Ich möchte mich noch einmal AUSDRÜCKLICH bei Limara und Manveri bedanken, die mir echt geholfen haben. (knuddel)

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an StupidMouth: Vielen Dank! (knuddel) Du hast Recht, dass ich mir wirklich Mühe gebe, die Charas nicht zu oberflächlich und offensichtlich in Schubladen zu tun. Daher auch die lange Vorgeschichte von Pallando und Alatar. Hätte ich die weggelassen, wäre das auch alles überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich hoffe, dass es emotional und in den Gedankengängen nachvollziehbar ist, was in diesem Kap passiert, denn daran hab ich WIRKLICH geschuftet. (seufz)

an Melethil: Dein neues Lieblingskapitel? (freu) Ich muss gestehen, dass mir auch die Arbeit daran Freude gemacht hat. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so gut ankommt. Nicht, dass ich dich gerne heulen gesehen hätte, aber für mich ist es ein Riesenlob, wenn ich Gefühle wecken konnte. (knuddel)

an Lia, Lessien, Amilang: Hab ich euch irgendwie vergrault? Ich hoffe nicht:(

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Amdir – Hoffnung

Unzählige tote Bäume und Sträucher ragten aus einer übel riechenden, braunen Brühe, und ihre holzigen Oberflächen wirkten, als wären sie von ihr bereits teilweise zersetzt worden. Selbst das gleißende Sonnenlicht vermochte dem Sumpf nichts von seiner dunklen Ausstrahlung zu nehmen – im Gegenteil: Es schien, als würde er es beinahe vollständig verschlucken.

„Dieser Morast ist widerlich!", knurrte Haunar. „Bisher glaubte ich, Bäume seien das Schlimmste auf Arda – gleich nach den Grünaugen – aber dieser Sumpf übertrifft wahrlich alles!"

„Er ist nicht so, wie ihn die Valar erschaffen hatten", erwiderte Rufur und schaute misstrauisch über die bräunliche Fläche. „Auf ihn wurde Einfluss genommen... dunkler Einfluss. Böses ist hier einst geschehen, verbunden mit Blut und Tod. Odan erzählte es mir, und er erfuhr es von Bizar-kûn, als dieser ihm den Stein gab."

Rufur kramte einen faustgroßen, feuerroten Stein aus seiner Gürteltasche. Er schien eine unnatürliche Wärme auszustrahlen, so als würde eine magische Flamme in ihm glühen.

„Noch schläft der Sumpf. Man kann die Bedrohung riechen, es fühlen... doch sie ist noch nicht erwacht!", fuhr Rufur fort. „Die Geister müssen geweckt werden!" Er flüsterte beinahe.

„Warum beherrscht Bizar-kûn solch dunkle Magie?", fragte Haunar entsetzt. „Er steht doch nicht auf der dunklen Seite!"

„Man muss kennen, was man besiegen will!", erwiderte Rufur. „Und Bizar-kûn kennt seine Gegner seit vielen, vielen Jahren – sie und ihre Kräfte!"

So weit er nur konnte, schleuderte er den Stein in den Sumpf. Ein dumpfes Aufklatschen zeugte davon, dass er sein Ziel erreicht hatte und in der braunen Masse unterging.

„Es geschieht nichts!", stellte Haunar nach minutenlanger Wartezeit fest. „Ich fürchte, Bizar-kûn hat sich geirrt."

Rufur grinste. „Ich denke nicht. Siehst du nicht die Blasen aufsteigen? Der Sumpf erwacht! Wir können jetzt nichts mehr tun. Das einzige, was uns noch bevorsteht, ist die Reise zu unseren Königen und der Bericht darüber, was uns alles widerfahren ist."

„Willst du nicht warten und Zeuge sein, was aus dieser Dunkelhaarigen wird? Dann könnten wir zumindest eine Erfolgsnachricht überbringen", warf Haunar ein.

Rufur schüttelte den Kopf. „Alles, was jetzt geschieht, entzieht sich unserem Einfluss. Wir könnten wirklich nur warten und beobachten, aber neben der Tatsache, dass ich mich nicht in der Nähe des Sumpfes aufhalten möchte, wenn er seine Scheußlichkeiten offenbart, würden wir auch unseren Vorsprung verlieren, den wir so dringend benötigen. Bisher ist uns die Dunkelhaarige immer entkommen. Wenn es ihr wieder gelingt, sollten die Könige gewarnt sein, und eine überflüssige Warnung ist besser als gar keine."

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Der immerwährende Regen hatte endlich aufgehört. Die Sonne brach durch die Wolkendecke und erwärmte die Erde, was den Ritt durch den noch immer aufgeweichten Boden weniger beschwerlich machte.

Die Mitglieder der Gemeinschaft hatten die Ebene der Felsmassive, die Dalpygis, hinter sich gelassen. Ihr neues Ziel war ein Sumpf, und zum ersten Mal kam ihnen Vorondas Kartenwerk wirklich zugute, denn Agarmaethors neue Vision enthielt keinen Hinweis auf seine Lage. Überhaupt war ihre Vision sehr vage gewesen, denn nicht einmal mehr Thuringwethil war ihr erschienen – zum dritten Mal bereits nicht. Stattdessen hatte sie nun ein neues Gesicht vor Augen, das Gesicht eines ihr unbekannten Mannes, doch so ausführlich sie ihn auch beschrieb: Niemand in der Gemeinschaft kannte ihn.

Beinahe vierhundert Meilen lagen zwischen der Dalpygis und dem Sumpf auf Vorondas Karte, doch seit Agarmaethor wieder gelegentlich etwas aß und das von Gimli gereichte Wasser entgegennahm, trieb Elrohir die Gruppe nicht mehr zur Eile an, so dass sie nach knapp zwei Wochen ohne Hast die gesuchte, morastige Fläche erreichten.

Große Blasen ekelhaft riechenden Gases stiegen durch die braune Flüssigkeit auf. An einigen Stellen schien der Sumpf zu kochen, doch nirgendwo gab er Wärme ab.

„In meiner Vision sah der Sumpf nicht so bedrohlich aus", murmelte Agarmaethor. „Es handelte sich um einen ganz normalen Sumpf und ich erinnere mich noch an eine Insel mit einem Baum darauf."

Amlugûr stieg ab und lief mehrere hundert Schritt weit, bis seine Knie beinahe vollständig versunken waren. Minutenlang spähte er über die ebene Fläche, bevor er sich aufraffte und sich durch den Morast zurückkämpfte.

„Dieser Sumpf ist böse!", erklärte er mit einem warnenden Blick. „Er gibt nichts freiwillig wieder her, was er sich einmal genommen hat. Aus ihm zurückzukehren hat mich mehr Kraft gekostet, als ich es je erwartet hätte! Und ich sah eine Insel – zwar ohne Baum, aber eine Insel."

