Wenn es nach Caroline gegangen wäre, hätte sie auf ein „normales" Liebesleben durchaus verzichten können. Als Teenager hatte sie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht. Ihr „erstes Mal" fand statt, als sie gerade mal 16 war und ihre ersten Gehversuche im ‚Model-Business' startete. Bei einer Modenschau in ihrem Heimatort war sie von einem Fotografen, der mehr als doppelt so alt gewesen war wie sie selbst, verführt worden. Möglicherweise war gar mehr Zwang als Verführung im Spiel gewesen. Aber dieses eine Mal war sehr prägend für ihre weiteren „Erfahrungen" geworden. Ihre nachfolgenden Sexualpartner waren nahezu immer wesentlich älter als sie gewesen und so hatte sich bei ihr im Lauf der Zeit eine sehr starke Neigung zur Unterwerfung entwickelt. Drei Jahre später begann sie ihre Karriere als professionelles Model und leider geriet sie dabei auch immer tiefer in die Abhängigkeit diverser „Macher", sei es Fotografen, Führungskräften bei Modellagenturen, Designern und was in diesem Haifischbecken sonst noch herumschwamm. Der Kontakt zu ihrem Bruder – ihrer einzigen „richtigen" Familie, brach in dieser Zeit fast komplett ab.
Caroline geriet in Kreise, in denen sie automatisch mit Exzessen jeglicher Art in Berührung kam. Vor Drogen konnte sie sich selbst schützen, auch Alkohol konnte sie nichts abgewinnen, aber vor den lüsternen, vor allem älteren Herren der Branche war kein Entkommen möglich. Anfangs machte es ihr sogar noch Spaß, sich den Wünschen und Lüsten dieser Herrschaften zu unterwerfen. Sie wollte dominiert werden. Diese Neigung geriet etwas in den Hintergrund, als sie während eines Aufenthalts in Mailand für ein Fotoshooting von einer älteren Kollegin verführt wurde. Die beiden Frauen teilten sich ein Hotelzimmer und kamen sich bereits in der ersten Nacht näher, als es schicklich war. Es war Carolines erste Erfahrung mit einer Frau und sie fand Gefallen daran. Diese Neigung hielt sie jedoch verborgen, auch wenn sie seit diesem Zeitpunkt immer wieder leidenschaftliche Affären, wenngleich auch keine richtige Beziehung mit anderen Frauen einging. Und auch heute noch teilte sie das Bett mit den Freundinnen, mit denen sie auch ab und zu übers Wochenende wegfuhr, nicht nur, um darin zu schlafen. William ahnte davon nicht das geringste und Caroline war stets sehr diskret.
Bis dann eines Tages Richard Fitzwilliam in ihr Leben trat. Williams gleichaltriger Cousin war adeliger Abstammung und freiberuflicher Fotograf. Er hatte sich erst in der Modeszene einen Namen gemacht und dann, als ihm das zu langweilig geworden war, sich ziemlich erfolgreich mit Aktfotografie beschäftigt. Mit seinen – sehr gewagten – Bildern hatte er anfangs regelrechte Skandale ausgelöst. Sein Lieblingsmotiv waren Frauen beim Liebesspiel und er brachte das Kunststück fertig, seine Fotos zwar äußerst erotisch, aber nie billig aussehen zu lassen, auch wenn man sich erst einmal daran gewöhnen mußte. Er kannte keine Tabus, aber er bekam stets irgendwie die Kurve. Es war eine höchst schwierige Gratwanderung, die Richard Fitzwilliam jedoch nahezu meisterhaft beherrschte. Er liebte es, zu polarisieren und mochte nichts lieber, wenn sich die Leute über seine Arbeiten aufregten. Seine – seltenen – Ausstellungen waren natürlich Zuschauermagnete, aber jedesmal gab es von irgendeiner Seite Proteste dagegen. Eine bessere Werbung konnte sich Richard gar nicht vorstellen. Auch war es unnötig zu sagen, daß nur Personen über 18 Jahren Zutritt zu seinen Vernissagen hatten.
