15. Kapitel

Charlotte plante sorgfältig ihre Strategie. Da der Fall nun kein reiner Scheidungsfall mehr war sondern William als Angeklagter vor Gericht erscheinen mußte, würden auch Zeugen befragt werden. Sie rief William an und verabredete sich mit ihm in seinem Büro. Sie brauchte eine Liste von zuverlässigen Zeugen. Elizabeth stand an erster Stelle.

„William, es geht um sehr viel, das muß ich ihnen nicht sagen. Es wird aller Voraussicht nach eine schmutzige Sache werden und was ganz wichtig ist, sie müssen offen und ehrlich zu mir sein. Sie dürfen mir auch nichts verschweigen."

„Natürlich, Charlotte. Ich weiß, was auf dem Spiel steht und ich vertraue ihnen."

Charlotte lächelte ihn aufmunternd an. „Gut. Sagen sie, William, wie genau würden sie ihr Verhältnis zu Elizabeth bezeichnen?" Sein wehmütiges Lächeln beantwortete ihre Frage fast schon von selbst.

„Elizabeth war von Anfang an eine sehr hilfsbereite Nachbarin. Sie hat mir geholfen, mich im Ort zurechtzufinden, hat mir Lebensmittel ausgeliehen und was man so als guter Nachbar sonst noch alles macht. Je mehr ich sie in den folgenden Wochen gesehen und mit ihr zu tun gehabt hatte, umso mehr fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Anfangs dachte ich, es wäre eine reine körperliche Anziehungskraft, aber das stimmt nicht. Ich würde sagen, ich hätte nichts dagegen, sie näher kennenzulernen, vielleicht sogar eine Beziehung mit ihr einzugehen. Ich glaube, das Gefühl ist gegenseitig. Aber die ganze Zeit über war ich immer noch ein bißchen davon überzeugt, daß ich ja auch noch meine Ehe retten kann." Er seufzte. „Das ist ja jetzt keine Option mehr."

„William, entschuldigen sie die direkte Frage, aber sie wird höchstwahrscheinlich auch vor Gericht gestellt werden: Wie intim ist ihr Verhältnis zu Elizabeth? Oder zu irgendwelchen anderen Frauen?"

„Wenn sie damit meinen, ob wir miteinander schlafen: Nein, tun wir nicht. Weder mit Elizabeth noch mit einer anderen Frau."

Charlotte ging die Liste seiner genannten Namen mit ihm gemeinsam durch. Sie würde mit ihnen allen sprechen müssen. Am meisten gespannt war sie auf Richard Fitzwilliam.

Elizabeth freute sich, als Charlotte sie anrief und war natürlich sofort bereit, ihr, oder besser gesagt William, zu helfen. Charlotte fragte auch sie nach ihrem Verhältnis zu William und sie sagte exakt das gleiche wie er. Charlotte hoffte, die beiden würden nach dem ganzen Horror eine Chance miteinander bekommen. Sie fand, sie paßten ausgezeichnet zueinander.

Einige Wochen vergingen und Charlotte legte akribisch Schritt für Schritt ihre weitere Vorgehensweise fest. Sie war optimistisch genug, aber konnte William nicht so recht überzeugen. Er versuchte sich abzulenken, indem er sich regelrecht in seine Arbeit vergrub und kam abends erst spät heim. Zwei Dinge zerrten gewaltig an ihm: Er wagte es nicht, Elizabeth näherzukommen aus Angst, sie zu tief in die Sache mit hineinzuziehen. Aber er sehnte sich nach ihr und fühlte sich sehr alleine. Dazu kam, daß ihm seine Kinder fehlten. Caroline hatte ihm mitteilen lassen, daß es ihnen gutging und einmal hatte er mit Tim telefoniert, aber er vermißte seine beiden Kleinen sehr.

Elizabeth besuchte öfters Mrs. Reynolds, da sie William überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekam. Sie wollte sich ihm auch nicht aufdrängen, aber sie wußte, daß die Haushälterin mit William sprechen würde.

