Hallo, liebe Kampfzwergliebhaber!
Ich danke euch für die Geduld. Die RingCon war superklasse! Ich will nochmal hin! Ich bin zwar kein Haldir-Fan, aber ich gebe zu, dass Craig Parker und Mark Ferguson ein lustiges Programm machen konnten – unterhaltsam und amüsant. ;)
Weil ihr alle so nett gewartet habt, ist das Kap dafür auch ein bisschen länger UND hoffentlich kurzweilig. (grins)
Alles Liebe
Euer Zwergli
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An StupidMouth: Ja, ja... viele fragen sich ja noch immer, wohin ich eigentlich mit Pallando und Alatar will und was die sollen... aber ich denke mal, allerspätestens ab dem nächsten Kapitel (also dem nach diesem hier) wird es deutlicher – und auch etwas über Lútholwen! (fiesguckt) Obwohl hier auch schon GANZ viel passiert.
Und fies war ich wirklich mit dem Cliffie, aber ich verrate dir mal, dass es in einem späteren Kapitel noch einen geben wird, der ist noch VIEL fieser, weil hier zumindest die meisten davon ausgehen, dass Elrohir und Agi nichts passiert, oder? ;)
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WARNUNGEN: GEWALT (aber nicht so viel und schlimm wie im letzten Kap)
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Gimli
Noch immer hielt die Schlacht zwischen der Gemeinschaft, den Ostlings-Kriegern und den Ork-Elben an, doch Gimli sah zwanzig der ihm so unheimlichen Kreaturen mit der dunklen Aura im Wald hinter Songels Haus verschwinden. Einer Eingebung folgend glaubte er daran, dass sich Elrohir und Agarmaethor auf der Pferdekoppel hinter dem kleinen Wäldchen befinden könnten und möglicherweise seiner Hilfe bedurften.
Der laute Ruf, den er seinen Gefährten noch zuwarf bevor er selbst im Wald verschwand, ging im Kampfgetümmel unter, doch ihm blieb keine Zeit, erneut auf sich aufmerksam zu machen. Die Ork-Elben waren schnell – viel zu schnell für seine Verhältnisse – und die Zeit drängte. Er hatte wenig Hoffnung, Elrohir und Agarmaethor noch vor den Ork-Elben zu erreichen, aber er hoffte, größeres Unglück verhindern zu können, denn im Gegensatz zu den Ork-Elben benutzte er den von Songel angelegten Pfad durch das Gestrüpp, welcher ihn auf kürzestem Wege zu der Koppel führen würde.
Vollkommen außer Atem erreichte er die Umzäunung der Weide und sah die Ork-Elben an anderer Stelle aus dem Wald treten. Hastig versteckte er sich hinter einem Gebüsch und blieb so unbemerkt. Die Ork-Elben richteten ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Elrohir, welcher gerade dabei war, ein Pferd in Bewegung zu setzen und mit Agarmaethor zu fliehen.
Einige Ork-Elben spannten ihre Bögen und zielten äußerst gründlich. Gimli wusste sich nicht anders zu helfen, als seine Wurfaxt auf einen der Schützen zu werfen und dabei laut zu rufen, um von Elrohir und Agarmaethor abzulenken. Die vollkommen überraschten Ork-Elben wandten sich ihm sofort zu, doch es war zu spät. Ein Pfeil flog bereits in Elrohirs Richtung.
Gimli sah nur, dass das Pferd mit hoher Geschwindigkeit davon galoppierte, so dass er von einer gelungenen Flucht ausging. Ihm blieb keine Zeit, sich weiter darum zu kümmern, denn fünf der grünäugigen Feinde eilten mit gezückten Schwertern auf ihn zu. Gimli packte seine große Axt und beschloss sie aufzuhalten – koste es, was es wolle.
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Der Pfeil traf Elrohirs Pferd in die Flanke. Erschrocken rannte es panisch los und Elrohir ließ es laufen, um möglichst schnell der Gefahr zu entrinnen. Doch die feine Metallspitze des Pfeils schien ein lähmendes Gift enthalten zu haben. Nur Sekunden vergingen bis das Pferd in die Knie ging und schließlich wie leblos auf dem Boden liegen blieb. Elrohir gelang es gerade noch, sich und Agarmaethor davor zu bewahren, unter dem stürzenden Tier begraben zu werden. Hastig verbarg er sich hinter dem Pferdeleib, um vor weiteren Pfeilen geschützt zu sein und spähte besorgt zu den sich nähernden Elben, von denen fünf aus ihm unbekannten Gründen eine andere Richtung einschlugen.
Einen Moment lang erwog er einen Kampf, doch sein Bogen war bei dem Sturz zerbrochen, und die Ork-Elben allein mit dem Schwert zu bezwingen, erschien ihm aussichtslos. Noch zu gut erinnerte er sich an den Kampf während Agarmaethors Entführung in der Nähe des Eryn Lasgalen.
Nachdenklich schaute er zu ihr. Blass und bewegungslos lag sie neben dem gelähmten Pferd – noch! Elrohir fürchtete das Eintreten ihrer Krämpfe. Er wusste, wie sie sich winden und ihn möglicherweise dadurch ungewollt behindern würde, sich und auch ihr selbst das Leben zu retten. Das Leben...! Seine Augen blitzten entschlossen auf, als die Ork-Elben sich nur wenige Schritt weit von ihnen entfernt aufteilten und sie umringten. Energisch ergriff Elrohir seinen Dolch und hielt ihn Agarmaethor an die Kehle.
„Keinen Schritt weiter, oder ich töte sie!", fauchte er.
Die Ork-Elben reagierten nicht. Wie ein gut organisiertes Rudel Raubtiere zogen sie den Kreis um sie immer enger und schienen nur auf ein Signal zu warten, um über sie beide herfallen zu dürfen. Elrohirs Dolch durchtrennte Agarmaethors Haut. Ein feiner Faden Blut rann über ihren blassen Hals. Ein Ork-Elb, der sich durch eine auffallend gut verarbeitete Rüstung mit dem Abbild eines wütenden Wolfes deutlich von den anderen abhob, hielt die übrigen mit einer Handbewegung davon ab, sich auf Elrohir und Agarmaethor zu stürzen.
„Verschwindet!", wandte sich Elrohir kalt an ihn. „Ehe sie in eure Gewalt gerät, würde ich sie töten!"
Jede Silbe und jeder Gesichtszug drückte Entschlossenheit aus. Trotzdem näherte sich der Ork-Elb einen weiteren Schritt, als würde er prüfen wollen, wie Ernst es Elrohir mit seiner Drohung war, doch dessen Dolch vergrößerte die Wunde. Agarmaethors Blut quoll heraus und färbte ihre Tunika rot.
Der Ork-Elb warf ihm einen hasserfüllten Blick zu und gab einen unverständlichen Laut von sich. Elrohir sah nur noch ihre Rücken, während sie nach Norden verschwanden und sich nicht einmal mehr um den Wald und die Siedlung zu kümmern schienen.
