Hi Hohchen!
Ja, ich weiß, dass ich heute etwas früher dran bin, aber ich bin mir heute sicher, dass ich es am Freitag oder Samstag nicht schaffen würde, und da das Kapitel fertig ist, lasse ich euch nicht bis Sonntag warten. (Augenzwinker)
StupidMouth: DANKE! Ich dachte schon, das letzte Kap wurde hier bei so sehr gehasst, dass sich niemand zu einem Review erbarmen konnte! Aber du hast mich gerettet :D
Ich schreibe übrigens gerne lange Adds, wenn es sich anbietet und ich glaube, was zu sagen zu haben. (lach) Insofern musst du dich dafür nicht bedanken. (Augenzwinker)
Stimmt. Der eine von dir zitierte Satz im letzten Kapitel erklärt eigentlich kurz und knapp, was in ihr vorgeht. Der ist mir auch sehr viel leichter gefallen, als der gesamte Gedankengang (der aber absolut notwendig war, weil sonst niemand etwas verstanden hätte) davor, weil ich mich so gut reinversetzen konnte. (hihi).
Sie wird Legolas definitiv etwas über ihre Vergangenheit erzählen. Bisher war ja alles nur für den Leser in Form ihrer eigenen Erinnerungen ersichtlich, aber für Legolas nicht. In diesem Kapitel macht sie schon einmal den Anfang, auch wenn sie das Wesentliche noch nicht über die Lippen bekommt. ;)
Viel Spaß! ;)
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Begegnungen
Rufur und Haunar strebten weiter dem Roten Gebirge im Osten Mittelerdes entgegen. Nur wenige Minuten zuvor hatten sie die letzten Bäume eines unwirtlichen, abgebrannten Waldes hinter sich gelassen, welcher sie nicht hatte locken können, auch nur einen Fuß in ihn zu setzen. Die beinahe tödliche Stille, die über ihm gehangen hatte, die spitzen und verkohlten Äste, die ihnen drohend entgegen geragt hatten, das alles war ihnen zu unheimlich erschienen, um sich auch nur eine Sekunde lang näher mit dem Wald zu befassen.
Die ihnen inzwischen verhasste weite Ebene erstreckte sich erneut vor ihren Augen. Erst am Roten Gebirge würde sie enden, doch bis dahin hatten sie noch viele Tage auf den Rücken der immer mehr ermüdenden Pferde zu verbringen.
Rufur mochte die Ebene noch sehr viel weniger als Haunar. Allein die Vorstellung davon, dass sich die Grünaugen aufgrund ihrer scharfen Sicht bereits in Angriffsposition befinden würden, bevor er selbst sie überhaupt wahrgenommen hatte, schürte seine Furcht. Als ihm noch fünfzig weitere Zwerge gefolgt waren, hatte er sich darüber weniger Gedanken gemacht, doch nur mit Haunar an seiner Seite fühlte er sich verloren und leicht verwundbar.
Hätte Bizar-kûn nicht etwas erfinden können, um besser in die Ferne schauen zu können? Schließlich war er doch auch in der Lage gewesen, einen Umhang herzustellen, der allein durch das Kochen im Saft eines unscheinbaren Pilzes die Fähigkeit aufwies, im Schatten und in der Nacht unsichtbar zu werden! Warum erfand Bizar-kûn keine besseren Waffen? Warum keine sichereren Rüstungen? Warum keine neuen Ringe der Macht?
Rufur kannte die Ringe nur aus Erzählungen und Geschichten, doch es existierten auch einige Aufzeichnungen darüber, wie Thuringwethil vor mehr als viertausend Jahren diese prachtvollen und magischen Schmuckstücke gebracht und übergeben hatte. Die vier Zwergenkönige waren nur allzu gerne dazu bereit gewesen, diese Geschenke entgegen zu nehmen, denn die Ringe hatten wundersame Kräfte besessen.
Einer von ihnen hatte die Zwerge dazu befähigt, verborgene Rohstoffe leichter aufzuspüren, ein anderer war in der Lage gewesen, den Tunnelbau zu erleichtern, der dritte hatte den Verbrauch der Rohstoffe für Schmelzen und Schmieden senken können und der vierte hatte den Zwergen erlaubt, das für sie so unendlich wichtige Wasser zur Kühlung des Metalls, zur Trennung von Kohle und Gestein, zur Reinigung der Erze und natürlich zum Trinken und Waschen leichter aufzufinden und zu kontrollieren.
Rufur konnte nur bedauernd den Kopf schütteln, als er an den Verlust der vier Ringe dachte. Wie vorteilhaft wäre es, wenn den Herrschern noch heute die vier Ringe zur Verfügung stehen würden? Welche Möglichkeiten würden sich ihnen allen eröffnen? Was wäre aus den Zwergen geworden, wenn sie die Ringe gemeinsam genutzt und sich gegenseitig deren Vorteile zur Verfügung gestellt hätten?
Sie wären vereint gewesen, stärker und widerstandsfähiger – vor allem im Kampf gegen die dunklen Mächte!
Das waren Bizar-kûns Worte vor beinahe zweitausend Jahren gewesen. Er hatte verdeutlichen wollen, welch gut gemeinten Hintergedanken der elbische Schmied bei der Schaffung der Ringe gehabt hatte und welche Waffe sie damit gemeinsam in den Händen gehalten hätten, denn nichts hatte Sauron mehr gefürchtet als vereinte, starke Völker.
Und mit genau diesen Worten war es Bizar-kûn gelungen, die Könige von einem Zusammenschluss zu überzeugen, sodass sie gemeinsam ein neues Reich gegründet hatten – tief im roten Gebirge.
Rufur seufzte leise. Oh ja! Solche Ringe zu besitzen wäre wundervoll gewesen. Und vielleicht hätten sie ihn auch unsichtbar gemacht, damit die Grünaugen, die er gerade am Horizont erblickte, ihn nicht fangen und töten konnten.
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Sollten die Angaben auf Vorondas Karten stimmen und das von Agarmaethor in ihrer Vision im Sumpf gesehene Hochplateau auch tatsächlich dasselbe sein, welches auf den Karten Vorondas eingezeichnet war, dann lag vor der Gemeinschaft noch ein weiter Weg. Wochen könnten vergehen, bis sie ihr nächstes Ziel erreichen würden.
Zu Beginn ihrer Reise hätte sich niemand in der Gemeinschaft vorstellen können, derartige Strecken zurücklegen zu müssen, geschweige denn einen Großteil der Zeit auf einer schier unendlichen Ebene reisen zu müssen. Sie wirkte trostlos, braun, kalt, ungemütlich... Die Zahl ihrer unangenehmen Eigenschaften, die insbesondere Gimli sammelte und in seinem Gedächtnis notierte, schien ins Unermessliche zu steigen.
Allein eine einzige Markierung auf den Karten Vorondas ließ vor allem die Elben auf ein wenig Abwechslung hoffen, denn es bestand die Aussicht schon bald einen großen Wald zu erreichen. Nur Gimli pochte mit seinem Finger immer wieder auf eine rote, unleserliche Schrift und beharrte darauf, dass diese sich auf den Wald beziehe und es sich schon allein aufgrund der Farbe um eine Warnung handeln müsse.
Nach ausgiebiger Diskussion wurde Gimli jedoch überstimmt. Keiner der Elben wollte auf einen Besuch des Waldes verzichten, denn allein die Vorstellung, wieder ein wenig Frischfleisch erjagen zu können, von dem es auf der Ebene viel zu wenig gab um täglich fünfzehn Personen zu versorgen, war Anreiz genug. Sie nahmen Gimlis Bedenken Ernst indem sie besonders vorsichtig vorgehen wollte, doch meiden wollten sie den Wald nicht. So ritten sie ihm entgegen – mit knurrenden Mägen.
