Elizabeth konnte kaum schlafen in dieser Nacht. Sie war so voller Vorfreude, daß sie am liebsten sofort losgefahren wäre. Aber sie zwang sich zu ein paar Stunden Schlaf und machte sich schließlich um neun Uhr auf den Weg in den Norden.
Die Straßen waren während der ersten Stunden ihrer Fahrt frei und gut zu befahren, auch der Verkehr hielt sich in Grenzen. Elizabeth summte fröhlich vor sich hin und malte sich bereits aus, wie es sein würde, endlich wieder in Williams Armen zu liegen. Nach etwa einer Stunde machte sie eine kurze Pause und rief ihn an um ihm mitzuteilen, daß sie auf dem Weg nach Pemberley war. Etwa 250 km mußte sie insgesamt zurücklegen, 100 davon hatte sie fast geschafft. William teilte ihr etwas besorgt mit, daß über Nacht im Norden viel Schnee gefallen war und sie bloß vorsichtig sein sollte. Elizabeth versprach es und düste weiter.
Sie kam ganz gut durch, nur am Ende, als sie Derbyshire erreichte, mußte sie ein bißchen langsamer fahren, da auf den Straßen wirklich viel Schnee lag und keine Räumfahrzeuge unterwegs waren. Es war gerade kurz nach zwölf Uhr, als sie die Tore Pemberleys passierte und auf den privaten Weg zum Haus einbog. Der Pförtner war über ihr Kommen informiert und ließ sie anstandslos ein.
Elizabeth fuhr auf den ihr zugewiesenen Parkplatz hinter dem Haus, stieg aus und bekam zunächst vor Staunen den Mund gar nicht mehr zu. War Pemberley schon bei normalem Wetter beeindruckend, so wirkte es im Schnee geradezu majestätisch, fast wie aus dem Märchen. Der Park, das ganze Gebäude waren tief verschneit und das Stück des Parks, das von hier aus zu sehen war, war einfach atemberaubend. Die Bäume brachen unter der Schneelast fast zusammen, der See war an den Rändern zugefroren. Elizabeth hoffte, sie könnten zum Teich hinauslaufen, der mit Sicherheit zugefroren war. William hatte ihr erzählt, daß sie in besonders kalten Wintern dort eisliefen. Sie erwartete jeden Moment, daß eine Kutsche – oder alternativ ein Pferdeschlitten – vorfuhr und den Prinzen abholte.
Den Prinzen, oder vielmehr den Hausherrn, sah sie jedoch nicht. Aber hinter dem Haus hörte sie Stimmen, die näherzukommen schienen. Kinderstimmen, zwischendurch Gelächter, eine Frauenstimme. Elizabeth drehte sich um und sah Maggie und Tim in Begleitung einer Frau auf das Haus zugehen. Tim erkannte Elizabeth und rannte auf sie zu, blieb aber dann doch ziemlich schüchtern vor ihr stehen – offenbar aus Angst vor seiner eigenen Courage. Elizabeth lächelte und kniete sich zu ihm hinunter.
„Hallo, Tim! Wie geht es dir? Wir haben uns ziemlich lange nicht gesehen, nicht wahr?"
Tim nickte. Seine Wangen waren vor Kälte gerötet und seine Augen, denen seines Vaters so ähnlich, glänzten. „Hallo Lizzy. Bleibst du jetzt bei uns?"
„Nun ja, zumindest ein paar Tage, denke ich."
Der Junge lächelte und griff vertrauensvoll nach ihrer Hand. Er hatte schon in Meryton eine große Zuneigung zu Elizabeth gefaßt, auch wenn er immer ein wenig schüchtern war in ihrer Gegenwart. Elizabeth lächelte zurück, drückte seine Hand und wandte sich dann der Frau zu, die Maggie auf dem Arm hatte.
Elizabeth zwinkerte Maggie zu und begrüßte dann die ihr fremde Frau. „Guten Tag, ich bin Elizabeth Bennet," sie streckte die Hand aus und lächelte die Dame freundlich an.
