3. Kapitel

Die Tür hatte sich kaum geschlossen, als sie Carolines Stimme von drinnen durch die weit geöffneten Fenster hören konnten. Sie verstanden keine ganzen Sätze, aber Bruchstücke wie „keine Klimaanlage – stinkt nach Farbe – popeliger Garten" waren gut zu hören. Die Schwestern verdrehten die Augen. Die Frau war kaum fünf Minuten hier und hatte bereits an allem etwas auszusetzen.

Jane verabschiedete sich bald und Elizabeth beschloß, den schönen Tag zu nutzen und sich in ihrem kleinen Garten ein bißchen zu sonnen. Sie hatte alle ihre Arbeiten erledigt und konnte guten Gewissens faulenzen. Also schlüpfte sie in ihren Bikini, cremte sich sorgfältig ein und machte es sich auf ihrer komfortablen Liege mit einem Buch und einer Flasche Wasser bequem. Für sie der Inbegriff eines faulen, gemütlichen Wochenendes.

Nebenan kehrte bald Ruhe ein. William zeigte seiner Familie wahrscheinlich ausführlich das Haus – oder vielleicht hatte er auch einfach nur Lust auf seine Frau, die er ja seit über einer Woche nicht gesehen hatte. Elizabeth stellte sich die beiden miteinander im Bett vor und schüttelte sich. Nein, das wollte sie sich lieber nicht vorstellen und es war im Endeffekt ja auch wurscht. William war nunmal verheiratet, damit mußte sie sich abfinden, auch wenn seine Frau eine unsympathische Hexe war. Er schien es zwar naturgemäß nicht so zu sehen, aber na ja. Es ging sie schließlich ja auch nichts an.

Sie genoß die Ruhe, ihre Augen fielen langsam zu und sie schlief ein. Um eine halbe Stunde später von Kindergeschrei geweckt zu werden.

Sie schreckte hoch und mußte grinsen, als sie Williams Sprößlinge durch den Garten tollen sah. Das kleine Mädchen wollte ihrem Bruder immer hinterher, aber der war natürlich zu schnell für sie und ihre kurzen Beinchen. Elizabeth fand es sehr nett, ein bißchen Leben in ihrer Nachbarschaft zu haben, auch wenn der Großteil der übrigen Bewohner dem sicher nicht zustimmen würden von wegen Lärm und so. Sie störte sich nicht daran, war sie doch selbst mit drei Schwestern aufgewachsen. Von ihrer Liege aus konnte sie die Terrasse der Darcys zum Teil sehen und dort hatten sich die Eltern der Kinder niedergelassen. Caroline hatte sich umgezogen und trug orangefarbene Shorts und eine weiße, ärmellose Bluse. Elizabeth bekam eine ungefähre Vorstellung davon, warum sie vor ihrer Ehe ein gefragtes Model gewesen war. Sie hatte nichtendenwollende Beine und immer noch eine absolute Traumfigur – soweit sie das erkennen konnte. Die zwei Schwangerschaften schien sie ohne Folgen überstanden zu haben. Beneidenswert… Ihre blonden Haare trug sie kurzgeschnitten und die Augen verbarg sie hinter einer großen Sonnenbrille. Wie die meisten Models hatte sie aber so gut wie keine Oberweite, fand Elizabeth. Sie war sogar ziemlich flach.

Auch William hatte sich etwas bequemeres angezogen und er startete einen neuen Versuch, seiner Frau ein wenig näher zu kommen, in dem er sich zu ihr auf die Bank setzte, sie in die Arme nahm und zärtlich an ihrem Ohrläppchen knabberte. Caroline ließ sich das etwa eine Minute lang gefallen, dann schob sie ihn von sich. „Es ist schrecklich warm, Will," sagte sie und rückte von ihm weg. Elizabeth fragte sich ernsthaft, wie die beiden es geschafft hatten, zwei Kinder zu zeugen. Sie griff nach ihrem Buch und vertiefte sich wieder ganz in die Welt der Jane Austen.

Etwa fünfzehn Minuten später wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Nachbargrundstück gelenkt, als das kleine Mädchen plötzlich stolperte, hinfiel und bitterlich zu weinen anfing. Natürlich war es wieder William, der sofort aufsprang, um nach ihr zu sehen. Caroline rührte sich keinen Millimeter und blätterte ungerührt in ihrer Modezeitschrift, nachdem sie kurz einen Blick auf ihre Tochter geworfen hatte. Was war das bloß für eine Mutter, dachte Elizabeth ungläubig.

William hob die Kleine hoch und tröstete sie liebevoll. Mit einem Taschentuch tupfte er den kleinen Blutfleck ab, es war eher der Schreck gewesen als eine richtige Verletzung, und drückte am Ende einen Kuß auf die „Wunde". Das Mädchen konnte schon bald wieder lachen und forderte schließlich energisch, auf den Schultern ihres Vaters reiten zu dürfen. Sie quietschte vor Entzücken, als sie von ihrer erhöhten Position aus quer durch den ganzen Garten geschleppt wurde. Bei dieser Gelegenheit sah William, daß seine Nachbarin ebenfalls im Garten war und winkte ihr zu.

