Hiho,

ja, ich weiß. Es hat dieses Mal wirklich LANGE bis zum Update gedauert. Ihr könnt mir glauben, dass ich mich bemüht habe, aber manchmal geht es halt nicht schneller.

Ich hoffe ihr verzeiht mir, und vielleicht kann ich euch ja auch mit einem wunderschönen Bild von Aeweth gütlich stimmen. Ich danke Awi dafür GANZ doll! sabber Ich bin verliebt! zwinker

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Liebe Grüße

Euer Zwerg

P.S. Für alle, die jetzt einen zweiten Alert für dieses Kap erhalten haben: Ich habe nur Winzigkeiten geändert, aber nachdem es heute Nacht on war, konnte ich mich aus einem mir nicht erklärlichen Grund nicht mehr einloggen, um die Änderung sofort vorzunehmen. Aber niemand muss nochmal lesen. Das waren nur sprachliche Verbesserungen, die mir zu spät aufgefallen waren.

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Von Spinnen, Katzen und Mäusen

Noch vor wenigen Wochen hätte es Amlugûr für gänzlich abwegig gehalten, einen Feind, der ihn und seine Kameraden hatte abschlachten wollen, vor dem Verbluten zu retten. Aber Pläne änderten sich, und nun hielt er es für klug, das Vertrauen dieses Sangwa gewinnen zu wollen. Er war kein Narr und ahnte dabei sehr wohl, wie schwierig es werden würde ihn von seiner Sache zu überzeugen. Aber wenigstens versuchen wollte er es - und würde er als Retter nicht viel eher Vertrauen erwecken können, denn als rachsüchtiger Verfolger?

Nachdenklich schaute er auf den gefesselten Sangwa zu seinen Füßen und beobachtete dessen ruhiges Mienenspiel. Weder Zorn noch Schmach schien er dafür zu empfinden, dass Amlugûr ihm nahe der Enthügel eine Verletzung zugefügt hatte, die sich nicht mehr zu schließen schien und letztlich der Grund dafür gewesen war, dass er ihn hatte fangen können.

"Wie heißt du?", fragte Amlugûr und befreite die Wunde von der auf ihr klebenden Kleidung. Seine Handgriffe waren geschickt, doch er ging mit seinem Gefangenen nicht besonders sachte um, denn zu viel Freundlichkeit hätte nur noch mehr Misstrauen geschürt, als ohnehin bereits bestand.

"Araf", erwiderte der Sangwa knapp und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Amlugûr ihm die Wunde reinigte und dabei mehrfach unsanft entzündete Haut berührte.

Schweigend beendete er die Reinigung und überlegte dabei fieberhaft, wie er die scheinbar niemals enden wollende Blutung stillen sollte. Er war kein Heiler! Sein Blick wanderte über die Gürteltaschen seines Gefangenen und blieb an einem Beutel hängen, der beinahe leer zu sein schien. Entschlossen griff er zu, öffnete ihn und sah hinein. Eine kleine Restmenge bläulich-grünen Pulvers befand sich darin, sowie etwas Wintergrün.

"Araf heißt du also", murmelte er, um die Stille zu überbrücken. "Ich bin Amlugûr. Darf ich?" Er deutete dabei mit dem Beutel auf die Verletzung, die ein wenig verfärbt war, so als habe sich Araf das Pulver über die Wunde gestreut.

Araf erwiderte nichts, sah nur in den Himmel und beobachtete verträumt die vorüberziehenden Wolken. Es schien, als fühle er sich überhaupt nicht wie ein Gefangener, sondern wie ein junger Elb, der im Sommer im Gras liegt und die Wolken zu phantasievollen Bildern formt, doch sein befremdliches Verhalten verunsicherte Amlugûr nicht. Er überließ Araf den Wolken, verteilte ohne weitere Nachfrage das Pulver und das Wintergrün auf der Verletzung, verband ihn und begann ihn dabei eingehend zu mustern, ihn einzuschätzen und vielleicht etwas aus seinem Äußeren zu erschließen, was ihm bei einem weiteren Gespräch behilflich sein würde.

Alles versuchte er dabei zu berücksichtigen: die goldenen Nähte an der dunkelbraunen Leder-Rüstung mit dem Abbild eines grünäugigen, wilden Wolfes, darunter sandfarbener Stoff mit schwarzen Stickereien und dazu schwarze Bänder in streng und ordentlich geflochtenem Haar. Keinerlei Schmuck zierte den Sangwa, aber Amlugûr war sich sicher, dass Araf auch ohne jeglichen Zierrates eine ganze Kolonne schmachtender Frauen quer durch ganz Mittelerde folgen würde, wenn er es nur darauf anlegte.

Misstrauen erfasste Amlugûr, denn Äußerlichkeiten, die Sympathien weckten, erschienen ihm gefährlicher als ein Dolch in seinem Rücken, und die Sympathie für Araf drohte sich bereits allein deshalb in sein Herz zu fressen, weil Araf die den Sangwa sonst so eigene, dunkle Aura fehlte.

Doch so leicht wollte er sich nicht täuschen lassen. Araf war ein Feind! Geschickt durchtrennte Amlugûr deshalb die Verschlüsse von Arafs Lederrüstung, öffnete dessen Tunika und legte seine Hand auf das Herz.