Agarmaethor schaute müde auf einige Stechfliegen, die sich mit wütendem Summen auf die Nüstern ihres Pferdes gestürzt hatten. „Damals, am Meer von Rhûn, war ich in der Lage den Felsen wieder zu erkennen, den wir aufzusuchen hatten. Aber er war viel verwitterter und abgetragener als ich ihn in meiner Vision sah, sodass ich bereits damals den Verdacht hegte, die Bilder meiner Vision hätten mir etwas aus der Vergangenheit gezeigt. Und nun, wenn ich mir den Sumpf so anschaue..."

„Heißt das, du glaubst, wir sind hier richtig?", fragte Gimli erschrocken. „Ich will da nicht hinein! Das müssen wir doch hoffentlich auch nicht, oder doch?"

Erwartungsvolle Blicke trafen Agarmaethor. Schweigend erkor sie trotz des Gestankes eine kleine Senke direkt am Sumpf zu ihrem neuen Lager aus, ließ sich dort nieder und schlief sofort ein. Die Gemeinschaft fügte sich ihrer Entscheidung, gesellte sich zu ihr, und eine Zeit des Wartens auf eine neue Vision begann.

Tage vergingen, die alle auf unterschiedliche Art verbrachten. Einige nutzten die Zeit, um sich zu erholen, andere versuchten zu jagen oder nach Trinkwasser zu suchen, denn die Vorräte wurden immer knapper. Agarmaethor verbrachte sie einsam und schweigend auf einer winzigen Erhebung. Ohne großes Wohlbehagen schaute sie über die Landschaft zu ihren Füßen, und je länger sie dort saß, desto öfter gewann sie den Eindruck, dass sich der Morast veränderte, düsterer wurde, gefährlicher...

Nachdenklich beobachtete sie einen kleinen Vogel, der sich einem toten Strauch inmitten des Sumpfes näherte und nicht zurückkehrte, und fragte sich, was wohl aus ihm geworden sein mochte.

„Ich bringe dir dein Wasser!", unterbrach Legolas ihre Gedanken und reichte ihr einen Becher. „Gimlis Wasser, meine ich natürlich."

„Neigt es sich dem Ende zu?", fragte Agarmaethor und musterte misstrauisch die klare Flüssigkeit.

„Nein, überhaupt nicht", log Legolas, um ihr die zusätzlichen Sorgen zu ersparen. „Warum fragst du?"

„Weil der Anteil meines Ent-Trunkes immer größer wird", erwiderte sie, trank die Flüssigkeit und reichte ihm den geleerten Becher zurück.

Überrascht sah Legolas sie an. „Du weißt es?"

„Natürlich! Ich erkenne doch meine Flasche wieder, die sich Gimli inzwischen angeeignet hat... vom Geschmack des Wassers ganz zu schweigen! Getrocknete Beeren...!", murmelte sie und schaute stumpf über den dunklen und stinkenden Morast.

„Ja, es ist tatsächlich nur noch sehr wenig Wasser vorhanden", erklärte Legolas bedauernd und musterte Agarmaethor nachdenklich. Zögernd setzte er sich neben sie und schaute mit ihr gemeinsam über die Landschaft.

„Ich habe dich nicht dazu eingeladen, mir Gesellschaft zu leisten!", murmelte Agarmaethor unwillig.

„Doch hast du!" Legolas schmunzelte. „Du hast den Becher Gimlis aus meiner Hand und nicht aus seiner genommen, obwohl du das sonst nie tust. Also wünschst du wohl meine Gesellschaft."

„Eine äußerst gewagte Auslegung meines Verhaltens! Hätte ich geahnt, dass du das zum Anlass nimmst, mich zu belästigen, hätte ich das Wasser wohl fortgeschüttet!", erwiderte Agarmaethor kühl, bewegte sich ein Stück von ihm weg und wandte ihm den Rücken zu, um ihm zu zeigen, wie wenig sie seine Anwesenheit wünschte.

Verletzt sah Legolas sie an. „Du stößt mich zurück! Schon wieder! Was habe ich dir angetan, dass du mich so schlecht behandelst und mir mit solchen Worten begegnest? Was mache ich denn falsch? Bin ich denn so verabscheuungswürdig?", fragte er traurig. „Dein Verhalten während Gimlis Verschüttung, deine Fürsorge, deine Unterstützung und Nähe sprechen eigentlich dagegen, dass ich dir gleichgültig oder gar noch weniger bin. Aber jetzt behandelst du mich wieder so, als wäre ich eine Krankheit!"

Agarmaethor schwieg, doch er spürte, wie sie die Luft anhielt und schluckte, als wäre ihr Hals zugeschnürt. Vorsichtig rückte er noch ein Stück näher, legte eine Hand auf ihre Schulter und zwang sie behutsam, sich zu ihm umzudrehen. Mit der anderen Hand hob er sacht ihren Kopf, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. Tatsächlich schimmerten diese, als kämpfe sie gerade gegen Tränen an.

„Oh Elbereth, du weinst?", seufzte er. „Kann es sein, dass du deine kalten Worte gar nicht so gemeint hast?" Sanft strich er ihr über die Wange. „Ist es vielleicht möglich, dass du mich einfach nur verbissen von dir fernhalten willst – koste es, was es wolle? Warum? Ich kann den Grund nicht erkennen... und noch weniger den Sinn darin, denn alles wäre so viel leichter, wenn wir einander vertrauen könnten und unsere Sorgen teilen würden."

„Sorgen teilen?", flüsterte Agarmaethor mit tränenerstickter Stimmer. „Welche Sorgen hast du, die du teilen möchtest?"

Legolas sah sie einen Moment lang sprachlos an, denn mit ihrer Frage – so ganz ohne Spott oder Zynismus, sondern voll von Wärme und Fürsorge – griff sie nach dem letzten Rest seines Herzens, das nicht bereits ihr gehörte.

„Du bist so... liebenswert", flüsterte er, „und lässt mich dabei die wahre Bedeutung dieses Wortes erkennen."

Agarmaethor errötete und wich seinem Blick aus. Vorsichtig, als könnten sie zerbrechen, griff er nach ihren Händen, um sie sanft zu streicheln, doch sie waren so kalt und steif gefroren, dass er sie fest an seine Brust presste, um sie dort ein wenig zu wärmen.

„Du fragst nach meinen Sorgen? Meine allergrößte Sorge bist du!", sagte er ernst. „Jeden Morgen sehe ich dich mit funkelndem Blick die Sonnenaufgänge beobachten. Du fragst dich dann, ob sie in Valinor genauso schön oder sogar noch schöner seien und fürchtest dich im selben Atemzug davor, sie in den Hallen von Mandos nie wieder erleben zu dürfen. So entscheidest du dich dazu, lieber zu leben, als zu sterben.

