°

°

Hallo rhabarber!

Vielen Dank für dein Review. Ich hatte mein zu deinem vorletzten Review bei ff.de am Ende des letzten Kapitels geschrieben, weil ich nicht wusste, wo du nun weiterlesen wirst. (Augenzwinker)

Du hättest Legolas in den dunklen Kerker geworfen? Aber nur, wenn er gemeinsam mit Amlugûr da hockt – vielleicht hätten sie sich dann besser verstanden (kicher). Das neue Chap ist ja nun on und ich bin gespannt, was du zu ihrem neuen Dialog sagst...

LG Vypox

°

°

Vögel

„Kennst du eigentlich den einzige Grund für mich, die Elben im Eryn Lasgalen zu mögen?", wandte sich Gimli an Legolas, während er energisch voranschritt, als die Gemeinschaft Thranduils Palast verließ.

„Eberrippchen in Zwergenbiersauce?", fragte Legolas schmunzelnd. „Die zwergischen Meisterwerke des Höhlenbaus? Dass Amlugûr tagelang eingesperrt wurde?"

Gimli stutzte. „Gut, ich gebe zu, dass unser Aufenthalt hier mehr als einen Vorzug hatte, doch eigentlich wollte ich lobend hervorheben, dass ihr hier keine Pferde einsetzt. Ihr könnt sie in dem Gestrüpp hier nicht gebrauchen!" Gimli rieb sich den Hosenboden, als habe er gerade fünf Tage ununterbrochen auf einem Pferd gesessen. „Und außerdem", er beugte sich verschwörerisch zu Legolas hin, „würde jedes Pferd vor Amlugûr Reißaus nehmen. Seine Laune könnte sogar Lava gefrieren lassen. Seit Thranduil ihm gestattet hat, wieder den blauen Himmel zu sehen, spricht er kein Wort mehr! Nicht, dass mich das stören würde – selten kommt Vernünftiges aus seinem Munde – aber es besorgt mich doch ein wenig! Wurde er etwa gefoltert? Nicht, dass er uns dahinwelkt! Ihr Elben habt doch diese seltsame Angewohnheit... von Zeit zu Zeit..."

Legolas' Augen funkelten ihn beinahe beleidigt an. „Elben foltern nicht! Nicht einmal mein König würde das tun!"

Rochdil wandte sich an Gimli: „Es ist nicht der Kerker, der Amlugûr schweigen lässt, es war die Warnung, die er heute Morgen von Thranduil erhielt. Thranduil sprach ihn darauf an, ob es wahr sei, dass er unter Elrond diene und kämpfe, und als Amlugûr dies bejahte hielt Thranduil ihm eine ausschweifende Rede, wie unwürdig er Elronds Haus vertrete, indem er sich so unflätig benehme. Er würde einen Brief an Elrond schreiben und in diesem Amlugûrs Gebaren darlegen!"

Legolas starrte Rochdil an. „Er will einen Brief schreiben? Habt ihr eine Vorstellung davon, wie selten er Briefe schreibt?" Er schüttelte den Kopf.

„Ich kann es mir vorstellen – bei diesen diplomatischen Verhältnissen, die dein Vater so pflegt", fuhr Rochdil leise fort. „Doch das eigentlich Schockierende an dem Geschehen war wohl etwas anderes. Elladan erzählte mir, Thranduil habe ihn und Elrohir verpflichtet, Elrond Bericht über Amlugûrs weiteres Verhalten zu erstatten."

„Du meinst Amlugûr schweigt, weil er weitere Rügen fürchtet?", Gimli lachte schadenfroh. „Legolas, ich nehme alles zurück. Ich liebe diesen Wald und seine Bewohner!"

Legolas grinste. Niemandem, außer Agarmaethor, war es gelungen hinter die Fassade Thranduils zu schauen, und niemand hatte etwas von den eigentlichen Hintergründen von Amlugûrs Kerkeraufenthalt erfahren. Dafür hatte er sogar den Küchendienst ohne große Widerstände hingenommen und sowohl Mitleid als auch Spott seiner Gefährten ertragen.

Legolas liebte seinen Vater und hatte dessen Bemühungen um seinen Ruf immer mit Vergnügen unterstützt. Manchmal war es allerdings auch anstrengend und schwierig, seiner Umwelt etwas vorzuspielen. Dankbar schaute Legolas zu Agarmaethor, die zu all dem schwieg und deren wissende Blicke ihm wohl taten. Geheimnisse miteinander zu teilen konnte durchaus seinen Reiz haben und gerade bei diesem Geheimnis fühlte er sich irgendwie besser seit sie die Wahrheit kannte.

Sein Blick schweifte wieder nach vorn. Ihr Weg sollte sie zunächst am Waldfluss entlang nach Esgaroth auf dem Langen See führen. Von Thranduils Höhlen benötigte man einen guten Tagesmarsch bis zur Seestadt und für Legolas war diese bisher immer wie eine magische Grenze. Nie war er weiter Richtung Osten gereist als bis Esgaroth oder zum Einsamen Berg – es gab auch nie einen Grund dafür. Selbst die begehrten dorwinischen Weine oder seltene Heilkräuter aus Rhûn konnten in Esgaroth erstanden werden, so dass weite Reisen in diese Gebiete nicht erforderlich waren.