Es schlug! Natürlich schlug es! Doch es schlug so ruhig, als würde den Sangwa nichts aufregen können - nicht einmal seine eigene Gefangenschaft. Aber da war sie, die Kälte! Sie versteckte sich tief unter der warmen und lebendigen Haut Arafs, doch Amlugûr spürte, wie sie sachte über seinen Arm sein Herz erreichte und ihm einen Schauer über den Rücken jagte.

"Was bist du?", fragte Amlugûr, entsetzt darüber, dass es inzwischen Sangwa zu geben schien, deren Dunkelheit und Boshaftigkeit man erst mit Hilfe einer Berührung zu entdecken vermochte, denn was würde aus den Elben werden, wenn sich erst Sangwa wie Araf unter sie mischten?

"Einzigartig", erwiderte Araf spöttisch und erweckte damit den Eindruck, als habe er Amlugûrs Befürchtung erraten und spiele mit ihr. "Vielleicht..." Seine Augen blitzten bedeutungsvoll auf.

Amlugûrs Augen blitzten ebenfalls auf als er den spöttischen Tonfall Arafs übernahm und sagte: "Vermutlich bist du einzigartig, denn deine Wunden schließen so schlecht, dass andere deiner Art mit Sicherheit verblutet sind, bevor sie das zehnte Lebensjahr erreicht haben." Abfällig und auch ein wenig besorgt schaute er auf den frischen Verband, der sich bereits wieder rot färbte.

Ein Schatten huschte über Arafs Gesicht, doch nur einen winzigen Moment lang, bevor er stolz entgegnete: "Es gibt keine Vollkommenheit! Irgendeine Schwäche besitzt jeder, und diese ist meine."

"Das ist deine einzige Schwäche?", fragte Amlugûr übertrieben beeindruckt. "Wie habe ich dich dann während der Schlacht verletzen können?"

"Wer sagt, dass ich diese Verletzung nicht zugelassen habe?" Araf sah ihn streitsüchtig an.

Amlugûr war überzeugt davon, den Sangwa in einem ehrlichen und offenem Kampf besiegt zu haben, und die Unterstellung Arafs, ihm wäre der Sieg geschenkt worden, kränkte ihn nicht nur in seiner Ehre als Krieger, sondern erschien ihm auch absurd.

"Warum hättest du dein Leben riskieren sollen?", fragte er deshalb scharf und aufgebracht. "Du konntest nicht wissen, dass ich dich retten würde, und ohne meine Hilfe wärst du hier auf der Ebene verblutet!"

"Kein Elb würde jemanden verbluten lassen!", erwiderte Araf mit einem wissenden Lächeln. "Das wäre doch viel zu grausam, und ihr Elben seid doch so schrecklich barmherzig und würdet lieber schnell und endgültig töten als jemanden verrecken zu sehen!" Beinahe pathetisch klangen seine Worte dabei.

"Elben sind nicht barmherzig, und ich bin es am allerwenigsten!", knurrte Amlugûr. "Ich bin ebenso einzigartig wie du, und ich hätte dich verbluten lassen, wenn ich dich nicht brauchen..." Er verstummte und biss sich auf die Unterlippe.

"Du brauchst mich also?" Arafs streitsüchtiger Gesichtsausdruck wurde von einem triumphierenden Lächeln verdrängt. "Wozu?"

Amlugûr stutzte einen Moment lang über den plötzlichen Wandel seines Gefangenen, doch dann begriff er, dass Araf ihn allein durch ein Rütteln an seiner Überzeugung von seinem ehrlichen Sieg über den Sangwa zu ungewollter Offenheit hatte provozieren können und ärgerte sich darüber, dass er sich trotz seines noch kurz zuvor entwickelten und begründeten Misstrauens unvorsichtig auf ein Spiel Arafs eingelassen hatte, ohne dessen Regeln zu kennen. Wie eine Maus kam er sich deshalb vor, gejagt von einer Katze, und dieses Gefühl hasste er.

"Ich mag keine Spiele!", erwiderte er deshalb abweisend. "Und deshalb sage ich es dir ganz offen: Es kommt mir nicht auf deine Person an. Ich kenne keine Skrupel, werde dich hier verrecken lassen und mir einen anderen Sangwa suchen, um mit ihm zu verhandeln!"

Entschlossen erhob er sich und ging zu seinem Pferd, um Araf gefesselt im Schnee zurück zu lassen, doch er spürte den Blick des Sangwa in seinem Nacken, und dieser Blick war eindeutig: Amlugûr würde mit seinem Fortgehen nicht nur das Spiel Arafs verlieren, sondern auch sein geplantes Vorhaben aufgeben müssen - für immer. Er zögerte und schaute auf den Sangwa zurück, entschloss sich dann aber dazu, diesen den Blick Arafs eher als einen Versuch zu verstehen, sein armseliges Leben retten zu wollen. Und auf das Leben dieses einen Sangwa kam es ihm wahrlich nicht an! Sollte er doch sterben!

"Nein", murmelte er deshalb zu sich selbst und wandte sich erst dann an den Sangwa. "Ich hatte gehofft, du wärst der Richtige für meine Verhandlungen, aber ich habe mich geirrt, und einen schwer Verletzten wie dich werde ich nicht sinnlos mit mir führen. Dafür reicht meine Zeit nicht."

