Hallo, liebe Leser!

Es ist soweit. Ich hatte es ja bereits angekündigt, dass ab dem 1. November mein Referendariat beginnt. Nun ist es der 4. November und es ist losgegangen. Wie erwartet neigt sich meine Freizeit gen 0, aber nicht ganz. Ich hab noch Zeit für die Kaps, aber eben nicht so viel. Ich werde mich bemühen, mindestens alle zwei Wochen ein Kap reinzustellen, seid mir jedoch nicht böse, wenn es mal doch drei Wochen Abstand sein sollten.

So. Dann viel Spaß mit dem Kapitel. Das nächste ist bereits in Arbeit.

alle knuddelt, die geknuddelt werden wollen

Euer Kampfzwerg

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Reviewantworten:

StupidMouth: Erst einmal GAAAAAAANZ herzlichen, lieben Dank für dein Re. Ich kann verstehen, was du meinst, wenn es darum geht, dass das "ich bin verliebt" ein Problem darstellen könnte. Aber es gibt immer ein aber. Du kannst mir glauben, dass ich mir bei dem Kap den Kopf zerbrochen und dabei jedes einzelne Wort ziemlich abgewägt habe.

Mein erstes 'aber' ist: Wir befinden uns im 27 oder 28 Kapitel. Ein bisschen schnell fand ich es nicht, weil doch zumindest irgendwie klar war, wohin es laufen würde. Es ist natürlich so, dass die Offenbarung (die vor allem Legolas macht - Agi will zwar seine Gefühle für sich haben, aber sie ist viel zu gehemmt und scheu, um dazu etwas so deutlich zu sagen wie er) sehr deutlich war, aber nach DER langen Zeit fand ich es nach ewigen Erwägungen nicht so schlimm.

Mein zweites 'aber' bezieht sich auf Agi selbst. Sie ist zu blockiert und fixiert, um etwas zu verstehen, was man ihr nicht auf die Nase bindet. Nun hat sie es verstanden, was Legolas ziemlich verschlüsselt am Anfang des Kaps gesagt hat, aber sie braucht die Sicherheit, um sich auf kein Risiko einzulassen. Sie hat praktisch GAR KEINE Erfahrungen in Beziehungsangelegenheiten und die Gefahr, ihn vielleicht doch missverstanden zu haben war für sie einfach da. Dass Legolas es so ausgesprochen hat, war für sie einfach eine riesige Hilfe.

Du schreibst, du hättest dir eine andere Stelle gewünscht für diese Worte? Würde mich wirklich interessieren, welche du denn besser gefunden hättest. Ich habe EWIG gegrübelt, ob es eine bessere geben könnte. Aber allein die Tatsache, dass es außer "ich bin verliebt" noch die Stufe "ich liebe dich" gibt (mit der ich mich WIRKLICH schwer tue), hat es mir letztlich ermöglicht, doch diesen einen Satz an dieser Stelle schon einzubauen. Ich hoffe, ich war jetzt nicht zu verwirrend.

Eigentlich wollte ich mit dem Add jetzt nur zeigen, dass ich mir da durchaus Gedanken gemacht und das nicht leichtfertig hingeschrieben habe.

(knuddel)

Vypox

Melethil: (lach) Doch, doch. Du hast das richtig verstanden. Die beiden sind jetzt zusammen. Von deinen Erwartungen kann ich in diesem Kap nur zwei erfüllen. Alles geht nicht auf einmal. (kicher). Und Romantik... ja... Ich weiß nicht so genau, was du dir jetzt persönlich darunter vorstellst. Also große Sexszenen hatte ich ehrlich gesagt nicht vor. Agi ist auch ziemlich gehemmt, was noch zu einigen Problemen führen wird. Naja. Viel Spaß denn!

an beide: Haut mich für dieses Kap bitte nicht! (sich duckt)

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Klärende Gespräche

Dunkelheit. Als würden sich die Augenlider öffnen, fällt Licht ein und ein Bild entsteht. In einem kleinen, gemütlichen Raum sitzt sie vor einem Spiegel und kämmt ihr rabenschwarzes Haar. Glanzlose, verweinte Augen, deren dunkle Ringe auf zu wenig Schlaf deuten, schauen auf einen schmalen, blassen Hals und ein kantiges Gesicht. Sie sieht aus, als habe sie seit Tagen, vielleicht auch seit Wochen nicht mehr richtig gegessen und geruht. Ein Blick auf ihre Hände offenbart Schwielen. Sie sind leicht entzündet. Vorsichtig streicht sie über einzelne, kleine Wunden. Als sich eine Tür im Hintergrund öffnet, schreckt sie auf.

Ein dunkelhaariger Elb tritt ein, derselbe, der ihr bereits so oft in ihren Träumen begegnet ist. Liebevoll nimmt er sie in den Arm, schmiegt sich an sie, redet, streicht ihr übers Haar, tut alles, was wohl tun würde, um seine Tochter zu trösten.

Doch sie lässt sich nicht trösten. Energisch schiebt sie ihn von sich und redet ernst und eindringlich auf ihn ein. Schließlich entnimmt sie einem Schränkchen eine winzige Phiole und reicht sie ihm. Der Elb sieht sie nachdenklich an, schüttelt zunächst den Kopf und wehrt ab, doch irgendwann blitzen seine Augen auf, als habe er einen Entschluss gefasst. Er nimmt die Phiole, küsst sie auf die Stirn und geht.

Sie schaut wieder in den Spiegel. Auch ihr Blick ist entschlossen... und neue Hoffnung funkelt in ihnen. Große Hoffnung.

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Eng aneinander geschmiegt schliefen Legolas und Agarmaethor so tief und fest, dass nicht einmal der prachtvolle Sonnenaufgang sie zu wecken vermochte, obwohl er sie mit seinen Strahlen liebevoll an den Nasen kitzelte. Erst das anhaltende Gefühl beobachtet zu werden rüttelte sie wach.

Legolas gelang es, mit einem breiten Lächeln auf die amüsierten Gesichter der anderen zu reagieren. Agarmaethor jedoch befreite sich verlegen aus Legolas' Umarmung, sprang auf und wollte der allgemeinen Aufmerksamkeit entfliehen. Doch Elladan und Elrohir stellten sich ihr in den Weg.

