17. Kapitel

Sogar das Wetter spielte mit, als Madeline mit ihren beiden Kindern zwei Tage später vor Elizabeths Haus hielt und fröhlich hupte. Zwei Minuten später kam Elizabeth heraus, einen kleinen silbernen Rimowa-Koffer im Schlepp. Madeline staunte und öffnete den Kofferaum. Aus gutem Grund fuhren die Gardiners einen Kombi.

„Du hast ja kaum Gepäck mit!"

„Wir fahren doch nur für eine Woche, oder?"

„Ja, klar. Aber man muß doch für alle Fälle gewappnet sein…"

Elizabeth schmunzelte, als sie die drei großen Koffer sah. „Ich denke, ich komme schon zurecht," meinte sie und begrüßte liebevoll ihre Cousins, die gut gesichert auf der Rückbank saßen und sich von ihrer großen Cousine herzen ließen.

Die Fahrt nach Lambton verlief problemlos. Es war ein wunderschöner Tag Ende Oktober, die Blätter der Bäume waren herbstlich verfärbt und die Sonne schien die bunten Farben noch zu verstärken. Elizabeth genoß die Fahrt in den Norden. Sie war schon so lange nicht mehr weggewesen! Derbyshire kannte sie überhaupt nicht, ok, wenn man Manchester außer acht ließ. Madelines Heimatort Lambton lag mitten im Peak District National Park und sie hatte während der ganzen Fahrt über erzählt, was man so alles dort anstellen konnte. Da Elizabeth William kannte, vermutete Madeline, daß sie auch Pemberley anschauen wollte, auch wenn sie darüber noch nicht gesprochen hatten. Elizabeth vermied das Thema William Darcy so gut es ging. Natürlich war sie gespannt auf Pemberley und wußte, sie würde sich ärgern, wenn sie es sich nicht wenigstens von außen ansehen würde. Sie hatte ein wenig im Internet gestöbert und sich die Bilder davon angesehen. Ein wahrhaft beeindruckendes Anwesen. Es wurden Führungen durch einige Räume und einen Teil des Parks angeboten, aber sie wollte keine mitmachen. Im Boden würde sie versinken vor Scham, wenn William doch da sein sollte und sie dabei ertappte, wie sie als neugieriger Touri in seinem Haus herumschlich! Sie hatte sich zuhause zwischenzeitlich schon einmal das besagte „Inn at Lambton" im Internet näher angeschaut und war sehr gespannt auf ihre Bleibe. Es sah wirklich ganz zauberhaft aus.

Madeline wollte ein paar Verwandte und Freunde besuchen, aber den Großteil wollten sie damit verbringen, sich die Umgebung anzusehen. Madelines Eltern lebten noch immer in Lambton und waren nur zu erpicht darauf, die Kinder zu hüten. Also hatten sie viel Zeit zur freien Verfügung, die sie ohne die Kleinen nutzen konnten. Und vielleicht würde sogar das Wetter mitspielen.

Da sie unterwegs viele Pausen machten, ganz gemütlich nach Derbyshire zuckelten und oft anhielten, kamen sie erst am frühen Abend in Lambton an. Sie waren begeistert von ihrer Herberge. Ein kleines, aber sehr feines Inn wartete auf sie, mit rustikalen, aber gemütlichen Zimmern. Elizabeth wollte gar nicht mehr weg. Sie war sofort verliebt in ihre „Kammer". Dunkles Holz, rauh verputztes, weißes Mauerwerk und kräftige Farben in der Innenaustattung machten den Charme ihrer Bleibe aus. Von ihrem Fenster aus hatte sie einen schönen Blick auf die Wälder, die an Lambton angrenzten. Dahinter lag Pemberley, wie ihr die Hausherrin mitteilte.

„Kennen Sie Pemberley, Miss?" fragte sie, um ein wenig Konversation zu machen.

„Nein, nicht persönlich. Aber ich kenne den Hausherrn." Elizabeth fragte sich, warum sie das erwähnt hatte.

„Mr. Darcy? Tatsächlich?" Sie seufzte schwer. „Der arme Mann. Sicher haben sie von der Scheidung gehört. Es ging durch sämtliche Zeitungen! Wir sind alle sehr froh, daß er wieder hier ist. Er gehört einfach nach Pemberley. Aber seine Exfrau hat sich nie hier wohlgefühlt."

Elizabeth nickte schweigend. Dann fiel ihr etwas ein.

„Ich habe gehört, es gibt schon wieder eine neue Frau in seinem Leben."