"Gut, dann lass mich zurück!", erwiderte Araf gleichmütig. "Aber ich werde der einzige... Sangwa - oder wie du meine Art genannt hast - sein, der jemals mit dir sprechen wird."

"Warum?", fragte Amlugûr scheinbar wenig interessiert und bereitete dabei sein Pferd zur Abreise vor. "Warum sollte sonst niemand mit mir reden?"

"Weil deine Gefährten während der Schlacht alle anderen Krieger getötet haben", erwiderte Araf mit einem Hauch von Spott. "Wir sind allein... so allein!"

Amlugûr hielt inne und knirschte mit den Zähnen. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass weitere Sangwa den Kampf um die Enthügel überlebt hatten, aber wie sollte er sie auf dieser weiten Ebene finden? Oder gar ihre Siedlungen? Nicht einen Gedanken hatte er sich darüber gemacht, während er Araf über die Ebene gefolgt war! Zu viel Hoffnung hatte er auf diesen einen Feind gesetzt, und die Zeit rannte ihm wirklich davon!

Er spürte den lauernden Blick des Sangwa, spürte, dass er sich entscheiden musste und sich dabei in die Gefahr begab, Arafs Spiel nicht entfliehen zu können - einem Spiel, dessen Regeln und Sinn er vielleicht nie begreifen würde, und deshalb hasste er es.

Aber durfte er sich von seinem Hass abschrecken lassen? Gehörte dessen Überwinden nicht auch irgendwo zu seinem großen Vorhaben? Was würde man von ihm sagen, wenn er versagte, weil er dieses Spiel hatte meiden wollen?

Seine Augen blitzten Araf an, als er sich dazu entschloss, ihn nicht zurück zu lassen. Vielleicht war es unmöglich, Araf von seiner Sache zu überzeugen; vielleicht saß der Hass und der Scham darüber, dass ein Elb ihn besiegt hatte, doch zu tief in dem Sangwa, um ein ehrlich gemeintes Entgegenkommen zu erwarten, aber als Führer zu einer anderen Siedlung könnte er trotzdem noch nützlich sein.

Nur dieses Spiel musste er beenden! Amlugûr wollte klare Grenzen setzen und sich vor allem des Gefühls einer Maus entledigen.

"Das ist richtig", murmelte er deshalb scheinbar zerknirscht. "Aber du nutzt mir auch nichts, und deshalb verzichte ich lieber auf die Ausführung meiner Pläne als sinnlos mit dir Zeit zu verschwenden."

Mit Schwung begab er sich auf den Rücken seines Pferd und entfernte sich ein Stück, doch Araf sah ihm gleichgültig hinterher und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder den Wolken zu.

"Willst du leben?", rief Amlugûr ihm von Weitem zu. "Ich werde nicht mit dir in Verhandlungen treten, aber wenn du leben willst, dann versprich mir, mich in die Siedlungen deines Volkes zu bringen!"

Er ließ sein Pferd um den gefesselten Gefangenen tänzeln und deutete an, sofort loszureiten, sobald er es für richtig hielt.

"Es ehrt mich, dass du meinen Versprechen glauben schenken würdest!" Araf lachend herzlich. "Ich bin ein Sangwa, schon vergessen? Ich bin BÖSE!" Er betonte das 'böse' übertrieben fauchend. "Und wie kann ich übel und dunkel sein, wenn ich dich nicht in eine unserer Siedlungen führen würde?"

Amlugûr fühlte sich noch immer wie eine Maus. Es war ihm nicht gelungen, das Spiel zu beenden, denn Arafs Ausspruch versprach nicht viel Gutes, klang beinahe so, als handele es sich bei der Siedlung um eine Mausefalle. Trotzdem stieg er ab und setzte sich wieder zu dem Sangwa.

Risiko! Risiko gehörte zu seinem Vorhaben dazu, und immerhin würde Araf ihn führen. Was wollte er mehr? Alles Weitere würde sich schon ergeben.

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Ihr Lächeln hatte sein Herz berührt!

Odan konnte es kaum noch ertragen, seinen Gefährten in die Augen zu sehen während er sich ihren heimlichen und mit Hass und Ekel erfüllten Reden über die Dunkelhaarige anschloss, doch ihm fehlte der Mut dazu, ihnen seine wahren Gedanken zu offenbaren oder ihnen auch nur ein winziges 'Aber' entgegen zu halten... oder auch nur ein 'Vielleicht'.

Er fühlte sich feige! Er fühlte sich so unendlich feige, weil er es vorzog, sich lieber nach und nach von seinen Gefährten zurückzuziehen anstatt mit ihnen zu diskutieren oder zu streiten, und so ritt er irgendwann nicht mehr neben ihnen, verbrachte die Abende am Lagerfeuer nicht mehr mit ihnen und verweigerte schließlich sogar die Übernachtung unter einer gemeinsamen Lederplane.

Natürlich wollten Rufur und Haunar wissen, was in ihm vorging, und versuchten ihn zum Antworten zu drängen, doch je mehr sie dabei der Dunkelhaarigen Verzauberungen unterstellten und behaupteten, sie trage die Schuld an seinem Verhalten, desto mehr distanzierte er sich - bis er allein war.

