Hallo, ihr Lieben!

Es gibt einige Nachrichten, die ich heute unbedingt einmal bekanntgeben sollte.

1. Nächste Woche ist die RingCon. Ich werde anwesend sein, was soviel bedeutet, dass ich nicht weiß ob und wann das nächste Kap kommt. Entweder noch am Donnerstag oder erst nächste Woche. Dafür werde ich hoffentlich einige von Euch dort treffen. Ihr werdet mich an meinen EINDEUTIGEN T-Shirts erkennen (hoffe ich).

2. Einige von Euch wissen ja, dass ich eigentlich derzeit zu Hause hocke und auf mein Referendariat gewartet habe. Ich habe nun die Einladung zu bekommen. Für die FF bedeutet das, dass ich ab November wohl nicht mehr jede Woche posten kann, aber ich bemühe mich, im Zwei-Wochen-Rhythmus ON zu stellen. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, denn die FF ist ja im Prinzip fertig. Ich bin nur so schrecklich penibel und gründlich in der Fehlersuche und in der Nachbearbeitung einiger Kapitel, so dass ich da manchmal einfach viel Zeit brauche.

Das war's an Neuigkeiten. gibt's wie immer am Ende des Kapitels!

LG

Euer Vypox

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Review-Antworten:

StupidMouth: Oh schön, dass ich die Spannung noch steigern kann. Ich hoffe, es gelingt mir, das beizubehalten. (knuddel)

Lia: :)

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WARNUNG: DIESES KAPITEL ENTHÄLT EINEN KAMPF! DAHER KOMMEN ELEMENTE VON GEWALT UND BLUT DARIN VOR!

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Blutiges Ereignis

Weiden, Obstgärten, Felder und Koppeln säumten den Weg der Gemeinschaft. Obwohl der Winter sie vertrocknet und leblos erscheinen ließ, war ihr Anblick nach der langen Reise über die Ebenen des Ostens eine Wohltat für jedes Auge. Gepflegte Sträucher und Bäume an angelegten Wegen, saubere Brunnen und Tränken, sowie instand gehaltene Zäune zeugten von fleißigen und redlichen Bewohnern in Dorajors Heimatsiedlung.

Als feiner, dunkler Streifen erhob sich in der Ferne ein Wald. Dünne Rauchsäulen stiegen daraus empor, und je mehr sich die Gemeinschaft annäherte, desto deutlicher wurde, dass sich Dorajors Dorf unmittelbar an dessen Rand befand. Der Wald schützte es vor kalten Winden und bot mit seinem Holz reichliche Möglichkeiten für Bau und Beheizung der Häuser.

Ein breiter Pfad führte zu mehreren Gebäuden, die sich kreisrund um einen Platz mit einem Brunnen in der Mitte anordneten. Dahinter standen Werkstätten, Scheunen und Ställe. Bereits von Weitem beobachteten die Elben, wie Menschen bei ihrem Anblick in ihre Häuser flohen. Ein Mann stand in der Mitte des Dorfplatzes und schien die Flucht zu organisieren. Als die Gemeinschaft den Brunnen erreichte, wirkte alles wie leer gefegt.

„Seltsam", murmelte Dorajor leise, während alle absaßen und misstrauisch die Häuser beobachteten. „So scheu und ängstlich sind sie sonst nie."

Ein einzelner Mann trat aus einem prächtig bemalten Holzhaus. Groß und kräftig gebaut, stark bewaffnet und mit einem ernsten Gesichtsausdruck trat er vor Gimli und die Elben. Höflich, doch distanziert musterte er sie. Sein Blick blieb an den aufwendig verzierten Kleidungsstücken, den wertvollen Waffen sowie den voll bepackten Lasttieren hängen. Er zeigte beim Anblick der Elben und des Zwerges weder Verwunderung noch Ehrfurcht.

„Ich grüße Euch, edle Herrin und edle Herren", sagte er laut und verbeugte sich knapp. „Mein Name ist Témaruk. Ich bin das Oberhaupt dieser Ansiedlung. Ich heiße Euch willkommen, denn Händler sind bei uns immer gern gesehen!"

Ihm stand ins Gesicht geschrieben, dass er die Mitglieder der Gemeinschaft nicht für Händler hielt, doch ihm schien es schwer zu fallen, die vor ihm stehenden Personen einzuordnen.

„Wie ich sehe, bringt Ihr Dorajor mit Euch! Ich hoffe, er kam Euch nicht ungelegen und hielt Euch während der Reise nicht auf."

„Auch wir grüßen Euch", erwiderte Elladan, verbeugte sich ebenfalls höflich und stellte die einzelnen Mitglieder kurz vor. „Wir sind keine Händler, befinden uns nur auf der Durchreise und gedenken nicht, die Bewohner dieser wunderschön angelegten Siedlung lange mit unserer Anwesenheit zu belästigen. Doch wir fühlten uns verpflichtet Dorajor sicher hierher zu geleiten."

Témaruk verbeugte sich erneut. „Ich danke Euch für Eure Fürsorge und den Aufwand, den Ihr wegen ihm hattet. Dorajor, bitte geh zu deinem Großvater. Er befindet sich bei seinen Schafen. Sicherlich wird er deine Begleiter gastfreundlich bei sich aufnehmen." Wieder an die Gemeinschaft gewandt fuhr er fort. „Ihr werdet bestimmt viele und interessante Neuigkeiten berichten können, vor allem, wie und warum Dorajor Eurer Begleitung bedurfte. Leider halten mich wichtige Verpflichtungen davon ab, Euch Gesellschaft zu leisten. Vielleicht werde ich später zu Euch stoßen, wenn Ihr bereits in Songels Haus weilt. Er wird in einigen Minuten hier sein und Euch empfangen."

Er verbeugte sich nochmals höflich und wollte gerade gehen, als Elladan ihn aufhielt.

„Warum habt Ihr die Menschen hier in ihre Häuser getrieben? Wir kamen friedlich her."

Témaruk schaute einen Moment lang verlegen zur Seite, bevor er erwiderte:

„Ich habe sie nicht getrieben. Sie haben sich gefürchtet und ich sorgte für Ruhe und Ordnung. In den letzten Tagen trieb sich sehr viel Gesindel hier herum. Wir konnten von Weitem nicht erkennen, wer sich der Siedlung näherte. Es war eine reine... Vorsichtsmaßnahme und ich wäre Euch sehr verbunden", sagte er vorsichtig, „wenn Ihr während Eures Aufenthaltes hier Eure Waffen sammeln und an einem sicheren Ort lagern könntet. Ich weiß, dass niemand etwas von Euch zu befürchten hat, doch die Bewohner hier fürchten sich wirklich, und Ihr könntet unsere Gastfreundschaft erwidern, indem Ihr für die Frauen und Kinder die geringste Bedrohung darstellt. Ich biete dafür gerne mein Haus als Lager an. Ihr müsst Euch nicht sorgen, dass etwas abhanden kommen könnte!"

