12. Kapitel

Richard Fitzwilliam war komplett in schwarz gekleidet und wirkte ziemlich einschüchternd, was möglicherweise auch mit seiner beeindruckenden Größe von knappen zwei Metern zusammenhing. Er machte schon einen ehrfurchtgebietenden Eindruck. Langsam schritt er auf das gastgebende Ehepaar zu und begrüßte zuerst Caroline, wie es sich für einen Gentleman gehörte. „Caroline, meine Liebe, wie schön, dich zu sehen," sagte er in seiner ruhigen, tiefen Stimme und hob ihre Hand an seine Lippen, um ihre Fingerspitzen zu küssen. Ihre Blicke trafen sich. Caroline lächelte kühl. „Hallo, Richard. Schön, daß du kommen konntest."

Richard wandte sich seinem Cousin zu. „William," sagte er nur.

William nickte und berührte kurz freundschaftlich seinen Arm. „Hallo, Richard."

Richard lächelte leicht. Er wandte sich um und William sah, daß hinter ihm ein kleiner, seltsam aussehender Mann die Einfahrt entlanggekommen war, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Auch er war ganz in schwarz gekleidet und schien so etwas wie einen Priesterkragen zu tragen! Bei näherem Hinsehen kam er ihm irgendwie bekannt vor – er konnte ihn jedoch nicht einsortieren. Aber irgendwo hatte er ihn schon einmal gesehen, da war er sicher. Noch erstaunter war er über die Reaktion seiner Frau, als diese ihn entdeckte. Ihre Augen wurden groß vor offensichtlicher Überraschung, ihr Mund öffnete sich und sie wurde tatsächlich rot. Woher kannte sie bloß solche Typen?

„Mr. Collins!" rief sie aus. „Was um alles in der Welt..." Sie bremste sich schnell, um nicht Williams Argwohn zu wecken. Sein leichtes Stirnrunzeln gefiel ihr überhaupt nicht.

„Will, darf ich dir Mr. Collins vorstellen. Wir haben vor ewigen Zeiten einmal in einem Projekt miteinander gearbeitet. Ist wirklich schon sehr lange her." Sie lachte nervös. „Mr. Collins, mein Mann, Mr. William Darcy."

William wunderte sich, warum die Ankunft dieses wunderlichen Mannes Caroline so nervös machte. Mr. Collins verbeugte sich tief und fast demütig vor William, was diesen nur noch mehr in Erstaunen versetzte. Er murmelte irgendetwas, was William nicht verstand. Richard hingegen hatte einen sehr amüsierten Gesichtsausdruck.

So wie es aussah, waren mit Richard und seinem seltsamen Begleiter die letzten Gäste eingetroffen. William nahm sich vor, später darüber nachzudenken und herauszufinden, wie dieser Mr. Collins mit Caroline in Verbindung stand und woher er ihn kannte. Ihre Reaktion auf diesen Mann war in der Tat erstaunlich gewesen. Schien sie zunächst erschrocken, ihn hier zu sehen, so änderte sich ihr Verhalten in wenigen Augenblicken zu...ja zu was? Es war komisch, aber sie schien eine Art Vorfreude auf irgendetwas auszustrahlen. Ihre Augen hatten zu glänzen angefangen und ihre so kühle Miene sich in ein fast schon aufgeregtes Lächeln verwandelt. Noch verräterischer war ihre vergebliche Bemühung, diese ‚Vorfreude' worauf auch immer – zu unterdrücken.