„Ach, Miss Elizabeth, wäre der Prozeß doch schon vorbei!" seufzte sie eines Tages, als sie Elizabeth nachmittags zum Kaffee eingeladen hatte. „Master William ist am Ende seiner Kraft. Er beklagt sich natürlich mit keiner Silbe, aber ich sehe ihm an, wie er leidet. Warum tut diese Frau ihm das bloß an? Ihm seine eigenen Kinder vorzuenthalten!" Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Und ihn jetzt noch wegen seelischer Grausamkeit anzuklagen! Ausgerechnet ihn, der ihr jahrelang jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat, der einfach alles für sie und seine Familie getan hätte. Warum ist diese Frau nur so gemein? So herzlos und so undankbar?" Mrs. Reynolds hatte Tränen in den Augen und Elizabeth drückte ihr tröstend die Hand. Sie hatte keine Antwort auf diese Frage. Sie konnten alle nur auf Charlotte hoffen.

Es dauerte noch einige Wochen, bis der Prozeß endlich anberaumt wurde. Für britische Verhältnisse war der Termin erstaunlich schnell zustande gekommen. Da es kein reiner Scheidungsfall, sondern William praktisch auch angeklagt war, hatte die Justiz nicht so lange gebraucht wie normal. Caroline und ihr Anwalt hatten dafür gesorgt, daß der Fall ausführlich in der Presse breitgetreten wurde und natürlich sorgte der Prozeß für große Aufmerksamkeit. Caroline stellte sich als mißhandeltes, leidendes Opfer hin und kostete es in vollen Zügen aus, im Rampenlicht zu stehen. Sie spielte die tragische Heldin mit großer Inbrunst. William hingegen war in den Klatschspalten nicht gerade ein bekanntes Gesicht. Er hatte sich immer im Hintergrund gehalten, sein Privatleben blieb stets unter Verschluß, seine öffentlichen und gesellschaftlichen Auftritte waren selten. Als er Caroline geheiratet hatte, füllte ihre Geschichte für kurze Zeit die Boulevardpresse, aber er war für die Schickeria zu langweilig – zwar nicht unattraktiv, reich war er auch, aber mit einem treuen Ehemann und liebevollen Vater war nun mal nicht viel Staat zu machen. Ein Mann ohne Skandale, es gab nichts tödlicheres für die bunten, sensationsgierigen Blätter.

Jetzt allerdings machte die Presse Jagd auf ihn. Caroline hatte ihn als gefühlskalt, seelisch grausam und tyrannisch dargestellt und natürlich wollten alle mehr über diesen fürchterlichen Mann erfahren, der nach außen so nett und freundlich tat. William hatte sich auf Charlottes Rat hin nach Pemberley zurückgezogen, dort war er ungestört und konnte sich in Ruhe auf den Prozeß vorbereiten. Mrs. Reynolds hatte ihn begleitet. Sein einziger Trost in dieser Zeit waren die Telefonate mit Elizabeth. Sie hatte Charlotte gefragt, ob sie ihn anrufen durfte und William hatte nur zu gerne zugestimmt. Sie telefonierten jeden Tag lange miteinander und Elizabeth machte ihm Mut und vor allem, brachte ihn zum Lachen. Wie sehr wünschte er, sie wäre bei ihm.

Dann kam der große Tag. Die Verhandlung würde nicht öffentlich sein, aber eine ganze Herde von Medienvertretern hatte sich vor dem Gerichtsgebäude versammelt und Caroline hielt hof. Sie war dunkel gekleidet mit einem riesigen Hut und einer schwarzen Sonnenbrille und gab mit leiser, brüchiger Stimme Interviews und ließ sich fotografieren. An ihrer Seite klebte George Wickham, der keinen Millimeter von ihr wich und ihr immer wieder beschützend – oder besitzergreifend? – den Arm um die Schultern legte, wie um ihr Beistand zu leisten. Maggie und Tim waren ebenfalls da und kauerten verschreckt hinter ihrer Mutter. Charlotte, die das ganze Treiben von einem Fenster des Gerichtsgebäudes verfolgt hatte, schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn William sah, daß Caroline die Kinder mitgebracht hatte, würde er ausrasten.

