5. Kapitel

Elizabeth vergrub sich weiter in ihre Arbeit und versuchte, möglichst nicht so oft an William Darcy zu denken. Sie mied sogar die Fenster, vor allem in der Küche, damit sie ihn nicht zufällig zu sehen bekam. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Normalerweise war sie eine realistische, emanzipierte Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand und ganz gut alleine (ohne einen Mann in ihrem Leben) zurechtkam. Sie fand ihr Verhalten selbst albern und kindisch, liebe Güte, sie schwärmte für ihren Nachbarn wie ein Schulmädchen! Wurde rot, wenn sie ihn sah! Ließ nachts in ihrem Bett ihren sehnsüchtigen Fantasien freien Lauf und schämte sich anschließend dafür. Wie sollte das bloß weitergehen? Sie hatte keine Idee. Aber mit der Liebe ließ sich nun mal nicht spaßen.

Der liebe Gott jedoch schien sich einen Spaß daraus zu machen, sie auf die Probe zu stellen. Am folgenden Samstag klingelte es spätvormittags an ihrer Tür. Sie war vergangene Nacht spät nach hause gekommen und gerade erst vor zehn Minuten aufgestanden. Entsprechend verschlafen sah sie aus. Sie war barfuß, trug nichts weiter außer einem mitternachtsblauen Bigshirt aus reiner Seide, dessen oberste drei Knöpfe geöffnet waren, was den Ansatz ihrer Brüste sehen ließ und sich ansonsten sehr sexy um ihre weichen Kurven schmiegte. Ein Mann hätte schon absolut ignorant oder schwul sein müssen, um auf diesen verführerischen Anblick nicht zu reagieren. William Darcy, der vor ihrer Tür stand, war weder das eine noch das andere. Er brachte noch ein halbwegs höfliches „Guten Morgen, Elizabeth," hervor und ließ dann seinen Blick bewundernd, ja fast sogar schamlos langsam über ihren Körper wandern. Elizabeth stand wie festgefroren. Sie war auf seinen Anblick genausowenig vorbereitet, auch wenn er ganz normal gekleidet war in Jeans und Hemd. Sie hatte es jetzt schon so lange vermieden, ihn zu treffen oder zu sehen und es war ihr, als hätte ihr eine große Faust in den Magen geschlagen. Sie wurde rot als sie spürte, wie sie wider Willen erregt wurde und war hin- und hergerissen zwischen dem Drang, die Tür vor seiner Nase zuzuschlagen oder ihn in ihr Bett zu zerren. Bevor sie eine Dummheit gleich welcher Art begehen konnte, räusperte sich William verlegen.

„Ich wollte ihnen nur die Einladung für unsere Einweihungsfeier übernächstes Wochenende vorbeibringen," sagte er leise und hielt ihr einen Umschlag hin. „Caroline bestand auf einer formellen Einladung in schriftlicher Form." Er lächelte etwas scheu. „Sie hat mich beauftragt, gleich ihre Antwort mitzubringen. Sie nimmt solche gesellschaftlichen Sachen schrecklich ernst." Ein weiterer Blick, der an ihrem geöffneten Ausschnitt endete.

Elizabeth starrte ihn sekundenlang an, ohne etwas zu sagen. Fast übermächtig war der Drang, sich an seine Brust zu werfen oder ihn besinnungslos zu küssen. Oder am besten gleich beides zu tun. Ihre aufgewühlten Gefühle mußten sich offenbar auf ihrem Gesicht abzeichnen, denn William sah etwas besorgt drein.

„Elizabeth?" fragte er leise und ergriff sanft ihren Arm. Dabei war er ihr ziemlich nahe gekommen und ihre Körper berührten sich fast.

Elizabeth fuhr bei dem unverhofften Körperkontakt zusammen und versuchte, sich zusammenzureißen. „Entschuldigen sie," murmelte sie verlegen und griff auf der Suche nach einer Stütze ins Leere. Sie war vollkommen durcheinander und wunderte sich wieder einmal über sich selbst.

