Nein, das war keine Einbildung. Langsam öffnete sie ihre Augen wieder. Zunächst sah sie nichts als Dunkelheit und die hellen Sterne am Himmel.

Sie verdrehte ihren Kopf etwas nach hinten, erkannte jedoch nur einen großen schwarzen Schatten. Das genügte. Sie brauchte ihn eigentlich nicht zu sehen. Sie konnte es fühlen.

Harm war hier. Alle Fragen, die sich ihr stellten, verdrängte sie in den Hintergrund. Sie war sich im Klaren, dass sie es ihm jetzt sagen müsste. Jetzt war die Gelegenheit und die musste sie einfach wahrnehmen. Das, was jetzt vor ihr stand, war das furchtbarste Gespräch in ihrem gesamten Leben.

ich bin es ihm schuldig.

Vorsichtig setzte sie sich hin. Sofort spürte sie wieder den beinahe unerträglich gewordenen Schmerz im Bein. Ihr war ganz schwindelig, sie brauchte eine weile um richtig zu sich zu kommen.

Harm setzte sich wortlos neben sie. Er sah sie nicht an, starrte aufs Wasser hinaus.

Mac wiederum schaute auf ihre Hände, atmete einmal tief ein und zwang sich selbst, zu reden:

„Ich habe mein Versprechen nicht gehalten Harm."

Jetzt blickte sie von ihren Händen hinüber in sein Gesicht. Sie konnte sehen, dass sich seine Lieder senkten und er die Stirn beinahe schmerzverzerrt in falten legte. Er sah aus, als hätte man ihm gerade ein Messer ins Herz gerammt und genau so fühlte er sich auch.

Mac fing bei diesem Anblick wieder an zu schluchzen. Immer noch schaute Harm nicht zu ihr herüber, er saß schweigend neben ihr.

„Es tut mir so leid." Flüsterte Mac mit dünner Stimme.

Keine Reaktion. Er hatte die Beine an sich gezogen und seine Ellbogen auf die Knie gelegt. Er starrte auf seine Hände.

„Sag was … - bitte! Ich weiß, dass du mich jetzt hasst und du hast ja auch Recht. Ich hasse mich selbst."

Sie schaute ihn jetzt flehend an. „Ich kann nicht mehr – bitte sag was."

Endlich drehte Harm seinen Kopf zu ihr. Er schaute ihr direkt in die Augen.

Sofort konnte Mac das schimmern in seinen Augen sehen, den Schmerz, das Leid, die Verzweiflung. Es war alles so ausweglos.

„Lass mich erklären …" bat Mac weinend.

„Nein, Mac. Bitte nicht. Du musst nichts erklären. Ich weiß alles, was ich wissen muss. Und es ist OK."

„Nichts ist OK. Mein Leben ist vorbei. Ich bin leer. Da ist nichts mehr, wo für es sich zu kämpfen lohnt, wenn du gehst, verstehst du?" dabei starrte sie wieder zurück aufs Wasser.

Harm sah die Tränen, die unaufhörlich Mac Wangen hinunterliefen und im Mondschein glitzerten.

„Hör auf!" sagte Harm entschieden, aber dennoch leise und sanft.

Mac schüttelte leicht den Kopf.

„Aber es geht nicht. Harm, ich will, dass du weißt, dass ich dich immer noch …"

„Bitte Mac, tu mir das nicht an." Fiel ihr Harm ins Wort.

Sie schaute ihn an.

„Warum können wir es nicht noch einmal versuchen?" frage Mac leise.

„Weil es zu spät ist."

Mac atmete scharf ein und kniff die Augen zu. Eine Welle Tränen stieg in ihr hoch, sie begann wieder laut zu schluchzen und zu weinen.

Im Grunde genommen hatte sie es gewusst. Sie hatte es kaputt gemacht. Sie hatte die letzte Chance verspielt.

Harm schaute sie traurig an. Da saß die Liebe seines Lebens direkt neben ihm. Das war der Schlussstrich. Das war die Trennung. So fühlte sich es an, wenn man alles im Leben verlor.