Doch dann wird dir bewusst, dass es wegen dir möglicherweise nie wieder Sonnenaufgänge geben könnte - für niemanden von uns - und das macht dich dazu bereit, auf deine eigenen Sehnsüchte zu verzichten und den Tod zu suchen.

Doch so sehr du ihn dir herbeisehnst, willst du auch jeden Morgen einen neuen Sonnenaufgang erleben, von dem du glaubst, er sei schöner und prächtiger ist als der des Vortages.

So bist du hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach Leben und dem Wunsch nach Tod. Das ängstigt mich!"

Agarmaethor schloss die Augen und eine einzelne Träne zog eine glänzende Spur auf ihrer blassen Haut. „Du willst mich doch auch nur beeinflussen, mich für das Leben zu entscheiden... so wie Elrohir, Gimli, Amlugûr oder die anderen. Aber..."

„Nein!", unterbrach sie Legolas ernst. „Solltest du sterben, würde ich dich sehr vermissen, aber ich weiß, dass nur du allein diese Entscheidung treffen kannst, denn du bist es, die bis ans Ende aller Tage die Konsequenzen ertragen muss, die diese Entscheidung mit sich bringt. Dir meine Wünsche aufzudrängen, liegt mir fern.

Was mich ängstigt und sorgt sind die Qualen, denen du dich dabei selbst aussetzt... und die Gefahr, dass dir jemand bei deiner Wahl zuvorkommt.

Was wäre, wenn du dich weder für Leben noch für Tod wirklich entschieden hast und ein unglücklicher Pfeil dich trifft? Würdest du bis in den Hallen von Mandos die Sonnenaufgänge vermissen und dabei das Gefühl haben, dass alles sinnlos war, weil du selber überhaupt keinen Beitrag zur Rettung Mittelerde geleistet hast?

Was ich meine ist: Solltest du dich vor diesem Pfeil für das Leben entschieden haben, dann kannst du zu Recht von dir behaupten, dass du um Mittelerde gekämpft hast – selbst wenn der Versuch gescheitert sein sollte. Hast du vor diesem unglücklichen Pfeil den Tod erwählt, dann kannst du mit Stolz sagen, dass du ohnehin bereit warst, dein Leben und deine Sehnsüchte für diese Welt zu opfern." Legolas sah sie traurig an. „Aber was würdest du bis ans Ende aller Tage fühlen, wenn du gar keine Entscheidung getroffen hast?"

Tränen rannen aus Agarmaethors Augen, so viele, dass Legolas mitfühlend einen Arm um ihre Schultern legte und sie an sich drückte.

„Ich wollte dich keinesfalls unter Druck setzen", sagte er leise und bedauernd. „Ich will nur nicht, dass du unglücklich bist." Er seufzte und lehnte seine Wange an ihr Haar. „In den Hallen von Mandos werde ich dich wohl kaum glücklich machen können. Das kannst nur du allein. Aber hier in Mittelerde kann ich für dich da sein, dir deine Hände wärmen, wenn du frierst, dir meine Tunika für deine Tränen anbieten oder mit dir lernen, wie schön ein Leben zu zweit sein kann."

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Noch immer suchten Pallando, Alatar und Lútholwen sich einen Weg durch die Berge. Häufig endeten ihre Wanderungen an Steilwänden, Abgründen oder unpassierbaren Flüssen, so dass sie mehrmals umkehren mussten, um sich einen neuen Weg zu suchen. Die mühselige Reise zerrte an den Nerven aller, denn nur gelegentlich fanden sie etwas Holz für ein Feuer oder genug Laub, um sich einmal auf weichen Boden setzen zu können.

Einen weiteren Tag brannte die Sonne auf sie herab. Keiner von ihnen verspürte noch Lust, sich die Gegend überhaupt anzusehen. Schritt für Schritt quälten sie sich vorwärts, achteten dabei auf Steine und Erdspalten, um keinen Fehltritt zu riskieren und hofften, einen kleinen Bach oder See zu finden, um sich darin erfrischen zu können.

Ein pfeifender Ton und ein leiser Luftzug schreckten Pallando aus seiner Lethargie. Überrascht gewahrte er am Boden eine Wurfaxt, die ihn Sekunden zuvor verfehlt hatte.

Während Alatar kampfbereit vor Lútholwen sprang und mit dem Schwert in der einen Hand und seinem Stab in der anderen, aufmerksam die Felswände absuchte, packte Pallando Lútholwen an der Hand und wollte sie hinter einen großen Stein zerren, doch befand sich bereits jemand anderes: Ein Zwerg.

Mit hasserfüllten Augen starrte er sie an, erhob sich und brüllte etwas, was eine beachtliche Anzahl schwer bewaffneter Zwerge, die nun aus ihrer Deckung brachen, zu einem Angriff zu veranlassen schien. Mit lautem Gebrüll stürzten sich die Zwerge auf die drei Wanderer und übertönten mit ihrem Lärm jede Anweisung, Frage oder Warnung.

Das Schwert Alatars allein konnte einer solchen Übermacht nicht standhalten. Pallando sah sich gezwungen, sich und vor allem Lútholwen mit seinem Stab zu verteidigen. So defensiv wie nur möglich, wehrte er die Attacken der Zwerge ab. Nichts lag ihm ferner, als einen der Zwerge zu töten, ohne überhaupt erfahren zu haben, warum sie angegriffen hatten. Es konnte sich doch nur um ein Versehen handeln!

Doch im Gegensatz zu ihm kämpften die Zwerge um Leben und Tod. Er wurde bedrängt, sah sich selbst bereits fallen und war trotz allem nicht bereit, seinen Stab in eine tödliche Waffe zu verwandeln. Alatar jedoch war es.

Plötzlich blendete ein gleißendes Licht alle Anwesenden und die Rüstungen der Zwerge begannen zu glühen. Schreiend stoben sie in alle Richtungen davon, um sich im Schutze der Felsen die Helme und Brustpanzer vom Leibe zu reißen, Wasser zum Kühlen zu finden oder überhaupt der Macht Alatars zu entfliehen. Jene, denen es nicht gelang sich rechtzeitig aus dem heißen Metall zu schälen, verbrannten qualvoll.

Nur wenige Sekunden vergingen, in denen - bis auf einen einzelnen Zwerg, der hastig mit einer Beinverletzung davonzuhumpeln versuchte – von den Angreifern keine Spur mehr zu entdecken war. Alatar hastete dem Zwerg hinterher, forderte diesen immer wieder zum Stehenbleiben auf, doch der Zwerg hielt nicht an. Panisch rannte er davon, bis er aufgrund seiner Verletzungen völlig entkräftet stolperte und zu Boden fiel. Alatar erreichte ihn und trat mit dem Fuß auf sein Handgelenk, um ihm am Einsatz seiner Wurfaxt zu hindern.