Bevor Elladan etwas erwidern konnte, erklang eine tiefe und angenehme Stimme aus dem Hintergrund.

„Meine Gäste dürfen ihre Waffen bei mir lagern – dort, wo sie auch rasten werden, so sie denn meiner Einladung folgen sollten!"

Ein alter Mann mit schlohweißem Haar erschien hinter Témaruk. Sein Rücken war bereits von der Last der Jahre gebeugt, seine Augen zusammengekniffen, als könne er nicht mehr richtig sehen und seine Finger zitterten leicht.

„Ich danke Euch! Ich danke Euch allen vielmals, dass Ihr meinem Jungen das Leben gerettet habt! Er hat mir alles erzählt." Er verneigte sich mehrfach ehrfurchtsvoll. „Dorajor ist nun der letzte meiner Nachkommen und das Liebste, das ich habe. Bereits vor einigen Jahren töteten Räuber seine Eltern und nun ist auch meine Tochter tot! Es sind traurige Zeiten, in denen wir leben! Traurig und bedrückend, doch wenn mir altem Zausel noch solch Glück widerfährt, dass mein einziges Enkelkind von fünfzehn Elben und einem Zwerg gerettet wird, dann können die Zeiten nur noch besser werden! Ich würde so gerne alles genau erfahren. Darf ich Euch zu mir einladen? Mein Haus ist nicht groß, doch meine Stube behaglich. Ich besitze auch eine Koppel für die Pferde hinter dem kleinen Wald."

Elladan lächelte ihn warm an und verneigte sich – tiefer, als er es vor Témaruk getan hatte. „Wir nehmen Eure Einladung sehr gerne an! Seit Wochen durften wir nicht mehr die Wärme eines gemütlichen Hauses genießen oder aber auch nur ein weiches Lager in einer Scheune."

Songel führte die Gemeinschaft hinter den Wald, um dort dabei zu helfen, die Pferde und einige Ausrüstungsgegenstände unterzubringen. Sein äußerst ehrfürchtiges Verhalten, verbunden mit vielen Verneigungen und höflichen Worten schwand recht schnell. Seine Augen blitzten von Minute zu Minute fröhlicher auf und bereits während des Rückweges zu seinem Haus begann er zu plaudern:

„Noch nie bin ich einem Elben begegnet, doch man erzählt sich so viele Geschichten und Märchen über sie, dass ich tatsächlich glaubte, Elben zu kennen. Es hieß, sie seien überheblich, selbstherrlich und hinterhältig, doch wie ich sehe, muss ich all diese Geschichten Lügen strafen."

Amlugûr war es, der schmunzelte und freundlich erwiderte: „Und sicher gibt es auch solche unter uns, wie es diese auch unter den Menschen gibt. Doch muss man denn deshalb davon ausgehen, dass alle Menschen oder alle Elben gleich sind?"

Er ignorierte, dass Gimli sich gerade die Lippe blutig biss, um nicht laut aufzulachen und einige Elben unterdrückten ein breites Grinsen. Nur Agarmaethor runzelte erstaunt die Stirn.

„Nein, nein! Ihr seid so weise! Natürlich habt Ihr Recht. Es gibt auch unter Menschen Räuber und fleißige Bauern!", erwiderte Songel respektvoll. „Erst vor einigen Tagen lagerte eine größere Anzahl von Banditen vor unserem Dorf und verlangte eine Entlohnung für den Schutz, den sie uns versprachen – doch eigentlich meinten sie wohl eher den Schutz vor ihnen selbst!"

Er öffnete die Tür zu seinem Haus und ließ die Gemeinschaft eintreten. Dorajor hatte bereits einige Bänke und Stühle zusammengestellt, damit alle es sich bequem machen konnten. Decken und Felle waren ausgebreitet und ein kleines Feuer im Kamin entfacht worden. Der Raum besaß Fenster, doch da sie ohne Glas waren, verschlossen dicke, hölzerne Läden die Öffnungen, um die eisige Kälte der Ebene fernzuhalten. Dafür spendete das Feuer ein warmes und angenehm rötliches Licht.

Die Gemeinschaft fühlte sich sofort wohl und ließ sich auf den Fellen nieder, doch als Songel aus einem Nebenraum zurückkehrte und eine größere Menge Krüge mitbrachte, fühlten sie sich noch besser.

„Ich habe erst gestern einen Hammel geschlachtet!", berichtete Songel. „Es wird mit der Zubereitung etwas dauern, doch bis dahin kann ich Euch mit Honigbier und Brot versorgen."

Er setzte sich zu der Gemeinschaft und ließ sich von dem Troll und der Vernichtung der Siedlung berichten. Wehmütig schaute er dabei in die flackernde Flamme des Kamins.

„Ich kann mich nicht erinnern, einmal wirklich gute Zeiten erlebt zu haben. Ich besaß einst dreizehn Kinder. Nur drei von ihnen überlebten die ersten Jahre nach ihrer Geburt. Ein Sohn schloss sich den Truppen Saurons an und kehrte nie wieder zurück, und der Vater Dorajors wurde von Banditen erschlagen, als er ihnen nicht sofort Nahrungsmittel schenken wollte. Und nun auch meine Tochter...", sagte er traurig.

Dorajor strich seinem Großvater sanft über den Arm. „Vielleicht tröstet es dich, dass du dich geirrt hast und deine Geschichten nicht wahr waren. Elben sind nicht unsterblich. Auch sie kennen den Verlust von Angehörigen! Sie bleiben ewig jung, doch ein Dolch kann sie töten! Deshalb fürchten sie sich genauso vor dem Tod wie du! Das wurde mir während der Reise hierher alles erklärt."

Songel schmunzelte. „Das weiß ich doch, Junge! Ich habe dir das nur erzählt, damit du nicht, wie dein Onkel, auf den dummen Gedanken kommst, zu Saurons Heer zu stoßen und gegen Elben kämpfen zu wollen! Elben können auch sterben! Natürlich! Nur den Tod fürchten sie nicht! Es heißt, sie würden alle wiedergeboren werden – in Aman. Wenn man auf diese Art in die Welt zurückkehrt, muss man nichts fürchten! Deshalb sind sie auch so gnadenlose Kämpfer und besitzen den Mut, einen Troll zu erlegen oder mit nur fünfzehn Begleitern in den fernen Osten Mittelerdes zu reiten."