Richard war mit seinem Cousin langsam in den Garten gegangen und sie hatten sich ein paar Minuten freundschaftlich miteinander unterhalten. William wußte von den Gerüchten über seinen Cousin und Caroline und er wußte genauso, daß nichts daran auch nur annähernd stimmte. Richard hatte mit Caroline gearbeitet, mehr nicht. Allerdings hatte er nie die Fotos zu sehen bekommen, auch wenn man Caroline nicht darauf erkennen konnte. Also hatten die beiden überhaupt keinen Grund, sich feindlich gesonnen zu sein. Sonderlich nahe standen sie sich allerdings auch nicht. Das lag wahrscheinlich in erster Linie an Richards geheimnisvollem, nicht leicht zu greifendem Lebenswandel, mit dem William nicht viel anfangen konnte. Wie ihm überhaupt dieses ganze Business suspekt war. Auch mit seinen Fotografien konnte William wenig anfangen. Er hatte durchaus ein Faible für erotische Fotografie, aber was Richard produzierte, gefiel ihm nicht. Vor Jahren, es war kurz nach seiner Hochzeit gewesen, war er in New York einmal aus Neugierde in eine seiner Ausstellungen gegangen. Die Bilder waren abstoßend gewesen, im Sado-Maso Stil. Eine Frau, die man nicht genau erkennen konnte und drei sehr devote Männer waren auf den meisten Fotos zu sehen gewesen. Er war damals nach zehn Minuten gegangen und wunderte sich, warum er überhaupt hineingegangen war. Noch mehr wunderte er sich darüber, welche Frau sich zu solchen Fotos bloß hergeben würde. Für einen kurzen Moment stellte er sich Caroline vor, mit Peitschen und in schwarzer Lederkluft und mußte unwillkürlich grinsen. Caroline, die es noch nicht einmal mochte, wenn das Licht dabei an war! Nein, das war wirklich eine absurde Vorstellung. Von seinem wilden Cousin war jedoch nichts anderes zu erwarten gewesen, oder? Richard Fitzwilliam war nun mal das „enfant terrible" der Familie.

Caroline mußte erst einmal für ein paar Minuten verschwinden, um wieder die Fassung zu erlangen. Sie hätte Richard Fitzwilliam erschlagen und gleichzeitig küssen können. Wie konnte er es wagen, Bill Collins mitzubringen! Collins war einer der „devoten Partner" in ihrem gemeinsamen „Projekt" gewesen und der Schlüssel zu Carolines „heimlicher Welt". Sie hatte Richard heute abend bitten wollen, den Kontakt zu ihm herzustellen. Aber ihn gleich mitzubringen und ihn hier und heute zu sehen löste eine nie gekannte Lust in ihr aus. Liebe Güte, es war schon so lange her... verdammter Richard. Er wußte genau, was er in ihr auslösen würde. Und das vor Williams Augen! Sie mußte einen Weg finden, mit Collins zusammenzukommen, und zwar in allernächster Zeit. Und zwar ohne daß William Verdacht schöpfte. Sie fürchtete, heute schon zuviel preisgegeben zu haben, seinem skeptischen Blick nach zu urteilen!

Als sie nach wenigen Minuten wieder draußen erschien, war sie vollkommen ruhig und spielte ihre Rolle als Gastgeberin weiter, als wäre nichts geschehen. Was ihre Gäste anbetraf, natürlich. Um den traurigen Rest kümmerte sie sich wie gehabt kühl und höflich – wenn überhaupt. William war so wild darauf gewesen, diese unsäglichen Leute aus der Provinz einzuladen, mochte er sehen, wie sie unterhalten wurden. Mr. Collins ließ sie vollkommen links liegen oder war ausgesucht unfreundlich zu ihm – wenn grade keiner hinhörte oder -schaute. Mr. Collins betrachtete ihre Bosheiten sozusagen als Vorspiel und fühlte sich wie im siebten Himmel.