„Katrin Northam," erwiderte die Frau und schüttelte ihre Hand. „Ich kümmere mich um die beiden Süßen hier." Sie sah Williams Kinder zärtlich an und drückte Maggie an sich.
Elizabeth starrte Mrs. Northam verblüfft an. Das war die Witwe, die jeden Shilling umdrehen mußte, da ihre Rente nicht ausreichte? Die Frau, die ihr gegenüberstand und sie erwartungsvoll ansah, war nur geringfügig älter als sie selbst, sehr blond, sehr blauäugig, sehr hübsch.
Elizabeth riß sich zusammen. Puh! Kein Wunder, daß Charles behauptet hatte, William hatte eine neue Freundin. Und wer wußte schon, was zwischen den beiden in der Karibik vorgefallen war! Mrs. Northam war ebenso braungebrannt wie William – mit Sicherheit war nicht nur ihr Gesicht gebräunt! Und genauso wenig hatte sie sich während des Urlaubs an einem anderen Strand gesonnt als William. Oh ja, Elizabeth konnte sich sehr gut vorstellen, was sich unter dem dicken Wintermantel verbarg. Aber konnte sie es William übelnehmen, wenn er nicht nur an die Kinder dachte bei der Auswahl ihres Kindermädchens? Hatte sie sein Bett gewärmt im Urlaub? Oder auch später noch? In Pemberley? Oder London?
„William hat sie angekündigt," fuhr Mrs. Northam fort. „Ich soll ihnen ausrichten, daß er für den Rest des Nachmittags in Telefonkonferenzen ist und nicht gestört werden möchte. Aber er hat mich gebeten, ihnen schon mal ihr Zimmer zeigen."
Elizabeth runzelte die Stirn. Sie nannte ihren Arbeitgeber ganz vertraulich beim Vornamen? Und wieso hatte ihr William nicht gesagt, daß er arbeiten mußte? Am Telefon hatte es sich angehört, als könne er es gar nicht erwarten, sie zu sehen!
Sie nickte bloß etwas verwirrt und folgte Mrs. Northam ins Haus, Tim immer noch an der Hand haltend.
Elizabeth wunderte sich, daß Mrs. Reynolds nicht zu sehen war.
„Oh, sie hat ein paar Tage freigenommen. Ich vertrete sie solange," informierte sie das Kindermädchen auf ihre Frage hin und ging ihr voraus zu den Gästezimmern im ersten Stock. Aber anstatt sie zu den Räumen auf der Südseite zu führen, die sie von ihrem letzten Aufenthalt her kannte, bog sie einen anderen Gang ein und machte schließlich am Ende des Korridors halt. Sie öffnete die letzte Tür des Ganges und ließ Elizabeth eintreten.
Elizabeth sah sich erstaunt um. Sollte das wirklich ihr Zimmer sein? Sie verstand, daß sie „der lieben Ordnung und Schicklichkeit halber" ein Gästezimmer bezog, auch wenn sie die Nächte im Endeffekt sowieso mit William verbringen würde, kein Thema. Aber wieso hier, am entgegengesetzten Ende der Familienschlafzimmer? William und die Kinder hatten ihre privaten Räume auf der Südseite, sonnige, luftige und große Zimmer. Ihr letztes Gästezimmer war ebenfalls dort gewesen. Dieser Raum hier war klein und eiskalt. Es mußte lange her sein, daß hier mal richtig renoviert worden war, alles schien eher aus der Nachkriegszeit zu stammen. Das Zimmer hatte, im Gegensatz zu den Südzimmern, kein eigenes Bad. Ein schmales Bett stand im Raum, ein kleiner Schrank sowie ein abgenutzter Sessel. Es war so dunkel hier, daß sie fast nichts sehen konnte, ohne das Licht einzuschalten. Es gab auch nur eine Deckenbeleuchtung, die so antiquiert war, daß sie nur trübes Licht spendete, und keine Nachttischlampe. Aber einen Nachttisch gab es ja schließlich auch nicht.
„Sind sie sicher, daß das mein Zimmer ist?" fragte sie Mrs. Northam.
