Hallo, liebe Zwergenfreunde!

Der Urlaub hat mir richtig gut getan! Ich bin jetzt krank. (grins) Aber davon einmal abgesehen, hat er mir richtig gut getan. Ich danke euch für eure Geduld beim Warten auf das neue Kapitel.

Viel Spaß beim Lesen

Euer Kampfzwerg

Für Melethil: Ich danke dir GANZ DOLL für deine lieben Neujahrsgrüße und hoffe, du hattest auch einen guten Rutsch ins neue Jahr. Ich fands richtig lieb, dass du mir dafür sogar ein Re postest. (°knuddel°). Ich freue mich, dass du weiterliest und es dir gut gefällt (und hoffe, du bist mir wegen dieses Kaps hier nicht böse) (°sich fürchtet°) Aber vertrau mir. Es wird alles gut. °zwinker°

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Komplikationen

Die Ork-Elben wurden in weniger als zwei Tagen erwartet, und es bedurfte noch vieler Vorbereitungen, um überhaupt begründete Hoffnung zu haben, ihnen siegreich begegnen zu können. Fallen mussten gebaut, Bogenschützen strategisch sinnvoll und verborgen platziert und Waldwege geebnet werden, um ein schnelles Vorankommen der Krieger zu gewährleisten.

Die hitzigen Diskussionen um das genaue Vorgehen im Kampf gegen die Ork-Elben nahm die gesamte Nacht in Anspruch, doch als der Morgen graute, wurden sich alle Anwesenden einig und konnten sich schließlich zur Ruhe begeben, um Kraft für die anstehenden Kämpfe zu sammeln.

So kam es, dass Agarmaethor bei ihrer Rückkehr zum Lager beinahe alle tief und fest schlafend vorfand.

Nur Legolas fehlte, und Elladan stand abseits des Lagers in der Nähe eines großen Gebüsches und starrte abwesend auf die aufgehende Sonne. Besorgt über seinen traurigen Gesichtsausdruck näherte sich Agarmaethor ihm und sah ihn fragend an.

„Legolas ist nur in den Gärten unterwegs", murmelte Elladan.

„Ich wollte nicht nach ihm fragen, ich komme wegen dir", erwiderte Agarmaethor weich.

Überrascht darüber, dass sie sich um ihn sorgte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf Agarmaethor und sah sie dankbar an.

„Ich... Anara...", begann er nervös. „Sie war gerade hier und wir haben... gestritten. Sie will mit mir in den Westen Mittelerdes reisen", er schluckte, „und unter normalen Umständen würde mich nichts glücklicher machen, als mein Leben mit ihr zu verbringen - auch wenn Amlugûrs schmerzhafter und leider nicht ganz unzutreffender Hinweis auf eine mögliche, in ihr schlummernde Vergiftung wohl bedeuten wird, dass wir beide nie Kinder haben werden... sofern uns niemand helfen kann. Nur..." Verlegen schaute er auf seine Fußspitzen. „Anara will Mittelerde nicht verlassen – komme was wolle. Und sie ist sich absolut sicher. Sie ist Avari und will eine Widerstrebende bleiben."

Agarmaethor sah ihn traurig an. „Kannst du sie nicht einmal mit dem Gedanken locken, dass die Valar etwas gegen die Vergiftung unternehmen könnten?"

„Sie sagt, die Valar hätten die Avari im Stich gelassen, seit sie sich ihnen vor vielen tausend Jahren einmal verweigerten. Und nun würde sie nicht vor ihnen kriechen und ihren Prinzipien untreu werden, nur um daraus einen Vorteil für sich zu ziehen, den sie nicht bräuchte, um glücklich zu sein", erklärte Elladan.

Agarmaethor sah ihn überrascht an, doch bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Elladan bereits fort:

„In gewisser Weise kann ich ihren Standpunkt nachvollziehen, aber... würde ich mich binden, dann würde ich mich verpflichten, bei ihr zu bleiben. Ich könnte es ihr nicht antun, mit dem letzten Schiff nach Valinor zu reisen und sie zurückzulassen... ohne Kinder und ohne meine Liebe. Das würde ich nicht ertragen und bis zum Ende Ardas darunter leiden. Also müsste ich in Mittelerde bleiben und... dort würde ich sterben..."

„Sterben?", fragte Agarmaethor entsetzt.

„Ja, sterben. Um unsterblich zu bleiben, müsste ich meinem Vater nach Valinor folgen. Es ist schwer zu erklären, doch mit meiner Entscheidung für die Unsterblichkeit entscheide ich mich dafür, meine Seele in Valinor auf das Ende Ardas warten zu lassen, sollte ich doch einmal sterben. Entscheide ich mich für die Sterblichkeit, dann lehne ich diesen Aufenthalt ab, denn meine Seele würde mit denen der Menschen in unbekannte Gefilde reisen."

„Das ist dein Wahlrecht, ja." Agarmaethor verstand das Problem noch nicht.

Elladan sah sie ernst an: „Ich darf keine Mischform wählen. Würde ich in Mittelerde zurückbleiben, wenn das letzte Schiff abgereist ist, dann würde ich meinen lebenden Körper Valinor verweigern, um dann doch im Tod dorthin reisen können. Ebenso darf ich nicht nach Valinor reisen, um dort den menschlichen Tod zu erleiden."

Agarmaethors Augen weiteten sich. „Also wenn du mit Anara zusammen in Mittelerde bleibst, dann erhältst du spätestens, wenn das letzte Schiff Mittelerde verlässt, die menschliche Sterblichkeit?"

„Ja. Und das bedeutet, dass eine Bindung mit ihr – gleichgültig, ob ich mich für Sterblichkeit oder Unsterblichkeit entscheide – endlich wäre. Sie würde, wenn sie hier in Mittelerde zurückbleibt und nicht nach Valinor reist, irgendwann einsam sein. Ohne mich. Und das ist es, was mich so sehr bedrückt. Ich kann ihr das nicht antun und habe ihr deshalb versucht zu erklären, warum ich nicht will, dass sie mit mir nach Imladris reist... Es tut mir so unendlich leid, ihr überhaupt Hoffnungen gemacht zu haben... mir überhaupt Hoffnungen gemacht zu haben... das überhaupt begonnen zu haben."

Agarmaethor verstand. „Und wenn du mit deiner Bindung darauf wartest, ob sie sich doch noch anders entscheidet, dann würde es für sie so sein, als hinge deine Wahl für sie von ihrer Wahl für Valinor ab und nicht von deinen Gefühlen, nicht wahr?"

„Oh Elbereth, ich bin so froh, dass du das verstanden hast. Ich habe alles versucht, um es Anara zu erklären, aber sie begreift es nicht. Sie will unbedingt mit mir reisen! Und sie will die Bindung!"

Agarmaethor sah Elladan verwirrt an. „Was genau begreift sie nicht? Versteht sie nicht, warum du sterben wirst, wenn du bei ihr bleibst und sie deshalb irgendwann einmal alleine sein würde? Oder versteht sie nicht, warum du ihr freiwilliges Opfer der Einsamkeit nicht annehmen willst, welches sie dir so gerne erbringen würde?"

Elladan stutzte. Während seines Streits mit Anara hatte er ihr immer weniger zugehört, doch je länger er über Agarmaethors Fragen nachdachte, desto deutlicher wurde ihm, dass Anara sehr wohl verstanden hatte. Und sie hatte sich entschieden. Für ihn.

„Danke!", flüsterte er Agarmaethor zu. „Vielen Dank dafür, dass du zugehört hast!"

„Und was willst du tun?" Agarmaethor kannte die Antwort bereits, bevor sie die Frage zu Ende ausgesprochen hatte.

„Lieben!", flüsterte er mit lebendig funkelnden Augen, erhob sich und eilte in die aufgehende Sonne.

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Als sich Legolas dem Lager der Gemeinschaft näherte, sah er gerade noch, wie Elladan sich mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen von Agarmaethor entfernte. Agarmaethor lächelte ebenfalls, doch eine gewisse Wehmut zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.

„Was ist denn geschehen?", fragte Legolas, umschlang ihren Körper mit seinen Armen und schmiegte sich an sie. „Warum ist Elladan so aufgeregt?"