Merkwürdig war dieses Alleinsein. Niemand redete mit ihm - nicht einmal Gimli oder die Elben. Sie hatten ihm zu Beginn seiner Gefangenschaft einige Fragen gestellt, doch als er geschwiegen und sich lieber auf die Lippen gebissen hatte, hatten sie von ihm abgelassen, und seitdem ignorierten sie ihn beinahe vollständig; und seinen Gefährten erging es nicht anders. Immer häufiger drängte sich Odan deshalb der ihm vollkommen absurd erscheinende Gedanke auf, dass er auch einfach gehen konnte, wenn er es nur wollte. Aber sicher war er sich nicht, und eine Pfeilspitze wollte er nicht riskieren.

"Gimli?", fragte er deshalb eines Tages. Unsicher näherte er sich mit seinem Pferd dem ihm so fremden Zwerg. „Warum fesselt ihr mich nicht? Warum foltert ihr mich nicht, um Antworten auf eure Fragen zu erhalten? Habt ihr gar keine Angst vor meiner Flucht? Ich könnte gefährliche Hilfe holen!"

Gimli lächelte breit. „Elben lieben die Freiheit und sie wissen ebenso wie wir Zwerge, dass Gefangenschaft unerträglicher sein kann als der Tod."

"Das heißt, sie töten lieber?", fragte Odan unsicher. Irgendwie konnte er sich des Gefühls nicht entledigen, sich mit seinem Zugehen auf Gimli in einem klebrigen Spinnennetz verfangen zu haben.

"Grundsätzlich ja. Was soll man mit einem gefangenen Ork auch tun? Mit ihm reden? Ihn in die Gesellschaft eingliedern?" Gimli lachte leise. "Aber sie besitzen auch Kerker für... besondere Fälle. Mein Vater Glóin war einst Gefangener eines Elbenkönigs, und du kannst mir glauben, dass das keine fröhliche Angelegenheit gewesen war!", erklärte Gimli und sah Odan dabei so durchdringend an, dass Odan seinem Blick betroffen auswich.

"Wurde er gefoltert?", flüsterte er dabei nur entsetzt.

Gimli schmunzelte heimlich in seinen Bart. Sein Vater hatte ihm schreckliche Geschichten erzählt: Von Daumenschrauben hatte er berichtet, von Hunger und von ständig anhaltendem Lärm, der ihm den Schlaf geraubt hatte. Aber je älter er geworden war, desto verschrobener, übertriebener und unglaubwürdiger waren Gimli die Ausführungen erschienen. Vermutlich hatte sich sein Vater bei einem Ausbruchsversuch den Finger eingeklemmt und er hatte das Essen der Elben einfach nicht gemocht. Vielleicht war der Ohren betäubende Lärm auch nur auf das rauschende Wasser des unterirdischen Flusses zurück zu führen gewesen?

"Nein! Gefoltert wurde er nicht, wenn man davon absieht, dass ihm anstatt seines geliebten Bieres nur Wasser gereicht wurde." Gimli schüttelte energisch den Kopf. "Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass Elben zu unterscheiden wissen, wer ihre wirklichen Feinde sind, und obwohl wir Zwerge uns in ihren Augen nicht immer redlich verhalten haben, so wissen sie doch, dass wir bisher nie auf der Seite Saurons oder Morgoths gekämpft haben." Er betonte das Wort 'bisher' sehr deutlich.

"Was meinst du mit 'bisher'?", fragte Odan ärgerlich. "Glaubst du, ich stünde auf der Seite Saurons oder Morgoths?"

"Tust du es?", fragte Gimli schlicht.

"Nein!", erwiderte Odan empört, doch als das Wort seine Lippen verließ wurde ihm bewusst, dass er sich tatsächlich in einem klebrigen Spinnennetz verfangen hatte. "Nein!"

Sein zweites 'Nein' erfolgte deshalb beinahe bedrückt. Er verschloss sich wieder, wollte sich zurückziehen und sich dadurch aus dem Gespräch winden, welches er selbst begonnen hatte.

"Natürlich nicht! Morgoth ist fort und ich habe auch Sauron vernichtet!" Gimli klopfte ihm dabei freundschaftlich auf die Schulter, und jetzt spürte Odan es ganz deutlich: Er war in dem Spinnennetz gefangen.

Tagelang hatte er die Elben angeschwiegen und ihnen nicht sagen wollen, was ihn dazu getrieben hatte, die Dunkelhaarige töten zu wollen. Tagelang hatte er sich dabei den Kopf zerbrochen, wie er sich seinen Gefährten und deren Plänen loyal erweisen könnte, ohne dabei sein eigenes Gewissen zu belasten, weil ihn Zweifel plagten. Und in all dieser Zeit hatte es ihn zermürbt, weil er nicht verstehen konnte, dass sich die Elbengemeinschaft überhaupt nicht dafür zu interessieren schien, was hinter ihm und seinen Gefährten steckte. Und nun war er es gewesen, der das Gespräch gesucht und sich darin verstrickt hatte!

Er ärgerte sich, und doch konnte er sich nicht aus dem Netz befreien, denn eine Frage drängte und kämpfte sich über seine Lippen.

"Du hast Sauron besiegt?" Jetzt gab es kein Entrinnen mehr.

"Ich war dabei! Hautnah... sozusagen!"

