Noch ehe Elizabeth reagieren konnte, blickte sie in William Darcys dunkle Augen, die sie zwar äußerst überrascht, aber durchaus nicht unerfreut anschauten.
„Elizabeth!" sagte er verblüfft, denn er hatte auf der Bank nur Madeline gesehen und war einfach nur neugierig gewesen, was die Dame an seinem Personal auszusetzen hatte. Solchen Dingen ging er gerne selbst auf den Grund. Aber daß er nun Elizabeth Bennet hier vorfand, machte ihn schier sprachlos.
Elizabeth konnte ihn nur anstarren. „William," flüsterte sie schließlich und wurde rot. Es war ihr peinlich, daß er sie hier, praktisch in seinem eigenen Park, vorfand. William fand zuerst die Sprache wieder. Er lächelte und sein Lächeln war aufrichtig.
„Ich freue mich, dich zu sehen! Die Überraschung ist dir wirklich gelungen." Er wollte nicht aufdringlich sein, daher gab er seinem unbändigen Drang, sie in die Arme zu schließen, nicht nach und drückte nur herzlich ihre Hand. „Was führt dich hierher? Wie geht es dir?"
Elizabeth riß sich zusammen. Er war nett und freundlich wie immer und sie fühlte sich, als hätten sie sich nur ein paar Tage nicht gesehen anstatt Wochen.
„Meine Tante hat mich überredet, ein paar Tage Urlaub zu machen. Sie stammt ursprünglich aus Lambton. Darf ich vorstellen, Madeline Gardiner und meine Cousins Isabel und David. Madeline, ich denke, du kennst William Darcy von früher."
„Kennen ist zuviel gesagt," lächelte Madeline und drückte die ihr dargebotene Hand.
„Gardiner….Gardiner…" grübelte William und versuchte, das ihm vage bekannte Gesicht irgendwo einzusortieren. Madeline kam ihm zur Hilfe.
„Mein Mädchenname ist Featherstone."
„Featherstone! Dann sind sie mit Peter Featherstone verwandt? Dem Anwalt?"
„Ganz genau. Das ist mein Vater."
William nickte und lächelte. „Natürlich. Sie sind ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Daran hätte ich sie erkennen müssen, wie unverzeihlich von mir!"
Madeline lachte und auch Elizabeth entspannte sich langsam. „Aber…" William sah ein wenig verwirrt aus, „wie können sie Elizabeths Tante sein?"
„Indem ich ihren Onkel geheiratet habe?" bot Madeline amüsiert an.
„Ja, natürlich… aber…" William wollte nicht unhöflich sein.
„Mein Mann hat erst spät geheiratet, wir sind einige Jahre auseinander."
„Oh. Das erklärt natürlich einiges. Entschuldigen sie meine Neugier." William schaute sie verlegen an, aber Madeline lächelte nur.
William fiel wieder ein, warum er sie überhaupt angesprochen hatte: das unfreundliche Personal. Er bat die Frauen, ihm zu erklären, warum sie Grund zur Klage hatten. Madeline erzählte kurz die kleine Episode mit der unwilligen Dame, die ihnen die Führung verweigert hatte. Sie erwähnte auch den Hubschrauber, der Isabel so erschreckt hatte. William sah sie beschämt an. „Ich fürchte, daran bin ich nicht unschuldig. Ich bin grade eben aus London eingeflogen. Es tut mir leid, wenn ich ihre Tochter erschreckt habe." Er wandte sich Isabel zu und kniete sich neben ihr nieder.
„Hallo, ich bin William," sagte er und lächelte sie an. „Und wie heißt du?"
„Isabel," kam es leise zurück.
„Hallo Isabel. Fühlst du dich wieder ein bißchen besser? Hast du vielleicht Lust, dir mit deiner Ma, Cousine Elizabeth und deinem Bruder Pemberley anzuschauen? Das große Gebäude da drüben?" Isabel schaute ihn an und wandte sich ein bißchen verlegen hin und her. William schmunzelte. Er bezweifelte zwar, daß die Besichtigung eines alten Gebäudes ganz oben auf der Wunschliste der beiden Kinder stand, aber er beschloß trotzdem, ihnen allen eine kleine Privatführung zu geben. Es würde nicht so lange dauern.