„Er liebt, und er ist bereit für seine Liebe zu sterben!", erwiderte Agarmaethor leise und sah Elladan hinterher.

„Das würde ich auch tun", hauchte ihr Legolas ins Ohr.

Agarmaethor erstarrte einen kurzen Moment lang, doch dann drehte sie sich langsam zu ihm um, berührte mit ihren Lippen seinen Mund und verharrte dort bewegungslos bis Legolas ihre unbeholfene und doch so liebevolle Geste in einen Kuss verwandelte.

Berauscht durch die neu erfahrene Nähe wurde Legolas begieriger und bemerkte dabei nicht, wie sich Agarmaethor immer mehr widersetzte. Erst als er einen heftigen Tritt gegen das Schienbein verspürte, löste er sich von ihren Lippen und strauchelte einige Schritte rückwärts.

Verwirrt schaute er sie an, doch seine Verwirrung verwandelte sich in einen Schock, als er ihr leichenblasses Gesicht erblickte, welchem nicht einmal ihre in diesem Moment besonders intensiv funkelnden, silbernen Haarsträhnen etwas gesunde Farbe zu schenken vermochten.

„Geh!... Geh bitte!... Jetzt!", presste sie gequält hervor.

Besorgt ging Legolas auf sie zu und wollte sie beruhigen, doch sie stieß ihn grob weg.

„Hast... Hast du nicht... gehört?... Sofort!"

Ihr letztes Wort hallte über die morgendliche Hügellandschaft. Erschrocken wich Legolas einige Schritte zurück und schaute zu den erwachenden Mitgliedern der Gemeinschaft. In diesem Moment vernahmen seine Ohren, wie Agarmaethor sich erbrach. Bestürzt wandte er sich ihr wieder zu, aber noch bevor er etwas sagen oder tun konnte, verschwand Agarmaethor im angrenzenden Gebüsch.

Fassungslos schaute Legolas in die ratlosen Gesichter seiner Gefährten.

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Tagtäglich hetzte Alatar seine beiden Gefährten an der Küste des Meeres entlang. Sein Ziel waren die Wälder im Norden, wo er Elben zu finden hoffte.

Seit beinahe fünf Jahren bereiste er nun mit Pallando den Osten, und seine Hoffnung auf Unterstützung im Kampf gegen Sauron war vor allem in den letzten Monaten von Tag zu Tag gesunken.

So tief Alatars Enttäuschung über die östliche Bevölkerung Mittelerdes war, so hoch waren auch seine Erwartungen in die Avari. Morgoth selbst hatte die Elben Jahrhunderte lang verführt, gehetzt und gejagt, gemordet, entführt und misshandelt. Damit glaubte Alatar in ihnen nahezu ideale Mitstreiter im gemeinsamen Kampf gegen Sauron zu sehen, und er selbst würde die schnellen, lautlosen, klugen und sowohl kriegerischen als auch künstlerischen Elben anführen und leiten.

Schnell und lautlos waren die Avari tatsächlich. Wie Schatten folgten sie den drei Wanderern von dem Moment an, als diese ihre ersten Schritte in den Wald gesetzt hatten. Alatar fühlte ihre Blicke, glaubte, ihre Bewegungen im hohen Geäst der Bäume wahrzunehmen, doch er bekam sie nicht zu Gesicht.

Als Alatar, Lútholwen und Pallando schließlich einen kleinen Tümpel im Inneren des Waldes erreichten, überbrachte ein surrender Pfeil das Verbot, auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Nicht mehr als ein Finger breit Gras befand zwischen den Füßen Alatars und dem Pfeil im Erdboden.

„Wir sind Freunde und wollen nur reden!", rief Alatar in Quenya. „Mein Name ist Alatar. Ich bin kein Mensch! Ich bin ein Maia und komme als Botschafter der Valar!"

Bedrückende Stille legte sich über den Wald. Es schien, als habe die Ansprache Alatars sogar den Vögeln das Zwitschern verschlagen, doch dann raschelte Laub und ein Elb trat aus einem Gebüsch. Fein gearbeitete Lederkleidung bedeckte seinen schlanken Körper. Braune Haare umrandeten sein fein geschnittenes Gesicht und leuchtend grüne Augen schauten ernst und stolz auf die drei Reisenden.

„Und welche Botschaft überbringst du?", fragte er kühl und distanziert.

Alatar ärgerte sich. Nicht nur, dass dieser Elb ihn mit 'du' ansprach, er schien es auch nicht einmal für nötig zu halten sich vorzustellen, geschweige denn Gastfreundschaft anzubieten. Doch er unterdrückte seine Empörung über diese Unhöflichkeiten. Ruhig und in knappen, klaren Sätzen berichtete er von Sauron, dessen Niedergang sowie von der Gefahr seiner erneuten Erstarkung.

Der Elb hörte ihm aufmerksam zu, doch die gesamte Zeit über blieb er vor Alatar stehen und zwang damit auch diesen, sich nicht hinzusetzen oder gar etwas zu trinken. Als Alatar geendet hatte, runzelte er die Stirn und musterte die drei Ankömmlinge lange und eindringlich.

„War das die Botschaft der Valar? Uns dies zu erzählen? Wozu?", fragte der Elb misstrauisch.

„Sauron wird kommen. Er wird hierher kommen oder zumindest Helfer schicken, die großes Übel bringen werden, und wir sind hier, um Euch zu helfen, ihn und seine Schergen zu besiegen", erklärte Alatar beinahe feierlich.

Pallando schüttelte über Alatars Erklärung missmutig den Kopf und wollte etwas hinzufügen.

„Ich schaffe das alleine!", herrschte Alatar ihn jedoch an und wandte sich erneut dem Elben zu. „Sauron wird ganz Mittelerde bedrohen. Er wird den Himmel verdunkeln, sodass das Laub von den Bäumen fällt. Er wird Kreaturen schaffen, deren Atem so bestialisch riecht, dass keine Blüte oder Blume dem standhalten kann, und er wird alles töten, was sich ihm nicht unterwirft. Und ihr Elben wollt ihm euch doch nicht unterwerfen, nicht wahr?"

Der Elb zog stolz die Augenbrauen hoch. „Wir unterwerfen uns nichts und niemandem – vor allem nicht einem Maia oder gar Vala. Und wir planen nicht, dieses zu ändern! Seit vielen tausend Jahren leben wir für uns, kämpfen wir für uns ... und kommen sehr gut zurecht! Nie hatten wir die Hilfe derer nötig, die uns Elben belogen und betrogen haben! Warum sollte sich dies jetzt ändern? Ich vermute nur einen erneuten Betrug!"

Alatars war verwirrt. „Betrug?"

Der Elb näherte sich Alatar und sah ihn eisig an. „War es nicht ein Vala, der einst die Elben verführte, raubte und misshandelte?"

„Morgoth, aber..."

„Es war ein Reiter mit einem Jagdhorn. In unseren alten Liedern und Gedichten heißt es, der Jäger sei mit seinem wilden Ross unterwegs gewesen und habe uns Elben verschlungen. Doch als sie sich zur Wehr setzten, kam er offen und bei Tageslicht. Er blendete viele von uns mit seiner Schönheit und verführte sie dann, indem er ihnen von einer besseren Welt erzählte – Valinor genannt. Und schließlich lud sie zu sich ein, zu sich und anderen seiner Art. Die Einfältigen unter uns folgten ihm, auf dass wir nie wieder etwas von ihnen hörten." Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit. „Das ist es, was ich Betrug nenne!"

Erneut bemerkte Alatar, wie Pallando sich einmischen wollte, doch sein Unmut und sein Stolz verboten ihm, Pallando die Verhandlungen zu überlassen. Mit einem kalten und befehlenden Blick brachte er ihn deshalb zum Schweigen und wandte sich dann dem Elben erneut zu.

„Ihr sprecht von Oromë, meinem Herrn!", erwiderte er erzürnt. „Wie könnt Ihr es wagen, ihn als Betrüger zu bezeichnen, wenn Ihr doch nichts darüber wisst, was in der Welt vor sich geht? Eure alten Lieder sind es, die Euch belügen, und sie berichten Euch keine Neuigkeiten! Oder erzählen sie etwa davon, dass ein großer Teil der Elben, die meinem Herrn einst folgten, in Mittelerde geblieben ist? Schildern sie die Kämpfe und Schlachten, die die Valar für euch Elben durch gestanden haben? Berichten sie davon, was mit den Elben geschehen ist, die Valinor letztlich erreichten?"

