Elizabeth und Madeline nahmen die Einladung zum Kaffee gerne noch an, doch danach verabschiedeten sie sich auch schon bald wieder. Die Kinder waren müde und begannen zu quengeln und außerdem waren sie zum Abendessen bei den Featherstones eingeladen. William ließ Elizabeth nur ungern gehen, aber er fand keinen Grund, sie aufzuhalten.
„Wie lange bleibst du noch in der Gegend?" fragte er beim Abschied.
Elizabeth zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, wir haben keinen konkreten Plan gemacht. Wahrscheinlich noch drei, vier Tage, schätze ich."
Er nickte und schaute sie nachdenklich an. „Können wir uns vor deiner Abreise noch einmal sehen? Alleine?"
Elizabeth wurde heiß. Was war mit der angeblich neuen Frau in seinem Leben? Er hatte niemanden erwähnt und sie traute sich nicht, danach zu fragen. Andererseits – vielleicht war sie mit den Kindern in London?
„Ähm...natürlich, warum nicht. Ich glaube nicht, daß Maddy mich die ganze Zeit über braucht."
William lächelte zufrieden. „Gut. Wann paßt es dir? Ich bin die ganze Woche über hier. Darf ich dich abholen?"
„Ja, gerne. Von mir aus morgen." Ups! War das zu aufdringlich?
Williams Lächeln verwandelte sich in ein Strahlen. Morgen schon! Ja!
„Also ist es abgemacht. Ich hole dich nach dem Frühstück ab, ist dir zehn Uhr recht?"
Elizabeth nickte. „Wir wohnen im Inn at Lambton."
„Ok." Er überlegte. „Und... du hast den ganzen Tag zur Verfügung?" fragte er zögernd.
Elizabeth mußte grinsen, als sie seinen hoffnungsvollen Blick sah und nickte. Und die ganze Nacht, wenn es sein muß, dachte sie sehnsüchtig.
Williams Gedanken gingen unbestreitbar in die gleiche Richtung, aber da Madeline in ihre Nähe kam, um sich zu verabschieden, verzichtete er darauf, Elizabeth einen – natürlich nur ganz unschuldigen, freundschaftlichen – Kuß zu geben und drückte daher nur warm ihre Hände.
„Dann bis morgen, Liz."
„Bis morgen, William."
William brachte seine Besucher bis zum Portal und winkte zum Abschied. Er blickte ihnen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren und ging in bester Laune in sein Arbeitszimmer, um den Rest des Abends dafür zu nutzen, ein wenig liegengebliebene Arbeiten zu erledigen. Morgen hätte er für solche Dinge keine Zeit. Morgen kam Liz. Und er hatte einen ganzen Tag zur Verfügung, den er mit ihr verbringen konnte.
Madeline konnte sich auf dem Weg zurück gar nicht mehr beruhigen. Sie hatte – seit vielen Jahren mal wieder – Pemberley besucht und ganz überraschend eine Privatführung von William Darcy persönlich erhalten. Nicht nur das, er hatte sie sogar in seine „Privatgemächer" eingeladen. Natürlich war das alles Liz zu verdanken und ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, wie sehr sich der Herr von Pemberley zu ihrer Nichte hingezogen fühlte. Diese jedoch schien ein wenig zurückhaltend zu sein.
„Was für ein toller Mann, Lizzy! Kein bißchen arrogant oder unfreundlich, und wie süß er sich um Isabel gekümmert hat! Absolutes Ehemann/Daddy-Material!" Sie schüttelte immer noch ungläubig den Kopf.
Elizabeth nickte bloß. Sie dachte an den morgigen Tag. Sie war aufgeregt. Madeline wußte noch nichts davon.
„Du sagst gar nichts? Hast du dich nicht gefreut, ihn wiederzusehen? Er schien jedenfalls sehr erfreut zu sein!"
„Doch, natürlich. Maddy, er hat mich für morgen eingeladen. Er holt mich morgen früh ab."
Madeline wäre fast in den Graben gefahren. „Na, hab ichs mir doch gedacht!" grinste sie. „Er ist scharf auf dich. Los, erzähl, wie gut kennst du ihn schon? So etwas kommt doch nicht von einmal wiedersehen!"
Elizabeth zuckte die Achseln. „Wir hatten und haben nichts miteinander, falls du das meinst."