Richard Fitzwilliam hatte Carolines hektische Flucht ins Haus schmunzelnd beobachtet. Seine kleine Überraschung hatte offenbar durchschlagenden Erfolg gehabt. Ein schlechtes Gewissen seinem Cousin gegenüber hatte er nicht. William war ein netter Kerl, keine Frage. Sie hatten keine Probleme miteinander. Aber er war der Meinung, daß Caroline ihm mit ihren Eskapaden nicht wehtat, solange er nichts davon erfuhr. Sie lebte Fantasien aus, die sie mit ihrem Mann nicht ausleben konnte, nicht mehr und nicht weniger. Es war ihr gutes Recht. Das mußte mit ihrer Ehe an sich nichts zu tun haben, fand er. Sie konnten ja trotzdem eine gute Ehe führen. Richard Fitzwilliam war in dieser Beziehung wirklich sehr, sehr freidenkend. Aber er hätte sowieso nie geheiratet. Den Streß brauchte er sich nicht anzutun!

Nun lief er langsam durch den Garten und beobachtete interessiert die anderen Gäste. Richard war immer auf der Suche nach interessanten Menschen für seine verschiedenen „Projekte". Was hier herumflanierte, war allerdings das übliche: altbekannte, verbrauchte Gesichter, nicht besonders aufregend. Die Frauen, die ihn erkannten, versuchten, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, aber er nickte meist nur höflich und lehnte jede Konversation ab, die sich über mehr als ein paar allgemeine Sätze erstreckte. Er allein wählte aus, er ließ sich niemals bedrängen oder zu irgendetwas überreden, von dem er nicht überzeugt war.

Bis sein Blick auf eine zierliche, dunkelgelockte Frau fiel, die in ein lebhaftes Gespräch mit einem Pärchen verwickelt war. Den Mann kannte er, Carolines Bruder. Die blonde Frau an seiner Seite war sehr hübsch, eine klassische Schönheit, aber die dunkle war interessant. Seinem erfahrenen Blick entging nichts. Sie sah sehr sexy aus in ihrem kurzen Rock, der ihre schlanken, gebräunten Beine nicht verhüllte und beinahe hätte er genießerisch mit der Zunge geschnalzt, als sie sich im Profil zu ihm drehte und er ihre mehr als ansprechende Oberweite sah. Wow. Dazu die lange Lockenmähne und ihre lebhafte, fröhliche Art... die Kleine war genau seine Kragenweite. Am auffälligsten jedoch waren ihre Augen. Dunkle, übermütig blitzende Augen. Oh ja, dieses Zauberwesen mußte er im Auge behalten!

Unauffällig lief Richard durch die Gästeschar, ohne Elizabeth auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Was für eine angenehme Abwechslung neben all diesen berechnenden, gleichgültigen und aufgetakelten Modepuppen, die sich hier tummelten! Er stellte sich im Geist bereits vor, wie er sie fotografieren würde. Sie war so natürlich und ungezwungen, sie würde auf Aktbildern wunderbar zur Geltung kommen. In der freien Natur am besten. Am Meer. Felsen und Wasser und Sand. Wasserfälle. Tropische Wälder. Schmetterlinge. Oder wilde Tiere. Safari. Wüste. Er mußte unbedingt seine Ideen kanalisieren, aber das mußte bis heute nacht warten. Zunächst mußte er diese Frau kennenlernen. Daß sie früher oder später freudig erregt zustimmen würde, sich von ihm fotografieren zu lassen, war für ihn keine Frage. Wer würde es schon ablehnen, sich von Richard Fitzwilliam ablichten zu lassen? Nein, Richard litt ganz gewiß nicht unter mangelndem Selbstbewußtsein.

Als er sich gerade auf den Weg zu ihr machen wollte, fiel sein Blick auf seinen Cousin, der mit einem Glas Wein in der Hand etwas abseits stand und in die gleiche Richtung starrte, in die Richard gerade gehen wollte. Himmelte sein Cousin etwa die dunkle Schönheit an? Das war ja mal interessant. Er folgte seinem Blick und war umso erstaunter, als er sah, daß die junge Frau William bemerkt hatte und ihn ihrerseits nahezu sehnsüchtig anschaute. Richard grinste. Sein streng monogamer Cousin, Inbegriff des liebenden Familienvaters, war doch nicht etwa auf erotische Abwege geraten? Wobei, verdenken konnte er es ihm nicht. Er würde die beiden im Auge behalten, aber jetzt mußte er die Dame wirklich kennenlernen.

