Sommergeschichten TEIL 1:
4. Kapitel: Auf den Spuren Da Silvas
An jenem Freitag herrschte auf dem Flughafen von LA lebhaftes Gedränge, was es den Detektiven schwerer machte, Da Silva und seine Leute zu entdecken.
„Und du bist wirklich vollkommen sicher'', fragte Cody Irina aus, während sie alle nebeneinander durch die Halle schritten, immer noch auf der Suche nach ihrem Zielobjekt. „dass du Quinlan angerufen hast und ihm gesagt hast, was wir vorhaben?''
Irina lächelte versöhnlich in die Menschenmenge und sagte gut gelaunt:
,Jaaaah ... natürlich...''
Dabei verschwieg sie allerdings, dass sie lediglich auf dessen Anrufbeantworter im Präsidium gesprochen hatte, von dem sie wusste, dass Quinlan es erst am Nachmittag betreten würde, wenn die Sache längst gelaufen war.
Nach dieser Aussage schenkte Cody ihr einen argwöhnischen Blick. So ganz glaubte er ihr nicht. Aber es blieb ihm keine zeit mehr, nachzuhaken, denn direkt vor ihnen hatte er Da Silva in Begleitung zweier Männer ausgemacht.
Cody breitete die Arme aus und gebot so Nick und Irina, die neben ihm gingen, Einhalt. „Da sind sie'', zischte er.
Alle folgten neugierig seinem Blick und erkannten eine Gruppe von drei Männern eindeutig hispanischer Herkunft in teuren Business-Anzügen.
Sie redeten lautstark miteinander und bewegten sich selbstsicher auf den Ausgang für Privatmaschinenbesitzer zu.
„Na, dann los!'', gab Irina das Kommando und wollte schon unter Codys Arm durchschlüpfen, doch Cody packte sie und zerrte sie zurück.
Gleichzeitig gab er Nick und Murray ein Zeichen, die Männer von beiden Seiten langsam einzukreisen. Irina zappelte in seinem Griff, weil sie so lange zurückgehalten wurde und hieß ihn die wüstesten Sachen, doch dann drehte er sich zu ihr um und fixierte sie mit demselben Blick, den sie sonst immer anwandte. „Lass mich los!'', jaulte sie.
„Unter einer Bedingung'', zeigte sich Cody unbeeindruckt von ihrer Show.
„Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle, klar?''
„Ich will aber dabei sein!'' Sie wehrte sich noch immer. ,Oder soll das jetzt die Rache sein, weil ich euch nicht immer eingeweiht habe?''
,Nein. Hier ist es sicherer.'' Cody sah sich noch einmal um, zog seine Waffe und ließ Irina allein im Getümmel zurück.
Der Korridor zum Privatflugfeld lag abgeschieden von der Haupthalle in einem Seitenflügel des Flughafens. Da Silva und seine Männer strebten sich unterhaltend auf die große Schwingtür aus Glas zu, die sie noch von der Außenwelt trennte. Es waren vielleicht noch zehn Schritte.
Unerwartet wurden sie kurz vor dem Ausgang von einem dunkelhaarigen Mann überholt, doch sie dachten sich nichts dabei. Erst als dieser mit einer Waffe in der Hand herumwirbelte, blieben sie verwirrt stehen. Enrique da Silva, der zwischen seinen beiden Begleitern stand, hob beschwichtigend die Hände. ,Na, na, ganz langsam Kumpel.''
„Enrique da Silva?'', fragte Nick scharf, die Waffe direkt auf dessen Brust gerichtet.
- ,Ja, das bin ich. Was wollen Sie von mir?''
„Wir wollen den Schmuck, den Sie Ihrer Mutter gestohlen haben'', erklang Codys Stimme hinter seinem Rücken.
„Und wir wollen Sie!'', ergänzte Murray noch.
Da Silva und seine Männer drehten sich erschrocken um, nur um herauszufinden, dass sie umstellt waren.
„Wovon sprechen Sie drei eigentlich?'', ereiferte sich Da Silva seelenruhig, doch Cody war schon an die Gruppe herangetreten und hatte einem Begleiter den Koffer entrissen. Murray übernahm ihn und öffnete ihn vorsichtig.
Stumm präsentierte er den Umstehenden den Inhalt - das Ventura - Ensemble.
„Ich wette, dieses Mal ist es das echte'', sagte Cody nach einem kurzen Blick.
Murray klappte den Koffer mit einem dumpfen Ton zu.
Cody bemühte sich derweil, die drei Männer mit seiner Waffe weiter zurückzutreiben. „Sie bleiben jetzt alle schön hier, bis die Polizei kommt'', ordnete er an und tatsächlich hoben sie ganz langsam die Hände.