„Und wo sind die Elben, die noch immer in Mittelerde weilen? Zeige sie mir! Bring sie her! Sollen sie mir kundtun, wie es ihnen ergangen ist!" Der Elb sah Alatar beinahe amüsiert an und brachte dabei mit jeder Silbe zum Ausdruck, dass er ihm kein Wort glaubte.

Alatar war beleidigt. Stolz starrte er dem Elben in die Augen. „Alles, was du wissen willst, kann auch ich dir beantworten!", erwiderte er beinahe trotzig und verfiel dabei selber ins 'Du'. „Und wenn du mir nicht glaubst, dass die Valar nur das Allerbeste für euch Avari wollen, dann werde ich wieder gehen und euch dem überlassen, was über euch kommen wird!"

„Das Allerbeste?" Der Elb verschränkte die Arme und sah Alatar spottend an. „Angenommen, Oromë wäre kein Betrüger und Valinor wäre kein Kerker, in welchem Elben gefangen gehalten, gefoltert und gequält werden... Die Elben in Valinor können doch kommen und gehen, wann immer sie wollen, nicht wahr?"

Alatar erblasste. Natürlich durften die Elben Valinor nicht mehr verlassen! Aber dieser Elb würde das nicht verstehen. Hastig suchte Alatar nach einer Verlegenheitslüge, doch dazu kam es nicht.

„Angenommen also, alles, was du sagst, wäre wahr. Beantworte mir dann eine Frage, Maia!", fuhr der Elb fort. „Was geschieht mit unseren Seelen, wenn wir sterben?"

Diese Frage irritierte Alatar, doch er erwiderte: „Sie reisen in die Hallen von Mandos, dorthin wohin alle Seelen zunächst reisen. Die der Elben verweilen dort bis zum Ende Ardas."

„Mandos?", fragte der Elb argwöhnisch. „Ist das nicht auch ein Vala? Befinden sich diese Hallen in Valinor?"

Alatar war sich nicht sicher, ob die Fragen ernst gemeint waren oder ob der Elb noch immer spottete. Er konnte nur nicken.

„Betrifft das alle Seelen der Elben? Auch unsrige?", hakte der Elb nach.

„Ja, natürlich! Wohin sollten sie auch sonst..." Alatar sprach nicht weiter. Eine böse Ahnung erwachte in ihm, doch es war bereits zu spät, denn der Elb hatte den wunden Punkt bereits gefunden.

„So erkläre mir, warum die Valar unsere Seelen dazu zwingen an einen Ort zu reisen, den wir selber niemals betreten wollten? Sie kennen unseren Willen. Wir selbst teilten dem Jäger mit, dass wir in Mittelerde zu bleiben wünschen! Warum halten sie sich nicht daran? Ist es das, was sie für das Beste für uns halten... unsere Wünsche nicht ernst zu nehmen?"

Alatar schwieg betroffen. Der Elb hatte nur bedingt Recht, denn niemand hatte Einfluss auf den Weg seiner Seele – weder Mensch, noch Elb, noch Zwerg - aber das alles war viel zu kompliziert, als dass er es jetzt noch hätte besprechen können, jetzt, nachdem der Elb bereits sein Urteil gefällt hatte.

„Ihr seid alle Betrüger – Valar wie Maiar! Ihr kommt, um euch in unser Vertrauen zu schleichen und verstrickt euch dabei in Widersprüche, wie sie schlimmer kaum sein können: Valar, die angeblich gegen einen anderen Vala gekämpft haben und nun einen einfachen Maia nicht selbst besiegen wollen... Valinor – eine schöne neue Welt, die zugleich ein Gefängnis unserer Seelen ist, und Maiar, die uns gegen eine angebliche Gefahr beistehen wollen und unfähiger nicht sein können!" Verächtlich sah der Elb Alatar an. „Verschwinde! Und kehre nie wieder zurück!"

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Der Schrei Agarmaethors hatte auch Amlugûr geweckt. Er erfasste die Situation nicht sofort, doch Legolas' verstörter Anblick sprach Bände. Ohne Zögern ergriff er eine warme Decke und eine Flasche Wasser und eilte in den an die Hügellandschaft angrenzenden Wald. Er vermutete Agarmaethor bei den Pferden der Gemeinschaft vorzufinden und behielt Recht. Zusammengekauert hockte sie in einer kleinen Senke zwischen den friedlich grasenden Tieren und weinte.

Schweigend umhüllte er sie mit der Decke, reichte ihr das Wasser und hoffte, das würde sie beruhigen, doch das tat es nicht.

„Ich habe ihm so unglaublich weh getan!", wimmerte sie und klammerte sich an Amlugûrs Hand, als könne er das Geschehene rückgängig machen.

Hilflos hockte er sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Unsinn! Selbst im schlimmsten Fall hat er nur eine Prellung erlitten", erwiderte er tröstend.

„Ich habe das alles nicht gewollt. Wenn ich gewusst hätte, dass ein harmloser Kuss eine solche Reaktion in mir auslösen würde, ich hätte ihn nicht zugelassen, hätte noch gewartet... Legolas hätte mich bestimmt nicht dazu gedrängt." Sie schluchzte. „Aber dass ich mich deshalb erbrechen würde, das habe ich einfach nicht erwartet! Es tut mir so leid!" Bittere Tränen rannen über ihr Gesicht.

„Oh!" Mehr konnte Amlugûr im ersten Moment nicht sagen. Er hatte nicht gewusst, was genau vorgefallen war. „Aber ich hätte mich nach einem Kuss mit Legolas auch übergeben oder nach einem Kuss mit Rochdil, Aneru oder Elladan."

„Das tröstet mich nicht!", erwiderte Agarmaethor abwehrend und löste sich aus seiner Umarmung. „Er wird Fragen stellen, und zwar zu Recht."

„Und du wirst sie ihm beantworten." Amlugûr ließ sich nicht abschütteln und legte erneut seinen Arm um ihre Schultern.

„Ich kann nicht!" Der Satz klang wie ein leises Stöhnen. „Ich will, aber ich kann es nicht aussprechen. Ich habe es wirklich versucht, aber ich ... ich konnte es nicht beenden! Als ich dir erzählte, was mir widerfahren war, hat es mich so viel Überwindung gekostet, wie noch nie zuvor etwas in meinem Leben... und bei Legolas ist alles noch viel schwieriger. Wenn ich ihm davon erzähle, dann wird er immer daran denken müssen, bei jedem Kuss und bei jeder Berührung. Und irgendwann wird er es nicht mehr ertragen können. Wer weiß, was dann geschieht?"

Amlugûr lehnte seinen Kopf an Agarmaethors Haar und sprach in beruhigendem Ton weiter: „So wenig ich ihn auch mag, so sehr halte ich ihm eines zu Gute: Er verkraftet viel. Ich habe ihn auf der Reise so oft... gequält, an seinen Fähigkeiten gezweifelt oder ihn abfällig behandelt... und du hast ihm das Leben wahrlich auch nicht einfach gemacht. Und trotzdem hat er alles ertragen - und sein Lachen behalten. Er wird auch die Wahrheit über dich verkraften. Glaube mir!"

„Jeder hat eine Grenze!" Agarmaethor schluchzte erneut. „Und seine wird nach all dem Geschehen mit Sicherheit erreicht sein. Wenn... wenn ich damals im Sumpf gewusst hätte, dass ich ihm so wehtun würde, dann hätte mich nicht aus dem Loch gekämpft und wäre lieber gestorben."

„Sei nicht kindisch!", knurrte Amlugûr etwas ungehalten.

„Sag doch so etwas nicht!" Ein neuer Schwall Tränen rann über ihre Wangen. „Ich bin doch eigentlich noch ein Kind. Ich bin doch noch nicht einmal ein ganzes Jahr alt!"