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Die fünf Ork-Elben mussten nicht lange suchen, um Gimli zu finden. Mit einem Schrei sprang er aus dem Gebüsch und stürzte sich auf sie. Seine Axt traf den ersten Ork-Elben tödlich, doch noch während er seine Waffe im schwarzrot gefärbten Fleisch des Ork-Elben versenkte, fühlte er, wie die Waffe eines anderen Gegners an seiner Rüstung abprallte und eine weitere Klinge ihn verfehlte, weil der Aufprall auf seiner Rüstung ihn zur Seite stieß.
Es war Glück, dass er den ersten Zusammenstoß überlebte und noch größeres Glück war es, dass die Ork-Elben, die ihn soeben noch angegriffen hatten, plötzlich kehrt machten und sich ihren Gefährten, die noch kurz zuvor Agarmaethor und Elrohir gefolgt waren, anschlossen.
Gimli kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können und erkannte in der Ferne, wie sich Elrohir erhob und ihm beruhigend zuwinkte. Gimli schaute den davoneilenden Ork-Elben hinterher und beschloss, lieber wieder Richtung Siedlung zu eilen, um dort zu helfen. Doch als er dort ankam, war der Kampf bereits vorüber.
Der Dorfplatz war kaum wieder zu erkennen. Auf den ersten Blick erschien es Gimli, als gäbe es keinen freien Fleck mehr, um überhaupt von einem Haus zum anderen gehen zu können, ohne dabei auf Fleisch oder Knochen zu treten, doch die Elben waren bereits dabei, die Leichname auf einen Acker weit vor der Siedlung zu schaffen, während Songel einige Dorfbewohner dazu veranlasste, Holz herbei zu schaffen um die Leichen später verbrennen zu können.
„Wen oder was vermisst ihr?", fragte Gimli. Ihm schien es, als würden die Elben sich nicht so sehr um die Aufräumarbeiten bemühen, weil sie die Siedlung von all dem Übel befreien wollten, sondern weil sie etwas suchten.
„Uiwador", erwiderte Elladan knapp und schleppte einen weiteren Leichnam beiseite.
Sie fanden ihn – tot.
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Amlugûr war es gelungen, das Dach von Songels Haus vor einem größeren Brandschaden zu bewahren. Gemeinsam saßen die Gefährten in Songels Gaststube, während dieser sich zusammen mit einigen anderen Dorfbewohnern der Siedlung um die Beseitigung der letzten Schäden kümmerte.
„Ich fürchte, spätestens jetzt wird Agarmaethor nicht mehr davon zu überzeugen sein, dass ihr Tod falsch ist", sagte Elrohir und schaute besorgt auf die Tür zu Songels Schlafzimmer, in welchem Agarmaethor schlief. „Ork-Elben, die dafür kämpfen, damit ihr nichts geschieht und die lieber auf eine Entführung verzichten, als sie durch meine Hand sterben zu sehen..." Elrohir schüttelte den Kopf. „Die Ork-Elben kämpften tatsächlich nur gegen die Ostling-Krieger. Wir waren ihnen vollkommen gleichgültig – wir und auch die Dorfbewohner. Uiwador starb durch die Hand von Menschen... "
Ernst schauten sich alle in der Gemeinschaft an. Sie hatten bereits von Uiwador Abschied genommen – schweren Herzens - doch jemanden in der Schlacht zu verlieren war etwas anderes, als jemanden Tag für Tag dahinschwinden zu sehen.
„Ich habe ihr alle Waffen weggenommen und bitte euch darauf zu achten, dass sie keine von euren benutzt, um sich zu richten", fuhr Elrohir fort. „Ich will auf jeden Fall verhindern, dass sie stirbt bevor wir Thuringwethil finden. Thuringwethil..."
„Du kannst es nicht verhindern, Bruder!", warf Elladan ein. „Es gibt immer einen Weg, und letztlich ist es ihr Seelenschmerz, der sie schwinden lassen wird. Und selbst wenn sie ihr Dahinscheiden beschleunigen wollte, könnte sie Nahrung und Wasser verweigern. Willst du es ihr mit Gewalt einflößen?"
„Nein, aber möglicherweise kann ich ihren Tod hinauszögern. Immerhin hat sie mir von ihrer neuen Vision berichtet. Sie sah eine Ebene mit vielen gewaltigen, aus dem Boden ragenden Felsmassiven, und Songel erklärte mir, dass sich eine solche Ebene auf der anderen Seite des Flusses in nördlicher Richtung befinden würde – mehrere Tagesreisen entfernt. Ganz unwillig uns zu helfen ist Agarmaethor also nicht. Wir müssen uns beeilen, solange sie noch mit uns zusammenarbeitet."
Legolas sah ihn mit trübem Blick an. „Du redest von ihr wie von einer Sache, die man noch benutzen muss, solange sie nicht vollkommen defekt ist."
Elrohir legte einen Arm um seine Schultern. „Ich mag sie – wirklich. Aber es gibt für mich Dinge und Personen, die Vorrang haben, und dazu gehören Mittelerde und meine Familie. Für dich nicht?"
Legolas erwiderte nichts. Er schaute nur aus dem Fenster und sah den Rauch und die umher fliegende Asche, die der Wind vom Acker vor der Siedlung wehte.
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„Dieser Rauch!", jammerte Haunar und erinnerte sich mit Grauen an die vielen Menschen. „Und wie das stinkt! Meinst du wirklich, dass alle Menschen gestorben sind?"
In ihre Schattenmäntel gehüllt schlichen sie über die nächtlichen Äcker der Siedlung und beobachteten das Glühen der gewaltigen Scheiterhaufen, die sich überall verteilt befanden.
„Hm... Ja!" Rufur wollte eigentlich kein weiteres Wort über ihren misslungenen Streich verlieren. Es ärgerte ihn zu sehr, dass die Grünaugen so unerwartet eingegriffen hatten. „Wie ich diese Schwarzhaarige hasse!", fauchte er jedoch plötzlich auf. „Sie bringt nur Unglück und Verderben!"
„Aber immerhin haben auch einige Grünaugen ihr Leben gelassen", murmelte Haunar und zerrte aus einem der Scheiterhaufen einen Teil ork-elbischer Rüstung.
„Ich wünschte, Odan wäre hier! Er hätte mit Sicherheit einen Vorschlag, was wir nun unternehmen könnten." Rufur ignorierte Haunar und sprach eigentlich nur seine Gedanken laut aus.
„Unternehmen? Wir kennen ihren nächsten Anlaufpunkt – und den übernächsten. Vielleicht sollten wir zum Sumpf eilen und dort den Stein hineinwerfen!"
Rufur schaute verblüfft auf Haunar. „Welchen Stein?"
„Den, den mir Odan gegeben hat, bevor er mit dir aufbrach. Er meinte, es wäre möglich, dass er niemals wiederkehren würde und Bizar-kûn habe ihm den Stein gegeben, um die Geister des Sumpfes zu rufen – die, die der Herr der Grünaugen einst erschuf!", erklärte Haunar ruhig.