Wieder brach eine Nacht an. Agarmaethor hatte es sich zur Angewohnheit gemacht zu warten bis alle schliefen, bevor sie heimlich zu Legolas kroch. Auch diese Nacht näherte sie sich lautlos. Legolas empfing sie mit offenen Armen und schmiegte sich an sie.
„Was wir hier tun ist weder verboten noch ist es ein Geheimnis. Jeder weiß, dass du nachts bei mir bist", flüsterte er schmunzelnd und küsste ihr auf die Nasenspitze. „Diese Heimlichkeit ist nicht nötig."
„Darum geht es nicht. Ich mag es nur nicht, dabei beobachtet zu werden!", murmelte Agarmaethor verlegen.
„Wobei beobachtet zu werden?", grinste Legolas. „Dabei?"
Seine Lippen kitzelten sie an ihrem Ohrläppchen. Hektisch schaute Agarmaethor sich um und prüfte, ob auch wirklich niemand zusah.
„Es schlafen alle...", raunte Legolas verschwörerisch, doch dann fügte er in schnippischem Tonfall hinzu: „...bis auf die Wachen, die gleich nach Sonnenaufgang den anderen berichten werden, was wir alles verbrochen haben!" Er zwinkerte ihr aufmunternd zu, und als ein kleines Schmunzeln über ihr angespanntes Gesicht huschte, zog er eine Decke über ihre Köpfe. „Jetzt kann uns wirklich niemand mehr sehen, denn wir sehen ja auch niemanden mehr."
Agarmaethors Schmunzeln wandelte sich zu einem Lächeln. „Du weißt hoffentlich schon, dass jetzt alle ihre blühenden Phantasien noch sehr intensiver ausleben werden, oder?"
„Was interessieren mich deren Phantasien?", erwiderte Legolas amüsiert. „Mich interessieren nur meine eigenen!" Er überhäufte Agarmaethors Wange mit seinen Küssen, koste ihren Hals und ihren Nacken und schmiegte sich dabei an sie. „Du reckst mir deinen Hals entgegen wie sich eine Durstende nach einem Becher Wasser streckt", lachte er leise, fügte dann jedoch zögernd hinzu: „Und du bist sicher, dass du nicht... vielleicht... ein bisschen... mehr willst?" Er lockte sie mit weiteren Küssen.
Agarmaethor vergrub ihre Nase in Legolas' Tunika. „Nein, nein", stammelte sie nervös. „Es ist... kompliziert... und ich... habe Angst."
Ihre Nase verschwand noch sehr viel tiefer in seiner Tunika. Legolas fühlte, wie sie einen inneren Kampf ausfocht und sich dabei immer mehr aufregte. Sie verkrampfte sich in seinen Armen, suchte nach Worten, aber es schien ihr auch nach Minuten nicht zu gelingen, ihre Bedenken zu äußern. Schließlich drehte sie ihm den Rücken zu, fasste seine Hand und legte sie sich auf den Bauch, so dass er diesen streicheln konnte.
„Als ich mich damals am Hulsten-Kamm versehentlich vor euch allen entkleidet hatte, hast du da die Narbe auf meinem Bauch gesehen?", murmelte sie etwas verstört und wirkte dabei, als wäre der Anfang ihrer Erklärung vollkommen missglückt. Tatsächlich wunderte sich Legolas etwas darüber, wie es möglich war, sich vor jemandem versehentlich zu entkleiden.
„Nein, ich habe auf... andere... Dinge... geachtet", erwiderte er und errötete leicht. „Aber nur ganz kurz. Ich habe eigentlich gar nichts gesehen!", fügte er hastig hinzu und glaubte trotz der Finsternis unter der Decke erkennen zu können, dass Agarmaethor lächelte.
„Sie ist nicht groß, vielleicht so lang wie mein Zeigefinger", erklärte sie leise, „doch sie erinnert mich an ein Ereignis mit dessen Folgen ich heute lebe und wohl auch immer leben werde." Sie schluckte nervös und begann erneut nach Worten zu suchen. „Meine ganze Welt hat sich damals geändert. Ich habe mich geändert, und ich gewöhne mich allmählich an all das Neue, fühle mich inzwischen sehr viel wohler und lerne auch langsam, mit den Auswirkungen dieses Geschehens umzugehen – Dank dir und Amlugûr, doch vor allem Dank dir."
Sie nahm Legolas' Arm wieder von ihrem Bauch und schmiegte ihre Wange an seine Handfläche.
„Es gab eine Zeit, da wollte ich alles zurückhaben, was ich in den letzten 4700 Jahren besessen hatte, was ich gewesen war und woran ich geglaubt hatte – trotz der Berührungsschmerzen und der Einsamkeit. Aus diesem Grunde nannte ich mich damals Agarmaethor – Blutkrieger – weil ich glaubte, damit besser daran festhalten zu können. Dann kam die Zeit, in der ich glaubte, mein Tod wäre das beste für alle und heute ist es so, dass ich meine Vergangenheit – zumindest die, an die ich mich erinnere - und vor allem dieses eine Ereignis am liebsten vergessen würde, aber ich kann nicht.
Die Narbe an meinem Bauch und auch die Schmerzen während meiner Träume erinnern mich immer wieder daran. Und solange ich mich erinnere – an dieses Ereignis und auch daran, wie mein Leben zuvor verlaufen war – solange empfinde ich Angst vor zu viel Nähe. Verstehst du?"
Legolas hauchte ihr einen Kuss auf die Nase. „Nicht ganz. Ich verstehe, dass du keine Angst mehr empfindest, wenn du dich nicht erinnerst, aber ich verstehe nicht, wovor du Angst hast und warum dir meine Berührungen während deiner Visionen helfen."
„Weil sie mich vergessen lassen – wenigstens für sehr kurze Zeit. Sie lässt mich glauben, alles wäre in bester Ordnung", erwiderte Agarmaethor leise und beantwortete ihm damit nur den zweiten Teil seiner Frage.
„Darf ich die Narbe einmal sehen?", fragte Legolas vorsichtig. „Oder befindet sie sich an einer... delikaten Stelle?"
Agarmaethor wusste im ersten Moment nicht, ob sie schockiert oder belustigt sein sollte.
„Delikate Stelle?", fragte sie etwas verwirrt und errötete. „Nein. Sie befindet sich unmittelbar unter dem Bauchnabel, aber wozu willst du sie sehen? Sie ist hässlich!"
Nervös begann sie an dem Saum ihrer Tunika zu spielen.
„Ich werde sie ohnehin irgendwann einmal sehen... hoffentlich!", erwiderte Legolas schmunzelnd.
„Sie ist wirklich hässlich. Die Wunde wurde durch keinen glatten Schnitt verursacht. Daher ist die Narbe unförmig und ungleichmäßig." Sie begann wieder um jedes Wort zu kämpfen. „Vor einigen Monaten war ich mit Amdir unterwegs. Amlugûr war... leider oder vielleicht auch glücklicherweise nicht dabei, weil er wegen Amdirs Hass auf ihn vorübergehend Abstand zu mir halten wollte. Ich war vollkommen allein, als mich plötzlich beißende Schmerzen befielen, deren Ursache ich nicht kannte. Der gesamte Körper war davon betroffen, selbst mein Gesicht, aber in meinem Bauch war es am schlimmsten. Mir war, als würde mir jemand ein breites und stumpfes Messer hineinstoßen, um anschließend damit in der Wunde zu bohren, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was folgte."