Madeline schien skeptisch. „Dann verstehe ich euer Verhältnis zueinander nicht. War er heimlich in dich verliebt in Meryton?"
„Es ist schwer zu erklären. Gib mir ein bißchen Zeit, ich weiß selbst nicht so genau, was ich will, geschweige denn, was William will."
Madeline kicherte. „Cool. Meine kleine Nichte wird vielleicht Herrin von Pemberley."
Elizabeth brummte etwas unverständliches, schüttelte den Kopf und gab sich dann wieder ganz ihren Gedanken hin.
Elizabeth verabschiedete sich früh von den Featherstones an diesem Abend. Sie wollte früh zu Bett gehen. Madeline trieb noch ihren sanften Spott mit ihr, aber sie meinte es nicht böse.
„Ich wünsch dir einen wunderschönen Tag morgen," sagte sie aufrichtig, als sie Elizabeth mit dem Auto vor dem Inn absetzte. „Ich habe irgendwie das Gefühl, als würde ich dich in den nächsten Tagen nicht mehr allzu oft zu Gesicht bekommen!"
„Unsinn," sagte Elizabeth und rieb sich müde über die Augen. „Ich werde morgen nacht in meinem eigenen Bett schlafen und in drei Tagen wie geplant mit dir und den Kindern nach Meryton zurückfahren."
„Und wenn er dich bittet, bei ihm zu bleiben?"
„Maddy, ich kann nicht einfach alles aufgeben und hierbleiben. Außerdem wird er das nicht fragen."
Madeline grinste nur und schwieg. Darauf hätte sie keine Wetten abschließen wollen! Sie küßte ihre Nichte auf die Wange und wünschte ihr nochmal einen schönen Tag, dann fuhr sie zurück zu ihren Eltern, wo sie auch heute übernachten würde.
Elizabeth ging sofort zu Bett. Sie freute sich auf morgen. William hätte wohl kaum vorgeschlagen, den ganzen Tag mit ihr zu verbringen, wenn er eine neue Freundin hätte, oder? Sie war müde und kuschelte sich tief in ihre weichen Decken. Wie männlich er heute ausgesehen hatte! Braungebrannt von seinem Karibikurlaub, leicht unrasiert und dann der graue, maßgeschneiderte Anzug… er hatte so maskulin, so selbstbewußt gewirkt. So dominant. Ein Mann, der seine Familie beschützen würde, wo es nur ging. Elizabeth wußte, er wirkte nicht nur so, er war es auch. Eine sehr seltene Gattung seiner Art. Sie war gespannt, wie der morgige Tag verlaufen würde.
William konnte nicht schlafen, er war viel zu aufgedreht. Nachdem Elizabeth und Madeline gegangen waren, hatte er seine restlichen Arbeiten erledigt, ein schnelles, aber etwas einsames Abendessen zu sich genommen, geduscht, und es sich nun im Bademantel mit einem Glas Rotwein vor dem Kamin in der Bibliothek gemütlich gemacht. Ein dienstbarer Geist hatte das Feuer bereits entfacht, wohlwissend, daß der Hausherr es liebte, an kühlen Abenden vor dem Kamin zu sitzen und zu lesen.
Heute konnte er sich jedoch nicht auf sein Buch konzentrieren. Was für ein verrückter Tag! Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen. Heute morgen war er mit mörderischen Kopfschmerzen aufgewacht, hatte diese mit Unmengen Aspirin bekämpft, traf die Vertreter der amerikanischen Firma, die sich einbildete, sie könne Darcy Consulting übernehmen, noch ein letztes Mal zu einem „Business Frühstück", um allerletzte Verhandlungen zu führen. Es war ein wichtiges Gespräch, es ging um die Zukunft seiner Firma, da war es egal, ob es Sonntag war. Er hatte es vorher schon strikt abgelehnt, seine Firma zu verkaufen, es gab keinen Grund dazu. Darcy Consulting stand gut da, ein gesundes Unternehmen ohne Skandale und mit gutem Ruf. Kein Wunder, daß sich andere Firmen sämtliche Finger danach leckten, aber nein, er hatte kein Interesse an einem Verkauf oder Zusammenschluß. Schon gar nicht an einer feindlichen Übernahme. Also opferte er den Sonntag, etwas verärgert darüber, daß er die kostbare Zeit nicht mit seinen Kindern verbringen konnte. Andererseits hatten sie gerade erst fünf Wochen Urlaub miteinander verbracht und irgendwann mußte er sich ja auch mal wieder um seine Geschäfte kümmern.
