ihr Gesicht und hinterließen eine feuchte Spur auf der seidenen Haut.

„Ich habe es nicht gewusst, doch ich dachte mir bereits, dass ihnen derartiges widerfahren sein muss. Ich hörte den Kampf, aber als die Räuber mich in meinem Zimmer fanden, war der Kampf bereits beendet", schluchzte Lútholwen. „Ich werde sie sehr vermissen!"

„Das... das tut mir leid", murmelte Pallando. „Ich wollte nicht... ich dachte nur..."

„Näh' einfach zu Ende!", trieb Alatar ihn an. „Es wird bald hell und dann können wir von hier fort."

„Fort? Wohin?", fragte Lútholwen.

„Am besten zurück zu Eurem Haus." Alatar schaute in die Richtung aus welcher sie gekommen waren. „Begleiten könnt ihr uns nicht."

Lútholwens Augen weiteren sich erschrocken.

„Bitte!", flüsterte sie. „Was soll denn jetzt aus mir werden? Ich will nicht hier bleiben! Ich könnte es nicht ertragen, jeden Tag diese Gräber zu sehen und alleine hier, mitten im Nichts, zu leben. Ich kann mich doch selbst auch gar nicht ernähren. Ohne Mann im Haus ist das schier unmöglich! Bitte... lasst mich hier nicht allein zurück. Wenn wieder solche Räuber kommen... ich kann mich doch gar nicht wehren!" Flehend legte sie ihre Hände zusammen und kniete vor Alatar.

„Wir können Euch nicht gebrauchen. Ihr würdet uns nur hinderlich sein", sagte dieser. „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre."

Pallando sah mitleidig auf das verweinte und hilflose Gesicht Lútholwens. „Alatar! Du kannst sie doch nicht alleine zurücklassen... zwischen all den... Ostlingen!" Er spuckte das Wort beinahe aus, so zuwider war es ihm, doch anders wusste er sich nicht zu helfen, um Alatar zu überzeugen.

„Ich... ich könnte Euch dienen! Ich kann gut kochen und waschen und nähen! Hier, seht meine Hände! Sie zeigen, dass ich arbeiten kann. Ihr würdet es nicht bereuen!" Sie reckte ihre Hände Alatar entgegen. Schwielen und Hornhaut standen im krassen Gegensatz zu ihrer sonst so zarten Gestalt. „Ich kann auch gut laufen. Ich habe die richtigen Schuhe an. Ich werde ganz bestimmt kein Hindernis sein! Ich... ich werde alles tun, was Ihr wollt. Ich verspreche es."

Alatar musterte die junge Frau lange und Pallando wunderte sich über dessen Blick dabei.

„Nun gut!", sagte Alatar streng. „Wir könnten Euch bis zur nächsten Siedlung mitnehmen und Euch dort unterbringen!"

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schritt er zu den Stufen, die sie vom Felsen wieder hinunterführen sollten.

„Wo wollten die Ostlinge eigentlich mit dir hinlaufen und warum bist du so plötzlich hier?", fragte Alatar und wechselte dabei unvermittelt ins 'du'.

„Ich weiß nicht, wohin sie mit mir wollten. Keiner verlor ein Wort darüber, doch mir gelang in der Nacht die Flucht. Ich wollte zu den Stufen eilen und fand Euch auf dem Weg – meine letzte Hoffnung!", erklärte Lútholwen höflich und warf dabei einen verabscheuenden Blick auf die Leichname der Krieger.

Alatar nickte und begann den Abstieg. Unten angekommen blieb er stehen und ließ seinen Beutel, den er sich bisher auf den Rücken geschnallt hatte, fallen.

„Hier, trag das!", forderte er Lútholwen auf und eilte weiter Richtung Osten.

Pallando schenkte Lútholwen einen mitleidigen Blick und nahm ihr einen Teil der Last ab.

