Sommergeschichten Teil 1

1. Kapitel: Ein nächtlicher Besucher

Die ganze Woche über hatte in Los Angeles eitel Sonnenschein geherrscht, einzig und allein unterbrochen von kleineren Wärmegewittern dann und wann. Doch jetzt, gegen Ende der Woche, entlud sich die aufgebaute Spannung in einem endzeitwürdigen Orkan.

Begonnen hatte alles um kurz vor acht Uhr abends, als der Himmel sich völlig untypisch verdunkelt und der erste Platzregen die Straßen beinahe vollkommen leer gefegt hatte. Aber auch weit nach Mitternacht war noch kein Ende des Unwetters in Sicht

- im Gegenteil: das Wetter schien sich mit jeder Stunde, die verging, mehr hochzuschaukeln und die schwarze Wolkenfront, die unter Blitz und Donner auf die Stadt zuhielt, lies nichts Gutes erwarten.

Die gespenstische Stille einer Geisterstadt hatte sich über die gesamte Szenerie gelegt, passend zu den ausgestorbenen Straßen und Plätzen.

King Harbor, der Hafen mit den meisten Ausflugs- und Hausbooten und Yachten, der unmittelbar in den offenen Ozean auslief, war der unbändigen Wut des vom Meer kommenden Windes und dem damit einhergehenden Regen schutzlos ausgeliefert.

Obwohl die Bootsbesitzer schon mit der ersten stärkeren Windbö begonnen hatten, ihre Schiffe sturmsicher zu machen, schwankten die Boote auf dem aufgewühlten Wasser, wie auf einer Wippe und der sonst so ruhige Hafen verwandelte sich in einen Hexenkessel.

Selbst die mächtigen Palmen auf der Promenade und die Holzschilder, die die Liegeplätze bezifferten, bogen sich ächzend unter der Macht des Sturms. Auf den Holzplanken der Stege bildeten sich Pfützen, in denen sich milchig das Laternenlicht spiegelte.

Mit dem Aufkommen des Sturms war das Partyleben auf den Booten von King Harbor verstummt. Die Bewohner hatten sich zurückgezogen, um den Abend stattdessen mit einer entspannten Tasse Kaffee und einem Film ausklingen zu lassen, in der Gewissheit, dass sich das Unwetter bis zum nächsten Morgen verzogen haben würde.

So auch die Bewohner der Riptide, einem weißen Hausboot, mit orangen Anbauten, das am Pier 56 ankerte und dem Wellengang trotzte.

Doch die drei Privatdetektive Cody Allen, Nick Ryder und Murray Bozinsky lebten schon lange genug an Bord, um sich an derartige Unpässlichkeiten gewöhnt zu haben.

Dem Beispiel ihrer Nachbarn folgend, hatten sie sich in dem kleinen Salon - dem Wohnzimmer - versammelt, um dem Elementen zu entkommen. Das Deckenlicht war heruntergedreht und erzeugte eine angenehme Dämmernis, die gnädig die Spuren der Verwüstung verdeckte, die entstanden waren, weil drei Männer einen ganzen Abend ohne sinnvolle Beschäftigung auf kleinstem Raum zusammengepfercht waren. Morgen würde man die Unordnung beseitigen müssen... aber erst morgen...

Im Augenblick übten der Fernseher und das Sofa eine weitaus größere Anziehungskraft aus.

Murray Bozinsky saß, seinen Freunden den Rücken zugekehrt, am Fenster, eine Tasse Kaffe in der Hand, während er ab und zu durch die heruntergelassenen Jalousien lugte, um zu sehen, ob Noah schon mit der Arche vorfuhr. Sobald er feststellen musste, dass sich an der Situation jenseits der Bootswände nichts aber auch gar nichts verändert hatte, lies er die Streben seufzend los und wandte seine Aufmerksamkeit dem Fernsehprogramm zu, bevor er den Vorgang wiederholte.

Eigentlich erwartete er nicht, in dieser Nacht noch eine großartige Entdeckung zu machen, aber da das TV-Programm in etwa so abwechslungsreich wie das Wetter war, schob er die Jalousien eben wieder auseinander...

... und erstarrte.

Ganz deutlich erkannte er am Eingang des Piers, direkt im Schein einer Straßenlaterne, eine dunkle Gestalt im nicht enden wollenden strömenden Regen. Etwas langes, Schweres wehte hinter ihr ihm Wind und bildete scharfe, dunkle Konturen vor dem grellen Neonlicht. Und dann war da noch etwas schmales, rechteckiges, das Murray nicht einwandfrei erkennen konnte.