William hingegen war mit einer Limousine von Pemberley gekommen. Er hatte dafür gesorgt, daß auch Elizabeth abgeholt wurde, aber sie waren nicht zusammen in einem Wagen gefahren. Wenn alles vorbei war, konnte er sich auf sein Privatleben konzentrieren. Und das würde Elizabeth Bennet hoffentlich beinhalten. Er wollte sich nicht von einer gescheiterten Ehe direkt in eine neue Beziehung stürzen, aber er hoffte, sie könnten sich langsam etwas aufbauen. William war durch einen Seiteneingang ins Gerichtsgebäude geführt worden und konnte unbehelligt von der Presse, die heute im gesamten Gebäude keinen Zutritt hatte, den Verhandlungssaal betreten. Charlotte begrüßte ihn und beide begrüßten Elizabeth, die kurze Zeit später erschien.

„Danke, daß du hier bist," sagte William leise und drückte liebevoll ihre Hand. Gerne hätte er sie geküßt, aber das wagte er nicht.

„Natürlich," antwortete sie und lächelte ihn an. „Ich hoffe, ich kann dazu beitragen, daß alles so läuft, wie du es dir vorstellst."

William seufzte. „Charlotte ist sehr optimistisch. Sie sagt, die Show, die Caroline da unten abzieht, schadet ihr im Endeffekt nur selbst. Die Richter lassen sich weder blenden, noch für dumm verkaufen und können schon sehr genau einschätzen, was sie von ihr zu halten haben."

Elizabeth nickte. „Ich sehe das genauso, William." Draußen auf dem Gang konnte man Schritte hören und ein kleines Mädchen weinte bitterlich. William riß entsetzt die Augen auf. Das konnte nicht wahr sein, oder? Das war nicht Maggie?

Es war natürlich Maggie. Wickham hatte Caroline geraten, die Kinder mitzubringen. Das würde sich gut machen auf den Fotos in den Zeitungen: Caroline, die liebende Mutter. Die Taktik ging allerdings nicht auf, ganz im Gegenteil. Tim und Maggie verweigerten die Kooperation schon vor dem Gerichtsgebäude. Maggie weinte, als sie die vielen Menschen sah, die sie unbedingt fotografieren wollten und an ihr zerrten, Tim war überaus verschüchtert und suchte vergebens nach einem Schutz.

Irgendwann wurden sie von Wickham ins Gebäude gezogen und in Richtung Verhandlungssaal bugsiert. Caroline trug Maggie, aber die brüllte wie am Spieß und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Tim war mit den Nerven ebenfalls am Ende und weinte, auch wenn er es mutig unterdrücken wollte. Zu Carolines Pech gelang es ihr nicht, die Kinder zu beruhigen, bevor die Richter sich dem Saal näherten. William war, als er das Weinen gehört hatte, eilig auf den Flur getreten und sein Herz zog sich zusammen, als er seine Kinder sah, weinend und überaus verängstigt. Tim sah seinen Vater zuerst. Er schniefte noch einmal laut, rief überrascht und erfreut „Daddy!" und rannte los, direkt in Williams Arme. Der preßte den Jungen fest an sich und Tränen stiegen ihm in die Augen. „Timmy, Tim, mein Junge…" flüsterte er und wollte das Kind gar nicht mehr loslassen. Tim ließ seinen Tränen nun freien Lauf. Daddy war da – jetzt konnte nichts mehr passieren, jetzt würde alles gut werden.

Maggie hatte ihren Vater mittlerweile ebenfalls entdeckt und wollte ebenfalls zu ihm. Caroline versuchte, sie zu beruhigen, aber das Kind zappelte wie eine Wilde und wäre beinahe aus ihren Armen heruntergestürzt. Caroline blieb nichts anderes übrig, als sie gehenzulassen. Weinend flog das Kind in Williams Arme und alle drei schnieften – glücklich, wieder vereint zu sein. Elizabeth und Charlotte schauten sich an und hatten ebenfalls Tränen in den Augen, als sie die drei beobachteten. Caroline sah sehr säuerlich aus. Das machte natürlich keinen tollen Eindruck, denn die beiden Kinder wollten partout nicht mehr zu ihr zurück. Sie klammerten sich an ihren Vater, als würde ihr Leben davon abhängen. Das Richtergremium war mittlerweile herangekommen und beobachtete die Szene mit strengen und ernsten Mienen.