Besorgt suchte sein Blick nach ihren ständigen Begleitern, denn bereits seit Verlassen der Höhlen Thranduils begannen die Fledermäuse erneut in vielen kleinen Schwärmen, wie dunkle Wolken über ihnen zu schweben - lautlos und unaufdringlich. Noch immer hatte die Gemeinschaft kein Mittel gefunden, um sich dieser gewaltigen Zahl an Beobachtern zu entledigen. Man würde diese wohl dulden müssen, möglicherweise bis zum Ende ihrer Reise.

Doch zunächst lag Esgaroth vor ihnen, die Stadt, die vor mehr als sechzig Jahren durch den Drachen Smaug beinahe vollständig zerstört. Nur mit Hilfe der Schätze aus seinem Hort war es gelungen, sie wieder aufzubauen. Noch immer befand sie sich mitten im Wasser, aber man hatte ihren Standort ein Stück nach Norden verschoben, um für die Handelsschiffe aus Rhûn bessere Anker- und Wendemöglichkeiten auf dem See zu schaffen. Seit ihrem Wiederaufbau blühte die Stadt mehr und mehr auf und vergrößerte sich. Doch auch hier hatte der Ringkrieg seine Spuren hinterlassen. König Brand und König Daín II. Eisenfuß fielen während der Verteidigungsschlachten um Thal und Erebor – Menschen und Zwerge vereint im Kampf gegen Saurons Armeen.

Es war bereits dunkel als die Gemeinschaft die Esgaroth erreichte. Vor ihnen breitete sich die finstere und ebene Fläche des Langen Sees aus, doch der Schein unzähliger Sterne spiegelte sich im Wasser, vermischte sich mit dem Leuchten hunderter Lichter der Stadt und gaben dem See einen einzigartigen Glanz. Fasziniert durch diesen Anblick stand die Gemeinschaft einige Minuten schweigend am See, deren gegenüberliegendes Ufer durch die Lichter weiterer Häuser und Hütten vom Wasser kaum zu unterscheiden war. Esgaroth schien zu klein für all seine Gäste und Bewohner und benötigte den Anbau an den Ufern des Sees.

Die Gemeinschaft näherte sich der Großen Brücke und betrat die Seestadt. Reges Treiben beherrschte die Stege und Wege. Die Händler hatten mit ihren Booten das Marktgewässer noch nicht verlassen und Gimli nutzte die Gelegenheit, indem er an dessen Rand entlanglief und kräftig mit den Händlern feilschte.

°

°

Odan wanderte immer weiter dem träge dahinströmenden Celduin entgegen. Von Rumlak bis Esgaroth benötigte er beinahe zwei Wochen. Zu Schiff hätte die Reise sicherlich nur wenige Tage in Anspruch genommen, doch Odan kannte sich nicht aus und wusste nicht, ob er auf einem Schiff nicht auffallen würde. So führte er sein Pferd neben sich her und quälte sich Schritt für Schritt vorwärts.

Eine Qual war es vor allem, weil die Umgebung noch immer eintönig war. Selbst der Fluss bot wenig Abwechslung. Manchmal fragte sich Odan, warum Eru und die Valar so viele eintönige Ebenen geschaffen hatten.

Doch auch sie waren ein Teil Mittelerdes, ein Teil seiner Heimat, die er so sehr liebte und für die er bereit war sich zu opfern. Unentwegt geisterten ihm die Worte seines Königs durch den Kopf, welcher ihn immer wieder darauf hingewiesen hatte, wie wichtig und entscheidend seine für Zwerge so untypische Aufgabe für die Rettung Mittelerdes sein würde. Diese Worte fraßen sich fest, je öfter er sich an sie erinnerte, motivierten ihn Tag für Tag, weiter in die für ihn so unbekannten Gebiete zu reisen und seinen Hals zu riskieren – für Mittelerde und für die vier Zwergenvölker des Ostens.

Odan wusste nicht, was aus den drei Zwergenvölkern im Westen geworden war – ob sie überlebt hatten oder ob sie von Sauron vollständig vernichtet wurden. Einst gab es Zeiten, in denen sein eigenes Volk noch Kontakt zu seinen Brüdern im Westen pflegte. Doch die Verbindungen zu Durins Volk sowie zu den Breitrücken und Feuerbärten aus Nogrod und Belegost waren nie sehr intensiv gewesen. Dafür waren die Entfernungen zwischen ihren Reichen zu groß. Mahal hatte vier der sieben Stammesväter viel zu weit im Osten Mittelerdes erwachen lassen - so weit, dass Treffen und Handelsverträge nur selten zustande kamen.

Obwohl sie zäh und ausdauernd waren, wanderten Zwerge nicht gerne. Odans Großvater konnte sich noch daran erinnern, dass sein Großvater jemanden kannte, der einst in den Westen gereist war – doch selbst das war bereits eine Ausnahme und ob er jemals dort ankam, war ebenfalls ungewiss. Dass er, Odan, nun zu Pferd in den Westen aufgebrochen war, geschah vor allem auf Anraten Bizar-kûns. Die Mehrheit der vier Könige hätte die Gefahr viel lieber in den Osten kommen lassen, um sie auf heimatlichem Gebiet zu bekämpfen.