„Oh ja, William hat es mir so gesagt."
Elizabeth schaute sich nach einer Heizung um und wurde fündig. Als sie das altertümliche Thermostat ein wenig hochdrehte, sprang sie mit großem Getöse an und rumpelte eine zeitlang vor sich hin. Es würde ewig dauern, bis das Zimmer warm wurde, vermutete Elizabeth.
„Ich lasse ihr Gepäck und einen kleinen Imbiß nach oben bringen, Miss Bennet," sagte das Kindermädchen und scheuchte Tim nach draußen.
„Können sie Mr. Darcy bitte Bescheid geben, daß ich da bin?"
„Er wünscht keinerlei Störungen im Augenblick, Miss," erwiderte Mrs. Northam in etwas pikiertem Ton und ließ Elizabeth alleine.
Elizabeth schüttelte sprachlos den Kopf und ließ sich auf das Bett fallen. Es gab sehr schnell nach und sie seufzte. Ausgeleierte Matratze...bäh! Und die Bettwäsche roch nach Mottenkugeln. Aus welchem Jahrhundert stammte die bloß? Sie hoffte, war sich aber nun gar nicht mehr so sicher, daß sie die Nächte in Williams Schlafzimmer verbringen würde. So hatte sie sich ihre Ankunft auf Pemberley ganz sicher nicht vorgestellt. William hatte keine Zeit für sie, das Zimmer war eisig und ungemütlich, Mrs. Reynolds war nicht da und das Kindermädchen behagte ihr überhaupt nicht. Wenn diese Mrs. Northam William die Nächte versüßte, für was hatte er sie dann eingeladen? Hatte er sie deshalb so weit wie möglich von sich entfernt einquartieren lassen?
Elizabeth erhob sich aus den Tiefen des Bettes und machte sich auf die Suche nach einem Badezimmer. Ihr voriges Gästezimmer hatte den Luxus eines eigenen Bades gehabt. Sie fröstelte, als sie auf den Gang trat, auch hier war es kalt und offenbar wurde nicht oder nur soviel geheizt, daß die Leitungen nicht gänzlich einfroren. Das ganze Gebäude warmzuhalten mußte allein ein Vermögen kosten! Sie fragte sich, welchen Grund William wohl hatte, sie hier unterzubringen? Wirklich wegen Mrs. Northam?
Fünf Türen weiter entdeckte sie endlich ein Badezimmer mit Toilette. Handtücher gab es nicht, das merkte sie aber erst, als sie sich die Hände gewaschen hatte. Mit eiskaltem Wasser, wohlgemerkt.
Elizabeth wäre am liebsten sofort wieder abgereist. Sie kam sich überaus unwillkommen und unerwünscht vor. Ob sie William überhaupt zu Gesicht bekommen würde? Große Sehnsucht schien er jedenfalls nicht nach ihr zu haben.
Als sie ihr kaltes Zimmer wieder betrat – die Heizung war kein Grad wärmer geworden – stand ihr kleiner Koffer neben dem Bett und auf einem Servierwagen befand sich ein Teller mit Sandwiches und ein Glas Orangensaft. Einen Tisch gab es in diesem Zimmer nicht.
Elizabeth überlegte noch, ob sie wieder abreisen sollte, dann jedoch siegte zunächst ihr Hunger und sie verspeiste die Sandwiches.
Danach beschloß sie, erst einmal nach unten zu gehen. Vielleicht würde ihr ja William über den Weg laufen.
William Darcy saß in seinem Arbeitszimmer und war in die Tageszeitung vertieft. Er schaute auf die Uhr – kurz nach eins. Elizabeth müßte jeden Augenblick hier auftauchen, sofern es die Straßenverhältnisse zuließen. Er war ein wenig besorgt über den Zustand der Straßen, da es doch sehr stark geschneit hatte heute nacht und die Straßen hier oben wurden nicht eben besonders bevorzugt geräumt. Hoffentlich kam sie gut durch!