Amlugûr seufzte. „Ja... irgendwie... und irgendwie auch nicht." Er strich ihr mit der Hand über die Wange und entfernte dabei einige Tränen. „Aber dann solltest du dir ohnehin die Zeit dafür nehmen erwachsen zu werden. Überhaupt glaube ich, dass du dich irgendwann einmal, noch bevor du dich endgültig an Legolas bindest, eine begrenzte Zeit lang von ihm trennen solltest. Wenn du ihn nicht mit deinem eigenen Seelenleid belasten willst – und ihr werdet es teilen, wenn ihr euch bindet – dann musst du vorher mit dir selbst ins Reine kommen."

„Aber auch das setzt voraus, dass Legolas mich nicht bereits vorher verstößt", erwiderte Agarmaethor.

„Verstoßen?", erklang plötzlich hinter ihnen Legolas' Stimme.

Erschrocken fuhren beide auf und sahen ihn an.

„Was... was hast du alles gehört?", fragte Agarmaethor mit geweiteten Augen.

„Nur deinen letzten Satz, und er stimmt mich nicht froh." Auffordernd sah er Amlugûr an, welcher auf ein Kopfnicken Agarmaethors hin den Wald wieder verließ, um zu der Gemeinschaft zurück zu kehren.

Schweigend standen Legolas und Agarmaethor auf der kleinen Lichtung und musterten den Waldboden.

„Es tut mir leid", flüsterte Agarmaethor schließlich. „Es tut mir so unendlich leid. Ich wollte dich nicht verletzen oder dich demütigen."

Legolas nickt nur, sagte jedoch nichts. Erwartungsvoll richtete er seinen Blick auf ihre von Tränen geröteten Augen.

„Ich... werde mich bemühen, dies nie wieder geschehen zu lassen", fuhr Agarmaethor unsicher fort.

„Was genau willst du nie wieder geschehen lassen?" Seiner Stimme war anzuhören, dass mit Agarmaethors Entschuldigung noch kein Ende des Gespräches in Sicht war.

„Ich... werde mich nie wieder erbrechen...", erwiderte Agarmaethor verlegen.

„Glaubst du denn, ich verüble dir das Erbrechen?" Legolas schien seinen Unmut nur mit Mühe zu unterdrücken. „Und du kannst mir auch gar nicht versprechen, einen solchen Reiz zu verhindern!"

„Ich... werde dich auch nie wieder anschreien oder gar Gewalt anwenden...", fuhr Agarmaethor fort und starrte auf den Waldboden. Sie fühlte, wie sich Legolas immer mehr verschloss.

„Ich gebe zu, dass es bitter ist, wenn die Frau, der mein Herz gehört, sich wegen mir übergeben muss. Und es trifft mich auch, dass du mich angeschrieen und dich mit Gewalt gegen mich gewehrt hast. Doch an letzterem bin ich vermutlich selbst Schuld - zumindest teilweise. Ich habe in meinem Rausch nicht gespürt, wie sehr du dich kurz zuvor bereits gegen meinen Kuss gesträubt hast. Wirklich maßlos enttäuscht aber hast du mich mit deiner Flucht." Legolas klang verbittert. „Hast du denn so wenig Vertrauen in mich? Was hast du denn geglaubt, was ich tun würde?"

Betreten sah Agarmaethor auf den Boden. „Du hast Recht. Das war falsch, aber es hatte nichts mit fehlendem Vertrauen zu tun. Ich war in diesem Moment nicht ich selbst und fürchtete nur, alles würde schlimmer werden, wenn ich bleibe. Ich... wollte mich erst beruhigen..."

„...und wärst dann zu mir gekommen?", fuhr Legolas gezwungen ruhig fort. „Und was hättest du mir dann gesagt?" Er näherte sich und sah sie ernst an. „Warum genau ist das geschehen?"

„In diesem Moment dachte ich... was ich tue sei... verboten", stotterte Agarmaethor aufgelöst.

„Verboten?" Legolas sah sie ungläubig an.

„Nicht unbedingt verboten, aber nicht normal, unüblich... abartig, um ganz genau zu sein. Ich dachte, der Kuss sei abartig. Deshalb empfand ich ihn plötzlich als... ekelhaft..."

„Das war nicht, was ich hören wollte. Wahrlich nicht! Sagst du mir das, um mich weiterhin zu demütigen?" Er schwieg einen Moment lang und schaute traurig auf die grasenden Pferde. „Hat etwa jede meiner Berührungen diesen Reiz in dir ausgelöst? Hast du ihn nur unterdrückt und geschwiegen?"

„Nein!" Agarmaethor fuhr entsetzt auf. „Nein! Wirklich nicht! Ganz im Gegenteil!"

„Warum dann? Warum sagst du, der Kuss wäre abartig gewesen?" Legolas verzweifelte an ihrem betretenen Schweigen, doch noch wollte er nicht aufgeben. „Ich gehe doch Recht in der Annahme, dass es etwas mit deiner Vergangenheit und deinem Geheimnis zu tun hat? Vielleicht sogar mit der silbernen Kugel?", gab er ihr eine Vorlage.

Agarmaethor nickte lahm.

„Du solltest wissen, dass ich dich nie gedrängt hätte, mir von deinem Geheimnis zu erzählen", erklärte Legolas düster. „Ich hätte gewartet, bis du bereit dazu bist. Aber ich denke auch, dass ich ein Recht habe zu erfahren, warum man mich so über alle Maßen demütigt und verletzt – und wenn dies dann die Offenbarung deiner Vergangenheit bedeutet, dann muss diese eben vorgezogen werden... auf das HIER und JETZT."

Deutlicher konnte er nicht werden. Er hätte wirklich gewartet, Jahrhunderte lang hätte er gewartet – voraus gesetzt, das alles wäre nicht geschehen. Aber die Demütigung, die er durch ihr Erbrechen empfunden hatte, die Furcht vor einer Wiederholung solcher Geschehnisse und der Gedanke daran, dass Agarmaethors Vergangenheit von einer Art war, dass sie selbst fürchtete, verstoßen zu werden, zwangen ihn dazu, nicht einfach alles zu vergessen und auf eine spätere Erklärung zu hoffen.

Agarmaethor holte immer wieder Luft, als wolle sie zum Reden ansetzen.

„Ich... ich kann es dir nicht erklären," stieß sie schließlich hervor. Verzweifelt und flehend schaute sie ihn an.

„Du kannst es mir nicht erklären? Also weißt du es nicht genau?", hakte Legolas misstrauisch nach.

„Doch, ich..."

„Also willst du es mir nicht erklären!" Legolas wurde immer ungehaltener. „Aber Amlugûr weiß es, nicht wahr? Du hast es ihm gesagt! Warum mir nicht?"

„Bei ihm ist es... anders."

„Also handelt es sich doch eine Vertrauensfrage?" Legolas' Augen blitzten sie an.

Agarmaethor schwieg bedrückt und sank zu Boden. Wie ein kleines Häufchen Elend saß sie dort, und nicht einmal ihre matt schimmernden, silbernen Haarsträhnen vermochten an dem trostlosen Bild etwas zu ändern.

„Dann habe ich also Recht", erklärte Legolas bitter und starrte zu Boden. „Ich fürchte, dass es dann für uns beide keine gemeinsame Zukunft geben kann... leider. Ohne Vertrauen keine Beziehung. Das geht einfach nicht."

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Amlugûr kehrte zum Lager zurück und setzte sich einen Steinwurf entfernt davon an das Ufer des Sees. Die meisten Mitglieder der Gemeinschaft waren unterwegs, um die Schlacht gegen die Ork-Elben vorzubereiten. Nachrichten ihrer inzwischen bedrohlichen Nähe hatten sie erreicht, so dass Eile Not tat.

Trotzdem schloss sich Amlugûr den Vorbereitungen nicht an. Schweigend schaute er über die vom Wind aufgewühlte Wasseroberfläche und duldete, dass Gimli sich ihm näherte und sich neben ihn setzte.

„In welcher Pfütze wird sie sich ertränken?", fragte Gimli nach einer Weile.

Amlugûr konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„In keiner", sagte er. „Seit ihrem Todeswunsch vor einigen Wochen hat sich Vieles geändert – sehr viel mehr, als du vielleicht glauben magst. Sie ist stark genug, um das durchzustehen."