Doch Bizar-kûn wollte das verhindern, wollte jede bestehende Möglichkeit ausschöpfen, und dazu gehörte auch der Versuch, Odan in den Westen reisen zu lassen, um dort eine schwere Aufgabe zu erfüllen. Natürlich hing vieles vom Zufall ab und es war eine Frage des Glücks, ob Odan die dunkelhaarige Frau finden würde, ob sie tatsächlich die von Bizar-kûn vorhergesehenen Streckenpunkte anlaufen würde oder ob er sie nicht bereits verpasst hatte. Möglicherweise befand sie sich soeben auf einem der Schiffe, welches den Celduin hinabtrieb?

Aber selbst wenn er sie nicht finden sollte, wäre die Hoffnung noch nicht verloren. Der Weg in den Osten war weit – sehr weit. Wer wusste schon, was alles auf ihrer Reise in den Osten geschehen würde? Odan amüsierte es immer wieder, dass für die Bewohner des Westens der Osten bereits am Meer von Rhûn begann, welches sich gerade nach nur einem Drittel der Wegstrecke zwischen den Ost- und Westufern Mittelerdes befand. Doch was wussten die Bewohner des Westens schon über den Osten? Gar nichts! Vielleicht wussten sie nicht einmal, wie weit sich der Osten erstreckte und schätzen die Größe Mittelerdes vollkommen falsch ein?

Je mehr sich Odan Esgaroth näherte, desto öfter traf er auf sesshafte Bewohner. Kleine Anwesen und Gärten säumten die Ufer des Celduin und auch am Horizont, auf den von ihm so ungeliebten Ebenen, grasten gezähmte Rinder, Ziegen und Schafe. Immer mehr reisende Händler begegneten ihm auf gut gepflegten und scheinbar recht neu angelegten Straßen.

Doch das alles war menschlichen – nicht zwergischen Ursprungs. Odan trug noch immer tief in seinem Herzen die Hoffnung, dass die Zwerge im Westen Saurons Vernichtungsfeldzüge überlebt hatten. Er selbst würde keine Zeit dafür entbehren können, um neue Kontakte zu knüpfen, sollte er jedoch auf einen Zwerg treffen, so würde er von Herzen gerne dieses Lebenszeichen zurück in den Osten tragen.

Aber bisher war ihm keiner begegnet und seine Hoffnung wurde allein dadurch aufrecht erhalten, dass die Menschen ihn nicht verwundert anstarrten und mit dem Finger auf ihn zeigten – diese Menschen kannten vermutlich Zwerge und als er eines Abends den Ausfluss des Celduin aus einem großen See erreichte war er sich dessen sicher. Zwei große und teilweise bereits bearbeitete Steinblöcke standen an den Ufern des Flusses. Handwerker schienen tagsüber daran zu arbeiten und dabei zwei Figuren daraus zu formen.

„König Brand und König Daín II. Eisenfuß", las Odan eine bereits fertig gestellte Inschrift.

Odan kannte diese Könige nicht, doch der Name Daín II. Eisenfuß deutete auf einen Zwerg hin – ebenso die bereits fertig gestellten und ausgemeißelten Teile einer der beiden Steinfiguren. Odans Herz klopfte. Ein Denkmal für einen Zwergenkönig! Gäbe es heute keine Zwerge mehr, bestünde wohl kaum Interesse, einem ihrer Könige zu gedenken! Odan freute das ehrlich, und frohen Mutes schritt er am Ufer des Sees entlang und hoffte, in der Stadt einigen Zwergen zu begegnen.

Es dunkelte, als seine Augen die Lichter der Stadt erblickten. Fasziniert blieb er stehen. Eine schwimmende Stadt... Er hatte den Begriff Seestadt immer anders verstanden – eine Stadt am Ufer eines Sees oder auf einer Insel, aber dass die Stadt selbst eine Insel war überstieg sein Vorstellungsvermögen. Auf welchen Säulen waren die Plattformen gebaut? Holz? Stein? Die Neugier trieb ihn und die herannahende Dunkelheit kam ihm gerade Recht, um unauffällig die Stadt über eine Brücke zu betreten.

Verstohlen schaute er immer wieder zur Wasseroberfläche und entdeckte eine gewaltige Anzahl an dicken Holzstämmen, die in den Boden des Sees gerammt worden waren. Die Stadt selbst war quadratisch und selbst innerhalb der Stadt ordnete sich alles quadratisch um ein großes Loch in der Mitte an. In diesem befanden sich unzählige Kähne, von denen aus Händler wie von einem Marktstand aus mit Kunden auf den Holzplattformen feilschten. Odan war beeindruckt – sowohl von dem gesamten Trubel als auch von der Vielfalt der Waren und den unzähligen Menschen... und Elben...

Odan riss die Augen auf. DAS also waren Elben! Sie waren den Grünaugen tatsächlich sehr ähnlich, nur dass sie keine grünen Augen und auch keine braune Haare besaßen. Sie waren ausnahmslos blond. Oft hatte er gehört, wie man sie das 'Schöne Volk' nannte, doch die Wahrheit hinter diesen Worten konnte er nicht wirklich bestätigen. Sein eigener Geschmack war anderer Art. Daher vermutete Odan, dass diese Bezeichnung von den Menschen geschaffen wurde, denn diese waren es, die den Elben bewundernde und beinahe neidvolle Blicke hinterherwarfen.

