14. Kapitel

„Sie hat was?"

„Sie...sie hat gesagt, sie nimmt die Kinder mit. Sie will nicht mehr zurückkommen und die Kinder bleiben bei ihr."

William starrte seine Haushälterin fassungslos an. „Hat sie denn gesagt, wo sie hingeht?"

Mrs. Reynolds schüttelte den Kopf.

„Wieso haben sie mich denn nicht angerufen?"

„Weil ihr Mobiltelefon auf der Kommode im Flur liegt. Ich wußte nicht, wo sie sind, Sir."

Verdammt. William fuhr sich wütend durch die Haare und überlegte. Ruhig bleiben, sagte er sich. Nicht die Nerven verlieren. Caroline benutzt die Kinder als Pfand, keine Frage. Sie wußte genau, daß sie ihn damit am meisten treffen konnte und er praktisch alles tun würde, um Tim und Maggie nicht zu verlieren. Fakt war: Caroline war die Mutter und hätte immer alle Vorteile, wenn es um das Sorgerecht ging. Nüchtern betrachtet konnte er ihr ihr „Doppelleben" wahrscheinlich noch nicht einmal nachweisen. Elizabeth und er hatten ein Gespräch belauscht und ein paar Peitschen gesehen, aber das war auch schon alles. Das hieß noch lange nicht, daß sie zugeben mußte, diesen Praktiken nachzugehen und noch weniger, daß sie eine schlechte Mutter war. Elizabeth wollte er auf keinen Fall in die Sache hineinziehen. Allerdings...wenn es hart auf hart kam und es um das Sorgerecht für die Kinder ging, würde er sie fragen, ob sie aussagen würde. Er hoffte sehr, es würde nicht dazu kommen und er könnte sich friedlich mit Caroline einigen. Sie würde Geld wollen, mehr nicht.

„Machen sie sich keine Sorgen, Mrs. Reynolds. Ich bin überzeugt, sie wird sich melden." Er drückte die Haushälterin tröstend an sich und so standen sie für einen Moment. „Ich reiche die Scheidung ein, Mrs. Reynolds. Nur, damit sie Bescheid wissen. Wahrscheinlich sind sie noch nicht einmal überrascht, was?" Er lachte bitter. „Und sie können mir glauben, ich werde nicht zulassen, daß sie das alleinige Sorgerecht für Tim und Maggie bekommt."

„Ach, Master William, es tut mir so leid. Ich hoffe, es kommt alles wieder ins Reine."

William nickte schweigend und drückte ihre Hand, dann ging er in sein Arbeitszimmer.

Am nächsten Tag nahm er Kontakt mit Charlotte Lucas, der Spezialistin für Scheidungen, auf. Andrew Philips hatte bereits mit ihr gesprochen und sie würde seinen Fall übernehmen. William war überrascht, Charlotte hatte eine relativ junge, aber sehr sympathische Stimme und sie schien gerne zu lachen. Sie wollte noch am gleichen Abend bei ihm vorbeikommen. William wunderte sich darüber.

„Sollte ich nicht lieber in ihre Kanzlei kommen?" fragte er.

„Könnten sie theoretisch auch. Aber da es auch um das Sorgerecht für die Kinder geht, möchte ich mir gerne die Umgebung anschauen, in denen sie aufwachsen. Wenn es ihnen recht ist, natürlich."

„Selbstverständlich."

Als er auflegte, hatte er ein gutes Gefühl. Diese Frau schien etwas von ihrem Job zu verstehen.

Charlotte Lucas parkte ihren BMW punkt halb sechs vor Elizabeths Haus, da alle anderen Parkplätze in der näheren Umgebung besetzt waren. Elizabeth pflückte gerade Äpfel von dem knorrigen, alten Apfelbaum, der in ihrem Vorgarten stand und blickte automatisch auf, als die junge Frau aus ihrem Auto stieg und sich suchend nach Williams Hausnummer umschaute. Elizabeth runzelte die Stirn.