„Bruder!", sagte Elladan schnippisch. „Wir waren außerstande, die holde Dame vor seelischem Leid zu bewahren. Da musste erst so ein Höhlenbewohner wie Legolas daherkommen und uns zeigen, wie man das macht. Schande über uns! Nun aber stehen wir vor einer neuen Aufgabe, die unseren Fähigkeiten SEHR viel mehr entgegen kommt. Ist dir bewusst welche?" Er zwinkerte Legolas neckisch zu.

„Nein! Welche denn?", fragte Elrohir gespielt neugierig und grinste.

„Wir müssen sie vor einem schlechten Ruf bewahren!", erwiderte Elladan ritterlich. „Die Finger unseres jungen Elbenprinzen haben sehr viel Geschick im Umgang mit Pfeil und Bogen bewiesen. Wer weiß, was sie noch alles beherrschen und vor allem... wie gut sie verführen können?" Er sah Agarmaethor vielsagend an und stellte sich ihr erneut in den Weg, als sie heftig errötend an ihm vorbei eilen wollte. „Nicht, dass ich unserem Prinzen unehrenhafte Absichten unterstellen möchte", fuhr er fort. „aber sollten da gewisse Dinge vorfallen, ohne dass sie später den Ewigen Bund eingehen, dann wird sie FÜR IMMMER mit dem Ruf leben, sie sei schnell zu haben!"

„Schnell zu haben?", wiederholte Agarmaethor fassungslos, doch ihre Frage ging im schallenden Gelächter der anderen unter.

Legolas flüsterte ihr sanft ins Ohr: "Sie machen nur einen Scherz. Lass sie! Die letzen Tage waren düster und anstrengend, und Lachen kann so befreiend wirken!"

„Das können wir doch nicht zulassen, Bruder!", übertönte Elrohirs Stimme das anhaltende Gelächter. „Ihr schlechter Ruf würde dann auf uns abfärben!"

Agarmaethor verschlug es die Sprache, doch Legolas erwiderte frech: „Macht euch keine Sorgen! Euer Ruf ist bereits schlecht... und dass ihr beiden schnell zu haben seid, ist bereits in ganz Mittelerde bekannt."

„Genau!" Agarmaethor ließ sich nun doch von der Heiterkeit der anderen anstecken. „Da muss nichts mehr abfärben! Und warum auch ausgerechnet von mir?"

Elladan grinste. „Na weil wir miteinander verwandt sind! Gimli hat uns darauf gebracht, als er vor einiger Zeit von Míriel Serindë sprach. Unser Urgroßvater ist Finarfin, welcher der Halbbruder von Fëanor ist, und Fëanor ist dein Urgroßvater. Also sind wir verwandt", erklärte er. „Was schaust du so? Du bist nicht nur mit Galadriel verwandt sondern auch mit Elrond. Dessen Urgroßmutter ist die Tochter von Fingolfin, dem Bruder von Finarfin und dem Halbbruder von Fëanor, und Estel ist in siebzigster Generation sozusagen Neffe unseres Vaters und damit irgendwie auch unser Vetter."

Agarmaethor verstand im ersten Moment nichts von dem, was Elladan ihr gerade erklärt hatte. Dafür waren die Strukturen zu kompliziert, und sie hatte sich zuvor nie Gedanken darum gemacht, wer mit wem über tausend Ecken verwandt sein könnte – insbesondere nicht über ihre eigenen möglichen Verwandtschaften, da sie ihre Herkunft erst wenige Wochen kannte. Aber Elladans Vortrag klang so wunderbar absurd, dass sie sich köstlich amüsierte. Seit langer Zeit gelang es ihr endlich wieder frei und mit den anderen gemeinsam zu lachen.

Doch ihr Lachen erstarb, als sie Amlugûr bemerkte, der als einziger aus der Gemeinschaft nicht an der allgemeinen Heiterkeit teilnahm und sich stattdessen um die Pferde kümmerte.

Agarmaethor hatte Amlugûr nie ein Versprechen gegeben und besaß daher kein schlechtes Gewissen, doch sie fühlte sich trotzdem elend. Amlugûr hatte einen so großen Teil ihres Lebens an ihrer Seite bestritten, dass sie sich gut vorstellen konnte, wie verletzt er sein musste, von ihr zurückgewiesen worden zu sein.

Sie selbst war einst Späher im Dienste Elronds gewesen. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sehr seine Krieger es vermieden hatten, sich allein mit ihr in die Wildnis zu begeben und Spuren von Feinden aufzuspüren oder deren Lager auszukundschaften, denn sie hatte dazu geneigt, tage- und manchmal sogar wochenlang kein Wort mit ihren Begleitern zu wechseln. Niemand hatte das auf Dauer ertragen wollen.

Schließlich hatte Elrond ihr lange Vorträge über die Sicherheit seiner Krieger gehalten und ihr für die Zeit, in der sie keinen Begleiter haben sollte, jegliche weitere Kundschaftertätigkeit untersagt. Er wollte sie nicht alleine durch die von Orks besetzten Gebiete streifen und dort sterben lassen zu müssen.

Stattdessen hatte er sie zum Schleifer gemacht, einem strengen Ausbilder, der junge Krieger so lange über Übungsplätze jagte, bis sie ihr eigenes, wundes Fleisch an den Füßen sahen, der sie tagelang hungern und dursten ließ, um sie abzuhärten, der ihnen verstümmelte Leichen zeigte, damit sie sich darüber bewusst wurden, mit welchen Gegnern sie es zu tun bekommen würden und der ihnen trotz all ihrer Mühen und Qualen immer wieder vorhielt, wie unfähig sie seien.

Agarmaethor war damals geradezu ideal für diesen Posten, denn es war ihr gleichgültig gewesen, wie sehr sie für ihre Gnadenlosigkeit gehasst wurde. Was ihr nicht gleichgültig gewesen war, war das Leben der jungen Elben, die sie durch ihre Härte vor die Entscheidung gestellt hatte, sich von ihrem geplanten Kriegerdasein abzuwenden oder aber noch sehr viel intensiver zu üben, um im Kampf gegen den Feind bestehen zu können.

Doch selbst Lob und Anerkennung durch Elrond hatten nicht dazu führen können, dass sie ihre Tätigkeit mochte. Von Anfang an war es ihr lästig gewesen, unentwegt von jungen Elben umgeben zu sein, denen sie immer und immer wieder das Gleiche hatte erzählen und beibringen müssen. Sie hatte sich nach der Einsamkeit gesehnt, die sie während ihrer Spähertätigkeit hatte genießen dürfen, nach der Freiheit, die damit verbunden gewesen war und der Ruhe. Natürlich hätte sie den Posten räumen können, doch was wäre diesem gefolgt? So ganz ohne Aufgabe im Leben wäre selbst für sie das Streifen durch die Wälder und über die Ebenen Mittelerdes irgendwann fad geworden!