„Warum habt ihr uns angegriffen?", fragte Alatar düster und beendete mit nur einer Bewegung seines Stabes die Hitze in der Rüstung des Zwerges. „Wir besitzen nichts, was für euch von Wert sein könnte und haben keinen Streit mich euch gesucht."

Der Zwerg sagte nichts. Er schluckte, als würde er versuchen wollen, seinen Mund zu befeuchten, um überhaupt einen Laut von sich geben zu können, und sein Blick erschien Alatar eher ängstlich als hasserfüllt, sodass er seinen Fuß vom Handgelenk nahm und sich näher zu dem Zwerg herunter beugte.

„Sag, mir: Warum habt uns ihr aus dem Hinterhalt überfallen?"

Noch immer mit dem Schwert in der Hand, versuchte Alatar, die Rüstung des Zwerges zu öffnen, um ihm mehr Atemluft zu verschaffen. Der Zwerg wehrte sich nicht, schaute nur erwartungsvoll auf die Hände Alatars und versuchte selber mit seinen Fingern nachzuhelfen. Nur in den Augenwinkeln bemerkte Alatar, wie sich die Züge des Zwerges plötzlich verhärteten und er blitzschnell zu seiner Wurfaxt griff. Noch bevor der Zwerg die Axt hatte einsetzen können, stieß ihm Alatar mit einem Kopfschütteln sein Schwert zwischen die Rippen.

„Oh, nein!", flüsterte Lútholwen hinter ihm. „Ich wollte nur sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist, und dann erlebe ich das!" Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Alatar ging zu ihr, strich ihr sanft mit der Hand eine Träne aus dem Gesicht und küsste sie auf die Lippen. Beruhigend nahm er sie in den Arm.

„Dieser törichte Zwerg ist es nicht wert, beweint zu werden", flüsterte er.

„Ich verstehe das nicht. Zwerge sind eigentlich keine gemeinen und hinterhältigen Wesen, die ohne Grund angreifen", wimmerte Lútholwen. „Ich hoffe, es haben wenigstens ein paar von ihnen überlebt. Ich glaube nicht daran, dass sie böse sind."

„Mir ist es gleich, ob sie verschmort sind oder nicht!", knurrte Alatar. „Hier im Osten ist wirklich alles verdorben – sogar die Zwerge!" Seine Verbitterung schwang deutlich mit. „Ich habe diesen elenden Zwerg nur fragen wollen, warum wir überfallen wurden. Und was tut er? Er spielt vor, er wäre wieder friedlich und versucht dann hinterrücks, mich zu töten! Ich nenne das heimtückisch und verräterisch. So ein Verhalten besitzt kein ehrenwerter Krieger. Erkennst du das denn nicht?" Alatar sprach sich in Rage. „Du kannst das doch bestätigen! Du standest direkt hinter mir, als das geschah!"

„Ich... Ja... Leider!", murmelte sie und vergrub ihr tränennasses Gesicht in Alatars blauem Mantel.

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Agarmaethor ging auf Legolas' tröstende Worte nicht mehr ein. Sie weinte nur leise, benetzte seine Tunika mit ihren Tränen und schlief schließlich in seinen Armen ein. Selbst am nächsten Morgen sprach sie nicht mit ihm, doch Legolas hatte eher dass Gefühl, dass sie nachdenklich war, als dass sie ihn abweisen wollte. Er gab ihr Zeit, die sie ungestört wieder auf der kleinen Erhebung vor dem Sumpf verbrachte... bis eine Diskussion in der Gemeinschaft darüber entbrannte, die Gegend endgültig zu verlassen oder den Sumpf endlich zu betreten, denn die Trinkwasservorräte neigten sich dem Ende zu.

Agarmaethor sollte entscheiden, und mit einem müden Blick über die unheimliche, dunkle Fläche beschloss sie, die Insel im Sumpf aufzusuchen.

Gimli musterte bedauernd seine kurzen Beine. „Glaubt ihr, ich könnte ein Hindernis für euch sein? Ich will keinesfalls der Grund für Verzögerungen oder gar Gefahren sein!", brummte er.

Agarmaethor schaute ernst in die Gesichter der einzelnen Mitglieder. „Ich bin überhaupt der Ansicht, dass nur die, die wirklich wollen, mit mir kommen sollten", sagte sie leise. „Denn würde tatsächlich etwas Grausames oder Tödliches geschehen, wäre es fatal, wenn wir alle dabei sterben. Niemand könnte noch in den Westen zurückkehren und wenigstens vom Scheitern der Reise berichten."

Elladan, Amlugûr, Legolas, Rochdil und Aneru äußerten sofort ihre Bereitschaft, mit ihr zu gehen. Andere boten an, indessen weiterhin nach Wasser zu suchen oder das Lager zu bewachen – äußerst heldenhafte Aufgaben, wie Amlugûr zynisch befand. Mit Speeren bewaffnet, die sie als Wanderstäbe benutzten, um sich einen geeigneten Weg zu suchen, brach die kleine Gruppe auf.

Elrohir sah ihnen hinterher und wartete am Rande des Sumpfes. Er verspürte weder die Ruhe noch besaß er die Geduld, um wie die anderen am Lagerfeuer zu sitzen oder tatsächlich nach Wasser zu suchen. Gimli leistete ihm Gesellschaft, brachte ihm etwas zu essen oder einen kleinen Schluck Wasser. Gemeinsam schauten sie an den Horizont.

„Der Sumpf ist erwacht", murmelte Elrohir nach Stunden des Schweigens. Die kleine Elbengruppe bestand selbst in seinen Augen bereits nur noch aus Punkten.

„Erwacht?", fragte Gimli erstaunt.

„Er lebt – auf seine dunkle und böse Art." Elrohir deutete mit dem Finger auf einen Strauch, der noch Minuten zuvor klein und unscheinbar sein Dasein gefristet hatte und nun mit scharfen Dornen in den Himmel ragte, als wären ihm Zähne gewachsen. Steif und starr hielt er dem Wind stand, doch als ein Vogel an ihm vorüber flog, schien er nach diesem zu schnappen.

„Oh Mahal!", flüsterte Gimli. „Ich hoffe, sie kommen sicher zurück!"

Doch seine Zuversicht sank, als er mehrere kleine Feuer erblickte, die sich Augenpaaren gleich durch die beginnende Nacht bewegten und scheinbar auf die Insel im Morast zusteuerten. Vollkommen unerwartet erschien im Hintergrund eine brennende Stadt, Hilferufe gellten durch die Dunkelheit, Schreie, die Gimli und den Elben das Blut in den Adern gefrieren ließen und die so weit hallten, dass auch die kleine Gruppe im Sumpf sich erschrocken umwandte und die unwirklichen Bilder der leuchtenden Flammen wahrnahm.