„Harm?" Mac schaute Harm wieder in die Augen. „Nimmst du mich noch einmal in den Arm?"

Ohne zu zögern rutsche Harm ganz nahe an sie heran und umschloss sie mit seinen Armen.

Das war es, was Mac wollte – seine Nähe noch einmal spüren. Sie lehnte sich ganz an ihn und verbarg ihr Gesicht in seiner Schulter, atmete noch einmal seinen Duft ein.

Auch Harm entflohen nun mehr und mehr Tränen aus seinen Augen.

Schließlich trennten sie sich wieder voneinander, blieben aber nah beieinander sitzen, sodass sie sich gerade so nicht mehr berührten.

Nach einer Weile Stille begann Mac zu reden:

„Wie kommt es, dass du hier bist?"

„Skates liegt im Bethesda. Ich hab sie hier her begleitet." Antwortete Harm sachlich. Beide schauten sich nicht an.

„Was ist passiert?"

„Sie mussten sich bei einer Übung rausschießen. Irgendwas war an der Tomcat manipuliert."

Das Gespräch war völlig kalt. Sie waren beide immer noch zu überwältigt, von dem riesigen Schritt zurück, den sie gerade gemacht hatten.

„Du bist nicht mit ihr zusammen geflogen?"

„Nein. … Was ist mit deinem Bein?" erkundigte sich Harm

„Woher weißt du …"

„Unsere … Deine Nachbarin hat mir erzählt, dass du gefallen bist und dir nicht hast helfen lassen, sondern nach draußen gehumpelt bist! Mir war klar, dass du hier sein würdest …"

„ich musste einfach raus." Erklärte Mac traurig.

„Tut es weh?" Harm sah besorgt in Mac Richtung.

Mac sagte nichts, nickte einfach nur.

„Lass uns gehen."

Harm stand auf und schaute auf Mac hinunter. Als sie nicht reagierte, streckte er seine Hand aus.

Mac schaute auf, lächelte traurig und nahm seine Hand. Harm half ihr auf.

Der Schmerz in Macs Bein war so schlimm, dass sie fast sofort wieder zusammengebrochen wäre, wenn Harm sie nicht festgehalten hätte.

Es war ein komisches Gefühl ihm jetzt wieder so nah zu sein.

„So schlimm?" fragte Harm erschrocken.

Doch Macs schmerzverzerrtes Gesicht sagte mehr als tausend Worte.

„Wir müssen ins Krankenhaus, Sarah!"

„Nein, bitte. Ich möchte nach Hause." Flehte Mac.

„Wir fahren morgen früh sofort zu einem Arzt, Mac!"

Harm viel gar nicht auf, dass er die ganze seit in ‚Wir-Form' redete. Mac hingegen war das nicht entgangen, genau so wenig war ihr entgangen, dass er Sarah zu ihr gesagt hatte.

Es ist alles vorbei und ich hoffe immer noch … ich liebe diesen Mann wirklich hoffnungslos.

Sie versuchte leicht zu lächeln und nickte.

„Bist du her gelaufen?" fragte Mac mit hochgezogenen Augenbrauen.

Jetzt nickte Harm. „Tut mir leid, aber wie werden es so zurück schaffen müssen."

Mac atmete tief durch und machte mit Harm gemeinsam den ersten Schritt.

Als sie beim nächsten Straßenkreuz angekommen waren, fragte Harm: „Wie hast du es vorher allein bis hier her geschafft?"

„Ich hab nicht nachgedacht, ich bin einfach gelaufen."

Harm schaute sie an sagte aber nichts.

Den restlichen Weg sprachen sie nicht mehr.

Es war schließlich 12:26 Uhr, als sie im Apartment angekommen waren.

Harm half Mac sich ins Bett zu legen.

Kritisch und besorgt schaute er sie an.

„Vielleicht wäre es doch besser, wenn wir gleich ins Krankenhaus fahren würden."

Natürlich protestierte Mac wieder.

„Nein, ich möchte lieber erst mal schlafen. Das hab ich lang nicht mehr …."