Richard hatte Caroline bei einer Fotosession für eine Zeitschrift gesehen und wollte sie unbedingt fotografieren. Ohne die störenden Klamotten. Er selbst hatte keinerlei Absichten mit ihr, bevorzugte er persönlich doch kurvigere Frauen mit anständiger Oberweite und nicht solche knabenhaften Figuren. Aber Richard hatte einen guten Blick und genaue Vorstellungen davon, wie er dieses kleine, arrogante Wesen am besten würde herausbringen konnte. Er fand sie faszinierend. Ihr Markenzeichen war eine kühle, unnahbare Arroganz und er hatte sofort einige Ideen für ein Projekt, das ihm schon seit langer Zeit im Kopf herumschwirrte, und das er sobald wie möglich in die Tat umsetzen wollte. Er kannte Carolines Hintergrund nicht und hätte ihr ihre devoten Neigungen niemals abgenommen. Für ihn paßte sie hervorragend in die exakt gegensätzliche Ecke: Selbst die Dominierende zu sein.
Und was Richard Fitzwilliam wollte, bekam er normalerweise auch. Er hatte umgehend den Kontakt zu Caroline gesucht, doch das erste Gespräch war nicht gut verlaufen. Richard redete niemals um den heißen Brei herum. Er hatte ihr sehr deutlich auseinandergesetzt, was er von ihr wollte und Caroline war so empört gewesen, daß sie ihm eine schallende Ohrfeige verpaßte und zornig das Cafe verließ, in dem sie sich getroffen hatten. Richard hatte es ihr nicht übelgenommen. Er ließ ihr ein paar Tage Zeit und startete einen zweiten Anlauf. Mit seiner charmanten Art hatte er sich bei ihr entschuldigt und sie wie eine Spinne ihre Beute eingewickelt. Am Ende hatte sie zugestimmt, zumindest mal ganz unverbindlich in seinem Studio vorbeizukommen um sich ein genaueres Bild zu machen.
Sie war überrascht gewesen, wie modern und professionell das Studio aussah, hatte sie doch vermutet, daß solch „anrüchigen" Fotos nur in dreckigen Hinterzimmern oder düsteren Verliesen gemacht wurden. Aber im Gegenteil. Die Umgebung war einladend, die Leute dort sehr nett und locker drauf, alles war sauber und gepflegt. Es hatte nicht den geringsten Anschein von Anrüchigkeit. Sie hatte irgendwie unterschätzt, daß Richard einen ausschließlich künstlerischen Anspruch auf seine Arbeit hatte und niemals Affären mit seinen Models einging. Caroline war das nicht gewöhnt – sie hatte bislang fast immer „Gegenleistungen" bringen müssen.
Trotzdem war sie zunächst geschockt gewesen, als sie das Studio betreten hatte. Es war natürlich immer noch ein ganz normales Fotostudio, aber hergerichtet wie eine Sado-Maso Folterkammer. Caroline hatte große Augen gemacht, aber Richard war ein Profi durch und durch. Er hatte ihr locker und ohne Scheu erläutert, was er sich vorstellte und von ihr erwartete und ihr dabei jegliche Angst genommen. Im Gegenteil, sie war überaus neugierig geworden. Dazu kam, daß sie sich keine Sorgen machen mußte, ob sie möglicherweise jemand wiedererkannte: Richard versicherte ihr, daß die Fotos so verfremdet werden würden, daß ihr Gesicht nicht zu erkennen sein würde.
Und das war der Beginn einer völlig neuen Erfahrung für Caroline.
Sie war mit wahrem Feuereifer bei der Sache. Richard verlangte sehr viel und war nicht leicht zufriedenzustellen, aber sie beschwerte sich nie. Viele Einstellungen mußten immer und immer wieder von neuem gemacht werden und am Ende einer Session war Caroline regelmäßig völlig ausgepumpt. Aber die beiden bildeten bald ein eingespieltes Team und Caroline steigerte sich immer mehr in dieses ungewöhnliche Projekt hinein. Schon bald äußerte sie Richard gegenüber den Wunsch, die – während ihrer Sessions natürlich nur angedeuteten – Aktivitäten in ernsterer Art und Weise auszuprobieren. Richard war darüber weder erstaunt noch schockiert – es gab nicht besonders viel, womit man ihn noch schockieren konnte. Er selbst machte sich nicht übermäßig viel aus der Sado-Maso Szene, aber er hatte diverse Kontakte. Einer der drei Herren, die er als Statisten für dieses Projekt engagiert hatte, betrieb die Sache auch in seinem Privatleben und Richard stellte den Kontakt her. Alles weitere interessierte ihn nicht, er machte nur zur Bedingung, daß Carolines Körper makellos blieb, solange das Projekt andauerte. Was seine „Klienten" in ihrer Freizeit trieben, war ihm vollkommen gleichgültig. Er erlaubte sich auch kein Urteil darüber, die Leute waren schließlich erwachsen.