Madeline und Elizabeth waren von der Idee angetan und so machten sie sich auf den Weg zurück zum Haus. Elizabeth hatte Zeit genug gehabt, um sich daran zu gewöhnen, daß William hier war. Trotzdem war es ihr unangenehm, daß er sie hier sozusagen auf seinem eigenen Grund und Boden „ertappt" hatte. Sie beobachtete ihnen einen Moment, während er noch mit Madeline sprach und ihr Herz klopfte so laut, daß sie dachte, man müsse es meilenweit hören. Er sah noch besser aus als sonst, wenn das überhaupt möglich war. Braungebrannt, die Haare etwas länger und noch verwuschelter als sonst, ein sogenannter „Five-o'clock-shadow" überzog sein Kinn und seine Wangen. Er war ganz businessmäßig gekleidet und trug unter seinem weichen Kaschmirmantel einen maßgeschneiderten, dunkelgrauen Anzug mit zum Hemd passender Krawatte. Offenbar war er geschäftlich unterwegs gewesen und wo andere Leute mit dem Auto zur Arbeit fuhren, nahm William eben seinen Privathubschrauber. Das Bedürfnis, sich in seine Arme zu werfen, oder ihn einfach nur einmal anzufassen war schier übermächtig und sie mußte sich schwer zusammenreißen.
„Charles hat gesagt, du wärst in Urlaub?" sagte Elizabeth schließlich, als sie zum Haus gingen. Madeline war mit den Kindern ein Stück vorausgegangen.
„Wir sind am Donnerstag wiedergekommen, ja. Ich mußte leider ein wenig früher zurück, wir hatten ein kleines Problem in der Firma. Maggie und Tim sind noch in London."
„Entschuldige, daß wir einfach hierhergekommen sind," sagte Elizabeth leise. „Hätte ich gewußt, daß du da bist…"
William schaute sie erstaunt an. „Dann wärst du nicht gekommen?"
Elizabeth nickte schweigend.
„Elizabeth, ich freue mich so sehr, dich zu sehen. Und ich bin sehr froh, daß du hier bist. Ich weiß, es hört sich jetzt etwas hohl an, aber ich hätte dich nächste, spätestens übernächste Woche angerufen. Ich war jetzt mit den Kindern fünf Wochen weggewesen und fühle mich so gut wie noch nie zuvor. Es wird Zeit, daß ich mein Leben neu gestalte."
Ihr hier und jetzt zu sagen, daß er hoffte, sie würde ein Teil seines neuen Lebens werden, erschien ihm unangebracht und übereilt. Sie war hier zufällig zu Gast und nicht seinetwegen hier, das durfte er auch nicht vergessen.
Isabel kam ihnen unbewußt zur Hilfe, bevor Elizabeth etwas sagen konnte. Sie hatte Zutrauen zu William gefaßt, zupfte an seinem Ärmel und hob die Arme bittend nach oben. William grinste. Er kannte diese Geste nur zu gut von seinen eigenen Kindern. Trag mich! hieß die Forderung.
„Gestatten sie?" fragte er Madeline und, nachdem diese zustimmend genickt hatte, hob er Isabel hoch und setzte sie auf seine Schultern. Das kleine Mädchen quiekte entzückt und streckte als erstes ihrem großen Bruder die Zunge heraus. Das war relativ gefahrlos, thronte sie doch wie eine kleine Königin hoch oben auf Williams Schultern und somit außerhalb Davids Reichweite. Madeline schüttelte bloß amüsiert den Kopf über die kleine Göre.
Sie erreichten das Portal und sahen, daß eine Gruppe Touristen das Haus gerade verließ. William schaute auf die Uhr.
„Das haben wir gut abgepaßt, die letzte Führung für heute ist grade zu Ende gegangen, da wird uns keiner mehr stören. Ich habe nur leider keinen Schlüssel für die Absperrung, wir müssen unter der Kette durchkriechen, fürchte ich."
Aber er hatte die Rechnung ohne Miss Cage gemacht. William hatte gerade die Kette ein Stückchen angehoben und die Frauen waren kichernd darunter durchgekrabbelt, als besagte Dame empört rufend und mit den Armen fuchtelnd auf sie zulief.