Moment Marine! Willst du ihm jetzt hier auf die Nase binden, dass du seinetwegen kaum geschlafen hast? Neeeein – dumme Idee!

Harm hatte jedoch schon verstanden. Sein Blick wanderte auf seine Schuhe.

„Es tut mir leid Mac." Sagte er leise.

„Ja, mir auch." Entgegnete Mac traurig.

„Es hätte nicht so enden dürfen …"

„ … das hätte es gar nicht!" antwortete Mac etwas lauter als eigentlich geplant.

Harm schaute sie wieder an. Mac saß auf dem Bett und war mit dem Rücken gegen das Bettende gelehnt, sodass sie halbwegs aufrecht saß. Harm saß auf der Bettkante neben ihr.

Ihre Blicke, die sonst immer nur die unbeschreibliche Liebe der beiden ausgestrahlt hatten, waren jetzt gefüllt mir Traurigkeit.

Sie waren eindeutig überfordert mit dieser Situation. Mac war sich nicht im Klaren, ob sie lieber wollte, dass Harm ging, oder dass er blieb. Es war ein eigenartiges Gefühl.

Eine Zeit lang blieben sie noch so sitzen und sprachen nichts.

Harm fand zu erst die Sprache wieder.

„Ich werde dann wohl jetzt besser gehen. Ich bringe dich morgen ins Krankenhaus …, ich meine, wenn du willst!"

„Warte: Wie lange bleibst du hier? Ich meine, musst du nicht wieder zurück auf die Patrick Henry?" wollte Mac wissen.

„Ich werde im Prozess gegen Skates und Tuna verteidigen – auf der Patrick Henry, ja." Erklärte Harm

Mac schaute auf ihre Hände und nickte minimal.

„Wann?" flüsterte sie.

„Ich fliege Montag früh."

Mac sagte nichts mehr, sie schaute ihn auch nicht mehr an. Sie hätte ihm am liebsten noch so viel gesagt, doch dafür war es schon zu spät.

„Bis dann." Sagte er sanft. Ganz unwillkürlich streckte er seine Hand aus und strich Mac eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie schaute auf und Harm zog seine Hand schnell wieder weg.

Er wollte etwas sagen, doch es kam nichts mehr aus seinem Mund. Er blickte noch ein letztes Mal in Macs traurige, erschöpfte Augen, stand auf und ging zur Tür. Es fiel ihm richtig schwer zu gehen.

An der Tür drehte er sich noch einmal um, bevor er das Zimmer und anschließend das Apartment verließ.

„Ich liebe dich." Flüsterte Mac kaum hörbar, als Harm die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Wie soll ich das alles hier nur aushalten?

war ihr letzter Gedanke, bevor sie aus Erschöpfung einschlief.

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Georgetown

Macs (und Harms) Apartment

09:34 Uhr

Langsam öffnete Mac die Augen. Die Sonne fiel durch die halb geschossenen Jalousien ins Zimmer und tauchte den Raum in ein warmes, freundliches Licht. Vorsichtig begann Mac sich zu strecken. Das gefiel ihrem Bein wiederum gar nicht und sie spürte einen entsetzlich stechenden Schmerz.

Das hatte sie schon wieder ganz vergessen und deshalb erschrak sie umso mehr. Sie atmete schwer ein und seufzte laut.

Sie saß jetzt wieder fast aufrecht im Bett, als sich die Tür öffnete und ein besorgter Harm das Zimmer betrat. Mac starrte ihn an und wusste gar nicht was sie sagen sollte.

Ich dachte, er wäre gestern gegangen. Warum … Warum

„Warum bist du hier?" sprach Mac nun ihren Gedanken laut aus.

Harm ging auf ihr Bett zu und setzte sich auf die Kante, während er sie genau musterte.

Er antwortete gar nicht auf Macs Frage sondern sagte einfach nur: „Wir müssen ins Krankenhaus Mac."