„Hallo, Charles," sagte Richard, als er zu der kleinen Gruppe trat. Charles Bingley drehte sich um und lächelte überrascht. „He, Richard! Was führt dich hierher? Seit wann gehst du zu Gartenpartys?"

Richard grinste. „Wenn deine Schwester die Gastgeberin ist." Charles lachte. Das war der so ziemlich letzte Grund, wie er wußte. Richard wandte sich den Damen zu und Charles stellte ihn vor.

„Jane, Elizabeth, das ist Williams Cousin, Richard Fitzwilliam. Richard, das ist Jane Bennet und Williams Nachbarin Elizabeth, Janes Schwester."

„Sehr erfreut," murmelte Richard und wandte sein besonderes Interesse sofort Elizabeth zu. Aus den Augenwinkeln hatte er William sich ein Stück nähern sehen. Aha, dachte er belustigt, du hast Angst um deine Beute, alter Knabe! Was würde Caroline dazu sagen? Vermutlich würde sie es noch nicht einmal interessieren.

William wußte, daß sein Cousin sehr charmant sein konnte, wenn er wollte. Er konnte Elizabeth selbstverständlich nicht vorschreiben, mit wem sie sich einließ, sie war schließlich ungebunden und er hatte keinerlei Ansprüche an sie. Trotzdem hoffte er, daß sie genügend gesunden Menschenverstand hatte, um auf Richard hereinzufallen. Er war nicht gerade für lang andauernde Beziehungen bekannt.

Elizabeth musterte Richard neugierig. Mrs. Reynolds hatte sie vor ihm gewarnt, aber so gefährlich sah er gar nicht aus, fand sie. Er war groß, hatte dunkelblonde Haare und dunkelblaue, ziemlich intensive Augen. Stechende Augen, nicht so warm wie Williams. Nicht annähernd so warm. Sie fragte sich, worin sein „gefährlicher Charme" bestand. Für ihren Geschmack war er viel zu düster und undurchschaubar und sein durchdringender Blick war ihr unangenehm. Na ja, manche Frau mochte drauf stehen.

Sie zog nachdrücklich ihre Hand zurück, die er immer noch festhielt. Richard lächelte entschuldigend. „Pardon. Ich wollte nicht aufdringlich sein." Elizabeth schwieg.

„Sind sie auch im Modegeschäft tätig, Elizabeth?"

„Nein. Ich bin Informatikerin."

Charles zog Jane mit sich und Elizabeth fand sich alleine mit Richard wieder. „Informatikerin, so. Es hätte mich auch gewundert, wenn sie zu Carolines Zirkel gehören würden."

„Wieso?"

„Weil sie eine der wenigen hier sind, die einen normalen Eindruck machen."

Elizabeth mußte lächeln. „Dann halten sie Caroline für unnormal?"

Richard grinste. „Sie erwarten hoffentlich nicht von mir, daß ich etwas negatives gegen die Frau meines Cousins sage!"

Elizabeth zuckte mit den Schultern. „Ich werde es ihr sicher nicht verraten. Mrs. Darcy pflegt im allgemeinen keinen Umgang mit uns Landeiern."

Richard wandte sich um, doch William war nicht mehr zu sehen.

„Ganz im Gegensatz zu Mr. Darcy, nehme ich an." Elizabeth sagte nichts. Richards lauernder Blick mißfiel ihr.

„William macht auch nicht gerade den glücklichsten Eindruck," stellte Richard fest. „Er hat den Parties seiner Frau noch nie viel abgewinnen können." Elizabeth schien ein harter Brocken zu sein. Um so besser. Er liebte Herausforderungen.

„Und was führt sie dann hierher?" fragte Elizabeth unschuldig.