Staunend lief er weiter zwischen den einzelnen Häusern der Stadt umher. Alles schien so neu und gepflegt, doch es hieß, die Stadt sei bereits sehr alt! Odan vermutete, dass der Krieg um den EINEN RING der Grund für den Wiederaufbau der Stadt war.

Mit Bedauern bemerkte Odan jedoch, dass die gesamte Pracht nur aus Holz bestand. Diese Menschen wussten den Wert von Stein nicht zu würdigen! Das Holz im Wasser würde irgendwann verrotten, Stein wäre widerstandsfähiger. Insgeheim nahm sich Odan vor, im Osten ebenfalls eine Stadt im Wasser zu bauen – eine Stadt aus Stein, eindrucksvoller und schöner als die Seestadt und vor allem langlebiger! Sie sollte ein Symbol dafür werden, dass auch die Völker des Ostens herausragende Fähigkeiten und Fertigkeiten besaßen, die nicht hinter denen des Westens zurückstanden. Doch vor allem sollte seine Stadt ein Denkmal sein – ein Denkmal für die Existenz der Zwerge – für die fleißigen, zähen und aufopferungsvollen Zwerge, die ihr Leben für etwas riskierten, was sie schon bald nicht mehr ihr Eigen nennen würden - Mittelerde.

Bizar-kûn sprach oft davon, dass die Welt irgendwann einmal nur noch den Menschen gehören würde. Die Welt sei im Wandel und sowohl Zwerge als auch Elben würden schon bald nur noch in Erinnerungen, Märchen und Geschichten weiterleben.

Odan glaubte ihm, denn bereits seit Jahrhunderten sank die Zahl der Zwerge seines Volkes. Obwohl nur ein Drittel aller Zwerge weiblich war, gab es keinerlei Bemühungen um ausreichend Nachwuchs. Odan musste nur auf seine Schwester Milia schauen. Sie war ein mehr als klassisches Beispiel für das Problem der Zwerge.

Doch natürlich spielte auch der Vernichtungsfeldzug durch die Grünaugen eine entscheidende Rolle. Seit sie vor einigen Jahrhunderten zum ersten Mal in Erscheinung traten töteten sie alle – Menschen und Zwerge, doch vor allem Menschen. Sie schwächten den fernen Osten, nahmen den Zwergen die Handelspartner und breiteten sich aus wie eine Krankheit. Es war kein Ende abzusehen und doch endete die Hatz beinahe so plötzlich, wie sie begonnen hatte. Odan erhielt nie eine Antwort auf seine Frage, warum die Grünaugen plötzlich ihre Interessen verlagerten – dafür war er selbst in den Augen Bizar-kûns zu unbedeutend. Doch eines wusste er mit Sicherheit... dass der neue Plan der Herren der Grünaugen schlimmer und übler war als alles, was sie zuvor verbrochen hatten...

Und Schuld daran war allein SIE - die, die er gerade suchte!

Vollkommen vertieft in seine Gedanken prallte Odan beinahe mit jemandem zusammen. Geschickt wich die Person ihm aus und Odan hob verschreckt den Blick. Vor ihm stand ein hoch gewachsener Mensch mit langen blonden Haaren. Mensch? Nein, ein Elb! Dieser Mann besaß spitze Ohren. Tiefblaue Augen starrten ihn kühl an

„Willst du dich nicht entschuldigen, Naugrim°?", fragte der Blonde unfreundlich.

Odan kannte das Wort „Naugrim" nicht, doch es musste sich um eine Beleidigung handeln - das fühlte er, und es war ihm zuwider, dass der Elb ein solches Wort mit einer so schönen, melodiösen Stimme von sich gab. Schon wollte er etwas erwidern, als er sich seiner Aufgabe besann und beschloss, lieber nicht aufzufallen.

„Verzeiht!", erwiderte er leise und verbeugte sich tief. Mit Erstaunen bemerkte er, wie der Elb stutzte.

„Das glaube ich nicht!", rief der Elb schallend lachend aus. „Der Zwerg verbeugt sich vor mir! Das gefällt mir! Das werde ich sogleich Gimli erzählen! Der ärgert sich schwarz und meine Laune hebt das erheblich!"

Odan kniff die Augen zusammen. Gimli? Sprach der Elb von einem Zwergen? Was hatte dieser arrogante Elb mit einem Zwergen zu schaffen? Im Getümmel vieler Menschen folgte Odan dem Elben, welcher ihm keine weitere Beachtung schenkte.

°

°

Nach einer ausgiebigen Besichtigung der Stadt versammelte sich die Gemeinschaft.

„Wollen wir mit einem Schiff oder zu Pferd zum Meer von Rhûn reisen?", fragte Rochdil und sein Blick schweifte zu den Ufern des Sees, wo sich viele Ställe und Gasthäuser befanden.

„Zu Pferd natürlich." Amlugûr kam etwas verspätet hinzu und stellte enttäuscht fest, dass gerade gar keine günstige Gelegenheit bestand, Gimli sein kürzliches Erlebnis mit dem Zwerg zu berichten.

„Warum zu Pferd?", fragte Legolas und sah Amlugûr an. „Ein Schiff ist sehr viel bequemer und anstatt tagein tagaus durch die Lande zu reiten können wir uns vom Aufenthalt bei meinem Vater erholen und von Deck aus die Landschaften genießen."