„Charlotte? Charlotte Lucas?" fragte sie verblüfft, als die Frau näherkam.

„Lizzy Bennet? Nö, oder? Das gibt's ja nicht."

Die beiden Frauen starrten sich an, begannen zu kichern und umarmten sich schließlich herzlich.

„Mensch, Char, was zum Teufel führt dich hierher?" fragte Elizabeth, als sie sich wieder eingekriegt hatten. „Wir haben uns bestimmt fast zehn Jahre nicht gesehen."

„Ich habe einen Termin mit einem Mandanten, William Darcy. Der muß hier irgendwo wohnen."

„William? Ja, der wohnt gleich hier im Nachbarhaus. Mandant? Was machst du beruflich?"

„Ich bin Anwältin." Sie schauten beide zum Haus nebenan, als dort die Tür aufging und William herauskam.

„Ist er das?" flüsterte Charlotte und ließ ihre Blicke bewundernd über seinen Körper gleiten.

„Ja," flüsterte Elizabeth zurück und gönnte sich ebenfalls einen ausgiebigen Blick. William zögerte, dann kam er an den Zaun.

„Hallo, Liz," sagte er und sein Lächeln fuhr ihr wieder tief in den Magen.

„Hi, William." Sie starrten sich einen Augenblick lang versonnen an und Charlotte räusperte sich schließlich amüsiert. Aha. Ihr Mandant und ihre alte Freundin – wie paßte das denn zusammen? War Elizabeth etwa der Grund für seine Scheidung? Das konnte ein insgesamt recht interessanter Fall werden!

William und Elizabeth schraken zusammen und grinsten verlegen. „Ehm...Charlotte, das ist William Darcy und William, Charlotte Lucas, meine alte Freundin aus Kindertagen."

„Guten Tag, Mr. Darcy," sagte Charlotte herzlich und begrüßte ihren Mandanten mit einem festen Händedruck. „Was für ein Zufall, daß ich Lizzy bei dieser Gelegenheit gleich wiedertreffe!"

Sie wandte sich zu ihr um. „Wir dürfen uns nicht aus den Augen verlieren, hörst du? Ich gebe dir meine Karte und wir treffen uns mal, ok?" Sie schrieb sich gleich noch Elizabeths Telefonnummer auf und grinste. „So, jetzt darf ich Mr. Darcy aber nicht länger warten lassen! Wir haben einiges zu besprechen. Bis bald, Lizzy!"

Elizabeth winkte ihrer Freundin nach, fing ein weiteres Lächeln von William auf, das sie aufrichtig erwiderte und ging langsam und nachdenklich mit ihren Äpfeln ins Haus zurück. Charlotte war Anwältin und William ihr Mandant – hatte William etwa die Scheidung eingereicht? Es würde sie nicht wundern, nach allem, was sie vor zwei Tagen gehört und gesehen hatten!

Charlotte war ein offener, fröhlicher Mensch mit viel Sinn für Humor, und William verstand sich auch gleich sehr gut mit ihr. Und daß sie eine Freundin Elizabeths war, war für William ein Grund mehr, ihr zu vertrauen. Sie war tatsächlich noch recht jung, wahrscheinlich in Elizabeths Alter, das er auf Ende 20 schätzte. Aber sein Firmenanwalt war voll des Lobes über die junge Anwältin und seinem Urteil konnte er trauen.

Sie plauderten zunächst ein paar Minuten über belanglose Dinge, bis Charlotte dann das Gespräch ganz geschickt auf Williams Problem lenkte. Und sofort zeigte sich ihre Professionalität. William hatte gar nicht gemerkt, daß sie ihn geschickt ausgehorcht und sich somit einen ersten Eindruck von ihm verschafft hatte. Was sie sah (und von ihm hörte) gefiel ihr.