„Ich war neugierig, wie Caroline in der Provinz zurechtkommt. Außerdem hab ich meinen Cousin schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen. Unsere Familie ist nicht besonders groß, wissen sie." Richard suchte seine Umgebung unauffällig nach William ab, aber er war nirgends zu sehen. „Haben sie Hunger? Ich habe da hinten ein sehr ansprechendes Buffet entdeckt."

Elizabeth hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie hatte tatsächlich Hunger, warum nicht mit Richard etwas essen. Mrs. Reynolds hätte sich die Warnung sparen können: Richard Fitzwilliam würde ihr niemals gefährlich werden können. Sie wunderte sich, wo William steckte. Wenn sie ihn noch nicht einmal beobachten konnte, hätte sie auch nach hause gehen können. Sie beschloß, eine Kleinigkeit zu essen und sich dann zu verabschieden. Sie wollte auf keinen Fall den Rest des Abends mit Richard verbringen.

Richard war der vollendete Gentleman. Er füllte Elizabeth galant den Teller nach ihren Wünschen und organisierte ihr etwas zu trinken. Dabei erzählte er amüsante Anekdoten aus seiner Fotografenlaufbahn und brachte damit Elizabeth immer wieder zum Lachen, sehr zu ihrem eigenen Erstaunen. Ok, er war ein angenehmer Gesprächspartner, gestand sie ihm zu.

Richard spürte, wie sie in seiner Gegenwart immer lockerer wurde und war zufrieden mit dem Erfolg seiner Strategie, sie zum Lachen zu bringen. Mittlerweile war auch William wieder aufgetaucht, sehr darum bemüht, nicht andauernd mißbilligend in ihre Richtung zu schauen.

„Ich möchte sie gerne fotografieren," sagte Richard, als sie mit dem Essen fertig waren. Elizabeth lachte. „Ich kenne ihren Ruf, Sir. Danke, aber nein danke."

„Meinen Ruf?" Richard tat erstaunt.

„Haben sie außer Nacktfotos schon mal irgendetwas anderes gemacht?"

„Nein," sagte er ehrlich.

„Na also. Und daran habe ich kein Interesse."

„Sie haben ein unglaubliches Potential, Elizabeth. Und das meine ich ganz ernst."

Elizabeth rollte die Augen. „Ich bin viel zu klein und nicht…nun ja…für ein Model müßte ich eine Figur wie Caroline haben, knochig und flachbrüstig."

„Sie sind genau richtig proportioniert für das, was ich mir vorstelle." Er wollte sie neugierig machen, aber biß auf Granit. Nicht mit Elizabeth Bennet.

„Hören sie auf, Richard. Meine Antwort ist nein."

„Wollten sie nicht schon immer mal in die Karibik?"

Ja, das wollte sie schon gerne. Sie hatte schon seit ewigen Zeiten keinen Urlaub mehr gemacht, aber die Karibik oder auch nur ein anderes, weiter entferntes Ziel war vollkommen utopisch. Und würde es bis auf weiteres sein. Elizabeth lachte. „Soll das ein Köder sein?"

„Ich stelle sie mir unter Palmen vor, im türkisfarbenen Wasser an einem weißen Sandstrand, vielleicht ein tropischer Wasserfall..."

„Verlockend, Richard, sehr verlockend."

„Und nicht nur, daß es sie keinen Pfennig kostet, sie bekommen natürlich ein mehr als angemessenes Honorar. Mit dem Geld, das sie mit meinen Bildern verdienen, haben sie es nicht mehr nötig, einem sklaventreibenden Arbeitgeber den Hintern zu küssen."

„Ich bin selbständig, Richard, und kann mir meine Aufträge mittlerweile aussuchen. Und ein Model-Leben ist kurzlebig. Ich bin 29 Jahre alt und wäre in diesen Kreisen somit bereits eine ältere Dame. Und wie gesagt, so verlockend sich das anhört, ich lasse mich nicht nackt fotografieren."