Hastig kämpften sich die sechs Elben voran und erreichten die Insel keinen Moment zu früh. Agarmaethors Kräfte hatten während der der Wanderung zunehmend nachgelassen, so dass Legolas und Amlugûr ihr mehrfach über besonders schwer begehbare Senken und Untiefen hatten helfen müssen. Die Erholung kam ihnen gerade recht, doch kaum hatten sie die Insel betreten, brachen unzählige Insekten aus Sträuchern und Sumpflöchern hervor und suchten die Elben heim. Ihr lautes Summen übertönte jedes andere Geräusch. Gierig stürzten sie sich auf Mund, Nase und Augen der sechs Wanderer und suchten sich empfindliche Stellen zum Stechen und Blutsaugen.

Ihnen folgten glühende Augen, die jedoch den Rand zu der kleinen Insel nicht überschreiten konnten. Wie Raubtiere, die sich gegen eine Käfigtür pressen, versammelten sie sich am Ufer des Sumpfes, umringten die Insel und strahlten sie mit ihrem feuerartigen und doch kalten Licht an.

Agarmaethor schwankte und brach zusammen. Sie gewahrte nicht mehr, wie Legolas zu ihr stürzte, ihr Gesicht mit seiner Jacke bedeckte, um sie vor den Insekten zu schützen, und sich um die Schmerzen in ihrem Bauch kümmerte – Schmerzen, die ihm noch nie so schlimm erschienen waren und die bei ihr noch nie so stumpfes Haar hervorgerufen hatten wie in dieser Nacht.

Sie nahm auch nicht wahr, wie die anderen Elben Pfeile verschossen, die, ohne Schaden zu verursachen, im Morast landeten und dort wie Steine versanken . Was sie jedoch gewahrte war Blut und Tod: menschliche Leichname auf einer Hochebene. Das Gesicht des ihr unbekannten Mannes erschien ihr erneut – nachdenklich vor einem eingepferchten und misshandelten Ork-Elben stehend, einem Ork-Elben mit rotem Blut und ohne schwarze Krallen...

Den übrigen Elben gelang es nicht, sich der glühenden Augen zu entledigen, doch da von ihnen auch keine Gefahr zu drohen schien, kauerten sie sich um Legolas und Agarmaethor, versuchten auch ihre eigene Haut vor den Insektenstichen zu schützen und warteten - warteten auf das Ende ihrer Vision oder zumindest auf den Morgen, von dem sie hofften, er würde nur Gutes bringen.

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Angespannt und sich vollkommen hilflos fühlend, hockten Gimli und Elrohir am Rande des Sumpfes und warteten auf die Morgendämmerung. Doch der prachtvolle Sonnenaufgang, der den Tag einleitete, erfüllte ihre Hoffnungen nicht, denn sein Licht vermochte den dicken Nebel, der sich noch in der Nacht über den Morast gelegt hatte, nicht zu durchbrechen. Und so zerschlug sich auch die Hoffnung, dass das Sonnenlicht die Sumpfgestalten in ihre Löcher treiben würde, wie die Orks in ihre Höhlen.

„Wir müssen etwas tun, und sei es, dass wir ihnen doch noch entgegen gehen!" Gimli schaute nervös in den Nebel, ohne jedoch auch nur den Umriss eines einzelnen Strauches in seiner Nähe erkennen zu können.

„Das würde ich!", erwiderte Elrohir. „Entgegen des Wunsches meines Vaters, mich nach Möglichkeit nicht in die gleiche Gefahr zu begeben wie Elladan, würde ich das tun, aber der Nebel ist so dick, dass ich fürchte, sie zu verfehlen. Und wem würde das nutzen?" Resigniert schaute er auf die gelblich braune Flüssigkeit zu seinen Füßen, deren Gestank sich über Nacht noch intensiviert zu haben schien. „Das Feuer...!", sagte er plötzlich. „Vielleicht sollten wir das Feuer vergrößern! Wenn wir hier am Rand des Sumpfes die Sträucher zu Brennholz verarbeiten, könnten wir ein Signal setzen, welches möglicherweise von den anderen gesehen wird."

Hastig eilten Gimli und die Elben am Ufer des Sumpfes entlang, um Zweige von den toten Sträuchern und Bäumen zu brechen. Taurol ergriff als erster einen Ast, doch kaum hatte er seine schlüpfrige Oberfläche auch nur berührt, schoss ein dunkler Schatten mit gelben, hässlichen Augen aus dem Morast, stürzte sich mit einem Schrei auf ihn und hackte seinen Schnabel in Taurols Oberarm. Nur ein rettender Sprung zurück an das feste Ufer schützte ihn vor den Angriffen weiterer Vögel, die sich wie aus dem Nichts einzufinden schienen.

Trotz dieses Rückschlages gaben sie nicht auf. Mit Seilschlingen, die sie über einzelne, kleinere Sträucher warfen, um diese mitsamt ihren Wurzeln aus dem Sumpf zu ziehen, gelang es Gimli und den Elben, ihren Vorrat an Brennholz zu vergrößern und ein Feuer zu entzünden, das die Hoffnung schürte, auch im Nebel zumindest als winziger Orientierungspunkt gesehen zu werden.

Der gewünschte Erfolg trat ein, denn die kleine Gruppe kämpfte sich bereits seit dem Morgengrauen zurück durch den Sumpf und empfand den winzigen, hellen Punkt in der Ferne wie den Sternenschein Eärendils in finsterer Nacht – wegweisend und hoffnungbringend und verdrängte selbst die beängstigenden Erinnerungen an die glühenden Augenpaare.

Agarmaethor musste getragen werden. Sie war einfach zu erschöpft, um überhaupt einen Fuß vor den nächsten setzen zu können – vor allem seit sie die Rückkehr zum sicheren Ufer angetreten hatten. Die Worte Amlugûrs, mit denen er noch vor wenigen Tagen den Sumpf beschrieben hatte, bewahrheiteten sich: Der Sumpf gab tatsächlich nichts freiwillig wieder her, was er sich einmal genommen hatte.

Jeder Schritt zum Ufer hin wurde eine Strapaze, jede Bemühung, ein Bein aus der stinkenden Flüssigkeit zu ziehen, wurde zur Qual. Die Erschöpfung wäre auch ohne Agarmaethor auf ihren Schultern über sie gekommen – und dabei konnte es höchstens Mittag sein! Abgekämpft ließen sie sich für einige Minuten auf einer kleineren Erhebung im Sumpf nieder, legten Agarmaethor an deren Rand ab und wollten sich zumindest einen kurzen Moment lang erholen und das letzte Wasser zu sich nehmen.