Sie ließ sich von William die Geschehnisse aus seiner Sicht erläutern, hörte aufmerksam zu, machte sich einige Notizen, stellte die richtigen Fragen. Während sie ihm zuhörte, formte sich in ihrem Kopf bereits ein vager Plan, eine Strategie. Über zwei Stunden besprachen sie, wie sie am besten vorgehen würden. Caroline hatte sich noch nicht gemeldet, aber von dem, was William ihr erzählt hatte, tendierte sie dazu, seine Meinung zu teilen, daß ihr mehr an Sachwerten und Geld gelegen war als an den Kindern. Es machte sie traurig, ihn so niedergeschlagen zu sehen, als er von seinen beiden Kleinen sprach und sie dachte kurz daran, ob Elizabeth ihn wohl trösten würde, wenn diese ganze Schlacht vorbei war. Über das Verhältnis der beiden war sie sich nicht im klaren. William hatte ihr erzählt, daß Elizabeth die Szene mitbekommen hatte, aber er hatte ihr verschwiegen, daß er sich mehr als nur ein bißchen zu ihr hingezogen fühlte. Er wollte sie in jedem Fall aus der ganzen Sache heraushalten.

„Ok, William, ich habe einen ersten Überblick gewonnen und wir reichen die Scheidung umgehend ein. Ende der Woche treffen wir uns wieder. Ich denke, ihre Frau oder deren Anwalt wird sich bald mit ihnen in Verbindung setzen. Hoffen wir das beste, daß sie sich auf eine friedliche Lösung einläßt, vor allem für Tim und Maggie wäre das natürlich am besten."

William wußte genau wie Charlotte, daß eine friedliche Lösung äußerst unwahrscheinlich war. Caroline würde einem Prozeß nicht aus dem Weg gehen, im Gegenteil, sie würde das ganze Aufsehen um ihre Person genießen und versuchen, ihn als den Schurken hinzustellen.

William dankte Charlotte, brachte sie zur Tür und ging dann nach draußen auf die Terrasse, um in Ruhe weiterzugrübeln.

Seine Ruhe währte etwa zehn Minuten, dann kam Elizabeth in ihren Garten, um die Blumen zu gießen. Sie wußte nicht, daß William draußen saß und fuhr erschrocken zusammen, als er leise ihren Namen rief.

„Oh, William! Ich habe dich gar nicht gesehen."

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken," sagte er und trat an den Zaun, der ihre Grundstücke trennte. Sie sahen sich einen Moment schweigend an, bis William das Wort ergriff.

„Möchtest du einen Moment rüberkommen? Vielleicht auf ein Glas Wein?"

Elizabeth zögerte. Aber er sah irgendwie so einsam und verloren aus, daß sie schließlich zustimmte. Kurzerhand kletterte sie über die flache Hecke, was William schmunzeln ließ.

„Nimm platz, ich hole noch ein Glas."

„Ich wußte noch nicht einmal, daß Charlotte Anwältin geworden ist," sagte Elizabeth und nahm dankend ihr Glas entgegen. „Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen."

„Sie übernimmt meinen Fall," antwortete William und starrte in die Ferne. „Ich lasse mich von Caroline scheiden." Er wandte ihr den Blick zu. „Keine große Überraschung, nicht wahr?"

Elizabeth zuckte mit den Achseln. „Ich möchte mir darüber kein Urteil erlauben."

William seufzte. „Weißt du, ich glaube, ich habe meine Frau in all den Jahren überhaupt kein bißchen richtig kennengelernt. Ich war immer der Meinung, wir führen eine glückliche Ehe. Dann stellt sich heraus, daß ihr sogar ihre eigenen Kinder gleichgültig sind. Über die andere Sache brauche ich wohl erst gar nicht zu sprechen."

„William, falls du in einem möglichen Prozeß meine Aussage brauchst, ich habe damit kein Problem. Ich helfe dir gerne, wenn ich kann."

William schaute sie mit großen Augen an. „Wirklich? Das ist sehr großzügig von dir. Aber Elizabeth, ich möchte dich nicht in diesen Krieg mit hineinziehen."

„Unsinn. Wenn ich behilflich sein kann, laß es mich wissen."

William drückte dankbar ihre Hand. „Vielen Dank. Ich weiß es zu schätzen."