„Aha!" Mehr dazu zu sagen war Rufur nicht in der Lage.
„Gedenken wir lieber des schönen Goldes, welches wir nun sinnlos an die Menschen verschwendet haben", erklärte Haunar, „und eilen dann zum großen Sumpf."
„Ja. Genau. Gedenken wir dem", stimmte Rufur zu.
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Sternenlose Finsternis umhüllte die Mitglieder der Gemeinschaft. Seit sie mit frischen Pferden die Siedlung Songels und Dorajors verlassen hatten und in nördlicher Richtung dem Fluss Talarhrand gefolgt waren, regnete es beinahe ununterbrochen. Nur selten gönnten ihnen die Licht raubenden Wolken eine Gelegenheit, sich an einem warmen Feuer zu trocknen und von dem mühseligen Ritt auf einem immer weicher werdenden Boden zu erholen.
Doch Tag für Tag eilten sie weiter und weiter – schon allein, um so viel Strecke wie nur möglich zurückzulegen und die Spur zu Thuringwethil nicht zu verlieren, bevor in Agarmaethor der letzte Lebensfunke erlosch und sie sich ohne ihre Hilfe durch den ihnen so unbekannten Osten schlagen mussten.
Agarmaethor hatte sich über die Tatsache, dass Elrohir ihr die Waffen nahm, nicht einmal beschwert. Selbst zu ihrem aufgeschnittenen Hals äußerte sie sich nicht. Sie redete übrerhaupt nicht mehr. Schweigend ordnete sie sich unter – ritt, wann immer der Rest der Gemeinschaft ritt, lagerte und schlief, wann immer es sich anbot, verweigerte jedoch, wie von Elladan vorhergesehen, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Ihre Lippen wurden spröde und ihr Blick jeden Tag glanzloser. Sie wurde dünner und schwächer.
Sowohl Legolas als auch Amlugûr bemühten sich um sie, versuchten sie dazu zu bewegen, wenigstens etwas zu trinken, doch sie wandte ihnen stets wortlos den Rücken zu und sah ihnen nicht einmal in die Augen.
„Ich halte das nicht mehr aus!", knurrte Gimli eines Nachts und stieß Agarmaethor grob an, sodass sie erwachte. „Ich will nicht, dass du stirbst, aber gönne mir wenigstens einen ruhigen Schlaf!"
Erstaunt richtete sich Agarmaethor auf und sah ihn fragend an.
„Ich mag dich! Ich mag dich ehrlich, und glaube mir, dass ich deine Entscheidung wirklich SEHR bedauere! Wenn du davon überzeugt bist, du müsstest das tun, dann tue es, aber dein Magen knurrt dermaßen laut, dass ich kein Auge schließen kann!", brummte er.
Einige Elben erhoben sich ebenfalls und sahen Gimli verwundert an. Nur Aneru und Rochdil nickten bestätigend und logen dabei, ohne rot zu werden. Keiner von ihnen hatte etwas gehört, aber Gimli schien ein Spiel zu spielen und alle waren nur ZU neugierig, wohin sein Verhalten führen würde.
„Ich will dir nicht zu nahe treten", fuhr Gimli fort, „aber wenn du etwas trinken würdest, hätte das mehrere Vorteile. Zum einen hörte ich, dass die Seelen verdursteter Elben ihre hässliche, ausgemergelte Gestalt beibehalten, solange sie sich in den Hallen von Mandos befinden..."
„Stimmt!", mischte sich Elladan ein. „Ich habe das vollkommen vergessen, aber meine Mutter erzählte mir das auch, und sie wusste es von ihrer Mutter, und diese sprach mit Mandos persönlich!" Er unterdrückte ein freches Grinsen.
„...und zum anderen würde auch dir das Verhungern sehr viel leichter fallen, wenn dein Magen zumindest mit Wasser gefüllt wäre... und ich! Ich könnte dann schlafen!", beendete Gimli seine Rede.
Agarmaethor runzelte die Stirn. „Das ist doch alles Unsinn! Wie ich in den Hallen von Mandos aussehe ist mir gleich, und mein Magen knurrt nicht! Ihr wollt doch nur, dass ich..."
„Das wollen wir auch. Selbstverständlich!", warf Gimli ein. „Aber dein Magen knurrt wirklich! Du hörst es nur nicht, weil du es nicht hören willst! Würdest du ihn nämlich wahrnehmen, dann fiele dir dein Verhalten sehr viel schwerer! Glaube es mir einfach! Können diese Augen lügen?" Er suchte ihren Blick und bemühte sich so überzeugend wie nur möglich zu wirken. „Ich will wirklich schlafen!", knurrte er. „Darf ich dir etwas Wasser bringen? Einen Becher voll! Bitte!"
Agarmaethor schloss gequält die Augen, und Gimli überkam plötzlich unsägliches Mitleid. Er erinnerte sich noch genau daran, dass auch er einst vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden hatte. Neun Monate war es her, als er bereit war, vor den Toren Mordors sein Leben zu opfern und Frodo damit den Weg zum Schicksalsberg zu ermöglichen. Er hatte sich bereits vom Leben verabschiedet, um an der Seite seiner Freunde zu sterben – für sein Volk, für Mittelerde. Doch im Gegensatz zu ihr war er sich sicher, dass die Entscheidung richtig war.
Gimli hockte sich neben sie und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern. Agarmaethor ließ es zu, lehnte sogar ihren Kopf müde an seinen Helm.
„Kindchen!", seufzte er und sah sie in diesem Moment wirklich als junges Mädchen vor sich. „Du hast es schwer. Wirklich! Ich verstehe deine Angst davor, dass du mit deinem Leben hier in Mittelerde eine Gefahr darstellen könntest, und ich verstehe auch, dass du dich vor dem Tod fürchtest, weil eine Existenz in den Hallen von Mandos auch nicht das Wahre sein kann.
Allein der Gedanke daran, dass diese Míriel Serindë, deine Ur-Ur-Großmutter, wenn ich mich nicht täusche, dir aufgrund eurer Verwandtschaft Jahrhunderte lang von ihrem Weltschmerz erzählen könnte..." Er schüttelte sich. „Glaube mir eines: Der Tod ist mit Sicherheit eine Lösung, aber er ist bestimmt nicht die einzige! Dir werden hier in dieser Welt so viele wunderschöne Dinge entgehen, wenn du nicht dafür kämpfst, sie auch wirklich erleben zu wollen - große, glitzernde Höhlen, edle und glänzende Metalle, bunte Steine und der Anblick einer atemberaubenden Felsenstruktur! Nie wieder wirst du das sehen und fühlen können..."
„Nie wieder wirst DU das sehen und fühlen können...", wiederholte Agarmaethor müde.
„Ich danke dir für deine Fürsorge und für die Tatsache, dass du zu diesen Opfern bereit bist, damit ich diese Welt noch länger erleben darf! Aber ich muss dir ehrlich gestehen, dass ich nicht viel davon genießen werde, wenn ich nicht zu etwas Schlaf komme. Noch eine solche Nacht, wie die letzten drei, und ich erkenne mich selbst nicht wieder! Ich glaube, ich werde verrückt!"