Legolas spürte, wie ihr Puls raste. Er schmiegte sich eng an sie, um sie zu beruhigen, doch ihre Aufregung wuchs, je mehr sie sich zu erinnern schien.
„Nach einiger Zeit stürzte ich vom Pferd. Ich konnte die Schmerzen nicht mehr ertragen, jede Bewegung rief neue Wellen hervor, schien mich innerlich zu zerreißen. Aber die Ruhe auf dem Boden machte alles noch schlimmer. Ich begann zu spüren, wie sich irgendetwas in mir bewegte und mein Innerstes dabei aufzufressen schien." Sie rang nach Luft.
„Hör auf!", flüsterte Legolas besorgt. „Du steigerst dich gerade in deine Erinnerungen hinein. Hör auf, bitte!"
„Sie ist aufgerissen", fuhr Agarmaethor jedoch mit gebrochener Stimme fort und kämpfte dabei um jedes Wort. „Meine Bauchdecke ist aufgerissen... von innen heraus. Es hat so unglaublich geblutet, und dann... dann ist es heraus gefallen – dieses Ding. Dieses verfluchte, kleine Ding! Es hat so... wahnsinnig weh getan!"
Obwohl kein Laut ihre Lippen verlassen hatte, glaubte Legolas einen Schrei zu hören – einen stummen Schrei, der ihn noch sehr viel mehr ergriff als ein echter. Er drückte Agarmaethor an sich, begann leise und tröstend auf sie einzureden, doch sie schien zu betäubt von ihren Erinnerungen zu sein, um seine Worte überhaupt noch wahrnehmen zu können.
Legolas schob die Decke über ihren Köpfen zurück, um kalte und frische Luft an sie heran zu lassen, doch nacktes Entsetzen schnürte seine Kehle zusammen, als er das vom Sternenlicht beleuchtete, blasse Gesicht Agarmaethors und ihre weit aufgerissenen, panischen Augen erblickte. Wie gelähmt schaute er auf ihre Finger, die sich in ein kleines Stück in den gefrorenen Boden gekrallt hatten und ihn ahnen ließen, dass ihre Bauchschmerzen bald einsetzen würden.
Der Gedanke daran riss ihn aus seiner Starre. Zielsicher schob er seine Hand unter ihre Tunika und berührte dort ihre glühend heiße und verschwitzte Haut. Seine Finger suchten die Narbe unter ihrem Bauchnabel und strichen vorsichtig über die zumindest äußerlich verheilte Verletzung. Eng an sie geschmiegt schlug mit der freien Hand die Decke erneut über ihre Köpfe, so dass wohlige Wärme sie schon bald wieder umhüllte.
Stunden vergingen, in denen Legolas Agarmaethor leise Lieder vorsang, um sie von ihren Erinnerungen abzulenken. Es beruhigte ihn, zu fühlen, dass sie allmählich wieder gleichmäßig atmete und sich ihm schließlich zuwandte, um ihre Stirn in seine Halsbeuge zu legen.
„Es war eine verfluchte, silberne Kugel, deren Durchmesser die Breite meines Daumens nicht überschritt. Sie hatte beinahe fünftausend Jahre lang oder vielleicht sogar noch sehr viel länger in mir geschlummert und war nun aus mir heraus gebrochen. Eine elende, kleine Kugel!", flüsterte sie traurig.
Legolas konnte ihre Verbitterung nachempfinden und wusste selbst nicht, was er dazu sagen sollte. Wer würde eine einfache, silberne Kugel in einer lebenden Person verstecken?
„Besitzt du sie noch?", fragte er vorsichtig. „Könnte sie der Grund sein, warum die Ork-Elben hinter dir her sind?"
Agarmaethor schüttelte den Kopf. „Glaube mir, das war das Letzte, das ich wollte: dieses Ding zu behalten! Und ich wusste damals auch nichts von irgendwelchen Ork-Elben, die ein solches Interesse an mir haben würden. Ich habe die Kugel einfach liegengelassen. Aber ich glaube auch nicht, dass die Ork-Elben ihretwegen hinter mir her sind. Als ich mich kurz vor dem Eryn Lasgalen in ihrer Gewalt befunden hatte, hatten sie mich nicht danach gefragt oder danach gesucht. Sie wollen mich lebendig haben! Und außerdem..." Sie schluckte. „Der Tag, an dem das geschah, war der 25. März diesen Jahres. Es war der Tag, an dem Saurons Ring vernichtet wurde und alle anderen Ringe ihre Macht verloren – und auch diese Kugel. Ich glaube, sie ist jetzt wertlos. Ich glaube, sie ist aus mir herausgekommen, weil sie ihre Aufgabe erfüllt hat."
„Was macht dich da so sicher?", fragte Legolas verblüfft.
„Ich habe ihre Wirkung erkannt", flüsterte sie. „Meine Berührungsschmerzen, die ich beinahe fünftausend Jahre lang ertragen musste, waren nicht mehr da."
„Das macht keinen Sinn!", stieß Legolas entsetzt hervor. „Wer sollte dir fünftausend Jahre lang absichtlich derartige Schmerzen bereiten wollen, die erst mit Saurons Vernichtung endeten? Wäre es Sauron selbst gewesen, hätte er sich sicherlich etwas anderes einfallen lassen, als dich unter Elben leben und kämpfen zu lassen! Nein! Das macht überhaupt gar keinen Sinn!"
„Ich glaube auch nicht, dass es Sauron war", erwiderte Agarmaethor gequält. „Ich glaube, es war mein Vater... Galadriel glaubt es auch... und leider macht es doch Sinn."
Nichts, was Legolas ihr sagte, konnte sie davon überzeugen, ihm das alles zu erklären. Beinahe panisch wehrte sie seine Fragen ab und verweigerte jeden Hinweis. Schließlich schwieg er. Ihm kam es auch weniger auf die Bedeutung der Schmerzen an als auf ein Detail, das in ihrer Geschichte noch zu fehlen schien – und es musste sich um ein äußerst wichtiges Detail handeln, welches vermutlich auch ihm erlaubt hätte, den Sinn der Berührungsschmerzen zu erschließen.
Worte aus verschiedenen Gesprächen fielen ihm wieder ein: Amdir, der sie in einem Moment des Wahnsinns vor einer Selbsttötung bewahrt hatte, silberne Haarsträhnen, die sie laut Celeborn früher nicht besessen hatte, verlorene Erinnerungen, Baumbarts Bemerkung, er verbinde sie mit etwas Dunklem, versehentliches Entkleiden am See in Eregion. Waren das alles Teile dieses Geheimnisses? Er war sich nicht sicher, welche Bruchstücke tatsächlich zusammengehörten und welche gar nichts damit zu tun hatten.
„Ich will das nicht mehr! Ich will mich nicht mehr daran erinnern!", flüsterte Agarmaethor. „Ich will nur meine Kindheit und Jugend zurück, um damit erfahren zu können, warum mir mein Vater das angetan hat. Aber diese Schmerzen will ich vergessen!"
Ihre Tränen begannen Legolas' Haut zu benetzen. Er hatte ihre Sehnsucht nach ihren Erinnerungen schon immer nachempfinden können, doch nun besaß sie sein vollstes Verständnis. Sie hatte ein Recht darauf zu erfahren, warum das alles mit ihr geschehen war.