„Was ist das für ein Zirkus hier! Mrs. Darcy, sie dürfen hier keine Kinder mitbringen!" rügte die Richterin. „Ihr Verteidiger hätte sie davon in Kenntnis setzen sollen!" Sie schenkte Wickham einen tadelnden Blick und wandte sich dann William zu, der immer noch seine Kinder in den Armen hielt. Ihr Blick wurde weicher, als sie die drei ansah. Dann winkte sie einem Gerichtsdiener. „Sorgen sie bitte dafür, daß sich jemand um die beiden Kinder kümmert, Wilkinson."

Sie wandte sich an Tim. „Kannst du ein bißchen auf deine Schwester aufpassen, solange wir hier arbeiten? Ich verspreche, deine Mutter holt euch ganz schnell wieder ab."

Tim wich zurück und er sah die Richterin angsterfüllt an. „Nein, ich will nicht zu Mami. Und Maggie auch nicht."

Die Frau blickte ihn überrascht an. Der Junge war zwar noch sehr klein und Kinder unter sechs Jahren wurden im allgemeinen nicht gefragt, bei welchem Elternteil sie nach der Scheidung leben wollten. Aber der Kleine machte einen so entschiedenen Eindruck, nicht zu seiner Mutter zu wollen – und schließlich würde es in dem Prozeß auch um seine Zukunft gehen. „Wieso denn nicht, Kind?"

„Will bei Daddy bleiben. Dürfen wir bei Daddy bleiben? Bitte!"

„Aber ihr wohnt doch momentan bei eurer Mutter, nicht wahr?"

Tim blickte nach unten. „Hm. Ja," sagte er leise.

„Und da willst du nicht hin?"

Tim schüttelte vehement den Kopf.

Caroline warf ihrem Sohn einen drohenden Blick zu, der auch der Richterin nicht entging. Sie runzelte die Stirn und seufzte innerlich. Es würde eine Menge Fingerspitzengefühl erfordern, diesen Fall hier zu begutachten und zu entscheiden. War William Darcy in der Tat seelisch grausam? Würden sich seine Kinder so verzweifelt an ihn klammern, wenn das der Fall wäre? Würden sie es so strikt ablehnen, zu ihrer Mutter zu gehen? Die Richterin beobachtete den Angeklagten, der mit leiser, ruhiger Stimme die Kinder beruhigte. Wenn sie ihre Menschenkenntnis nicht komplett trog, sah sie hier einen ganz normalen Familienvater vor sich, der seine Kinder liebte und es gewohnt war, sich auch regelmäßig um die Kleinen zu kümmern. Natürlich sagte das nichts über sein Verhältnis gegenüber seiner Noch-Ehefrau aus. Vielleicht gehörte er zu der Sorte Mann, der seine Kinder über alles liebte und seine Frau schlecht behandelte. Sie hoffte sehr, sie würden die Wahrheit so weit es ging herausfinden.

William konnte Tim und Maggie schließlich davon überzeugen, mit dem Gerichtsdiener mitzugehen. Er versprach, daß er sie bald wieder abholen würde. Ihm brach es fast das Herz, als er Maggie regelrecht aus ihrer Umklammerung lösen mußte und mit einem Taschentuch ihr tränenüberströmtes Gesicht notdürftig säuberte. Er gab beiden noch einen Kuß, dann überließ er die Kinder der Obhut des Gerichtsdieners, der sich redlich bemühte, die beiden abzulenken.

Die kleine Episode würde Auswirkungen auf den Richterspruch haben, davon waren alle überzeugt. George Wickham dachte, daß es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, die Kinder mitzubringen. Sehr zu seinem Ärger handelte er sich noch eine ernste Rüge der Richterin ein, die es sich auch nicht verkneifen konnte, eine Bemerkung über den Rummel zu machen, der vor der Verhandlung draußen stattgefunden hatte.

Die Tür schloß sich schließlich hinter allen Beteiligten und die Verhandlung konnte beginnen.

Es wurde keine einfache Sache. Caroline legte ihre Seite der Geschichte dar, beschuldigte ihren Mann sehr geschickt, sie über die Jahre hinweg ständig unterdrückt und psychisch drangsaliert zu haben. Mit zitternder, kaum zu verstehender Stimme schilderte sie, daß ihr Mann fast jede Nacht rücksichtslos von ihr verlangte, ihren ehelichen Pflichten ausgiebig(!) nachzukommen. Er hätte sie außerdem gezwungen, in die Provinz zu ziehen und wollte sie absichtlich von ihren Freundinnen in London fernhalten. Dinge, die man nur schwer widerlegen, aber genauso schwierig beweisen konnte.