Agarmaethor seufzte erschöpft auf. „Gib mir etwas Wasser!"
Gimli erhob sich, griff nach Agarmaethors Wasserflasche und öffnete sie, um einen Becher zu füllen, doch ein seltsamer Geruch hinderte ihn daran. Vorsichtig tauchte er einen Finger in die Flüssigkeit und leckte ihn ab. Er erkannte den Geschmack. Enttrunk – derselbe, den er einst von Flinkbaum erhalten hatte. Agarmaethor führte tatsächlich Enttrunk mit sich und hatte ihn bisher nicht einmal angerührt!
Listig blitzten seine Augen auf. Würde sie es bemerken, wenn er ihn mit Wasser verdünnte? Er warf einen Blick in ihr blasses Gesicht und zögerte. Der Trunk könnte ihr Leben verlängern – aber auch ihre Qualen... Sie wollte sterben. Sollte er sich wirklich in ihre Entscheidung einmischen? Was wäre, wenn diese doch richtig war? Nachdenklich sah er auf Legolas, der trübe und wehmütig in das kleine Lagerfeuer blickte.
Entschlossen presste Gimli seine Lippen zusammen und vermischte vorsichtig etwas Enttrunk mit dem Wasser aus seiner eigenen Flasche. Er benutzte nur sehr wenig von der wertvollen Flüssigkeit, aber wenn sie nur oft genug davon trinken würde, könnte es eine ganze Weile genügen, um sie zumindest nicht mehr verhungern zu sehen. Agarmaethor nahm den Becher entgegen und nahm einen Schluck zu sich. Misstrauisch sah sie ihn an.
„Ich habe noch einige getrocknete Beeren im Wasser eingeweicht, damit es nicht so fad schmeckt", erklärte Gimli selbstbewusst. „Ist das ein Problem? Ich hoffte, dass du dann wenigstens drei Mal am Tag Flüssigkeit zu dir nimmst!"
Schweigend leerte sie den Becher, rollte sich wieder in ihre Decken und schlief sofort wieder ein. Die Elben, die das Geschehen mit Neugier verfolgt hatten, atmeten erleichtert auf und legten sich auch zur Ruhe. Nur Legolas sah Gimli fragend an, doch dieser zwinkerte ihm nur verschwörerisch zu und tauschte seine eigene Wasserflasche gegen die Agarmaethors.
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Dunkelheit. Als würden sich zwei Augenlider öffnen, dringt plötzlich Licht ein und ein Bild entsteht. Ein schmaler Türspalt öffnet sich und sie sieht hindurch. Vor ihr befindet sich ein großer und prächtiger Saal. Ein dunkelhaariger und prächtig gekleideter Elb unterhält sich mit einem blonden Elben, der sich in Begleitung einer menschlichen Frau befindet. Die Frau schaut neugierig zu dem Türspalt und lächelt einnehmend – Thuringwethil!
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Die Bergziege hatte Alatar noch nicht bemerkt. Arglos kletterte sie einen Hang hinauf und knabberte an Kräutern und Gräsern, die sich auf dem Gestein und trotz der kargen Umgebung hatten behaupten können, um schließlich doch im Magen eines gefräßigen Huftieres zu enden. Alatar folgte ihr beinahe lautlos. Er war Jäger - mit Leib und Seele und seit einiger Zeit war er davon überzeugt, dass Lútholwen das edelste Wild war, das es zu erlegen galt – immer wieder, und er wurde dessen nicht müde.
Sie genierte sich, war scheu und zaghaft und doch einnehmend in ihrer Art. Genau so gefiel sie ihm, seit sie ihm in einer einsamen Stunde für ihre Rettung gedankt und ihn gefragt hatte, ob sie nicht auch etwas für ihn tun könne. Natürlich konnte sie! Alatar schwebten tausende von Dingen vor.
Seinen Gedanken nachhängend übersah Alatar einen Stein, blieb daran hängen und stürzte. Die Bergziege entkam, doch noch viel mehr ärgerte ihn die Verletzung in seinem Gesicht. Aufgeregt eilte Alatar zurück zum Lager, um sich dort von Pallando helfen zu lassen.
Erschrocken und hektisch schüttete Pallando den gesamten Inhalt seines Reisesacks aus, um möglichst schnell die richtigen Kräuter und Verbandsmaterial zu finden, während Lútholwen sauberes Wasser und ein Tuch zum Reinigen der Verletzung brachte.
„Ich hasse es, ein Mensch zu sein!", knurrte Alatar. „Abgrundtief! Nichts ist schlimmer! Ihre Körper sind so zerbrechlich und empfindlich!"
Weder Pallando noch Lútholwen gingen darauf ein. Schweigend versorgten sie die Verletzung.
„Und vermutlich werde ich eine hässliche Narbe zurückbehalten! Als Maia wäre mir das nicht geschehen!", knurrte Alatar weiterhin.
„Du bist eitel!", stellte Pallando nur knapp fest. „Und auch noch stolz darauf!"
„Eitel sind nur die Elben hier im Osten!", erwiderte Alatar beleidigt. „Die, die die Einladung der Valar abgelehnt haben und hier im Osten zurückblieben; die, die noch nicht einmal planen, jemals Valinor zu betreten, die sind eitel und verdorben, denn sie verweigern ihre Reise doch nur, damit sie von den Menschen weiterhin bewundert werden können, angebetet und angestarrt!"
„Du bist hier im Osten noch nie einem Elben begegnet! Wie kannst du das sagen?", fragte Lútholwen erstaunt.
„Welchen Grund sollte es sonst geben, der Einladung der Valar nicht zu folgen? Was kann es Schöneres geben als Valinor, Besseres als das Leben nur unter seinesgleichen und unter den Valar und Maiar, die man nicht ohne Grund „Die Schönen" nennt?"
„Das Leben in Mittelerde?", antwortete Pallando leise und beobachtete einen Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flatterte.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst?", fragte Alatar und wandte sich ab. Schultern zuckend machte sich Pallando wieder daran, seine Sachen zurück in den Reisesack zu räumen. Sorgfältig legte er alles zusammen und verstaute es. Lútholwen half ihm dabei.
„Wo hast du das her?", fragte sie plötzlich.
Pallando hob den Kopf und sah, wie sie die kleine Phiole in den Händen hielt.
„Wir fanden sie bei einer wirklich sehr alten Leiche im Nebelgebirge. Ich denke, die Phiole ist bestimmt zwei- oder gar dreitausend Jahre alt. Gibst du sie mir bitte?" Er streckte seine Hand aus.
Lútholwen zögerte. „Sie ist wunderschön", sagte sie begeistert. „Eine elbische Phiole mit einem noch immer vorhandenen Inhalt, so reich verziert und auch noch mit einem so schönen und seltenen Metall!"
Pallando sah sie erstaunt an. „Woher weißt du, dass sie elbisch ist?", fragte er misstrauisch.