Amlugûr wich Legolas' Blick aus und erwiderte kühl: „Wir wissen nicht, wohin uns unser Weg noch führen wird. Möglicherweise müssen wir noch viel weiter als nur bis zum Meer und in diesem Fall benötigen wir gute Pferde."

„Wir können auch in Rhûn Pferde kaufen. Auch ich bin dafür, mit dem Schiff zu reisen." Gimli schaute in die Runde, als gäbe es gar keine andere Wahl.

„Dass du das sagst, war zu erwarten", erwiderte Rochdil spöttisch. „Ein Zwerg reitet sich den Hintern und dem Pferd den Rücken wund."

„Spotte nur! Doch das ist nicht der Grund für meine Meinung. Ich sprach soeben mit einem Händler. Sein Handelsschiff soll morgen Mittag ablegen und sich auf den Weg zum Meer von Rhûn machen. Für ein angemessenes Entgelt würde er uns mitnehmen. Ich erkundigte mich auch nach den Preisen für gute Pferde und muss euch leider mitteilen, dass die Preise hier unverschämt sind. Selbst wenn man die verlängerte Reisezeit in Kauf nehmen würde, zahlen wir hier für die Pferde mehr als für die Schiffsreise und frische Pferde in Rhûn. Dies ist mir jedenfalls zu Ohren gekommen."

Aneru zögert. „Doch was geschieht, wenn Agarmaethor auf dem Schiff eine weitere Vision empfängt? Wir können dann nicht einfach von Bord! Zu Pferd wären wir anpassungsfähiger."

„Nach unserem derzeitigen Wissensstand müssen wir zum Meer. Warum sollte eine weitere Vision in eine andere Richtung weisen? Auch ich würde das Schiff bevorzugen!" Mithlondion schloss sich Legolas an.

„Und überdies wird das Schiff einmal in einer Stadt namens Rumlak halten. Sie liegt auf halben Weg zwischen der Seestadt und dem Meer. Im Falle einer Vision könnten wir dort von Bord." Gimli strahlte. „Ich denke, nichts spricht gegen meinen Vorschlag!"

Legolas nickte. „Um ehrlich zu sein, ist es keine Frage des Geldes. Ich konnte meinen Vater davon überzeugen, uns wenigstens etwas Gold und Silber für die Reise zu überlassen. Doch da wir nicht wissen, wofür wir es noch benötigen, sollten wir an richtiger Stelle sparen und lege euch allen wirklich das Schiff nahe."

„Und was geschieht, wenn wir in Rhûn keine vernünftigen Pferde kaufen können?" Amlugûr zweifelte an dem Vorschlag. „Was wäre, wenn wir dort nur alte Mähren oder kranke und humpelnde Reittiere zur Auswahl haben?"

„Amlugûr", erhob Agarmaethor das Wort. „Du hast Recht, wenn du diese Furcht hegst, doch nach einem Ritt zum Meer müssen wir unter Umständen die Tiere ohnehin austauschen. Außerdem sind unsere Reise-Vorräte begrenzt. Wir haben zwar von Imaeath eine große Menge an bass°° erhalten, doch wir sollten nicht nur in Bezug auf Gold und Silber sparsam und vorausschauend sein."

Die anderen Elben stimmten ihr zu. Nur Amlugûr sah Agarmaethor mit einem verletzten Blick an und fügte sich unwillig.

„Gimli, ich weiß deinen Eifer sehr zu schätzen", fuhr Agarmaethor freundlich fort und erntete ein strahlendes Lächeln des Zwerges. „Hast du zufällig auch ein sauberes Gasthaus ausfindig machen können?"

„Aber natürlich! Sauber und günstig!" Gimlis breites Lächeln wollte gar nicht mehr enden und steckte alle an.

„Dann schlage ich vor, dass Gimli ab jetzt die Geldmittel während unserer Reise verwalten wird." Mithlondion schlug Gimli sacht auf die Schulter. „Mir scheint, der Ruf der Zwerge in Bezug auf Gold und Silber ist nicht ganz ungerechtfertigt."

Die Elben nickten lachend und Legolas reichte Gimli seinen Geldbeutel.

„Nie hätte ich geglaubt, dass Elben mir so ein großes Vertrauen entgegenbringen würden. Ich fühle mich geehrt", erwiderte Gimli verlegen und führte die Gemeinschaft zu dem Gasthaus.

°

°

Dunkelheit. Als würden sich zwei Augenlider öffnen, dringt plötzlich Licht ein und ein Bild entsteht. Sie steht auf einer großen Wiese. Überall blühen Blumen und Insekten schwirren umher. Der Blick streift über den Horizont. Das dunkelgrüne Laub prächtig wachsender Wälder umringt sie. Sie mustert ein Eichhörnchen, welches von Ast zu Ast in die untergehende Sonne springt. Doch dann fällt ihr Blick auf einen dunkelhaarigen Elben neben ihr. Liebevoll sieht er sie an, doch sein Blick wird mit einem Mal entschlossen. Plötzlich hebt er eine kleine Keule und schlägt zu. Es wird dunkel.

°

°

Am nächsten Morgen führte Gimli die Gemeinschaft zu dem Kapitän des Handelsschiffes. Dieses wurde noch mit reichlich Waren beladen, insbesondere mit großen Fässern. Gimli zahlte dem Händler die Passage und die Gemeinschaft wollte an Bord gehen, um dort ihre Zeit bis zur Abreise zu verbringen. Misstrauisch beobachtete sie der Kapitän, und noch bevor einer von ihnen den ersten Schritt auf Deck gemacht hatte brüllte er:

„Die Laderäume sind voll. Wenn ihr irgendwo schlafen wollt, dann muss euch das Deck genügen! Und zu Essen gibt's hier auch nichts, damit das klar ist. Es sei denn, ihr wollt dafür arbeiten!"