„Ist das so?" Gimli spielte nachdenklich mit einem Kieselstein und musterte Amlugûr. „Dann müsstest du doch glücklich sein. Agarmaethor und Legolas sind kein Paar mehr... Ja, ja. Legolas sagte es mir gerade, bevor er sich in die Hügel zurückzog, um dort allein zu sein und sich selbst zu bemitleiden", fügte er auf den fragenden Blick Amlugûrs hin hinzu.

„Das Ergebnis ihres gemeinsamen Gespräches überrascht mich nicht wirklich", erwiderte Amlugûr leise, „aber es macht mich auch nicht glücklich."

„Sie will ihm nicht von ihrer Vergangenheit erzählen", murmelte Gimli nachdenklich.

„Und Ich werde es auch niemandem erzählen!", brauste Amlugûr verärgert auf. „Ich habe es ihr versprochen!"

„Niemand zweifelt an deiner Loyalität für Agarmaethor!", erwiderte Gimli ruhig. „Und niemand will dich dazu bringen, dein Versprechen zu brechen. Wozu auch? Legolas will ihr Geheimnis nicht mehr hören."

Amlugûr lachte bitter. „Perfekt! Sie will es ihm nicht sagen und er will es nicht hören! Sie passen wirklich wunderbar zueinander!"

Gimli grinste. „Ja, das dachte ich auch. Aber leider will Legolas überhaupt nichts mehr von ihr wissen. Er sagt, sie habe die Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden und nun könne ihn nicht einmal das Wissen um ihre Vergangenheit noch umstimmen. Es sei vorbei! Und wenn er sie den Rest seines Lebens unglücklich lieben sollte, dann werde er das durchstehen – irgendwie."

„Wie pathetisch!" Amlugûr schüttelte nur den Kopf. „LIEBE! Ich weiß genau, warum ich mich von dieser Krankheit fernhalte! Immer, wenn dieses leidige Wort auch nur fällt, glaube ich in Rührseligkeit zu ertrinken!"

Gimli lachte verhalten. „Ja, und alles, was damit zu tun hat, wirkt immer so übertrieben aufdringlich und überschwänglich. Nun ja, wenigstens in einem Punkt sind wir uns einmal einig geworden. Vielleicht könnten wir diese traute Einigkeit wiederholen? Ich habe einen Plan, wie wir den beiden helfen könnten!"

Amlugûr runzelte die Stirn. „Plan? Helfen?", fragte Amlugûr misstrauisch. „Wir?"

„Gut, ich gebe zu, dass ich keinen Plan habe, aber ja: WIR werden den beiden helfen. Agarmaethor ist deine Freundin, und Legolas ist mein Freund. Wir können doch die beiden nicht in ihrem Unglück allein lassen, nicht wahr? Wenn du mir sagst, Agarmaethors Geheimnis sei nicht so dermaßen schrecklich, dass es danach ohnehin zwischen den beiden aus wäre, dann sollten wir uns die Mühe machen... für unsere Freunde."

Amlugûr knirschte mit den Zähnen. „Ich formuliere es so: Ihre Vergangenheit ist einer Art, welche durchaus dazu geeignet wäre, diese leidige Beziehung endgültig zu beenden. Aber so, wie ich Legolas einschätze, wird er Verständnis und Mitgefühl haben... hoffentlich... Er ist nun einmal ein Blümchenpflücker."

„Dann mach ihr das begreiflich!" Gimli stemmte die Hände in die Hüften und sah Amlugûr auffordernd an.

„Als ob ich das nicht bereits versucht hätte!", erwiderte Amlugûr verächtlich. „Was soll ich denn noch tun, als es ihr zu raten?"

„Was weiß ich? Du kennst sie schließlich besser als ich. Gib dir zur Abwechslung einmal ein wenig Mühe!"

Amlugûr rümpfte die Nase. „Das war aber nicht sehr diplomatisch, Zwerg!", fauchte er.

„Ich weiß." Gimli erhob sich. „Aber unsere Zusammenarbeit macht uns noch lange nicht zu Freunden."

Er winkte Amlugûr mit einem breiten Schmunzeln zu und verschwand.

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Der Schmerz tief in Legolas raubte ihm jeden klaren Gedanken, sodass er alleine sein wollte, um ihn sich von der Seele zu schreien. Ziellos hastete er deshalb durch die Hügellandschaft, um auf einer wahllos auserkorenen Erhebung stehen zu bleiben und tief Luft zu holen.

Sein Schrei hallte über die Hügel. Einige Sekunden lang glaubte er sich besser zu fühlen, doch der Schmerz kehrte wieder, und auch der zweite Schrei wirkte nicht befreiend. Kraftlos sank er auf die Knie und rang mit seinen Tränen.

Für einen kurzen Moment begann er an seiner Entscheidung zu zweifeln. War es denn wirklich besser, sich von Agarmaethor zu trennen und deshalb so schrecklich zu leiden, als ihre Nähe zu fühlen, auch wenn er ihr Vertrauen nicht vollständig besaß? Wer besaß denn schon das vollständige Vertrauen anderer Personen?

Hatte ihm Gimli jemals einige Worte Khuzdul beigebracht? Die Sprache der Zwerge war ein streng gehütetes Geheimnis, welches Gimli mit Sicherheit nicht preisgeben würde... Warum also verlangte er etwas Derartiges von Agarmaethor? Weil ihn ganz andere Gefühle mit ihr verbanden?

Sein dritter Schrei vermischte sich mit einem ihm unbekannten Ruf. Angestrengt lauschte er, ob er sich wiederholen würde, und tatsächlich hallte ihm aus der Ferne ein 'Thranduilion' entgegen. Aufmerksam musterte er den Horizont und gewahrte die im Sonnenlicht funkelnde Oberfläche des Sees.

Als er ein drittes Mal gerufen wurde und er Dornenstolzes Stimme zu erkennen glaubte, setzte er sich in Bewegung und eilte in ihre Richtung. Er hoffte, sie würde ihm das Ergebnis ihrer Überlegungen zu seinem Ring mitteilen, und noch viel mehr hoffte er, dass ihn dies von seinem Schmerz ablenken würde.

Nur wenige Minuten später hatte er Dornenstolz erreicht. Neben ihr stand Apfelblüte und schaute missmutig drein. Legolas wertete dies als schlechte Nachricht, grüßte jedoch höflich und sah die beiden Entfrauen erwartungsvoll an.

„Das ist also der Sohn von Thranduil", erklärte Dornenstolz. „Wusstest du das nicht?" Sie hatte ihre Frage an Apfelblüte gerichtet.

„Nein, ich kannte ihn nur als Legolas. Woher sollte ich wissen, dass er der Sohn Thranduils ist?", erwiderte Apfelblüte.

„Ist das denn von Wichtigkeit?", fragte Legolas misstrauisch und befürchtete, die Diskussion um die Berechtigung, den Ring verschenken zu dürfen, würde erneut beginnen.

„Irgendwie... ja. Wärst du nicht ausgerechnet Thranduils Sohn, dann hätte uns alles etwas weniger gekümmert." Apfelblüte schaute ihn bedrückt an.

„Etwas weniger gekümmert?", wiederholte Legolas verwirrt. „Das heißt aber, es hätte Euch auch ohne meine Herkunft gekümmert!"

Dornenstolz sah ihn provokativ an. „Mich nicht, und hättest du mir nicht den Ring angeboten, hätte ich auch gar nichts gesagt. So aber wollte ich dich durch den Ausruf heute Morgen zu mir zurückholen, damit wir in neue Vertragsverhandlungen treten können, aber du hast ihn wohl - und das sage ich jetzt zu deinen Gunsten - schlicht überhört."

Legolas runzelte verärgert die Stirn. „Bei all dem Laub vor Eurem Mund ist das nicht verwunderlich!", erwiderte er unmutig.

Dornenstolz lachte. „Ganz der Papa. Und der hat auch einmal durch die Landschaften geröhrt und damit eine gewisse Person angelockt. Ich frage mich nur, warum du sie anlocken willst? Silamîriel ist doch bereits hier!"

Legolas' Augen weiteten sich erstaunt. Er verspürte nicht das Bedürfnis, die Entfrauen über seinen Bruch mit Agarmaethor aufzuklären, aber die Überraschung, die er gerade verspürte, riss ihn zu einem „Ihr kennt Agarmaethor? Was hat sie mit meinem Vater zu schaffen?"