Doch Cody hatte nicht mit Da Silva gerechnet. Noch bevor dieser seine Hände auf halber Höhe hatte, tat er einen gewaltigen Sprung nach vorne, sodass Cody und Murray zur Seite gestoßen wurden und rannte den Korridor entlang. ,Murray! Schnapp ihn dir!'', ächzte Cody, der sich wie schon Nick in einem Ringkampf mit einem der Begleiter wieder fand und Murray rannte unbeholfen, mit Koffer und Waffe in der Hand, hinter dem Flüchtenden her.
Da Silva verlangsamte seine Schritte erst, als die Flughafenhalle wieder in Sicht kam. Er nahm sich die Zeit, seine Krawatte geradezurücken und die Haare zu glätten, dann schlenderte er gelassen Richtung Ausgang.
Irina traute ihren Augen nicht, als sie Da Silva an sich vorbeigehen sah. Ungläubig starrte sie ihm hinterher und setzte sich schließlich mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck in Bewegung.
Da Silva durchquerte gerade ein freies Stückchen Halle kurz vor der Ausgangstür, als sich ihm eine Hand auf die Schulter legte.
Erschrocken drehte er sich um, sah nur noch eine Faust auf sich zukommen und fand sich sogleich auf dem staubigen Boden wieder.
Bäuchlings versuchte er, aus der Gefahrenzone zu krabbeln, doch ein Gewicht auf seinem Rücken hielt ihn auf.
„Sie bleiben schön hier, Mr. Da Silva'', zischte Irina, deren Knie den Mann an den Boden nagelte.
Inzwischen hatte sich auch ein Kreis aus Schaulustigen um sie gebildet, die aufgeregt tuschelten und immer näher drängten.
Da Silva hob neugierig den Kopf vom Boden und starrte in die Menge, Irina folgte misstrauisch seinem Blick. Doch diese Sekunde Unaufmerksamkeit genügte vollkommen für Da Silva. Er ließ seine Faust nach oben schnellen, verpasste Irina einen Kinnhaken, dass sie zur Seite flog, rappelte sich auf und hetzte davon. Die Umstehenden stoben kreischend auseinander.
Mitten in diesem Chaos erschien Murray auf der Bildfläche. Besorgt kniete er sich neben Irina, die sich aufzurichten versuchte und fragte, ob sie in Ordnung war. „Verdammt, kümmer' dich nicht um mich!'', fauchte sie. „Schnapp ihn dir!''
Murray gehorchte ausnahmsweise sofort und strebte eilig dem Ausgang zu, sich vage bewusst, dass Irina wieder auf den Füßen war.
Einige Meter vor ihm stieß Enrique da Silva erleichtert die Tür auf und rannte nach draußen.
Mitten auf der Treppe stoppte seine Flucht jedoch plötzlich und abrupt, sodass Murray und Irina, die ihm dicht auf den Fersen waren, beinahe gegen ihn prallten
- und auch sie trauten ihren Augen nicht.
Am Fuße der Treppe stand eine ganze Polizeigarnison mit gezückten Waffen, in ihrer Mitte Lt. Quinlan.
„Enrique da Silva, ich verhafte Sie wegen Diebstahls und Schmuckfälscherei'' erklärte er kalt. ,Abführen!''
Da Silva und seine Handlanger wurden umgehend in die bereitstehenden Streifenwagen verfrachtet, während sich Lt. Quinlan von Nick, Cody und Murray ins Bild setzen ließ.
Ohne erkennbare Gefühlsregung hörte er sich an, was Irina wenige Tage zuvor herausgefunden hatte und auch die Geschichte, wie sie die Bande schließlich am Flughafen aufgegriffen hatten.
Irina selbst beteiligte sich nicht an der Gesprächsrunde.
Sie saß neben der Eingangstür auf einer kleinen Mauer, hielt sich die verletzte Backe und konnte nicht glauben, dass Da Silva sie wirklich geschlagen hatte.
Irgendwann entdeckte Nick ihr Fehlen in der Gruppe, entschuldigte sich bei seinen Freunden und stieg, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
Da sie ihm keine Beachtung schenkte und frustriert den Kopf gesenkt hielt, musste er sich zu ihr hinunterbeugen, um ihr in die Augen sehen zu können.
„Geht's dir gut?'', fragte er besorgt.
Endlich hob sie langsam den Kopf, ihr Blick drückte absolute Verwirrtheit aus.
„Du hast dich wohl noch nie geprügelt'', stellte Nick folgerichtig fest und zog ihre Hand von ihrer Wange, um sie zu betrachten.
„Na, du wirst' s überleben'', grinste er, während er daran dachte, welche Blessuren er und Cody schon davongetragen hatten und Irina grummelte:
„Ja, wahrscheinlich...'' und folgte ihm missgelaunt zu den anderen.