„Mit Verlaub, doch ganz so ist es nicht", warf Elladan ein. „Es ist wahr, dass unsere Seelen in die Hallen von Mandos wandern. Doch ob wir wiederverkörpert werden, steht nicht fest. Mandos richtet über uns und entlässt uns nur dann, wenn er die Zeit für gekommen und es für richtig hält. Doch bis dahin können – wenn es denn überhaupt geschieht – tausende von Jahren vergehen."

„Wenigstens habt Ihr die Aussicht auf eine Rückkehr! Wir Menschen besitzen kein so angenehmes Schicksal nach dem Tod!", brummte Songel. „Es heißt, unsere Seelen würden auf einem großen Schiff an einen unbekannten Ort reisen, doch was dort mit ihnen geschieht...? Es könnte schlimm sein! Vielleicht werden sie misshandelt oder warten in dem dunklen, finsteren und feuchtem Loch des Nichts auf das Ende der Ewigkeit, das niemals eintreten wird? Ich weine nicht nur, weil ich meine Familie verloren habe! Ich weine, weil ich um ihre Seelen fürchte! Um ihre und um meine, wenn auch ich einmal sterben werde! Diese Ungewissheit! Das ist es, was es so schrecklich macht sterben zu müssen!"

Elladan schüttelte den Kopf. „Morgoth war es, der den Menschen Angst vor dem Tod machte. Sie sollten das Geschenk des Einen ablehnen und fürchten, doch es ist und bleibt ein Geschenk, denn die menschlichen Seelen sind nicht an die Existenz Ardas gebunden.

Menschen haben die freie Entscheidung, was sie aus ihrem Leben machen, auf welche Seite des Krieges sie sich schlagen, ob sie Mittelerde abholzen und zerstören oder ob sie es aufbauen und nutzen, ob sie morden oder fleißig arbeiten. Gleichgültig, wofür sie sich entscheiden, ihre Seele wird diese Welt verlassen und zu einem Ort reisen, der mit Arda in keiner Weise verbunden sein wird. Niemand wird sie nach einer Rechtfertigung fragen und niemals werden sie auf ihre alte Heimat zurückschauen und sehen, was jede ihrer Taten für Konsequenzen hatte.

Wir Elben hingegen werden uns immer für alles, was wir in unserem Leben getan haben, verantwortlich fühlen müssen. Ich möchte nicht in der Haut eines Ringschmiedes stecken, dem noch heute vorgehalten wird, wie verblendet er war und dass seine Gier nach Wissen und Kunstfertigkeit zur Schaffung der schönsten und auch gefährlichsten Gegenstände geführt hat, die vielen Menschen, Elben und Zwergen den Tod brachten. Er wird das nie vergessen können!

„Warum nicht? Zwerge und Menschen können sich nach ihrem Tod nicht mehr beschweren und die gestorbenen Elben werden es nicht tun, da sie ja wiederkommen", sagte Dorajor.

„Doch, das werden sie, weil der Tod Qualen bereitet!" Agarmaethors Stimme klang dunkel und kalt durch den Raum. „Unerträgliche Schmerzen, vor allem, wenn er nicht sofort eintritt! Stell dir einen jungen Krieger vor, der sein Bein verliert und langsam verblutet! Stell dir vor, er verbrennt in einer heißen Flamme oder er wird zwischen tausenden von Toten übersehen, kann sich nicht fortbewegen und ist gezwungen, die faulenden Körper zu riechen und das Summen der Fliegen zu hören!"

Bilder von Dagorlad erschienen in ihrer Erinnerung. Angsterfüllte Augen, Blut, Tod. Elrond hatte sie als eine unter vielen in die Schlacht geführt, doch sie hatten deren Ende nicht erlebt - ein Schlag auf den Kopf, Ohmacht! Sie war erwacht, als alles vorbei war. Mit verschwommenem Blick war sie über die Körper gefallener Krieger gestolpert, hatte nur verzerrt die Schreie noch Sterbender gehört, betäubt vom Gestank der Orks, der den der toten Menschen und Elben noch übertraf.

Die warme Stimme Elronds hatte sie zurück in die Gegenwart gerissen, warm und doch befehlend: Sie sollte gemeinsam mit anderen Überlebenden ein Massengrab ausheben – ein Grab, welches später von den angrenzenden Sümpfen verschlungen und zum 'Teich der toten Gesichter' wurde.

„Und auch wenn er selbst keine einzige Verletzung erlitten haben sollte; er würde diese Bilder nie vergessen", fuhr sie fort. „Nie! Was glaubst du, wie viele Elben in den Westen nach Valinor gereist sind, weil sie den Anblick des mit Blut durchtränkten Bodens Mittelerdes nicht mehr ertragen konnten? Er lässt sie erinnern! Er lässt sie nachts davon träumen! Er führt ihnen ständig vor Augen, was sie erlebt haben! Und nun stell dir vor, dass sie diese Erinnerung tausende von Jahren besitzen, zehntausende von Jahren – so lange Arda existiert, werden sie mit ihnen leben müssen! Wir Elben sind verflucht, nicht reich beschenkt! Erinnere du dich an deine Angehörige, die der Olog-hai noch vor wenigen Tagen getötet hat! Würdest du nicht auch am liebsten noch heute deren Anblick vergessen? Oder willst du diese Erinnerung ewig mit dir herumtragen? Ihre zerschlagenen Köpfe..."

„Das genügt! Siehst du nicht, dass er weint?", unterbrach Elladan sie harsch. Tröstend legte er eine Hand um die Schulter des Jungen.

„Vielleicht versteht er jetzt, warum er den menschlichen Tod schätzen sollte, anstatt ihn zu fürchten!", erwiderte Agarmaethor abweisend. „Aber wenn diese Worte ihn nicht überzeugt haben sollten, dann vielleicht die Tatsache, dass Arwen Undómiel, die schönste Elbenfrau, die es derzeit auf Mittelerde gibt, sich für die menschliche Sterblichkeit entschieden hat. Sie besaß das Recht zu dieser Wahl, da das Blut der Zweitgeborenen in ihr fließt. Und glaube mir! Es gibt viele, die sie um dieses Recht beneiden!"

Songel sah Agarmaethor mit großen Augen an. „Heißt das, dass auch Ihr dazu gehört? Beneidet Ihr diese Elbenfrau um ihr Wahlrecht? Würdet Ihr Euch denn für die Sterblichkeit entscheiden?", fragte er.

„Sofort!", erwiderte Agarmaethor. „Ich würde alles darum geben, ebenfalls sterben zu können – endgültig und unwiederbringlich!"

Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Haus. Entsetzte Blicke folgten ihr.

„Sie schwindet!", flüsterte Elrohir. „Sie redet beinahe wie meine Mutter damals nach dem Ork-Überfall."

Hastig erhob er sich, schob im Vorbeigehen Legolas und Amlugûr mit den Händen auf ihre Plätze zurück und folgte Agarmaethor.

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Pallando saß auf einem Stein und tat etwas, was er noch nie in seinem Leben getan hatte. Er zerstörte ein Stück Holz, indem er es mit seinem Dolch bearbeitete. Er reagierte sich dabei ab, denn sein Zorn brodelte bereits seit zwei Tagen. Kein Wort hatte er gesprochen, seit er Lútholwen und Alatar bei ihrem Tun in der kleinen Höhle beobachtet hatte.

Alatar schien sein Schweigen nicht einmal aufgefallen zu sein. Er fragte nicht nach und führte die Gemeinschaft nur stur weiter gen Osten. Doch Lútholwen hatte sein Verhalten bemerkt. Mit kleinen Geschenken und Aufmerksamkeiten hatte sie versucht, ihn wieder zum Lächeln zu bringen und mit ihm zu reden – doch auch sie strafte er mit Schweigen und kümmerte sich lieber um seine Kräuter und Pilze, die er in seinem wieder gefundenen Sammelbeutel verstaute.

„Du schnitzt sehr schön!", sagte Lútholwen und startete damit einen neuen Versuch, zu ihm durchzudringen. Vorsichtig näherte sie sich Pallando und setzte sich neben ihn. „Was soll das werden?"

Pallando schwieg und setzte noch mehr Kraft beim Abtrennen einzelner Späne ein.

„Ich weiß nicht, warum du so wütend bist; warum du auf mich so wütend bist. Dein Zorn steht dir ins Gesicht geschrieben! Habe ich irgendetwas getan, was ich nicht hätte tun sollen?", fragte sie leise. „Wenn es um Alatar geht – er ist nicht hier. Du kannst frei sprechen."

Pallandos Augen blitzten sie an. „Warum hast du ihn bei seinen Lügen unterstützt? Kräutersuche!", fauchte er verächtlich. „Als ob Alatar das kümmern würde! Er hat meine Interessen nur benutzt, um mich los zu sein! Und du? Warum hast du geschwiegen und mir nichts gesagt? Ihr beide hättet mir nur sagen müssen, wie verliebt ihr seid und ich hätte mich freiwillig von euch ferngehalten, damit ihr in irgendwelchen Höhlen, Flüssen oder auf Waldlichtungen euren Spaß miteinander haben könnt!"

„Du hast es gesehen!", sagte sie betroffen. „Menschen tun viele Dinge aus vielerlei Gründen, und diese sind manchmal sehr... kompliziert... insbesondere, wenn es um derartige... Dinge geht. Einige tun es für Geld oder weil sie Angst haben; manche tun es, weil sie keinen anderen Ausweg sehen oder einfach, weil sie Lust dabei empfinden. Es gibt Menschen, die tun es auch nur, um sich fortzupflanzen oder weil sie abhängig sind. Manche tun es gar nicht oder sie dulden nur, was mit ihnen getan wird... Es ist kompliziert."

Pallando sah sie böse an. „So? Und du? Was ist mit dir?"

„Ich?" Sie schwieg zögernd einen Moment. „Ich wollte dafür sorgen, dass mich Alatar nicht in der nächsten Siedlung zurücklässt."

Pallando starrte sie entsetzt an. „Wie bitte?"

„Ich... Ich wollte bei euch bleiben... bei dir bleiben", murmelte sie mit gesenktem Blick. „Du sagtest selbst, du könntest dich nicht gegen ihn durchsetzen. Ich denke ich kann es, auch wenn dir die Mittel seltsam erscheinen sollten."

Pallando stellte seine Schnitzerei ein und schaute fassungslos zu Boden. Lútholwen rückte ein Stück näher an ihn heran und umfasste seine Hand.

„Pallando, ich habe dich wirklich gern und... und ich wollte dir nahe bleiben. Du warst... nein... du bist im Vergleich zu Alatar schwach und ich sah bisher noch keinen anderen Ausweg. Bitte glaube mir: Ich mag Alatar als Begleiter, aber nicht als Liebhaber. Du hingegen, du bist so einfühlsam und sanft, fürsorglich und wärmend. Du bist so... so klug."

Pallando war verwirrt. „Ich... Ich verstehe das nicht ganz. Heißt das, du begehrst eigentlich mich? Ich meine... so richtig als Partner?", stotterte er.

Lútholwen errötete. „Ja", flüsterte sie und lächelte ihn warm an.

Pallando legte den Dolch und die Schnitzerei beiseite. Seine Gedanken überschlugen sich. Ihm war nicht so richtig bewusst, was genau diese Offenbarung zu bedeuten hatte, doch aus einem ihm unerfindlichen Grund raste sein Puls wie nie zuvor. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

„Das heißt, du hättest mich betrogen?", fragte er leise. „Du willst mich und tust es heimlich mit ihm?"

Lútholwen sah ihn erschrocken an. „Nein! Ich hätte es dir gesagt, wenn der Zeitpunkt geeigneter gewesen wäre, aber es war noch zu früh. Ich wollte dir noch gar nicht..." Sie umschlang mit ihren Händen seinen Arm, lehnte sich an ihn und suchte seinen Blick. „Bitte sag mir, dass es nicht umsonst war und dass ich mir Hoffnungen machen kann, dass aus uns etwas wird. Bitte!", flüsterte sie flehend in sein Ohr. Ihre Hand glitt an seinem Arm streichelnd auf und ab. „Bitte!"

Lútholwens Berührungen lösten in ihm ein leichtes Prickeln aus und ihre geweiteten Augen erweichten seinen verletzten Stolz.

„Ich... ich bin dem nicht abgeneigt, aber wir begeben uns in eine sehr komplizierte Situation", erwiderte er. „Bitte geh! Ich muss darüber erst nachdenken. Wirklich!"

Tränen füllten Lútholwens Augen, doch sie nickte verstehend, erhob sich und ging. Aus der Ferne hörte Pallando ein leises Schluchzen und es brach ihm das Herz. Nachdenklich und traurig griff er erneut zu dem Dolch und der Schnitzerei und begann die Bearbeitung des Holzes fortzusetzen.