Und dann war Amlugûr gekommen.

Er war der erste Elb seit Jahrzehnten, der bereit gewesen war, ihr als Späher in die Wildnis zu folgen. Elrond hatte den Kontakt hergestellt und dafür gesorgt, dass sich Amlugûr und Agarmaethor zumindest einmal persönlich gegenüber standen, bevor sie sich zu entscheiden hatten.

Im ersten Moment hatte Agarmaethor gezögert. Sie hatte von dem blutjungen Krieger Amlugûr bis dahin noch nicht einmal etwas gehört und sein selbst gewählter Name Drachentod hatte dazu geführt, dass sie ihn für unglaublich arrogant gehalten hatte und davon überzeugt gewesen war, allein bloße Selbstüberschätzung würde ihn dazu treiben, sich selbst so zu nennen und ausgerechnet Anschluss an ihre Person zu suchen. Zudem war ihr erster Eindruck nicht sonderlich viel versprechend.

Es gab Elben, die beim bloßen Anblick den Wunsch entfesselten, sie näher kennen lernen zu wollen. Ihre Ausstrahlung faszinierte und weckte Neugierde. Elrond war ein solcher Elb, Thranduil, und in gewisser Weise auch Celeborn - und natürlich gab es unzählige Elben, denen dies in abgeschwächter Form ebenfalls gelang.

Aber es gab auch Elben, denen man einen kurzen Blick zuwarf und sich dazu entschloss, es bei dem Blick zu belassen, und zu jenen gehörte Amlugûr.

Nicht, dass er vom ersten Moment an sonderlich unsympathisch gewirkt hätte oder im Vergleich zu anderen Elben hässlich gewesen wäre – im Gegenteil! Wenn er nur gewollt hatte, war es ihm immer gelungen, mit seiner Erscheinung und mit schönen Worten andere für sich zu gewinnen – doch nur für eine äußerst kurze Zeit. Sie genügte, um einer hübschen Elbenfrau den Hof zu machen und sich eine Nacht lang mit ihr zu vergnügen, doch sie genügte nie, um andere von seiner Persönlichkeit soweit zu überzeugen, tiefer gehenden Kontakt mit ihm zu wünschen... oder sich sogar zu verlieben. Es war eben nur ein kurzer Blick, den man auf ihn werfen wollte.

Trotzdem hatte sie der Begleitung durch Amlugûr zugestimmt. Sie hatte es geschätzt, dass er ungeachtet aller umher schwirrenden und wenig verheißungsvoll klingenden Geschichten über ihre Person bereit war, es zumindest einmal mit ihr zu versuchen. Dass er dabei keinerlei herausragende Fähigkeiten oder Eigenschaften mit in die neue Gemeinschaft eingebracht hatte, hatte sie nicht gestört, denn er war auch nicht schlechter als jeder andere durchschnittliche Krieger gewesen.

Die Entscheidung, sich mit ihm zusammen zu tun, hatte sich recht schnell als äußerst vorteilhaft für beide erwiesen.

Amlugûr hatte in den Truppenlagern Respekt dafür geerntet, dass er sich immer wieder und zum Teil sogar monatelang mit ihr allein in die Wildnis begeben hatte und erfolgreich bei der Suche nach Ork-Höhlen gewesen war. Das war die Anerkennung, die er immer gesucht hatte und von der er nie genug bekommen konnte. Überhaupt war sein Leben von der Suche nach Geltung und Anerkennung geprägt.

Agarmaethor hingegen war zu der Erkenntnis gekommen, dass es keiner quälenden Einsamkeit bedurfte, um alleine zu sein, denn seine Anwesenheit hatte die Erfüllung ihrer damaligen Bedürfnisse in keiner Weise eingeschränkt. Ohne zu murren war er dazu in der Lage gewesen, wochenlang zu schweigen und kein Wort mit ihr zu wechseln, wenn sie es nicht wollte. Nie hatte er unangenehme Fragen gestellt oder lästige Neugierde gezeigt, doch er war immer allgegenwärtig gewesen – zuverlässig und fähig das zu tun, was getan werden musste.

Jahrhunderte waren vergangen, bis sie aufgrund dieser Erkenntnis so viel Vertrauen gefasst hatte, dass sie ihm sogar von ihren Berührungsschmerzen, ihrer seltsamen Kindheit oder auch von ihren Erlebnissen in Dagorlad hatte berichten können.

Amlugûr hatte zugehört, und nie war ein Wort von ihr nach außen gedrungen. Er war verschwiegen und loyal – Qualitäten, die auch jeder andere Elb in den Truppenlagern zu schätzen gewusst hätte.

Aber Amlugûr besaß auch Eigenschaften, die diese beinahe vollständig zu überdecken schienen.

Er war nicht dazu fähig, andere von seinen Entscheidungen und seinem Handeln zumindest soweit zu überzeugen, dass sie an die guten Absichten dahinter glaubten – er war überhaupt unfähig, seine wahren Ziele zu verdeutlichen. Niemand unterstellte ihm etwas Böses oder gar Heimtückisches – beileibe nicht! Aber viele vermuteten, er interessiere sich nur für seine Ruhmsucht und würde alles tun, um diese befriedigen zu können.

Doch dem war nicht so. Amlugûrs übertriebenes Bedürfnis nach Ehre und Respekt war sicherlich ein Antrieb für viele seiner Taten gewesen, aber er war und blieb immer ein loyaler Krieger, der seine Aufgaben ernst nahm.

Sein Hunger nach Anerkennung hatte nur dazu geführt, dass er dem Erreichen der großen, wichtigen und übergreifenden Endziele eines Auftrages mehr Beachtung schenkte als den kleineren Zwischenzielen, weil er sich dadurch mehr Respekt und Achtung erhoffte als durch die scheinbar unbedeutenden, kleinen.

Zudem verknüpfte Amlugûr immer wieder wichtige und objektiv getroffene Entscheidungen nach außen hin mit subjektiven Neigungen und Abneigungen. Anderen musste sich regelrecht der Eindruck aufdrängen, seine Handlungen wären zu stark von seinen Gefühlen beeinflusst. In Wirklichkeit war das aber selten der Fall.

