Liebe Zwergenfreunde,
zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass das Kap so lange gebraucht hat, um veröffentlicht zu werden. Der Grund dafür ist kurz erklärt: Ich konnte nicht mehr.
Obwohl die Geschichte eigentlich fertig ist, steckt noch eine Unmenge an Arbeit darin, die ich nachträglich investiere, um sie so zu machen, wie sie mir auch selber gut gefällt. Und die Zeit dafür geht natürlich immer von meiner Freizeit abends nach meinem Job ab. Das mache ich nun seit einem halben Jahr, und wenn man zu gar nichts anderem mehr kommt, als Job und FF, dann ist man irgendwann total ausgepowert. Ich jedenfalls bin es.
Mir tut das natürlich unendlich leid, dass ihr so lange warten musstet, und natürlich kann ich nur versprechen, dass ich mich bemühe, denn so kurz vor dem Ende (naja... kurz ist relativ, aber es ist schon absehbar) will ich natürlich auch alles zu Ende bringen.
Aber ich bitte um Entschuldigung, dass es länger gedauert hat und dass das nächste Kap möglicherweise auch nicht sofort in den sonst gewohnten zwei Wochen erscheinen wird.
Vielen lieben Dank an euch alle, die ihr mir so treu seid! ganz fest umarmt
Aber um euch auch eine kleine Überraschung machen zu können, verweise ich mal auf den Bereich
"Fanfiction zur Fanfiction" bei www.fanfiktion.de
http/fanfiktion.de/s/42c24ec60000140906700fa0/6
Aeweth hat mir nämlich eine Kurzgeschichte geschrieben: "Das erste Mal" (bitte UNBEDINGT auf das Rating achten), die euch hoffentlich für all die Warterei entlohnen wird. ;-) Vielen Dank, Awi! kuss
So. Und nun viel Spaß!
Euer Kampfzwerg
Reviewantworten:
arishi87
Huhu! Hast du meine e-mail erhalten? Wie gesagt: Ich freue mich sehr, dass du dich als Leserin geoutet hast. :-) Und noch viel mehr freue ich mich, dass du so gefesselt bist und meine Charas ins Herz schließt. :-) Die Länge der Kaps variiert natürlich, aber ich gebe mir Mühe. Wenn du mal Zeit hast, kannst du mir deine Zeichnung von Araf gerne einmal schicken.
melethil:
Ach was!
Natürlich bin ich nicht böse! Immerhin meldest du dich
gelegentlich und immer wieder. Traurig wäre ich vermutlich, wenn
die FF zu Ende ist und ich nichts von dir höre, weil ich dann
glauben würde, dass du sie nicht bis zum Ende gelesen hast, weil
sie dir nicht mehr gefallen hat. Aber zwischendurch... gar kein Ding.
;)
lach An Legolas soll Araf ja gar nicht rankommen. Araf ist für die Lesergemeinde, die ein kleine Schwäche für Fieslinge hat. zwinker Wie es mit Agarmaethor und Legolas weitergeht...? Spannend bis zum Ende. ;-)
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Geschenkte Freiheit
Amlugûrs Nacht verlief schlaflos. Unzählige Fragen plagten ihn, Fragen, die sich weniger um die von Araf angedeutete 'große Sache' als vielmehr um die Glaubwürdigkeit des Sangwa selbst drehten, denn erst eine Einschätzung aller Umstände sollte seinen Umgang mit der 'großen Sache' bestimmen.
Doch obwohl er alle seine Gespräche mit Araf in Gedanken wiederholte und dabei krampfhaft nach Zweideutigkeiten, Widersprüchen und fragwürdigen Lücken suchte, vermochte er keine zu finden. Da war nichts, das ihm den Beweis für eine Lüge geliefert hätte, nichts, das ihn von einem Hinterhalt überzeugt hätte... außer natürlich der Umstand, dass Araf ein Sangwa, ein Vergifteter mit einer dunklen Aura und einem schier bodenlos frechem Verhalten war.
Aber durfte das genügen? Durfte man jemanden für unglaubwürdig halten, weil er aus der Zucht einer Dienerin Morgoths stammte?
Ja! Ja, das durfte man. Und doch...
Unruhig wälzte sich Amlugûr auf seinem Lager bis die Strahlen der Sonne sein goldenes Haar streichelten, ohne dass er auch nur einen Atemzug lang geschlafen hatte.
"Zu einer erfolgreichen Lüge gehören immer zwei Personen: eine, die lügt, und eine, die die Lüge glaubt. Von dir aber weiß ich, dass du mir im Grunde nichts glaubst. Warum also sollte ich mir die Mühe machen zu lügen?"
Obwohl Araf leise gesprochen hatte, durchtrennte seine Stimme die kalte Morgenluft wie ein Peitschenknall und riss Amlugûr aus seinen nächtlichen Gedanken.
"Ich weiß nicht, warum du dir die Mühe machen solltest", erwiderte Amlugûr. "Aber es wird schon einen Grund geben."
Araf setzte sich aufrecht hin und begann verträumt über den von der Morgensonne zart rosa gefärbten Schnee zu schauen.
"Lügen sind mir zu anstrengend. Man verstrickt sich dabei zu schnell in gefährliche Widersprüche", sagte er schlicht. "Lieber schweige ich, wenn ich nicht antworten will."
"So, wie du bei meiner Frage geschwiegen hast, warum du gegen Thuringwethil vorgehen willst?", Amlugûr setzte sich ebenfalls aufrecht hin, sodass es ihm leichter fiel, mit seinen Blicken den Sangwa zu durchbohren.
"Nein, denn diese Frage beantwortete sich von selbst. Oder habe ich dir nicht genug erzählt um zu begreifen, dass Thuringwethil mitverantwortlich an den Krankheiten und Behinderungen meines Volkes ist? Darf ich sie dafür nicht hassen? Darf ich dafür keine Rache nehmen?"
"Rache? Ist das alles?", fragte Amlugûr misstrauisch.
Araf schmunzelte. "Um eine Lüge zu umgehen kann es auch genügen, nur eine von vielen ehrlichen Antworten zu geben. Deshalb nannte ich dir als Grund zunächst nur die Rache. Doch es gibt noch einen zweiten Grund - ja. Nur wollte ich ihn dir nicht sofort offenbaren, weil ich ahnte, dass er dir nicht gefallen wird. Aber da du nun fragst: Ich will Thuringwethil ersetzen! Ich will die Führung meines Volkes übernehmen."
Zum allerersten Mal zweifelte Amlugûr nicht einen Moment lang an Arafs Worten, denn viel zu gut passte dessen Drang nach Macht und Einfluss zu seiner Vorstellung von einer Kreatur Morgoths. Und doch schluckte er beklommen, rang nach Atem.