„Hallo, Elizabeth!" rief er und trat näher an die Hecke heran. Seit zwei Tagen nannten sie sich beim Vornamen. Elizabeth winkte zurück. „Hallo William! Na, alle Familienmitglieder gut angekommen?"

„Ja, endlich sind sie alle da." Er strahlte und befreite mit einem gespielten Seufzer seine Haare aus den kleinen Fäusten seiner Tochter. „Darf ich ihnen meine Tochter Maggie vorstellen?" Elizabeth war aufgestanden und ebenfalls an die Hecke gekommen. Sie bemerkte Williams bewundernden Blick auf ihrem Körper, der schließlich für einen Moment zu lange auf ihren Brüsten verweilte. Aha, er war zwar verheiratet, aber offenbar noch nicht ganz tot! dachte sie amüsiert. In dieser Beziehung hatte sie allerdings auch weit mehr zu bieten als Caroline! fand sie und das gefiel ihr irgendwie außerordentlich gut. „Hallo, Maggie, ich bin Liz," sagte sie zu dem Kind, das sie freundlich anlächelte. „'Lo Lisss," antwortete sie wohlerzogen und Elizabeth lächelte entzückt. Die Kleine war zwar optisch gesehen eine Miniaturausgabe ihrer Mutter, aber das offene und freundliche Wesen hatte sie offenbar von ihrem Vater geerbt. Williams Sohn kam neugierig langsam näher und wurde ebenfalls vorgestellt. „Elizabeth, das ist Tim." „Hi Tim!" Tim grinste nur verlegen. Bei ihm war es noch offensichtlicher, wer sein Vater war. Die gleichen dunklen Locken, die gleichen schokoladenfarbenen Augen, das gleiche offene, wenn auch jetzt eher scheue Lächeln.

Was Maggies kleiner Unfall nicht vermocht hatte, schaffte Williams offensichtliches Interesse an der fremden Frau auf dem Nachbargrundstück – Caroline hatte die Szene zunächst argwöhnisch beobachtet, sich dann erhoben und rauschte schließlich auf die kleine Gruppe zu, die da an der Hecke stand und offensichtlich Spaß miteinander hatte. William wandte sich seiner Frau zu, lächelte und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Caroline, ich möchte dir Ms Elizabeth Bennet vorstellen, unsere Nachbarin. Elizabeth, meine Frau Caroline."

Elizabeth zwang sich ein höfliches Lächeln ab. „Freut mich sehr, sie kennenzulernen. Ich hoffe, es wird ihnen hier in Meryton gefallen. Mit der großen Stadt ist es natürlich nicht ganz zu vergleichen."

Caroline schaute Elizabeth durch ihre Sonnenbrille abschätzig an. Es war an ihren zusammengekniffenen Lippen klar zu erkennen, daß sie es nicht besonders schätzte, daß ihr Mann mit dieser Frau so freundschaftlich und locker umging. Sie nickte lediglich hoheitsvoll und hüllte sich ansonsten in Schweigen.

„Sobald wir uns hier eingewöhnt haben, geben wir eine kleine Grillparty," sagte William, dem die Unhöflichkeit seiner Frau ein bißchen peinlich war. „Wir rechnen fest mit ihrem Kommen."

Elizabeth dankte ihm. „Sehr gerne, William." Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und grinste innerlich, als sie Carolines Mörderblick sah. Mit dieser Frau würde sie höchstwahrscheinlich niemals so richtig warmwerden! William lächelte zurück, und Elizabeth war sich fast sicher, daß er noch einmal einen kleinen Blick in Richtung ihrer Oberweite riskiert hatte, bevor er mit seiner Frau zur Terrasse zurückging, Maggie immer noch auf seinen Schultern sitzend.

Elizabeth schüttelte teils belustigt, teils ein bißchen traurig den Kopf. Caroline Darcy brauchte sich ganz bestimmt keine Sorgen um ihren Mann zu machen. Für Elizabeth war William Darcy der Inbegriff eines anständigen Familienvaters, der seine Familie abgöttisch liebte und seine Frau verehrte. Selbst wenn er den ein oder anderen Blick bei ihr riskiert hatte, Elizabeth fand das nicht schlimm, er war schließlich ein ganz normaler Mann mit ganz normalen Bedürfnissen und Gefühlen und kein Mönch, der ein Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Sie war trotzdem ziemlich sicher, Caroline hatte keinen Grund zur Eifersucht, er würde sie nicht betrügen. So, wie er seine Frau ansah... William war von Natur aus einfach ein freundlicher und umgänglicher Mensch. Und Elizabeth konnte beim besten Willen nicht verstehen, wieso Caroline so spröde ihm gegenüber war und seine Zuneigung und Zärtlichkeiten abwehrte. Wenn sie an ihrer Stelle gewesen wäre... sie seufzte bei der Vorstellung. Sie war aber nicht an ihrer Stelle und würde es auch niemals sein. Sie wären niemals etwas anderes als gute Nachbarn. Punkt.