Bedrückt schauten die Elben in die Ferne und versuchten anhand des leuchtenden Feuers die Entfernung zum sicheren Ufer zu bestimmen. Es war nur ein Gefühl, das Legolas dazu veranlasste sich umzudrehen und zur Insel zurückzuschauen. Er konnte sie nicht mehr erkennen. Der Nebel machte sie vollkommen unsichtbar, doch stattdessen sah er etwas anderes.

Leise erhob er sich und überließ den anderen die Abschätzung der noch zurückzulegenden Strecke. Er schwieg, benachrichtigte sie nicht davon, dass Agarmaethor dabei war, in den Nebel zu gehen, zu verschwinden und einsam zu sterben. Er erkannte noch ihre Umrisse und ihr dunkles Haar, sah wie sie müde stolperte und schließlich in einem Sumpfloch stehenblieb, um darin zu versinken. Doch er unternahm nichts.

„Wenn das deine Entscheidung ist, dann soll es so sein", flüsterte er leise und traurig. „Werde glücklich in den Hallen von Mandos."

Eine Träne verließ sein Auge, eine weitere Träne folgte, doch sie befreiten ihn nicht von dem Schmerz, den er empfand, verursachten nur eine noch größere Leere.

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Gimli und die Elben schürten das Feuer, so gut es ging. Das verbrannte Holz stank noch grausamer als der Sumpf, aus dem es stammte, doch dafür leuchteten die Flammen um so intensiver, so als stecke in ihnen auch die Kraft der brennenden Stadt, die sie noch in der Nacht zuvor am Horizont gesehen hatten.

„Was können wir noch tun? Was noch?", wiederholte Gimli immer wieder. „Licht... Zeichen... Geräusche..."

Die Idee überkam Elrohir wie die Schlammlawine einst Gimli – plötzlich und unerwartet. Hastig eilte er zu seinem Gepäck und begann darin zu suchen. Die Hektik verzögerte seinen Erfolg, doch er blieb nicht aus. Nur Sekunden später hielt er es in der Hand – das Horn Vorondas.

„Licht... Geräusche... Nebel... Horn!" Das letzte Wort rief Gimli so laut, dass alle anderen ihre Aufmerksamkeit auf Elrohir richteten und ihn erwartungsvoll ansahen. „Hast du das bereits einmal getan? Kannst du das?" Gimli war so aufgeregt, dass er dem Elben das Horn am liebsten aus der Hand gerissen hätte.

„Was gibt es da zu können!", erwiderte Elrohir unwirsch, holte tief Luft und stieß seinen Atem hinein.

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Agarmaethor sah, wie sie immer weiter im Morast versank. Ihrem eigenen Ende auf diese Art zu begegnen war für sie eine ungewöhnliche Erfahrung, jedoch keine beunruhigende.

Eisige Kälte drang in ihre Glieder, suchte sich ihren Weg über die Füße zu den bereits klammen Fingern bis hin zu den Ohren. Nur ihr Herz konnte sie nicht erreichen. Es schlug noch immer, heftig und schnell, wollte sich den düsteren Gedanken in Agarmaethors Kopf nicht beugen und schmerzte dabei, als würden Pfeile es durchbohren. Doch es waren keine Pfeile. Es waren Blicke - traurige und enttäuschte Blicke. Agarmaethor wusste auch ohne hinzusehen, von wem sie stammten.

'Amdir!', hallte es durch ihren Kopf.

Ihr Herz begann zu rasen und hämmerte dabei wie wild auf die Ängste ein, die sie von Legolas fernhielten, schlug sich mit den Zweifeln und Bedenken, die ihre Existenz in Mittelerde mit sich brachte, schürte ihre Sehnsüchte, trieb dabei die Kälte aus ihren Gliedern und gewann schließlich die Schlacht.

Mit letzter Kraft drehte sie sich um, ergriff die Halme einige brauner Gräser und versuchte sich aus dem Sumpf zu ziehen, doch er hielt sie fest, wollte sie nicht mehr hergeben.

„Noch gehöre ich dir nicht! Lass mich los!", fauchte sie dabei und bewegte ihr rechtes Bein, als würde sie nach ihm treten wollen.

Legolas zögerte keinen Momant lang. Als er sah, wie sich Agarmaethors Verhalten änderte, wie sie sich umentschied, gegen den Sumpf zu kämpfen begann und zurückkehren wollte, lag ihm nichts ferner, als ihr seine Hilfe dabei zu versagen. Rasch eilte er zu ihr, reichte ihr die Hand, die sie dankbar ergriff, und zog sie aus dem Loch.

Doch kaum stand sie wieder auf eigenen Füßen, gewahrten sie im Nebel die unzähligen flammenden Augenpaare der vergangenen Nacht. Rasend schnell kamen sie auf sie zu und entlockten ihnen einen Schreckensruf, der auch die Aufmerksamkeit der anderen Elben auf der kleinen Erhebung erregte. Pfeile surrten an ihren Köpfen vorbei, Pfeile, die erneut keinen Schaden verursachten, so dass es den flammenden Augen gelang, sich auf sie zu stürzen.

Es war, als würde man ihnen brennende Fackeln auf ihre Haut legen. Sie schrien, schlugen mit ihren Händen nach ihnen, versuchten auszuweichen und fortzulaufen, doch die flammenden Augen waren schneller und das rettende Ufer noch nicht einmal in Sicht.

Dafür gesellten sich gelbäugige, dunkle Vögel hinzu, umringten auch die anderen vier Elben und verursachten mit ihren Schnäbeln heftig blutende Wunden. Die Pfeile waren verschossen, die Schwerter und Speere vermochten nicht zu helfen, selbst ihre Schreie gingen im Klang eines Horns unter.

Ein Horn! Es gab einen kläglichen Ton von sich – zwar laut, zugleich jedoch auch schief und schwankend. Doch der Ton wurde beständiger, und mit der Zeit schien der Nebel lichter und die Strahlen der Sonne intensiver zu werden. Die flammenden und gelben Augenpaare ließen von den Elben ab, flüchteten in die braune Flüssigkeit des Sumpfes oder in die Schatten der toten Sträucher und Bäume, und hinterließen außer Wunden, die bald verheilen würden, nichts als eine beängstigende Erinnerung.

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Ein winziges Bächlein suchte sich seinen Weg durch die kahle Ebene. Niemand wusste, wo seine Quelle lag, wie es überhaupt inmitten des großen Nichts im Osten hatte entspringen und seinen Weg durch den sandigen Boden hatte finden können, ohne darin zu versickern.

Entscheidend war nur, dass Gimli und die Elben wieder Trinkwasser besaßen – sauberes und klares Wasser. Nur allzu gerne ließen sie sich hier nieder, reinigten die von Elrohir bereits notdürftig versorgten Wunden und rasteten, um sich von den erlebten Schrecken und Anstrengungen zu erholen.