Lútholwen schmunzelte. „Du hast vergessen, dass meine Eltern mit ihnen gehandelt haben. Wir besaßen oft sehr wertvolle Schmuckstücke und Keramik bei uns zu Hause, bevor meine Eltern sie weiter verkauften. Ich sehe so etwas nicht zum ersten Mal!"
Pallando lächelte beschämt. „Verzeih mir! Du weißt bestimmt viel! Kannst du etwas über die Phiole sagen? Ich kenne mich mit der Machart und der Kunstfertigkeit elbischer Gegenstände hier in Mittelerde nicht sehr gut aus – genau genommen auch nicht mit denen in Valinor. Kunst war für mich nie besonders von Interesse."
Lútholwens Augen funkelten aufgeregt. „Nun... sie erinnert mich irgendwie an Eregion und einige seltene Stücke, die meine Eltern einmal mit hierher brachten. Das Metall ist kein Silber – vielleicht handelt es sich um Mithril."
„Mithril wurde nur in Khazad-dûm gefunden und auch erst im dritten Zeitalter!", erklärte Pallando. „Die Phiole ist älter!"
„Mithril gibt es schon länger!", korrigierte ihn Lútholwen. „Ithildin ist eine Mithril-Legierung und aus ihr wurde die Inschrift der Tore zu Khazad-dûm gefertigt – heißt es... Mir wurde berichtet, dass nur die größeren Mithril-Adern, die so viel Ausbeute brachten, dass auch das Schmieden größerer Gegenstände möglich war, später entdeckt wurden."
Pallando schaute sie überrascht an. „Du weißt sehr viel!"
„Nicht genug! Sonst hätte ich dir sagen können, wozu eine solche winzige Phiole genutzt wird. Sie ist so klein, dass kaum etwas hineinpasst. Sie muss speziell für die Flüssigkeit in ihr angefertigt worden sein. Hast du sie bereits einmal geöffnet? Weißt du, was sich darin befindet?", erwiderte Lútholwen errötend.
„Nein, aber die Phiole selbst ist magisch – und vermutlich auch ihr Inhalt. Ich nahm sie mit mir, weil ich untersuchen wollte, was es mit ihr auf sich hat."
„Oh! Das interessiert mich auch sehr!", flüsterte Lútholwen und näherte sich Pallando mit funkelnden Augen und reichte ihm die Phiole. „Darf ich dabei sein?"
Pallando lächelte sanft, streckte seine Hand aus und strich ihr damit sacht über die Wange. „Natürlich! Warum auch nicht? Sobald ich Zeit dafür habe, mich mit ihr zu beschäftigen, werde ich dir Bescheid geben!"
„Danke!" Lútholwen hauchte einen Kuss auf die Hand, die noch auf ihrer Wange lag. „Das ist mir sehr... sehr wichtig!"
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Tage vergingen, die sich von den bisherigen nur dadurch unterschieden, dass Agarmaethor tatsächlich die von Gimli gereichte Flüssigkeit zu sich nahm und Elrohir die Gemeinschaft nicht mehr so sehr antrieb, schnell vorwärts zu kommen.
In der Ferne zeichneten sich bereits die ersten Felsmassive ab, von denen Songel ihnen berichtet hatte, und auch die Sonne schien dort den Wolken verhangenen Himmel zu durchbrechen und die braune Erde, die beinahe wie Wellen eines Meeres vor ihnen lagen, in ein goldenes Licht zu hüllen. Je näher sie kamen desto deutlicher erkannten sie die Formen der Steine – Bögen, kleine Plateaus, kerzenartige Spitzen und Felsen, die einfach nur wie Felsen aussahen oder aber bewachsen waren, so dass Bäume und Sträucher vor dem himmlischen Hintergrund interessante Konturen bildeten.
Gimli war begeistert und konnte sich an dem Naturschauspiel kaum satt sehen. Die Elben empfanden den Anblick von jagdbarem Wild, welches sich zwischen einigen Hügeln bewegte, erquicklicher. Kaum erreichte die Gemeinschaft einen kleinen Bach in unmittelbarer Nähe des ersten Massivs, rastete sie. Legolas, Talfbenn und Maethrim ergriffen sofort ihre Bögen und machten sich auf, um etwas frisches Fleisch zu beschaffen.
Gimli selbst machte sich auf den Weg, um sich die Felsen genauer anzuschauen. Möglicherweise war er der erste Zwerg des Volkes der Langbärte, der jemals dieses Gestein untersucht hatte! Sollte er zurückkehren und berichten, er habe sich mit Bäumen unterhalten, wochenlang auf einem Pferderücken zugebracht, sich mit einem Elben betrunken und diesen „Durins Fluch" singen lassen? Nein! Wenigstens eine Gesteinsprobe für die, die etwas mehr davon verstanden als er, war angebracht.
Beinahe fünfzehn Minuten eilte er über die Ebene, doch die Neugier trieb ihn an, so dass er vollkommen außer Atem eine Senke erreichte, die sich unmittelbar vor dem Massiv befand. Überrascht blieb er stehen, denn was er sah, hatte er nicht erwartet: Ein kleiner Tunnel schien in das Innere des Felsens zu führen.
Kritisch musterte Gimli den Zugang. Er verlief steil abwärts in den Boden und war so schmal und eng, dass es nur auf allen Vieren möglich war, ihn zu benutzen. Vorsichtig klopfte er gegen den Stein – er schien nicht porös zu sein und Gimli sah auch keine Risse. Über ihm erhob sich der Felsen ohne größere Vorsprünge oder Spalten, die auf eine Einsturzgefahr hätten hinweisen können. Nur einige kleinere Bäume und Sträucher bewuchsen den Berg.
Einen Moment lang zögerte er, doch allein der Gedanke, dass die Elben ihn aufgrund seines Wunsches, den Felsen zu untersuchen, verlachen oder es als niederen zwergischen Trieb abtun könnten, schreckten ihn davor ab, irgend jemanden zu informieren, wohin er sich begeben wollte. Er spähte in das Innere des Tunnels und erwartete Finsternis, doch zu seiner eigenen Überraschung funkelte ihm etwas Grünliches entgegen. Gimli konnte nicht erkennen, worum es sich handelte, doch wenn man im Inneren etwas sehen konnte, dann gab es entweder noch einen weiteren Zugang, der Licht in den Raum fallen ließ oder aber...
Gimli seufzte beinahe gierig auf. War es möglich, dass – was auch immer sich in der Höhle befand – eigene Leuchtkraft besaß? Die Neugier packte ihn. Er wollte in dem Tunnel zumindest so weit vordringen, wie das Tageslicht reichen würde, um einen genaueren Blick auf die ihm unbekannte Substanz zu werfen. Der erneut beginnende Regen tat sein Übriges. Beseelt von der Vorstellung einer gemütlichen, trockenen Höhle und seinem Vorhaben, ein kleines und vielleicht auch wertvolles Andenken aus dem Osten Mittelerdes mit in den Westen zu bringen, kroch er hinein.