Am Sonntag blieb es ruhig im Nachbarhaus – die Familie war mit dem Auto morgens schon weggefahren während Elizabeth einen weiteren, faulen Tag im Garten einlegte. Die kommende Woche würde stressig genug werden, sie hatte sich für ihr Projekt viel vorgenommen und wollte vorab ein bißchen Energie tanken. Gegen Abend, die Darcys waren auch grade erst wieder nach hause gekommen, fuhr ein Wagen vor und eine Dame, etwa Ende fünfzig, stieg aus. Die Tür flog auf, Tim Darcy kam aus dem Haus geschossen und zwei Sekunden später lag er in den Armen der Frau, die sich so freute, ihn zu sehen, daß ihr ein paar Tränen die Wangen herunterliefen. Elizabeth hatte ihre Ankunft nur zufällig mitbekommen, da sie gerade an ihrer Einfahrt die Blumen gegossen hatte.

„Oh, Timmy, mein Junge, wie schön, dich zu sehen!" rief die fremde Dame und wischte sich verstohlen die Augen. In der Haustür erschien William, der Maggie auf dem Arm hielt. Er trat lächelnd näher, als die beiden sich ausgiebig gedrückt und begrüßt hatten.

„Mrs. Reynolds!" sagte er warm und drückte die zierliche Frau vorsichtig an sich. „Willlkommen!" „Master William!" sagte sie und weitere Tränen liefen. „Entschuldigen sie, Sir, man könnte meinen, wir hätten uns Jahre nicht gesehen." Sie schneuzte kräftig in ein Taschentuch, daß William ihr hinhielt und die beiden lachten. „Und Maggie, Liebes!" Sie streichelte dem Kind sanft über den Kopf. „Wie geht es dir, meine Süße? Wie groß du geworden bist!" Unter viel Gelächter und freundschaftlichem Geplauder gingen die drei Darcys und ihr Gast ins Haus.

Elizabeth hatte sich diskret zurückgezogen und wunderte sich nicht mehr ganz so stark, daß Caroline nicht zur Begrüßung herausgekommen war.

Unter der Woche war Elizabeth eine absolute Frühaufsteherin. Selbständig zu sein und von zuhause aus zu arbeiten barg natürlich einige Tücken – man konnte sich seine Zeit frei einteilen, also auch unter Umständen lange schlafen oder sich um andere, vermeintlich wichtigere Dinge kümmern als um die Arbeit. Aber Elizabeth hatte sich von Anfang an eine strenge Disziplin auferlegt und arbeitete nach einem festgelegten Zeitplan. Sie konnte es sich schlicht und einfach nicht leisten, ihre Projekte verspätet abzuschließen, also hatte sie normalerweise einen Zehn-Stunden-Arbeitstag und wenn sie früher fertig wurde, um so besser. Sie war schließlich auf Aufträge angewiesen und mußte sich ihren guten Ruf erst einmal erarbeiten. Da ihr ihre Arbeit viel Spaß machte, hatte sie damit auch kein Problem. Nur die Wochenenden gehörten ihr ganz alleine.

Also war Elizabeth normalerweise an Werktagen schon zwei Stunden auf, bevor William Darcy gegen neun Uhr das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Vor acht Uhr abends kam er selten nach hause. Das hieß, Caroline war mit den Kindern praktisch den ganzen Tag alleine. Und das hieß ebenfalls, es wurde laut. Elizabeth bekam vieles davon mit, da die Darcys meist alle Fenster offenstehen hatten bei dem schönen Wetter und sie, Elizabeth, selbst viel Zeit draußen auf der Terrasse mit arbeiten verbrachte. Caroline Darcy war nicht gerade das, was man leise und diskret nannte. Sie hatte eine laute, fast schon schrille Stimme und war es anscheinend gewohnt, zu befehlen. Vor elf Uhr hörte man sie nie, aber danach wurde es oft laut. Und es waren weniger die Kinder als Caroline selbst. Die meiste Zeit verbrachte sie mit telefonieren und sie scheute sich nicht, mit ihrem Mobiltelefon so oft es ging nach draußen zu gehen und brachte damit Elizabeth, die sich dann nicht mehr konzentrieren konnte, bald zur Verzweiflung. Caroline plauderte stundenlang mit ihren Freundinnen in London und beklagte sich ständig über das langweilige Leben hier auf dem Land, daß sich ihr Mann um nichts kümmerte, sie vernachlässigte, nur seinen Job kannte und die nicht gerade aufregende Gesellschaft hier in der Gegend. Natürlich hatte sie viel zu viel Arbeit, die Kinder waren anstrengend und gutes Personal schwer zu bekommen. Um alles mußte sie sich selbst kümmern, nicht einmal vernünftiges Personal hatte er eingestellt. Im Gegenteil, er hatte sogar gegen ihren ausdrücklichen Wunsch diese alte Fledermaus aus Pemberley kommen lassen, diese Mrs. Reynolds. Selbst vor Schlafzimmergeheimnissen schreckte sie nicht zurück. Elizabeth ging das alles sehr auf die Nerven und sie war öfters drauf und dran, ihrer neuen Nachbarin einmal gründlich den Marsch zu blasen. Immer wieder hielt sie sich zurück. Schreckliche Frau! Armer William!