William mißverstand ihr vergebliches Tasten gründlich falsch. Er hatte noch immer ihren Arm umfaßt und dachte, ihr wäre schwindelig geworden. Er ließ ihren Arm los und legte dafür beide Hände auf ihre Schultern, um sie zu stützen. Für Elizabeth war das fast zuviel. Seine unmittelbare Nähe, seine warmen Hände auf ihren Schultern, nur durch die dünne Seide getrennt…unwillkürlich begann sie zu zittern, was William schon wieder mißverstand.

„Sie frieren ja," murmelte er und betrachtete besorgt ihr blasses Gesicht. „Fühlen sie sich nicht gut, Elizabeth?" Aus einem – wahrscheinlich eher väterlichen – Reflex heraus zog er sie an sich und strich sanft über ihren Rücken, vielleicht, um sie ein wenig zu wärmen. Es war eine unschuldige, fürsorgliche Geste, die er ebenso bei seiner Tochter angewandt hätte, aber Elizabeth war eine erwachsene, momentan überaus unbefriedigte Frau und William nun mal das Opfer ihrer heimlichen Begierde. Sie schlang die Arme um seine Hüften und preßte sich an ihn, ihre Hände strichen über seinen Rücken, und sie inhalierte begierig seinen frischen Duft nach Seife und Aftershave. William spürte ihre festen, vollen Brüste an sich, ihren weichen Körper unter kühler Seide und begriff, daß die Situation vielleicht doch nicht ganz so unschuldig war. Es war ihm überaus peinlich, als er tatsächlich eine Erektion bekam, aber er brachte es auch nicht fertig, sie loszulassen. William wußte genau, es war nicht richtig. Er war verheiratet, er war glücklich verheiratet. Er hatte zwei wundervolle Kinder, er liebte seine Frau. Es war auch nicht so, daß Caroline sich ihm im Bett verweigert hätte. Na schön, die Initiative ging meist von ihm aus. Zugegeben, sie ging praktisch immer von ihm aus. Und ja, sie hatten erst kürzlich einen etwas ernsthafteren Streit darüber geführt, ob sie getrennte Schlafzimmer haben sollten. Es war natürlich Carolines Idee gewesen, aber William hatte ihr Ansinnen rundheraus abgelehnt. Er war sehr verletzt über ihren Wunsch gewesen, fühlte sich zurückgewiesen, konnte sich überhaupt nicht vorstellen, von ihr getrennt zu schlafen. Er hätte es vielleicht noch nachvollziehen können, wenn er geschnarcht hätte, aber das war definitiv nicht der Fall. Caroline hatte das Thema vorerst nicht weiter verfolgt, aber er war sicher, es war noch nicht ausgestanden. Höchstwahrscheinlich würde das ganze wieder in einer Art sanfter Erpressung enden, so etwa „ich verzichte auf getrennte Schlafzimmer, wenn wir nach London zurückgehen."

Und jetzt hielt er eine Frau in den Armen, die das genaue Gegenteil von seiner Ehefrau war. Hier Caroline, groß, blonde, mittlerweile fast raspelkurze Haare, superschlank, fast schon knochig – bei ihr von „Oberweite" zu sprechen, war schon fast lächerlich. Auf der anderen Seite Elizabeth, zierlich, dunkle, ungebändigte Lockenmähne, ebenfalls schlank, aber mit weiblichen Kurven an den richtigen Stellen und einer Oberweite, die diesen Namen auch verdiente. Weiche, warme, anschmiegsame Elizabeth. Und sie roch gut. Sie roch ganz und gar nach Frau, nach Bett, nach Schlaf, ganz ohne einen Tropfen Parfum an sich. Nicht wie Caroline, die täglich in Parfums zu baden schien und ständig irgendwelche Duftschwaden hinter sich herzog. Williams Hände fuhren über ihren Rücken, jetzt nicht mehr fürsorglich, sondern zärtlich, entdeckend und gleichzeitig fast fordernd. Sie hob ihr Gesicht zu ihm auf und öffnete leicht die feuchten Lippen, was für William fast zuviel war.