Ok, das stimmte nicht so ganz. Sie war schon sehr froh über jeden Auftrag, den sie an Land ziehen konnte, aber das mußte Richard ja schließlich nicht wissen.

Richard schüttelte ungläubig den Kopf. Sie war tatsächlich kompliziert. Normalerweise genügte es, mit dem Finger zu schnipsen und er konnte sich die Frauen aussuchen, die willig waren, mit ihm zu arbeiten. Noch nie hatte eine abgelehnt. „Elizabeth, sie sind grausam. Hören sie, wir machen ein Probeshooting in Badeklamotten, was halten sie davon?"

Langsam fand sie ihn anstrengend. „Lassen sie es einfach gut sein, Richard, ok?"

Nun ja, sie lief ja nicht weg. Wenn er sie jetzt zu sehr bedrängte, hätte er im Endeffekt auch nichts davon. Also gab er fürs erste nach. „Na schön, sie kleines, störrisches Wesen. Ich gebe ihnen meine Karte und sie schlafen einfach nochmal eine Nacht drüber. Rufen sie mich in den nächsten Tagen einfach an, oder schicken sie mir eine Email. Ja oder nein genügt."

„Sie sind eine Nervensäge," brummte sie, nahm die Karte, ohne draufzuschauen und steckte sie aus Mangel an anderem Stauraum in den Bund ihres Rockes. Richard lachte, nicht im geringsten entmutigt und ging davon.

Elizabeth schaute sich um. William war im Gespräch mit Mr. Hobson, einem älteren Herrn aus der Nachbarschaft vertieft, von Jane und Charles war nichts zu sehen. Ihr Blick wanderte am Haus entlang und plötzlich entdeckte sie Mrs. Reynolds, die oben am Fenster stand und auf die Party hinabschaute. Sie hatte sich freiwillig dazu bereiterklärt, auf die Kinder aufzupassen und winkte, als sie Elizabeths Blick auffing. Dann deutete sie auf sich und auf Elizabeth um ihr zu bedeuten, zu ihr nach oben zu kommen, wenn sie Lust hatte. Elizabeth hatte, und so machte sie sich unbeachtet auf den Weg ins Kinderzimmer der Darcys.

Elizabeth war vorher noch nie im Haus selbst gewesen. William hatte ihr damals erzählt, daß Caroline es fast komplett übernommen hatte, das Haus einzurichten. Elizabeth zweifelte nicht im geringsten an seinen Worten. Es war definitiv ein Caroline-Haus. Hypermodern, glänzend, kühl. Genau wie Caroline selbst. Alles wirkte klar und steril, vollkommen ungemütlich und nicht im geringsten wie ein Heim. Ob das auch Williams Geschmack war? Sie konnte es sich nicht vorstellen.

Mrs. Reynolds stand oben an der Treppe und rief nach ihr. „Kommen sie ruhig hoch, Miss Elizabeth."

Sie betrat das kleine Zimmer und fand Tim und Maggie auf je einem Bett sitzend vor. Mrs. Reynolds hatte ein dickes Buch in der Hand.

„Sie können nicht einschlafen, die beiden," sagte sie und lud Elizabeth ein, auf dem zweiten Sessel platz zu nehmen. „Kein Wunder, bei dem Lärm."

Maggie hatte ihre Arme bittend nach Elizabeth ausgestreckt und wollte hochgenommen werden. „Darf ich sie nehmen?" fragte sie die Haushälterin und Mrs. Reynolds nickte zustimmend.

„Na komm her, Süße," sagte Elizabeth leise und nahm das Kind hoch. „Bist du müde und kannst nicht schlafen bei dem Krach? Sollen wir euch eine Geschichte vorlesen? Tim?"