Obwohl sie nicht mehr bei ihm saß, fühlte er noch ihre Wärme und Nähe. Sie strahlte Geborgenheit aus und ihre Schönheit und Warmherzigkeit wirkten so betörend, dass selbst ihre versalzenen Suppen wieder genießbar wurden. Und sie mochte ihn – ihn, den Schwächeren! Sein Herz raste. Es war ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass man gemocht wurde, doch Unsicherheit machte sich in ihm breit. Er würde Alatar hintergehen müssen – ihn, seinen besten Freund! Seinen bisher besten Freund, korrigierte Pallando sich selbst, und Verbitterung kam dabei in ihm auf.

Alatar hatte auch ihn betrogen – ohne wirklichen Grund! Und er war einnehmend, uneinsichtig und stur. Trotz mehrfacher Versuche hatte er nicht mit sich reden lassen und immer wieder angekündigt, er würde Lútholwen in der nächsten Siedlung zurücklassen. Kein Argument konnte ihn überzeugen und auch kein Versprechen! Es war kein Wunder, dass Lútholwen zu derartigen Mitteln griff, um zu ihrem Glück zu kommen!

Glück! Pallando lächelte in sich hinein. Vielleicht sollte er Alatar verlassen? Doch würde er damit nicht die Erfüllung ihres Auftrages hier in Mittelerde gefährden? Ihres Auftrages, der doch im Mittelpunkt stehen sollte?

Hilflos schaute er auf seine Schnitzerei – eine Fledermaus. Etwas erstaunt betrachtete er sein Werk. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, was er eigentlich schnitzen wollte und doch hielt er ein zierliches, hübsch geformtes Objekt in der Hand. Eine Fledermaus!

„Gedanken gehen manchmal seltsame Wege!", murmelte er leise und steckte die Figur in seine Tasche.

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Verwundert schaute die Gemeinschaft Elrohir und Agarmaethor hinterher. Erst als die Tür sich endgültig schloss, fasste sich Songel und fragte mitfühlend: „Was hat sie denn? Kann man ihr helfen?"

„Ich wünschte, ich könnte...", murmelte Legolas. „Sie erzählt niemandem, was sie bedrückt – fast niemandem." Er warf dabei einen Blick auf Amlugûr, doch dieser wandte sich schweigend ab.

Die Anspannung löste sich erst, als eine Magd Songels einen gebratenen Hammel in den Raum trug und alle sich über das wohlschmeckende Essen hermachten. Sie erzählten Songel und Dorajor über die Ringkriege und die Rolle der Ostlinge, über die Elben und Zwerge, den Westen Mittelerdes und auch über die Königreiche der Menschen. Die Zeit verflog und Songel, die Elben und Gimli genossen das Honigbier. Das Schwatzen wollte gar kein Ende nehmen, doch irgendwann sprach Aneru jene Frage aus, die alle bewegte:

„Wo bleiben eigentlich Agarmaethor und Elrohir?"

Er erhob sich und ging zur Tür, doch kaum hatte er sie geöffnet, schloss er sie auch gleich wieder und hastete, mit einer von Songel und Dorajor noch nie gesehenen Schnelligkeit, zu seinem Bogen, den er in eine Ecke des Raumes gestellt hatte. Die anderen begriffen sofort, dass Gefahr drohte und bewaffneten sich ebenfalls. Elladan und Legolas liefen zu einem der geschlossenen Fensterläden, öffneten diesen einen winzigen Spalt und spähten hinaus. Rochdil, Aneru und Taurol begaben sich zu einem weiteren Fenster und warteten auf ein Zeichen.

„Viele?", fragte Elladan.

„Sehr viele!", erwiderte Aneru. „Vielleicht zweihundert Ostlinge. Alle kurz vor der Siedlung – vielleicht fünfhundert Fuß entfernt - und etwa zehn, die auf dieses Haus zugehen."

„Wir haben unseren Tribut doch bereits bezahlt!", jammerte Songel und verkroch sich mit der Magd in der Küche.

Amlugûr zog Dorajor an die Rückwand des Raumes und fragte ihn leise nach einer Möglichkeit, auf das Dach des Hauses zu gelangen. Dorajor nickte und wies ihn und einigen weiteren Elben den Weg. Gimli ergriff seine Axt und stellte sich abwehrbereit vor die Tür. Die Menschen näherten sich, und mit jedem Schritt konnten die feinen Ohren der Elben ihre Worte besser verstehen.

„Bist du sicher, dass sie nicht bereits wieder abgereist sind?", erklang eine fremde männliche Stimme.

„Sicher bin ich nicht. Ich habe sie nicht ununterbrochen beobachtet", erwiderte Témaruk in einem unwilligen Tonfall. „Schließlich habe ich mich sofort auf den Weg zu dir gemacht! Ich muss gestehen, dass es mir nicht gefällt, dass du meine Siedlung zu einem Schlachtfeld machen willst. Kannst du nicht warten, bis sie wieder abgereist sind? Wir haben unseren Tribut immer pünktlich und ehrlich gezahlt und wir haben mit diesen Elben nichts zu schaffen!"

„Du hast zugestimmt, mich zu informieren, falls du sie sehen solltest. Dass sie sich dabei gerade in deiner Siedlung befinden, ist dein Problem! Ich jedenfalls will ihr Fleisch und Blut sofort, denn es gibt jemanden, der mir viel Gold für ihre abgeschnittenen Köpfe zahlt!" Der Unbekannte lachte gehässig.

„Sie werden kämpfen... und sie werden gut kämpfen!", warf Témaruk bedächtig ein.

„Pfff. Elben kochen auch nur mit Wasser! Glaube mir, ich und meine Männer haben in den Schlachten an Saurons Seite bereits hunderte – ach, was rede ich – tausende von ihnen getötet! Die Inzucht machte sie alle beinahe blind und taub! Also, mein Freund, wo ist das Haus dieses Songels?"

Die Elben hinter den Fensterläden warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Rochdil legte gespielt ängstlich eine Hand vor den Mund und schaute mit aufgerissenen Augen hilfesuchend zu Legolas, der trotz der prekären Lage ein Schmunzeln kaum unterdrücken konnte.

„Recht hat er!", knurrte Gimli leise. „Aber er kennt wohl noch keine Zwerge! Wir kochen mit harten Getränken und ein Zusammentreffen mit mir wird er nicht überleben!"

Ein heftiges Klopfen erklang an der Tür. Gimli öffnete. Mit seiner Axt demonstrativ in der Hand baute er sich furchtlos vor einem stämmigen Mann auf und schaute ihn erwartungsvoll an.

„Du bist keiner der Elben! Ich will zu Songel und seinen Gästen!", fauchte dieser ihn barsch an.