Er lachte selbstgefällig. Die Elben ignorierten ihn mit kaltem Blick und setzten sich auf die sauberen Planken des Schiffes. Gimli jedoch konnte sich nicht zurückhalten und fauchte:

„Wenn es nur für Arbeit etwas zu essen gibt, dann frage ich mich, warum du so fett bist!"

Der Kapitän lachte, denn der Zwerg reichte ihm nicht einmal bis zum Bauchnabel, doch als Gimli seine gewaltige Axt zückte, wich er respektvoll zurück.

„Hey, ich will keinen Streit! Wenn du Lust hast, dann stoßen wir heute Abend zusammen an. Bring noch ein paar von deinen steifen Spitzohrkumpanen mit. Meine Kajüte liegt gleich da drüben." Er deutete mit seinem schmutzigen Finger wild in eine Richtung.

Gimlis Blick fiel auf eines der Fässer, die gerade an Bord gebracht wurden – Zwergenbier. Wieder gut gelaunt nickte er dem Kapitän zustimmend zu und zog sich zu seinen Gefährten zurück, die durch kleine Unterhaltungen die Zeit bis zur Abreise überbrückten. Nur Legolas enthielt sich und musterte den Himmel.

„Was besorgt dich?", fragte Agarmaethor leise.

„Meinst du, es wird noch ein Unwetter geben?" Er deutete auf eine große dunkle Wolke am Himmel.

Agarmaethor sah ihn verwundert an. „Der Wind kommt aus Osten und doch nähert sich die Wolke aus dem Norden."

Beide erhoben sich und spähten angestrengt in den Himmel.

„Vögel!", hauchte Legolas plötzlich tonlos.

„Viele Vögel!", fügte Agarmaethor erstarrt hinzu.

Auch die anderen Elben erhoben sich nun und beobachteten die dunkle Wolke. Gimli stellte sich auf eine Kiste, doch seine Augen waren nicht scharf genug, um in der dunklen Wolke einzelne Vögel erkennen zu können. Er musste den Elben glauben.

Die Vogelwolke näherte sich in ungeheurer Geschwindigkeit. Die Ohren der Elben vernahmen bereits ein lautes und wildes Gekreisch und Geschrei, und nur kurze Zeit später konnte auch Gimli einzelne Tiere ausmachen. Mit weit aufgerissenen Schnäbeln erreichten sie die Stadt. Der Himmel über Esgaroth verdunkelte sich beinahe schlagartig.

Mit geweiteten Augen sah die Gemeinschaft, wie die Menschen in ihre Häuser flüchteten oder verängstigt ins Wasser sprangen, um dort unterzutauchen. Ihr Schiff befand sich ein gutes Stück von der Seestadt entfernt, so dass sie ungehindert beobachten konnten, wie sich die Vögel über der Stadt sammelten. Immer mehr Nachzügler schlossen sich an. Ihr Gekreisch übertönte jedes andere Geräusch und den Elben schien es beinahe so, als würden sie den Luftzug spüren, den ihr Flügelschlag verursachte.

Auf einmal löste sich ein etwas größerer Vogel aus der Wolke und schoss auf das Schiff der Elben zu. Der riesige Schwarm folgte ihm.

„Verschwinden wir lieber unter Deck!", brüllte Rochdil und suchte panisch nach einem offenen Zugang zu den unteren Etagen des Schiffes.

Doch die Vögel waren schneller. Blut spritzte über das gesamte Deck. Federn verschiedenster Farben flogen umher. Ein ohrenbetäubender Lärm ertönte. Gimli verkroch sich hastig unter einer Sitzbank. Die Elben kauerten sich zusammen. Es bestand gar keine Möglichkeit, Bögen, Dolche oder Schwerter einzusetzen. Jeder Blick nach oben konnte bedeuten, dass einem die Augen ausgestochen wurden. Sie bedeckten ihre Köpfe mit den Händen und versuchten sich zu schützen, so gut es ging.

Einige Minuten harrten die Gefährten in ihrer Position aus, doch dann verebbten die Geräusche. Gimli kroch aus seinem Versteck und die Elben schauten vorsichtig nach oben. Die Wolke löste sich auf und die Vögel flogen in alle Richtungen davon. So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder. Der Himmel war wieder blau - ein vollständiges, wunderschönes winterblau.

„Die Fledermäuse sind weg!", rief Mithlondion erstaunt aus.

Die Elben suchten den Himmel ab, doch außer einem großen, schwarzen Rabe war kein Lebewesen der Lüfte zu sehen. Der Rabe näherte sich dem Schiff und setzte sich auf die Rehling.

„Krah! Hast du ein Stück Lembas für mich? Krah!"

Gimli wühlte in seiner Tasche und reichte dem Raben mit einem fröhlichen Grinsen sein letztes Stück Lembas.