„Und ich will nicht mehr weinen!", sagte Agarmaethor verbittert. „Ich habe den Eindruck, ich würde nur noch und ununterbrochen weinen! Ich hasse das!"
Legolas hauchte ihr einen Kuss auf das Haar und flüsterte: „Weine ruhig, wenn es dir danach besser geht. Glaube mir, ich denke nichts Schlechtes von dir, nur weil du weinst!"
Noch bevor Agarmaethor etwas erwidern konnte, löste Legolas seine Umarmung, rutschte mit seinem Körper abwärts, schob ihre Tunika ein Stück nach oben und legte sein Ohr auf ihren Bauch.
„Nicht!", fuhr sie ihn erschrocken an und zerrte an seiner Jacke.
„Doch!", erwiderte Legolas trotzig. „Er hat mich gerufen und jetzt spricht er mit mir!"
„Er knurrt nur weil er Hunger hat!", erwiderte Agarmaethor abwehrend. „Lass ihn in Ruhe!" Sie versuchte sich weg zu drehen und Legolas zu entrinnen, aber er hielt sie fest.
„Er hat keinen Hunger. Er weint! Er weint bitterlich und sagt mir dabei, es täte ihm schrecklich Leid, dir so viele Probleme bereitet zu haben", erklärte Legolas ernst und horchte weiter.
„Das ist doch lächerlich, und mir ist nicht zum Lachen zu Mute!", knurrte Agarmaethor verärgert.
„Er sagt, du würdest deinen Unmut so sehr in dich hineinfressen, dass er schon allein deshalb schmerzen müsste, aber für dich würde er tapfer durchhalten und immer seiner Arbeit nachgehen", fuhr Legolas unbeirrt fort. „Nur manchmal sei es ihm zuviel, wenn du dich an schreckliche Dinge erinnerst oder von ihnen träumst. Er sagt, die Schmerzen seien nichts anderes als seine eigenen Schreie."
„Lass den Unsinn!", murmelte Agarmaethor unwillig. „Er sagt überhaupt gar nichts!"
„Doch, doch! Er spricht mit mir. Er meint, alles wäre so viel leichter, wenn du ihn nicht so hassen würdest, weil er diese Kugel so lange aufgehoben hat, ohne dir etwas davon zu sagen."
„Ich hasse ihn nicht!", murmelte Agarmaethor verlegen.
„Du vernachlässigst ihn. Er meint, wenn einem schlimme Erinnerungen überkommen, dann müsse man versuchen an etwas Schönes zu denken, um sich wieder zu fangen oder des Lebens erfreuen zu können, aber er habe gar nichts Gutes, woran er sich erinnern könne. Du streichelst ihn nie, spielst nie mit ihm und sagst nie nette Dinge zu ihm. Deshalb kenne er nur den Schmerz." Legolas' Stimme klang dramatisch ernst.
„Spielen?", fragte Agarmaethor fassungslos. „Was bitte soll das denn heißen? Wie kann man denn mit seinem Bauch spielen!"
Legolas hob den Kopf, holte tief Luft und blies in ihre Haut, so dass ein leises, vibrierendes Geräusch erklang.
„Das ist doch jetzt wohl nicht wahr!" Agarmaethor zerrte heftig an Legolas' Tunika. „Lass meinen Bauch in Ruhe! Sofort!"
„Warum? Du magst ihn doch nicht! Ich schon! Lass mich mit ihm spiel... Aua!"
Agarmaethor hatte ihn an den Ohren gepackt, um ihn von ihrem Bauch zu entfernen, aber Legolas gelang es, ihr zu entwischen und wieder in die Haut zu blasen, und dann noch einmal.
„Bereitet dir das etwa Freude?", fragte Agarmaethor resignierend.
„Dir doch auch! Du gibst es nur nicht zu!", erwiderte Legolas schmunzelnd. „Eine Kriegerin, die DAS nicht will, hätte sich anders zu Wehr gesetzt!"
Er begann ihren Bauch mit seinen Lippen zu kosen und fühlte zu seiner vollsten Genugtuung, wie sie ihre Hand ausstreckte und ihm dabei sanft durch das Haar strich.
„Legolas, du bist so ein Sonnenschein!", seufzte sie leise und ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht.
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Rufur und Haunar ergriffen vor den Grünaugen die Flucht. Sie trieben ihre Pferde an und holten das Letzte aus ihnen heraus, doch ihre Reittiere waren durch die lange Reise zu ermüdet, um die für ein erfolgreiches Entkommen erforderliche Geschwindigkeit längere Zeit aufrecht erhalten zu können. Es war ein Leichtes für die Grünaugen, die beiden Zwerge zu erreichen und zu umringen.
Ihr Anführer, ein im Vergleich zu den anderen Grünaugen deutlich breiter gebauter und grimmig dreinschauender Krieger mit einem wilden Bären auf seinem Brustharnisch, musterte sie lange. Sein eiskalter Blick schien sie dabei zu durchbohren und ließ keinen Zweifel offen, dass er sich den Kopf darüber zerbrach, wie er den Tod der zwei Zwerge am qualvollsten herbeiführen könne.
Rufur kannte ihn vom Hörensagen: Das war Ruhta, der ranghöchste Gefolgsmann des Herren der Grünaugen. Es hieß, er sei dumm, aber seinem Herren treu ergeben. Rufur hatte nie verstehen können, warum gerade Ruhta den Posten eines Anführers besetzte, aber vielleicht wollte sein Herr niemanden an seiner Seite haben, der unentwegt Fragen stellte oder kritisierte, so wie es Araf, der anhängliche Diener der Herrin der Grünaugen, tat.
Haunar und Rufur erduldeten die hasserfüllten Blicke mit stolz erhobenen Köpfen, denn Stolz war das Einzige, was sie mit in den Tod zu nehmen vermochten. Die Pferde und Waffen hatte man ihnen genommen, und ein Grünauge wetzte bereits sein Messer, um sich an ihrem Bart zu vergreifen.
Doch es bedurfte keiner Ringe der Macht, um zumindest vorübergehend am Leben zu bleiben. Dafür genügte die nackte Grausamkeit der Grünaugen.
Ruhta hatte mehrfach nachdenklich in den Osten geschaut, wo sich irgendwo, in weiter Ferne, das Rote Gebirge erhob – die Heimat der Zwerge und die der Grünaugen. Mit einer Handbewegung ordnete er etwas an, was die Zwerge zugleich überraschte und erschreckte. Man nahm ihnen die Stiefel, die Rüstungen und ihr Gepäck.
Barfuß und wehrlos sollten sie den Rest des Weges nach Hause gehen und dabei eine Strecke von etwa achthundert Meilen im tiefsten Winter überwinden.
Rufur und Haunar schwiegen dazu. Es hätte ihnen auch nichts genutzt sich zu beschweren oder sich zu wehren. Man hätte ihnen womöglich mit einem Messer die Fußsohlen eingeritzt oder noch Schlimmeres angetan, um ihr Fortkommen zu behindern.
So schnell wie die Grünaugen gekommen waren verschwanden sie auch wieder. Rufur und Haunar schauten ihnen stumm hinterher.
„Die Hochebene!", sagte Haunar hoffnungsvoll, als die Grünaugen sich außerhalb ihrer Sichtweite befanden.
„Selbst bis zu dieser müssen wir ganze dreihundert Meilen wandern", murmelte Rufur und begann auf der Stelle zu hüpfen, weil er bereits an den Füßen fror. „Aber ich frage mich, ob wir den Grünaugen nicht folgen sollten. Wäre es nicht interessant herauszufinden, warum sie auf diesen abgebrannten Wald zustreben?"