Sie saßen eine Weile in einträchtigem Schweigen beisammen.

„Ich glaube, Charlotte ist eine sehr gute Anwältin," meinte William schließlich. „Wieso habt ihr euch aus den Augen verloren?"

„Ich habe Informatik in London studiert und Charlotte ist nach Newcastle gegangen. Wahrscheinlich ist es normal, daß man sich da früher oder später aus den Augen verliert. Man lernt andere Leute kennen, hat andere Interessen. Ich wußte noch nicht einmal, daß sie Anwältin geworden ist."

„Sie wurde mir von meinem Firmenanwalt empfohlen. Offenbar hat sie einen guten Ruf in Scheidungsfragen. Es ist sicher meist ein schmutziges Geschäft, kann ich mir vorstellen." Er seufzte. „Ich darf gar nicht dran denken, wenn es Caroline einfällt, an die Öffentlichkeit zu gehen."

„Sie kann sich doch nur ins eigene Fleisch schneiden. Schließlich könnte herauskommen, was für ein Doppelleben sie geführt hat."

„Caroline war noch niemals logisch. Ich kann nur hoffen, daß ihr Anwalt vernünftig genug ist, sie davon abzubringen und auf eine friedliche Einigung zu drängen. Alles, was ich will, ist das alleinige Sorgerecht für die Kinder."

Aber auch Elizabeth glaubte nicht, daß es so einfach sein würde. Caroline war schließlich die Mutter und bisher war ihr nichts nachzuweisen. Solange die Kinder nicht irgendwie gefährdet wurden, gab es keinen Grund, ihr das Sorgerecht zu verweigern. Außerdem war es ja auch so, daß William überhaupt keine Zeit hatte, sich tagsüber selbst um die Kinder zu kümmern. Er sah sie allerhöchstens abends kurz vorm Schlafengehen, aber sonst nur am Wochenende. Auch wenn er in diesem enggesteckten Zeitrahmen ein vorbildlicher und liebevoller Vater war, würde wahrscheinlich jeder vernünftige Richter die Kinder eher der Mutter zusprechen als einem berufstätigen Vater mit einer Haushälterin. William würde einfach abwarten müssen.

Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis der Wein leer war, dann verabschiedete sich Elizabeth und hüpfte wieder über die Hecke. Es war ein freundschaftlicher Abend gewesen, ganz ohne Anspannung oder Druck. Beide hofften, daß sich – wenn der Scheidungskrieg erst einmal überstanden sein würde – sich vielleicht mehr zwischen ihnen entwickeln würde. Aber momentan waren sie einfach nur Nachbarn und Freunde. Ohne Hintergedanken.

William hörte in den nächsten Tagen nichts von Caroline. Er wußte nicht, wo sie steckte. Mehrfach hatte er in ihrer gemeinsamen Stadtwohnung in London angerufen, aber dort meldete sich nur die neue Haushälterin, die Caroline eingestellt hatte und die teilte ihm jedesmal mit, daß Mrs. Darcy nicht hier war und auch schon lange nicht mehr hiergewesen wäre. Sie sagte das jedoch in einem solch seltsamen Ton, daß William ihr nicht glaubte und drauf und dran war, sich selbst davon zu überzeugen.

Charlotte hatte die Benachrichtigung an Caroline, daß William die Scheidung eingereicht hatte, jedoch auf Verdacht an eben diese Londoner Adresse geschickt und eine Woche, nachdem Caroline ausgezogen war und den Brief erhalten hatte, reagierte sie.

Charlotte erhielt kurz darauf einen Brief von Carolines Anwalt. Sie stöhnte, als sie den Namen las und schüttelte fassungslos den Kopf über die überzogenen Ansprüche dieser Frau. Caroline stellte astronomische Forderungen, die William ganz sicher in den finanziellen Ruin getrieben hätten – unter anderem wollte sie die Mehrheit der Anteile an Darcy Consulting haben, eine lebenslange „Apanage" in fünfstelliger Höhe monatlich, mehrere Immobilien und das alleinige Sorgerecht für die Kinder. Sie bezeichnete diese Forderungen als „Wiedergutmachung" für eine Ehe mit einem tyrannischen Mann, der sie jahrelang seelisch aufs grausamste mißhandelt hatte.