„Harm was machst du hier?" sie blieb stur, denn das wollte sie jetzt wirklich wissen. Gestern hatte ER den Schlussstrich gezogen und heute war er schon morgens hier und kümmerte sich um sie? Nicht, dass ich das nicht genießen würde, aber …

Wieder antwortete er nicht, schaute sie nur an.

Mac bekam bei diesem Blick immer eine Gänsehaut.

Er kann mich mit einem dieser Blicke wirklich völlig aus dem Konzept bringen.

„Bitte Mac, lass uns so schnell es geht fahren." Sagte Harm sanft.

Mac öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch diese Augen machten sie mal wieder sprachlos. Sie war machtlos, konnte den Blickkontakt nicht brechen, sondern einfach nur stumm nicken.

Harm stand auf und ging in Richtung Kleiderschrank. Mac schaute ihm hinterher. Vorsichtig schlug sie die Decke bei Seite und setzte sich auf die Bettkante. Immer noch beobachtete sie Harm genau, der ganz selbstverständlich zu ihrem Kleiderschrank gegangen war und jetzt vor dem geöffneten Schrank stand.

„Was willst du anziehen?" erkundigte er sich, ohne sich zu ihr umzudrehen.

Mac wusste nicht, was sie von dieser Situation halten sollte, antwortete also zögerlich:

„Ehm, gib mir bitte meine Lieblingsjeans…du weißt schon, die dunkelblaue mit…"

„Schon gefunden!" unterbrach Harm sie, zog die Hose aus dem Schrank und legte sie sich über den Arm. „zusammen mit dem hier?" fragte er, als er ein hellblaues ¾-Shirt hochhielt.

Mac musste lächeln. Das wäre auch ihre Auswahl gewesen.

„Ja, das ist gut. Danke."

Harm drehte sich um und ging, ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht, auf sie zu.

„Hier!" sagte er leise, als er ihr die Sachen überreichte. Macs Hand lag nun unbeabsichtigt auf seiner und beide waren auf einmal wie versteinert. Keiner wagte sich zu bewegen.

Da war wieder diese Magie, die die beiden schon immer verbunden hatte. Da konnte das Gespräch gestern auch nichts dran ändern – nichts und niemand konnte ihnen das nehmen.

Mac gewann ihre Stimme und die Kontrolle über ihren Körper als erste wieder und zog langsam die Hand von seiner.

„Wir sind schon ein gutes Team, was?" sagte sie leise.

Harm lächelte leicht und legte die Sachen neben Mac aufs Bett.

„Ja, das sind wir wohl." Bestätigte er leise. „ ich … ich warte dann in der Küche auf dich. Du hast noch nichts gegessen …"

Mac lachte ihn an. Genau so kannte sie Harm, er hatte sich nicht geändert, nur die Situation zwischen ihnen hatte ihre Welt durcheinander gebracht.

Jetzt drehte sich Harm um und verließ das Zimmer.

Mac schaute ihm noch einen Augenblick nach, bevor sie sich wieder konzentrierte und sich vorsichtig umzog.

Nach etwas 5 Minuten war das geschafft, jetzt müsste sie nur noch irgendwie in die Küche kommen. Sie drückte sich am Bett hoch und kam auf einem Bein zum Stehen. Sie blickte herüber zur Tür.

Das ist nicht weit, das schaff ich schon sagte sie sich und machte vorsichtig den ersten Schritt. Doch ihr Bein wollte nicht so wie sie wollte und so knickte es unter ihr weg und sie fiel unsanft auf den Boden.

Sie stieß einen kurzen Schrei aus.

Auch das noch… Es dauerte keine Minute, bis Harm wieder das Zimmer betrat. Erschrocken starrte er Mac an. Sie saß auf dem Boden direkt vor ihrem Bett, verzog das Gesicht und hielt sich ihr Bein.

„Was hast du gemacht? Dachtest du allen ernstes, dass du so laufen kannst?"

„Könntest du deine Volksrede später halten Harm? Ich bräuchte Hilfe!" Mac schaute ihn flehend an.

Ohne einen weiteren Kommentar kniete er sich neben Mac.

„Komm her." Sagte er leise.