„Agarmaethor! Was für ein widerlicher Name!" Dornenstolz schüttelte sich. „Nein, wir kennen Agarmaethor nicht. Wir kannten Silamîriel, damals, bevor sie ihr Gedächtnis verbannte."

Legolas horchte auf. „Was wisst Ihr von ihrem Gedächtnisverlust?" Das Gespräch fesselte ihn mehr, als er sich selbst eingestehen wollte.

„Silamîriel war früher oft in unseren Gärten zu Gast gewesen. Sie liebte die kleinen Ziersträucher, die Blumen und Blüten und die vielen Insekten, die überall umher summten. Sie war so begeistert, dass sie in Eregion an der Seite ihres Vaters die Natur imitieren wollte und künstliche Pflanzen schuf", erklärte Apfelblüte.

„Nicht, dass ich derartig geistlose Auswüchse der Schmiedekunst begrüßen würde, aber ich muss gestehen, dass selbst ich den Unterschied nicht erkannt hätte – jedenfalls nicht ohne eine eingehende Betrachtung oder gar Berührung", ergänzte Dornenstolz.

Legolas erinnerte sich an den Garten in Lórien. Die künstlichen Blüten dort hatten geduftet und sogar Insekten angelockt.

„Oh ja, jede ihrer Blumen war einzigartig. Aber wirklich begeistert hat mich ein Brunnen, den sie gemeinsam mit ihrem Vater geschaffen hat." Apfelblüte schwelgte in schöner Erinnerung. „Ich habe ihn leider nie sehen können, doch sein rauschendes Wasser spielte ein Lied, welches noch immer mein Herz erwärmt. Silamîriel hat es früher oft gesungen."

„Ich kenne diesen Brunnen. Er steht heute in Lórien. Sein Lied handelt von der Liebe der Welt", warf Legolas ein und konnte kaum fassen, was er gerade von Agarmaethor erfuhr.

Mit keinem Wort hatte sie jemals erwähnt, dass die kleinen Meisterwerke aus ihrer Hand stammten. Wusste sie es womöglich gar nicht? Würde es sie freuen zu erfahren, dass sie solch schöne Dinge geschaffen hatte? Künstlich zwar, aber doch wunderschön?

„Es gibt den Brunnen noch?", fragte Apfelblüte begeistert. „Silamîriel schrieb dieses Lied, um ihre Mutter damit zu überzeugen, nicht nach Valinor zu reisen. Wie so viele vor und vermutlich auch nach ihr, war auch Silamîriels Mutter Mittelerdes überdrüssig. Ich kann nur nicht verstehen, warum. Mittelerde ist so schön und das Lied beschreibt dies auf so einfühlsame Weise."

„Weil sie einen verrückten Mann hatte! Celebrimbor hat sich in seiner Jugend mit Sicherheit einmal schwer am Kopf verletzt!", knurrte Dornenstolz. „Und deshalb hat das Lied sie nur um knapp einhundert Jahre aufgehalten, jedoch nicht verhindert, dass sie letztlich doch gegangen ist."

„Das ist möglich", murmelte Apfelblüte ein wenig pikiert. „Aber das Bedauerliche an ihrer Abreise war, dass sie nicht da war, als Silamîriel sie am meisten gebraucht hat. Celebrimbor hat sich nämlich als vollkommen unfähig erwiesen, ein unglücklich verliebtes Elbenmädchen zu trösten", seufzte sie. „...wenn er überhaupt davon gewusst haben sollte. Er war einer von den Vätern, die ihre Töchter absichtlich abschirmen und verbergen, damit niemand einen ungebührlichen Blick – was auch immer das sein mag – auf sie werfen kann. Wer es auch nur wagte, sich ihr unerlaubt zu nähern, dem drohte Ungemach. Sein Verhalten war sicherlich nicht ganz unschuldig daran, dass Silamîriel anderen gegenüber so schüchtern und scheu war."

„Immerhin dufte sie in Eure Gärten", warf Legolas ein.

„Wir stellten auch keine Gefahr dar... und Fimbrethil, Fangorns Frau, musste ihm damals versprechen, ein Auge auf sein Töchterlein zu werfen und sie vor Männern jeder Art fernzuhalten", erklärte Apfelblüte.

„Aber das hat sie nicht!" Dornenstolz lachte gehässig. „Im Gegenteil. Sie hat das Ungemach gefördert."

Legolas musterte die Entfrauen verwundert. „Im Gegenteil? Also hat sie gekuppelt?"

„Nein, sie hat nicht gekuppelt. Silamîriel hat sich ihren Schwarm selbst ausgesucht. Deinen Vater! Fimbrethil hat später nur nachgeholfen."

Verstört starrte Legolas auf Apfelblüte. Er glaubte, sein Herzschlag habe einmal ausgesetzt, und der neu einsetzende Trennungsschmerz weckte in ihm das Bedürfnis zu fliehen. Er wollte die weiteren Demütigungen gar nicht hören, und für ihn war es eine Demütigung zu wissen, dass Agarmaethor ursprünglich seinen Vater geliebt hatte.

„Warum wirst du so blass?", fragte Apfelblüte, fügte dann jedoch hinzu: „Legolas, ich ahne, dass dich dieser Umstand bedrückt, aber mache dir bewusst, dass es nicht Agarmaethor war, die sich in deinen Vater verliebt hatte. Das war Silamîriel, und Silamîriel gibt es heute nicht mehr." Tröstend strich sie ihm mit einem Zweig über die Wange. „Die Gefühle Agarmaethors für dich sind rein und unbelastet."

Legolas musste sich eingestehen, dass Apfelblüte hatte Recht. Silamîriel hatte irgendwann einmal ihr Gedächtnis verloren, und Agarmaethor hatte nie etwas für seinen Vater empfunden... und selbst wenn, dann wäre dies doch nun auch gleichgültig, nun nach dem Bruch... oder etwa nicht?

„Aber mein Vater kennt sie nicht, und ich glaube ihm", stieß er hervor.

„Ich glaube ihm das auch." Apfelblüte schmunzelte. „Eines Tages nämlich, als sie sich wieder Inspiration für ihre geschmiedeten Blüten in unseren Gärten suchte, hörte sie Thranduil schreien."

„Röhren", verbesserte Dornenstolz. „DAS war kein Schrei, und die Flüche, die dem folgten, trieben nicht nur Silamîriel die Schamesröte ins Gesicht. Worüber genau er sich damals so empört hat, weiß ich nicht mehr, doch die Worte aus seinem Munde waren derb genug, um mich dazu zu veranlassen, ihn aus unseren Gärten werfen zu wollen.

Aber Fimbrethil hielt mich auf, weil Silamîriel aus einem mir vollkommen unverständlichen Grund Gefallen an Thranduil gefunden hatte. Fortan schwärmte sie, trällerte unaufhörlich Lieder und... pflückte sogar unsere schönen Blumen, um sich damit zu zieren!" Dornenstolz klang verärgert. „Wenn Thranduil wenigstens gesehen hätte, wie sie sich für ihn herausgeputzt hat! So aber... Er hat sie nie zu Gesicht bekommen!"

„Schade eigentlich", murmelte Apfelblüte und fügte hastig hinzu: „Nicht, dass ich heute nicht froh darüber bin, dass es jetzt einen Legolas gibt, aber ich glaube, damals hätte ihr dieser Thranduil gut getan. Er war so wunderbar rebellisch und kratzbürstig. Er hätte sich von Celebrimbor nicht vergraulen lassen und den Mut besessen, ihm die Stirn zu bieten. Mit ihm an ihrer Seite wäre Silamîriel vermutlich aus dem Schatten ihres Vaters getreten und hätte ihrem Namen alle Ehre gemacht – ihr inneres Licht hätte allen Glück und Zufriedenheit gebracht, so wie Eärendil am Himmel Hoffnung und Kraft schenkt."

„Apfelblüte! Dieser Name ist verflucht! Wie kannst du nur so überschwänglich schwärmen?" Dornenstolz schüttelte einige Zweige und bekundete damit ihr Unverständnis.

„Nein, der Name ist nicht verflucht. Verflucht ist nur, was die Elben wegen der echten Kristalle verbrochen haben! Aber das ist eine andere Geschichte und jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, was wir Legolas eigentlich erzählen wollen. Schließlich haben wir es nicht darauf abgesehen, seine Braut bloß zu stellen!"