„Hallo? Hallo, sie da! Was fällt ihnen ein! Sie können doch nicht einfach hier eindringen! Die Führungen sind für heute beendet, bitte verlassen sie umgehend das Gebäude! Ich rufe sonst den Sicherheitsdienst!"
William betrachtete Miss Cage ruhig. Er kannte sie nicht, aber er kümmerte sich auch nicht um die Einstellungen des Personals auf Pemberley, das machte alles sein Verwalter. Nur bei der Haushälterin behielt er sich das letzte Wort vor, aber das war ja noch nie nötig gewesen, solange er Mrs. Reynolds hatte. Er lächelte spöttisch. Es gab nämlich überhaupt keinen ständigen Sicherheitsdienst hier.
Miss Cage war nähergekommen. Sie stöhnte, als sie die beiden Frauen mit den Kindern wiedererkannte. „Sie schon wieder!" brummte sie ungnädig. „Bitte gehen sie jetzt, heute gibt es keine Führungen mehr."
„Danke, Miss Cage, sie können jetzt gehen," sagte William. „Ich gebe meinen Gästen eine Privatführung."
Sie starrte ihn an, als wäre ihm gerade noch ein zweiter Kopf gewachsen.
„William Darcy," half William nach.
Miss Cage glaubte ihm offensichtlich nicht.
William seufzte. „Möchten sie meinen Ausweis sehen?" fragte er und eine leichte Ungeduld lag in seiner Stimme.
Ihre Hand tastete nach dem Telefon. Es gar zwar keinen permanenten Sicherheitsdienst, aber ein Knopfdruck würde sie mit dem Verwalter verbinden. Der Verwalter, Mr. Elliot, meldete sich sofort.
„Mr. Elliot, es gibt Schwierigkeiten," sagte Miss Cage und ließ die kleine Gruppe nicht aus den Augen. Mr. Elliot schien eine kurze Antwort zu geben und Miss Cage legte befriedigt auf. Sie hatte keine Absicht, diese Leute davonkommen zu lassen. William wurde ganz, ganz langsam ärgerlich. Durfte er noch nicht einmal sein eigenes Haus betreten? Was bildete sich diese Person bloß ein?
Zwei Minuten später erschien der Verwalter der Pemberley Estates und starrte überrascht seinen Arbeitgeber an. Er hatte nicht gewußt, daß er schon wieder zurück war. „Mr. Darcy, guten Tag, Sir. Was gibt es für Probleme?"
Er schaute Madeline und Elizabeth an, die die ganze Sache eher amüsiert verfolgt hatten und für ihn offenbar den „Problemherd" ausmachten. Miss Cage war nicht mehr ganz so selbstsicher. „Äh...das ist Mr. Darcy?" fragte sie kleinlaut.
Mr. Elliot wandte den Blick zu ihr. „Ja natürlich. Was dachten sie denn?"
„Da wir das nun vor Zeugen geklärt hätten, dürfte ich dann wohl mit meinen Gästen mein Haus betreten?" fragte William sarkastisch und ein wenig genervt. Miss Cage brachte eine dünne Entschuldigung hervor und ließ die kleine Gruppe schließlich passieren. William nahm Isabel wieder auf die Schultern und führte seine Besucher nun ohne weitere Störungen durch seinen beeindruckenden Familiensitz.
„Tut mir leid," sagte er nach einer Weile. „Die Dame scheint ihren Job ziemlich ernst zu nehmen. Eigentlich ja ein gutes Zeichen, nicht wahr? Nur mit dem Fingerspitzengefühl hapert es noch..."
Elizabeth drückte unbewußt seinen Arm. „Dieser Fehler wird ihr nie mehr passieren, oder?" meinte sie und William lächelte. „Nein, sicher nicht." Er schaute ihr hinterher, als sie das Musikzimmer vor ihm betrat. Ob er die Chance bekommen würde, sie während ihres Aufenthalts alleine zu treffen? Wie lange blieb sie überhaupt noch? Er konnte es noch gar nicht fassen, daß seine Liz hier war.