"Du hast Recht. Dieser Grund gefällt mir nicht!", presste er hervor.
"Das habe ich befürchtet", erwiderte Araf ruhig. "Aber ich verstehe dich nicht. Wäre dir denn die Herrschaft einer Person, die keine Hand an Silamîriel legen will, nicht lieber als die Herrschaft Thuringwethils? Und wäre ein Herrscher, der nicht das Banner des Krieges gegen Menschen und Elben vor sich her trägt, nicht tausende Male besser als eine Herrscherin, die nichts anderes plant, als im Auftrage Melkors die Welt zu betrügen und schließlich zu unterjochen?"
Amlugûr schwieg. Unsicher ertasteten seine Hände einige verkohlte Hölzer des erkalteten Lagerfeuers und begannen unruhig mit ihnen zu spielen.
"Haben dich meine Pläne wirklich so sehr schockiert?", fragte Araf amüsiert. "Wolltest du denn nicht ohnehin mit meinem Volk über einen Umsturz verhandeln? Was hast du dir denn für Vorstellungen über die Zukunft der Meinen gemacht? Wolltest du ein gleiches Mitspracherecht für alle anstreben? Oder wolltest DU etwa die Herrschaft übernehmen?" Arafs letzte Frage ging beinahe in einem belustigten Lachen unter, doch als er Amlugûrs betroffenen Gesichtsausdruck wahrnahm verstummte das Lachen abrupt. "Das war nicht dein Ernst, oder etwa doch?", fragte er entsetzt. "Du wolltest doch wohl nicht wirklich...?"
"Natürlich nicht!", fauchte Amlugûr ihn gereizt an. "Ich weiß selbst, dass ich dafür nicht geeignet wäre und dachte deshalb an jemanden anderen... vielleicht an einen der Söhne Elronds oder... oder..."
Er biss sich auf die Unterlippe bis sie blutete, doch er spürte den Schmerz nicht, weil seine Gedanken in seinem Kopf so heftig hämmerten, dass sie ihm die Sinne zu rauben schienen.
"Wissen die Söhne Elronds von ihrem Glück? Nein?", fragte Araf und schien dabei nur schwer gegen schallendes Gelächter ankämpfen zu können. "Wie hast du dir das eigentlich vorgestellt? Wolltest du einfach zu unseren Siedlungen stoßen und feierlich erklären:
'Seid gegrüßt, geliebte Sangwa! Schon immer sorgte ich mich um euer Wohlbefinden, und deshalb biete ich euch eine neue Führung an. Sie ist ein Geschenk der Valar, die sich ebenfalls schon immer um euer Leid und eure Bedürfnisse sorgten. Aber dieses Geschenk erhaltet ihr natürlich nur, wenn ihr als Gegenleistung euer Leben riskiert und Thuringwethil für mich tötet... oder besser noch! Wenn ihr dafür sorgt, dass ich sie töten kann!'
"Ich muss dir ehrlich gestehen, dass ich mehr von dir erwartet hätte - nicht viel mehr, aber mehr", fuhr Araf stichelnd fort. "Ich dachte, du würdest Gold und Geschmeide anbieten, vielleicht Rinder oder Pferde, und mit einer Unze mehr Intelligenz möglicherweise auch die Hilfe Elronds bei der Heilung unserer Krankheiten - natürlich auch ohne ihn vorher gefragt zu haben. Aber dass du SO größenwahnsinnig bist, das hätte ich nicht geglaubt. Und ich dachte wirklich, dass die zweihundert Jahre Beobachtung mir ausreichend Einblick in deinen winzigen Verstand..."
"Das genügt!", unterbrach Amlugûr ihn zornig.
"Wahrheit kann es nie genug geben!", erwiderte Araf ruhig.
"Ich sagte: Das genügt!", wiederholte Amlugûr und zwang sich zur Selbstbeherrschung. Noch nie in seinem Leben hatte er den Drang verspürt, einen gefesselten Gefangenen mit Füßen zu treten oder ihn verhungern zu lassen, aber jetzt fühlte er diesen Wunsch tief und inbrünstig. Seine Augen funkelten Araf wütend an. "Ich weiß selbst, dass mein Plan ein wenig... wagemutig ist, obwohl ich ihn mit Sicherheit nicht so ausgeführt hätte, wie du dir das vorzustellen scheinst. Doch auch ohne eine hohe Meinung von meinem Vorhaben, besitzt du noch lange nicht das Recht, grob und beleidigend zu werden! Behalte deine Ansichten also für dich!"
"Wer die Wahrheit ausspricht, braucht ein schnelles Pferd", erwiderte Araf mit einem dramatischen Seufzen. "Aber gut. Ich muss zugeben, dass ich kein Pferd besitze. Also werde ich mich zu deinem... größenwahnsinnigen, absurden und närrischen Plan nicht mehr äußern. Ich werde nicht mehr sagen, dass..."
Amlugûr wandte sich ab und ließ Araf liegen. Er wollte dessen weitere Worte nicht mehr hören und eilte nur davon, um weit weg von dem Sangwa sein Gesicht in einer Schneewehe kühlen zu können.
"Dummheit!", hörte er Araf über die Ebene schreien. "Eselei!"
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Odan war froh darüber, dass Gimli es übernommen hatte, seine Erzählung der letzten Stunden vor den Elben zu wiederholen und ihn damit nicht allzu sehr ihrer Aufmerksamkeit auszusetzen. Ihm genügten die feindlichen Blicke seiner beiden Gefährten, die sich immerzu in seinen Nacken bohrten; doch obwohl er sie spürte, bereute er seinen Schritt nicht. Sie schmerzten nur ungemein, und so schaute er nicht zu Rufur und Haunar, wagte es nicht, ein aufmunterndes und freundliches Lächeln an sie zu richten, sondern starrte nur in die Flammen des Lagerfeuers während er Gimli gelegentlich ergänzte oder verbesserte.
Schweigen herrschte, als Gimli geendet hatte - ein nachdenkliches Schweigen. Es schien, als hätten die beantworteten Fragen neue aufgeworfen, welche einem Steinschlag gleich Hoffnungen zerstörten oder Ängste schürten. Zauberer also waren verwickelt! Mächtige Zauberer, von denen einer gemeinsam mit Thuringwethil die Bevölkerung des Ostens nahezu vernichtet hatte. Und auch die Pläne des anderen war niemandem wirklich geheuer weil niemand sie zu durchschauen vermochte.
"Obwohl unsere Gemeinschaft aus guten und erfahrenen Kriegern besteht, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir scheitern", murmelte Mithlondion. "Doch wer wird dann jemals davon erfahren, ehe die Feinde unsere Heimat erstürmen und vernichten? Wer wird berichten und warnen?"