Es beruhigte Legolas zu erfahren, dass die Entfrauen einen tiefer gehenden Zweck mit ihrem Bericht verfolgten und nicht einfach nur von einem Mitteilungsbedürfnis getrieben wurden.

„Zu schüchtern, um Thranduil anzusprechen, hat sie ihn jahrelang nur still und heimlich beobachtet, geschmachtet und gelitten, weil ihr der Mut fehlte, sich ihm einmal zu zeigen", seufzte Apfelblüte.

„Ja, und sie hat uns mit ihrem sehnsuchtsvollen Gejammer den letzten Geduldsfaden durchtrennt!", fügte Dornenstolz hinzu. „In dieser Hinsicht kannte sie keine Schüchternheit!"

„Du bist ungerecht! Sie hatte keine Mutter mehr und DU warst es auch nicht, der sie sich anvertraut hatte!", wies Apfelblüte Dornenstolz zurecht. „Das war Fimbrethil."

„Und mein Vater hat nie bemerkt, dass er beobachtet wurde?", fragte Legolas misstrauisch. „Er war bereits damals ein anerkannter Krieger!"

Apfelblüte schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich davon wüsste. Aber da musst du ihn selbst fragen, fürchte ich. Er war jedenfalls sehr überrascht, als Fimbrethil ihm eines Tages ein Geschenk überbrachte."

„Ein Brautgeschenk!", warf Dornenstolz wissend ein. „Von Silamîriel für Thranduil. Binde dich an mich, und du bekommst diesen..."

„Ring", ergänzte Legolas.

Ihm war es nicht schwer gefallen, den Satz zu beenden. Dieser Ring konnte nur von Silamîriel stammen. Alles passte: Das Ithildin war ein von Celebrimbor entwickeltes Material. In dem Ring steckte große Macht, nicht annähernd vergleichbar mit denen der Ringe, die Celebrimbor einst gemeinsam mit Sauron geschaffen hatte, doch zu mächtig, um von einem unbedeutenden Schmied hergestellt worden zu sein. Und es war nach der Erzählung seines eigenen Vaters Fimbrethil gewesen, die ihm den Ring überreicht hatte.

„Kein Brautgeschenk! Was erzählst du da für einen Unsinn! So unverfroren wäre Silamîriel nie gewesen! Trotz ihrer jugendlichen Schwärmerei war ihr bewusst gewesen, dass Thranduil sie bisher noch nicht einmal wahrgenommen hatte. Nein, das war ein Geschenk, um auf sich aufmerksam zu machen", korrigierte Apfelblüte Dornenstolz.

Legolas konnte einen triumphierenden Blick auf Dornenstolz nicht unterdrücken und erntete ein verkniffenes Lächeln.

„Fimbrethil hatte zuvor lange auf Silamîriel einreden müssen und ihr Mut gemacht, endlich den Kontakt aufzunehmen, doch das Ergebnis war ein Desaster", fuhr Apfelblüte fort. „Was Silamîriel und auch Fimbrethil damals nämlich nicht wussten, war, dass Thranduil bereits seit langer Zeit eine andere Frau liebte, dieser Ring ihm Hoffnung gab und ihn dazu veranlasste, sich seine Wunsch-Braut zu rauben. Voller neuer Kraft brach er auf und ließ eine todunglückliche Silamîriel zurück."

Bedrückende Stille legte sich über den See. Traurig sahen sich alle an.

„Das ist sicherlich entsetzlich für Silamîriel gewesen, aber warum erzählt Ihr mir das alles?", fragte Legolas unsicher. Noch immer wusste er nicht, was die Entfrauen mit ihrem Bericht bezweckten.

„Das war nur die Vorgeschichte. Die eigentliche Geschichte beginnt erst jetzt", erklärte Apfelblüte. „Die Ereignisse machten Silamîriel nämlich so zu schaffen, dass sie ihrer Mutter nach Valinor folgen wollte, um dort Frieden für sich zu finden. Aber ihr Vater hielt sie fest – nicht mit Gewalt, aber er flehte sie an, bettelte und machte ihr Vorwürfe, weil sie ihn allein in Mittelerde zurücklassen würde. Er selbst wollte nicht mit ihr gehen, denn Dank eines neuen Lehrers befand er sich damals auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Wirkens."

„Anatar... Sauron", murmelte Legolas besorgt. „Hatte er etwas mit Silamîriel zu schaffen?"

„Nein, ich glaube nicht daran. Silamîriel erwähnte ihn erst, als er sich als Sauron entpuppte, und selbst zu diesem Zeitpunkt sprach sie von ihm wie von einem Fremden. Aber Celebrimbor wollte wegen ihm Mittelerde nicht verlassen und ihm gelang es schließlich, Silamîriel dahingehend umzustimmen, ebenfalls zu bleiben. Und sie blieb... und schwand. Das war damals alles so traurig." Apfelblüte schluchzte leise. „Celebrimbor hat nicht loslassen wollen und sie lieber schwinden sehen, als ihr ein glückliches Leben in Valinor zu wünschen. Er hatte wohl gehofft, sie würde sich wieder fangen und sich einen neuen Lebensinhalt suchen.

Und tatsächlich schien sich Silamîriel nach einiger Zeit plötzlich zu besinnen. Ihre Augen funkelten wieder wie Sterne am nächtlichen Himmel, ihre Hände waren wund, so als würde sie hart arbeiten. Ihre Blässe und Übermüdung besorgten uns, aber Silamîriel schwieg und äußerte sich nicht darüber, womit sie ihre Zeit verbrachte. Sie versprach nur immer wieder, alles würde sich zum Guten wenden, und wenn ihr Plan gelinge könne sie zwei Probleme gleichzeitig lösen."

„Ja, aber dass dies noch weitere Probleme nach sich ziehen würde, hat dieses Dummerchen vollkommen vergessen!", murmelte Dornenstolz. „Als sie dann endlich kurz vor Abschluss ihres heimlichen Werkes stand, offenbarte sie uns, sie habe eine ganz besondere Phiole geschaffen. Diese Phiole sei das zukünftige Gefäß all ihrer bisherigen Erinnerungen. Damit würde sie Thranduil vergessen und zugleich ihren Vater nicht verlassen müssen."

Legolas war sprachlos. Er konnte kaum fassen, dass Agarmaethor sich selbst die Erinnerungen geraubt hatte.

„Sie erzählte, sie habe ihren Vater darum gebeten, ihr bei der Umsetzung ihres Planes zu helfen – insbesondere weil sie neu aufwachsen müsse. Ohne jegliche Erinnerung würde sie nicht einmal 'ada' sagen können, ganz zu schweigend davon, selbständig zu essen oder sich die Nase zu putzen. Sie sprach von väterlicher Liebe und Obhut. Pfff! Da hätte sie sich wahrlich besser jemanden anderen suchen sollen!" Dornenstolz klang verbittert.

„Offenbar hat sie das auch, denn sie überlebte den Überfall auf Eregion!", warf Apfelblüte ein. „Sie erzählte uns von ihrem Plan nämlich nur wenige Monate bevor Sauron Eregion zerstörte, und um ehrlich zu sein: Wir dachten, sie sei tot. Aber als sie vor einigen Tagen plötzlich in unserer Hügellandschaft stand und uns nicht wiedererkannte, da wurde uns bewusst, dass sie offenbar ihren Plan in die Tat umgesetzt hatte und wie auch immer bis heute überlebt hat."

Nachdenklich runzelte Legolas die Stirn. „Sie hat sich als Krieger durchs Leben geschlagen. Soviel ist mir bekannt. Aber sie machte mir nie einen sonderlich glücklichen Eindruck ohne ihre Erinnerungen. Ich meine... ich sehe den Vorteil in dem Plan: Sie hatte die Gelegenheit ein neues Leben zu beginnen und vielleicht auch einen neue Liebe zu finden." Legolas ignorierte den Stich in seinem Herzen. „Und selbst wenn sie später von meinem Vater und ihren Gefühlen zu ihm erfahren hätte, dann ist es doch ein Unterschied, nur davon zu wissen oder den Schmerz tief in sich zu fühlen. Allerdings... Allerdings sind bittere Erfahrungen Teil eines Reifeprozesses, den jeder durchlaufen muss. Sie hat sich dessen entledigt und hätte deshalb denselben Fehler noch einmal begehen können. Insofern ist der Plan nicht sonderlich ausgereift gewesen."