William hatte Mrs. Northam Anweisung gegeben, ihn sofort zu informieren, sobald Elizabeth da war. Er faltete die Zeitung sorgfältig zusammen, legte sie auf den Tisch und trat ans Fenster. Wie märchenhaft es draußen aussah! Heute früh war er bereits mit seinem Verwalter am Teich gewesen und sie hatten überprüft, ob das Eis zum Schlittschuhlaufen halten würde. Mr. Elliot war jedoch skeptisch gewesen und ihm geraten, lieber noch ein paar Tage abzuwarten. Würde es so winterlich kalt bleiben, sprach nichts gegen Eislaufen.
William hatte jedoch noch eine Überraschung für Elizabeth parat. Er hatte in einer der Scheunen den alten Pferdeschlitten entdeckt, ihn herausholen und komplett neu aufbereiten lassen. Er strahlte jetzt in neuem Glanz mit frischgepolsterten, weichen Sitzen, neuen Kufen und sogar die alten Pferdegeschirre mit den kleinen Glöckchen waren noch vorhanden und sahen nun wieder aus wie aus dem Laden. Dicke, warme Decken mit Fellbesatz waren besorgt worden – darunter ließ sich trefflich kuscheln! William stand ganz in Gedanken versunken am Fenster und malte sich in den schönsten Farben aus, was sie alles unternehmen würden, solange Elizabeth hier wäre. Und vielleicht, nur vielleicht, konnte er sie am Ende überreden, für immer zu ihm zu ziehen. Als seine Frau.
Gegen vierzehn Uhr wurde er langsam ungeduldig. Aber die Straßen waren wirklich voller Schnee, Mr. Elliot hatte es ihm bestätigt. Und er selbst hatte Elizabeth gebeten, sich nicht zu hetzen und lieber etwas später, aber dafür sicher hier anzukommen. Vielleicht hatte sie noch eine Pause gemacht, oder sie war gezwungen, langsam zu fahren. Es war noch keine Uhrzeit, sich Gedanken zu machen.
Um halb drei rief ihn ein wichtiger Kunde an und hielt ihn fast eine Stunde am Telefon fest. Er durfte ihn nicht verärgern und zwang sich zur Geduld, beantwortete seine Fragen so höflich wie es ging und atmete auf, als er endlich auflegen konnte.
Um vier war Elizabeth immer noch nicht eingetroffen. William machte sich nun ernsthafte Sorgen. Er wählte mehrfach die Nummer ihres Mobiltelefons und es klingelte und klingelte und klingelte. Elizabeth ging nicht dran. Er hatte gerade entschieden, sich umzuziehen und mit dem Landrover die Straßen nach ihr abzusuchen, als die Tür zögerlich aufging und Maggies Köpfchen erschien. Sein Arbeitszimmer war normalerweise für jedermann tabu – nur seine Kinder durften ihn jederzeit dort stören. William lächelte, wie immer, wenn er seine kleine Tochter sah.
„Hallo, Liebling, was gibt es?" fragte er und das Kind tappte auf ihn zu und kletterte auf seinen Schoß. William zog sie sanft an sich und gab ihr einen Kuß. Maggie giggelte.
„Was ist los, Süße? Wo ist dein Bruder?"
„Spielt mit Lizzy."
„Spielt mit Lizzy!" William sah seine Kleine ungläubig an. „Lizzy ist hier?"
Maggie nickte. „Sie hat uns auch vorgelesen."
William erhob sich schnell, Maggie immer noch auf dem Arm. „Elizabeth ist hier und keiner hat mir Bescheid gesagt? Wo ist Mrs. Northam, Maggie?"
„Unten, Daddy."
Elizabeth war drauf und dran gewesen, wieder abzureisen. Niemand kümmerte sich um sie, von William war weit und breit nichts zu sehen, geschweige denn von anderem Personal. Dieses Haus ist ein verdammtes Labyrinth! murmelte sie verärgert, als sie sich auf die Suche nach Mrs. Northam machte. Eine Tür nach der anderen öffnete sie und schaute in die Zimmer, die jedoch alle leer waren. Sie fand Mrs. Northam schließlich mit den Kindern in einer Art Musikzimmer, eine kleinere Variante von dem Raum, den sie im öffentlich zugänglichen Teil des Hauses bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte.