Gimlis Augen blitzten auf. Er warf einen kurzen Blick auf die zehn menschlichen Kreaturen hinter dem Sprecher und erwiderte ebenso rüde: „Ich sehe, deine Kinderstube war gerade gut genug, um dich das Anklopfen zu lehren – doch leider macht dein nachfolgender Auftritt den zunächst guten Eindruck wieder zunichte. Immerhin scheint dein Geist so weit entwickelt zu sein, dass du mich nicht für einen Elben hältst. Mahal sei Dank hast du Recht, denn wäre ich einer, hätte ich eine so feine Nase, das mir von deinem Gestank übel werden würde – eigentlich ist mir bereits jetzt übel."

Fassungslos und überrascht schwiegen die Menschen vor der Haustür Songels einige Sekunden. Témaruk zog den Kopf ein und sah Gimli beinahe bittend an, doch eigentlich war allen Anwesenden bewusst, dass es nur eine Konfliktlösung gab.

„Haarige, kleine Laus du! Was fällt dir ein, mich, Maralus, Herrscher über die Steppen westlich des Talarhrand, zu beleidigen!", brüllte der Anführer plötzlich auf.

„Herzlichen Glückwunsch!", erwiderte Gimli respektvoll. „Ich beneide dich sehr um ein vollkommen leeres und ebenes Gebiet!"

„Meine Macht reicht bis zum Meer von Rhûn und ich entscheide über Tod oder Leben von jedem, der sich in meinem Land aufhält! Und du hast deines soeben verwirkt!"

Maralus hob sein Schwert, doch noch bevor er zustechen konnte, durchtrennte Gimlis Axt ohne größere Schwierigkeiten die Lederrüstung und die Bauchdecke des grobschlächtigen Mannes. Mit einem Aufschrei stürzte dieser nieder und blieb im Türrahmen des Hauses bewegungslos liegen.

Als wäre dies ein Zeichen zum Angriff gewesen, regnete es mit einem Mal Pfeile vom Dach. Die Elben im Haus öffneten die Fensterläden und schossen auf die kleine Menschengruppe, die wutschnaubend versuchte, durch die Tür ins Haus zu gelangen. Nur Témaruk drehte sich um und rannte rufend und wild gestikulierend auf die vor der Siedlung liegende Ebene zu. Ein Pfeil traf ihn im Rücken, doch es war zu spät. Sein Verhalten hatte die Aufmerksamkeit der wartenden Ostling-Krieger erregt und holte sie zum Schauplatz des Kampfes hinzu.

Im Sekundentakt flogen Pfeile auf die Angreifer, doch trotz ihrer Verluste drang das kleine Ostling-Heer weiter vor. Einige von ihnen verschanzten sich hinter Bäumen und umher stehenden Karren, um von dort aus auf die Elben zu schießen. Gimli verteidigte die Tür so gut er konnte. Seine Axt war das größte Hindernis, dem viele der fallenden Menschen jemals in ihrem kurzen Leben begegnet waren.

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„Hier bist du also!", stellte Elrohir fest, als er Agarmaethor auf der Koppel bei den Pferden fand. „Ich habe dich gesucht! Du solltest dich doch nicht allein von der Gemeinschaft entfernen!"

Agarmaethor kehrte ihm den Rücken zu und fuhr damit fort, einige noch nicht vom Winterwetter gebräunte Halme und Kräuter zu pflücken, um diese ihrem Pferd zu reichen.

Elrohir setzte sich auf einen kleineren Stapel Brennholz und musterte sie. „Deine Äußerungen in Songels Haus haben mir nicht gefallen!"

„Es ging auch nicht darum, dass dir meine Worte gefallen", erwiderte Agarmaethor kühl.

„Ich mache mir Sorgen!", fuhr Elrohir unbeirrt fort. „Du hast geklungen wie meine Mutter vor sehr vielen Jahren - so, als würdest du dich nach dem Tode sehnen. Stimmt mein Eindruck?"

„Du erwartest doch wohl darauf keine Antwort, oder?" Agarmaethor drehte sich zu ihm. Ihre Augen blitzten ihn kalt an.

„Doch, das tue ich. Ich frage im Interesse der Gemeinschaft. Du führst sie zu Thuringwethil. Wenn du unterwegs stirbst, dann werden wir ein Problem haben." Elrohir durchbohrte sie mit seinem Blick.

„Ihr würdet sie auch ohne mich finden. Immer weiter in den Osten, und irgendwo da ist ein Gebirge aus rötlichem Gestein. Dort, in einer Höhle, haust sie vermutlich – wenn meine bisherigen Visionen stimmen. Ein wenig Glück werdet ihr wohl brauchen, doch das ist euch mit Sicherheit hold." Agarmaethor wandte sich erneut dem Pferd zu.

„Dir scheint allmählich alles gleichgültig zu werden. Das macht mir Angst, denn ich fürchte, dein Wunsch nach einem endgültigen Tod kommt der Befürwortung einer Zerstörung Ardas gleich", erwiderte Elrohir leise.

„Mach dich nicht lächerlich! Niemand außer Ilúvatar selbst kann das zustande bringen. Selbst Morgoth, der Mächtigste unter den Ainur, hätte das nicht vermocht!"

„Die Ainur haben die Welt erschaffen!", warf Elrohir ein. „Sie setzten die Vision Ilúvatars um."

„Ja. Gemeinsam! Doch einer alleine könnte das nicht vollbringen – weder die Erschaffung noch die Zerstörung einer ganzen Welt. Auch Maiar wie Thuringwethil oder Sauron nicht – so dunkel sie auch sein mögen. Und selbst wenn...! Die Ainur sind Ilúvatars verkörperte Gedanken. Sollten sie derartiges beherrschen, dann entspricht es seinem Plan und dann können auch wir nichts dagegen unternehmen!"

„Du denkst wirklich, es sei Ilúvatars Plan gewesen, eine wunderschöne und belebte Welt zu schaffen, damit sie von Dunkelheit und Übel überrollt wird?", fragte Elrohir ungläubig.

„Warum nicht? Viele Kinder bauen Türme aus Bausteinen, weil sie Freude daran empfinden, diese anschließend wieder einzureißen und den Bau neu zu beginnen." Agarmaethors Stimme klang dumpf.

Elrohir neigte den Kopf und musterte sie eindringlich. „Und warum hast du dich dann in den letzten tausend Jahren so sehr bemüht, von Sauron nicht getötet zu werden und Mittelerde zu erhalten? Ich werde es dir sagen: weil du ein Baustein bist, der sich dagegen wehrt, dass der Turm wieder eingerissen wird. Du bist ein Teil dieser Welt und hast von Ilúvatar ein Geschenk erhalten, wie es größer kaum sein kann: Einen freien Willen! Er ist die stärkste und mächtigste Waffe, die es auf Arda gibt. Nicht ohne Grund war es Sauron so wichtig, die Völker Mittelerdes mit Hilfe seiner Ringe zu unterwerfen, denn diese Ringe dienten zu nichts anderem, als den freien Willen der Herrscher Mittelerdes zu brechen und sie sich Untertan zu machen – mitsamt ihren Völkern.