Die Ereignisse im Nebelgebirge waren beispielhaft dafür gewesen. Amlugûrs Entscheidung für das Zurücklassen Gimlis an einer hohen Felswand auf der Flucht vor den Uruk-hai war nicht seiner, definitiv vorhandenen Abneigung gegen Zwerge entsprungen. Agarmaethor war sich sicher, dass er allein in dem Glauben gehandelt hatte, der Weg würde sich auch weiterhin schwierig gestalten, und Gimli könne langfristig auf der Flucht ein Hindernis für die übrige Gemeinschaft darstellen – selbst als Zwerg in einem Gebirge.

Nicht sein Zwergenhass hatte ihn motiviert, sondern allein der Wunsch, so viele Mitglieder der Gemeinschaft wie nur möglich sicher ans Ziel zu geleiten, um die eigentliche Aufgabe, die große Aufgabe, die Rettung Mittelerdes, nicht zu gefährden.

Doch seine deutlich nach außen gekehrte Abneigung gegen Gimlis Volk hatte sein wahres Bestreben in den Schatten gestellt – ob man dieses nun für richtig hielt oder nicht. Und nicht nur das: Im Nachhinein hatte sich seine Entscheidung auch als falsch entpuppt, weil Gimli dazu in der Lage gewesen war, die Gemeinschaft über unsichtbare Pfade zu führen und damit ihr Fortkommen zu beschleunigen.

Nein, Zwergenhass war es nicht gewesen. Er hatte auch sie, Agarmaethor, aus dem selben Grund im Gebirge zurückgelassen, weil er ihre Rolle im Kampf um Mittelerde nicht gekannt hatte - und seine Gefühle für ihre Person waren mit Sicherheit ganz anderer Natur gewesen als die für den Zwergen.

Es hatte sie eigentlich nicht überrascht, dass er dazu bereit war, ihr Leben zu opfern, denn genau genommen entsprach dieses Verhalten genau ihrer Einschätzung von Amlugûr: Das große Ziel hatte Vorrang. Es zu erreichen bedeutete, Ruhm zu ernten. Und letztlich war sie es, die ihn geschult hatte, getroffene Entscheidungen auch konsequent umzusetzen – insbesondere was das Zurücklassen verletzter Krieger betraf, wenn es WIRKLICH notwendig war.

Was sie jedoch überrascht hatte, waren die plötzlich von Amlugûr offenbarten Gefühle. Gefühle waren früher NIE ein Thema zwischen ihnen – weder im Allgemeinen noch im Speziellen. Es wurde nicht einmal darüber geredet.

Sein Eingeständnis auf dem Schiff nach Rhûn hatte Agarmaethor deshalb vollkommen überrumpelt. Nicht nur, dass sie vorher wirklich nichts von dieser Zuneigung wahrgenommen hatte, seine Sehnsüchte, von denen er auf dem Schiff gesprochen hatte, waren ihr auch vollkommen neu gewesen – vielleicht gerade weil sie nie zuvor über Gefühle gesprochen hatten.

So richtig wusste sie nicht, wie sie mit der Situation umzugehen hatte, und es mangelte ihr auch vollkommen an Erfahrung. Sie sah ihn vor sich bei den Pferden stehen und konnte nur ahnen, wie schlecht es ihm nach dieser Zurückweisung gehen musste – insbesondere weil es sich ausgerechnet um Legolas gehandelt hatte, der ihm das wegnahm, was er neben Ruhm und Anerkennung am meisten zu begehren schien.

Ein sanfter Stoß von Legolas riss sie aus ihrer Starre, und er ermutigte sie mit einem weichen Lächeln, zu ihm zu gehen.

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Gemeinsam mit Gemoor und Dolgi ritt Odan über die große Ebene des Ostens. Seine Gefährten hatten ihn in Rumlak aufgegriffen. Erschöpft von dem Fußmarsch, den er nach seiner Flucht vom Schiff hinter sich gebracht hatte, hatte er sich ein Reittier kaufen wollen und war ihnen dabei begegnet. Seitdem waren Wochen vergangen, in denen sie eilig gen Osten gereist waren, um schnellstmöglich zu ihren Königen zurückkehren und von ihrem Scheitern berichten zu können.

Gemoor und Dolgi hatten Odan nicht mit Sicherheit bestätigen können, ob Haunar die Flucht aus dem Wald bei dem Meer von Rhûn gelungen war, geschweige denn, ob er überhaupt noch einmal eine Gelegenheit erhalten hatten, die Dunkelhaarige zu töten. Sie konnten ihm von Rufur berichten, aber das beruhigte Odan kaum, denn das bedeutete nur, dass dieser sich gemeinsam mit Haunar in der Nähe der Schlacht mit den Grünaugen aufgehalten hatte.

Sie hatten den Ort des blutigen Geschehens aufgesucht, um vielleicht Überlebende anzutreffen, doch sie hatten nur zerstückelte und bereits verwesende Zwerge vorgefunden. Es hatte keinen Hinweis auf den Verbleib der Dunkelhaarigen, Rufurs und Haunars oder gar der Grünaugen gegeben. Die Grünaugen hatten ihr Lager abgebrochen, ihre Toten mitgenommen und waren verschwunden. So war ihnen gar nichts anderes übrig geblieben, als die Heimkehr anzutreten.

„Es lahmt!", unterbrach Dolgi die bedrückende Stille.

Auch ohne, dass Dolgi das 'es' genauer bezeichnet hatte, wusste Odan sofort, wovon er gesprochen hatte. Die Pferde waren erschöpft von der täglichen Eile. Sie brauchten Ruhe und es war daher nur eine Frage der Zeit gewesen, dass eines von ihnen begann zu lahmen.

Bisher hatten die Zwerge die Nähe zu den Menschen meiden wollen. Sie hatten unangenehme Fragen gefürchtet, aber auch Hinterhältigkeit und Heimtücke. Doch nun waren sie gezwungen eine Siedlung aufsuchen. Der Marsch zu Fuß hätte Monate in Anspruch genommen.

Odan glaubte sich daran erinnern zu können, vor vielen Wochen während seines Rittes in den Westen Felder passiert zu haben. Die Eigentümer konnten nicht allzu weit davon entfernt gelebt haben, denn die Äcker waren in einem äußerst gut gepflegten Zustand gewesen. Vermutlich waren sie auch friedlich – Menschen, die Felder bearbeiteten, konnten nur friedlich sein!

Angestrengt dachte er nach, und erinnerte sich an einen breiten Fluss, dessen Überquerung die Zwerge damals einige Anstrengungen gekostet hatte. Der Fluss hatte eine solch mitreißende Strömung besessen, dass sie nach Süden hatten ausweichen müssen, um sich eine geeignete Stelle zum Passieren zu suchen.