"Das klingt, als würdest du fliehen wollen", erwiderte Legolas bissig.
"Fliehen?" Mithlondion sah ihn beleidigt an. "Ich denke nur an die Worte der Herrin Galadriel, denn sagte sie nicht selbst, es sei Teil unserer Aufgabe herauszufinden, was hier vor sich geht? Sagte sie nicht, wir sollten zurückkehren, wenn unsere Aufgabe unser Können übersteigt?"
"Das sagte sie, aber ich sehe nicht, warum unsere Aufgabe unser Können übersteigen sollte!" Legolas' Blick durchbohrte Mithlondion. "Viele von uns haben bereits Schlachten gegen unzählige Gegner und mächtige Maia gefochten! Wie aussichtslos erschien uns damals die Situation, und doch siegten wir!"
"Damals gab es keine andere Hoffnung, als den Krieg zu gewinnen, nachdem Sauron ihn begann. Heute aber könnten wir uns Rat und Beistand holen. Wir sollten uns diese Zeit nehmen. Allein unser aller Sorge um Agarmaethor und die Visionen, welche sie ohne eine Beendigung der Reise in den Tod treiben würden, zwingt uns doch, unsere Reise fortzusetzen!" Er sah Agarmaethor um Verständnis bittend an. "Ich verstehe das und würde dich niemals opfern wollen. Aber wenn einer oder zwei von uns umkehren würden, um Hilfe zu holen... Schließlich geht es doch um unser aller Wohl!"
Agarmaethor holte Luft, um etwas zu sagen, doch Gimli kam ihr zuvor.
"Wer sagt, dass wir im Osten keine Hilfe finden würden? Pallando mag seine eigenen Pläne verfolgen, doch nur, weil er nicht alle seine Gedanken offenbart, bedeutet dies nicht, dass er hässliche Geheimnisse hegt und tatsächlich unser Feind ist. Sicher ist doch nur eins: Alatar ist ein Gegner, doch einen Teil seines Heeres haben wir bereits geschlagen." Mit seiner Handfläche schlug er auf den Griff seiner Axt und sah Mithlondion kampflustig an.
"Ich kann dem nur beipflichten", warf Odan vorsichtig ein. "Mein Volk nennt ihn Bizar-kûn, den 'Abgrund-Mann', weil er während eines Streites mit Alatar in einen tiefen Abgrund stürzte - in einen Spalt, der noch heute von einer großen Höhle aus durch den Felsen in unser Reich führt. Sein Körper prallte damals auf einen Vorsprung, wo unsere Vorfahren ihn mit zerschmetterten Gliedmaßen und gebrochenem Rückgrat fanden. Er war deshalb sehr lange krank, und sein Zorn auf Alatar war seiner Heilung wenig förderlich. Was immer er auch plant: Er will mit Sicherheit Alatars Vorhaben nicht fördern."
"Nun ja... fördern möglicherweise nicht. Aber macht Hass nicht auch blind?", fragte Mithlondion. "Vielleicht handelt er nur aus dem Wunsch nach Rache heraus? Ans Bett gefesselt, krank, schwach... Ich würde ihn verstehen können."
"Er ist nicht mehr krank und schwach!", wehrte Odan ab. "Er vermag zwar nicht mehr zu gehen oder zu stehen, aber mein Volk baute ihm nach seinen Anweisungen einen Stuhl mit Rädern, um sich selbständig fortzubewegen. Er hat viele Dinge erfunden, die nicht nur ihm das Leben sehr erleichtern."
"So war er es wohl auch gewesen, der euch Zwerge davon überzeugte zu reiten?", fragte Aneru neugierig. "Ich sehe Gimli von Tag zu Tag den Pferderücken schänden, während du ihm eher... schmeichelst."
"Ich hätte es nie gelernt, wenn ich nicht ebenso dazu gezwungen gewesen wäre wie viele andere Krieger", erwiderte Odan bescheiden. "Als Bizar-kûn die vier Königreiche des Ostens vereinte, führte er die Zwergenvölker an einen Ort zusammen. Anders wäre ein Überleben auch kaum möglich gewesen, denn die Menschen unter Saurons Herrschaft und unter der Führung Thuringwethils und später auch die Grünaugen unter Alatar setzten uns sehr zu. Ihr selbst sagtet, ihr hättet die Inschrift in der verlassenen Stadt gelesen. Sie ist ein Beispiel für das Schicksal meines Volkes."
"Ich verstehe!", sagte Aneru. "Ihr konntet ja nicht wie Maulwürfe Tunnel graben und musstet euch deshalb eine andere Möglichkeit suchen, um euer Hab und Gut schnell über die Ebene zu transportieren."
Odan nickte. "Es handelte sich damals um entlaufene Pferde der durch die Grünaugen erschlagenen Menschen, und einen Teil dieser Pferde züchten wir bis heute." Unruhig begann er sich den steifen Nacken zu massieren. "Es ist so...", stotterte er und spähte erneut zu seinen Gefährten. "Wir benutzen schmale Täler, in denen wir Pferde halten, Obstgärten und kleine Felder pflegen und... und auch Bäume züchten, um mit ihrem Holz unsere Schächte abstützen zu können. Aber Bäume liebe ich deshalb trotzdem nicht!", fügte er hastig hinzu.
Gimli schmunzelte breit. "Natürlich nicht!", bestätigte er mit einem überschwänglichen Nicken.
"Wirklich! Ich - liebe - keine - Bäume!", wiederholte Odan nachdrücklich und starrte Gimli ein wenig erzürnt an. "Ihr müsst das verstehen! Wir besitzen keine Handelspartner, um unsere Erze gegen Nahrung, Stoffe oder Holz eintauschen zu können. Die Grünaugen jagen uns, Elben gibt es nicht mehr und Menschen auch nicht. Wie sollten wir sonst überleben… Wie..."
"Du musst dich wahrlich nicht rechtfertigen", unterbrach ihn Elrohir freundlich. "Nur wie kommt es, dass die Grünaugen oder auch Sangwa - wie wir sie inzwischen nennen - eure Täler nicht ausfindig machen und zerstören können?"
"Geheime Zugänge", erklärte Odan zurückhaltend. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Warum auch? Die Elbengemeinschaft musste nicht jedes Geheimnis erfahren.
"Der Zwerg fasst einfach kein Vertrauen zu uns und scheint dazu auch ebenso verschlossen zu sein wie Pallando", knurrte Rochdil gespielt beleidigt. "Vermutlich ist der Zauberer auch ebenso stur und eigensinnig. Es ist ein Wunder, dass nicht nur Streit und Kampf unter den vier Königen herrscht."