Mit diesem Geschenk gab uns Ilúvatar das Recht und die Fähigkeit, über unser eigenes Leben bestimmen zu können, uns selbst gegen seine eigenen, verkörperten Gedanken wehren zu dürfen, jedes Detail seiner Vision Ardas zu verändern und die Welt unseren Vorstellungen anzupassen. Das war es, wovor Sauron sich fürchtete und weshalb er die Ringe zum Einsatz brachte. Er wollte die Völker unterwerfen und dabei vermeiden, dass sie sich gegen ihn vereinen und kämpfen - und er fürchtete das zu Recht! Zwei Mal ist er an eben dieser Stärke der Völker Mittelerdes gescheitert. Und du hast irgendwann einmal entschieden, deinen Beitrag dazu zu leisten. Amlugûr erzählte mir, du hättest sogar in Dagorlad gekämpft!"

Agarmaethor schwieg. Ihre Hand strich durch das dunkle Haar der Mähne ihres Pferdes, doch sie antwortete Elrohir nicht.

„Dein Schweigen sagt mir, dass du mir Recht gibst und dass ich dir das alles nicht hätte erklären müssen!", fuhr Elrohir fort. „Du hast so lange Zeit dein Leben riskiert, um Mittelerde zu erhalten! Du hast dich gegen die dunklen Gedanken Ilúvatars aufgebäumt und zu deren Vernichtung beigetragen. Du hast dafür gekämpft, dass es in dieser Welt ein 'Gut' und ein 'Böse' geben kann. Warum jetzt nicht mehr? Warum gibst du plötzlich auf und empfindest Gleichgültigkeit gegenüber dem weiteren Schicksal dieser Welt?"

„Das tue ich nicht! Es ist mir nicht gleichgültig!", erwiderte Agarmaethor gequält und Elrohir war verblüfft, wie ehrlich ihr Blick war, den sie dabei auf ihn warf. „Ich glaube nur, dass ihr es ohne mich leichter hättet!"

„Das glaubst du?", fragte Elrohir erstaunt. „Wir brauchen dich, um Thuringwethil zu finden! Du hast die Bilder im Spiegel gesehen! Wer weiß, wie viel Zeit wir noch haben, um sie vernichten zu können? Vielleicht dauert es noch tausende von Jahren, bis es soweit ist, dass es ihr gelingt, die Bilder in Galadriels Spiegel wahr werden zu lassen und Menschen unsterblich zu machen, um sie blutige Schlachten bestreiten zu lassen! Aber JETZT haben wir eine Spur! Wenn wir diese verlieren, finden wir sie vielleicht gar nicht mehr, bevor es zu spät ist! Sie könnte sich ein neues Versteck suchen und in aller Ruhe an ihren Plänen arbeiten! Vergiss nicht, wie lange Sauron in Mordor unentdeckt geblieben ist! Und er befand sich damals sehr viel näher an der westlichen Welt als Thuringwethil heute."

„Und was ist mit mir?", flüsterte Agarmaethor.

„Mit dir? Redest du von deinen Erinnerungen? Kommt es dir nicht sehr selbstsüchtig vor, diese der Vernichtung Thuringwethils vorzuziehen? Das Schicksal Mittelerdes wird für deine Zukunft eine größere Rolle spielen als jede Erinnerung, die du zurückgewinnen solltest!"

Agarmaethors Augen funkelten ihn an. „Selbstsüchtig? Du findest, es sei selbstsüchtig, mein Leben dafür zu geben, dass Thuringwethil mich nicht in ihre Fänge bekommt? Du findest, es sei selbstsüchtig, deshalb auf alles zu verzichten, worauf ich bereits mehr als 4700 Jahre gewartet und gehofft habe?"

Sie fühlte sich erleichtert. Endlich war es ihr gelungen, ihre Rolle während dieser Reise einmal anzusprechen, Bedenken zu äußern, dass ihre Existenz eine Gefahr darstellen könnte. Elrohir kannte möglicherweise ihre Vergangenheit von Elrond, doch selbst wenn ihm die Zusammenhänge unklar sein sollte: Es musste einmal ausgesprochen werden! Wie lange sollten sie noch in den Osten reisen und den Gedanken an die Ork-Elben verdrängen? Es gab doch schließlich einen Grund, warum Thuringwethil sich die Finger nach ihr leckte!

„Du denkst an deine Entführung?", riss Elrohir sie aus ihren Gedanken. „Du fürchtest dich davor, dass deine Anwesenheit im Osten alles verschlimmern könnte? Schau mich nicht so überrascht an! Glaubst du, ich hätte mir keine Gedanken über all die vergangenen Ereignisse gemacht? Mordende Zwerge und dunkle Kreaturen, die dich lebendig fangen wollen! Natürlich sehe auch ich einen Zusammenhang zwischen dir und Thuringwethil. Doch niemand aus der Gemeinschaft weiß, worin er besteht. Deshalb müssen wir auch so sehr auf dich acht geben und versuchen, es herauszufinden!"

„Elrohir! Ihr geht ein unberechenbares Risiko ein! Thuringwethil benötigt mich für ihre Pläne, und der sicherste Weg, um zu verhindern, dass ich in ihre Fänge gerate, ist mein Tod!"

„Solltest du ein Schlüsselelement sein, dann könntest du Recht haben. Bist du aber nur ein winziges Detail oder sogar auswechselbar, so dass sie auf andere Mittel zurückgreifen könnte, dann wäre dein Freitod nicht nur sinnlos sondern auch schädlich. Uns könnte eine wirklich entscheidende oder sogar unwiederbringliche Gelegenheit entgehen, Thuringwethil zu vernichten, weil DU uns nicht zu ihr geführt hast. Solange wir nicht wissen, was genau du mit all dem zu tun hast, solltest du nicht vorschnell handeln!"

„Elrohir!", warf Agarmaethor ein. „Niemand schickt solche Kreaturen wie Ork-Elben tausende von Meilen weit in den Westen, um ein unwichtiges Element zur Verwirklichung eines Planes zu beschaffen! Ich bin mit Sicherheit mehr als das! Und selbst wenn ich tatsächlich auswechselbar sein sollte, so wäre es doch fatal, wenn Thuringwethil mich in ihre Fänge bekommt, denn auch ein kleiner Ziegelstein kann die Errichtung eines großen Hauses beenden, wenn er dem Erbauer erst einmal zur Verfügung steht! Es kommt einfach nicht darauf an, wie wichtig meine Rolle dabei ist. Mein Tod ist die sicherste Lösung."