Mac schaute ihn wie gebannt an. Sie lehnte sich zu ihm und schloss ihre Arme um seinen Nacken. Am liebsten würde sie sie letzten Zentimeter, die sie noch voneinander trennten auch noch schließen. In Zeitlupe bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu.

Jetzt berührten sich ihre Lippen ganz leicht, mit einer ungeheuren Vorsichtigkeit. Macs Herz schlug wie verrückt und sie wollte sich gerade ganz fallen lassen, als sich der Schmerz in ihrem Bein zurückmeldete. Augenblicklich verkrampfte sie und musste sich wohl oder übel von Harms Lippen lösen. Sie atmete schwer und kniff die Augen zusammen. Ihre Hände wanderten von Harms Nacken zurück auf ihr Bein.

Das war jetzt ein so vernichtender Schmerz, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen.

Harm war noch nicht wieder ganz bei sich, doch als er Mac jetzt ansah, blieb sein Herz fast stehen.

„Hey, ruhig, ganz vorsichtig! Wir müssen sofort los, Sarah. "

Mac schluchzte leise, brachte aber kein Wort heraus.

„Mac, sieh mich an!" sagte Harm, hob ihr Kinn mit Zeigefinger und Daumen hoch und drehte sie so, dass sie ihn ansah.

„Ich bin bei dir, wir schaffen das schon."

Mac nickte stumm und schlang immer noch weinend ihre Arme um Harm. Eine weile blieben sie einfach nur so sitzen, bis Harm leise meinte:

„Na dann los, Ninjagirl!"

Langsam stand er auf und zog Mac vorsichtig mit sich hoch. Seine Knie waren ganz weich, er wusste nicht so recht, was er jetzt von dieser Situation eben halten sollte. Er hätte sie geküsst, wenn ihr Bein nicht gewesen wäre.

Mac klammerte sich an ihn und sie machten sich langsam auf den Weg nach draußen. Keiner sagte etwas, beide waren in ihren eigenen Gedanken versunken.

Den ganzen Weg bis zum Auto herrschte Stille. Jetzt kramte Harm seinen Autoschlüssel aus der Tasche und schloss auf. Mac beobachtete ihn.

„Vorne oder lieber hinten?" fragte Harm sie.

„Ehm, vorne!"

„Okay" sagte er leise und bevor er Mac vorsichtig ins Auto sinken ließ, lächelte er sie ermutigend an.

Mac verzog das Gesicht. Das konnte er fast nicht mehr mit ansehen. Am liebsten hätte er ihr die Schmerzen abgenommen. Als sie schließlich im Autositz saß, nahm er noch einmal ihre Hand und drückte sie leicht, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

Warum macht er das alles hier nur? fragte sich Mac traurig.

Harm schloss ihre Autotüre, umrundete das Auto und stieg dann ein. Ohne Verzögerung fuhr er los. – und er raste regelrecht.

„Harm, willst du uns beide umbringen?" fragte Mac genervt.

„Nein, ich will nur, dass du schnell ins Krankenhaus kommst."

Einen Moment dachte Mac nach.

„Warum? Hast du noch was vor?" entgegnete sie schnippisch.

Harm schaute kurz zu ihr herüber, sagte aber nichts. Das hatte wehgetan. Sie wusste doch ganz genau, dass es ihm alles andere als leicht fiel und dass er sie am liebsten jetzt auf der stelle in seine Arme nehmen und küssen würde.

Mac erkannte recht schnell, dass das nicht fair gewesen war. Sie hatte es in der Sekunde, die er sie angeschaut hatte, in seinen Augen sehen können.

Betreten starrte sie auf ihre Hände.

„Es tut mir leid." Sagte sie leise. Harm sagte wieder nichts.

„Warum müssen wir uns immer gegenseitig wehtun Harm?" fragte sie, mit mittlerweile wieder Tränen in den Augen.

„War das nicht der Grund, warum es so lange gedauert hat, bis wir uns sagen konnten, dass wir uns lieben?" antwortete Harm. Er hatte nämlich auch keine Antwort auf Macs berechtigte Frage.