Überrumpelt und auch ein wenig erschreckt von dem Anblick wandte er sich seinen Freunden zu und sagte, die aufkeimende Hysterie mühsam unterdrückend,,Leute, ich hab da grad' jemand gesehen...''

„Natürlich Murray'', antwortete Cody, ohne auch nur den Blick zu heben und Nick, der wie schon Murray die Sintflut-Geschichte im Kopf hatte, ergänzte:

„Vielleicht ist es ja Noah...''

Beide lachten über die Vorstellung eines auf dem Pier stehenden und fuchtelnden Noahs, der versuchte die Einwohner von Los Angeles in seine Arche zu locken.

Murray stand wie ein begossener Pudel hinter ihnen und riskierte schließlich einen weitern Blick, nur um sich zu vergewissern, dass er das alles nicht nur geträumt hatte.

Doch die Gestalt war verschwunden.

'Seltsam', dachte er bei sich. 'Sollte ich mir wirklich alles nur eingebildet haben? Vielleicht sollte ich abends keinen Kaffee mehr...'

Im selben Moment unterbrach ein lautes, lang gezogenes Knarren seine Gedanken, welches unverkennbar von Deck der Riptide kam und ihn augenblicklich auf die Beine scheuchte. ,Da!'', rief er, nun völlig sicher, dass er keine Halluzinationen hatte. „Da draußen ist doch jemand!''

Aber auch dieses Mal bekam Murray nicht die Achtung, die er sich erhofft hatte. Ein ,Das ist nur der Wind.'' von Nick und ein ebenso lapidares ,Genau'' von Cody. Er war schon kurz davor, wirklich wütend zu werden, als er es wieder hörte. Und nun hörten es auch die anderen beiden ganz deutlich: Schritte an Deck. Langsame, schwere Schritte.

,So, es ist nur der Wind!'', tobte Murray, als seine Hysterie doch noch die Oberhand gewann. ,Wusste gar nicht, dass der Wind Schuhe trägt!''

Seine Stimme überschlug sich und auch Cody schien nun besorgt, denn er stand auf und zog seine Beretta M9 hervor.

Mit einer stummen Kopfbewegung bedeutete er Nick, ihm zu folgen. Die Waffen schussbereit erhoben näherten sie sich der Kabinentür.

Murray hielt sich bescheiden im Hintergrund. Er war immer die so genannte Rückendeckung, auch wenn diese in seinem Fall eher keiner Rückendeckung gleichkam. Dennoch folgte er Cody und Nick, als diese die Tür aufstießen und Seite an Seite nach draußen stürmten

- mitten hinein in eine furchtbares Unwetter, von dem sie nicht wussten, ob er einer ominösen Gestalt Schutz bot oder nicht.

Zunächst sah man gar nichts, die Dunkelheit umgab den ganzen Hafen wie dickflüssige Farbe und Cody und Nick ließen schon die Waffen sinken und drehten sich um, um Murray ins Boot zurückzuschieben, als ein Blitz aus den Wolken zuckte und die Nacht zum Tag machte.

Sekundenbruchteile lang erkannten sie ganz deutlich eine dunkle Silhouette am Heck der Riptide stehen, dann tauchte das Wesen zurück in die Dunkelheit und war verschwunden. Sofort hoben die Detektive die Waffen wieder auf Augenhöhe, wussten jedoch nicht, worauf sie zielen sollten. Die Außenlampe des Bootes erreichte mit ihrem Licht das Heck nicht.

„Wer sind Sie?'', rief Cody gegen das Tosen des Sturmes an. „Und was machen Sie auf meinem Schiff?''

Er bekam keine Antwort, hatte jedoch das Gefühl, dass irgendetwas - oder irgendjemand - auf sie zukam.

Instinktiv wich er weiter zurück, sich vage bewusst, dass Nick neben ihm das Selbe tat, immer bereit dem Eindringling, falls nötig, eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Doch als das Etwas endlich in den Lichtkreis der Lampe trat, kam es ganz anders und die Visionen eines Serienmörders, der die Deckung stürmischer Nächte ausnutzte, schwand dahin.

„Murray!'', sagte Nick warnend, um ihren eingeschüchterten Partner aus seinem Versteck zu locken. Er sollte sich ruhig selbst ansehen, wovon er sich derart hatte erschrecken lassen. Murray wagte sich tatsächlich aus dem Hintergrund nach vorn, stoppte abrupt und rückte ungläubig an seiner Brille. Denn vor ihrer aller Augen stand eine Frau mit einem dunklen Aktenkoffer aus Leder mit helleren Rändern und war insgesamt so triefend nass, wie sie es auch nach einem Bad im Hafenbecken nicht besser hätte sein können.