„Das hier ist das ursprüngliche Musikzimmer," fuhr William mit der Führung fort und nahm Isabel von seinen Schultern, um sich mit ihr an den großen Flügel zu setzen, der mitten im Raum stand. Er klappte den Deckel hoch und das Kind begann sofort, sich vorzubeugen und auf den Tasten herumzuklimpern. William ließ sie einen Moment gewähren – was gab es schließlich schöneres, als Krach machen zu dürfen – bis schließlich Madeline eingriff, streng den Kopf schüttelte und die Kleine auf den Arm nahm. William überraschte seine Besucher damit, daß er plötzlich losspielte – und zwar ganz ohne Notenvorlage. Es war ein hübsches, melodisches Stück und alle lauschten entzückt. Elizabeth hatte nicht gewußt, daß er so hervorragend klavierspielen konnte, aber sicherlich gab es noch sehr viel mehr, was sie nicht von ihm wußte. Sie wünschte sich, sie würde die Gelegenheit bekommen, diese Dinge herauszufinden.
Als er geendet hatte, applaudierten seine Zuhörer begeistert und verlangten stürmisch eine Zugabe, aber William wehrte lachend ab. „Ich bin ziemlich aus der Übung," bekannte er, schloß den Deckel und stand auf. „Leider komme ich nicht oft dazu, Klavier zu spielen." Er warf dem Instrument einen wehmütigen Blick zu. Seine Mutter hatte ihm und seiner Schwester früher oft vorgespielt und ihnen die Liebe zur Musik und das Klavierspielen selbst beigebracht.
Elizabeth bestaunte die Harfe, die in einer Ecke stand. „Spielst du das auch?" fragte sie neugierig. „Oh nein, aber meine Schwester hat Harfespielen gelernt. Und ziemlich gut sogar."
William gab einige kurzweilige Erläuterungen zu dem Raum, machte sie auf den hübschen Ausblick aufmerksam, den man von hier auf den See hatte und führte sie dann über eine Treppe zur großen Galerie. Hier waren sämtliche Mitglieder der Familie Darcy entweder als Porträt oder, wenn es angeheiratete Darcys waren, als Miniatur verewigt. Die Tradition war bis zum heutigen Tage beibehalten worden. Das letzte Bild in der Reihe zeigte Georgiana, Williams Schwester. Sie stand darin an einem Fenster, eine kleine Katze auf dem Arm, die sie liebevoll streichelte. Ein ganz zartes Lächeln war zu erkennen.
Ein sehr hübsches Mädchen, wie Elizabeth fand, auch wenn sie William kaum ähnlich sah. Georgiana war blond und zierlich, das einzige, was sie gemeinsam hatten, waren die großen, dunklen Augen, die den Betrachter scheu anschauten. Williams Porträt hing direkt neben ihr und Elizabeth lächelte unbewußt, als sie es anschaute. Auch er war überaus gut getroffen. Es zeigte einen jüngeren, etwa 20jährigen William auf einer Bank am Seerosenteich sitzend, mit einem Buch in der Hand. Der Maler hatte ihn so dargestellt, als wäre er gerade beim Lesen überrascht worden und hätte eben in diesem Moment aufgeblickt. Seine Gesichtszüge waren auf dem Bild weicher, etwas weniger ausgeprägt, aber die dunklen Augen waren genauso weich und warm wie heute noch. Elizabeth konnte kaum den Blick abwenden.
William war zu ihr getreten. „Es wurde an dem Teich gemacht, an dem wir uns eben getroffen haben," sagte er leise . „Ich war damals noch Student und man sah mich selten ohne Buch. Jedes der Bilder hier hat eine Art Markenzeichen des Porträtierten, Georgie liebt Katzen, mein Vater war der Pferdenarr in der Familie, deswegen hoch zu Roß, und meine Ma liebte ihre Rosengärten über alles." Er betrachtete das Porträt seiner Mutter liebevoll, aber Elizabeth entging nicht der traurige Blick. Lady Anne war eindeutig Georgianas Mutter, genauso blond, genauso zierlich, während William Darcy senior die Vaterschaft Williams nicht verleugnen konnte. Elizabeth sah sich um. Von Caroline gab es bloß eine Miniatur. Sie fragte sich, ob die dort hängenbleiben würde.