Er hatte diesen Umstand vollkommen verdrängt. Auch auf der derzeitigen Reise zurück in den Osten würde der Fluss ein Hindernis darstellen. Missmutig lenkte er die Schritte seines Pferdes ein Stück gen Süden. Allein der Gedanke, dass sie neben frischen Reittieren auch etwas Nahrung erwerben könnten, die ihnen das lästige Jagen ersparen würde, machte den Umweg erträglich.

Odans Orientierungssinn hatte ihn nicht getäuscht. Nur drei Tage später traf er mit seinen Gefährten auf die ersten Felder einer Siedlung. Weit im Hintergrund schien sich ein Wald zu befinden. Schmale Wege führten an Wiesen und Gärten vorüber... und an einer großen Erdaufschüttung.

Erstaunt blieben die Zwerge stehen. Es war Winter, der Boden hart gefroren, und trotzdem schienen sich die Bewohner die Siedlung die Mühe gemacht zu haben, mitten auf der Ebene einen Erdhügel anzuhäufen - ohne Zierde und ohne einen Hinweis darauf, warum er sich an dieser Stelle befand.

Odan umrundete seine Entdeckung misstrauisch und fand unmittelbar daneben ein frisches Grab. Nachdenklich kratze er sich am Bart und dachte einen kurzen Moment lang darüber nach, den Hügel zu öffnen und hineinzuschauen. Doch die Vorstellung, dass er darin etwas entdecken könnte, was seinem Magen nicht gut bekommen könnte, schreckte ihn ab, und so beschloss er, dass ihn der Inhalt des Hügels nichts anging.

Wortlos führte er seine Gefährten bis zur Siedlung.

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Situationen wie diese waren Agarmaethor fremd. Sie fühlte sich unsicher und schob das klärende Gespräch vor sich her, indem sie Amlugûr dabei beobachtete, wie dieser sorgfältig den Zustand der Hufe prüfte, das Gepäck verstaute und die Tiere belud.

„Warum bist du hier? Solltest du nicht lieber bei Legolas sein?", fragte er nach einer langen Zeit des Schweigens, wandte sich ihr zu und sah, wie sie sich nervös die Hände rieb und ihn unsicher anschaute.

„Ich möchte nur sicherstellen, dass es dir gut geht", erwiderte Agarmaethor leise und ernst.

Amlugûr lächelte sanft. „Ich komme zurecht!"

Als wäre das Gespräch damit beendet, wandte er sich wieder den Pferden zu und strahlte dabei eine Ruhe aus, die Agarmaethor vollkommen verwirrte. Unsicher blieb sie stehen. Ihr erschien es falsch, jetzt einfach zu gehen.

„Bereits am ersten Tag, als du mir westlich des Nebelgebirges begegnet bist, hatte ich den Eindruck gewonnen, dass du schwindest. Doch kurz nach dem Eryn Lasgalen war ich mir sicher", sagte er leise und setzte so das Gespräch schließlich doch noch fort. „Frierst du denn noch immer?"

„Nein, gar nicht mehr. Ich fühle mich wohl." Agarmaethor schüttelte den Kopf.

„Dann ist ja alles bestens." Amlugûr belud das nächste Lasttier.

„Ist es das?" Agarmaethor überwand sich und schob sich entschlossen zwischen ihn und das Pferd. „Macht es dir denn gar nichts aus? Ich meine... ich habe dich zurückgewiesen!"

„Es macht mir nichts aus. Das Wichtigste ist, dass es dir gut geht", erwiderte er ernst und warf einen kritischen Blick auf Legolas, der gerade fröhlich und aufgekratzt Rochdil und Aneru dazu veranlasste, gemeinsam mit ihm über die Ebene zu toben – einfach aus Freude an der Bewegung. „Das einzige, das mich irgendwie... stört ist, dass es ausgerechnet dieser Daumenlutscher sein musste, dem du dein Herz geschenkt hast." Er spie verächtlich aus. „Aber sonst... In meinem Leben wird es keine Leere geben. Vor uns steht eine große Aufgabe, die es zu lösen gilt."

„Ja, die große Aufgabe." Agarmaethor schluckte. „Dann ist ja wirklich alles bestens."

Die große Aufgabe...

Sie wandte sich ab und ging langsam und nachdenklich zurück zu Legolas. Irgendwie tat das, was Amlugûr da gesagt hatte, weh. Hatte er ihr sein Interesse nur vorgespielt, weil er um die Erfüllung der 'großen Aufgabe' gefürchtet hatte? Was hatte er gerade gesagt? Er hatte sie nach Verlassen des Eryn Lasgalen frieren und sterben sehen? Und gleich danach hatte er ihr seine Gefühle eingestanden und von einer gemeinsamen und glücklichen Zukunft gesprochen! Zorn keimte in Agarmaethor auf, aber sie kämpfte ihn nieder. NEIN! Seine Geltungssucht hatte bisher immer zu Missverständnissen geführt. Immer waren alle anderen davon ausgegangen, dass diese sein Antrieb zu seinen Taten war. Sie wollte nicht zu denen gehören, die es nicht einmal versuchten, tief in sein Innerstes zu blicken.

Sein Innerstes...

Agarmaethor atmete tief ein und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Was ging nur in ihm vor? Er zeigte keinen Schmerz, noch Trauer oder gar Verbitterung und Zorn. Er war ruhig, ausgeglichen und schien zufrieden zu sein. Doch sie kannte ihn lange genug um zu wissen, dass er sich durch nichts zu heftigen Gefühlsausbrüchen hinreißen ließ.

Heftige Gefühlsausbrüche...

Sie blieb stehen und schüttelte nachdenklich den Kopf. Nicht einmal seine Offenbarung auf dem Schiff nach Rhûn war mit einem heftigen Gefühlsausbruch verbunden gewesen. Natürlich wäre ein solcher auch nicht nötig gewesen, um seine Gefühle zu zeigen, aber er hatte auch nie genau ausgesprochen, was er wirklich empfand. Er hatte von Begehren und Bedürfnissen geredet, von zwei Welten, die er zu verbinden suche. Alles hatte so unbeholfen gewirkt, so linkisch.

Zwei Welten...