„Bravo!", rief Dornenstolz übertrieben lobend. „Du hast diesen Reifeprozess offenbar schon soweit durchlaufen, dass du dies erkannt hast. Silamîriel damals aber leider nicht. Sie schlug unseren guten Rat in den Wind. Kindskopf, der sie war!"

„Und was sollte mit der Phiole geschehen?", fragte Legolas.

„Genau da steckt die Made im Apfel!", rief Dornenstolz. „Wenn sie wenigstens gänzlich auf ihre alten Erinnerungen verzichtet hätte! Aber nein! Sie wollte sie irgendwann einmal zurück gewinnen – zusätzlich zu ihren neuen Erinnerungen. Sie wollte ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in der Schmiedekunst nicht verlieren und vor allem wollte sie ihre Mutter nicht mit Vergessen bestrafen. Sie war überzeugt davon, dass sie nach einer gewissen Anzahl von Jahren ein so selbständiges und neues Leben haben würde, dass es auf ihre früheren Gefühle zu Thranduil nicht mehr ankäme, aber glaubst du ihr das? Kann es auf eine alte Liebe nicht mehr ankommen?"

Leglas schüttelte den Kopf. „Eine echte Liebe kann man nicht vergessen. Man kann sie bestenfalls überwinden, aber dafür muss man eine Zeit lang mit ihr leben und sie nicht in eine Phiole verbannen. Würde sie ihre Erinnerungen zurück erhalten, dann wäre ihre Situation heute zwar sicherlich nicht mit ihrer damaligen vergleichbar, aber allein der Konflikt, womöglich Gefühle für zwei..." Er verstummte betroffen.

„Ich glaube, du hast verstanden, warum wir dir das alles erzählt haben", erklärte Apfelblüte mitfühlend. „Wir wollten dich nicht schockieren oder ärgern, aber wir wollten dich auf eine Gefahr hinweisen, die eure Suche nach ihren Erinnerungen mit sich bringen könnte. Ihr sucht doch ihre Erinnerungen?", fragte Apfelblüte.

„Unter anderem... ja...", erwiderte Legolas unsicher. „Träume locken und Visionen leiten sie. Nur von einer Phiole wussten wir bisher nichts."

„Silamîriel wollte die Phiole nicht in ihrer Nähe behalten. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn Fimbrethil sie für sie verwahrt hätte, aber für den Fall, dass sie verloren gehen sollte, hat sie die Phiole so konstruiert, dass diese zwei Bilder entsendet: zum einen ein Bild von dem Weg, den die Phiole genommen hat und zum anderen ein Bild von ihrem derzeitigen Standort."

Legolas' Augen weiteten sich. Das erklärte den Zusammenhang zwischen Agarmaethors Visionen und Thuringwethil. Die Phiole befand sich also in ihrem Besitz... oder auch in dem Besitz des unbekannten Mannes, der Agarmaethor in den letzten Visionen erschienen war.

„Die Phiole ist scheinbar einen weiten Weg gegangen – so tief in den Osten hinein. Und sie befand sich sogar einmal im Hause meines Vaters", stieß er hervor.

„Möglich. Und was willst du nun tun? Wirst du sie von ihren Erinnerungen fernhalten?", fragte Apfelblüte. „Es wird schließlich auch dich betreffen, wenn sie sich erinnern sollte. Immerhin seid ihr ein Paar – und dazu ein sehr schönes, wenn ich das sagen darf."

Wie gelähmt starrte Legolas auf den See. Ihre Erinnerungen bedeuteten Agarmaethor viel. Sie hatte fünftausend Jahre damit verbracht darauf zu hoffen, endlich eine Spur zu ihnen zu finden, und inzwischen wurde sie nicht mehr nur noch von der Sehnsucht nach den Bildern ihrer echten Kindheit zur Suche getrieben. Vor allem wegen des Wunsches, das Rätsel um die silberfarbene Kugel in ihrem Bauch zu lösen, verspürte Agarmaethor ein durchaus nachvollziehbares Bedürfnis nach ihren Erinnerungen. Und diese Träume, die sie lockten und ihr einflüsterten, ohne ihr verlorenes Gedächtnis sterben zu müssen...

Es hatte Legolas viel Mühe gekostet, Agarmaethor davon zu überzeugen, dass die Träume Unrecht hatten oder sie sogar belogen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie freiwillig auf ihre Erinnerungen verzichten würde.

Legolas fühlte sich überfordert. Sich von Agarmaethor getrennt zu haben bedeutete keinesfalls, nichts mehr für sie zu empfinden. Im Gegenteil: Nie verspürte er größere Sehnsucht nach ihrem Lächeln und ihrer Nähe. Und gerade deshalb wollte er sie nicht an ihren eigenen Erinnerungen zerbrechen sehen. Er wollte sie überhaupt nicht zerbrechen sehen. Aber würde sie ihm jetzt, nach der Trennung, überhaupt noch zuhören?

Wohl kaum. Aber welche anderen Möglichkeiten standen ihm denn noch zur Verfügung, um sie vor ihrem eigenen Unglück zu bewahren? Lüge und Gewalt?

Er erinnerte sich an Lórien und die Zeit danach. Agarmaethor hatte darauf bestanden, noch vor allen anderen auf Thuringwethil zugreifen zu können, um ihrer Erinnerungen habhaft zu werden. Sie hatte allen misstraut und jedem unterstellt, sie nur zu benutzen und zu missbrauchen.

Von diesem Misstrauen war heute nichts mehr geblieben. Sie hatte sich in die Gemeinschaft eingefügt, freundschaftliche Kontakte geknüpft und ihre Einstellung zu der gesamten Reise geändert. Nie wieder war ein Wort darüber gefallen, die Gemeinschaft verlassen zu wollen. Im Gegenteil. Sie wollte für Mittelerde kämpfen und sterben, und Legolas wusste, dass es vor allem sein Beitrag war, welcher zu dieser Veränderung geführt hatte. Er war es gewesen, der ihr immer wieder eingeredet hatte, sie möge Vertrauen in die Gemeinschaft haben.

Und nun sollte ausgerechnet er genau dieses Vertrauen missbrauchen? Auch wenn es zu ihren eigenen Gunsten geschehen würde?

Legolas taumelte.

„Geht es dir nicht gut?", fragte Apfelblüte besorgt.

„Doch, doch." Er fing sich wieder. „Es ist nur..."

Er setzte sich ins Gras und legte kurz die Hände aufs Gesicht, um einen klaren Gedanken fassen zu können.

Apfelblüte und Dornenstolz hatten ihm von Silmîriel berichtet und nun erzählte er ihnen von Agarmaethor – von ihrer Arbeit als Krieger, von ihrem Unmut gegen Elrond, von der silberfarbenen Kugel in ihrem Bauch, von dem Bad im See in Eregion, von ihren Berührungsschmerzen, die sie über Jahrtausende begleitet hatten, und von ihren silbernen Haaren. Er erzählte alles, was er von ihr wusste, alles, was sie jemals hatte verlauten lassen und alles, was er sich bereits selbst zusammengereimt hatte. Und vor allem berichtete er von ihrem Selbstzerstörungstrieb, ihrer Veränderung in den letzten Monaten und auch von ihrem Erbrechen und seiner Trennung von ihr.

Sehnlichst hoffte er darauf, die beiden Entfrauen würden in all dem ein System erkennen oder verstehen, was in Agarmaethor vorging... als Frauen. Vielleicht würden sie es ihm erklären können? Und vielleicht könnten sie ihm sogar einen Rat erteilen?

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A/N: Ich kenne das gesamte Hickhack um die Frage der Sterblichkeit von Elronds Kindern (insbesondere um Arwen). In Tolkiens Hauptwerken ist alles dermaßen unbestimmt, dass man sich nur auf Notizen und Briefe stürzen kann, sofern diese veröffentlicht sind.

Letztendlich gilt aber des Meisters Wort:

But, of course, I may be in error (at some or all points): my truths may not be true, or they may be distorted : and the mirror I have made may be dim and cracked.

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