„Aber das haben wir doch hinter uns gelassen!" stellte Mac fest.

Harm überlegte einen Moment, bis er kaum hörbar antwortete:

„Anscheinend haben wir das nicht…"

„Aber wir können das doch noch ändern!" flüsterte Mac.

„Mac verstehst du nicht, ich halte das nicht aus. Ich kann dich nicht gehen lassen und wir können nicht zusammen sein. Das können wir nicht ändern. Wir haben es versucht…" seine Stimme klang ärgerlich, traurig … -einfach hoffnungslos. Das war nicht der Harm, den sie kannte.

Macs Tränen liefen, wie so oft in letzter Zeit, still ihre Wangen hinunter, während sie der Kloß in ihrem Hals unfähig machte, etwas zu erwidern.

Eine drückende Stimmung war eingekehrt und das änderte sich auch nicht, bis sie am Bethesda in Maryland angekommen waren. Ohne etwas zu sagen stieg Harm aus dem Wagen aus. Mac blieb sitzen. Ihre Tränen waren mittlerweile wieder getrocknet und sie starrte gedankenverloren ins Nichts. Sie war einfach nur durcheinander. Jetzt musste so vieles anders werden. Sie musste sich an ein Leben ohne Harm gewöhnen. Das machte sie so traurig, dass es jetzt noch schwerer war sich von ihm helfen zu lassen. Es war schon schwer genug, dass er hier bei ihr war. Sie konnten doch nicht einfach so tun als wäre alles in Ordnung? Wie würde das jetzt werden? Sollten sie sich jetzt aus dem Weg gehen?

„Mac?"

Sie erschrak und sah Harm direkt neben sich knien. Die Autotür war offen. Verwirrt schaute sie ihn an.

„Lass uns gehen." Sagte er sanft.

Mac zog die Augenbrauen etwas zusammen? Er kann einfach so weitermachen? Er kann es vergessen?

Als Harm ihr die Hand hinhielt, verdrängte sie ihre Gedanken und nahm seine Hand zögerlich an.

Auf ihn gestützt überwanden sie gemeinsam eine Stufe nach der anderen, bis sie schließlich am Eingang angekommen waren. Mac atmete tief durch, woraufhin Harm sie ansah. Diesmal war kein Lächeln in seinem Gesicht zu erkennen sondern einfach nur die bloßen Sorgen und Ängste in seinen Augen.

ich verstehe gar nichts mehr Der Mann, den sie glaubte so gut zu kennen, war plötzlich wieder ein Rätsel für sie.

Wieder begannen sie zusammen weitere Schritte zu machen.

Endlich waren sie an der Rezeption angekommen und Harm begann mit der Schwester, die Dienst hatte, zu reden.

„Guten Morgen. Wir brauchen dringend eine Untersuchung an ihrem Bein." Harm nickte mit seinem Kopf in Macs Richtung, denn er stütze sie immer noch mit beiden Armen und ließ sie auch nicht los.

Die Schwester schaute immer wieder von einem zum anderen.

„Ihren Namen bitte?" fragte sie schließlich zu Mac gewandt.

„Sarah MacKenzie." Antwortete Mac.

„OK, sie müssten dann noch einen Moment warten bis der Arzt…"

„Nein, ich will, dass sie jetzt untersucht wird!" fiel Harm ihr ins Wort.

„Sir, das …" die Schwester war etwas ratlos und klickte auf der Maus ihres PCs herum.

„Das wird ja wohl möglich sein!" forderte Harm. Mac, die die Situation bis jetzt still beobachtet hatte, meldete sich jetzt auch zu Wort.

„Harm, das ist schon OK. Wir werden uns ins Wartezimmer setzten, ja?"

Ihre Stimme klang streng und lies keinerlei Widerspruch zu. Harm schaute sie überrascht an. Die Schwester musterte wiederum dieses seltsame Paar vor ihr. Verwundert schüttelte sie leicht den Kopf und widmete sich dann wieder ihrem PC.