Am frühen nachmittag war er nach Pemberley geflogen. Die Kopfschmerzen hatten wieder angefangen und nach der Landung beschloß er, zuerst noch einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Und als Ziel kam natürlich nur der kleine Teich in Frage. Sein Lieblingsplatz im ganzen Park. Daß er dort Elizabeth vorfand, war eine wunderbare Überraschung und erschien ihm wie ein Wink des Schicksals.
Zunächst hatte er geglaubt, sein schmerzender Kopf spiele ihm einen Streich, aber sie war es wirklich, live und wahrhaftig. Sie war genauso erschrocken, ihn zu sehen wie er sie. Und kurze Zeit später genauso erfreut, so hatte er den Eindruck. Elizabeth. Er hatte sich vorgenommen, sie diese oder nächste Woche anzurufen, aber so war es natürlich viel besser. Und morgen würde er den ganzen Tag mit ihr verbringen. Mit ihr alleine. Ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Und wenn alles gut lief, würde sie die Nacht ebenfalls mit ihm verbringen. Wenn alles sehr, sehr gut lief, würde sie ihn niemals mehr verlassen.
William schüttelte über sich selbst den Kopf. Das war momentan reine Zukunftsmusik. Er durfte sie zu nichts drängen, das wußte er. Aber sie war hier, und er hatte alle Chancen. Er mußte es nur geschickt anstellen.
Das Buch lag vergessen auf dem kleinen Beistelltisch neben seinem großen Lesesessel – er gab sich viel lieber seinen Fantasien hin. Er sah Elizabeth in Pemberley, mit den Kindern im Park spielend, mit Mrs. Reynolds Kuchen backend, vor dem Kamin liegend und konzentriert ein Buch lesend, in seinem Bett, in seinen Armen kuschelnd, mit deutlich sichtbarem Bauch am Seerosenteich sitzend, mit einem Neugeborenen im Arm. Oh ja, es waren schöne Träume, keine Frage. Und, wenn er es recht überlegte, gar nicht mal so abwegig, oder? Gegen Mitternacht fielen ihm schließlich die Augen zu und er kroch müde in sein Bett. Nur noch wenige Stunden, und er würde sie wiedersehen.
Elizabeth war pünktlich um zehn Uhr fertig und wartete in dem kleinen Foyer des Inn auf William. Sein Erscheinen einen Augenblick später löste einen kleinen Aufruhr bei den Beschäftigten des kleinen Betriebs aus, bei den vier weiblichen Beschäftigten, um genau zu sein, sehr zu Elizabeths Amüsement. Die Damen hielten kollektiv die Luft an, als William ihnen freundlich zulächelte, auf Elizabeth zuging und sie mit einem sanften Kuß auf die Wange begrüßte.
„Hallo, Liz," sagte er leise und seine Augen leuchteten auf.
„Guten Morgen, William." Elizabeths Blicke wanderten neugierig an seinem Körper hinab. Heute war er nicht im Businessdress erschienen, sondern ganz leger in Jeans, dickem Shetlandpullover und Lederjacke, dazu hellbraunen Wildlederschuhen. Sein Anblick lud zum Kuscheln regelrecht ein, aber das mußte warten.
Sie schauten sich einen Moment an, dann wurde ihnen bewußt, daß sie den – betont unbeteiligt dreinschauenden – Angestellten eine kostenlose Vorstellung boten und gingen verlegen grinsend nach draußen. Acht Augenpaare starrten ihnen sehnsüchtig hinterher.
William öffnete Elizabeth die Tür seines Jaguars und nahm hinter dem Steuer platz.
„Hast du bestimmte Wünsche oder willst du dich überraschen lassen?"fragte William, bevor er den Motor startete.
„Hast du denn ein komplettes Tagesprogramm aufgestellt?" neckte Elizabeth. „Vielleicht bist du ja froh, wenn du mich nach einer Stunde wieder hier abliefern kannst."
„Kann ich mir nicht vorstellen, Liz." Er warf ihr einen liebevollen Blick zu. „Es sei denn, du erträgst meine Anwesenheit nicht länger."