Ihr Gesicht konnten sie nicht erkennen, denn es lag im Schatten einer Kapuze, die sich an einen beigen Mantel anschloss, welcher sich unter der Einwirkung des Regens langsam dunkel färbte. Darunter blitzten dünne, nackte Beine hervor, die in hochhackigen Sandalen mit Keilabsätzen steckten.

Eine Weile geschah gar nichts. Dann tauchte eine zierliche, nasse Hand aus einem Ärmel auf und schob die Kapuze nach hinten, sodass die drei ein regenüberströmtes Gesicht mit großen, klaren Augen erkennen konnten, die sie anstarrten, als wären sie die Eindringlinge und nicht umgekehrt. Vervollständigt wurde das Bild durch lange, blonde Haare, die der Frau strähnig und feucht über den Rücken fielen.

Wie hypnotisiert ließen Cody und Nick die Waffen sinken, nicht fähig, sich von dem Anblick dieser Schönheit loszueisen und auch Murray, der sich nicht wirklich viel aus Frauen machte, war völlig in ihrem Bann.

Die Schönheit bedachte sie alle mit einem Blick, der sie erzittern lies und sagte schließlich mit einer Stimme, die nicht weniger schön und klar war, als ihre Augen,,Quinlan schickt mich.''

Nach der ersten Schrecksekunde hatten sie die Frau, die sich ihnen als Irina Galvani vorgestellt hatte, nach unten ins Wohnzimmer geführt und - nach einem weiteren treuherzigen Blick aus diesen graublauen Augen und der Erklärung, sie habe ihren Koffer wegen dem Regen am Flughafen gelassen - mit trockener Kleidung versorgt.

Nun saß Irina-mit-dem-sanften-Gesicht in einer Sofaecke und wärmte sich an einer Tasse Kaffee, umringt von drei staunenden Detektiven, die sie immer noch anstarrten, als wäre sie direkt vom Himmel gefallen. Lediglich Murray hielt sich ein wenig zurück. Die Frau schüchterte ihn durch ihre bloße Anwesenheit ein und die warnende Stimme im Hinterkopf, es könne sich um ein Monster handeln, wollte einfach nicht verstummen.

„Also'', fasste Cody, der vor ihr auf einem Fußschemel saß, die Geschichte, die sie ihnen aufgetischt hatte, zusammen. „wenn ich dich richtig verstanden habe, bist du eine Privatdetektivin aus Texas und Quinlan hat dir den Koffer gegeben, weil er mit einem deiner Fälle...''

„Die alte Frau, deren Sohn den Familienschmuck gestohlen hat'', ergänzte Irina hilfsbereit.

- „ ... und mit unserem aktuellen Fall - der verschwundene Verlobte - in Verbindung steht.''

„Genau'', sagte sie knapp, die Aufmerksamkeit jedoch völlig ihrem Kaffee zugewandt.

„Das sieht Quinlan gar nicht ähnlich...'', bemerkte Nick misstrauisch über ihren Kopf hinweg. Er machte keinen Hehl daraus, dass er über die aufgezwungene Zusammenarbeit nicht glücklich war. Keiner von ihnen war das.

,Ja, er hasst Privatdetektive'', ergänzte Murray aus dem Hintergrund, verstummte aber sofort wieder, als hätte er Angst, zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Jedenfalls will ich jetzt wissen, was in diesem Koffer drin ist'', lenkte Cody wieder zum Thema zurück und rückte näher an den Couchtisch heran, auf dem Irina besagten Gegenstand abgelegt hatte. Kurzerhand griff er nach dem Verschluss, der ihm am nächsten war und öffnete ihn, während Nick den anderen nahm. Schließlich schwang der Kofferdeckel zurück und offenbarte stolz den Inhalt.

Und darauf konnte er wirklich stolz sein. Den drei Männern verschlug es buchstäblich die Sprache, als sich vor ihren Augen eine funkelnde Schmucksammlung ausbreitete, die nicht nur schön, sondern bestimmt auch teuer war.

„Was... ist...das?'', brachte Nick endlich hervor und alle Köpfe wandten sich Irina zu, die die ganze Zeit unbeteiligt und desinteressiert dagesessen hatte. Diese nippte in aller Selenruhe weiter an ihrem Kaffee, blickte dann auf und erklärte so emotionslos, als handle es sich um 100g Aufschnitt,,Das ist das Ventura- Ensemble. Gesamtwert 2 Millionen. Geschätzter Wert weit über 4 Millionen. Lupenreine Diamanten, keinerlei Einschlüsse, farblos. Echte Tiefseeperlen aus der Karibik. 885er Gold und Silber. Rubine und Saphire.''

Auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung angesichts dieser Daten und auch die folgenden Informationen präsentierte sie mit kühler Professionalität. ,Mrs. da Silva beauftragte mich vor einer Woche, ihren Sohn Enrique da Silva zu suchen, der aus ihrer Villa in La Marque und aus ihrem Leben verschwunden ist, ohne ein Wort zu sagen - zusammen mit dem Familienschmuck.'' Sie deutete mit dem Kinn auf den Koffer.

„Er floh damit hier her, um es zu verkaufen, wie ich vermutete. Und ich hatte recht. Meine kleinen Helfer von der hiesigen Polizei haben es schließlich für mich aufgespürt.'' Damit war für sie das Gespräch beendet und sie wandte sich wieder dem Kaffe zu. Cody fragte sich allmählich, ob sie wirklich so eiskalt und berechnend war oder einfach nur eine gute Schauspielerin. Um sich abzulenken griff er in den Koffer, um eine Perlenkette genauer ins Auge zu fassen. Irina hatte Recht mit dem, was sie sagte. Der Diamant, der in der Mitte der Kette prangte, hätte vollkommener nicht sein können. Tatsächlich hatte Cody noch nie etwas so reines gesehen.

,Wow'' stammelte er. „Das ist... wunderschön!''

„Und vor allem ist es eine Fälschung'', ließ sich wieder Irina schadenfroh aus dem Hintergrund vernehmen und alle drehten sich abrupt zu ihr um.

„Das kannst du mir nicht erzählen'', ereiferte sich Nick. „Woher willst du das wissen?''

Irina schenkte ihm einen Blick, der keinen Zweifel daran ließ, was sie von seiner Aussage hielt und antwortete gelassen,,Ich hab's ausprobiert.'' Sie stellte die Kaffeetasse weg und nahm Cody unwirsch die Kette aus der Hand, die er noch immer unters Licht hielt, und zog den Diamantanhänger unter den erstaunten Augen der Anwesenden und entsetzlichem Quietschen quer über den Glastisch.

„Bist du verrückt!'', ging Cody schließlich dazwischen und richtete sich drohend auf, doch Irina schnaubte nur verächtlich und deutete mit einer lässigen Geste auf die Tischplatte.

„Es ist nichts zu sehen'', sagte sie sachlich. „Und echte Diamanten schneiden Glas.''

Damit war für sie der Beweis erbracht. Sie warf die Kette achtlos in den Koffer zurück und setzte sich, als hätte sie eben nur eine Kochvorführung beendet.

Sekundenlang saßen die Detektive wie von Donner gerührt, dann fand Nick seine Sprache wieder,,Enrique da Silva hat also eine Fälschung geklaut. Wer hat dann das Original?''

,Na, er natürlich!'' Irina verdrehte die Augen und machte sich gar nicht die Mühe, ihn über die Dummheit seiner Frage aufzuklären.

„Die Fälschung war nur zum Verkaufen gedacht!''

„Ich kann dir aber auch nicht folgen'', äußerte Cody vorsichtig. „Vielleicht erzählst du uns mal, was in deinem Kopf vorgeht.''

Erneutes Augenrollen, aber dann erklärte sie,,Im Prinzip ist es ganz simpel: Enrique hat das Original. Er benutzt es als Vorlage für die Fälschung. Diese verkauft er, um die Aufmerksamkeit der Polizei von sich abzulenken. Sollte die Polizei den Schmuck bei einem Sammler aufgreifen, hätte seine Mutter die Fälschung zurückbekommen. Wegen der groß angelegten Suche von Seiten seiner Mutter, muss er damit rechnen, überprüft zu werden, sobald er außer Landes will - besonders natürlich, weil er auch noch der Sohn ist.'' Sie machte eine kunstvolle Pause, bevor sie den anderen den so genannten Kern des Pudels präsentierte:

„Und eine Behelligung durch die Gesetzeshüter ist das Letzte, was er brauchen kann...auf seinem Weg nach Europa!''

„Er will ausreisen?'', fragte Cody entgeistert und sah bereits einen Haufen Probleme auf sie zukommen. „ Aber ich denke, hier werden die Flughäfen kontrolliert?''

„Du sagst es'', bestätigte Irina düster. „Hier werden die Flughäfen kontrolliert, nicht aber in Südamerika.''

„Er muss also über die Grenze'', fasste Murray halblaut zusammen.

„Und welches Land eignet sich dazu besser als Kalifornien?''

! Wer gut aufgepasst hat, hat den OC gefunden. Okeeeeeh, eigentlich müsste JEDER den OC gefunden haben, wenn er das gelesen hat… !

Bitte R&R O.O