„Alles in Ordnung?'', fragte Cody, kaum dass sie in Hörweite waren und zog Irina energisch in ihre Mitte.
„Sie ist mit 'nem blauen Auge davongekommen'', feixte Nick aus sicherer Entfernung und mit Murray als Puffer, falls sie auf die Idee kam, ihn zu schlagen.
„Im wahrsten Sinne des Wortes...''
Irina beschloss, gnädig zu sein und stimmte in das allgemeine Gelächter mit ein, bis Quinlan sich plötzlich einmischte und seine Miene verriet, dass er nicht zum Spaßen aufgelegt war.
„Das habt ihr sauber hingekriegt'', knurrte er. „Meinen Respekt, Jungs. Gute Arbeit. Wir nehmen die Kerle jetzt in Gewahrsam. Und du...''
Seine Hand mit der zusammengefalteten Sonnenbrille darin schoss nach vorne und deutete auf Irina. „...kommst mit mir aufs Revier.''
Irina, die sich keiner Schuld bewusst war, setzte sich arglos in Bewegung und folgte Quinlan zu seinem Dienstfahrzeug.
Obwohl Quinlan die Tür zu seinem Büro vorsorglich geschlossen hatte, war seine Standpauke dennoch im ganzen Department zu hören und ,Du kannst nicht einfach machen, was du willst!'' war dabei noch einer der harmloseren Sätze, die an diesem Tag über seine Lippen kamen.
Außer Atem stützte er sich auf seinem Schreibtisch auf und fixierte Irina, die ihm ohne erkennbare Gefühlsregung gegenübersaß.
„Mit deinem eigenmächtigen Verhalten hast du dich und die anderen in Lebensgefahr gebracht'', schimpfte Quinlan nach einer kleinen Pause weiter, ohne an Lautstärke eingebüßt zu haben. „Von Zivilisten ganz zu schweigen!''
Er schnappte nach Luft und sprach plötzlich ganz normal.
„Zum Glück war ich heute früher hier und habe deine Nachricht abgehört.''
Bedächtig wanderte er um den Tisch herum, woraufhin sich Irina aus Höflichkeit ebenfalls erhob und ihn fragend anschaute.
Bei ihr angekommen legte Quinlan ihr sanft eine Hand auf die Schulter.
Sein Blick strahlte plötzlich eine Wärme aus, wie Irina sie lange nicht gesehen hatte und das verwirrte sie.
„Irina, mach so was nie wieder'', sagte er leise und seine Stimme hatte dieselbe Tönung angenommen, wie seine Augen. „Ich hab' mir verdammte Sorgen gemacht.''
„Okay...'', antwortete sie überrumpelt und fand sich plötzlich in einer heftigen Umarmung wieder, die sie noch mehr aufwühlte, als alles andere an diesem Tag.
Da war ein Gefühl von Heimat... hier in dieser fremden Stadt.
Um ihre Gefühle zu überspielen, machte sich Irina wieder von Quinlan los und trat unschlüssig einen Schritt zurück.
Dieser tat ihr den Gefallen und kehrte ebenfalls zu seiner alten Rolle zurück.
„Übrigens'', sagte er und schob sie gleichzeitig sanft zur Tür hinaus. „Da ist jemand, der dich gerne sehen möchte.''
Draußen im Korridor öffnete er eine andere Tür und ließ ihr den Vortritt.
Das erste, was Irina sah, war eine ältere Frau mit graumelierten Haaren und dunklen Teint. Gewandet war sie in schlichte aber teure Kleidung, die von einer weißen, glänzenden Lederhandtasche unterstrichen wurde.
Die Hände, die die Tasche hielten, steckten in filigranen Häkelhandschuhen.
Doch bei weitem das Schönste an der Erscheinung, war das milde Lächeln, das sie zur Schau trug.
,Mrs. Da Silva'', rief Irina erstaunt aus und blieb wie angenagelt stehen.
„Was machen Sie denn hier in LA?''
Sie besann sich einen Augenblick, ging dann mit forschen Schritten auf die Dame zu und hielt ihr die Hand zur Begrüßung hin.
Mrs. Da Silva schüttelte sie herzlich und erklärte mit demselben gütigen Lächeln,,Ich bin auf die Einladung meiner Schwiegertochter angereist. Ich kann sie in dem Elend doch nicht alleine lassen.''
Sie sagte dies so, als sei ihr selbst kein Elend widerfahren.
„Es tut mir wirklich leid, dass alles so enden musste'', erklärte Irina der Frau und meinte es beinahe ehrlich (sie hatte fast nie Mitleid mit ihren Klienten).
„Haben Sie schon gehört...''