Leise knisterte ein Feuer und schuf gemeinsam mit dem Plätschern des Baches eine solch angenehme Atmosphäre, dass beinahe alle bereits kurz nach Einbruch der Dunkelheit zur Ruhe kamen – alle bis auf Agarmaethor.

Kaum hatte sie den Eindruck gewonnen, die anderen würden schlafen, robbte sie lautlos zu Legolas, legte sich ihm gegenüber und betrachtete das sanfte Lächeln, das seine Lippen im Schlaf umspielte.

„Was tust du da?", fragte Legolas leise, und das Lächeln entwickelte sich zu einem breiten Schmunzeln.

Agarmaethor errötete. „Ich... Ich wollte dir danken – dafür, dass du bereit warst mich ziehen zu lassen", stotterte sie.

Legolas' Augen funkelten fröhlich. „Ich habe dir doch bereits erklärt, warum ich dir diese Entscheidung nicht aufzwingen würde. Warum bedankst du dich?"

Agarmaethor schluckte verkrampft. „Ich... weißt du... Ich...", stotterte sie, und Legolas sah ihren Augen an, welch heftige Schlacht sie wohl in ihrem Inneren führte, um sich zu einer Antwort durchzuringen. „Das ist eine lange und... schwierige Geschichte... und hat etwas mit jemandem zu tun, der mich einmal von einer Selbsttötung abgehalten hat... nur anders", stieß sie hervor. „Ja, ich wollte mich bereits einmal selbst richten."

„Tatsächlich?", fragte Legolas erschüttert.

„Ja. Doch beim letzten Mal war es deutlich... unüberlegter, mehr eine Reaktion des Wahnsinns..., aus einem Schock heraus, weil etwas Schreckliches mit mir passiert war", flüsterte sie und Legolas beobachtete mit Erschrecken, wie sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten und sie sich eine Hand vor den Mund hielt, als wollte sie einen Schrei unterdrücken. Sachte griff er nach ihrer anderen Hand und legte sie sich an die Wange.

„Die Schmerzen... diese Bauchschmerzen, die ich während meiner Visionen erleide... und auch manchmal, wenn ich träume... Sie sind Erinnerungen an damals... an... an den Tag, an dem etwas geschehen war, was mir beinahe den Verstand geraubt hat. Ich wollte mich wirklich umbringen...", stotterte sie vollkommen aufgelöst. „Ich hielt mein Schwert bereits in den Händen, hatte mich darüber gebeugt, um es mir durch den Mund stoßen!"

Legolas presste die Lippen aufeinander, um die Vorstellung davon zu verdrängen. Er drückte Agarmaethors Hand nur noch fester und stellte keine Fragen, obwohl er zu gerne gewusst hätte, was damals geschehen war. Doch er wollte sie nicht drängen, ihre Bereitschaft, überhaupt etwas so Persönliches zu erzählen, nicht behindern.

„Aber es gelang mir nicht! Amdir kam, und stieß das Schwert im letzten Moment zur Seite. Er war so... brutal zu mir, biss mich, trat mich mit seinen Hufen, packte mich an meiner Kleidung und schleifte mich von meinen Waffen fort in ein Wasserloch, um mich wieder zur Besinnung zu bringen!"

„Amdir?", fragte Legolas hilflos.

„Ja, mein Pferd. Du nanntest es Dordo... ein alberner Name, wenn ich das einmal so sagen darf – beinahe eine Beleidigung für das schöne Tier!"

Legolas schaute Agarmaethor in die Augen. „Ich dachte, es besäße überhaupt keinen Namen!", erwiderte er vorwurfsvoll.

„Ich hätte ihm einen Namen gegeben, aber Amdir war ein Geschenk. Ich habe nie erfahren, von wem es stammte, aber er war ein Geschenk - mit eben diesem Namen. Ich vergab ihn nicht selbst. Ich behielt ihn nur bei. Er war noch ein Fohlen, lebendig und fröhlich, er trieb seine Späße mit mir und ich schloss ihn so sehr in mein Herz, dass er sich eigentlich alles erlauben konnte. Und er folgte und gehorchte nur mir. Ich hatte ihm das nicht beigebracht, er tat es einfach." Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sich an Amdir erinnerte. „Er war einfach wunderbar!"

„Ja, das war er!", flüsterte Legolas.

„Pferde altern und sterben irgendwann!", murmelte Agarmaethor traurig. „Amdir war ein stattliches Alter jedoch nicht vergönnt – zehn Jahre lang schlug sein Herz. Er war bereits krank, als er mich damals von meiner Selbsttötung abhielt, krank, aber nicht zu schwach, um mich mit seinen Hufen regelrecht zu versohlen. Ich hätte mich gar nicht wehren können, ohne ihm Schmerzen zuzufügen, doch das wollte... das konnte ich nicht.

Ich weiß nicht, wie lange dieser ungerechte Kampf andauerte. Irgendwann beruhigte ich mich von meinem erlittenen Schock, kam wieder zur Besinnung und wurde minutenlang von seiner Zunge und seinen Lippen belohnt, die mir die Wunden leckten... Ich weiß. Das klingt ekelhaft, aber in diesem Moment gab er mir so viel Liebe, wie noch nie zuvor und er war auch meine erste und einzige Liebe, die ich bis dahin..."

Sie schluckte erneut und Legolas streckte eine Hand aus, um ihr sanft über die Wange zu streichen.

„Bis dahin hatte ich auch gedacht, dass ich für immer seine einzige Liebe wäre, aber dem war nicht so", fuhr sie leise fort. „Er schloss dich in sein Herz – so schnell, dass ich es gar nicht glauben konnte! Ich meine... er vertrug sich mit niemandem wirklich gut... Amlugûr aber hat er sogar gehasst! Wäre Amlugûr an deiner Stelle gewesen, als der Ork-Elb dich westlich des Nebelgebirges angriff, dann hätte er ihn nicht rettend weggezogen. Vermutlich hätte er ihn sogar mit einem erfreuten Schnauben in die Keule gestoßen! Ich glaube auch, dass es Absicht war, als er ihn vor einigen Jahren einen Abhang hinunter stieß!"

„Oh Elbereth! War Amlugûr sehr erzürnt?", fragte Legolas, um sein Grinsen besser unterdrücken zu können.

„Erzürnt? Seltsamerweise überhaupt nicht! Er sagte mir nur in der ihm eigenen, trockenen Art, dass er nicht von mir verlange, mich von meinem so heiß und innig geliebten Pferd zu trennen. In spätestens dreißig Jahren läge es ohnehin unter der Erde. Für einen Elben wären dreißig Jahre ein Wimpernschlag. Er könne warten."

Sprachlos sah Legolas sie an.