"Ich bin nur ein Krieger, doch natürlich gelangen viele Gerüchte um Streitigkeiten an mein Ohr. Gerüchte nur - mehr nicht", erwiderte Odan bemüht offen. "Bizar-kûn scheint diese Streitigkeiten jedoch schlichten zu können, denn niemals hörte ich von größeren Auseinandersetzungen."
"Oder aber er belügt alle, damit er keinen Grund zum Schlichten hat!" Mithlondion erhob sich. "Das erklärt, warum er niemandem wirklich mitteilt, warum Agarmaethors Tod ihm notwendig erscheint."
"Vielleicht steckt die Gefahr in meinen Erinnerungen?", flüsterte Agarmaethor, und obwohl sie flüsterte erreichten ihre Worte die Ohren aller. "Möglicherweise war ich einst eine großartige Schmiedin und habe viel von meinem Vater gelernt? Immerhin war ich in der Lage, die Pflanzen und Blüten im Palastgarten Lóriens zu erschaffen!"
"Das warst du?", fragte Elladan überrascht. "Du hast diese duftenden Blüten aus Metall kreiert?"
Agarmaethor nickte mit einem unverkennbar vorhandenen Stolz, doch vorsichtig und zurückhaltend fügte sie hinzu: "Und wer weiß, wozu ich noch in der Lage wäre? Vielleicht... vielleicht hat Pallando mit seiner Sicht der Dinge Recht. Vielleicht wäre ich in der Lage die Welt zu zerstören - doch mit einem Mittel, welches Gier und Neid unter den Völkern Mittelerdes weckt... oder gerade weil es Gier und Neid unter den Völkern weckt."
"Du meinst, er hält sein Wissen verborgen und will dich töten, damit niemand erfährt, was du erschaffen könntest?", fragte Mithlondion unsicher. "Damit Neid und Gier gar nicht erst entstehen?"
Agarmaethor nickte. "Mein Tod würde deshalb wahrlich allen von Nutzen sein... Nein!" Sie wehrte die sie treffenden, entsetzten Blicke mit einer Handbewegung ab. "Ich denke nicht daran, diese Welt kampflos zu verlassen, denn noch wissen wir nichts sicher!"
"Das würde ich dir auch bis zum Ende Ardas vorwerfen!", schmunzelte Elladan. "Schließlich will ich nicht umsonst über diese elend tote Ebene geritten sein."
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Der Vorteil einer Ebene war eindeutig der, dass man seine Schritte in jede Richtung lenken konnte, ohne dabei größere Hindernisse überwinden zu müssen. Doch der Nachteil einer solchen Landschaft war die Notwendigkeit einer Entscheidung, in welche Richtung man zu gehen wünschte.
Stundenlang saß Amlugûr im Schnee und starrte in die Ferne. So viele Wege, die sich ihm boten, so viele... Und obwohl sie doch alle in gerader Richtung zu jedem gewünschten Ziel führen sollten, glaubte Amlugûr sich verlaufen zu haben.
Ausgehend von seiner Vorstellung über das Wesen der Orks und seiner Überzeugung davon, dass die Sangwa ihnen gleichen mussten, weil auch sie im Sinne Morgoths erschaffen worden waren, hatte er angenommen, ihr Bedürfnis nach einer starken Führung befriedigen zu können, indem er ihnen ein neues Oberhaupt anbot - ein Oberhaupt, welches ihnen eine Zukunft fernab von Elben und Menschen bot und ihnen doch die Freiheiten ließ, die Thuringwethil ihnen mit Sicherheit nicht schenkte.
Dies war sein Ziel gewesen - ein eindeutig gestecktes Ziel! Und wie jedes andere Ziel auf der weiten Ebene hätte er es über einen direkten Weg erreichen können. Hätte! Hätte, hätte, hätte, hätte...! Wäre da nicht Araf gewesen.
Für Amlugûr hatte Araf der Weg zu seinem Ziel sein sollen - zunächst über dessen Bekanntschaft und später über Verhandlungen mit ihm. Doch Amlugûr hatte schnell erkannt, dass es ihm unmöglich war mit Araf zu verhandeln und war vom Weg abgewichen, indem er begonnen hatte, nach neuen Verhandlungspartnern zu suchen.
Unangenehm war diese Abweichung gewesen, aber erträglich - bis jetzt! Aber nun war zu der Abweichung noch ein neues Ziel hinzugekommen. Es ähnelte Amlugûrs ursprünglichen Plänen, weil es ebenfalls das Ende Thuringwethils bedeutete, doch trotzdem war es ein neues Ziel, denn niemals hatte Amlugûr einen Sangwa in der Rolle des neuen Oberhauptes gesehen. Niemals!
Ein neuer Weg und ein neues Ziel. Beide entsprachen nicht Amlugûrs Vorstellungen, doch noch immer befand er sich auf einer Ebene, und noch immer konnte er deshalb jede beliebige Richtung einschlagen... jede!
"Dein inneres Feuer scheint erloschen zu sein", sagte Araf traurig, als Amlugûr ihm schließlich wieder gegenüber stand und mit glanzlosen Augen auf ihn herabschaute. "Vielleicht habe ich heute Morgen wirklich eine Winzigkeit übertrieben - nicht inhaltlich, aber in meinem Gebaren."
"Vielleicht", erwiderte Amlugûr abweisend, bückte sich zu den Fesseln Arafs herab und durchtrennte sie mit seinem Dolch. "Geh! Ich gebe auf! Ich will dich nicht einmal mehr töten. Aber gehe jetzt, bevor ich es mir anders überlege."
Araf erhob sich mit runzelnder Stirn. "Du gibst auf? Wie armselig!"
Amlugûr zuckte mit den Schultern. "Vielleicht war mein Plan wirklich eine Eselei, aber auf einen Beweis will ich es nicht mehr ankommen lassen. Ich gebe auf! Geh nun! Nimm etwas Fleisch mit, aber geh!"
Araf sammelte seine Sachen und steckte auch eine Keule des gebratenen Hasens in seine Taschen. "Und du willst nichts über mein Vorhaben erfahren?", fragte er dabei. "Du willst wirklich aufgeben, obwohl du dein gesamtes Leben lang nach einer Gelegenheit für eine Heldentat gesucht hast?"
"Du machst mich krank, Araf", erwiderte Amlugûr leise und massierte sich die Stirn. "Mein Kopf schmerzt, ich glaube, meine Stirn ist heiß und übel ist mir auch! Lass mich also in Ruhe!"
Araf musterte Amlugûr einige Atemzüge lang eindringlich. Ein leichtes Lächeln umspielte dabei seine Lippen, doch es war unscheinbar und heimlich.