Tim sprang auf und zog sie sofort in eine Ecke, wo er mit einem Riesenberg Legosteinen beschäftigt war. Stolz zeigte er ihr die Sachen, die er bereits zusammengebaut hatte und lud sie zum Mitspielen ein.
Maggie schlief mit einer Puppe im Arm auf Mrs. Northams Schoß und das Kindermädchen selbst las ein Buch. Sie nickte Elizabeth bloß zu, als sie eintrat, um das Kind nicht zu wecken.
Elizabeth gesellte sich zu Tim und half ihm mit seinen Basteleien, bis nach etwa einer halben Stunde Maggie aufwachte und vehement eine Geschichte forderte. Elizabeth erbot sich, den Kindern vorzulesen, da Mrs. Northam einem menschlichen Bedürfnis nachgehen wollte. Maggie machte es sich auf ihrem Schoß bequem und Elizabeth suchte ein passendes Buch und las ihnen vor. Es störte sie nicht im geringsten, sich um die Kinder zu kümmern, aber sie fragte sich schon mittlerweile, ob William sie wirklich nicht sehen wollte. Seinen plötzlichen Stimmungsumschwung konnte sie nicht verstehen. Sie blieb im Augenblick nur der Kinder wegen, aber wenn er glaubte, daß er hier den ganzen Tag arbeiten konnte ohne sich wenigstens kurz dazu herabzulassen, sie zu begrüßen, dann würde sie tatsächlich heute noch abreisen, dachte sie erbost – und sehr enttäuscht.
Es war mittlerweile fast halb fünf geworden, als William mit Maggie auf den Armen das kleine Musikzimmer betrat und Elizabeth am Fenster stehen sah. Sie blickte angestrengt nach draußen in den bereits dunklen Nachmittag und ihre Finger trommelten ungeduldig an die Fensterscheibe. William setzte Maggie vorsichtig ab und trat zu ihr.
„Elizabeth! Da bist du ja endlich! Aber wieso kommst du so spät, war es so schlimm auf den Straßen?" Er machte Anstalten, sie in die Arme zu schließen, aber hielt in der Bewegung inne, als er ihren Blick sah.
Elizabeth wandte sich zu ihm um. Sie lächelte nicht.
„Was meinst du mit „spät"?"
„Ich hatte dich viel früher erwartet, Liebes. Ich hab mir Sorgen gemacht, wo du bleibst, ans Telefon bist du auch nicht gegangen. Wenn Maggie nicht gesagt hätte, daß du hier bist, wäre ich jetzt losgefahren, um nach dir zu suchen."
„Ich bin seit zwölf Uhr hier, William. Und mir wurde gesagt, du darfst nicht gestört werden, da du den ganzen Nachmittag mit Telefonkonferenzen beschäftigt bist."
William runzelte die Stirn und warf Mrs. Northam einen fragenden Blick zu.
„Mrs. Northam, ich hatte sie doch gebeten, mich sofort zu informieren, wenn Miss Bennet ankommt. Wieso haben sie mir nicht Bescheid gegeben?" Seine Stimme klang verärgert.
Das Kindermädchen schaute ihren Arbeitgeber mit großen, erstaunten Augen an. „Entschuldigen sie, Sir, ich muß sie falsch verstanden haben. Es tut mir so leid, Miss Bennet, aber sie müssen entschuldigen. Mein Englisch ist nicht das beste, ich habe Mr. Darcy sicher falsch verstanden. Das war nicht meine Absicht, bitte entschuldigen sie!"
William winkte ungeduldig ab. „Schon gut. Kann ja mal passieren." Er trat einen Schritt näher an Elizabeth heran und lächelte. „Hauptsache, du bist jetzt da, Liebes." Er beugte sich näher und flüsterte in ihr Ohr, so daß nur sie es hörte: „Und glaub mir, ich werde dich die nächsten Tage nicht mehr aus den Augen lassen." Geschweige denn aus meinem Bett, fügte er in Gedanken hinzu.