„Tim und Maggie bekommen ihre Bilder erst, wenn sie größer sind, nicht wahr?"
William nickte. „Genau. Man muß mindestens 20 Jahre alt sein – manchmal werden aber auch mehrere Porträts im Lauf der Zeit gemacht und ausgetauscht. Wie du siehst, ist das Bild meines Vaters entstanden, als er schon älter war. Sein „Studentenbild" hängt drüben in meinen Privaträumen. Ansonsten haben wir natürlich viele Fotos."
Elizabeth war etwas aufgefallen. „Sag mal, William, warum hat deine Mutter ein Porträt bekommen und keine Miniatur? Sie ist doch auch angeheiratet."
William lächelte. „Gut beobachtet. Meine Ma ist auch die absolute Ausnahme hier. Dad hat darauf bestanden, daß sie ein richtiges Bild bekommt. Er wollte sie in voller Größe haben, auch wenn es jeder Tradition hier widerspricht. Die beiden haben sich sehr geliebt."
Aber ein besonders langes, gemeinsames Leben war ihnen nicht vergönnt gewesen, dachte Elizabeth traurig. Sie hatten noch nicht einmal ihre Enkelkinder kennenlernen dürfen. Und auch William hatte sich sicher eine längere Ehe vorgestellt, als er Caroline geheiratet hatte.
William nahm vorsichtig Elizabeths Arm und führte sie langsam weiter, zum Ende der Galerie. Er genoß ihre Nähe und wenn ihn nicht alles täuschte, fühlte sie sich auch nicht gerade unwohl in seiner Gesellschaft. Er mußte unbedingt sicherstellen, daß sie sich irgendwann nochmal alleine treffen konnten. So reizend er Madeline Gardiner und ihre Kinder auch fand.
Madeline erwartete die beiden Nachzügler lächelnd an der Treppe. Für sie war es eindeutig, daß sich zwischen den beiden etwas anbahnte – oder war es gar eine Fortsetzung aus Meryton?
William ließ Elizabeths Arm bedauernd los und führte seine Gäste noch durch einige der öffentlichen Salons und Räume. Der große Ballsaal, der nur noch selten für große Feiern genutzt wurde, die alte Küche, die mit Originalgeräten des 19. Jahrhunderts ausgestattet war und jetzt natürlich nicht mehr benutzt wurde, ein historisches Badezimmer mit großer Kupferwanne und einem riesigen Kachelofen, das „antike" Kinderzimmer, in dem Generationen von Darcys aufgewachsen waren – William war der erste gewesen, der im modernisierten Teil des Hauses geboren und aufgewachsen war. Das Kinderzimmer war traditionsgemäß das Highlight jeder Führung, auch Madeline und Elizabeth bildeten keine Ausnahme. Mit leisen Ausrufen der Begeisterung gingen sie durch den hellen Raum, bestaunten die alten Spielsachen und Kinderbücher in den Regalen und vor allem die reich verzierte Wiege, die am Fenster stand.
„Wird die denn noch benutzt?" fragte Madeline. „Das ist ein wunderschönes Stück!"
William nickte. „Ja. Jeder Darcysproß seit 1812 hat darin geschlafen. Zuletzt Maggie, wenn auch nur kurz." Caroline hatte auf einem „ordentlichen" Kinderbett bestanden. Da sie aber sowieso selten auf Pemberley waren, hatte es wenig ausgemacht. Er hatte wenig Hoffnung, daß in naher Zukunft ein weiterer Säugling darin schlummern würde. Vielleicht, wenn Maggie oder Tim eines Tages einmal Kinder haben würden.
Die beiden Frauen waren sehr beeindruckt von der Geschichte, die über dem Haus und seinem Mobiliar wehte. Es mußte aufregend sein, seine Wurzeln so lange verfolgen zu können, solch einen Hintergrund zu haben. Elizabeth fand es sehr schön, daß sich William seinem Familienerbe so verpflichtet fühlte und alles liebevoll pflegen und bewahren ließ. Sie fragte sich, ob der private Teil Pemberleys ebenso feudal und imposant war.