"Nicht ich mache dich krank, sondern das Bewusstsein, versagt zu haben", erwiderte schließlich spitz. "Du bist mit großen Schritten auf dein Ziel zugeeilt, ohne dabei die notwendige Geduld für die kleinen Dinge aufzubringen. Hättest du das jedoch getan, dann hättest du nicht das Wünschbare mit dem Machbaren verwechselt. Meine Worte haben dir dies nur bewusst gemacht. Aber gib mir nur die Schuld dafür. Das stört mich nicht. Mich stört nur, dass du aufgibst."
Amlugûr sah Araf nicht an. Er erhob sich nur wie ein alter Mann und begann sein Gepäck auf sein Pferd zu laden. "Warum stört dich das? Wegen deiner 'großen Sache'? Benötigst du dafür etwa meinen winzigen Verstand?", fragte er müde.
"In der Not nennt der Bauer sein Schwein Onkelchen." Araf lächelte. "Ich bin in Not, du bist ein Schwein. Hilf mir!"
Obwohl Araf ihn soeben zutiefst beleidigt hatte, musste Amlugûr beinahe lachen - zum ersten Mal seit Beginn seiner Bekanntschaft mit dem Sangwa. Doch er unterdrückte es.
"Du bittest mich um Hilfe?", fragte er kühl. "Du? Warum? Besitzt du keine Anhänger unter Deinesgleichen?"
"Ich könnte sicherlich welche finden, wenn ich sie denn suchen würde, aber diese Suche wäre gefährlich. Zu viele meines Volkes verehren unsere Herren, zu viele könnten mich deshalb verraten. Du aber bist zumindest in dieser Hinsicht vertrauenswürdig." Araf neigte den Kopf und sah Amlugûr mit einem warmen Lächeln an.
"So? Vertrauenswürdig bin ich also?" Amlugûr runzelte die Stirn. "Aber ein Schwein bin ich außerdem?"
Araf lächelte amüsiert und hockte sich neben ihn. "Welche Antwort wäre dir lieber: Du bist ein Schwein, weil ich dich zum Überleben brauche und dich schlachten würde, wenn ich es für nötig hielte - oder - du bist ein Schwein, weil du gerade versucht hast, Mitleid heischend über mein großes Herz Zugang zu mir zu finden?"
"Du hast mich durchschaut?", fragte Amlugûr ein wenig zerknirscht.
Araf lachte. "Ja. Vermutlich habe ich dich wegen meines Mitgefühls für Fainrhiw auf den Gedanken gebracht, aber obwohl dein Vorgehen eines Mannes unwürdig ist muss ich doch zugeben, dass es erfolgreich war. Ich habe nachgegeben. Aber nur, weil ich vermeiden wollte, dass du schon bald die Frauen in Valinor langweilst!"
"Zumindest besäße die neue Auswahl dort etwas Erfrischendes", erwiderte Amlugûr schnippisch, "ein Vorzug, den du wohl nie erleben wirst."
"So gefällst du mir viel besser!" Araf schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. "Aber eines sollte dir bewusst sein: Ich kann dich trotzdem nicht ausstehen. Dies ist eine Zweckgemeinschaft, und ich würde dich wirklich schlachten, wenn ich es für nötig halten sollte!"
Amlugûr nickte. "Ich mag dich auch nicht, und deshalb sollte dir bewusst sein, dass ich dir mit Ergreifung der Macht ganze drei Atemzüge gönnen werde, bevor ich dich jage und töte. Nun erzähle! Was ist deine 'große Sache'?"
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"Was bedrückt dich, mein Stern?", flüsterte Legolas Agarmaethor ins Ohr.
Alle waren nach dem langen und ausführlichen Bericht Gimlis und Odans ruhen gegangen, und auch Agarmaethor schmiegte sich in Legolas' Arme, doch sie sah nur traurig in den Sternenhimmel.
"Nenne mich bitte nicht so!", murmelte sie. "Ich mag das nicht. Das wirkt so übersüßt und passt nicht zu mir... es sei denn, du siehst mich als ein unerreichbares Licht. Doch das würde mich unglücklich machen." Sanft strich sie ihm dabei über die Wange um ihm zu zeigen, dass sie ihm nicht zürnte.
"Aber 'Blutkrieger' passt ebenso wenig zu dir - jedenfalls nicht mehr", seufzte Legolas. "Und auch Silamîriel magst du nicht. Wie möchtest du denn genannt werden?"
Agarmaethor zuckte hilflos mit den Schultern und sah erneut in die Sterne. "Das ist nichts, worüber ich mir Gedanken mache", sagte sie. "Irgendwann werde ich mich an Silamîriel gewöhnen müssen - schließlich ist das nun einmal mein Name... wenn es denn ein 'Irgendwann' geben sollte." Den letzten Satz fügte sie beinahe betrübt hinzu. "Mithlondion sollte wirklich umkehren und wieder in den Westen reisen."
"Warum?", fragte Legolas hitzig und ließ sich dabei auf den Themenwechsel ein. "Meinst du denn, uns gelingt es nicht, unsere Aufgabe auch ohne die Hilfe der Herrin Galadriel zu bewältigen? Wenn wir mit Mithlondions Fortgehen einen weiteren guten Krieger verlieren, dann magst du allerdings Recht behalten." Eine Prise Verbitterung schwang in seiner Stimme mit.
"Ein guter Krieger ist er nur, solange er voll und ganz hinter der Sache steht, die von ihm verlangt wird. Aber er zweifelt, und auch ich denke, dass Mithrandir und vielleicht sogar die Valar selbst erfahren sollten, was hier vor sich geht, denn ich bezweifle ernsthaft, dass sie es gutheißen, wenn die, die sie einst zur Bekämpfung Saurons entsandten, ihre eigenen Pläne umsetzen und sogar Orks züchten." Erneut strich sie ihm liebevoll über die Wange. "Mithlondions Weg wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Uns, die wir weiter reiten, wird ohnehin jede Hilfe aus dem Westen zu spät erreichen. Wir müssen unsere Aufgabe alleine angehen, aber allein die Hoffnung, dass unsere Heimat nicht im Unwissen bleibt und im Notfall gewappnet wäre, würde mir Kraft und Mut geben, das zu Ende zu bringen, das uns bevorsteht... und vielleicht auch vielen anderen hier in der Gemeinschaft. Ist das nicht mehr wert als die Begleitung eines zweifelnden Kriegers?"
Legolas schwieg einen Moment lang nachdenklich, doch dann drückte er Agarmaethor fest an sich und raunte ihr ins Ohr: "Du bist großartig! Und irgendwann - und ich verspreche dir, dass es dieses 'Irgendwann' geben wird - finde ich auch eine Lösung für unser Problem mit deinem Namen."