„Das kann ich mir wiederum nicht vorstellen!" lachte Liz.
William hatte sich in der Tat eine Menge Gedanken darüber gemacht, was sie machen konnten. Natürlich hätte er es sich einfach machen und sie nach Pemberley mitnehmen können, aber das wäre zu einfallslos gewesen. Je nachdem, wie der Tag verlaufen würde, könnten sie vielleicht den Abend dort verbringen – an die kommende Nacht wollte er gar nicht erst denken. So wie er Elizabeth einschätzte, bevorzugte sie Natur, draußen an der Luft sein, vielleicht einen kleinen Bummel durch malerische Dörfchen, irgendwo in einem idyllischen Pub nett mittagessen. Das Wetter war ideal für solche Aktivitäten und ein kurzer, beifälliger Blick auf ihre Kleidung hatte ihm verraten, daß sie dafür auch perfekt angezogen war, obwohl sie sich vorher nicht abgesprochen hatten. Caroline wäre mit Hosenanzug und Schuhen, die man auch als Waffe hätte benutzen können gekommen und sich vielleicht widerwillig bereiterklärt, einen kleinen Stadtbummel durch Manchester zu machen, der mit einem Kaufrausch (auf seine Kosten) geendet hätte. Aber er wollte nicht an seine Exfrau denken, dieses Kapitel war für ihn endgültig und unwiderruflich abgeschlossen. Außerdem hatte er etwas wesentlich angenehmeres vor.
„Also willst du den Überraschungstag?" fragte er vorsichtshalber nochmal nach und Elizabeth nickte. „Ich bin sicher, du hast ein aufregendes Programm geplant."
William schenkte ihr einen Blick, der ihren Magen Salto schlagen ließ. „Wie aufregend es wird, bestimmst allein du, Liz," murmelte er und es ging los. Elizabeths Herz klopfte unnatürlich laut, aber sie sagte nichts.
Sie legten die ersten paar Kilometer in freundschaftlichem Schweigen zurück. William hatte zwar ein paar Ideen im Hinterkopf, aber kein „strenges" Programm im Sinn. Zuerst fuhren sie nach Bakewell, einem kleinen Ort ganz in der Nähe. Ein bißchen durch den Ort bummeln, irgendwo zu Mittag essen. Wenn das Wetter mitspielte, konnten sie später noch ein bißchen durch den Nationalpark wandern, William wußte, wie sehr Elizabeth lange Spaziergänge liebte und ihm selbst würde ein bißchen Bewegung ganz sicher nicht schaden.
Elizabeth war sehr angetan von dem kleinen Städtchen. Mit Madeline war sie zwar schon einmal durchgefahren, aber sie hatten sich nicht die Zeit genommen, den Ort selbst zu besichtigen. William parkte in der Nähe der alten Brücke, die über den Wye führte und sie spazierten langsam in den Ort hinein.
William lächelte über Elizabeths schnell zu weckende Begeisterung, als sie die kleinen Läden sah, an denen sie überall anhalten und in die Schaufenster gucken mußte. Als sie einen Buchladen mit überwiegend antiquarischen Büchern entdeckte, zog sie ihn kurzerhand mit sich hinein. William leistete keine Gegenwehr.
Elizabeth liebte Bücher über alles. Sie hoffte, William würde ihr erlauben, seine gewaltige Bibliothek in Pemberley zu besichtigen, sie hatte schon so viel davon gehört. Aber noch viel mehr Spaß machte das Bücherkaufen. Sie war immer auf der Suche nach schönen, alten Ausgaben der englischen Klassiker und dieser Laden hier war eine wahre Fundgrube. Mit großen Augen ging sie an den vollgestopften Regalen entlang und zog mal hier, mal da eines der Werke hervor. Eine wunderschöne Charles Dickens Ausgabe von David Copperfield erregte ihr Interesse.
„Schau mal, William! Ist das nicht ein Prachtstück?"
William trat neben sie und nahm ihr das Buch aus der Hand. Mit Kennerblick blätterte er behutsam die Seiten um und nickte. „Du sammelst?"
„Nun ja, ich gönne mir ab und zu ein selteneres Stück. Schau dir mal die Illustrationen an!"
