2. Kapitel

Elizabeth Bennet hatte sich das kleine Häuschen in Meryton vor etwa zwei Jahren gekauft und ganz nach ihren Vorstellungen hergerichtet. Sie fühlte sich sehr wohl hier und fand, daß sie noch nie eine bessere Entscheidung getroffen hatte. Elizabeth war die zweitälteste von vier Schwestern und hatte bis zum Alter von 19 Jahren zuhause gewohnt, aber mit Beginn ihres Informatikstudiums in London hatte sie das Nest verlassen, um auf eigenen Füßen zu stehen. Während des Studiums teilte sie sich erst mit verschiedenen Kommilitoninnen eine Wohnung, hatte einige kurzlebige Beziehungen, dann zog sie für kurze Zeit zu ihrer Schwester Jane und schließlich hatte sie ihre ersten eigenen vier Wände, nachdem sie das Studium abgeschlossen hatte und ihr erstes richtiges Geld verdiente.

Elizabeth hatte eine Zeitlang für eine internationale Computerfirma gearbeitet und sich in dieser Zeit vor allem auf Sicherheitsrisiken und entsprechende Lösungen in der EDV spezialisiert. Schnell stellte sie fest, daß Experten auf diesem Gebiet rar gesät und ihre Dienste sehr gefragt waren. Sie faßte den mutigen Entschluß, sich selbständig zu machen. Ihre Eltern schlugen vor, daß sie ja wieder nach Longbourn kommen könnte, aber das kam für Elizabeth nicht in Frage. Sie brauchte vor allem Ruhe für ihre Arbeit und das hektische, laute und oftmals sehr, sehr anstrengende Leben im elterlichen Haus in Longbourn hätte sie nicht lange ausgehalten. Also kaufte sie das kleine Haus in Meryton und lebte und arbeitete dort glücklich und zufrieden vor sich hin. Sie konnte sich über einen Mangel an Aufträgen nicht beklagen. Ein bißchen Geld verdiente sie sich gelegentlich noch mit der Gestaltung von Webseiten hinzu, aber das konnte man fast ein Hobby nennen.

Einen Mann gab es momentan nicht im Leben von Elizabeth, was sie zwar nicht größer störte, da sie viel zu viel zu tun hatte und hervorragend alleine zurecht kam, um einen Mann richtig zu vermissen, aber wenn sie ehrlich war, fehlte ihr dann und wann schon ein bißchen Nähe und Wärme. Ein Kater war ganz nett, aber er ersetzte einem nicht den Lebensgefährten. Wäre ihr neuer Nachbar alleinstehend gewesen, hätte sie vielleicht ihre Fühler ein bißchen ausgestreckt, aber ein verheirateter Mann war für sie ein absolutes Tabu. Noch dazu ein Familienvater! Nein, ihn konnte sie sich aus dem Kopf schlagen. Am besten war es wohl, sich ein bißchen zurückzuhalten, um bloß nicht in Versuchung zu kommen. William Darcy könnte ihr sonst sehr, sehr gefährlich werden...

Die folgende Woche verlief für Elizabeth ziemlich ruhig. Sie arbeitete konzentriert an einem größeren Projekt, hatte dafür aber ausreichend Zeit zur Verfügung und mußte sich nicht hetzen. Normalerweise arbeitete sie in ihrem großzügig angelegten Arbeitszimmer im Erdgeschoß, aber wenn das Wetter so wundervoll war wie heute, konnte sie sich auch auf ihre Terrasse setzen und die frische Luft genießen. Das waren die Vorteile, wenn man selbständig war, zuhause arbeiten konnte und die neuesten Technologien zur Verfügung hatte.

Auch William Darcy war die ganze Woche über zuhause. Anscheinend brachte er das Haus auf Vordermann, bevor seine Familie ebenfalls einzog. Ganze Heerscharen von Handwerkern, Malern und anderen Dienstleistern gaben sich die Klinke regelrecht in die Hand. Eine Menge Möbel wurden geliefert. Manchmal kam Elizabeth mit William ins Gespräch. Sie hatte mittlerweile herausgefunden, daß er zwei Kinder hatte, einen Jungen von vier und ein Mädchen im Alter von zwei Jahren. Außerdem war er Geschäftsmann, er leitete seit dem Tod seines Vaters das renommierte Familienunternehmen in London, ein angesehenes Wirtschaftsprüfungsunternehmen, und nicht unbedingt eines der kleinsten, wie Elizabeth erfuhr. Und er war mit einem ehemaligen Top-Model verheiratet, das unter ihrem Mädchennamen Caroline Bingley vor ihrer Hochzeit in sämtlichen Mode- und Klatschzeitschriften auf den ersten Seiten zu finden gewesen war. Elizabeth hatte – aus reiner Neugierde natürlich – ein wenig über diese Frau recherchiert und was sie über sie gefunden hatte, konnte ihre negativen Vorurteile nicht unbedingt revidieren. Aber William schien sie abgöttisch zu lieben, also konnte sie nicht gar so übel sein. Oder?