„Wirklich? Da wissen sie mehr als ich, und so etwas hätte sich sicher herumgesprochen. Die Leute hier interessiert alles, was auf Pemberley geschieht, wissen sie!" Sie lächelte etwas verlegen. „Nun ja, wenn das stimmt, dann ist es wahrscheinlich niemand aus der Gegend. Aber ganz ehrlich, ich kann es mir nicht vorstellen. So etwas kann man schlecht verheimlichen, finden sie nicht?"

„Vielleicht habe ich auch etwas falsches verstanden," wiegelte Elizabeth ab. Wer weiß, was Charles da verstanden hatte! „Ist Mr. Darcy momentan überhaupt hier?"

Die nette ältere Dame runzelte die Stirn und überlegte. „Nun ja, er kommt nicht oft in den Ort. Aber ich glaube, Louise – Louise Reynolds, die Haushälterin von Pemberley, hat neulich irgend etwas erwähnt, daß er mit seinen Kindern im Urlaub ist. Aber ich weiß nicht, ob sie schon wieder zurück sind, Miss. Werden sie sich Pemberley einmal anschauen? Es ist wirklich sehr lohnenswert, und bis Ende Oktober können sie noch eine Führung mitmachen, bevor das Haus für den Winter geschlossen wird."

„Ich denke, wir werden es uns anschauen, ja," sagte Elizabeth. Offenbar war William nicht hier, da konnte sie das Risiko wohl eingehen.

Die nächsten beiden Tage waren damit ausgefüllt, Madelines Verwandte und Freunde zu besuchen. Besonders ihre Eltern waren natürlich froh, sie zu sehen und versprachen nur zu gerne, ein paar Tage auf David und Isabel aufzupassen. Am nächsten Tag, einem Sonntag, schlug Madeline vor, nach Pemberley zu fahren. Die Kinder würden sie mitnehmen und abends wieder bei den Großeltern abgeben, damit auch Madeline sich einmal richtig erholen konnte, ohne ständig hinter ihren Sprößlingen herzujagen.

Elizabeths Herz klopfte wie wild, als sie die Einfahrt zu Pemberley Estate passierten. Der Weg zum Anwesen führte einige Kilometer (ja, Kilometer!) durch einen wunderschön angelegten Park, soweit das Auge reichte. Elizabeth staunte über die Größe. Und das alles gehörte William? Was für ein Gefühl mußte das sein, hier zu leben! Es war einfach traumhaft hier. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sehr er seine Heimat vermißt hatte.

Der Weg führte sie – vorbei an einer abzweigenden Privatstraße, die mit einem Tor gesichert war – weiter bis zu einem Parkplatz, der Besuchern des öffentlichen Teils von Pemberley zur Verfügung stand. Offenbar war das Anwesen mit seinem verwunschenen Park eine große Sehenswürdigkeit, denn trotz der Jahreszeit war der Parkplatz schon gut gefüllt und Besucher standen an einer Art Kiosk an, um sich für die Führungen anzumelden.

Sie stiegen aus und sahen sich neugierig um, das heißt, Elizabeth war ziemlich neugierig, Madeline war ja in Lambton aufgewachsen und kannte Pemberley natürlich. Elizabeth war innerlich sehr aufgeregt. Sie hatte Angst, daß sie William über den Weg laufen würde und gleichzeitig schaute sie sich die Augen nach ihm aus in der Hoffnung, daß er tatsächlich hier sein würde. Sie beschlossen, zunächst einen kleinen Orientierungsspaziergang zu unternehmen, und am Ende noch das Haus zu besichtigen.

Ein Teil der Parkanlagen stand den Besuchern kostenlos zur Verfügung, nur wer mit dem Auto kam, mußte etwas für den Parkplatz bezahlen. Und die Führung im Haus selbst kostete natürlich Geld. Sie luden die Kinder aus und spazierten langsam durch einen kleinen Wald zum See, von dem aus man einen schönen Blick auf das Anwesen hatte.

Elizabeth war überwältigt. So majestätisch hatte sie es sich nicht vorgestellt. Und hier lebte er...stand vielleicht gerade dort drüben hinter irgendeinem Fenster und starrte zu ihr herüber... sie grinste verlegen. Klar, träum weiter, Lizzy...