Elizabeth war sehr von dem Band angetan. Der Preis war hoch, aber jeden Cent wert, wie sie fand. William nickte noch einmal bestätigend. „In der Tat wunderschön. Du hast ein gutes Auge. Hast du sonst noch etwas gefunden?"
„Nein, das sprengt auch mein Budget," lachte Elizabeth.
„Ich möchte dir gerne die Bibliothek von Pemberley zeigen, Liz. Würde dich das interessieren? Natürlich nicht jetzt sofort, aber vielleicht heute abend?"
„Sehr gerne, William."
Sie ließen das Buch einpacken, Elizabeth zahlte und sie verstaute das gute Stück sicher in ihrem kleinen Rucksack. Weiter liefen sie durch die engen Straßen und nach einigen hundert Metern griff Elizabeth spontan nach Williams Hand, blinzelte ihm fröhlich zu und so gingen sie weiter, sehr zu Williams Entzücken. Er ließ sie nicht los, auch wenn sie sich vor jedem zweiten Schaufenster die Nase plattdrückte und ihn in jeden dritten Laden zerrte. Meist schaute sie sich dort nur um, aber ihre kindliche Begeisterung für den – meist unnützen – Krimskrams rührte Williams Herz. In einem Souvenirladen entdeckte sie Ansichtskarten von Pemberley und kaufte eine.
„Wie cool, von meinem Haus gibt es keine Postkarten," kicherte sie und William versicherte ihr ernsthaft, daß ihr Haus mindestens genauso fotogen sei und es wahrlich eine Schande sei, davon keine Ansichtskarten herzustellen. Es war schon ein komisches Gefühl für Elizabeth, den Hausherrn eines solch illustren Anwesens persönlich zu kennen.
Sie besuchten am Ende noch den berühmten Puddingshop, Elizabeth erstand einige der Leckereien für Madeline und die Kinder, dazu etwas für William und immer noch Hand in Hand gingen sie in Richtung Auto zurück.
„Hast du Hunger, Liebes?" fragte er und bemerkte gar nicht, wie vertraulich er sie gerade angesprochen hatte. Sie war ihm mittlerweile so vertraut und es erschien ihm so richtig. Es war, als würden sie schon immer zusammengehören. Elizabeth errötete zart, aber sie sprach ihn nicht darauf an. Es hörte sich sehr schön an, fand sie und wünschte, er würde es noch einmal sagen.
„Ein bißchen."
„Ich kenne ein kleines, sehr idyllisches Pub etwas außerhalb der Stadt. Was hältst du von einer zünftigen Portion Fish and Chips?"
„Klingt gut!"
„Ok."
Das Pub war in der Tat sehr hübsch gelegen. Es hatte den seltsamen Namen „The Angry Cheese", aber William hatte nicht zuviel versprochen, der Fisch war wirklich gut und die Portionen gewaltig. Elizabeth verfütterte ihr letztes Kartoffelstäbchen an William, schob dann ihren Teller zur Seite und stöhnte.
„Puh, ich kann nicht mehr!"
„Wie, kein Platz mehr für Nachtisch?" neckte William und lehnte sich bequem zurück. Er schaute sie belustigt an, als sie so tat, als müsse sie würgen.
„Nein, vielen Dank. Ich werde bis zum Ende der Woche nichts mehr essen."
„Das will ich sehen," grinste er. „Wie wäre es dann mit einem kleinen Spaziergang? Direkt hier hinterm Haus beginnt ein kleiner Wanderweg zu einem See."
„Sehr gerne. Das gute Essen im Inn, die Mörderportionen hier… ich werde noch zur Tonne, wenn ich noch weiter hier bleibe!" brummte Elizabeth und William lachte. Sie bestellten noch einen Kaffee zum Abschluß und machten sich dann auf den Weg, ein paar Kalorien abzubauen.
Elizabeth griff wieder nach Williams Hand, als sie den schmalen Pfad entlanggingen und machte ihn sehr glücklich damit. Nach einigen Metern, der Pfad war in der Tat sehr schmal und fast sogar zu schmal, um nebeneinander zu gehen, löste er den Griff jedoch wieder. Bevor Elizabeth ihn fragend anschauen konnte, hatte er seinen Arm um ihre Schulter gelegt und ging weiter. Elizabeth lächelte und schob ihrerseits ihren Arm unter der Jacke hindurch um seine Hüfte. So eng aneinandergeschmiegt liefen sie langsam den Weg zum See hinunter und jeder fühlte sich sehr wohl in der Gesellschaft des anderen.