Unsicher schaute zu ihm zurück und ging wieder langsam auf ihn zu. Amlugûr hatte noch nie zuvor davon gesprochen, dass er sich in seinem Herzen sowohl die Welt des ruhmreichen Kriegers und die Welt eines friedlichen Heimes herbeisehnte. Sie hatte am eigenen Leib erfahren, wie einsam man als Krieger sein konnte und besaß durchaus Verständnis für die Sehnsucht nach Familie und Heim, aber nie hatte sie aus seinem Verhalten geschlossen, dass er wirklich nach einer Partnerin gesucht hatte. Tausende von nächtlichen Liebschaften, die ihm körperliche Befriedigung verschafften – ja. Aber eine feste Partnerin mit wahrer Verbundenheit...?

Verbundenheit...

Erneut blieb sie stehen und beobachtete Amlugûr dabei, wie dieser das nunmehr letzte Lasttier belud. Früher hatten sie viele Gemeinsamkeiten besessen: Sie waren beide Außenseiter gewesen, einsam und in gewisser Weise auch unverstanden. Aber besaßen sie deshalb eine solche intensive Verbundenheit, dass eine Partnerschaft in Frage gekommen wäre? Früher hätte eine solche schon aus ganz anderen Gründen außerhalb jeglicher Diskussion gestanden. Früher hätte es allerhöchstens Freundschaft sein können.

Freundschaft...

Zögernd näherte sie sich ihm wieder einige Schritte. Früher, als sie gemeinsam mit Amlugûr als Späher durch die Wildnis gezogen war, hatte sie keine Freundschaft gekannt. Sie hatte durchaus davon gehört, wusste auch, dass enge Kameradschaft nicht gleichzusetzen war mit echter und wahrer Freundschaft, aber was genau letztere ausmachte, war ihr damals gänzlich fremd. Es gab solche Verbindungen auch viel zu selten – sehr viel seltener sogar als tiefe Liebesbeziehungen - sodass sie sie zwischen anderen Elben nie hatte wahrnehmen, geschweige denn für sich selbst hatte erfahren dürfen. Genau genommen hatten ihr erst Gimli und Legolas vorgeführt, worin wahre Freundschaft bestand, und müsste sie diese jetzt erklären, dann hätte sie gesagt:

Freundschaft ist, immer für den anderen da zu sein, auch wenn die Lage noch so aussichtslos zu sein scheint und die zu erbringenden Opfer noch so groß. Freundschaft ist, den anderen zu mögen, auch wenn man alles von ihm weiß – selbst die kleinen Unzulänglichkeiten... vor allem die kleinen Unzulänglichkeiten. Freundschaft ist, sich darauf verlassen zu können, dass der andere einem vertraut.

Abrupt blieb sie stehen und begegnete Amlugûrs fragendem Blick. Es gelang ihr gerade noch zu unterdrücken, sich selbst die Handfläche gegen die Stirn zu schlagen, bevor sie zum Spurt ansetzte und auf Amlugûr zu rannte.

„Du Narr! Du Idiot!" Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. „Du bist so ein Trottel! Und ich auch!"

Die Erkenntnis hatte sie wie ein Blitzschlag getroffen. Vor einigen Monaten, als mit ihr etwas geschehen war, das ihr beinahe den Verstand geraubt hatte, da hatte sie zum ersten Mal gespürt, dass sie außer Amdir eine Stütze benötigte, jemanden, der ihrer wilden und verrückten Geschichte Glauben schenken, ihr Geheimnis nicht sofort weitergeben und vielleicht über die schwierige Anfangszeit hinweghelfen würde – und ihre Wahl war auf Amlugûr gefallen.

Sie hatte nicht einmal lange darüber nachdenken müssen. Er war der einzige gewesen, der damals überhaupt in Betracht gekommen war. Und ihre Hoffnung hatte sich als berechtigt erwiesen. Obwohl ihre Geschichte vollkommen absurd war, hatte Amlugûr ihr geglaubt, sie nicht mit lästigem Mitleid überschüttet und sie in die Gemeinschaft aufgenommen. Er hatte sie akzeptiert, so wie sie war und war damit so unglaublich wichtig für sie gewesen.

„Was willst du von mir?" Amlugûr schaute sie nur entsetzt und entgeistert an. „Habe ich dir etwas getan?"

„Ja!" Sie umarmte ihn stürmisch. Amlugûr wusste gar nicht, wie ihm geschah. „Du bist so ein Einfaltspinsel! Du lernst wirklich NIE dazu! Warum bekommst du deinen Mund nicht auf und sagst, was in dir vorgeht? Du hast ja gar keine Ahnung, was ich mir alles für Gedanken um dein seltsames Verhalten gemacht habe! Zwischenzeitlich dachte ich sogar, du wirbst allein deshalb um mich, weil ich dir dabei helfen soll, ein großer Held zu werden!"

Wieder traf ihn eine Ohrfeige, doch dann umarmte sie ihn sofort und versetzte ihm anschließend einen Tritt gegen das Schienbein.

Der Rest der Gemeinschaft wurde langsam aufmerksam auf das seltsame Gebaren.

„Warum verprügelt sie Amlugûr?", fragte Rochdil skeptisch. „Nicht, dass ihm das nicht einmal gut tun würde, aber irgendwie..."

„Ich weiß es nicht, aber solange er nicht zurückschlägt...", murmelte Legolas und spielte mit dem Knauf seines Dolches.

„Du Tölpel!", fuhr sie Amlugûr zornig an. „Ist dir nichts Besseres eingefallen, als mir den Hof zu machen? Glaubst du nicht, ich hätte einen guten Freund besser gebrauchen können als einen Partner, dessen Herz mir gar nicht gehört?" Erneut trat sie ihm gegen das Schienbein. „Und diese Sache mit den zwei Welten, die du durch mich zu verbinden suchst... Was war denn das für ein Blödsinn?" Sie stieß ihn von sich weg.

„Ich dachte, genau das wäre eigentlich DEIN Problem... wegen all dem, was du erlebt hattest, was mit dir geschehen ist. Ich war selber darüber überrascht, als du dein Kriegerdasein aufgeben wolltest... und habe deshalb später..."

„Du warst wirklich dazu bereit, deine anderen Sehnsüchte für mich aufzugeben? Deinen Wunsch nach Ruhm und Ehre, dein Kriegerdasein?", fragte sie fassungslos. „Für mich? Als reinen Freundschaftsdienst?"

Amlugûr errötete – und es war das allererste Mal seit sie ihn kannte, dass er das tat. Es war Antwort genug. Er musste gar nichts sagen. Sie umarmte ihn wieder und drückte ihn fest an sich.