Maggie hatte ihre Arme um Elizabeths Hals gelegt und ihren Kopf an ihre Schulter gelegt. Tim gähnte. „Ja, aber was spannendes und nix mit blöden Prinzessinnen!" brummte er und ließ sich von Mrs. Reynolds widerwillig zudecken. Elizabeth kicherte leise und ließ sich mit ihrer kleinen Last in einem der Sessel nieder. Sie drückte das Kind sanft an sich, während Mrs. Reynolds das Buch durchblätterte und eine spannende Geschichte fand, in der keine „blöden Prinzessinnen" vorkamen.

Mrs. Reynolds war eine gute Erzählerin und nicht nur die Kinder, auch Elizabeth lauschte ihr fasziniert. Als sie zu Ende gelesen hatte, waren sowohl Tim als auch Maggie, die immer noch in Elizabeths Armen lag, eingeschlafen.

„Diese Geschichte habe ich schon Master William vorgelesen, als er noch ein kleiner Junge war," sagte die Haushälterin leise.

„Aber ich bin nie dabei eingeschlafen," sagte eine tiefe Stimme und die beiden Frauen zuckten zusammen.

William stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, an den Türrahmen gelehnt und lächelte. Ihm gefiel das Bild, das er sah: Elizabeth mit seiner kleinen Tochter in den Armen. Hatte Caroline ihren Kindern jemals etwas vorgelesen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Mrs. Reynolds schüttelte mit gespielter Strenge den Kopf. „Wie können sie uns nur so erschrecken, Sir!" Elizabeths Herz hingegen machte einen Satz, als sie ihn da so stehen sah.

William trat näher und nahm Elizabeth vorsichtig das Mädchen ab. Für einen Moment preßte er die Kleine sie an sich und küßte sie zärtlich auf die Stirn. Als sie unruhig wurde und im Schlaf vor sich hinzumurmeln begann, legte er sie in ihr Bettchen und deckte sie behutsam zu. Noch ein Kuß, dann schaute er nach Tim, schob ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, küßte ihn ebenfalls, schaute ihn noch einen Augenblick nachdenklich an und folgte den beiden Frauen nach draußen. Leise schloß er die Tür.

Mrs. Reynolds und Elizabeth waren bereits in das angrenzende Zimmer gegangen. Elizabeth sah sich um. „Das ist so ganz anders eingerichtet als der Rest des Hauses. Viel gemütlicher."

Die Haushälterin lächelte. „Das ist meine eigene kleine Wohnung. Master William hat mir geholfen, sie einzurichten. Das ist auch nicht das „offizielle" Kinderzimmer von Maggie und Tim. Sie haben unten jeweils eigene Zimmer. Aber heute dürfen sie hier oben schlafen."

„Und sie schlafen ziemlich oft hier oben bei ihnen, Mrs. Reynolds," sagte William, der ebenfalls hereingekommen war, mit gespielter Strenge. Mrs. Reynolds schaute ihn verlegen an. „Ich weiß, Sir. Aber…" „Ich weiß, Mrs. Reynolds," seufzte William und rieb sich müde die Augen. „Sie mögen ihre Zimmer nicht besonders. Ich hätte Caroline nicht die endgültige Entscheidung mit der Einrichtung überlassen sollen, ich weiß. Hier oben ist es allerdings in der Tat sehr viel gemütlicher."

„Also haben sie nichts dagegen, wenn sie ab und zu hier übernachten?"

„Natürlich nicht. Solange sie sie nicht stören."

Mrs. Reynolds schaute ihren Arbeitgeber besorgt an. Er sah so müde aus. „Wie wäre es denn mit einem Kaffee?" fragte sie ihre beiden Gäste. Als sie in zwei parallel aufleuchtende Augenpaare blickte, mußte sie lachen. „Ok, einen Moment. Bin sofort wieder da."

Elizabeth und William schauten sich schweigend an, als sie alleine in Mrs. Reynolds Wohnzimmer zurückblieben. „Die Party scheint ein großer Erfolg für Caroline zu sein," sagte Elizabeth schließlich. William seufzte. „Amüsierst du dich gut?"