Madeline spürte Elizabeths Unruhe, aber sie wußte nicht, woher sie rührte und fragte zunächst nicht weiter. Sie selbst war ebenfalls immer wieder fasziniert von dem Anblick, der sich ihnen bot. Früher war sie oft mit ihren Freundinnen hierher gekommen und sie hatten das erhabene Gebäude und den wunderschönen Park bestaunt. Als sie kleiner waren, konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, daß normale Menschen hier lebten. Es mußten zumindest Prinzen und Prinzessinnen sein. Später fanden sie heraus, daß die Darcys durchaus ganz normale Menschen waren, bei William waren sie sich da allerdings nicht so sicher. Er sah zumindest aus wie ein Prinz aus dem Märchenbuch. Madeline mußte grinsen, als sie sich daran erinnerte. William Darcy, ja, der hatte wirklich etwas aristokratisches an sich, fand sie. Ein sehr attraktiver und dazu, wie man so hörte, äußerst umgänglicher Mann. Er war in der Gegend sehr beliebt, da er auch viel für die Nachbarschaft tat. Nicht nur, daß er eine Menge Arbeitsplätze schaffte, er unterstützte auch großzügig eine Reihe kultureller und wohltätiger Einrichtungen. Trotzdem hielt er sich bescheiden im Hintergrund. Caroline war nie beliebt gewesen, da sie ihre Abneigung gegenüber Pemberley stets ziemlich deutlich gemacht hatte. Die Leute verübelten ihr, daß sie William davon abgehalten hatte, hier mit seiner Familie zu leben und keiner war sehr böse darum, daß er sich nun hatte scheiden lassen. Und hatte Elizabeth nicht monatelang Haus an Haus mit ihm in Meryton gewohnt? Seltsam, daß sie nicht über ihn sprach. Auch auf Longbourn wollte sie nicht so recht raus mit der Sprache.

Madeline Gardiner war eine kluge und einfühlsame Frau. Ob da wohl mehr war zwischen ihrem Schwarm aus Jugendzeiten und ihrer Nichte? Sie nahm sich vor, das herauszufinden.

„Es ist wirklich traumhaft hier draußen," sagte Elizabeth leise und konnte den Blick gar nicht abwenden. „Wie wunderbar muß es sein, hier zu leben."

Das war Madelines Stichwort. Aber sie mußte vorsichtig agieren.

„Oh ja. Wir waren immer fürchterlich neidisch auf William und Georgiana, daß sie hier aufwachsen durften. Stell dir vor, sie hatten sogar eigene Pferde. Pferde! Plural! Und einmal im Jahr gab die Familie ein großes Sommerfest, allerdings habe ich William da nicht besonders oft gesehen. Wahrscheinlich war er da schon in Cambridge oder so."

Elizabeth schwieg und lächelte nur versonnen. Sie war gedanklich meilenweit weg.

„Aber du kennst William ja sehr wahrscheinlich besser als alle anderen von uns," fing Madeline wieder an. „Hast du in Meryton viel von ihm gesehen?"

„Nö, eigentlich nicht. Er ist morgens zur Arbeit gefahren und kam abends spät heim. Die Wochenenden hat er immer mit seinen Kindern verbracht. Wir haben ab und zu miteinander gesprochen, wenn wir uns zufällig gesehen haben."

Und hätten um ein Haar miteinander geschlafen – aber sonst kenne ich ihn kaum...

Elizabeth seufzte unbewußt, als sie sich an den besagten Abend erinnerte. Es klang wehmütig.

„Was ist los, Lizzy? Du wirkst so niedergeschlagen." Madeline war besorgt.

Elizabeth zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist nichts, Tante Maddy." Damit konnte sie Madeline immer auf die Palme bringen und es hatte auch jetzt den gewünschten Erfolg. Madeline grummelte. „Wollen wir uns die Hütte mal von innen anschauen?" fragte Elizabeth unschuldig und sie machten sich auf den Weg.

Als sie wieder auf dem Parkplatz ankamen, waren sie überrascht über die relativ hohe Anzahl von Leuten, die geduldig am Kassenhäuschen anstanden, um sich das Anwesen anzuschauen. Sie berieten sich kurz und beschlossen dann, sich ebenfalls in die Reihe der Wartenden einzureihen. Schließlich ergatterten sie ihre Karten, mußten aber bis zur nächsten Führung noch gut eine halbe Stunde warten. Sie spazierten mit den Kindern im Schlepp langsam einen gewundenen Pfad entlang, der sie zu einer anderen Seite des großen Sees führte und bewunderten die alten Bäume mit den farbenfrohen Blättern, die gepflegten Blumenanlagen und die vielen kleinen „Hingucker", die den Blick ablenkten. Dort stand zum Beispiel eine Statue im Efeu versteckt, drüben am See waren zierliche Bänke angeordnet und luden zum Sitzen ein, über den Forellenbach verlief eine kleine Brücke mit wunderschön geschnitztem Geländer, hinter einem Hügel kam plötzlich ein sprudelnder Brunnen zum Vorschein und vieles mehr. Und trotzdem wirkte der Park sehr natürlich. Er war gepflegt, keine Frage, aber die Gärtner hier verstanden es meisterlich, vieles so aussehen zu lassen, wie die Natur es einmal ursprünglich vorgesehen hatte.