„Wie geht es Maggie und Tim?" fragte Elizabeth nach einer Weile.
„Sehr gut. Die beiden hatten eine Menge Spaß am Strand, glaube ich. Das sie zurück ins kalte, englische Wetter mußten, hat ihnen nicht so gut gefallen. Sie wären am liebsten dort geblieben."
Elizabeth lachte. „Und wann kommen sie nach Pemberley zurück?"
„Ich werde sie am Freitag in London abholen. Momentan sind sie mit ihrem Kindermädchen noch in der Stadt."
Aha, das berühmt-berüchtigte Kindermädchen, dachte Elizabeth ein wenig unbehaglich.
„Kindermädchen?" fragte sie unschuldig, aber ihr Herz klopfte bis zum Hals.
„Ja, eine Mrs. Northam. Ich hatte sie gleich nach der Scheidung eingestellt, da ich mich nicht Vollzeit um die Kinder kümmern kann, aber auch nicht lange von ihnen getrennt sein will. Sie war auch mit uns im Urlaub, da Mrs. Reynolds ziemliche Flugangst hat und auch das Klima und die ganze Hitze nicht so gut verträgt. Außerdem fürchte ich, daß es ihr auf Dauer zuviel wird, vor allem jetzt, wo wir wieder in Pemberley wohnen."
„Dann kommt sie auch mit nach Pemberley?" wollte Elizabeth wissen.
„Ja, zumindest temporär. Ich muß mir auch bald Gedanken machen, was Tims Schulbildung angeht." Er seufzte nachdenklich. „Ich habe immer das Gefühl, daß ich zu wenig Zeit für die beiden habe. Aber mit Mrs. Northam scheinen sie Gott sei Dank gut auszukommen."
Elizabeth fragte sich, ob sie diese Dame irgendwann kennenlernen würde. Sie hätte gerne noch mehr über sie erfahren, wußte aber nicht so recht, wie sie William ausquetschen sollte, ohne zuviel Interesse an der Frau zu verraten.
Aber William kam ihr zuvor und erzählte ihr von sich aus etwas über seine neue Angestellte.
„Mrs. Northam ist verwitwet, aber sie hat keine eigenen Kinder. Sie war wohl einmal schwanger, hat das Kind aber verloren. Und jetzt, wo ihr Mann tot ist, hat sie finanzielle Probleme und kann jeden Shilling gebrauchen. Sie ist übrigens gebürtige Deutsche, ihr Mann war Engländer."
Elizabeth tat die Frau leid. Sicher war sie schon älter und ihre Rente reichte hinten und vorne nicht. Und William hatte ein gutes Herz und verschaffte ihr einen kleinen Nebenerwerb, nahm sie sogar mit in die Karibik! Soviel zu Charles Bingley und seinen Gerüchten über eine neue Frau an Williams Seite...
Kurze Zeit später kamen sie am See an. Als sie am Ufer stehenblieben, stellte sich William hinter Elizabeth und legte seine Arme um sie. Elizabeth lehnte sich an seine Brust und schloß die Augen. Es war ein so schönes Gefühl und sie fühlte sich wohl und geborgen in Williams Nähe. Sie waren ganz alleine hier draußen, keine Menschenseele war zu sehen – kein Wunder, die Sommersaison war definitiv vorbei, es war Montag und anständige Menschen arbeiteten um diese Zeit. Nur ein paar faule Enten saßen am Uferrand und schliefen. Ohne daß sie es bemerkt hatten, waren Wolken aufgezogen und der Wind hatte aufgefrischt. Elizabeth fröstelte.
„Ist dir kalt, Liebes?" murmelte William und drehte sie zu sich um. Da, er hatte es schon wieder gesagt! Seine Hände fuhren langsam über ihren Rücken, dann zog er sie an sich, hob mit dem Zeigefinger ihr Gesicht ein wenig an und küßte sie. Langsam und sanft. Die Schauer, die Elizabeth nun über den Rücken liefen, hatten mit der Kälte nichts mehr zu tun.
William lächelte, aber ließ sie nicht los. „Hey, du zitterst ja regelrecht. Laß uns gehen, bevor du dir den Tod holst." Elizabeth nickte schweigend. Sie wußte nicht, was sie mehr zum Zittern brachte, Williams Nähe oder der kalte Wind.