Elrohir erhob sich von dem Stapel Brennholz, packte sie an den Schultern und sah ihr ernst in die Augen. „Dann führe uns solange bis wir Thuringwethil nahe sind oder du in Gefahr läufst, tatsächlich in die Hände der Ork-Elben zu geraten. Du besitzt einen Dolch, und wenn Gefahr droht kannst du den Freitod noch immer wählen."

Das Bild vor Agarmaethors Augen begann zu verschwimmen.

„Wie leicht du das sagst...", hauchte sie. „Es ist ja nicht so, dass der Tod mir eine endgültige Erlösung bieten würde. Ich werde bis in die Ewigkeit den Erinnerungen an meine Vergangenheit ausgesetzt sein, meinen Schmerzen und dem Wissen, dass ich nie mehr eine Antwort für all meine Fragen erhalten werde. Und nun verlangst du von mir, dass ich den richtigen und geeigneten Zeitpunkt meines Todes bestimmen soll, weil davon das Schicksal Mittelerdes abhängen könnte?"

Sie schwankte und hielt sich am Hals des Pferdes fest, doch ihre Beine gaben nach. Ohnmächtig brach sie zusammen.

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Gimli hieb und schlug auf die anrollende Welle menschlicher Boshaftigkeit ein so gut er konnte. Das Blut seiner Gegner ergoss sich vor seinen Füßen, und jene, die er tödlich verletzen konnte, blieben wie eine Barriere vor ihm liegen und musste erst von anderen Kriegern beseitigt werden, um den einzigen Zugang zum Hause Songels freizuräumen. Doch das Gebäude selbst war umzingelt. Von überall her drangen die früheren Soldaten Saurons ein, versuchten, die Fensterläden aufzubrechen und das Dach zu ersteigen.

Die Köcher der Elben waren beinahe leer. Einige griffen bereits zu ihren Schwertern und leisteten gemeinsam mit Gimli Widerstand an der Tür oder an den Fenstern. Ein Ende war nicht abzusehen und die warnenden Rufe vom Dach des Hauses machten nicht viel Mut: Orks! Feuer! Die Worte vermischten sich miteinander und der Geruch verbrannten Holzes erreichte die Kämpfenden.

„Verfluchte Orks", schrie Gimli laut. „Wenn die mich rösten wollen, müssen sie warten, bis ich mit den Menschen hier fertig bin."

Elladan konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen, doch der menschliche Krieger vor Gimli schien trotz des Kampflärmes jedes Wort verstanden zu haben. Er hielt inne und sah Gimli einen viel zu langen Moment lang erstaunt an.

„Orks!", schrie er seinen Kameraden zu, doch mehr konnte er nicht hinzufügen. Die Axt Gimlis traf in mit voller Wucht, so dass er leblos zu Boden sackte.

Zur Überraschung aller traten die Ostlinge die Flucht an und versuchten schnellstmöglich, die Siedlung zu verlassen. Doch es war zu spät. Eine große Gruppe Ork-Elben erreichte das Dorf und fiel über die Ostlinge her.

„Nicht Orks! Ork-Elben!", fluchte Gimli. „Könnt ihr mich nicht richtig informieren? Mein Herz ist beinahe stehen geblieben!"

Elladan zog ihn von der Tür weg zum Fenster und beobachtete gemeinsam mit den anderen aus der Gemeinschaft das grausame Schauspiel in der Dorfmitte. Noch immer roch es nach Feuer und er hörte, wie die Elben auf dem Dach hektisch versuchten, die Flammen zu löschen, doch an Wasser kam derzeit niemand heran. Der Brunnen war umgeben von scharfen Klingen und dem sich ausbreitenden Tod.

„Au! Das hat bestimmt wehgetan", kommentierte Aneru eine sich vor ihren Augen abspielende Kampfszene grinsend.

„Links hinter dir! Pass doch auf!", brüllte Elladan, aber keiner wusste, von wem er sprach, denn eigentlich war in dem Getümmel jeder irgendwie links hinter einem anderen.

„Hast du noch nie ein Schwert in der Hand gehabt?", rief Rochdil. „Ihr kämpft wie die Menschen zu Beginn des ersten Zeitalters! Und ihr wollt tausende von Elben getötet haben?"

„Oh! Seinen Arm muss er jetzt wohl mit dem anderen nach Hause tragen", lachte Aneru.

„Vielleicht kann seine Frau ihm was Leckeres daraus kochen", kommentierte Legolas Anerus Bemerkung.

Erstaunt sahen ihn alle an. Gimli lachte schallend.

„Wir brauchen Wasser! Holt Wasser!", rief Amlugûr und sprang unmittelbar vor den Augen Elladans vom Dach.

Wie aus einer Lethargie entrissen, ergriffen die Elben wieder ihre Bögen und bemühten sich, den Weg für Amlugûr zu ebnen. Gimli folgte ihm und schlug mit seiner Axt um sich. Er machte keinen Unterschied zwischen Mensch oder Ork-Elb. Alles, was ihm in den Weg lief, musste das kalte Metall seiner Waffe schmecken. Er sah nur noch Blut – überall Blut... und eine Gruppe von zwanzig Ork-Elben, die einen einzelnen, fliehenden Ostling in den Wald hinter der Siedlung verfolgten.

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Elrohir fing Agarmaethor gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie bewusstlos auf dem Boden aufschlug. Er begriff, dass es sich um eine weitere Vision handeln musste, doch gerade, als er den Wald betrat, um sie in das Haus Songels zu tragen, nahmen seine Ohren heftige Kampfgeräusche wahr.

Einen Moment lang dachte er darüber nach, die sich anbahnenden Schmerzen Agarmaethors zu ignorieren und sie im Dickicht des Waldes zurück zu lassen, um seinen Gefährten zu Hilfe eilen zu können, da spürte er plötzlich eine unbeschreibliche Kälte – Ork-Elben. Es konnte sich nur um Ork-Elben handeln! Er wusste nicht, wie nah sie waren, aber wenn sie sich im Dorf befanden, dann musste Agarmaethor fortgeschafft werden – sofort!

Hastig eilte er zurück zu der Koppel, warf sie über den Rücken eines nahe stehenden Pferdes und schwang sich hinauf, um gemeinsam mit Agarmaethor zu fliehen.

Doch ein Pfeil hielt ihn auf.