Schließlich war es Zeit, zum Gebäude zurückzugehen, damit sie ihre Führung nicht verpaßten. Die Kinder, besonders Isabel, waren nicht mehr ganz so bei der Sache. Sie waren, als ihre Mutter und Cousine langsam durch den Park gewandelt waren, natürlich nicht brav hinterher gelaufen, sondern hatten Nachlauf gespielt und waren durch die Gegend getollt. Entsprechend müde waren sie jetzt und Madeline befürchtete, daß sie auf eine Führung durch ein für sie langweiliges Haus eher keine Lust mehr hatten. Aber nun hatten sie die Karten gekauft und es würde ja auch nicht sooo lange dauern. Ein bißchen Kultur konnte ihnen auch schließich nicht schaden.

In diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubender Lärm direkt über ihren Köpfen und sie fuhren erschrocken zusammen. Ein Hubschrauber mit dröhnenden Rotoren kam über den Bäumen in Sicht. Er kam immer näher und näher, bevor er über dem See abdrehte und auf der anderen Seite des Anwesens landete, wo sie ihn nicht mehr sehen konnten. Für die kleine Isabel war das zuviel gewesen. Sie hatte sich vor dem fliegenden, krachmachenden Ungetüm so sehr gefürchtet, daß sie in Tränen ausbrach und herzzerreißend weinte. Madeline versuchte vergebens, sie zu beruhigen. Sie nahm sie auf den Arm und wiegte sie sanft hin und her, aber das Kind war so verschreckt, daß nichts sie zur Ruhe bringen konnte.

„Laß uns in Richtung Haus gehen, vielleicht beruhigt sie sich ja wieder," schlug Elizabeth vor. „Außerdem fängt die Führung gleich an, das bringt sie auf andere Gedanken."

Als sie zum Eingang kamen, weinte das Kind allerdings immer noch. Die Dame, die die Führung machte, schaute die vier ungnädig an. „Es tut mir leid, ich kann sie mit dem Kind nicht mitnehmen," sagte sie entschieden.

„Wir gehen ganz am Schluß, sie hat sich gleich wieder beruhigt," sagte Madeline. „Wir stören ganz bestimmt nicht."

Die Dame blieb unnachgiebig. „Tut mir leid, Ma'am. Das Kind stört die anderen Besucher. Ich kann sie nicht hineinlassen. Sie können sich das Eintrittsgeld selbstverständlich wieder an der Kasse erstatten lassen."

Madeline und Elizabeth sahen sich an. „Komm, Lizzy, dann laß uns gehen. Wir wollen ja niemanden stören." Madeline wollte sich nicht mit der Dame streiten. Elizabeth warf der eisernen Lady einen herausfordernden Blick zu und prägte sich den Namen auf dem kleinen Plastikschild an ihrer Bluse ein. Nicky Cage. „Sie können sicher sein, daß ich Mr. Darcy darüber informieren werde, wie sie mit ihren Besuchern umgehen," sagte sie mit mehr Arroganz, als sie selbst verspürte, aber sie ärgerte sich über das Verhalten der jungen Frau. Diese antwortete ihr bloß gelangweilt, daß dies ihr gutes Recht wäre und führte die verbliebene Gruppe ins Haus, um mit der Führung zu beginnen. Zu Elizabeths und Madelines Pech war es die letzte Führung an diesem Tag.

Madeline, sie und die Kinder gingen zurück und versuchten, Isabel, die nun eher müde als verschreckt war, zu beruhigen. Sie liefen ein Stück am See entlang bis sie auf einen schmalen Pfad trafen, der kaum sichtbar weg vom Gebäude in einen kleinen Wald führte. Es war ein so idyllisches Stückchen Erde, daß sie neugierig dem Weg folgten und schließlich an einen kleinen Teich kamen, der von einer großen, uralten Weide nahezu überdacht wurde. Es war ein atemberaubender Anblick, so friedlich und wie aus dem Bilderbuch. Ein paar Enten schwammen ruhig im Wasser und im Frühjahr mußte der Teich sehr hübsch aussehen, wenn die Seerosen blühten. Eine gezimmerte Bank stand unter dem Baum und sie ließen sich darauf nieder. Beide Frauen waren noch verärgert über die unhöfliche Behandlung.

Madeline lachte schließlich. „Du willst William Darcy wirklich darüber informieren, was für ein unhöfliches Personal er hat?"

Elizabeth lachte ebenfalls. Bevor sie antworten konnte, fragte eine tiefe, männliche Stimme: „Ich habe unhöfliches Personal? Können sie das näher spezifizieren, Madam?"