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Die Sonne war bereits untergegangen, als Amlugûr das gelöschte Lagerfeuer des Vorabends wieder entzündete und die Reste des Hasen darüber erwärmte. In den letzten Stunden hatte Araf ihm ausführlich von der Unterkunft Thuringwethils berichtet, erzählt, wie die Sangwa aus einer kleinen Höhle ein beachtliches System aus mehreren Ebenen, Gängen und Treppen geschaffen hatten, in denen nun viele Kammern von Wachen und Dienern bewohnt wurden. Detailreich hatte er die einzelnen Zugänge, Übergänge und wichtigen Räumlichkeiten beschrieben, Abkürzungen erklärt und kleinen Nischen erwähnt, in welchen man sich hervorragend für kurze Zeit verstecken konnte.
"Das ist wirklich sehr, sehr spannend, aber warum soll ich mir das alles merken?", unterbrach Amlugûr schließlich Arafs Redefluss gelangweilt, als ihm all die kleinen Beschreibungen zu viel wurden. "Wir dringen in diese Höhle ein, töten Thuringwethil und nehmen ihr die Phiole mit Agarmaethors und Celebrimbors Erinnerungen. Danach rufst du dich zum neuen Herrscher aus. Was willst du mehr? Wozu dieser Aufwand?"
"Du bist ungeduldig, doch es freut mich, dass du Silamîriels und Celebrimbors Erinnerungen nicht vergessen hast, denn sie sind der Grund für diesen Aufwand", erwiderte Araf ruhig. Seine Augen aber blitzten warnend auf. "Früher befanden sich die Erinnerungen nämlich in einer Phiole, die Thuringwethil um ihren Hals trug. Doch heute ist diese Phiole eine Täuschung. Nachdem es gelungen war sie zu öffnen, war Thuringwethil in der Lage, den Inhalt in eine andere Phiole umzufüllen. Diese neue Phiole ist winzig, nicht größer als die Hälfte meines Daumens. Ich weiß das, denn ich selbst habe sie ihr verschafft. Nur wo sie sich heute befindet, kann ich nicht sagen. Dafür weiß ich aber eines ganz gewiss: Gelingt es uns nicht, die Erinnerungen zu zerstören oder endgültig zu verhindern, dass Agarmaethor sie mit ihren eigenen vereint, dann interessiert mich meine Herrschaft über mein Volk recht wenig, denn dann wird Thuringwethil mit Hilfe Agarmaethors jedem die Wünsche erfüllen, die er hegt."
"Aber was wäre denn daran so schlimm?", fragte Amlugûr verwirrt. "Und was wäre daran so schlimm, dass du sogar dein Interesse an einer Herrschaft deines Volkes verlierst?"
Araf schüttelte verständnislos den Kopf. "Begreife doch! Wenn ein Mensch unsterblich sein will, dann könnte Silamîriel ihn unsterblich machen. Wenn sich jemand wünscht, besseren Boden auf seinem Land zu besitzen, dann könnte sie dies veranlassen. Sie könnte Inseln aus dem Meer heben, oder Valinor zurück zu Arda holen. Und wenn sie die Orks vernichten will, dann könnte sie das ebenfalls tun. Sie könnte dich sogar Frauen lieben lassen, ohne dass du dich dabei bindest. Sie könnte dann einfach... alles", erwiderte er ernst.
Amlugûr wagte es kaum zuzugeben, aber er verstand noch immer nicht, worin das Problem lag. "Sie könnte dann auch dein Volk gesunden lassen", sagte er unsicher. "Willst du das denn nicht? Soll es denn weiterhin leiden?"
"Natürlich würde ich es gerne gesunden sehen! Aber zu welchem Preis? Willst du denn wirklich in einer Welt leben, in der jeder so reich ist, dass das Gold an Wert verliert und ihn verarmen lässt, sodass er nach neuen Reichtümern streben muss, die dann ebenfalls ihren Wert verlieren? Willst du wirklich, dass sich niemand mehr um seine Erfolge bemühen muss und trotzdem anderen alles neidet? Denke an deine heiß ersehnte Heldentat! Was wäre sie wert, wenn sich jeder eine solche Tat herbeiwünschen würde und auch erhielte, ohne sich dafür anzustrengen?"
"Wenig!", murmelte Amlugûr.
Nachdenklich stocherte er mit einem Zweig in der Glut des Feuers. Erinnerungen an die Bilder in Galadriels Spiegel überkamen ihn dabei, Bilder blutiger Schlachten in blühenden Landschaften und unsterblicher Menschen, die Elben und Zwerge mordeten. Doch obwohl er wusste, dass dieser Spiegel eine durchaus mögliche Zukunft zeigte, vermochte er sich nicht vorzustellen, wie es Thuringwethil gelingen sollte, Agarmaethor zu solch dunklen Entscheidungen zu verführen.
Ganz im Gegenteil! Er war sich sicher, dass sie niemals einfach nur unbedacht die Wünsche aller Bittsteller erfüllen würde. Vielleicht würde sie sich sogar nur darauf beschränken, Orks zu vernichten und andere dunkle Kreaturen zu beseitigen... wie zum Beispiel Thuringwethil... oder die Sangwa!
Misstrauen eroberte wieder seine Gedankenwelt. Was wäre, wenn Araf genau diese Fähigkeit Agarmaethors fürchtete? Was wäre, wenn er die Krankheiten seines Volkes in Kauf nahm, gerade weil er nicht wollte, dass Agarmaethor ihre schier unendliche Macht gegen ihn und seine Angehörigen richtete? Aber warum wollte dann Thuringwethil, dass Agarmaethor ihre Erinnerungen zurück erhielt? Sah sie diese Gefahr für sich nicht?
"Agarmaethor würde nichts tun, das gegen Ilúvatars Plan verstößt", murmelte er unsicher.
"Warum bist du dir da so sicher? Weil deine Agarmaethor, die Tochter Celebrimbors und Urenkelin Fëanors, unfehlbar ist? Und weil sie Ilúvatars Plan so genau kennt? Lass dir eines gesagt sein: Es gab bisher keinen elbischen Schmied, der etwas mit einer bösen Intention erschaffen hat. Immer haben sie nur Gutes gewollt. Denke an die Silmarils oder an die Ringe der Macht! Denke daran, was aus diesen Kunstwerken geworden ist! Und wenn dir dies noch nicht genug ist, dann denke an Agarmaethor selbst. Es werden nicht allein ihre Erinnerungen sein, die sie erhält. Sie wird sich verändern. Sie wird nicht mehr die sein, die du so magst!"
Amlugûr nickte und sah nachdenklich in die Flammen des Feuers. Lebhaft loderten sie empor, verteilten ihr Licht in die Umgebung und ließen erneut die grünen Augen des Wolfes auf Arafs Rüstung lebendig leuchten.