Kurze Zeit später lernte Caroline bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung von Darcy Consulting William kennen und heiratete ihn bekanntermaßen kurze Zeit später. Das Gerücht, daß Richard und Caroline sich erst danach kennengelernt und eine heiße Affäre miteinander gehabt hatten, obwohl Caroline bereits mit William verlobt war, hielt sich hartnäckig. Nichts daran entsprach der Wahrheit. Caroline und Richard arbeiteten sehr eng zusammen, das war richtig, aber ihre „Beziehung" ging nie über ihr gemeinsames Projekt hinaus. Außer der Tatsache, daß Richard Caroline in gewisse Kreise eingeführt hatte und über ihr heimliches „Zweitleben" bestens informiert war. Er hatte ihr auch den Rat gegeben, seinen Cousin zu heiraten, als dieser großes Interesse an ihr zeigte.
Caroline sah schnell die Vorteile, die eine Verbindung mit dem jungen, vermögenden und noch dazu recht attraktiven Unternehmer mit sich brachte. Er war sichtbar verrückt nach ihr (welcher Mann war das nicht?) und trotz seiner Position und seiner großen Verantwortung ein umgänglicher, freundlicher Mensch, der auf dem Teppich geblieben war. Und vor allem war er überaus großzügig. Es wäre nicht schwierig, ihn zufriedenzustellen, dachte sie damals und nahm seinen Antrag an.
William begleitete sie zu Beginn ihrer Ehe noch zu Parties und Veranstaltungen, zu der sie verpflichtet war, während sie ihm im Gegenzug bei seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen unterstützte. Er hatte keinerlei Ahnung, daß sie ein geheimes Leben führte und bis zu Beginn ihrer Schwangerschaft fortsetzte. Caroline war nicht gerade glücklich mit der Aussicht, Mutter zu werden. Sie mußte ihre Karriere beenden und auch ihre Neigungen konnte sie in diesem Umfang natürlich nicht mehr ausleben. Ihr Liebesleben mit ihrem Ehemann stellte sie nicht zufrieden, und obwohl William ein sehr leidenschaftlicher, keineswegs prüder Liebhaber war und nichts gegen etwas Abwechslung im Bett einzuwenden hatte, spürte Caroline instinktiv, daß sie ihn mit ihrer Art des Lustgewinns nur verschrecken würde. Er war eher der sinnliche, zärtliche Typ, der ihre Befriedigung immer über seine eigene stellte und es lieber ein wenig langsamer, dafür umso ausdauernder angehen ließ. Er wollte sie nicht dominieren, er wollte sie verwöhnen. Caroline hatte einmal den Versuch gemacht, ein paar Handschellen mit einzubeziehen und sich ans Bett fesseln lassen. William hatte zwar nichts dagegen gehabt, aber ihr Liebesspiel war nicht so gelaufen, wie sie es sich erhofft hatte. Er war nun mal viel zu liebevoll für solche Dinge.
Tja, und nun war William wütend auf sie, weil sie ihre Tochter vernachlässigt hatte und sie sah ihren Lebensstandard ernstlich in Gefahr. Sie würde sich mit ihrem Mann arrangieren müssen, sie durfte ihn vor allem nicht unterschätzen. Er war so verändert gewesen heute, fast kühl. Caroline war beunruhigt. Gerade jetzt, wo sie wieder Kontakt zu Richard Fitzwilliam aufgenommen hatte. Sie war lange „draußen" gewesen aus der Szene, zu lange. Ihre zwischenzeitlichen Eskapaden mit der ein oder anderen Freundin genügten ihr nicht mehr. Sie wollte zurück in ihr richtiges Leben. Richard würde am Samstag zu ihrer Party kommen – er mußte wieder den Kontakt herstellen. Er mußte einfach!
Aber vorher mußte sie William davon überzeugen, daß er sie weiterhin liebte. Sie war nicht mehr so sehr davon überzeugt, daß er alles schlucken würde, nur damit ihre Ehe und damit ihre Familie intakt blieb.