„Die Kälte hat wohl bereits deine Weisheit eingefroren!", knurrte Haunar. „Ich will leben! Wenn die Grünaugen schon vergessen haben, dass die Hochebene uns Schutz bieten könnte, dann will ich ihnen nicht noch hinterherlaufen um später entehrt zu werden!" Er strich liebevoll über seinen langen Bart.
„Vergessen? Sie haben die Hochebene nicht vergessen. Sie glauben nur nicht daran, dass wir sie jemals lebendig erreichen werden und denken, sie hätten uns einen qualvollen Tod beschert. Beweisen wir ihnen das Gegenteil!"
Rufur schob die Frage, was die Grünaugen in den Wald trieb, beiseite und schritt energisch voran.
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Als die Gemeinschaft den auf der Karte Vorondas eingezeichneten Wald erreichte, verschlug dieser ihnen vor Schreck den Atem. Er wirkte, als habe nur kurz zuvor ein Brand in ihm gewütet. Die Äste und Stämme waren verkohlt, ragten der Gemeinschaft tot entgegen und zerfielen bei der geringsten Berührung zu Asche. Nirgendwo gab es auch nur die Andeutung von Leben. Kein Vogel flog von Ast zu Ast, nicht einmal Spuren von Tieren waren zu entdecken.
Die Mitglieder der Gemeinschaft zögerten und begannen, den Besuch des Waldes erneut zu diskutieren, denn ohne Aussicht auf Wild gab es keinen überzeugenden Grund ihn zu betreten. Agarmaethor nahm an der Diskussion der anderen nicht teil. Langsam schlängelte sie sich zwischen einigen schwarzen Baumstämmen hindurch. Sie wusste nicht, wonach sie suchte, doch vom ersten Moment an, als sie den Wald betreten hatte, hatte sie das Gefühl willkommen zu sein.
Legolas rief sie, teilte ihr mit, dass die Gemeinschaft weiter reiten wolle, doch sie folgte seinem Ruf nicht. Fasziniert blieb sie vor einer hohlen und ausgebrannten Eiche stehen und berührte vorsichtig ihren Stamm. Der Baum stand in voller Blüte. Seine Kraft schien durch ihre Finger zu strömen, und mit einem Ruf voller Hoffnung und Liebe lockte er sie dazu, tiefer in den Wald zu gehen.
„Agarmaethor!" Die Stimmen der Elben hallten durch den Wald. „Komm zurück!"
„Ja, sofort!", flüsterte sie und war sich dessen gar nicht bewusst, dass die anderen sie nicht hören konnten.
Schritt für Schritt folgte sie dem Ruf der Bäume immer tiefer in den Wald hinein. Sie nahm nicht wahr, wie die anderen Mitglieder der Gemeinschaft ihr folgten, und sie schließlich einholten. Erst als Amlugûr ihre Hand berührte kam sie wieder zu sich und sah ihn mit einem warmen Lächeln an.
„Fühlst du nicht auch dieses Leben? Diese Freude? Hier! Überall!", fragte sie leise und deutete mit dem Finger auf eine verkohlte Tanne.
„Die spinnt!", knurrte Gimli.
Doch die anderen Elben schienen ebenfalls verzaubert zu sein. Um Gimli herum bekamen mit einem mal alle einen glänzenden und verträumten Blick.
„Der Wald lebt wirklich!", flüsterte Elladan und strich mit seinem Finger über den dünnen Ast einer verbrannten Birke, der aufgrund der Berührung abbrach und zu Boden fiel.
„Nicht doch!", jammerte Gimli. „Das könnt ihr mir nicht antun!" Er zerrte an Legolas' Tunika. „Du nicht auch, oder?", fragte er.
Legolas lächelte. „Gimli, mein Freund! Vertraue mir! Wir sind hier sehr gut aufgehoben!"
Er fasste ihn am Arm und zog ihn sanft mit sich. Gimli wusste sich nicht zu helfen, wollte weder zurückbleiben noch weiter vorangehen, doch Legolas schien sich so sicher zu sein, dass er sich entschloss ihm zu folgen – grimmig dreinschauend und seine Axt in den Händen haltend.
Trotz der am Zügel geführten Pferde kam die Gemeinschaft schnell voran, denn der Weg zwischen den Bäumen hindurch war einfach zu beschreiten. Nur Gimli stolperte auffällig oft, blieb ständig an Ästen hängen und in kleinen Erdlöchern stecken.
Zunächst schob er es darauf, dass er das Laufen im Wald nicht gewohnt war, dann schob er es auf seine schweren Stiefel und seine sperrige Rüstung, doch irgendwann waren die verfluchten Bäume schuld. Laut zeternd trat er wütend gegen den Stamm einer vollkommen verkohlten Linde und wurde nicht nur mit einem Regen aus Asche belohnt, sondern auch mit dem Peitschenhieb eines zurückschnellenden Astes, der ausnahmsweise nicht zu Staub zerfallen war.
Nach einigen Stunden veränderte sich der Wald. Ein Bach schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch und grenzte dabei das vom Feuer zerstörte Gebiet von einem angenehmen, satten Grün ab. Die Pflanzen wucherten in sommerlicher Pracht, verbreiteten einen frischen und belebenden Duft und verbargen Unmengen von umherflatternden Vögeln und summenden Insekten.
„Ich will da nicht rein!", brummte Gimli misstrauisch. „Das ist doch nicht normal!"
Legolas schmunzelte. „Gib zu, dass wir Recht hatten: Der Wald lebt!"
„Ja, aber was darin lebt und das hier verursacht, will ich nicht wissen!", murmelte Gimli unwillig und ließ sich von Legolas weiterziehen.
Gimlis Beschwerlichkeiten beim Durchwandern des Waldes verbesserten sich nicht. Im Gegenteil: Die wild wachsenden Ranken schienen ihn festhalten und die Äste und Zweige sämtlicher Sträucher ihn schlagen zu wollen. Selbst die herabfallenden Tannenzapfen trafen ausschließlich seinen Helm. Doch was ihn noch sehr viel mehr irritierte war das Gefühl, von duzenden Augenpaaren beobachtet zu werden. Allein die Tatsache, dass auch die Elben diesen Umstand wahrnahmen und ihre Pfeile und Bögen bereithielten, beruhigte ihn ein wenig.
Je tiefer sie in den Wald drangen, desto mehr Leben umgab die Mitglieder der Gemeinschaft. Im Geäst regte es sich. Dunkle Schatten huschten auf unsichtbaren Wegen von Baum zu Baum, waren jedoch so gut vom Laub verborgen, dass nicht einmal die Elben erkennen konnten, welcher Art die Geschöpfe waren. Ihre Rufe klangen in den Ohren der Gemeinschaft wie fremdartige Laute.
„Da seht ihr es!", flüsterte Gimli aufgeregt. „Wir hätten den Wald nicht betreten dürfen! Er ist böse!"
Er betonte das 'böse', als erzähle er einem Kind ein Märchen. Agarmaethor lächelte ihn mild an und flüsterte zurück:
„Der Wald ist gut, nur seine Bewohner möglicherweise nicht!"
Zuversichtlich ging sie voraus und suchte sich einen Weg durch hoch wachsende Farne. Der Rest der Gemeinschaft folgte ihr, doch nur wenige Schritte später stolperte Gimli erneut über ein Wurzel und prallte auf Elladan, der gerade dabei gewesen war, die Bewegung eines dunklen Schattens unmittelbar über der Gemeinschaft zu beobachten. Durch den Zusammenstoß löste sich ein Pfeil aus seinem gespannten Bogen und schoss senkrecht in die Höhe.