Mit dem Rückweg beeilten sie sich etwas mehr und durch die Anstrengung wurde es Elizabeth auch etwas wärmer.
„Was hältst du von einem schönen, heißen Kaffee und frischgebackenen Waffeln in Pemberley?" fragte William, als sie – nun doch beide ziemlich durchgefroren – am Auto ankamen. „Und anschließend zeige ich dir die Bibliothek."
„Hört sich ziemlich verlockend an," meinte Elizabeth, die immer noch ein wenig innerlich zu beben schien. William öffnete ihr die Tür. Er hatte das unbestimmte, aber sehr angenehme Gefühl, daß es heute nicht nur bei Kaffee und Waffeln bleiben würde.
Vom Auto aus rief er Mrs. Reynolds an um sie darum zu bitten, Waffeln für ihn und seinen Gast bei Mrs. Sherwood, der Köchin und Mrs. Reynolds' Schwester, zu bestellen, was Elizabeth amüsiert den Kopf schütteln ließ. Was für ein Leben, wenn man das nötige Kleingeld und das passende Personal zur Verfügung hatte!
Sie waren kaum losgefahren, als der Himmel auch schon seine Schleusen öffnete und der Regen mit Macht auf sie herniederprasselte. Von einem Moment auf den andern verwandelte sich die Welt um sie herum in eine trübe, nasse, kalte und sehr windige Herbstlandschaft und sie wollten nichts weiter, als endlich im Trockenen sitzen und Kaffee zu trinken. Eine halbe Stunde später parkte William seinen Wagen vor dem großen Portal Pemberleys, aber selbst der relativ kurze Weg vom Auto ins Haus genügte, um sie komplett durchzuweichen. Da half auch Williams Jacke nichts mehr, die er – ziemlich erfolglos – über ihren Köpfen ausgebreitet hatte. Engumschlungen und giggelnd spurteten sie die Treppe hinauf und wurden von Mrs. Reynolds in Empfang genommen, die sich nur mühsam ein Schmunzeln verkneifen konnte. „Master William, warum haben sie nicht Bescheid gesagt, ich hätte ihnen einen großen Schirm herausgebracht! Schauen sie nur, wie nass sie sind! Und sie tropfen alles voll!" Sie schüttelte mißbilligend den Kopf. „Und sie auch, Miss Elizabeth! Kommen sie, bevor sie sich den Tod holen, ich hole ihnen trockene Sachen. Am besten, ich zeige ihnen eines der Gästezimmer, da können sie sich in Ruhe umziehen."
William nickte Elizabeth zu. „Mrs. Reynolds hat recht. Ich warte dann in der Bibliothek auf dich."
Mrs. Reynolds führte Elizabeth in ein hübsches, luftiges Gästezimmer im ersten Stock. Elizabeth fragte sich, wieviele Gäste Pemberley wohl zur gleichen Zeit aufnehmen konnte. Was mußte es kosten, solch ein Anwesen zu unterhalten, zu heizen und sauberzuhalten! Und William und seine Kinder waren die einzigen Bewohner, von ein paar Bediensteten einmal abgesehen. Wahnsinn.
„Ich komme gleich mit trockenen Sachen wieder, Miss Elizabeth. Handtücher finden sie im Badezimmer." Sie deutete auf eine Tür, die an das Zimmer angrenzte. „Vielleicht möchten sie vorher ein Bad nehmen, um sich ein bißchen aufzuwärmen?"
Elizabeth schüttelte den Kopf. „Danke, ich glaube, ein Handtuch genügt."
Mrs. Reynolds zog leise die Tür hinter sich zu und erschien wenige Augenblicke später wieder mit zwei Sweatshirts und zwei Jogginghosen. Sie runzelte die Stirn, als sie eines der Shirts musterte.
„Das hier gehört Miss Georgiana, aber ich fürchte, es wird ihnen nicht richtig passen. Miss Georgie ist noch viel zierlicher als sie, es ist kaum zu glauben, wo sie doch schon so schmal sind. Aber ich fürchte, es wird ihnen oben etwas zu eng sein." Sie hielt als nächstes die Jogginghose vor sich und schüttelte wieder den Kopf. „Und die wird ihnen vielleicht grade mal zu den Knien gehen."