Elizabeth war etwas besänftigt und ließ sich von William endlich in die Arme schließen. Ihr Kuß war sanft, aber nur kurz – es war ihnen etwas unangenehm, so vor Mrs. Northam, die sie interessiert und sehr indiskret beobachtete. Elizabeth war erstaunt, daß die Frau zu ihrer Entschuldigung ihre angeblich mangelnden Englischkenntnisse vorbrachte – hätte William ihr nicht erzählt, daß sie gebürtige Deutsche war – es wäre ihr anhand ihrer Sprache gar nicht aufgefallen. Ihr Englisch war ausgezeichnet.
Elizabeth beschloß, es vorerst dabei bewenden zu lassen, zumal ihr William überhaupt keine Gelegenheit gab, sich trüben Gedanken hinzugeben. Das geplante Mittagessen wurde kurzerhand in Anbetracht der Uhrzeit in eine Kaffee-Session umgewandelt. Sie blieben im Musikzimmer, ein dienstbarer Geist brachte warmen Apfelstrudel mit Vanillesauce und sie vertrieben sich die Zeit mit plaudern, wenn die Kinder nicht gerade ihre Aufmerksamkeit erforderten. Die Kleinen faßten immer mehr Zutrauen zu Elizabeth und am Ende des Nachmittags war sie ihre „Hauptanlaufstation", und nicht ihr Vater oder das Kindermädchen.
An einen nachmittäglichen Spaziergang war nicht zu denken – es war bereits viel zu dunkel und außerdem hatte es wieder angefangen zu schneien. Mrs. Northam saß die ganze Zeit über mit dabei, was Elizabeth zunächst ein wenig irritierte. Aber da sie schließlich für die Kinder angestellt war und sich auch liebevoll um sie kümmerte, sagte sie nichts. Es hatte sicher schon seine Richtigkeit.
Und sie würde William später noch lange genug für sich alleine haben, denn nachdem die Kinder im Bett waren, hätte Mrs. Northam glücklicherweise auch „Feierabend".
Die Erinnerung an ihren letzten Besuch hier ließen Elizabeth leicht erröten, als sie an die Bibliothek dachte und was sie dort angestellt hatten. Sie hoffte ganz verwegen, daß es heute eine Fortsetzung davon geben würde. Nur diesmal würde sie besser auf ihre Wäsche aufpassen – es war ihr zu peinlich gewesen, als Mrs. Reynolds ihr damals einen Wäschebeutel in die Hand gedrückt hatte, mit ein Paar Tennissocken und einem schwarzen Spitzentanga darin. „Ihre Wäsche ist fertig, Miss Elizabeth," hatte sie nur gesagt, ohne eine Miene zu verziehen.
William machte seine „Androhung" wahr und wich keinen Augenblick von Elizabeths Seite. Zwar hielten sie sich mit dem Austausch von Zärtlichkeiten in Mrs. Northams und der Kinder Gegenwart weitestgehend zurück, aber sie gluckten zusammen, unterhielten sich angeregt und schmiedeten eifrig Pläne für ihren Aufenthalt auf Pemberley.
Um halb sieben gab es Abendessen und auch diesmal saß Mrs. Northam mit am Tisch. Elizabeth hatte angenommen, die Angestellten würden „unter sich" essen, selbst Mrs. Reynolds speiste nicht am Tisch ihres Arbeitgebers, und sie kannte „Master William" schließlich schon seit seiner Geburt und hatte einen ganz anderen Rang inne als das Kindermädchen. Aber nein, offenbar aß sie immer mit den Darcys zu Abend. Und das war noch nicht alles für den Abend.