Gimli strahlte ihn an und begann zu erzählen, berichtete von der Bildung der Ring-Gemeinschaft und ihrer Aufgabe, von ihrem Zerfall und den getrennten Wegen, die sich schließlich wieder vereinten und gemeinsam zum großen Erfolg geführt hatten. Volle zwei Tage fesselte das Gespräch die beiden Zwerge aneinander, und Odan glaubte Gimli jedes Wort, denn er schmückte nichts unnötig aus und machte sich selbst nicht zu einem Helden, der Sauron mit einer Hand erwürgt hatte. Er fieberte mit, fühlte mit, und trauerte um Boromirs Tod - und NATÜRLICH hatte Gimli mehr Orks getötet, als der Blonde Jüngling an der Seite der Dunkelhaarigen!

Irgendwann spürte Odan das Spinnennetz nicht mehr, denn die Spinne hatte sich als Pflanzenfresser erwiesen - wie ihm schien. Keine aufdringliche Frage war über Gimlis Lippen gehuscht, keine bissige Bemerkung gefallen oder eine Falle gestellt worden, um ihn zu einer Äußerung zu verleiten, die er nicht machen wollte. Er hatte einfach nur zuhören dürfen - und er hatte sich dabei immerzu fragen müssen, wie Elben und Zwerge, die doch gemeinsam gegen Sauron gekämpft hatten, nun gemeinsam die Dunkelhaarige zur Vernichtung Mittelerdes in den Osten führen konnten.

Etwas stimmte nicht, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Verzauberung durch die Dunkelhaarige so weit ging, dass ein Zwerg wie Gimli eine Geschichte wie die des Ringkrieges erlog. Nein, dieses falsche Etwas musste in den Reden Bizar-kûns versteckt sein, denn er war es gewesen, der ihm die Notwendigkeit des Todes der Dunkelhaarigen mit dem unaussprechlichen Namen nicht erklärt hatte.

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Amlugûr liebte die Schweigsamkeit. Er war sie aus seiner gemeinsamen Zeit mit Fainrhiw gewohnt. Deshalb störten ihn Arafs erstaunlich ausdauernden und belanglosen Berichte über das Familienleben der Sangwa ungemein. Warum redete Araf so viel? Wollte er ihn ärgern? Ahnte er, dass er sich gestört fühlen würde? Amlugûr hielt eine solche Absicht Arafs durchaus für möglich, doch er wollte sich nicht ärgern lassen, und so hörte er selten genau zu, ließ Araf reden und nickte nicht einmal höflich.

Aber Araf blieb stur und schien Amlugûrs mangelndes Interesse nicht wahrzunehmen, sodass Amlugûr sich beinahe gezwungen sah, nach einem neuen Thema zu suchen - einem, welches ihn sehr viel mehr interessierte: Frauen.

"Sippen und Familien scheinen eine große Rolle in deinem Volk zu spielen", stellte er deshalb nach einigen Tagen der Reise fest. "Und doch bist du nicht gebunden, aber gibt es vielleicht trotzdem eine Frau deines Herzens?"

Araf lächelte geheimnisvoll. "Es gibt eine Frau in meinem Leben, aber sie ist keine meines Herzens. Warum sollte sie das auch sein, wenn ich doch alle Frauen beglücken kann, die es wünschen?"

Amlugûr glaubte sich verhört zu haben. Oder vielleicht hatte er auch Araf nicht richtig verstanden. "Beglücken?", fragte er ungläubig. "Du meinst so richtig..." Ihm fiel kein passendes Wort ein, aber Araf nickte und schien das Selbe zu meinen wie er. "Bindest du dich denn damit nicht? Wir Elben..."

"Ich bin kein Elb", fiel ihm Araf ins Wort und sah ihn mit einer Mischung aus Spott und Stolz an. "Bist du jetzt neidisch auf meine Freiheiten?"

Amlugûr war sogar sehr neidisch, aber er gab es nicht zu, sah nur verächtlich auf Araf und trank einen Schluck Wasser, um seine Gedanken fort zu spülen.

"Und diese eine Frau betrügst du? Oder weiß sie von deinen Spielereien mit anderen?", presste er hervor.

Die Frauen, mit denen er seine Nächte verbracht und sie mit harmlosen Küssen oder Berührungen beschenkt hatte, hatten immer gewusst, dass diese Nächte sich nicht wiederholen würden. So viel Ehrlichkeit hatte er ihnen immer entgegen gebracht.

Araf jedoch offenbar nicht. Er zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. "Sie weiß, dass ich kein Elb bin. Wenn sie trotzdem glaubt, ich hätte mich an sie gebunden, dann ist das ihr Problem."

"So!" Mehr vermochte Amlugûr nicht zu sagen. Weil er selber nicht wirklich davon überzeugt war,

dass Seelengemeinschaft eine viel großartigere Angelegenheit war, als einige vergnügliche Stunden im Bett, fiel es ihm schwer, seinen Neid und seine Neugier zu unterdrücken. ... Wie sich das wohl anfühlte? Mit einer Frau? In einer Frau?

"Möchtest du das genauer wissen?", fragte Araf und seine Augen blitzten ihn verschwörerisch an. "Ich könnte es dir erzählen!"

Amlugûr presste kurz seine Lippen aufeinander. Woher wusste Araf, dass er sich dafür interessierte? Oder hatte er nur geraten?

"Nein", erwiderte er abweisend. "Behalte die Berichte über deine Freuden für dich." Einen kurzen Moment lang zögerte er, fügte dann jedoch viel zu hastig hinzu: "Erzähle sie mir ein anderes Mal!"