Ein Schrei ertönte, ein lautes Knacken im Geäst folgte. Alle schauten erschrocken nach oben und stoben auseinander, doch es war zu spät. Eine dunkel gekleidete Person stürzte vom Baum und riss Elladan mit sich zu Boden.
Amlugûr reagierte am schnellsten, indem er die Spitze seines Speers auf den Brustkorb der braunhaarigen Kreatur richtete, die ihn mit zornigen, grünen Augen anstarrte. Doch er hielt vor Verwunderung inne und beendete seinen tödlichen Stoß nicht.
Die Bewegungen und Rufe der anderen Schatten in den Bäumen waren verstummt und es schien, als würden alle in den Bäumen den weiteren Verlauf des Geschehens aufmerksam beobachten.
„Ein noch nicht ganz fertig entwickeltes Ork-Elbenmädchen?", fragte Gimli ungläubig und durchbrach damit die beinahe erdrückende Stille.
Die Frau rührte sich nicht. Sie starrte Gimli nur mit blitzenden Augen an und presste ihre rechte Hand auf die Verletzung am linken Oberarm um die Blutung zu stoppen, doch ihre Kleidung weichte immer mehr ein und färbte sich rot. Elladan rappelte sich vom Boden auf und untersuchte ihre Verletzung. Sie zuckte, als wolle sie ihn treten, doch der Speer Amlugûrs hielt sie davon ab.
„Avari", sagte Agarmaethor plötzlich leise.
„Wie bitte?", hakte Gimli erstaunt nach.
„Avari sind die Elben, die der Einladung der Valar, zu ihnen nach Valinor zu reisen, nicht gefolgt und im Osten Mittelerdes zurück geblieben sind", erklärte Elladan und schob mit dem Arm den Speer Amlugûrs weg, um die Wunde am Arm der Elbenfrau zu versorgen.
Deren verkrampfte Haltung schwand. Sie begann jede einzelne um sie herumstehende Person genaustens zu mustern. Ihr Blick blieb an Agarmaethor hängen.
„Warum starrt sie so?", fragte Aneru vorsichtig.
„Vielleicht, weil wir alle reden, als wäre sie nicht da?", erwiderte Rochdil ebenso vorsichtig.
„Vielleicht haben auch einfach Frauen hier das Sagen und sie erwartet von Agarmaethor eine Reaktion!", warf Talfbenn ein und äugte zu Agarmaethor.
„Meint ihr?" Agarmaethor grinste und fuhr dann die Elben plötzlich in einem lauten und befehlsgewohntem Ton an: „Alle zurück!"
Die Elben zuckten erschrocken zusammen, folgten der Aufforderung blitzartig, indem sie den Kreis um die Elbenfrau vergrößerten, und kamen sich dabei vor wie während ihrer Ausbildung. Auch die Elbenfrau schaute verwirrt zu Agarmaethor.
Agarmaethor zwinkerte ihr zu, reichte ihr die Hand und half ihr auf die Beine. Dann zeigte sie mit dem Finger kurz auf die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft und stellte sie vor. Nur ihren eigenen Namen behielt sie für sich. Zum ersten Mal seit sie ihn angelegt hatte, fühlte sie sich richtig unwohl mit ihm.
Die Elbenfrau deutete mit dem Finger auf sich und murmelte verlegen: „Anara°." Doch dann plapperte sie plötzlich wild drauflos, fuchtelte mit Händen und Füßen herum und versuchte durch Mimik und Gestik irgendetwas mitzuteilen.
„Quenya oder zumindest etwas ähnliches!", murmelte Elrohir verbittert. „Und diese schöne Sprache ist verboten!"
„Sie hat gesagt, wir mögen hier bitte auf sie warten – ein bis zwei Stunden lang. Sie würde jemanden aus ihrem Clan um Rat fragen und wiederkommen", erklärte Agarmaethor schlicht.
Alle sahen sie erstaunt an. Auch Amlugûr. „Du beherrschst Quenya?", fragte er verwirrt.
„Ich spreche kein Wort", erwiderte Agarmaethor abwehrend. „Ich habe es mir nur ein wenig aus dem zusammen gereimt, was ich glaube verstanden zu haben. Ihr müsst nur genau zuhören!"
Elladan nickte bestätigend. „Ich würde es vergleichbar übersetzen. Viele Worte sind sich ähnlich und werden nur unterschiedlich ausgesprochen, und einige Begriffe kenne ich noch aus alten Liedern."
„Dann lassen wir sie jetzt gehen?", fragte Amlugûr ungläubig. „Sie könnte uns sämtliche Avari auf den Hals hetzen! Derzeit ist sie eine gute Geisel!"
„Seit wann machen Elben Gefangene?" erwiderte Elladan ernst und sah Anara direkt in die grün leuchtenden Augen. „Und außerdem glaube ich, dass sie keine Hinterlist kennt."
Zum Missfallen Amlugûrs öffnete er den Kreis und ließ sie gehen. Anara schaute noch einmal kurz zurück und verschwand dann im Dickicht des Waldes.
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Odan und seine Gefährten eilten auf ihren frischen Pferden weiter gen Osten. Sie hatten sich den Umweg zum Sumpf erspart und steuerten direkt auf das nächste von Bizar-kûn vorhergesehene Ziel der Dunkelhaarigen zu – eine Hochebene.
Sollte sie im Morast umgekommen sein, dann schadete die Eile nicht, sollte sie jedoch noch leben, dann tat Eile Not. Aber eigentlich glaubte Odan nicht daran, dass die Dunkelhaarige im Sumpf versunken war. Er hielt sie für gerissen, und sie hatte Elben an ihrer Seite, die sie manipulieren konnte... oder vielleicht auch nicht?
Seit Songel ihm von den Geschehnissen in der Siedlung erzählt hatte, nagten in Odan Zweifel an Bizar-kûns Darstellung der Dinge.
Warum genau kam die Dunkelhaarige in den Osten? Was genau hatte sie denn vor, dass ihr Tod so wichtig war? Mit welchen Mitteln wollte sie vorgehen? Warum reiste sie mit Elben? Er glaubte Bizar-kûn, dass sie eine Gefahr für Mittelerde darstellte, aber weshalb? Wie? Und warum begleiteten die Elben sie, obwohl sie ihr womöglich misstrauten?
Er hasste es, sich kein klares Bild machen zu können, weil man ihm wichtige Informationen verweigerte, und hielt die Angewohnheit, Krieger für Ziele kämpfen zu lassen, die sie angeblich nicht verstanden, untypisch für Zwerge.
Aber Bizar-kûn war auch kein Zwerg. Seit nunmehr zweitausend Jahren stand er den ständig wechselnden vier Königen zur Seite und half ihnen mit Rat und Tat so gut er konnte. Er war es gewesen, der die Zwergenvölker der Ostens vereint und gestärkt hatte – lange nachdem Thuringwethil und ihr menschliches Gefolge unter den Zwergen gemordet hatten und kurz bevor die Grünaugen in Erscheinung getreten waren, um die Menschen im Dienste Thuringwethils zu ersetzen.
Thuringwethil! Wie oft hatte er als Kind ihren Namen wiederholen müssen, um sich bereits im zarten Alter von fünf Jahren bewusst zu machen, wer die Person war, die den Zwergenvölkern zunächst Wohlstand und Reichtum und später den Tod gebracht hatte - und alles wegen der Ringe der Macht!