Wie bereits am Abend zuvor griff er zu und zog die Rüstung auf seinen Schoß. Seine Finger wanderten über die grünen Steine, deren Leuchten im Licht des Feuers ihn so sehr fesselten, glitten über das harte Leder und ertasteten dabei die eingeprägten Muster der Schnauze des Wolfes... und sie fanden noch etwas: Unmittelbar unter dem Abbild des Wolfes befand sich eine Prägung, die ihm noch nie zuvor aufgefallen war.
Unentwegt tasteten seine Finger über diese Prägung, doch er vermochte nicht herauszufinden, ob sie einen Inhalt besaß oder nur aus einem unwichtigen Muster bestand. Schließlich begann er die Rüstung zu drehen und ließ dabei das Licht der Flammen so lange in unterschiedlichen Winkeln auf das braune Leder fallen bis er einen leichten Schatten zu erkennen glaubte.
Einige Atemzüge lang erstarrte er, suchte erneut nach anderen Deutungen des Bildes, aber obwohl er sich bemühte ließ dieser Schatten nur eine Deutung zu: Eine Wolfspranke zerquetschte eine Fledermaus.
Araf hasste Thuringwethil wirklich!
"Gut", sagte er noch immer überrascht. Obwohl er Arafs verstehendes Lächeln sah, sprach er ihn nicht auf die Rüstung an. "Also müssen wir die Erinnerungen finden, aber warum töten wir nicht Thuringwethil und suchen dann in aller Ruhe nach der Phiole?"
"Weil wir während dieser Suche nicht Thuringwethil sondern Alatar fürchten müssen! Wir würden ihn warnen, wenn wir seine Bettgefährtin töten."
Amlugûr warf einen irritierten Blick auf Araf. "Alatar? Du sprichst von ihm, als müsse man ihn mehr fürchten als Thuringwethil! Wer ist das?"
"Ein Istar! Ein Zauberer, der noch vor dem von den Elben so sehr geachteten Mithrandir nach Mittelerde kam. Er ist gefährlich, denn auch er strebt danach, Silamîriels und Celebrimbors Erinnerungen mit denen Agarmaethors zu vereinen." Araf sah sich um, als fürchte er Altar in seinem Rücken. "Und er kennt keine Skrupel mächtige Magien einzusetzen, um zu morden und zu quälen. Nicht Thuringwethil hat uns Sangwa erschaffen. ER war es - mit ihrer Hilfe!"
Ein Schauer kroch Amlugûr über den Rücken. Ein Istar! Nur ganz wage konnte er sich daran erinnern, dass Mithrandir einst von fünf Zauberern gesprochen hatte, und Alatar war also einer von ihnen? Dunkel war er also geworden! So dunkel wie auch Saruman!
"Deshalb also unterscheidet ihr euch so sehr von den Orks Morgoths!", flüsterte er tonlos.
"Alatar wollte keine hässlichen Kreaturen schaffen", erwiderte Araf mit einem bitteren Lächeln. "Mittelerde war ihm hässlich genug! Doch er hat sich in seinem Tun von Thuringwethils gespaltener Zunge beeinflussen lassen, ohne dies zu bemerken! Ihr gegenüber ist er blind und taub, doch das macht ihn nicht weniger gefährlich! Ganz im Gegenteil! Würden wir sie töten, bevor wir uns unserer Sache sicher sind, dann müssten wir seinen Gegenschlag fürchten. Würden wir erst ihn töten, dann wäre auch Thuringwethil gewarnt, und wir würden die Erinnerungen nie finden. Und beide gleichzeitig... Ich denke, dass uns das nicht gelingen wird."
Amlugûr nickte und lauschte schweigend den weiteren Ausführungen Arafs über das Höhlensystem im Roten Gebirge. Er erfuhr, wie er unbemerkt in die persönlichen Räume Thuringwethils gelangen konnte, erfuhr, wo er sich dort verbergen konnte und er erfuhr auch einige mögliche Verstecke für die Phiole.
"Bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich dich erneut unterbreche, aber warum suchst nicht du nach der Phiole mit den Erinnerungen? Du kennst dich besser aus, und deine Anwesenheit dort wäre auch unauffälliger als meine", sagte er, als ihm all die Beschreibungen erneut zuviel wurden. "Zudem könntest du auch viel leichter Thuringwethil töten als ich. Du brauchst mich überhaupt nicht!"
"Natürlich brauche ich dich, denn nicht ich ICH werde Thuringwethil töten sondern du! Ich will mit ihrem Tod nichts zu tun haben, denn würde auch nur der Schatten eines Verdachtes auf mich fallen, wäre es aus mit meinem Plan, mein Volk in das nächste Zeitalter zu führen. Die meisten von ihnen achten und verehren Thuringwethil! Deshalb brauche ich einen Außenstehenden, der sich dieser Tat rühmen will und auch tun wird - jemanden, den sie hassen dürfen!" Er zwinkerte Amlugûr zu. "Du willst deine Heldentat und du willst dich ihr rühmen! Du bist... perfekt! Und dir glaube ich auch, dass du eine Verbindung zu mir nie zugeben würdest."
"Aha!" Amlugûr verstand. "Und die Phiole suchst nicht du, weil...?" Fragend sah er Araf an.
"Weil es meine Aufgabe sein wird, Thuringwethil abzulenken während du suchst." Araf schmunzelte.
Amlugûr runzelte die Stirn. "Wie willst du sie ablenken? Willst du sie mit wüsten und wilden Geschichten aus ihren Räumlichkeiten locken? Wird ihr das nicht irgendwann auffallen?"
Araf lächelte anzüglich. "In meiner Körpersprache kann ich ihr so viel erzählen, wie ich will. Sie wird sich ablenken lassen. Glaube mir!"
"DAS glaube ich dir sofort!", murmelte Amlugûr. "Und dieser Plan war nun deine 'große Sache'? Mehr steckte nicht dahinter?"
"Ist dir die Tötung zweier Maiar nicht groß genug? Genügt es dir nicht, die Welt zu retten oder - wenn du so willst - deiner einzigen und deshalb besten Freundin die Erinnerungen ihres Vaters zu ersparen?" Araf sah ihn trotzig an. "Und immerhin habe ich einen Plan! Du hingegen hättest meinem Volk nicht einmal ein glaubhaftes Angebot unterbreiten können. Tot gelacht hätten sich meine Angehörigen!"
Amlugûr knurrte leise. Er hatte sich auf der weiten Ebene voller Wege und Ziele wirklich verlaufen, und die einzigen Pfade, die er noch kannte, waren die nach Hause oder in den Tod. Mehr erwartete er nämlich von Arafs Plan wahrlich nicht!