In diesem Moment trat Mrs. Da Silva einen Schritt zur Seite und gab den Blick frei auf einen kleinen Koffer, der an der rückwärtigen Wand auf einem Stuhl stand.
„Vielen Dank für ihre Hilfe'', sagte sie salbungsvoll zu der Detektivin.
„Es ist mir wirklich peinlich, dass sich mein Sohn als solcher Taugenichts entpuppt hat.''
Ihr Blick streifte für einen Moment Irinas leicht angeschwollene Wange und sie verzog das Gesicht, als spüre sie selber den Schmerz.
„Aber schwarze Schafe gibt es eben in jeder Familie...''
Noch einmal drückte sie Irinas Hand und nahm den Koffer, der ihren Schmuck enthielt. „Ich muss mich nun verabschieden. Meine Schwiegertochter erwartet mich bereits.''
An der Tür, die Quinlan zuvorkommend für sie aufhielt, drehte sich Mrs. Da Silva noch einmal um.
„Ach, das hätte ich fast vergessen'', rief sie, griff in ihre Handtasche und förderte ein enormes Geldbündel zu Tage, das sie Irina zuwarf.
,Aber das ist viel zu viel!'', protestierte diese, als sie sich von ihrem gelinden Schock erholt hatte, doch sie sprach nur noch mit der leeren Türöffnung.
,Ja...'', sagte Irina zu sich selbst und ließ die Hand mit dem Geld sinken.
Cody, Nick und Murray warteten an Deck der Riptide auf Irinas Rückkehr vom Polizeipräsidium und wurden mit jeder Minute, die verging, nervöser.
Sie hatten große Lust, den abgeschlossenen Fall zu feiern, aber nicht ohne ihre Partnerin.
"Ich mache mir langsam Sorgen'', gestand Murray mit gerunzelter Stirn.
,Eigentlich müsste sie längst wieder hier sein... wer weiß, was Quinlan mit ihr angestellt hat...''
Ob seiner eigenen Worte verwandelte er sich zusehend in ein Nervenbündel, doch Cody klopfte ihm auf die Schulter und meinte, er wäre sich gar nicht so sicher, um wen er sich genau Sorgen machen müsste.
„Aber Cody!'', lamentierte Murray weiter. „Was ist, wenn er sie eingesperrt hat?''
„Warum sollte er das tun? Uns sperrt er auch nicht ein.'' Der Angesprochene schüttelte angesichts von so viel Hysterie den Kopf, hielt aber inne, als auf dem Steg laute Schritte ertönten.
„Sie ist wieder da'', sagte er nur.
Tatsächlich bog Irina nur Sekunden später um die Ecke und schwenkte triumphierend zwei riesige Champagner-Flaschen.
„Seht mal, was ich habe!'', rief sie schon von weitem und benahm sich so ausgelassen, als habe sie bereits eine Flasche allein getrunken.
Cody half ihr lachend ins Boot, während Murray auf der Suche nach Gläsern beinahe Nick überrannte, der einen Kasten Bier die Treppe herauf trug.
„Hey, du bist wieder da'', stellte er fest und stellte den Kasten ab, um Irina zu begrüßen. „Hast du Murray wieder erschreckt oder was ist mit dem los?''
„Er holt Gläser'', erklärte Irina, während Cody im Hintergrund mit dem Champagnerkorken kämpfte. Es gab einen dumpfen Knall und schließlich kullerte der Korken aufs Deck.
„Echter Champagner'', staunte Nick. „Wie kommst du dazu?''
„Ach... ich, als reiche Frau, die ich bin...'', sagte Irina nicht ohne Selbstverliebtheit und legte wie eine Diva den Kopf in den Nacken.
- ,Okay, verstehe. Mrs. Da Silva hat dich also bezahlt.''
- ,Oh jaaaa...''
Sie setzte ein Grinsen auf, das nicht nur ein bisschen Geldgier offenbarte und erweckte mal wieder den Eindruck, wie frisch aus der Psychiatrie entlaufen.
Als hätte er einen Sensor eingebaut, tauchte Murray in diesem Moment wieder auf, aber entgegen Nicks Erwartung, nahm er nicht Reißaus, sondern stellte gelassen, die Gläser auf den Tisch.
„Ich finde, wir sollten anstoßen auf den gelösten Fall'', sagte er, während Cody neben ihm die Gläser füllte.
„Also ich finde, wir sollten anstoßen, auf das Geld, das wir kassiert haben'', mischte sich dieser ein und verteilte den Champagner.
Einen Moment schwiegen alle unschlüssig, dann sagte Irina:
„Ich finde, wir sollten auf uns anstoßen.''
„Auf uns'', sagte Nick.
„Auf uns'', sagten auch Cody und Murray.