Odan kannte die Geschichte der Ringe nur aus Erzählungen seiner Eltern und Großeltern und auch aus einigen wenigen Aufzeichnungen. Seine Kenntnisse unterschieden sich kaum von denen Rufurs oder Haunars, doch im Gegensatz zu ihnen trauerte er den Ringen nicht hinterher, denn er zog aus seinem Wissen andere Schlussfolgerungen.
So hatten die Ringe den Zwergen zwar ohne Zweifel Wohlstand gebracht, aber sie hatten auch ihre Gier geweckt – ihre Gier nach großen Schätzen und seltenen Kostbarkeiten.
Odan war überzeugt davon, dass diese Eigenschaft schon immer charakteristisch für Zwerge gewesen war, doch die von den Ringen hervorgerufene Habsucht war übersteigert gewesen. Gewissenlos hatten die damaligen Könige alles gehortet, was sie nur hatten finden können und waren unfähig gewesen zu teilen. Misstrauen und Neid hatten sie beherrscht, und schließlich hatte jeder von ihnen mit Hilfe seines Volkes die Schwächen der anderen schamlos für sich ausgenutzt, um die eigenen Schatzkammern schneller füllen zu können.
Bizar-kûn hatte dieses Verhalten immer mit der fehlgeschlagenen Wirkung der Ringe der Macht entschuldigt, denn obwohl Saurons Plan, den Willen der Zwergenkönige mit Hilfe der Ringe zu brechen, an deren Sturheit und Starrköpfigkeit gescheitert war, so wären die Herrscher doch nicht restlos unbeeinflusst gewesen.
Odans Meinung dazu wich von Bizar-kûns ab. Nach reiflicher Überlegung war er zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Gier mit Durst und die Wirkung der Ringe mit gesüßtem Wasser vergleichen ließen.
Das gesüßte Wasser vermochte den Durst nicht zu löschen – im Gegenteil: Der Durst wurde angeregt und das Bedürfnis nach süßem Wasser wuchs. Mit den Ringen der Macht hatte es sich nicht anders verhalten. Sie hatten die ohnehin bereits vorhandene Gier nicht stillen können, denn die Aussicht, mit ihrer Hilfe an noch mehr Gold, Juwelen und andere Kostbarkeiten zu gelangen, hatte das Begehren der Zwerge gesteigert.
Das alles hatte Odans Auffassung nach nichts mit dem dunklen Einfluss Saurons zu tun. Es lag in der Natur der Dinge, dass man mehr von dem haben wollte, was einem schmeckte oder gefiel. Die Ringe waren hilfreich gewesen, doch ihre Verwendung hatte dazu geführt, dass es weniger Mühe bedurft hatte, die begehrten Bodenschätze abzubauen, sodass ihr Wert gefallen und die Gier nicht mehr ausreichend befriedigt worden war.
Odan wusste nicht, ob jemand seine Ansichten teilte. Er redete selten darüber, was er sich zu bestimmten Problemen und Fragen überlegt hatte. Die Furcht verlacht zu werden oder gar gesagt zu bekommen, wie einfältig die eigenen Gedanken waren saß tief. Er wusste auch ohne den Hinweis anderer, dass er nur ein einfacher Krieger war, nicht dumm, aber trotzdem nur ein Krieger und kein Gelehrter.
Trotzdem zerbrach er sich den Kopf – einfach aus Freude am Grübeln. Doch er behielt seine Überlegungen für sich und fühlte sich mit dieser Handlungsweise nicht allein.
Ganz selten glaubte Odan nämlich in Bizar-kûns Augen lesen zu können, dass auch er nicht immer das sagte, was er dachte. Odan war überzeugt davon, dass er als Berater mit nur geringer Entscheidungsgewalt um seinen Einfluss bei den Königen fürchtete, denn nicht jeder von ihnen konnte mit Kritik umgehen.
Was wäre, wenn die Könige nicht mehr hören wollten, was er zu sagen hatte, weil es ihnen nicht gefiel? Was wäre, wenn sie dann auf seinen Rat und Beistand verzichten würden und nach eigenem Gutdünken handelten?
Aus Sicht Bizar-kûns mochte es richtig sein, den Königen nicht jeden seiner Gedanken zu offenbaren, und vielleicht war es manchmal sogar gut, die Wahrheit ein wenig zu verdrehen, um einen Bruch im geeinten Zwergenreich zu vermeiden.
Odan stutzte bei diesem Gedanken, und wieder begannen sich in ihm Zweifel zu regen.
Was wäre, wenn Bizar-kûn die Wahrheit über die Dunkelhaarige verdreht hatte, weil die Umsetzung seiner hochgesteckten und ehrenhaften Pläne zur Rettung Mittelerdes mit der Wahrheit scheitern würden?
Er schluckte. Würde es etwas daran ändern, dass sie sterben musste? Oder würde das nur sein Gewissen belasten... NUR sein Gewissen?
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Geschlagene zwei Stunden warteten die fünfzehn Gefährten auf die Rückkehr Anaras, und die gesamte Zeit über fühlten sie sich beobachtet. Dutzende Avari schienen unsichtbar in den Kronen der Bäume zu hocken und jede ihrer Bewegungen zu verfolgen.
Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen, als Anara zurückkehrte und sie mit einem freundlichen Lächeln aufforderte ihr zu folgen. Sie führte die Gemeinschaft noch eine weitere Stunde durch den Wald, bis sie eine dornige und hohe Hecke erreichten, deren Zweige und Blätter so dicht wuchsen, dass kein Blick sie zu durchdringen vermochte.
Anara flüsterte einige Worte, und ein Teil der Hecke öffnete sich zu einem Tor – groß genug, dass die Mitglieder der Gemeinschaft einzeln hindurchgehen konnten. Anara bat sie mit einer Handbewegung, die Pferde zurückzulassen und ging voran.
Erstaunen erfasste Gimli und die Elben als sie gewahr wurden, was die Hecke vor ungewollten Blicken verbarg. Sie hatten erwartet eine Siedlung oder Stadt der Avari vorzufinden, doch tatsächlich eröffnete sich vor ihnen eine große Hügellandschaft mit vielen Blumen, Gräsern und kleinen Ziergewächsen.
Ein angenehm warmer Wind strich über ihre Haut und trug den Duft unzähliger Blüten mit sich, den sie vor der Hecke noch nicht wahrgenommen hatten, vielleicht sogar auch gar nicht hatten wahrnehmen können. Doch trotz des warmen Windes schienen in der Hügellandschaft alle Jahreszeiten gleichzeitig zu herrschen. An einigen Stellen hatten Sträucher und kleine Bäume ihr Laub verloren und standen in winterlichem weiß, an anderen blühten sie wie im Frühling oder sie grünten und trugen Früchte.
Anara ließ der Gemeinschaft einen kurzen Moment Zeit sich die Umgebung anzuschauen, winkte dann jedoch erneut und ging weiter voran. Noch immer staunend folgte die Gemeinschaft ihr eine weitere Stunde über die Hügel, vorbei an Obstbäumen und Sträuchern mit reifen Beeren bis hin zu einem großen See, dessen Ufer aus weißem Sand bestand und welcher nahtlos in eine grüne Grasfläche überging.
„Das ist... traumhaft!", flüsterte Elladan und sprach damit die ersten Worte seit die Gemeinschaft die Hecke durchdrungen hatten.