„Das war das Blödeste, das du jemals getan hast. Noch viel blöder, als mich im Nebelgebirge zurückzulassen..." Sie begann wieder auf ihn einzuprügeln.

„Das geschah aus nackter Angst!", keuchte Amlugûr und schützte seinen Kopf.

„Aus Angst vor den Uruk-hai?" Agarmaethor war entsetzt.

„Nein, aus Angst vor DIR! Ich dachte ernsthaft, wir würden alle sterben. Ich hätte dich auch mitgenommen, aber ich habe gefürchtet, dass du mich in Mandos' Hallen verachten würdest, weil ich meiner Pflicht als Anführer der Gemeinschaft nicht nachgekommen wäre, weil ich Schwäche gezeigt hätte, wo sie nicht sein hätte dürfen... Ich dachte, du würdest mir das nie verzeihen, dass ich wegen dir..." Er stockte.

„Darum hast du dir Gedanken gemacht?" Sprachlos sah sie ihn einen Moment lang an, bevor sie ruhig und nachdenklich erwiderte: „Stimmt. Ich hätte dir das nicht verziehen. Damals! Du hättest in den Hallen von Mandos kein leichtes Dasein gehabt. Vielleicht hätten die Valar sogar mit dir Erbarmen gehabt und dich bereits nach sechs Monaten wieder ins Leben entlassen."

Amlugûr lächelte lahm.

„Du bist so ein... Schwachkopf!", murmelte Agarmaethor leise und schüttelte den Kopf.

„Genau das hat Galadriel auch gesagt!", erwiderte Amlugûr zerknirscht.

„Und du hast ihr das nicht sofort geglaubt?" Agarmaethor ließ entrüstet von ihm ab. „Sie hat dir von deinem Plan abgeraten, und du hast nicht auf sie gehört?"

„Ja..."

So viele Schläge hatte Amlugûr noch nie erhalten – selbst in den Schlachten von Fornost nicht. Schutz suchend versuchte er sich zwischen den Pferden zu verbergen, aber Agarmaethor fand ihn, und knurrte ihn wütend an:

„Was hat sie gesagt? Was genau?" Sie sah ihm in die Augen, doch er wandte den Blick ab.

„Nichts weiter Wichtiges... Ich war stur. Sie hat ewig auf mich eingeredet, aber ich war stur. Und schließlich sagte sie, ich sei ein Schwachkopf – wortwörtlich." Er presste die Lippen aufeinander.

Agarmaethor war sich sicher, dass Galadriel noch sehr viel mehr zu ihm gesagt hatte, aber Amlugûr vermittelte nicht den Eindruck, als würde er darüber reden wollen.

„Sie hat Recht. Aber du bist auch der beste...nein... der einzige wahre Freund, den ich jemals hatte!" Sie umarmte ihn ganz fest.

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Noch bevor Odan und seine Gefährten überhaupt die Mitte des Dorfplatzes erreicht hatten, waren sie bereits von bewaffneten Männern umringt, die sie misstrauisch von allen Seiten musterten. In ihren Blicken lag noch sehr viel weniger Wohlwollen als Odan es von ihnen erwartet hatte. Bewaffnete Zwerge waren mit Sicherheit ungewöhnlich, doch eine solche Feindseligkeit erschien ihm trotzdem übertrieben.

Mit einem aufgesetzten Lächeln wollte er zum Reden ansetzen, doch ein etwa vierzehnjähriger Knabe kam ihm zuvor.

„Zwerge? Schon wieder? Gimli war doch sehr nett! Warum sollten uns diese hier etwas tun?"

Der Ausruf des Jungen erregte Odans Aufmerksamkeit. Gimli? Der Name war ihm gänzlich unbekannt, aber eigentlich kam nur ein Zwerg in Betracht, der so tief in den Osten reiste und nicht zu seinem Gefolge gehört hatte. Konnte es sich tatsächlich um den Begleiter der Dunkelhaarigen handeln? Um den, der ihn auf dem Schiff nach Rhûn mehrfach gestört hatte, die Dunkelhaarige zu töten?

Odans aufgesetztes Lächeln wurde echt. Mit einer hastigen Handbewegung befahl er seinen Gefährten zu schweigen, stieg vom Pferd und wandte sich dem Jungen zu.

„Odan ist mein Name!" Er verbeugte sich höflich. „Unser Freund Gimli war hier? Tatsächlich? Wir suchen ihn bereits seit Wochen, weil wir ihm die frohe Botschaft von der Geburt seines Sohnes überbringen wollen. Seine Frau hofft, dass er seine lange Reise abbrechen wird, um bei ihr und seinem Kind zu sein. Wann habt ihr ihn zum letzten Mal gesehen?", fragte er freundlich.

Ein alter Mann schob sich durch die Menge. Er schien im Dorf das Sagen zu haben. Mit einigen freundlichen Worten schickte er die Dorfbewohner wieder nach Hause und lud die drei Zwerge zu sich ein. Da der Junge zu ihm zu gehören schien, folgte ihm Odan erfreut, dankte ihm und überließ die Pferde seinen Gefährten. Songel hieß der Alte, wie sich recht bald herausstellte. Er hatte auch Elben in seinem Haus beherbergt – vor etwa drei Wochen.

Odans Herz schlug schneller. Jetzt endlich konnte er sich sicher sein, dass es sich bei Gimli um den Begleiter der Dunkelhaarigen handelte. Drei Wochen! Das war eine lange Zeit, aber zumindest besaß er nun wieder eine Spur.

Er wagte es nicht, nach Haunar oder Rufur zu fragen – das hätte Misstrauen geweckt. Zudem fesselte ihn die Geschichte der Menschen, die allein wegen der Elben in die Siedlung gekommen waren. Das konnte nur bedeuten, dass Rufur oder Haunar oder auch beide gemeinsam der Dunkelhaarigen bedrohlich nahe waren.

„Doch als dann diese... Ork-Elben kamen, änderte sich die Situation schlagartig", berichtete Songel weiter. „Ihr Anführer hatte einen Wolf auf seiner Rüstung! Das jedenfalls erzählte mir Elrohir."

Odan nickte verstehend. Ork-Elben! Songel konnte nur die Grünaugen meinen, und das Grünauge mit dem Wolf auf der Rüstung musste Araf gewesen sein. Odan kannte seinen Namen aus vielen Schlachten und Kriegen. Seit Jahrhunderten führte dieser die gegnerischen Truppen an und war seiner Herrin treu ergeben – so treu, dass er ihr vielleicht sogar vertrauter war, als dem Herren der Grünaugen. Dieser hatte Ruhta an seiner Seite – brutal, engstirnig und vor allem dumm. Odan war wenig überrascht, dass Araf den Auftrag erhalten hatte, die Dunkelhaarige sicher in den Osten zu geleiten. Araf war definitiv verschlagener.