Obwohl das Tageslicht ihm bereits nach wenigen Schritten nicht mehr weiterhalf hielt Gimli nicht an. Das grüne Funkeln war zu reizvoll. Zudem hätte er rückwärts aus dem Tunnel herauskriechen müssen, und die Hoffnung, dass sich vor ihm eine kleine Höhle befinden könnte, ließ ihn glauben, dort besser wenden zu können.
Er behielt Recht. Nach etwa dreißig Schritten erreichte er einen winzigen Hohlraum, dessen Wände in einem grünlichen Schimmer erstrahlten. Es gab keinen weiteren Zugang. Die Substanz besaß eigene Leuchtkraft. Vorsichtig tastete er sich vorwärts. Worum auch immer es sich hier handelte: Es war weich, etwas schmierig und füllte sämtliche Hohlräume, Spalten und Risse in der Felswand aus.
Gimli ergriff eine kleine Axt und versuchte mit ihrer Hilfe, eine kleine Menge von der Höhlenwand zu kratzen und in einem Beutel zu verstauen. Doch als er seinen Beutel beinahe gefüllt hatte, ließ ihn eine laute und heftige Erschütterung entsetzt zusammenfahren.
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Der Lärm schreckte auch die Elben auf. Hastig suchten sie seinen Ursprung und gelangten dabei zu dem Felsmassiv, doch sie blieben abrupt stehen, als sie eine Schlammlawine erblickten, die sich aus großer Höhe auf den Boden ergoss und die kleine Senke vor der Felswand füllte.
„Oh, Elbereth sei Dank befand sich keiner von uns hier in der Nähe!", seufzte Mithlondion.
„Wo ist Gimli?", fragte Agarmaethor leise und watete durch die mit Schlamm gefüllte Senke, während sie misstrauisch nach oben schaute und die sich abwärts bewegenden letzten Reste des Erdrutsches beobachtete.
„Irgendwo hier am Felsen natürlich! Wo sollte er sonst sein? Er ist ein Zwerg!", erwiderte Amlugûr trocken. „Ich sah ihn in diese Richtung gehen."
„Ihr beide sucht die Umgebung nach ihm ab!", forderte Elladan Mithlondion und Rochdil auf. „Wir werden versuchen, etwas Schlamm zu beseitigen und herauszufinden, ob er sich möglicherweise vor der Felswand befand und verschüttet wurde!"
Seine Stimme ließ dabei keinen Zweifel offen, dass er Gimli für tot hielt, sollte dieser sich tatsächlich in der Senke befunden haben, als die braune Masse sich abwärts bewegt hatte.
Agarmaethor musterte besorgt die Felswand. Ein kleiner Sog unter einem herabgestürzten Baumstamm weckte ihre Aufmerksamkeit. Langsam und doch unaufhörlich schien ein Teil des Schlammes dorthin abzulaufen.
Auch Elrohir bemerkte ihn. „Vielleicht gibt es dort einen Hohlraum, in welchem sich Gimli befinden könnte..."
„...und der sich langsam füllt", ergänzte Aneru. „Wenn wir den Baumstamm wegräumen, dann füllt er sich vermutlich schneller."
Agarmaethor nickte. Irgendwie fühlte sie sich ein wenig betäubt durch das Geschehen. Der Gedanke, dass Gimli sie nicht mehr begleiten würde, schmerzte sie. Fassungslos hielt sie sich am Felsen fest, wandte sich dann aber ab und ging zurück zum Lager. Dort rollte sie sich in sämtliche Decken ein, die die Gemeinschaft mit sich führte. Heimlich und leise begann sie zu weinen.
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Der Schlamm schwappte mit Schwung in die Höhle. Gimli versuchte noch, durch den schmalen Tunnel zurück zu kriechen, doch er glitt in dem weichen Boden immer wieder aus. Es gelang ihm nicht, die Schräge zu meistern, und so musste er sich notgedrungen eine kleine Erhebung suchen, um dort auszuharren. Panisch musterte er die Wände und hoffte, einen weiteren Tunnel zu finden, doch er wurde enttäuscht.
Die flüssige Erde ströhmte in den Hohlraum, schlug dabei Blasen und gab unangenehme Geräusche von sich. Besorgt begann Gimli nachzurechnen. Lag die Höhle so tief, dass sie vollständig zulaufen würde? Oder verblieb ihm noch ein kleiner Raum mit Luft, in welchem er solange warten konnte, bis seine Gefährten ihn aus der unbequemen und gefährlichen Lage befreien würden? Sie würden ihn doch holen kommen, oder?
Zweifel nagten in ihm – weniger die, dass er als Zwerg mit Sicherheit nicht so beliebt war wir ein Elb, als die, dass es den anderen möglicherweise hoffnungslos erschien. Was würde er denn an ihrer Stelle tun? Sie besaßen ja noch nicht einmal Eimer, um den Schlamm fort zu transportieren. Ableiten? Einen Kanal allein mit Dolchen ausheben?
Gimli begann zu verzweifeln, als die braune Masse seine Oberschenkel erreichte. Krampfhaft suchte er nach einem Ausweg, aber fünfzehn Schritt durch einen Tunnel zu tauchen...? Durch Schlamm? In Rüstung? Oder auch ohne Rüstung?
Leise begann er zu zählen, um zumindest die vergehende Zeit einschätzen zu können, doch mit jeder weiteren Zahl schien auch mehr Schlamm in die Höhle zu fließen und seine Lage aussichtsloser zu werden.
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„Rede mit ihm! Er wird verrückt!", raunte Maethrim Agarmaethor zu und zog ihr die Decken vom Körper. „Seit zwei Tagen gräbt und schaufelt Legolas wie ein Wilder. Wir helfen ihm, aber die Menge Schlamm scheint überhaupt kein Ende zu nehmen! Es regnet und es rutscht immer wieder neue Masse von oben nach. Einmal hätte sie uns beinahe getroffen und unter sich begraben!"
Agarmaethor erhob sich müde. „Zwei Tage? Liege ich bereits seit zwei Tagen hier?", fragte sie fassungslos.
„Ja! Du bist auch verrückt, und wir haben uns bereits daran gewöhnt, aber Legolas dreht langsam durch, und ihm steht das überhaupt nicht!", erklärte Aneru und reichte ihr einen Becher Wasser, den sie in einem Zug leerte.
„Und was wollt ihr von mir?", seufzte Agarmaethor schließlich.
„Dass du ihn zur Vernunft bringst! Gimli ist tot! Selbst wenn er noch nicht im Schlamm erstickt oder ertrunken ist - wir bekommen ihn dort nicht heraus – jedenfalls nicht rechtzeitig!", erwiderte Maethrim.
„Ich?", murmelte sie leise. Sie hatte zwei Tage lang geweint – nicht einmal geschlafen hatte sie. Sie hatte bereits so viele in ihrem Leben sterben sehen, aber das hier ging ihr nahe – sehr nahe. Was sollte sie Legolas sagen? Dass er sich umsonst so sehr bemühte? Dass er seinen besten Freund verloren hatte?