°

°

Es kostete Gimli einige Mühe, den Händler davon zu überzeugen, sie trotz des Geschehens nicht von Bord zu weisen. Das Deck sah schrecklich aus. Blutüberströmt und mit zahlreichen toten Fledermäusen und Vögeln war das Schiff kaum wiederzuerkennen, und Gimli musste dem Kapitän ein großzügiges Trinkgeld zustecken, damit dieser die Planken von Tagelöhnern schnell wie möglich reinigen ließ und ihr Aufenthalt in Esgaroth sich nicht durch den Vorfall verlängerte.

Die Gemeinschaft versammelte sich währenddessen im vorderen Teil des Schiffes und unterhielt sich angeregt über den Angriff der Vögel. Gimli wurde beinahe verhört, so groß war die Neugier der Elben, doch Gimli konnte nur von seinem schlichten Gespräch mit dem Raben berichten. Das Verhalten der Vögel war selbst für ihn überraschend.

Als das Schiff ablegte, entfernte sich Legolas ein Stück von seinen Gefährten, stützte sich auf die Reling und schaute an den Horizont, wo seine Augen gerade noch die dunklen Umrisse des Eryn Lasgalen erkennen konnten.

„Du verspürst jetzt bereits Sehnsucht? Wir haben den Wald doch gestern erst verlassen!", hörte er Agarmaethor hinter sich sagen.

Legolas wandte sich zu ihr um und sah sie erstaunt an.

Agarmaethor stützte sich ebenfalls auf die Reling und ließ ihren Blick über den Wald schweifen. „Auch wenn es keinen Ort gibt, den ich Heimat nennen könnte, ist es doch nicht so, dass ich die Sehnsucht danach nicht kenne – jedenfalls beobachtete ich diese schon oft bei anderen."

„Und du sehnst dich nicht nach einer Heimat?"

Agarmaethor lächelte. „Wie könnte ich mich nach etwas sehnen, das ich nicht kenne?" Frierend rieb sie sich mit den Händen an den Oberarmen.

„Das ist einfach!", erwiderte Legolas und reichte ihr seine Jacke. „

Sehnsüchte sind nichts anderes als der Begehr nach Dingen, von denen man glaubt, sie würden einem das Leben verschönern. Man muss diese Dinge nicht kennen – es genügt, sie bei anderen zu sehen und davon überzeugt zu sein, dass man selber sie ebenfalls dringend benötigt. Kinder sehnen sich nach Spielsachen, um mit ihnen Spaß zu haben, manche Erwachsene suchen nach ihrer großen Liebe oder nach einer Gelegenheit für Heldentaten. Einige suchen nur nach Gold und Edelsteinen und es soll auch Personen geben, die ihre Vergangenheit suchen, weil sie glauben, mit dieser glücklicher sein zu können."

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, doch Agarmaethor erwiderte es nicht. Nachdenklich schaute sie weiterhin zum Horizont und ließ sich von Legolas' Jacke wärmen.

„Es ist gut, ein Ziel vor Augen zu haben, etwas zu besitzen, wofür man lebt und was man anstrebt", sagte sie ernst. „Du solltest darüber nicht lächeln, denn die Suche nach meiner Vergangenheit ist es, die mich hier festhält, die mich nicht dahinwelken und sterben lässt."

Legolas schockierten derartige Sätze immer wieder. „Und wenn du sie gefunden hast, deine Vergangenheit... Was wird dich dann halten?"

„Wonach sehnt sich ein Kind, das ein lange begehrtes Spielzeug geschenkt bekommt? Es will das Spielzeug benutzen!", erwiderte Agarmaethor leise. „Freude daran haben..."

„Und was wäre, wenn das Kind feststellt, dass dieses Spielzeug weit unter seinen Erwartungen lag? Wenn es beim Spielen merkt, dass es eigentlich etwas anderes wollte?", fragte Legolas.

„Was wäre daran so schlimm?", erstaunt sah Agarmaethor ihn an. „Dann wird es sich nach einem neuen Spielzeug sehnen und wieder darauf warten, es von den Eltern geschenkt zu bekommen!"

Legolas konnte nur den Kopf schütteln. „Ich wollte nur sagen, dass es manchmal schwer ist zu erkennen, worauf sich die Sehnsucht eigentlich richtet. Und jeder Fehlschlag ist verschwendete Zeit, wobei Zeit vielleicht noch der harmloseste Verlust für uns Elben ist. Das Kind kann ein weiteres Jahr auf ein Geschenk warten, doch durch seine Fehlvorstellung hat es bereits eine Gelegenheit verpasst, seine wirkliche Sehnsucht zu stillen... Und ich..." Er sprach nicht weiter, wusste nicht, ob er seine Sehnsüchte preisgeben sollte.

„Und du?", hakte Agarmaethor nach. „Was ist mit dir? Fürchtest du dich vor einer solchen Fehlvorstellung?"

„Nein... ja... ja... Ich..." Legolas zögerte. Bisher hatten ihn nur Galadriel und sein Vater auf seine Sehnsüchte angesprochen und diese ernst genommen. Doch Zweifel plagten ihn. „Ich liebe diesen Wald. Er ist meine Heimat! Und doch zieht es mich fort", murmelte er. „Ich sehne mich nach der Ferne, aber ich weiß nicht, ob ich es wagen soll meine Heimat endgültig zu verlassen, mich woanders sesshaft zu machen und ein eigenes kleines Reich aufzubauen."