„Es tut mir leid. Ihr werdet es wohl nicht leicht mit ihm haben", sagte er dabei entschuldigend.

Lútholwen lächelte. „Ist schon gut. Ich bin einiges gewohnt... mehr als Ihr vielleicht denkt."

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Die Elbenfrau führte Agarmaethor in ein großes Gemach. Der gesamte Palast Thranduils schien keine Fenster zu besitzen, doch die Wände wurden mit farbenprächtigen Wandteppichen geschmückt, deren Abbildungen mit einem kurzen Blick aus einem Fenster konkurrieren konnten. Bewundernd betrachtete Agarmaethor die feinen Stickereien. Sie machten die Höhle wohnlicher und behaglicher. Agarmaethor fühlte die Kälte des Steins nicht mehr. Allein den Mangel an Tageslicht vermochten die Teppiche nicht zu beseitigen, doch die dicken Mauern um sie herum verursachten bei ihr ein Gefühl von Sicherheit, das sie schon lange nicht mehr erlebt hatte – nicht einmal in Lórien.

Die Elbenfrau verließ das Gemach für einen Moment und kehrte mit einem großen Krug heißen Wassers zurück. Agarmaethor hatte nicht erwartet, hier ein Bad wie in Caras Galadhon vorzufinden und freute sich über das warme Wasser. Noch immer hatte sie das Gefühl, sie rieche nach den Ork-Elben. Damit das Wasser nicht zu schnell erkaltete, entkleidete sie sich eilig und wusch sich, doch dieses Mal achtete sie darauf, dass die Elbenfrau sie nicht ihrer persönlichen Kleidung beraubte.

Argwöhnisch betrachtete Agarmaethor die Nachtwäsche, die die Elbenfrau ihr brachte. Sie war fest und weich und vermutlich sehr angenehm zu tragen. Trotzdem runzelte sie die Stirn. In Lórien hatte sie nackt geschlafen. Es war dort warm und scheinbar auch üblich, doch hier im Eryn Lasgalen schien alles ein wenig bieder zu sein.

Agarmaethors Magen knurrte und so kleidete sie sich nach dem Waschen wieder an und ließ sich von der Elbenfrau zum Speisesaal des Palastes führen. Ganz unter sich lästerten sie mit böser Zunge über das Geschehen des Tages.

„Armer Legolas!", hörte Agarmaethor Elladan sagen. „Wäre Thranduil mein Vater, ich würde auch ständig durch die Lande ziehen und mich den dunklen Mächten stellen. Dies ist allemal besser, als meinen eigenen Vater mit „Mein König" anzusprechen."

Betroffen schaute Agarmaethor zu Elladan. Legolas opferte sich auf und schien sich ein Bein auszureißen, damit sie alle im Palast Thranduils untergebracht und möglicherweise auch für eine weite Reise ausgestattet wurden. Sicherlich war es selbst für den Sohn des Königs nicht leicht, dessen Gunst zu erkämpfen. Welch Erniedrigung musste es sein, vor seinem eigenen Vater zu knien, um überhaupt gehört zu werden. Ärger stieg in ihr hoch, als sie die Worte Elladans vernahm, und noch mehr ärgerte es sie, dass niemand ein Wort des Bedauerns über die Abwesenheit Amlugûrs fallen ließ.

„Armer Elladan", äffte sie ihn nach. „Hätte ich eine Großmutter, die unentwegt meine intimsten Gedanken lesen kann, ich würde sie nicht mehr besuchen."

Die Gefährten hatten ihr Eintreten nicht bemerkt und drehten sich verwundert zu ihr um, bevor sie auf Kosten Elladans in ein lautes Lachen ausbrachen.

„Arme Silamîriel", erwiderte Elrohir erbost, denn Agarmaethors Ausspruch betraf ihn ebenso wie Elladan. „Hätte ich einen Vater, der in der Lage wäre, die Ringe der Macht zu schmieden, ich hätte ihn gebeten, mir einen Ring anzufertigen, der mich nett und sympathisch macht."