"Mutlosigkeit war noch nie ein nahrhafter Boden für große Taten!", flüsterte ihm Araf ins Ohr.
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Odans Gefährten hatten ihn ausgeschlossen, doch weder ihre verachtenden Blicke noch ihre ungewohnte Verschlossenheit waren es, die ihm das Herz zerrissen, sondern allein der Umstand, dass er ihnen nicht einmal mehr eines Morgengrußes - einer schlichten und höflichen Handlung - wert war.
Das tat weh, und selbst das Bewusstsein, sich durch eine ausdrückliche Entscheidung auf die Seite Gimlis und der Elbengemeinschaft geschlagen und sich dabei absichtlich über die Ansichten seiner Gefährten hinweg gesetzt zu haben, tröstete ihn nur wenig darüber hinweg, dass sie ihm keinen Respekt mehr schenkten.
Verbittert beobachtete er deshalb jeden Abend, wie seine früheren Gefährten sich abseits des Lagers in den Schatten setzten und schmähende Blicke auf ihn und die Elben warfen. Verdrossen sah er, wie sie dabei tuschelten, und erstaunt nahm er wahr, wie sie dieses Verhalten plötzlich einstellten, Elben höflich grüßten, freundlich lächelten, kurze Unterhaltungen pflegten und sich dabei trotzdem Abend für Abend ein winziges Stück weiter von der Gemeinschaft entfernten.
Misstrauen beschlich Odan, und so beschloss er, ihnen noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als er es ohnehin bereits tat. Nächtelang blieb er deshalb wach und ruhte dafür tagsüber auf dem Pferderücken, und in all diesen Nächten schlich er auf der Suche nach Hinweisen durch das Lager und durchbohrte mit seinen Augen die Finsternis.
"Lass sie ziehen!", flüsterte ihm eines Nachts Elrohir zu, als er während seines Rundganges als Lagerwache auf Odan traf. "Als du dich uns angeschlossen hast, bist du deinem Gewissen gefolgt. Nun lass sie ihren Weg gehen!" Er lächelte ihn aufmunternd an.
Doch Odan ließ sich nicht aufmuntern. Elrohirs Worte waren so leicht gesagt! Er war es schließlich nicht gewesen, dessen Gewissensentscheidung ihn Freunde gekostet hatte und ihn nun zwang Misstrauen zu empfinden.
"Große Taten verlangen oft große Opfer." Elrohir schien seine Gedanken gelesen zu haben und stieß ihm freundschaftlich mit der Faust gegen die Schulter an, um ihn aus seinen trüben Gedanken zu holen. "Und nicht nur ich halte es für eine große Tat, sich nicht von der Woge der Ansichten derer, die einem nahe stehen oder die man liebt, davontragen zu lassen sondern seinen eigenen Weg zu gehen."
Odan seufzte leise und schaute durch die Dunkelheit in die Richtung, in der er seine früheren Gefährten vermutete.
"Es ist nur... Es tut weh zu wissen, dass ich nie wieder gemeinsam mit ihnen einen Krug Bier leeren, einen Berg erklimmen oder... ihnen überhaupt jemals wieder aufrecht in die Augen sehen werde", sagte er bedrückt.
Einen kurzen Moment lang zog er dabei den Kopf ein und spähte argwöhnisch zu Elrohir, um zu sehen, wie dieser auf seine überraschende Offenheit reagieren würde.
Doch Elrohir schien sich nicht über ihn zu amüsieren. "Ganz im Gegenteil!", sagte er ernst. "Gerade weil du getan hast, was du für richtig hältst, wirst du ihnen immer offen in die Augen sehen können - selbst wenn sich deine Entscheidung als falsch herausstellen sollte. Würdest du dich deinen Kameraden fügen, nur weil du sie als solche behalten willst, würdest du sie dann nicht belügen?"
Als wolle er das Gespräch beenden wandte er sich von Odan ab. Einen Moment lang musterte er den östlichen Horizont und wandte sich dann aber besonders auffällig der westlichen Seite des Lagers zu. Es schien, als plane er Rufur und Haunar eine Gelegenheit zu geben zu gehen.
Odan jedoch blieb stehen und starrte Richtung Osten. Gehen... war es ihm nicht immer so erschienen, als würden die Elben keinen der Zwerge daran hindern zu gehen? Versuchten denn seine Gefährten heimlich zu fliehen, weil sie das nicht begriffen? Würden sie die Elben vielleicht besser verstehen, wenn sie es wussten? Würden sie ihn dann vielleicht besser verstehen?
Entschlossen hastete er ein kurzes Stück zum Schlafplatz seiner Gefährten, doch einen Atemzug später änderte er seine Richtung und eilte zu den angebundenen Pferden - und tatsächlich: Das Geräusch von Unruhe drang an sein Ohr.
"Pferdediebe!", fluchte Odan verärgert. "Elende Pferdediebe sind sie geworden!"
Nur einen kurzen Moment später befand er sich mitten zwischen den Leibern der Tiere und suchte nach Rufur und Haunar. Es wunderte ihn kaum, dass die elbische Wache absichtlich nicht hinschaute und hinhörte, als sich zwei Pferde aus der Herde lösten und er sich nur einen kurzen Moment später ebenfalls ein Reittier griff und den zwei anderen folgte.
"Bleibt!", dröhnte seine Stimme über die Ebene. "Kommt zurück!"
Obwohl sich die Reittiere Rufurs und Haunars kaum einen Steinwurf weit entfernt von Odan durch den Schnee kämpften und die beiden Zwerge seinen Ruf deshalb kaum überhört haben konnten, schauten sie nicht zurück. Doch es schien, als hätten sie im Gegensatz zu Odan ihre Reittiere aus der Masse der dunklen Leiber willkürlich ausgewählt und dabei zu Pferden gegriffen hatten, welche die elbische Reitweise gewohnt waren und sich nun wegen des groben Verhaltens der beiden Zwerge sträubten.
Es war deshalb ein Leichtes für Odan, die Flüchtigen einzuholen und sie zu stellen.
"Was fällt euch ein, euch wie Diebe davon zu schleichen!", fauchte er sie an. "Und wer hat euch beigebracht, Pferde zu stehlen? Schämt ihr euch nicht?"
Tief in seinem Inneren fühlte er, dass sein Verhalten sinnlos war, dass es keine Freundschaften mehr zu retten gab und dass er besser zu der Elbengemeinschaft zurückkehren sollte. Er fühlte es so sicher, wie ein Stürzender seinem Aufprall entgegen sieht. Doch nun stand er vor den Zwergen, die er einst als Freunde, Kameraden und Gefährten bezeichnet hatte, und zwang sich durchzustehen, was er begonnen hatte.
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