William schüttelte bloß schweigend den Kopf. Er konnte nicht glauben, daß die Frau, mit der er noch vor wenigen Wochen so glücklich war, die seine zwei Kinder geboren hatte, solche Lügen über ihn verbreitete – und diese anscheinend sogar selbst glaubte. Er fragte sich, was um alles in der Welt er ihr bloß getan hatte, daß ihre Beziehung ein so schlimmes Ende nehmen mußte.

Caroline gab – oberflächlich betrachtet – eine bühnenreife, ziemlich glaubwürdige Vorstellung ab. Der unvoreingenommene Zuschauer mußte zwangsläufig den Eindruck haben, daß hier eine gepeinigte, seelisch mißhandelte Frau saß, die mit einem wahren Monster von Ehemann verheiratet war und hätte ihr ohne zu zögern Williams sämtliche Besitztümer vermacht, William selbst lebenslänglich hinter Gitter gesteckt und den Schlüssel weggeworfen. Aber Charlotte war selbst eine talentierte Schauspielerin wie Caroline nicht gewachsen. Charlotte war clever. Sie begann ihre Befragung ganz sanft, fast verständnisvoll, daß nicht nur Elizabeth den Eindruck hatte, die Anwältin hätte vergessen, wen sie von beiden verteidigte. William runzelte unwillig die Stirn, schwieg aber. Und dann begann Charlotte ganz langsam, Carolines Vorwürfe Stück für Stück zu zerlegen, sie in Widersprüche zu verwickeln, sie zu Aussagen zu bringen, die sie freiwillig niemals gemacht hätte. Wickhams Einsprüche nutzten nichts, Charlotte war einfach zu geschickt mit ihrer Befragung.

Anschließend wurde William aufgefordert, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ruhig und offen gab er Auskunft, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und noch weniger von Wickham aus der Reserve locken. Er wirkte souverän und war sehr kooperativ, was offenbar bei den Richtern positiv vermerkt wurde. Elizabeth wurde kurz befragt, Mrs. Reynolds ebenfalls. Elizabeth wunderte sich, wie schnell ihre Befragung vorüber war – und sie war so aufgeregt gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Aussage William viel half – sie war nicht viel gefragt worden – aber sie hatte ihr Bestes getan, ohne zu lügen. Sie war froh, daß ihr keiner ein Verhältnis mit William unterstellt hatte. Selbst Wickham hatte diese Chance nicht genutzt. Und dann wurde Charlottes erste Geheimwaffe in den Verhandlungssaal gerufen: Richard Fitzwilliam.

Caroline wurde blaß, als sie Richard sah. Sie hätte nie geglaubt, daß er hier erscheinen würde, schon gar nicht zu Williams Gunsten. Richard Fitzwilliam mochte keine Skrupel haben, die Ehefrau seines Cousins mit Anhängern der Sado-Maso Szene bekanntzumachen und ihm dies zu verheimlichen, aber auch für ihn war Blut immer noch dicker als Wasser. Als Charlotte ihn hatte vorladen lassen, war es für ihn daher keine Frage, daß er die Rolle, die er in der Sache gespielt hatte, vor Gericht aufdecken würde.

Richard erzählte den staunenden Richtern, einem ernüchterten William, einer geschockten Elizabeth, einer fassungslosen Mrs. Reynolds, einem stinksaueren George Wickham, einer zufriedenen Charlotte sowie einer zähneknirschenden Caroline davon, wie er die damalige Caroline Bingley kennengelernt hatte und wie sich die Sache weiterentwickelte. Von den Fotos, die er zunächst mit ihr gemacht hatte, den einschlägigen Kontakten, die er für sie hergestellt hatte und von ihrer Vereinbarung, daß ihr Körper keine Striemen aufweisen durfte. Er konnte Namen nennen und seine Aussagen lückenlos belegen.

Nach Richard wurde ein weiter Zeuge aufgerufen, dessen Aussage Carolines Genick endgülig brach: Bill Collins.