Er bereute, sich soeben eine Blöße gegeben zu haben, und sah Araf spöttisch lächeln, doch er sah darüber hinweg und schwieg, schwieg um des Friedens Willen.

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Nach seiner Unterhaltung mit Gimli zog sich Odan auch von ihm zurück, blieb nachdenklich und zurückhaltend in seinen Äußerungen und begann seine Gedanken zu ordnen; und Tag für Tag fühlte er sich dabei mehr zu der Elbengemeinschaft hingezogen und lauschte den weichen Stimmen, Geschichten und Liedern am abendlichen Lagerfeuer. Und sie gaben damit so viel von sich Preis: Sehnsüchte, Ängste, Freude...

Manchmal glaubte Odan, dass die Elben allein wegen ihm ihre beinahe tägliche Abendgestaltung begannen, und dann glaubte er das Spinnennetz zu fühlen und die Spinne zu sehen, die ihn packen und aussaugen würde. Doch immer, wenn er diesen Verdacht hegte, musste er nur einen Blick auf die Dunkelhaarige und ihren Partner werfen: Jede Nacht verbrachten sie Arm in Arm, und immer, wenn sich die beiden dabei nicht unter den dicken Lederplanen versteckten, konnte er in ihren Gesichtern ein so erleichtertes Lächeln entdecken, dass auch er selbst befreit aufatmete und begriff, dass es den Elben der Gemeinschaft nicht anders erging. Wer würde da nicht singen und frohlocken, wenn einem das Singen in die Wiege gelegt worden war?

"Niedlich, nicht wahr?", hörte er eines Nachts eine Stimme neben seinem Ohr flüstern. Wieder einmal hatte er den Anblick des Paares genossen und dabei vollkommen vergessen, dass seine Schritte im Schnee in den Ohren eines Elben wie ein lautes Trampeln klingen mussten. Eine der Wachen stand hinter ihm - Rochdil. "Du siehst sie dir häufig an. Warum?"

Odan zögerte, denn obwohl er sich den Elben genähert hatte, hatte er doch bisher nur mit Gimli gesprochen. Doch dann sagte er leise: "Weil ihr Anblick mir den Frieden bringt, den ich suche."

"Dann suchen wir dasselbe", erwiderte Rochdil.

Seine Stimme umschmeichelte Odans Sinne, so dass Odan seine eigene wie ein lautes Dröhnen erschien und er sich hastig zurückzog, um das Paar nicht zu wecken, von dem er ohnehin vermutete, dass es ihn nicht hörte, weil es ihn nicht hören wollte. Er warf dabei einen Blick auf den Elben, sah dessen freundlichen Blick und zog es vor, zu Gimli unter die Lederplane zu flüchten, bevor er in ein Gespräch verwickelt wurde, welches er nicht wollte. Doch vor seinen Gedanken konnte er nicht flüchten und selbst Gimlis leises Schnarchen befreite ihn nicht von seinen Worten, die er zu dem Elben gesagt hatte.

Er suchte Frieden! Aber würde es ihn wirklich jemals geben? Angenommen, Bizar-kûn behielte Recht und der Tod der Dunkelhaarigen würde die Welt retten - würde das wirklich etwas ändern? Wären dann auch die Grünaugen vernichtet? Oder gar die beiden Herrn der Grünaugen? Oder würden jene nur neue Pläne ersinnen und weitere Schlachten führen?

Irgendwie erschien ihm der Tod der Dunkelhaarigen mehr wie das Abhacken der Hand Saurons, denn wenn er Gimlis Geschichte richtig verstanden hatte, dann hatte diese schwere Verletzung im ersten Ringkrieg Sauron nur aufgehalten - um dreitausend Jahre zwar, aber er war nicht vernichtet worden. Würde der Tod der Dunkelhaarigen die Herrn der Grünaugen nicht auch nur aufhalten?

Vielleicht hatte die Dunkelhaarige ihn wirklich verzaubert, aber ihr Lächeln war ihm mehr wert als ihr Tod, der nur einen üblen Plan dunkler Maiar vereitelte und ihnen dann trotzdem ermöglichte, noch weitere fünftausend oder vielleicht sogar zehntausend Jahre lang ihr Unwesen zu treiben. So ein Lächeln war wie die Phiole Galadriels, von der Gimli ihm berichtet hatte. Es war wie ein Licht in beängstigender Finsternis, und das sollte man nicht löschen, auch wenn es die Finsternis nicht vollständig vertreiben würde... Und wenn Bizar-kûn im Dunkeln stehen wollte, dann sollte er Agarmaethor selber umbringen!

Überrascht hielt Odan die Luft an. Er hatte den Namen der Dunkelhaarigen benutzt! Irgendwie fühlte sich das seltsam an. Solange ihr Tod noch in irgendeiner Weise für ihn feststand, solange hatte er ihren Namen nicht benutzen wollen.

"Warum seufzt du?", brummte Gimli verschlafen.

Odan schwieg einen Moment, sortierte seine Worte und sagte dann leise: "Ich dachte an Agarmaethor." Er sprach ihren Namen langsam aus und genoss es, ihn dabei ohne ein schlechtes Gewissen über seine Lippen gleiten zu lassen.