„Ich hätte mich auch nicht von Amdir getrennt, um nichts in der Welt – insbesondere nicht, nachdem er mich von meiner Selbsttötung abgehalten hatte. Ich... ich wollte ihn noch nicht einmal hergeben, als diese Krankheit seine Kraft zu rauben begann, ihn schwächte und... und... ihm Schmerzen zufügte. Ich war mit ihm bei einem Heiler, aber außer Kräutern, die die Schmerzen zu beseitigen vermochten, konnte er mir nichts geben, was Amdir hätte helfen können.

Ich habe so geklammert, versucht, ihn am Leben zu erhalten... wollte mir nicht einmal selbst eingestehen, dass er mich verlassen würde, wollte an dem festhalten, wie ich ihn kannte und habe ihn deshalb kaum geschont. Immer wieder hielt ich ihm vor, dass er Verantwortung für mich trage, weil er mich daran gehindert hatte, mich zu töten. Aber natürlich half das nicht. Natürlich nicht. Er brach zusammen – du warst dabei... Und dann..."

„Und dann hast du ihn getötet", sagte Legolas leise. „Und du wolltest es selbst tun, weil er dir gehörte, deine Liebe und deine Hoffnung war..."

„Und weil ich niemanden mit der Art oder dem Zeitpunkt seines Todes verantwortlich machen wollte... niemanden, außer mir selbst", flüsterte Agarmaethor tonlos. Eine weitere Träne rann über ihr Gesicht, und auch diese wischte Legolas sanft weg.

„Als ich im Sumpf stand, da musste ich wieder an ihn denken", fuhr sie fort. „daran, wie er mich davon abgehalten hatte, mich zu richten, daran, wie sehr er dich gemocht hat und daran, wie ich mit aller Gewalt hatte verhindern wollen, dass er stirbt... und dabei verdrängte, wie sehr er litt - auch ohne Schmerzen. Ich meine... ich habe seinen Todeskampf verkürzt, aber ich habe es hinausgezögert, so lange ich konnte... so lange Amdir konnte. Doch eigentlich habe ich ihn damit gequält... und misshandelt, weil ich es nicht fertig brachte loszulassen, nicht hinnehmen konnte, dass er starb und mich verließ – und ich habe ihn damit unglücklich gemacht. Ich glaube, er hatte dich in sein Herz geschlossen, weil ich ihm nicht mehr das geben konnte, was er brauchte."

Fluten von Tränen rannen aus Agarmaethors Augen, doch sie wehrte Legolas energisch ab und wischte selber mit dem Ärmel über ihr Gesicht.

„Im Sumpf", schluchzte sie, „fühlte ich deinen Blick im Nacken und erinnerte mich an deine Worte und deine Nähe nur einen Tag zuvor... und daran, wie sehr du Gimli beigestanden hast. Ich erinnerte mich und habe erst in diesem Moment wirklich verstanden, was du mir eigentlich hattest sagen wollen.

Du warst bereit mich ziehen zu lassen und wolltest mir Qualen ersparen. Du hast mir ermöglicht, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, mir zugleich angeboten, mich in jeder Hinsicht zu unterstützen... und hast es auch getan. Du hast mir nichts aufgezwungen, so wie ich Amdir, weil es dir wichtiger war, dass ICH glücklich bin, als dass DEINE Wünsche in Erfüllung gehen... ob... obwohl du... wenn ich dich richtig verstanden habe..." Verlegen begann sie zu stottern.

„Nein... Gerade WEIL ich mich verliebt habe", flüsterte Legolas.

Agarmaethor errötete, doch sie ging nicht darauf ein, wollte beenden, was sie zu sagen hatte. „Ich erinnerte mich daran, was ich fühlte als Amdir starb, wie sehr ich ihn vermisse... und ich fühlte mich zugleich so schäbig, weil mir bewusst wurde, was ich ihm angetan hatte... Und deshalb danke ich dir so sehr!

Hättest du nämlich durch dein Eingreifen verhindert, was ich plante, dann hättest du mich... hätte vor allem ich mich vermutlich ebenso gequält wie Amdir und wäre letztlich doch gestorben...

Und... hättest du eingegriffen, dann hätte ich vermutlich nie wirklich den vollen Umfang und die Bedeutung deiner Worte begriffen... und auch nicht die Tatsache, dass mir vermutlich nie wieder so einer Stütze und Hilfe zuteil werden wird, eines Beistandes, der – wenn er auch nur annähernd so treu ist wie der, den du Gimli entgegengebracht hast – hoffentlich so stärken kann, dass es mir... vielleicht... wirklich gelingen könnte, mich Thuringwethil entgegenzustellen... kämpfend.

Was du getan hast, war für mich der größte Beweis deiner... Gefühle, den du hättest erbringen können..."

Legolas ergriff Agarmaethors Tunika und zog sie ganz nahe zu sich heran, stieß seine Nase sanft gegen ihre und lächelte liebevoll. „Wie sieht es denn mit deinen Gefühlen aus? Deute ich dein Verhalten richtig?"

Agarmaethor lag in seinen Armen wie ein Brett, steif, verängstigt und eingeschüchtert. „Ja, das tust du, und verstehe mich bitte nicht falsch... ich will das... ich will das unbedingt... In dem Sumpf war es mir nicht gleichgültig, ob du mich vermissen würdest und... ich habe gefühlt, dass auch ich dich vermissen würde – selbst in den Hallen von Mandos. Und... ich möchte so gerne wissen, wie schön das Leben zu zweit sein kann. Aber ich glaube, dass ich ohne meine Erinnerungen sterben werde... und das will ich dir nicht antun... und außerdem... du hast doch aus dieser Geschichte sicherlich gelernt, dass ich nicht wirklich... kann... auch wenn ich will..."

„Ich glaube, deine Träume flüstern dir nur ein, dass du ohne Erinnerungen stirbst, denn sie wollen gefunden werden", erwiderte Legolas sanft. „Und was ich aus deiner Geschichte über Amdir herausgehört habe ist, dass du Zeit brauchst und nicht, dass du nicht kannst!" Er küsste ihr sanft auf die Nasenspitze.

„Zeit? Ja. Lass mir Zeit", seufzte sie leise, wich ihm aus, als er ihren Mund küssen wollte und reckte ihm dafür ihre Wange hin. „Du hast keine Vorstellung, was für große Schritte ich in letzter Zeit gemacht habe, geh es bitte nicht zu schnell an!"

Legolas schmunzelte. „Dann solltest du wohl besser die Geschwindigkeit bestimmen, den bedrängen möchte ich dich wahrlich nicht." Seine Lippen kosten liebevoll ihren Hals. „Und vielleicht gelingt es mir auch, dein silbernes Haar wieder zum Glänzen zu bringen!"

„Alles, nur das nicht!", murmelte Agarmaethor leise und schmiegte sich an ihn.

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