„Ja, du! Alle anderen haben es bereits versucht! Dich mag er! Dich mag er sehr! Er wird auf dich hören", redete Maethrim auf sie ein.
Gequält erhob sie sich und ging langsam zu der Unglücksstelle. Nicht weit davon entfernt blieb sie stehen und beobachtete das Treiben. Auf den ersten Blick wirkte Legolas so ruhig und gefasst wie immer. Energisch füllte er mit seinen Armen eine der mitgeführten Lederplanen mit Schlamm und schleppte sie gemeinsam mit Rochdil den Hang hinauf, um sie in der benachbarten Senke zu entleeren. Eine Spur im Erdboden deutete an, dass die Elben tatsächlich versucht hatte, einen Kanal zu graben, doch der Boden war zu steinig und mit ihren Dolchen einfach nicht zu bewältigen gewesen.
Alle gaben sie ihr Bestes, doch einem Wasserfall gleich spülte der noch immer anhaltende Regen immer wieder neuen Schlamm, Steine und Dreck das Massiv hinunter.
Die Erschöpfung war Legolas anzusehen, und dabei waren erst zwei Tage vergangen! Selbst die Hatz durch das Nebelgebirge hatte ihn nicht so entkräften können! Agarmaethor wusste, dass jetzt Schmerz und Sorge auch das Letzte aus ihm holten.
Erneut kämpfte sie gegen ihre Tränen. Schwäche, wenn es darum ging, einen anderen zu stärken, war schlecht. Sie musste ihm bewusst machen, seinen Verlust zu akzeptieren, ohne selbst dabei zu weinen. Zögerlich ging sie auf ihn zu, doch Amlugûr schien ihr zuvor zu kommen. Auch er schaufelte Schlamm aus der Senke, aber die Steine eines neuen kleinen Erdrutsches trafen ihn beinahe am Kopf.
Erregt und aufgebracht stieß er mit seinem Fuß einen dieser Steine weg.
„Es reicht! Er ist tot! Ich mache nicht mehr weiter!", rief er laut. „Seit Tagen wühlen wir hier für einen Zwerg im Dreck, den vermutlich nur Goldgier in diese Höhle getrieben hat. Wenn er tot ist, ist er selber schuld."
Legolas sah in sprachlos und entsetzt an.
„Das kannst du doch nicht so meinen!", mischte sich Elrohir ein. „Wie kannst du so etwas sagen, geschweige denn denken?"
Amlugûrs Augen blitzten ihn an. „Schaufelst du hier, weil du Legolas einen Gefallen erweisen willst oder weil du an Gimlis Überleben glaubst?"
Elrohir schwieg und senkte den Kopf. „Aber wir sollten ihm zumindest die letzte Ehre erweisen", murmelte er. „Und dazu gehört, dass wir ihn auch als Leichnam nicht in diesem Felsen hier zurücklassen."
Amlugûr sah ihn gereizt an. „Der Felsen hier ist GENAU das richtige Grab für einen Zwergen! Besser hätte er es gar nicht treffen können! Ein dunkles, nasses und kaltes Loch! Meißeln wir ihm noch eine Inschrift in den Stein!"
Das war zu viel für Legolas. Mit einem wütenden Aufschrei und einer Kraft, die ihm nach all der Mühe und Arbeit im Schlamm wohl keiner mehr zugetraut hätte, stürzte er sich auf Amlugûr, stieß ihn zu Boden und begann ihn zu würgen.
„Zeige mir dein Blut! Ist es bereits so schwarz wie bei den Orks?", schrie er und versetzte Amlugûr einen Faustschlag auf die Nase, so dass diese heftig zu bluten begann. „Die Orks lassen ihre Toten auch zurück! Und Gimli ist noch nicht einmal tot! Ich weiß das!"
Amlugûr wehrte sich kaum. Er nahm den Faustschlag in seine Magengrube hin – und auch den an seine Brust, obwohl dieser ihm beinahe den Atem nahm. Erst als die anderen Elben eingriffen und Legolas von ihm trennten erhob er sich, schaute abfällig auf Legolas und murmelte:
„Ich hoffe, es geht dir jetzt besser!" Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und verschwand.
„Ja! Jetzt geht es mir besser!", schrie Legolas, ergriff eine Hand voll Schlamm und warf sie ihm hinterher, ohne ihn dabei zu treffen. „Geht doch! Geht doch alle! Ich bleibe auch alleine hier zurück!", wandte er sich an die anderen. „Geht oder helft graben!"
„Legolas! Beruhige dich! Bitte!", versuchte Elladan Legolas zu besänftigen.
„Ich bin ruhig! Würdest du deinen Bruder so zurücklassen?"
„Er ist nicht...", wollte Elrohir sagen, doch Agarmaethors Hand legte sich auf seinen Mund. Mit der anderen winkte sie den Elben zu, sich von ihr und Legolas zu entfernen. Schweigend folgten diese ihrer Aufforderung.
„Was willst du? Du hast in den letzten Tagen keinen einzigen Beitrag geleistet, Gimli zu helfen!", fauchte Legolas sie an.
„Ich weiß!" Sie senkte schuldbewusst den Kopf.
Sekundenlang schwiegen sie sich an bevor Legolas schließlich müde flüsterte: „Du hast ihn bereits vor zwei Tagen aufgegeben, nicht wahr?"
„Ich..." Sie wollte ihm zustimmen, aber sie konnte es nicht. Seine traurigen und enttäuschten Augen ließen sie erneut gegen ihre eigenen Tränen kämpfen. „Setz dich!" Sie zwang ihn mit einem sanften Druck auf die Brust, sich auf einem Stein niederzulassen. „Zeige mir deine Hände!"
Agarmaethor öffnete eine Wasserflasche, benetzte ein Tuch und ergriff Legolas' Handgelenk. Vorsichtig tupfte sie die wunden Knöchel sauber. Legolas wehrte sich nicht. Schweigend ließ er es über sich ergehen und schaute nur wehmütig auf den noch immer abwärts sickernden Schlamm. Der Sog war inzwischen beinahe zum Stillstand gekommen, und die Höhle im Inneren des Massivs war vermutlich voll.
Die Reinigung seiner aufgeplatzten Haut schmerzte, doch er zog die Hände nicht fort. Er spürte nur, wie unglaublich gut es ihm tat, dass sich gerade sie um ihn kümmerte und bemerkte nicht einmal, dass Agarmaethor krampfhaft seinen Blick zu meiden suchte.
„Legolas... Ich..." Wieder setzte sie an, aber sie hielt inne, als sie erneut auf seine zerschundenen und müde zusammengeballten Hände sah. Wie es einst Legolas am Meer von Rhûn mit ihren getan hatte, ergriff sie seine Finger und strich vorsichtig und sacht über die unverletzte Haut.
„Sag mir bitte nicht, dass ich es hinnehmen soll!", flüsterte Legolas. „Ich will das nicht hören!"