Mittlerweile saßen Harm und Mac im Wartezimmer nebeneinander und starrten still vor sich. Der Raum sah genau so traurig aus, wie die schweigenden Personen, die dort saßen. Er war ausgestattet mit unbequemen schwarzen Stühlen und einem Tisch in der Mitte, auf dem Zeitschriften wirr durcheinander lagen.

Wir benehmen uns als ob wir uns nicht kennen dachte Mac. Alles ist so verquer! Wir können mal wieder nicht miteinander reden. Dabei würde ich so gerne wissen was er denkt … Langsam drehte Mac ihren Kopf nach links zu Harm. Er schaute aus dem Fenster direkt neben ihm, doch als würde er Macs Blick auf sich spüren, drehte er ebenfalls seinen Kopf, sodass sie sich wieder anschauten.

Sag doch was, irgendwas. Ich muss wissen, was du fühlst. Ich halte das doch sonst nicht aus! flehte Mac in ihrem Inneren. Doch Harm sagte nichts, schaute ihr nur in die Augen.

Das macht mich noch krank! Ich will das nicht mehr!

„Was ist los? Dein Entschluss steht doch fest!" sagte Mac mit fester, aufgebrachter Stimme. Harm zog die Augenbrauen zusammen, er verstand gar nichts.

„Was machst du noch hier? Ich kann dir doch jetzt egal sein!" warf ihm Mac vor. Sie war wütend und enttäuscht und traurig zugleich.

Wenn er doch jetzt wenigstes antworten würde …

Harm dachte nach … für Mac scheinbar einen Moment zu lange. Sie unterbrach den Blickkontakt und schüttelte hilflos den Kopf.

„Mac …" mittlerweile hatte sogar Harm erkannt, dass es besser wäre, auf sie einzugehen. Er wollte ihre Hand nehmen, doch Mac wehrte ihn ab und sah ihn wütend an.

„Nein, hör auf! Vielleicht kannst du ja so tun, als wäre nichts gewesen, aber ich kann es nicht!" schrie sie. „Es war deine Entscheidung! Du hast mir unendlich wehgetan, gehst einfach und jetzt kommst du wieder und … und" die Tränen übermannten sie und sie konnte nicht weiterreden.

Harm hörte ihr geschockt zu, senkte betreten seinen Blick. Irgendwie war es ja wahr, was Mac da sagte.

„Wenn du dich nicht entscheiden kannst, dann … dann muss ich es wohl oder übel tun. Ich glaube …, dass es besser ist, wenn du … wenn du jetzt gehst." Macs Stimme war beim Reden immer leiser geworden und sie schaute einen völlig konfusen Harm an. Jetzt war er es, der Tränen in den Augen hatte.

Leise antwortete er. „Vielleicht … hast du Recht."

Macs Herz blieb fast stehen, als er tatsächlich aufstand, sie nicht noch einmal ansah, sondern geknickt das Wartezimmer verlies. Damit hatte sie es zu ihrer Entscheidung gemacht und sie glaubte, dass es so besser war. Seine Anwesenheit war für sie in den letzten Stunden zur Qual geworden. Jetzt war die Situation eingetreten, vor der sie, bevor sie zusammen waren, am meisten Angst gehabt hatten. Es hatte nicht funktioniert und jetzt konnten sie weder ein Paar, noch Freunde sein. Sie hatten sich verloren.

Die Arztschwester befreite Mac von ihren traurigen Gedanken.

„Sarah MacKenzie?" fragte sie.

Mac wischte schnell die Tränen aus ihrem Gesicht und schaute zur Tür, an der die Schwester stand.

„Ja?"

„Sie können jetzt ins Untersuchungszimmer kommen." Informierte sie die Schwester lächelnd.

Sie war schon fast wieder aus der Tür verschwunden, als Mac sie noch einmal ansprach.

„Entschuldigung?"

Die Schwester drehte sich wieder um.

„Ich kann schlecht laufen, ehm, könnten sie …"

„Natürlich!"

Von der zarten Krankenschwester gestützt, begab Mac sich in den U-Raum, in dem sich bereits der Arzt aufhielt.