Allein sein Auftreten war sehenswert: Total verängstigt kauerte er auf seinem Platz, gab kaum hörbar Antwort auf die Fragen, die ihm gestellt wurden und zu allem Überfluß nannte er Caroline immer wieder „Herrin". Wickham versuchte mit aller Gewalt, die Aussagen von Carolines „Sklaven" – so hatte er sich selbst bezeichnet – ins Lächerliche zu ziehen, aber es war zu spät. Für die Richter war es erwiesen, daß Caroline Darcy diese Praktiken immer noch ausübte. Natürlich, so stellten sie ebenfalls fest, war das ihre Privatsache und es wolle ihr auch ganz sicher niemand verbieten. Aber unter Berücksichtigung sämtlicher Aussagen und weil es hier um die Zukunft und das Wohlergehen von zwei unschuldigen Kindern ging, wurde entschieden, daß William Darcy das alleinige Sorgerecht für Timothy und Margaret Darcy erhalten würde. Es war schließlich nicht auszuschließen, daß die beiden etwas von dem „Zweitleben" ihrer Mutter mitbekamen und das wäre sicherlich nicht wünschenswert für die weitere Entwicklung der Kinder. Das Gericht ging sogar noch weiter: Für die nächste Zeit wurde Caroline lediglich ein Besuchsrecht eingeräumt, aber nur in Gegenwart des Vaters der Kinder.

Was die finanzielle Seite der Scheidung betraf, war man etwas großzügiger. Von Darcy Consulting würde sie nichts erhalten, das Gericht sah keine Veranlassung dazu, da Caroline nichts mit dem Unternehmen verband. Wie bereits in Charlottes Angebot zur friedlichen Einigung vorgeschlagen, erhielt sie sämtliche Immobilien außer dem Familiensitz der Darcys, Pemberley. Auch die beiden Stadtwohnungen in London, die je auf Tim und Maggie überschrieben worden waren, wurden davon nicht angetastet. Dazu sollte William sie mit einem Betrag von monatlich 2000 Pfund unterstützen, allerdings nur, solange sie nicht wieder heiratete. Die Zahlung würde im Falle einer Hochzeit sofort eingestellt werden.

Für William war das Urteil durchaus akzeptabel, ihm war alles egal, Hauptsache, er hatte das Sorgerecht für seine Kinder bekommen, alles andere zählte nicht und über die Entscheidung war er überglücklich. Für Caroline hingegen bedeutete es das Ende ihres Lebensstandards. 2000 Pfund im Monat! Ein vernünftiges Schmuckstück war teurer! Von was sollte sie bloß leben? Als erstes würde sie das unsägliche Haus in Meryton verkaufen, das stand fest. Und dann wollte sie das Urteil anfechten lassen. Die Kinder waren ihr egal, auf alle Fälle hatte sie ohne die beiden viel mehr Freiheiten, ganz klar. Nur hatte sie nicht mehr das nötige Einkommen, um diese Freiheiten zu genießen! Grrrr!

William umarmte Charlotte herzlich, dann Mrs. Reynolds und schließlich auch Elizabeth. Als Caroline das sah, zeterte sie wie ein Rohrspatz und beleidigte ihren Ex-Mann, wo sie nur konnte. Die vorsitzende Richterin rief sie zur Ordnung und belegte sie darüberhinaus noch mit einer Geldstrafe wegen Mißachtung des Gerichts. George Wickham zog die tobende Frau auf den Flur und versuchte vergebens, sie zu beruhigen.

William war zwar erleichtert, daß alles zu seinen Gunsten ausgegangen war, aber er fühlte sich nicht gut. Richards Aussage hatte ihn sehr mitgenommen und erschüttert. Er hatte keine Ahnung gehabt, nicht die geringste. Er wußte auch bislang nichts von der Rolle, die sein Cousin gespielt hatte. William war hin- und hergerissen. Einerseits hätte er Richard lynchen können, andererseits hatte ihm seine Aussage sehr wahrscheinlich das Sorgerecht für Tim und Maggie eingebracht. Allerdings wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen, hätte Richard damals nicht diese Fotos gemacht. Aber egal, es war vorbei und nicht mehr zu ändern. Er war jetzt geschieden, er war ein alleinerziehender Vater, er fing ein neues Leben an. Er mußte nach vorne sehen, und wenn es nur wegen Tim und Maggie war. Sie hatten jetzt nur noch ihn. Ihre Mutter hatte kein Interesse an ihnen. Und er konnte noch gar nicht so richtig erfassen, was heute alles geschehen war. Charlotte hatte wahre Wunder gewirkt, er war ihr sehr dankbar. Natürlich hatte sie auch eine Menge Geld an diesem Fall verdient, aber sie war jeden Shilling davon wert. Als er sich nach Richard umsah, war dieser bereits verschwunden. Wahrscheinlich war es besser so.