William beendete die Privatführung mit einer Einladung in sein eigenes Reich und die Damen sagten nicht nein. Wenn man schon einmal die Gelegenheit hatte, in den Teil zu gelangen, der der Öffentlichkeit normalerweise vorenthalten wurde...
William trug Isabel mittlerweile auf dem Arm, da die Kleine müde geworden war und ihr langsam die Augen zufielen. Es war ein anstrengender Tag für das Kind gewesen.
Durch eine verschlossene Tür betraten sie einen anderen Flügel des Gebäudes und fühlten sich sofort wie in einer anderen Welt. Im Gegensatz zu den öffentlichen Räumen, deren Originalzustand weitestgehend bewahrt worden war, hatte man den Privattrakt der Familie Darcy behutsam modernisiert und so hergerichtet, daß man behaglich und komfortabel darin leben konnte. Heizungen waren eingebaut worden, auch wenn viele Räume noch mit offenen Kaminen ausgestattet waren, die Sanitäranlagen waren modern und ebenso die Küche. Die Räume waren eine interessante Mischung aus englisch-landhaus, historisch und modern, geschmackvoll eingerichtet und einfach wohnlich. Elizabeth fühlte sich sofort wohl. Insgeheim dachte sie ein wenig boshaft, daß Caroline sicherlich nichts mit der Innenarchitektur zu tun gehabt hatte.
William führte sie in ein großes Wohnzimmer, dessen bodentiefe Glastüren auf einer Seite direkt in den Garten hinausführten. Auf der anderen Seite befand sich ein gewaltiger, offener Kamin, bereits mit Feuerholz befüllt, und bequem aussehende Polstermöbel waren auf der gegenüberliegenden Seite plaziert. Der Raum war hell und luftig und sehr, sehr einladend. Die Frauen waren amüsiert über den Klingelzug, der neben dem Kamin angebracht war und den William, über ihre albernen Bemerkungen gespielt resigniert den Kopf schüttelnd, benutzte. „Hast du jetzt tatsächlich für Tee geläutet?" fragte Elizabeth ungläubig. William grinste. „Natürlich. Alles ganz altmodisch hier bei uns."
Und wirklich, nur wenige Augenblicke später klopfte es leise an der Tür und Mrs. Reynolds trat ein. Sie strahlte, als sie Elizabeth erkannte.
„Miss Elizabeth! Was führt sie hierher?" fragte sie überrascht und drückte ihr herzlich die Hand.
„Hallo, Mrs. Reynolds. Ich bin eher zufällig hier. Meine Tante" – Madeline seufzte wieder unhörbar und rollte die Augen, was auch William zum Grinsen brachte – „stammt aus Lambton und wir besuchen ihre Familie hier. Darf ich vorstellen, Madeline Gardiner und ihre Kinder Isabel und David."
Mrs. Reynolds begrüßte Madeline und ihre Sprößlinge ebenfalls herzlich und runzelte dann grübelnd die Stirn. „Sie stammen aus Lambton? Lassen sie mich überlegen..." schließlich fiel es ihr ein. „Featherstone, hab ich recht? Sie sind eine gebürtige Featherstone."
Madeline lächelte. „Stimmt genau."
„Peters Tochter, natürlich." Mrs. Reynolds nickte nachdrücklich. „Und sie haben...warten sie...einen Londoner Geschäftsmann geheiratet."
„Mrs. Reynolds ist über alles bestens informiert, was in Lambton geschieht oder in den letzten hundert Jahren geschehen ist," brummte William kopfschüttelnd.
Die Haushälterin sah ihn streng an. „Einer muß sich um solche Sachen kümmern, Master William! Wie würde es aussehen, wenn aus Pemberley plötzlich keine Glückwünsche oder Beileidsbekundungen mehr kämen!"
William drückte die ältere Dame herzlich an sich und küßte sie auf die Wange, sehr zu ihrer Verlegenheit. „Ich weiß, Mrs. Reynolds, ich weiß. Ich wüßte auch gar nicht, was ich ohne sie machen würde."
Sie kniff ihm gespielt empört in die Seite und schüttelte den Kopf. „Machen sie sich nur lustig über mich, Sir!" Aber dann lachte auch sie und fragte, was sie Williams Gästen zu trinken bringen konnte.