„Sie metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte", fuhr Songel fort. „Es war so grausam. Der Dorfplatz war von Blut durchtränkt. Diese dunklen Kreaturen machten nicht einmal Halt vor Verletzten, die sich sowieso nicht mehr zu wehren vermochten. Sie ließen nur Gimli und die Elben in Ruhe – und das, obwohl diese äußerst hart gegen sie vorgingen."

Odan schaute gespielt verwundert, doch eigentlich fand er es nur natürlich, dass die Grünaugen die Elben und den Zwerg in Frieden gelassen hatten. Die Dunkelhaarige befand sich schließlich unter ihnen und vermochte diese noch immer zu manipulieren, und um den Schein zu wahren, gehörte auch der Kampf gegen die Grünaugen dazu. Es war überhaupt nicht nötig, unter den Elben zu metzeln, um die Dunkelhaarige selbst in den Osten zu begleiten zu können!

„Und dann hat sich eine Schar der Ork-Elben abgesetzt und ist einem einzelnen Flüchtling in den Wald gefolgt. Ich habe es nicht selber gesehen, aber wie mir später erzählt wurde, sind diese Kreaturen dabei auf diese wunderschöne Elbenfrau gestoßen."

Odans Herz schien einen kurzen Moment lang auszusetzen. Panik erfasste ihn. Er wäre Songel beinahe an die Kehle gesprungen, um den letzten Rest der Begebenheiten zu erfahren. War die Dunkelhaarige mit den Grünaugen fortgegangen? Oder gab es noch Grund zur Hoffnung?

„Die Ork-Elben wollten sie wohl rauben, aber sie war nicht allein", plapperte Songel weiter. „Elrohir war bei ihr. Er hat ihr einen Dolch an die Kehle gehalten und ihr diese sogar so tief aufgeschnitten, dass sie heftig geblutet hat und danach vollkommen erschöpft in meinem Zimmer ruhen musste. Jedenfalls haben die Ork-Elben von ihr abgelassen und sind weitergereist – ohne sie."

Odan erstarrte. Der Elb hatte die Dunkelhaarige beinahe getötet? Er wäre bereit dazu gewesen, nur um sie nicht mit den Ork-Elben ziehen zu lassen? Er staunte. Hatte die Dunkelhaarige ihre Begleiter etwa doch nicht so gut im Griff, wie er bisher gedacht hatte? Misstrauten sie ihr etwa bereits?

„Das ist ja... schrecklich!", stieß Odan hervor, um überhaupt etwas zu sagen, doch seine Gedanken kreisten um den Bericht.

„Oh ja! Das war schrecklich", seufzte Songel mitfühlend. „Aber noch viel Schrecklicher war, dass die wunderschöne Elbenfrau damit einverstanden gewesen wäre, wenn Elrohir sie getötet hätte."

Überrascht sah Odan ihn an. „Warum denkt Ihr das?"

„Sie hat sich über ihre ziemlich blutige Verletzung überhaupt nicht beschwert. Im Gegenteil. Sie wollte sterben! Ihr hättet mal ihre Rede über den Tod hören müssen!" Songel schüttelte den Kopf.

Odan war sprachlos. Die Dunkelhaarige war bereit gewesen zu sterben? Ihr wäre der Tod wirklich lieber gewesen, als die Ork-Elben zu begleiten?

Leise Zweifel an Bizar-kûn und dessen Darstellung der Tatsachen begannen sich in Odan zu rühren. Das gesamte Bild schien nicht zu stimmen. Odan versuchte, die Zweifel zu unterdrücken und dabei an Songels Bericht zu rütteln, aber er fand keinen greifbaren Grund dafür.

Dieser schlichte und einfache Siedler, der das Vertrauen der Dorfbewohner genoss, der sich scheinbar gar keine tieferen Gedanken um den Grund der Reise der Elben in den Osten zu machen schien und seine eigene Rolle in all den Geschehnissen in keinster Weise hervorhob, konnte gar nicht lügen! Er konnte höchstens etwas falsch verstanden haben. Aber was gab es an all dem falsch zu verstehen?

Warum zweifelte er überhaupt? Bizar-kûn hatte doch immer auf der Seite der Zwerge gestanden! Warum plötzlich nicht mehr? Lag es daran, dass ihm dieser alte Mann so unheimlich war? Bizar-kûn hatte die Herrin und den Herren der Grünaugen einst gekannt – soviel wusste Odan. Doch das alles war lange her, sehr lange. Seitdem hatte sich Bizar-kûn ausschließlich um das Wohl der Zwergenvölker gekümmert, um ihre Zusammenführung, ihre Stärkung – oder etwa nicht?

Wieder rang Odan mit seinen Zweifeln. Rührten seine plötzlich aufkommenden Bedenken daraus, dass Bizar-kûn sehr viele Kleinigkeiten von seinen Feinden wusste – Dinge, die man selber niemals hätte erlauschen können?

Nein, nein! Bizar-kûn besaß mit Sicherheit seine Mittel und Wege. Odan selbst hielt sich nur für einen einfachen Krieger. Vieles ging ihn schlicht nichts an. Er wusste nicht einmal, welcher Art genau die Gefahr war, die die Dunkelhaarige in den Osten brachte. Ihm wurde nur gesagt, dass sie Mittelerde zerstören könnte – sogar ganz Arda!

Odan schluckte. Warum tat sie es nicht einfach? Warum musste sie erst in den Osten? Je länger er darüber nachdachte, desto ungerechtfertigter fand er es, dass man ihn nicht über den genauen Auftrag und die dazugehörigen Umstände aufgeklärt hatte. Er konnte jetzt nicht mehr nachfragen, und er würde den Befehl sie zu töten, nur wegen einiger winziger Zweifel nicht verweigern. Wichtig war doch nur, dass die vier Könige alles wussten und entsprechend gehandelt hatten und handeln würden!

Die drei Zwerge übernachteten bei Songel und rüsteten sich im Dorf mit frischen Pferden und Nahrung aus, und mit dem Versprechen, Gimli und den Elben herzlichste Grüße auszurichten und auf dem Heimweg wieder die Siedlung Songels zu besuchen, reisten sie am nächsten Morgen ab – weiter gen Osten.

-tbc-