Elizabeth grinste. „Das Publikum ist ziemlich…nun ja….ungewöhnlich. Ich glaube, sämtliche Nachbarn haben sich mittlerweile verabschiedet. Das ist nicht ganz das, was wir Landeier hier draußen in der Provinz gewohnt sind."

„Ich weiß, es tut mir auch leid. Ich hatte etwas ganz anderes im Sinn gehabt, als ich den Vorschlag mit der Einweihungsfeier gemacht habe. Ich wollte nur die Nachbarn und ein paar enge Freunde einladen und nicht dieses ganze Pack aus London." Er machte eine Pause. „Aber ich bin sehr froh, daß du gekommen bist," fügte er leise hinzu und seine dunklen Augen wurden weich.

Elizabeth lächelte. Es war schön, ihn ein paar Minuten für sich selbst zu haben. „Dein Cousin will mich mit indie Karibik nehmen und Bilder von mir machen."

Williams Blick verfinsterte sich zusehens.

„Keine Angst, ich habe abgelehnt. Ich glaube nicht, daß ich Modelqualitäten habe und außerdem bin ich zu alt und nicht flachbrüstig und knochig genug."

William schüttelte den Kopf und grinste. „Darüber bin ich sehr froh, Elizabeth. Allerdings würde ich dich keineswegs als zu alt bezeichnen." Er stellte fest, daß er noch nicht einmal wußte, wie alt Elizabeth überhaupt war.

„Danke, das ist mir ein Trost." Sie lächelten sich an und wünschten beide, das Haus, die Party verlassen zu können und einfach zu verschwinden. Irgendwohin. Elizabeth überlegte für einen Moment, ob sie ihn zu sich einladen konnte, entschied sich aber dagegen. Es wäre zu riskant. Außerdem war er immer noch verheiratet und sie durfte nicht den Anfang machen. Und William verbot sich umgehend, überhaupt einen Gedanken an so etwas zu verschwenden. Er war noch immer auf seinem Ehe-Rettungs-Trip. Zumindest redete er sich das ein, wenn auch immer widerwilliger.

Mrs. Reynolds kam zurück mit zwei Tassen dampfend heißem Kaffee. Sie mußte innerlich schmunzeln, als sie die beiden anschaute, die geradezu andächtig das Aroma einsogen und mit geschlossenen Augen den ersten Schluck nahmen. Unter einem Vorwand entschuldigte sie sich und ließ das Paar alleine.

Sie sprachen nicht viel miteinander, genossen einfach die Gegenwart des anderen und tranken ihren Kaffee. Beide hatten Angst, etwas falsches zu sagen, so hielten sie ihre ohnehin knappe Konversation so allgemein wie möglich. Sie spotteten ein bißchen über die seltsamen Gäste und sprachen über Tim und Maggie.

William erhob sich schließlich zögernd. „Ich glaube, ich muß mich wieder einmal unten blicken lassen," sagte er bedauernd. „Auch wenn ich nicht wirklich glaube, daß mich jemand vermißt." Elizabeth stand ebenfalls auf. Sie trat ans Fenster und schaute hinunter, wo praktisch nur noch Carolines Clique zugange war. „Ich denke, ich verabschiede mich auch. Alle Nachbarn scheinen mittlerweile verschwunden zu sein, so wie es aussieht und meine Schwester habe ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen."

William lächelte und trat zu ihr. Ihre Nähe machte ihn fast atemlos. Gerne hätte er die Gelegenheit genutzt und sie in die Arme genommen, aber er fürchtete, er würde sich nicht beherrschen können. Das letzte, was er wollte, war, hier in Mrs. Reynolds Wohnzimmer in intimem Geplänkel mit seiner Nachbarin erwischt zu werden.

„Mach dir keine Sorgen um Jane. Charles ist kein wüster Schurke."

„Nein, das glaube ich auch nicht." Sie lächelte William fast schüchtern an. „Gute Nacht, William."

„Gute Nacht, Liz."

Liz. Sie mochte es, wenn er sie so nannte.