Charlotte hatte schon viel in ihrer beruflichen Karriere erlebt, aber bei dieser Antwort war sie wirklich sprachlos. Vor allem die „seelische Grausamkeit" ließ sie verwundert den Kopf schütteln. Sie hatte selten einen Unternehmer, einen Geschäftsmann erlebt, der im privaten Leben so umgänglich und freundlich war, der sogar die Fehler, die zum Scheitern seiner Ehe geführt hatten, zuerst bei sich selbst suchte. Sie traute sich genügend Menschenkenntnis zu, um in William Darcy einen hingebungsvollen Familienvater zu erkennen, der zwar – ganz Geschäftsmann – den Scheidungsprozeß jetzt konsequent durchzog, aber im Innern sehr darunter litt. Der vor allem seine Kinder unendlich vermißte. Charlotte nahm sich vor, ihrer alte Freundin Elizabeth einmal auf den Zahn zu fühlen. Sie mußte sichergehen, dass an Carolines Vorwürfen nichts dran war. Vielleicht konnte Elizabeth ihr weiterhelfen. Aber zunächst würde sie William über die Forderungen seiner Frau informieren müssen.

William war genauso fassungslos wie Charlotte, als sie ihm den Brief zeigte. Vor allem kam er nicht darüber hinweg, daß sie ihn tyrannisch und seelisch grausam nannte. Ein gutes hatte dieser Brief jedoch: hatte William vorher noch gehofft, sich friedlich zu einigen und war auch bereit gewesen, in einigem nachzugeben, so war sein Verständnis für seine – hoffentlich bald Ex-Frau – nun endgültig aufgebraucht. Seine Achillesferse war natürlich Tim und Maggie – Caroline wußte nur zu genau, daß er alles tun würde, damit die beiden aus den ganzen Streitigkeiten herausgehalten wurden. Aber Charlotte legte ihm nahe, seiner Frau nicht in allem zu großzügig nachzugeben. Sie würde sich als nächstes mit Carolines Anwalt in Verbindung setzen und danach Bekannte, Freunde und Verwandte der Darcys interviewen. William hatte nichts dagegen. Er machte klar, daß Caroline außer Pemberley seinetwegen alle Immobilien haben konnte und eine monatliche, noch auszuhandelnde Unterhaltszahlung von ihm erhielt, dafür mußte sie auf das Sorgerecht verzichten und würde ein Besuchsrecht erhalten. Charlotte nahm das so auf, bezweifelte aber, daß Caroline sich darauf einlassen würde. Sie hatte schon viel erlebt in ihrem Job und ging davon aus, daß Caroline Darcy nicht eher ruhen würde, bis sie den letzten Shilling aus ihrem Mann herausgepreßt hatte.

Also setzte sich Charlotte mit Carolines Anwalt in Verbindung, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. In dem Moment, in dem sie seine Kanzlei betrat, wußte sie, daß es ein aussichtsloses Unterfangen sein würde. George Wickham hatte einen zweifelhaften Bekanntheitsgrad erlangt indem er einige, teilweise recht namhafte Firmen, erfolgreich auf hohe Schadenersatzforderungen verklagt hatte. Sein Lieblingsgebiet waren jedoch unappetitliche Scheidungsfälle, bei denen die Gegenseite immer in der Öffentlichkeit ins schlechte Licht gerückt wurde und er war sich auch nicht zu schade, die schmutzigste Wäsche aus tiefsten Tiefen herauszukramen und vor aller Welt auszubreiten. In Anwaltskreisen hatte er keinen guten Ruf, da die Fälle, die er übernahm, meist äußert schmutzig waren und immer für viel Wirbel in der Öffentlichkeit sorgten. Charlotte war nicht besonders überrascht, daß Caroline gerade ihn ausgewählt hatte, die zwei passten hervorragend zueinander. Sie ahnte, was auf ihren Mandanten zukam und dachte mit Schrecken daran. Aber sie würden zurückschlagen.