„Na, wann ist es soweit? Wann kommt der Rest der Darcys?" fragte sie ihn am Freitagmorgen, als sie ihre Post holte, während William gerade vom Einkaufen wiederkam. Er strahlte. „Morgen früh kommen sie endlich, um halb zehn wollen sie hier sein. Ich denke, bis dahin ist hier auch alles fertig. Die Maler sind grade noch mit dem Schlafzimmer beschäftigt, aber das war dann wirklich alles, was noch gemacht werden muß. Das Haus ist bereit."

Elizabeth lächelte. Er freute sich so sehr auf seine Familie und sie war auch schon gespannt, vor allem auf seine Frau. William nickte ihr freundlich zu und schleppte dann seine Einkäufe ins Haus.

Und dann kam der von William so sehnsüchtig herbeigesehnte Samstag. Elizabeth mußte grinsen, als sie ihren Nachbarn schon morgens früh im Haus und im Garten herumwuseln sah. Alle Fenster waren zum Lüften geöffnet, auf der Terrasse standen neue Gartenmöbel mit hübschen, bunten Sitzbezügen bereit, der Audi stand in der Garage. Das Haus war nun wirklich bereit für die übrigen drei Darcys und William war sehr aufgeregt, wie es schien.

Gegen elf Uhr kam Elizabeths Schwester Jane zu einem späten Frühstück vorbei. Die Schwestern setzten sich gemütlich an die Theke in der Küche, tranken Kaffee und verspeisten die Donuts, die Jane mitgebracht hatte. William Darcy war seit einer Stunde damit beschäftigt, rastlos auf seinem Grundstück herumzulaufen und immer wieder auf die Uhr zu schauen. Die Bennet-Schwestern hatten sozusagen alles im Blickfeld und Jane bedauerte ihn ein bißchen. „Der Ärmste ist ja ganz nervös," sagte sie mitleidig. Elizabeth nickte. „Ja, sie sollten schon um halb zehn hier sein. Er ist so glücklich, daß seine Familie heute kommt." Sie warf einen wehmütigen Blick nach draußen und Jane grinste. „Er könnte dir aber auch gefallen, nicht wahr, Liz?"

Elizabeth wurde rot. „Nun ja, ich finde ihn ganz nett."

„Er sieht auch ziemlich gut aus, auch wenn ich persönlich mehr auf hellere Typen stehe," befand Jane.

„Ja. Aber leider ist er durch und durch verheiratet und das ziemlich glücklich, wie es scheint."

„Selten genug," meinte Jane. Eine große Limousine fuhr in diesem Moment vor und parkte direkt vor der Einfahrt des Nachbargrundstücks. Die Schwestern beugten sich neugierig vor – jetzt schienen sie endlich da zu sein. Der Wagen hatte kaum angehalten, da flog auch schon die hintere linke Tür auf und ein kleiner Junge mit dunklen Locken sprang heraus. William, der gerade zum hundertsten Mal die Gartenstühle arrangiert hatte, erschien in der Einfahrt. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ein lautes „Daddy!" erscholl und zwei Sekunden später hielt er das Kind in seinen Armen und schwang es übermütig durch die Luft. Der Kleine quiekte entzückt und wollte gar nicht mehr aufhören. Jane und Elizabeth grinsten, wandten dann aber ihre Aufmerksamkeit der blonden, ziemlich aufgestylten Frau zu, die ebenfalls ausgestiegen war und ihre Umgebung kühl und – wie sie beide übereinstimmend fanden – mit geringschätziger Miene musterte. William gab seinem Sohn einen Kuß, lachte kopfschüttelnd, als dieser ihn mit vorwurfsvollem Blick demonstrativ abwischte und wandte sich der Lady zu, die noch keinen Schritt vom Auto weggemacht hatte.

„Caroline!" sagte er leise und eilte mit offenen Armen auf sie zu. „Hallo Will," sagte sie und ließ sich von ihrem Mann küssen und in die Arme nehmen. Sie schob ihn nach einem Augenblick weg und sagte etwas, was Jane und Elizabeth trotz des offenen Fensters leider nicht verstanden. Danach zupfte sie an ihrer Kleidung herum und an ihren Haaren.

„Sie hat wohl Angst, daß er ihr die Frisur ruiniert," murmelte Elizabeth boshaft und Jane grinste. „Als gäbe es da viel zu ruinieren!"