Und die Verlockung war in der Tat gewaltig für William. Eine Tatsache, die ihn erschreckte. Er gestand sich ein, daß er sich danach sehnte, sie zu küssen. Er wollte nichts lieber tun. Danach das blaue Seidenhemd aufknöpfen, an ihren Nippeln saugen, ihre festen Pobacken kneten und ausführlich ihre feuchte Weiblichkeit erkunden.

Mit schier unmenschlicher Willenskraft holte William schließlich tief Luft und schob Elizabeth sanft von sich. Er lächelte verlegen und sah sie ein wenig beschämt an. „Es ist wahrscheinlich keine gute Idee, so verführerisch sie auch ist," murmelte er entschuldigend. Elizabeth wurde rot. „Nein," flüsterte sie. „Entschuldigen sie."

„Nein, ich muß mich entschuldigen, Elizabeth." Er sah nachdenklich auf sie herab. „Wären die Umstände anders, ich…"

Elizabeth brachte ihn mit ihrem Finger auf seinen Lippen zum Schweigen und schüttelte den Kopf. „Sagen sie ihrer Frau, ich komme gerne zur Einweihungsfeier," sagte sie kaum hörbar und wandte sich ab. Er sollte ihre Tränen nicht sehen.

William starrte sie einen Moment an, dann trat er neben sie, küßte sie sehr, sehr sanft auf die Stirn und verließ leise das Haus.

Elizabeth stand mehrere Minuten wie angewachsen. Ihr Kopf war leer, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Hatte sie tatsächlich eben in Williams Armen gelegen? Hatte er sie an sich gepreßt, ihren Rücken gestreichelt, sie zum Abschied geküßt? Hatte sie es sich tatsächlich nur eingebildet, seine harte Männlichkeit an ihrem Unterleib gespürt zu haben? Und was hatte er damit gemeint: „wären die Umstände anders?" Sie schloß die Augen und sofort spürte sie wieder seinen Geruch, seinen Duft nach Duschgel, frischem, männlichen Aftershave und Mann. Williamduft. Sie spürte noch immer seine warmen Hände auf ihrem Körper, fordernd, zärtlich, sanft und verdammt, sie hätte sich nicht gewehrt, wenn er mehr von ihr gewollt hätte. Es war ihr in diesem Moment vollkommen egal gewesen, daß er verheiratet war. Sie hatte ihn haben wollen, sie war mehr als bereit gewesen. Daß er einen Rückzieher gemacht hatte, daß er die Willenskraft aufgebracht hatte, ließ ihn in ihrer Achtung nur noch mehr steigen, denn sie selbst fühlte sich äußerst bescheiden. Sie hatte sich ihrem Nachbarn praktisch an den Hals geworfen. Ehemann. Familienvater. Tabu für sie.

Bei näherer Betrachtung revidierte sie ihr hartes Urteil sich selbst gegenüber. Nein, das stimmte so nicht. Die „Initiative," wenn man es überhaupt so nennen konnte, war allein von ihm ausgegangen. Er hatte offensichtlich gedacht, ihr ginge es nicht gut und wollte einfach nur hilfsbereit sein. So gesehen waren sie beide zu gleichen Teilen schuld. Nur daß sie, Elizabeth, niemals einen Rückzieher gemacht hätte.

Ihr Unterleib stand immer noch in Flammen und sie sehnte sich nach Williams Berührung, nach Erlösung ihrer aufgestauten Lust. Sie wußte allerdings nur zu gut, es konnte nicht sein, es durfte nicht sein und es würde niemals sein. Vermutlich würden sie sich jetzt bis zum Ende ihres Lebens aus dem Weg gehen oder einer von ihnen würde über kurz oder lang wegziehen. Aber Elizabeth wollte ihr Haus nicht aufgeben. Wenn William mit der Situation nicht zurechtkäme, mußte er eben gehen.

Elizabeth beschloß, eine heiße Dusche zu nehmen um so vielleicht wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen.