Das Lachen der anderen endete schlagartig. „Ich habe es nicht so gemeint", murmelte Elrohir entschuldigend.

„Doch. Das hast du", erwiderte Agarmaethor leise und abweisend. Sie drehte sich um und verließ ohne eine Mahlzeit den Raum.

Zurück in ihrem Gemach setzte sie sich auf die Bettkante und kaute nervös an ihren Fingernägeln herum – etwas, was sie noch nie zuvor in ihrem Leben getan hatte. So richtig verstand sie nicht, was gerade vorgefallen war und sie fragte sich unentwegt, was in sie gefahren war, sich überhaupt in ein derartiges Gespräch einzumischen und beinahe einen Streit zu verursachen? Sie mochte derartige Situationen nicht, und wünschte sich sehnlichst in einen ihrer nächtlichen Träume, die ihr einen inneren Ausgleich zu den Spannungen und Widrigkeiten der realen Welt boten und in denen sie sich oftmals so viel glücklicher fühlte.

Müdigkeit überkam sie bei diesem Gedanken. Ihr Blick fiel auf das Nachtgewand und sie streifte es sich über. Der Stoff schmiegte sich angenehm an ihre Haut und schien die Kälte der Höhle ebenso fernhalten zu können, wie die Hitze einer schwülen Sommernacht – gute Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf.

Erschöpft kuschelte sie sich in die weichen Kissen ihres Bettes und schlief sofort ein, doch mitten in der Nacht erwachte sie. Ein seltsames Schwindelgefühl ließ sie selbst im Bett liegend taumeln. Vorsichtig richtete sie sich auf und schüttelte energisch ihren Kopf. Für einen kurzen Moment glaubte sie, alles wäre wieder in Ordnung, doch plötzlich kehrte das Schwindelgefühl heftiger denn je zurück und erinnerte sie an das Nebelgebirge.

Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Eine neue Ohnmacht und möglicherweise eine neue Vision! Doch mit dieser Erkenntnis schlich sich eine Begebenheit in ihre Erinnerung, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Was sagte Legolas in Lórien während des großen Rates? Man müsse sie vor allem beschützen, auch allem, was mit der Vision zusammen hinge? Wovon hatte er gesprochen? Agarmaethor verfluchte sich selbst, dass sie ihn noch nicht gefragt hatte. Sie musste zu ihm hin... jetzt... Welche Gefahr auch immer dies auch sein mochte – möglicherweise konnte sie noch abgewendet werden!

Ihre schwachen Rufe verhallten im Raum. Keine Elbenfrau stand ihr um diese Nachtzeit zu Diensten. Vorsichtig erhob sie sich von ihrem Bett und torkelte zur Zimmertür. Langsam, und sich unentwegt an die kalte Steinwand stützend, bewegte sie sich den Gang entlang. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, den einzigen Weg, den sie kannte, war der zum Speisesaal. Möglicherweise fand sie dort noch jemanden vor, der ihr helfen würde.

Immer weiter schlich sie an der Wand entlang bis sie eine Weggabelung erreichte. Ihre nackten Füße berührten den kalten Boden, doch sie fühlte diesen nicht mehr, sah das Bild vor ihren Augen nur noch verschwommen und taumelte. Nur undeutlich nahm sie wahr, wie ihr zwei Elben entgegenkamen. Allein die Hoffnung, diese würden sie zu Legolas bringen, gab ihr die Kraft auf die beiden Elben zuzugehen.

„Legolas?", fragte sie leise und hilfesuchend.

Fast schlagartig kippte sie dabei nach vorne und fühlte nur noch, wie zwei kräftige Hände sie auffingen, bevor die Ohnmacht sie vollends ihrer Wahrnehmung beraubte.

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° ada ist Papa

°° nana ist Mama/Mutter