Sie ließ beides auf das Bett fallen und lächelte entschuldigend, als sie ihr die beiden anderen Teile zeigte.
„Das ist Master Williams Shirt und Jogginghose." Sie schmunzelte. „Sie werden vermutlich zweimal reinpassen, aber es ist etwas bequemer als Miss Georgies, denke ich. Es tut mir leid, aber etwas anderes kann ich leider nicht anbieten."
„Das genügt voll und ganz, Mrs. Reynolds," beruhigte sie Elizabeth. „Ich werde perfekt reinpassen, denke ich. Vielen Dank."
Sie zog sich schnell aus, trocknete ihre nassen Haare, so gut es ging und mußte lachen, als sie sich im Spiegel sah. Die Ärmel des Sweatshirts waren viel zu lang, genauso wie die Hosenbeine. Sie krempelte alles hoch und fand, daß sie wie ein Clown aussah in viel zu großen Klamotten. Glücklicherweise waren ihre Socken halbwegs trockengeblieben, und so schlüpfte sie ohne Schuhe leise aus ihrem Zimmer und machte sich auf die Suche nach der Bibliothek. Sie vermutete, daß sie im Erdgeschoß angesiedelt war, nein, sie hoffte es. Ansonsten konnte es passieren, daß sie sich in diesem riesigen Gebäude hoffnungslos verlaufen würde. Im Erdgeschoß wären Menschen, die sie zur Not fragen konnte. Zu ihrem Glück traf sie unten an der Treppe wieder auf Mrs. Reynolds, die bei ihrem Anblick lächelte, aber sofort wieder ernst wurde.
„Master William erwartet sie in der Bibliothek, Miss Elizabeth. Ich bringe sie hin."
Elizabeth dankte ihr und sie gingen eine ziemlich lange Strecke, vorbei an geschlossenen, dunklen Türen, bis Mrs. Reynolds endlich stehenblieb und anklopfte. Auf Williams leises „herein" öffnete sie die Tür und ließ Elizabeth eintreten.
Elizabeth fühlte sich sofort um zweihundert Jahre zurückversetzt. Der Raum war riesig und nur dezent beleuchtet. Sämtliche Wände waren bis zur Decke mit Regalen zugestellt, tausende von Büchern hatten hier eine Heimat gefunden, teilweise sicher schon seit sehr, sehr langer Zeit, so wie die ledergebundenen, goldbeschrifteten Rücken einiger Exemplare aussahen. An einigen Regalen lehnten hohe Leitern, die zusätzlich mit kleinen Lampen ausgestattet waren. In der Mitte des Raums befand sich ein großer, stabiler Tisch, den man zur Ablage oder zum Arbeiten benutzen konnte. In einer Ecke gab es eine bequem aussehende Couch mit passendem Tisch sowie zwei Polstersesseln. Ein paar hier und da verstreute Antiquitäten lockerten das strenge Gesamtbild etwas auf.
Elizabeth blickte sich staunend um. Es war in der Tat ein beeindruckender Raum. Fast erwartete sie, daß der Hausherr im eleganten Zwirn am Kamin stehen würde, ein Glas Weinbrand in der Hand.
Nun ja, fast. William saß in einem der beiden großen Ledersessel vor dem offenen Kamin, in dem ein behagliches Feuer brannte, und las die Tageszeitung. Als Elizabeth eintrat, stand er auf, legte die Zeitung weg, nahm seine Lesebrille ab und trat zu ihr. Er trug allerdings keinen „feinen Zwirn", sondern Jeans und einen naturfarbenen Wollpullover und Brandy trank er auch nicht.
Elizabeth schaute ihn aufmerksam an. Sie hatte ihn noch nie mit Brille gesehen und fand, daß er sehr attraktiv damit wirkte. Noch attraktiver – ging das überhaupt? grinste sie innerlich.
William lächelte, als er sie in seinen – viel zu großen – Sportklamotten sah. „Steht dir ausgezeichnet," murmelte er und führte sie zu der Couch, wo bereits heißer Kaffee und die versprochenen Waffeln bereitstanden. Es duftete köstlich und sie verspeisten das zarte Gebäck in Rekordzeit.
Sie hatten ihren kleinen Imbiß gerade eben beendet, als Elizabeths Mobiltelefon klingelte. Es war Jane.