Anara schaute sich zu ihm um, schmunzelte und begann wieder hastig und aufgeregt etwas zu erzählen, was Elladan und Agarmaethor als Aufforderung verstanden, sich hier nieder zu lassen und zu warten, bis sie wiederkommen würde.
Erneut verschwand sie zwischen den Hügeln und kehrte nur kurze Zeit später wieder. In ihren Armen trug sie einen großen Korb mit reifen Früchten, den sie mit einem einladenden Lächeln vor der Gemeinschaft abstellte.
Die Elben zögerten nicht lange, und selbst Gimli konnte dem Duft von frischem Obst nicht widerstehen. Die Ebene hatte ihnen nicht viel Nahrung bieten können und süße Früchte hatten sich nicht unter dem Wenigen befunden.
Anara hockte sich ins Gras und beobachtete, wie die Gemeinschaft den Korb leerte. So, wie sie im Gras saß, mit ihren grünen, weit geöffneten Augen alle anderen neugierig musterte und dabei beinahe kindlich lächelte, konnte ihr niemand mehr etwas Böses unterstellen. Auch Gimli und Amlugûr verloren jegliches Misstrauen und lächelten sie einnehmend an.
Als die Sonne untergegangen und der Korb vollständig geleert war, erhob sich Anara wieder. Bittend und eindringlich redete sie auf die Gemeinschaft ein, wandte sich dabei insbesondere an Elladan, von dem sie vermutete, er verstehe sie am besten, und deutete sie mit dem Finger immer wieder über die Ebene.
„Sie will, dass wir hier warten – fünf oder sechs Tage lang", sagte Agarmaethor leise.
Sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, sich an einem Ort länger als nötig aufhalten zu müssen. Die Visionen würden ihr keine Zeit lassen sich zu erholen – so schön es hier auch war. Legolas griff nach ihrer Hand und drückte sie aufmunternd.
„Was ist stärker? Deine Furcht vor neuen Visionen oder deine Neugier, was sich hinter all dem hier verbirgt?", fragte er schmunzelnd.
Agarmaethor lächelte etwas hilflos, nickte Anara bestätigend zu und brachte damit ihr Gesicht zum strahlen, sodass sie ihrem sonnigen Namen alle Ehre machte. Aufgeregt sprang sie von einem Bein zum anderen, deutete mit ihrer Hand auf eine kleine Senke und begann erneut wild drauflos zu reden.
„Sie sagt, die Senke sei weich und warm", erklärte Elladan. „Wir könnten dort schlafen, wenn wir wollen – oder hier am Ufer des Sees. Sie sagt, sie bringe uns ausreichend zu essen und zu trinken und die Pferde seien ebenfalls versorgt, weshalb es nicht nötig sei, diesen Ort zu verlassen."
Anara sah die Gemeinschaft erneut bittend an, und als ihr Elladan versprach, alle würden sich nur am Ufer des Sees aufhalten, erstrahlte sie erneut, packte den leeren Korb und rannte abschiedlos davon. Elladan sah ihr nur hinterher.
„Sie ist blutjung, Bruder... und bezaubernd, nicht wahr?", fragte Elrohir grinsend und folgte dem Blick Elladans. „... und ungebunden!"
Elladan lächelte verlegen, antwortete ihm jedoch nicht und richtete nur schweigend sein Lager in der kleinen Senke unmittelbar neben einer hoch gewachsenen Rosenhecke ein. Die anderen folgten seinem Beispiel.
Anara hielt Wort. Bereits vor Sonnenaufgang stand sie erneut mit einem Korb Obst und Brot und einem großen Krug Fruchtsaft am Ufer des Sees und wartete geduldig, bis alle erwacht waren. Wieder plapperte sie wild drauflos und erklärte kurz, dass es kein Fleisch gäbe. Fleisch wäre rar in den Wäldern, aber niemand würde hungern müssen. Sie reichte Elladan mit einem Lächeln einen Apfel und setzte sich unaufgefordert zu ihm neben die Rosenhecke.
Agarmaethor bemerkte das heimliche Grinsen der anderen – sie selbst jedoch konnte über die offene und ungehemmte Art Anaras nur staunen und empfand einen kleinen, inneren Stich, weil sie die junge Elbenfrau um ihre direkte Art beneidete.
Unauffällig beobachtete sie die beiden dabei, wie sie sich ausgelassen mit Händen und Füßen unterhielten, lachten und herumalberten. Sie sah, wie Elladan von der Rosenhecke eine kleine Blüte abbrechen wollte und Anara ihn davon abhielt, indem sie ihn sanft an seinen Händen festhielt und diese viel zu lange in ihren eigenen behielt. Und sie sah, dass es Elladan gefiel, weil er nicht eine Sekunde lang auch nur darüber nachzudenken schien, ihr seine Finger wieder zu entziehen.
Agarmaethor erinnerte sich daran, wie schwer es ihr gefallen war, Legolas am Meer von Rhûn auf dieselbe Art zu berühren. Es hatte nicht an ihm gelegen, dass sie sich dazu hatte überwinden müssen. Es lag auch heute nicht an ihm, dass sie ihn nicht küssen oder streicheln konnte wie er sie. Und dabei hätte sie ihm so gerne gezeigt, wie sehr sie ihn mochte, wie viel ihr an ihm lag und wie wichtig er ihr war – aber sie konnte ja noch nicht einmal aussprechen, warum sie solche Angst hatte... vor ihm.
Gequält wandte sie sich von Elladan und Anara ab und prallte dabei an Amlugûr. Sie hatte seine Anwesenheit gar nicht merkt und schaute ihn überrascht an.
„Denk nicht einmal daran!", flüsterte er warnend. „Sieh nicht zu den beiden hin und denk nicht einmal daran etwas zu tun, wozu du noch nicht bereit bist!" Er nährte sein Gesicht ihrem und sah ihr ernst in die Augen. „Legolas ist dir sicher. Er mag dich und er weiß, dass du ihn magst. Du musst nichts tun, nur um ihn zu halten oder deine Zuneigung zu beweisen."
Agarmaethor unterbrach den Blickkontakt und schaute betroffen zu Boden. „Ich werde nicht mehr zu ihnen hinsehen!", murmelte sie und eilte fort.
Sie mied Anaras Anblick tatsächlich fünf Tage lang, doch am Morgen des sechsten Tages erschien Anara in Begleitung und zog damit alle Blicke auf sich – auch die Agarmaethors.
Die Überraschung verschlug den Mitgliedern der Gemeinschaft die Sprache. Schweigend starrten sie auf Anaras Gefährtin, die neben der Rosenhecke stehen blieb und ruhig Gimli und die Elben musterte, vor allem Agarmaethor. Sie konnte ihren Blick gar nicht mehr lösen, schien jedoch ebenso sprachlos zu sein wie die Mitglieder der Gemeinschaft. Sekunden vergingen, die allen wie Minuten erschienen.
„Ich bin kein kleiner Ork!", stotterte Gimli plötzlich nervös los und durchbrach damit die lähmende Stille.
„Nein, du bist ein Zwerg! Weißt du das denn nicht?", erwiderte ihm eine tiefe, weibliche Stimme, die jedoch nicht von Anaras Begleitung stammte. „Wärst du ein Ork, hättest du die Wanderung durch unseren Wald nicht überlebt."
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° Anara Die Sonne
A/N Ich weiß. Das ist ein böser Cliffie am Ende. Vielleicht habt ihr ja Lust wild herum zu raten, auf wen sie da getroffen sind. ;) So ganz hinweislos war mein Text nicht. ;)