Eine wasserstoffblonde, auftoupierte Empfangsdame führte Charlotte nach einiger Wartezeit schließlich ins Allerheiligste. Charlotte mußte innerlich grinsen. Allein diese Dame bediente alle Klischees, die sie mit diesem Anwalt in Verbindung brachte – inklusive einer stattlichen Oberweite. George Wickham begrüßte Charlotte mit seinem Raubtierlächeln und bot ihr übertrieben herzlich einen Stuhl an.

„Ms. Lucas, was verschafft mir die Ehre? Ich darf vermuten, daß sie gekommen sind, um eine – wie sagt man, außergerichtliche Einigung vorzuschlagen?" Er ließ sich in seinen protzigen Ledersessel fallen, legte die Füße auf den Schreibtisch, zündete sich ein Zigarillo an und blies den Rauch ungeniert in Charlottes Richtung. Sein Grinsen ließ keinen Augenblick nach.

Charlotte holte vollkommen unbeeindruckt eine Akte aus ihrem Koffer.

„Mein Mandant bietet an, daß Mrs. Darcy alle Immobilien außer dem Familiensitz Pemberley bekommt, dazu eine monatliche Unterhaltszahlung, deren Höhe noch auszuhandeln ist und in dem Moment erst gestoppt wird, in dem Mrs. Darcy eine neue Ehe eingeht. Dafür verzichtet sie auf sämtliche weiteren Ansprüche und überläßt das alleinige Sorgerecht für die Kinder Timothy und Margaret dem Vater, Mr. William Darcy. Ein regelmäßiges Besuchsrecht wird ihr eingeräumt."

Wickham lachte sie praktisch aus. „Meine liebe Ms. Lucas," sagte er in gönnerhaftem Ton. „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß meine Mandantin auf ihre armseligen, völlig unzureichenden Vorschläge eingeht." Er nahm die Füße vom Tisch, beugte sich nach vorne und sein Grinsen verschwand. Mit stechenden Augen starrte er Charlotte an. „Wir haben unsere Forderungen bereits deutlich gemacht. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings..." er lehnte sich zurück und grinste wieder sein unsympathisches Lächeln, „kommt noch eine Kleinigkeit dazu. Mrs. Darcy befindet sich nach einem Nervenzusammenbruch in psychiatrischer Behandlung. Wir werden ihren Mandanten auf Entschädigung wegen seelischer Grausamkeit während der Ehe verklagen und dafür sorgen, daß ihm niemals das Sorge- geschweige denn ein Besuchsrecht für die Kinder eingeräumt wird. Und wenn, dann nur unter Beobachtung und stundenweise."

Charlotte mußte sich schwer zusammenreißen, nicht irgendeinen stumpfen Gegenstand in Wickhams grinsendes Gesicht zu schleudern. Sie durfte sich nicht provozieren lassen. Sie wußte, Carolines Forderungen waren lächerlich und damit würde sie niemals durchkommen. Es ging ihr lediglich darum, daß der Fall in der Öffentlichkeit breitgetreten wurde und sie aus William soviel herauspressen konnte wie nur möglich. Und ihn da treffen konnte, wo es ihm am meisten wehtat – inden sie ihn von seinen Kindern trennte.

Charlotte erhob sich. „Nun gut. Sie haben es nicht anders gewollt, sie können es haben. Aber glauben sie mir, Mr. Wickham, sie werden es bitter bereuen, diesen Fall angenommen zu haben."

„Wollen sie mir etwa drohen, werte Kollegin?"

„Nein. Sie werden es selbst noch herausfinden."

„Ich bibbere schon jetzt vor Angst."

Wickhams Gelächter dröhnte noch in ihren Ohren, als sie die Kanzlei schon längst verlassen hatte. Was für ein arroganter Idiot! dachte sie amüsiert.