Agarmaethor holte Luft, doch sie konnte es nicht aussprechen. Müde und kraftlos erhob sie sich und entschloss sich, ihn lieber alleine zu lassen. Sie hielt es für besser, ihn ohne äußeren Einfluss seine Gedanken ordnen zu lassen, als dass sie ihm Dinge sagte, die sie selber nicht wahrhaben wollte.
Doch als sie gehen wollte, hielt Legolas sie auf, indem er sich an ihre Hände klammerte. Hilflos stand sie vor ihm, schaute auf seinen gebeugten Rücken, und ohne, dass sie wusste, wie ihr geschah, lehnte Legolas seine Stirn an ihren Bauch.
Vorsichtig löste sie ihre rechte Hand, umarmte ihn sanft am Nacken und drückte ihn tröstend an sich. Was sollte sie mit diesem Häufchen Unglück machen? Sie war schlecht im Trösten, benötigte sie doch eigentlich selber Trost. Seufzend ließ sie ihre Hand durch sein Haar gleiten und über den Rücken streichen.
„Einen Versuch noch!", sagte sie. „Nur noch einen... und nur für dich!"
Den letzten Teilsatz murmelte sie eher zu sich selbst, doch Legolas hörte ihn. Erstaunt hob er den Kopf.
„Für mich?", fragte er.
„Ich werde tauchen", erwiderte sie und ignorierte seine Frage. Wie hätte sie ihm auch erklären sollen, dass es nicht Hoffnung war, die sie den Vorschlag unterbreiten ließ? Sie tat es wirklich nur ihm zuliebe. Er sollte das Gefühl haben, alles nur Mögliche wäre unternommen worden. Er durfte nicht den Rest seiner Existenz damit verbringen, ständig daran zu glauben, er habe irgendeine Gelegenheit verpasst, seinem Freund das Leben zu retten. Diese Qual wollte sie ihm ersparen.
„Tauchen? Durch den Schlamm? Das wirst du nicht! Du würdest sterben!", fuhr Legolas auf. „Und dann bringt Elrohir MICH um!"
Agarmaethor sah ihn verletzt an. „Du bist dir sicher, dass ich sterben würde? Warum? Glaubst du, dass ich Gimli im Stich lasse und mich stattdessen im Schlamm ertränke?"
„Nein! Nein!", wehrte Legolas entsetzt ab. „Aber das Tauchen wurde hier bereits diskutiert. Wir beseitigten den Baumstamm und Amlugûr stieg in den Sog. Doch als ihm der Schlamm bis zum Hals reichte und seine Füße noch immer kein Ende des Tunnels ertasten konnten, brach er den Versuch wieder ab."
„Amlugûr?", fragte Agarmaethor erstaunt. „Er hat das tatsächlich getan? Und du? Du siehst nicht so aus, als hätte dir dieser Vorstoß genügt."
„Elladan glaubte, ich wäre zu waghalsig", murmelte Legolas. „Ich habe mich heftig mit ihm gestritten..."
„Ihm dabei aber keinen Faustschlag verpasst!", ergänzte Agarmaethor. „Jetzt ist er nicht da. Nur Aneru und Rochdil beobachten uns, und die beiden können wir mit einigen netten Worten einspannen." Agarmaethor schaute ihn aufmunternd an.
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Erneut bildete sich eine gewaltige Blase im Schlamm. Gimli nahm sie nur noch verschwommen wahr. Seit vermutlich zwei Tagen stand er aufrecht auf der kleinen Erhebung in der Höhle. Der braune Brei reichte ihm bereits bis über das Kinn, und nur wenn er sich streckte und den Kopf dabei hob, konnte er gut Luft holen – aber selbst diese wurde merklich dünner. Befände sich die Wand nicht hinter ihm, wäre er vermutlich bereits umgefallen... obwohl der Schlamm ihn in gewisser Weise auch stützte.
Obwohl er an seinem Gürtel die Flasche Enttrunk mit sich führte, aus der er gelegentlich einen Schluck zu sich nahm, verließen ihn die Kräfte, und ihm kam immer öfter der Gedanke, sich einfach hinzusetzen und zu sterben. Doch er wusste, dass dieses Bedürfnis nur aus seiner Müdigkeit heraus resultierte und nicht aus einem wirklichen, inneren Wunsch. Allein deshalb überwand er sich und wartete.
Die Blase vor ihm zerplatzte, und Gimli traute seinen Augen kaum. Ein nach Luft schnappendes Schlamm-Monster erschien! Der herabtropfende braune Brei legte eine leicht bläulich gefärbte Haut frei. Mit letzter Kraft ballte Gimli seine Fäuste und wollte auf das Untier einprügeln, doch dann öffnete das Monster die Augen und er erkannte Legolas. Beinahe ohnmächtig vor Freude sank er in dessen Arme.
„Oh, du bist es! Was hat dich so lange aufgehalten? Ich warte schon seit Tagen!", brabbelte er erschöpft und ließ sich von Legolas ein Seil um den Bauch wickeln.
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Alle atmeten erleichtert auf, als Legolas, Gimli, Rochdil, Aneru und Agarmaethor vollkommen verdreckt im Lager erschienen.
Frisch gesäubert, satt und müde legten sich Gimli und Legolas schlafen. Die Anstrengung forderte ihren Tribut. Auch die anderen kamen nach all der Aufregung langsam zur Ruhe. Nur Agarmaethor nicht. Nachdenklich und traurig saß sie am Feuer und beobachtete Gimlis gleichmäßige Atemzüge.
Sie hatte ihn tatsächlich aufgegeben. Sie hätte ihn in dem Felsen zurückgelassen, weil sie ihn für tot gehalten hatte. Legolas war der einzige gewesen, der seine Hoffnung behalten hatte, der die Lage nicht für aussichtslos gehalten und der zu Gimli gestanden hatte – komme was wolle. Sie selbst hatte die Situation zu düster eingeschätzt.
„Was ist los mit dir? Freust du dich nicht, dass er wohlauf ist?", fragte Amlugûr und setzte sich neben sie.
„Doch! Ich freue mich sehr. Das ist es nicht", murmelte Agarmaethor.
„Euer Plan mit den Seilen und dem Tauchgang hätte auch fehlgehen können. Dann wäre Legolas jetzt tot", fuhr Amlugûr fort.
„Wir hatten verabredet, dass er kräftig am Seil zieht, wenn er zurückgeholt werden will. Mehr Sicherheit war nicht möglich. Wo warst du in den letzten Stunden?", fragte sie.
„Fort!"
Amlugûr erklärte sein Verhalten nicht. Er wollte ihr nicht erzählen, dass er einen Aufstieg auf den Felsen gesucht hatte, um einen eventuell vorhandenen zweiten Zugang zu der Höhle zu finden. Es gab ihn nicht, und gerade deshalb war es ihm keiner weiteren Erwähnung wert. Agarmaethor hakte auch nicht nach. Nachdenklich zupfte sie ein kleines Stückchen Fleisch von den Resten des Bratens und schob es sich in den Mund.
„Er hat sich darauf verlassen, dass wir ihn nicht aufgeben", murmelte sie nur und schaute erneut auf Gimli.