„Wie geht es dir, Liebes?" fragte William und zog sie wieder an sich. „Wieso seid ihr so spät dran?" Caroline gab darauf keine Antwort, sondern ließ ihre Blicke kritisch über das Haus wandern. William bemerkte es. „Ich bin sicher, es wird dir gefallen, Darling. Die Räume sind alle komplett neu renoviert und gestrichen, die Küche und das Bad sind ebenfalls nagelneu. Es hat sogar einen offenen Kamin, stell dir vor, wenn es draußen kälter wird, dann können wir..." er hatte sich zu ihr hingebeugt und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was sie den Kopf schütteln ließ. „Du hast auch nur das eine im Sinn, Will!" sagte sie in leicht vorwurfsvollem Ton und befreite sich ein weiteres mal aus seinen Armen. Elizabeth konnte es nicht glauben. Sie hätte nicht das geringste dagegen einzuwenden gehabt, in William Darcys Armen zu liegen!

„Hier sollen wir also für die nächste Zeit kampieren," stellte Caroline abschätzig fest. „Ist das Personal wenigstens schon eingetroffen?" wollte sie wissen. „Wollte nicht Reynolds aus Pemberley kommen um auf die Kinder aufzupassen, solange wir hier wohnen?" Es hörte sich eher an wie „dahinvegetieren", dachte Elizabeth kopfschüttelnd. „Und hast du daran gedacht, eine Köchin zu engagieren? Oder kommt Sherwood aus Pemberley? Nicht zu vergessen eine ordentliche Putzfrau! Diese Inderin in London war wirklich unerträglich, Will! Sicher hat sie von unserem Telefon aus nach Indien angerufen. Die Telefonrechnung war exorbitant in den letzten Monaten! Ich hoffe, du hast keine Inderin eingestellt."

William sah ein wenig enttäuscht aus.

Elizabeth rollte die Augen. „Was für eine Ziege," flüsterte sie. Jane nickte zustimmend.

„Ich dachte, wir verbringen das Wochenende ganz alleine, nur wir vier," sagte William und erntete prompt einen entrüsteten Blick. „Mrs. Reynolds kommt am Sonntagabend. Und was das übrige Personal angeht, solltest du am besten selbst deine Wahl treffen. Ich habe einige Vorstellungsgespräche vereinbart für nächste Woche." „Du erwartest hoffentlich nicht, daß ich in der Zwischenzeit den Kochlöffel schwinge!" stellte Caroline klar.

„Natürlich nicht, Liebes. Wir werden schon zurecht kommen."

Der Chauffeur hatte in der Zwischenzeit den Kofferraum von der stattlichen Anzahl an Gepäckstücken befreit und William war an die Limousine getreten und hatte die Tür zum Rücksitz geöffnet. Ein liebevolles Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Hallo Süße," sagte er zärtlich und hob ein kleines Mädchen aus dem Kindersitz, das geduldig gewartet hatte, bis man sich an das jüngste Familienmitglied erinnerte. Er nahm die Kleine in die Arme und gab ihr einen Kuß. „Na, mein Schatz, hast du geglaubt, wir hätten dich vergessen?" sagte er warm, der Rest war in Elizabeths Küche nicht zu verstehen. Die Schwestern seufzten einträchtig, als sie das niedliche Bild vor sich sahen.

„Ist er nicht einfach süß?" fragte Elizabeth und konnte kaum den Blick abwenden. „Wie liebevoll er mit seinen Kindern umgeht!"

„Ja, und mit dieser unglaublichen Person, die seine Zuneigung überhaupt nicht verdient hat," sagte Jane empört. „Was für eine Zimtzicke!"

Das kleine Mädchen giggelte und legte William ihre kleinen Arme um den Hals. Zärtlich drückte er seine Tochter an sich und küßte sie ein weiteres mal, was der Kleinen offenbar gefiel. Jane grinste, als sie Elizabeths entrücktes Gesicht sah. „Du wärst jetzt gerne an ihrer Stelle, was?" fragte sie und Elizabeth wurde rot. Der Junge war in der Zwischenzeit von seiner ersten Erkundungsrunde im Garten zurückgekehrt, Caroline schaute immer noch äußerst skeptisch drein und William schlug schließlich vor, ins Haus zu gehen.

Jane schüttelte den Kopf. „Dein Nachbar ist ja wirklich ein ganz Lieber," sagte sie. „Aber diese Frau paßt überhaupt nicht zu ihm! So was arrogantes, nein wirklich!"

„Ich bin sicher, es wird ihr hier nicht gefallen," stimmte Elizabeth zu. „Hast Du ihre abfälligen Blicke gesehen? Sie wird es schwer haben, sich einzugewöhnen. Und hast du das mit dem Personal gehört, Jane? Ich glaube, sie wird keinen Handstreich selber tun. Die wird sich hier draußen in der Provinz zu Tode langweilen. William tut mir jetzt schon leid."