Agarmaethors Augen weiteten sich. „Deine Visionen sind groß – jedenfalls nicht gerade sehr bescheiden! Und es gibt auch einen Unterschied zwischen dem Drang, in die Ferne zu ziehen und dem Wunsch, dort ein eigenes Reich aufzubauen."

„Ich weiß, doch ich besitze die Gelegenheit dafür und niemand stellt sich mir in den Weg – nicht einmal mein Vater! Er würde mein Vorhaben sogar unterstützen. Es ist auch nicht so, dass es mich nur in die Ferne zieht! Ich möchte durchaus sesshaft sein und gerade deshalb ist meine Sehnsucht nach der Ferne so eng mit der Idee von einem neuen Reich verknüpft."

„Was hält dich dann auf?" Agarmaethor schaute ihn fragend an.

„Gerade weil alles so eng miteinander verknüpft ist, bin ich unsicher, ob die Verwirklichung meiner Wünsche wirklich meine Sehnsüchte stillt. Diese Sehnsucht... sie kam auf, als ich die Möwen in Ithilien schreien hörte – in der Nähe des Meeres... Was wäre, wenn diese Neuansiedlung nicht das ist, was ich mir erhofft habe? Wenn es eigentlich um etwas anderes geht? Vielleicht um das Meer selbst? Oder um eine endgültige Reise nach Valinor? Oder was wäre, wenn es sich letztlich doch nur um einen Wandertrieb handelt und ich mich irgendwann nach meiner Heimat sehne?"

„Was würde denn im schlimmsten Fall passieren? Du sagst selbst – Zeit sei für uns Elben ein relativ harmloser Verlust. Wenn du es nicht versuchst, findest du nicht heraus, ob ein neues, kleines Reich deine Sehnsüchte erfüllt. Auch das Kind musste zunächst ein falsches Geschenk erhalten, um herauszufinden, dass es nicht seinen Vorstellungen entsprach."

„Aber irgendwann ist es erwachsen und hat möglicherweise nie das Richtige gefunden – und es besitzt eine große Menge an ungenutztem Spielzeug. Dann wird es traurig auf all die verpassten Gelegenheiten in seiner Vergangenheit zurückblicken." Nachdenklich beobachtete er einige kleine Wölkchen am Himmel. „Es geht nicht nur um verpasste Gelegenheiten – es geht auch um Enttäuschung. Sollte ich enttäuscht von mir selbst sein, dann kann ich wohl damit leben. Doch gründe ich ein Reich, dann folgen mir mit Sicherheit einige Elben aus dem Herrschaftsgebiet meines Vaters. Diese fürchte ich zu enttäuschen, falls ich mich hinsichtlich meiner Sehnsüchte irren sollte. Könnte ich damit leben?"

Tröstend sah Agarmaethor Legolas an. „Ich verstehe die Schwierigkeit, die hinter deinen Sehnsüchten steckt, und natürlich sind nicht alle Sehnsüchte Erwachsener mit denen kleiner Kinder vergleichbar, doch du darfst eines nicht vergessen: Sollten dir Elben in die Ferne folgen und mit dir leben wollen, dann tun sie dies, weil sie - so wie ich gerade - festgestellt haben, dass du derartige Entscheidungen nicht leichtfertig triffst. Sie werden nicht zu deinem Erfolg vertrauen haben, sondern zu deinem ehrlichen Bemühen um Erfolg. Sie werden wissen, dass auch deine Entscheidung, nach Valinor oder zurück in die Heimat zu ziehen, keine leichtfertige Entscheidung sein wird und außerdem... Man kann eine Herrschaft auch an fähige Personen abgeben."

Legolas' Augen funkelten sie an, doch er schwieg nachdenklich.

Agarmaethor schwieg ebenfalls lange und schaute wieder zum Horizont. „Vielleicht solltest du ein Stück deiner jetzigen Heimat mit in deine neue nehmen", sagte sie schließlich lächelnd.

Legolas lächelte. „Was sollte ich denn mitnehmen?"

„Imaeath und ihre Koch- und Backkünste!", schmunzelte Agarmaethor.

„Mein Vater würde mich hassen!", lachte Legolas. „Und doch hast du wohl Recht. Sie sind ein Stück Heimat. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen glücklich machen können."

„So?" Agarmaethor löste einen kleinen Beutel an ihrem Gürtel. „Ich muss dir ein Geständnis machen. Kurz vor unserer Abreise habe ich heimlich etwas mitgenommen. Es ist nichts Schlimmes... und eigentlich wollte ich es für mich behalten." Beschämt schaute sie zu Boden. „Doch irgendwie glaube ich, dass du es dringender benötigst."

Sie reichte ihm den kleinen Beutel. Legolas nahm ihn etwas verwirrt entgegen, öffnete ihn und schaute neugierig hinein.

„So, so", sagte er in einem etwas tadelnden Ton, aber mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Mein Vater wird den gesamten Palast zusammenbrüllen, denn das sind definitiv seine."

Er entnahm dem Beutel einen Keks, zerbrach ihn in zwei Teile und reichte einen davon Agarmaethor.

°

°

° naugrimGestauchter (abwertende Bezeichnung für Zwerge)

°° bass Brot (die Elben im Eryn Lasgalen besitzen keine Mallornbäume, weshalb sie auch kein Lembas herstellen können – deshalb habe ich ihnen einfach etwas anderes in den Mund gelegt g)