"Warum?" Jetzt war Gimli endgültig erwacht. "Stört es dich, dass sie so offen zeigt, was sie für Legolas empfindet? Glaub mir: Ich kenne sie noch aus einer Zeit, in der sie ihn wegen einer Berührung an ihrer Wange mit einem Messer bedroht hat, weil so ein überflüssiges Geschmuse für sie überhaupt nicht in Betracht gekommen war."

"Geschmuse?", wiederholte Odan verblüfft. In seinen Ohren klang das Wort nicht schön und entsprach nicht der Harmonie, die er bei dem Anblick des Paares empfand.

"Ja, Geschmuse!" Gimli schüttelte sich. "Ich bin dankbar dafür, dass die beiden sich nicht in der Öffentlichkeit gegenseitig füttern oder gar feucht küssen! Bäh!" Angewidert wischte sich Gimli mit der Hand über den Mund.

Odan lachte leise. Das Gespräch hatte einen überraschenden aber angenehmen Verlauf genommen, denn Gimlis Gefühlsausbruch erinnerte ihn ungemein an seine Schwester, die er so über alles liebte.

"Milia und du, ihr beide würdet euch gut verstehen!", sagte er schmunzelnd. "Niemand will sie zur Frau nehmen, weil sie dieses... Geschmuse ekelhaft findet. Und Kinder verabscheut sie abgrundtief!"

"Wie du das sagst!", brummte Gimli. "Vielleicht will SIE niemanden zum Mann nehmen, weil sie alle von ihr nur das Eine wollen! Aber ich kann sie da gut verstehen! Ich will deshalb nämlich auch keine Frau."

Odan stutzte, holte tief Luft, zögerte und biss sich auf die Lippen. Ein Kuppler wollte er nun wahrlich nicht sein, aber...

„Du denkst wirklich darüber nach, meine Schwester zu heiraten? Meine Eltern wären dir ewig dankbar!", sagte er in einem Tonfall, als wäre die Verbindung soeben vereinbart worden. Natürlich würde Gimli nicht zustimmen, aber er wollte wenigstens den Gedanken an seine Schwester in Gimlis Kopf pflanzen.

Tatsächlich antwortete Gimli: „Nicht so schnell, mein Freund! Nicht so schnell!" Eine gewisse Panik lag in seiner Stimme. „Ich muss sie doch erst einmal kennen lernen. Trägt sie einen langen Bart? Das Auge isst schließlich mit, und den Bart muss ich natürlich begutachten. Und ist sie robust und abgehärtet? Hält sie viel aus?"

"Aber ja!" Odan grinste offen. Unter der dunklen Plane konnte Gimli ohnehin nicht sehen, was sich gerade in seinem Gesicht abspielte. "Unsere Eltern haben uns immer gleich behandelt. Wir wurden beide für jede Kleinigkeit grün und blau geschlagen und bei Wasser und Brot eingesperrt, und sie hat nie geweint. Ich war immer stolz auf sie!"

"Ja, aber...", stotterte Gimli. "Das geht mir zu schnell! Und außerdem..." Sein Ton wurde wieder selbstsicher und klang gespielt enttäuscht. "Und außerdem werde ich sie leider, leider nie kennen lernen, denn ich weiß nicht, ob ich dein Volk nach Beendigung meines Auftrages hier überhaupt finden würde. Ich weiß ja nicht, wo ihr lebt."

"Geradezu im Roten Gebirge!", erwiderte Odan hastig. "Wir reiten in die richtige Richtung!"

Er fühlte das Netz - aber die Spinne war keine. Und so erzählte er von seiner Heimat, seiner Familie, der Vereinigung der vier Zwergenvölker und von Bizar-kûn und den beiden Herrn der Grünaugen.

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"Niedlich sollen wir also sein!", murmelte Agarmaethor gekränkt, als Odan und Rochdil wieder verschwunden waren. "Aber ich bin nicht niedlich!" Sie richtete sich auf und verschränkte die Arme. "Diesen Gedanken sollten wir unbedingt unterbinden!"

"Die Gedanken sind frei!", murmelte Legolas verschlafen. "Lass sie doch von dir denken, was sie wollen!"

Agarmaethor sah ihn entrüstet an. "Von mir denken?", wiederholte sie empört. "Rochdil hat nicht nur von mir gesprochen. Dich meinte er auch!"

"Mich? Ich bin doch nicht niedlich! Männer sind nie niedlich!" Legolas erhob sich ebenfalls von seinem Lager und setzte sich aufrecht hin. "Wir Männer sind alles andere, aber NICHT niedlich!"

"Jawohl! Wir Männer..." Agarmaethor verstummte, biss sich auf die Lippen und sah Legolas hilflos an. Ihre Augen begannen zu glänzen und veranlassten ihn dazu, seine Arme um sie legen und sie fest an sich zu drücken.

"Irgendwann wirst du nicht mehr wie Fainrhiw denken", sagte er tröstend und küsste zärtlich ihre Stirn. "Viertausendsiebenhundert Jahre waren immerhin eine lange, lange Zeit, aber irgendwann wird diese Zeit so unbedeutend sein, wie ein einzelner Regentropfen in der Glut eines lebendig flackernden Feuers."