Es war nicht schwierig, sich in den nächsten Tagen aus dem Weg zu gehen, da William den Großteil der folgenden Woche auf Dienstreise verbrachte. Caroline nutzte die Zeit seiner Abwesenheit und plante ihre Einweihungsfeier für den übernächsten Samstag geradezu generalstabsmäßig. Es war nicht so, daß sie es als besonders „feierwürdig" betrachtete, hier in der Provinz dahinzuvegetieren, aber es gab ihr immerhin die Gelegenheit, eine große Party zu planen. Und sie liebte es, Partys zu planen. Geld spielte dabei keine Rolle für sie – kein Zweifel, es war ja schließlich das Geld ihres Mannes, das sie mit vollen Händen ausgab. Alles nur vom feinsten, versteht sich. Elizabeth konnte sie häufig telefonieren hören und je nachdem mit wem sie sprach, änderte sich ihr Tonfall von kasernenhofmäßig bei Lieferanten bis zu zuckersüß, wenn es sich um potentielle Gäste handelte, die noch nicht zugesagt hatten, auf deren Erscheinen sie jedoch anscheinend größten Wert legte.

Mrs. Reynolds schaffte die Kinder so gut es ging aus ihrer Schußlinie, denn für die beiden hatte Caroline nun einmal überhaupt keine Zeit. Viel wichtiger war es, interessante Gäste hierher zu locken und mit dem besten Caterer der Stadt zu verhandeln, Gärtner mußten kontaktiert werden und sie selbst brauchte natürlich auch noch einen Termin bei ihrem Visagisten in London. Und noch soviel mehr war zu tun! Während Caroline in ihren Vorbereitungen regelrecht aufblühte, kümmerte sich Mrs. Reynolds um die täglichen Aufgaben und Pflichten, versorgte die Kinder und besuchte manchmal Elizabeth, um auch einmal normale Menschen zu sehen, solange William auf Reisen war.

„Die neue Köchin ist ziemlich angesäuert, daß sie nicht das Essen machen darf," sagte Mrs. Reynolds eines Tages, als Elizabeth sie spontan zu einem Kaffee eingeladen hatte.

„Ist Caroline denn nicht mit ihr zufrieden?"

„Doch, meistens schon." Mrs. Reynolds grinste. „Auch wenn sie viel Kritik einstecken muß, die Arme. Aber Mrs. Darcy hat ihr eindeutig zu verstehen gegeben, daß ihre Fähigkeiten nicht ausreichen würden, eine Veranstaltung dieser Größe zu bekochen."

Vermutlich hatte sie es ihr ziemlich direkt gesagt, dachte Elizabeth und schüttelte einmal mehr innerlich den Kopf.

„Stellen sie sich vor, sogar Master Williams Cousin hat sein Kommen zugesagt," fuhr Mrs. Reynolds fort. Elizabeth zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Richard Fitzwilliam," erläuterte die Haushälterin. „er hatte, bevor aus Miss Bingley Mrs. Darcy wurde, eine kurze, aber heftige Affäre mit ihr gehabt. Master William war nicht besonders begeistert davon und hat lange Zeit keinen Kontakt zu seinem Cousin haben wollen."

Elizabeth runzelte die Stirn. „Die beiden hatten eine Affäre, bevor William Caroline kennenlernte?"

„Nein, meine Liebe. Kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten."

„Wow!" machte Elizabeth erstaunt. „Sie hat was mit dem Cousin angefangen, obwohl sie zu der Zeit schon mit William zusammen war? Kein Wunder, daß er nicht sonderlich erfreut darüber war."

„Richard Fitzwilliam ist ein Abenteurer, ein Playboy, aber auch ein charmanter Bengel. Er hat mehr Charme im kleinen Finger als manch anderer im ganzen Leib. Man darf ihm bloß nicht über den Weg trauen." Sie lächelte, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Nehmen sie sich vor ihm in acht, Miss Elizabeth."

Solche Warnungen verfehlten normalerweise immer ihren Zweck, denn natürlich war Elizabeth nun erst recht neugierig auf Williams Cousin.