William wollte sich für die nächste Zeit mit seinen Kindern nach Pemberley zurückziehen und ein bißchen Urlaub machen. Die vergangenen Wochen hatten gewaltig an seinen Nerven gezerrt und er wollte einfach erstmal zur Ruhe kommen. Nirgends konnte man sich besser erholen als in Derbyshire, fand er. Mrs. Reynolds würde ihn begleiten. William dachte ernsthaft darüber nach, für immer nach Pemberley zu ziehen und nur noch gelegentlich nach London zu fahren.

Er verabschiedete sich von Elizabeth und informierte sie über seine Pläne. Sie sah traurig aus, als er ihr mitteilte, daß er vielleicht ganz nach Pemberley umsiedeln würde, aber sie versuchte tapfer zu sein.

„Nun denn, dann wünsche ich dir, daß du schnell über alles hinwegkommst," sagte sie leise. Er drückte ihre Hand. „Darf ich dich anrufen?"

Elizabeth zögerte. Er würde nicht wieder nach Meryton kommen, das Haus gehörte nun Caroline und sie würde es wahrscheinlich umgehend verkaufen. William würde entweder in London oder gar noch weiter weg auf Pemberley leben. Ihr zuhause aber war Meryton. Wie sollten sie da jemals zusammenkommen? Wie stellte er sich das überhaupt vor? Wollte er mehr von ihr? Wollte er einfach nur freundschaftlichen Kontakt halten? Natürlich war ihr klar, daß er ihr nicht sofort nach seiner Scheidung seine unsterbliche Liebe gestehen würde, aber irgendwie hatte sie den Eindruck, als wäre ihre „Beziehung" zu Ende, bevor sie überhaupt angefangen hatte.

William spürte ihr Zögern und seufzte innerlich. Was erwartete er? Er wollte den Kontakt nicht abreißen lassen, er wollte sie nicht verlieren. Aber was hatte er anzubieten?

„Elizabeth, ich möchte nicht, daß wir uns aus den Augen verlieren. Ich möchte weiterhin in Kontakt mit dir bleiben."

Wozu? dachte Elizabeth niedergeschlagen. Aber nun ja, sie würde ihm einfach die Zeit geben, die er brauchte. Wenn er sich meldete, wäre es in Ordnung, wenn nicht, hatte sie Pech gehabt. Sie glaubte nicht so recht, daß aus ihnen jemals etwas werden würde. Andererseits hatte sie nichts zu verlieren. Es war ja nicht so, daß ihre Verehrer Schlange standen. Aber Illusionen gab sie sich keinen hin.

William schaute besorgt auf sie herab. Er befand sich momentan in einem absoluten Gefühlschaos, verständlicherweise. Wahrscheinlich wäre ihm der Abschied von Elizabeth nähergegangen, wenn er nicht so viel anderes um die Ohren gehabt hätte. Aber so konnte er sie nicht gehen lassen. Er wollte etwas sagen, ihr versichern, daß sie ihm wichtig war, aber gerade in diesem Moment kam der Gerichtsdiener mit Maggie und Tim im Schlepp auf sie zu. Die Kinder machten sich los und rannten halb schreiend, halb weinend auf ihren Vater zu. Die psychische Belastung der letzten Wochen war auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. William kniete sich hin und schloß die beiden fest in die Arme. Niemand würde ihn wieder von den beiden trennen, er würde es nicht zulassen. Er wollte nur noch nach hause. Heim nach Pemberley.

Als er wieder aufstand, Maggie auf dem Arm, Tim an einer Hand, war Elizabeth bereits verschwunden.