Agarmaethor schluckte verkrampft, schmiegte sich an ihn und vergrub ihr Gesicht in den Falten seiner Kleidung um den Duft einzuatmen, den sie so sehr liebte. Mit ihrer Nasenspitze suchte sie sich dabei einen winzigen Zugang zwischen die Verschlüsse von Legolas' Tunika, streichelte dort seine Haut und war ihm mit dieser winzigen Geste näher als je zuvor.

"Aber meine Narbe auf dem Bauch und meine Haare werden mich immer daran erinnern, wie ich einmal war", erwiderte sie schließlich. "Ich muss nur in den Spiegel schauen, und mir wird bewusst, dass dieser Regentropfen eher einem heftigen Schauer gleicht."

"Deine Haare?" Legolas' Hand und strich über ihre silbernen Strähnen, die gerade so kräftig im Sternenlicht funkelten wie früher sein Ring aus Ithildin. "Wunderschön sind sie, und einzigartig."

"Fainrhiw besaß silbernes Haar. Diese Strähnen sind ein Teil von ihm", flüsterte Agarmaethor tonlos. "Fainrhiw steckt noch immer in mir, und mein Haar glänzt immer dann besonders schön, wenn er sich bemerkbar macht... so wie vorhin."

"Natürlich steckt er noch immer in dir!" Legolas lächelte sanft. "Du hast dich aus ihm entwickelt, wie eine Blume aus einem Samenkorn. Deine Erfahrungen, Erinnerungen und Kenntnisse besitzt du aus deiner Zeit als Fainrhiw, und sie haben dich zu der Person gemacht, die gerade in meinen Armen liegt und die ich so sehr ins Herz geschlossen habe, dass ich sie nicht mehr missen möchte. Aber wenn du mit deinem Haar unglücklich bist, dann schneide es ab. Ich helfe dir dabei."

Agarmaethor löste sich aus Legolas' Umarmung und sah ihn erstaunt an. Ihre Augen glänzten noch immer, aber sie hatte nicht geweint. "Abschneiden?", fragte sie und schüttelte dabei den Kopf. "Ich WILL mich an Fainrhiw erinnern. Meine Vergangenheit war eine Qual, und die Gedanken daran treiben mir Tränen in die Augen und lassen mich manchmal Dinge tun, die keine... normale Frau tun würde. Aber wäre das Leben nicht viel zu leicht, wenn man seine unangenehmen Erinnerungen einfach vernichten könnte? Und würde man dabei nicht auch vergessen, wer man einmal war und was einen zu der Person gemacht hat, die man heute ist... und... und die heute geliebt wird?" Sie errötete bei ihren Worten. "Sagtest du das nicht gerade?"

Ja, etwas in dieser Art hatte er gesagt, und doch war Legolas einen Moment lang sprachlos.

Silamîriel war es gewesen, die ihre Erinnerungen in eine Phiole verbannt hatte, um sich das Leben leichter zu machen. Beinahe fünftausend Jahre lag das inzwischen zurück, und es überraschte Legolas nicht wirklich, dass Agarmaethor auch ohne Kenntnis ihrer damaligen Tat eine solche nicht wiederholen würde. Schließlich war sie damals ein blutjunges und einfältiges Elbenmädchen gewesen, das sich unglücklich verliebt hatte, und als Fainrhiw und letztlich auch als Agarmaethor war sie nicht nur älter und reifer geworden, sondern hatte auch unter ganz anderen Einflüssen gelebt.

Nein, überrascht war er nicht, aber schockiert, denn ihre Zustimmung zu seinen Worten hatte ihm plötzlich bewusst gemacht, welche Gefahr und zugleich auch welche Hoffnung sie in sich barg.

Welche Schlussfolgerung zog sie aus ihren Gedanken? Dass auch die Erinnerungen an ihre Vorvergangenheit als Silamîriel ein so wichtiger Teil von ihr waren - dass sie ihre Persönlichkeit vervollständigen würden? Oder würde sie ihre Vorvergangenheit gerade deshalb ruhen lassen, weil ihr Verlust nun einmal geschehen war und auch dieser Verlust Teil dessen war, was sie heute darstellte? Wie gelähmt starrte er sie an.

"Was ist mit dir?", fragte Agarmaethor besorgt. "Bedrückt dich etwas?"

Legolas schluckte, überlegte, ob er Agarmaethor von ihrer Tat berichten sollte und konnte es nicht. Er konnte es einfach nicht!

"Nein! Mich bedrückt nichts", presste er hervor. "Ich war nur so überrascht und ich bin so unendlich stolz auf dich!"

Stolz war er wirklich - stolz darauf, dass sie sich so wunderbar entwickelte, dass sie ihre Zeit als Fainrhiw nicht einfach verdrängen und sich mit ihr auseinander setzten wollte und dass sie so viel Mut gefunden hatte, sich nicht aufzugeben und ihren Weg zu gehen.

Und doch... Er hatte Angst, Angst, dass sie sich mit ihren Erinnerungen als Silamîriel verändern würde und nicht mehr die war, die ihn mit ihrem Lächeln verzauberte.

Agarmaethor sah ihn unsicher an und zögerte kurz, so als wolle sie etwas sagen, doch dann versteckte sie ihr Gesicht erneut in den Falten seiner Tunika und atmete dort tief ein.

"Du hast keine Vorstellung davon, wie sehr ich deinen Duft liebe!", flüsterte sie leise. "Und nie mehr möchte ich ohne ihn sein."

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