Nach dem Abendessen übernahm es William selbst, die Kinder ins Bett zu bringen. Mrs. Northam half ihnen beim Umziehen und Waschen, während William vorschlug, daß Elizabeth es sich schon mal in der Bibliothek gemütlich machen sollte. Sie errötete sanft und stellte sich auf einen gemütlichen, sinnlichen, kuschligen Abend mit William ein. Sie konnte es kaum erwarten, sich in seine Arme zu schmiegen und ihn besinnungslos zu küssen. Als sie daran dachte, wie sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, erst das Geplänkel vor dem Kamin und die folgende Nacht in William Schlafzimmer...lief ihr ein regelrechter Schauer über den Rücken und ihr Magen schien sich zusammenzuknoten vor Erregung. Wo blieb William bloß? Sie fürchtete, es kaum noch auszuhalten ohne seine Berührung, seine Nähe, seinen Körper. Hoffentlich war der Kamin bereits angezündet…
Der Kamin war angezündet und auch Kaffee und ein verführerischer Nachtisch (frittierte Ananasringe mit Vanillesauce) standen in der Bibliothek bereit. Elizabeth konnte nicht widerstehen und naschte schon einmal an der warmen Köstlichkeit. Es wäre eine Sünde, es verkommen oder kaltwerden zu lassen, dachte sie. Sie war sehr ungeduldig, vielmehr aufgeregt, vertrieb sich jedoch die Zeit, bis William zu ihr zurückkam, indem sie an den langen Regalen entlanglief und sich die Bücher betrachtete. Die Darcys hatten im Lauf der Jahrzehnte, womöglich gar Jahrhunderte, eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen. Ab und zu holte sie einen Band hervor und blätterte interessiert durch, von den wirklich alten, wertvollen Büchern ließ sie jedoch die Finger. Das fehlte noch, daß sie solch einen Schatz ruinierte durch ihre Neugier und unfachmännische Behandlung!
Sie stand mit dem Rücken zur Tür, als diese leise geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen wurde. Elizabeth stellte das Buch wieder ins Regal zurück und ein Schauer der Vorfreude rann über ihren Rücken. Sie erwartete sekündlich, Williams Arme um ihren Körper zu spüren, seine Lippen an ihrem Hals, aber nichts geschah. Schließlich wandte sie sich um und sah Mrs. Northam mit einer Handarbeit wie selbstverständlich zur Couch gehen. Das Kindermädchen lächelte ihr höflich zu, schaltete eine hellere Lampe ein, damit sie besser sehen konnte und begann still mit ihrer Stickerei.
Elizabeth starrte die Frau entgeistert an. Würde sie ihnen jetzt auch noch den ganzen Abend über auf der Pelle hocken? Hatte sie kein eigenes Zimmer? Würde sie denn überhaupt keine Zeit mit William alleine verbringen dürfen? Überhaupt, wo steckte William?
William erschien zehn Minuten später und sah nicht gerade glücklich aus, als er Mrs. Northam in der Bibliothek entdeckte. Er seufzte lautlos, aber sehr zu Elizabeths Frust sagte er auch nichts. Er goß ihnen allen Kaffee ein und nahm in seinem Lieblingssessel platz. Elizabeth nahm ihre Tasse und ließ sich auf dem dicken Teppich vor dem Kamin nieder. Sie starrte nachdenklich in die Flammen. Was hatte es mit dieser Frau bloß auf sich? Und warum ließ William sie gewähren? Ihre Erregung hatte vorersteinen gewaltigen Dämpfer erhalten.
Mühsam quälten sie sich durch den Abend. Mrs. Northam stickte, William versuchte, sich auf ein Buch zu konzentrieren, da Elizabeth nicht besonders gesprächig war und diese selbst war immer noch hin- und hergerissen von der Idee, gleich morgen früh abzureisen. Sie wollte William ganz sicher nicht mit dieser Person teilen. Welches Anrecht hatte sie auf ihn? Gegen zehn Uhr gähnte sie übertrieben laut und erhob sich. „Ich gehe jetzt schlafen, William," sagte sie und schaute ihn durchdringend an. William stand ebenfalls auf. Er war etwas unsicher, was er tun sollte. Der Abend war nicht so gelaufen, wie er sich das erhofft hatte, und Liz machte auch keinen allzu glücklichen Eindruck.
„Ich bringe dich auf dein Zimmer, Liebes," murmelte er. Sie sagten Mrs. Northam gute Nacht und verließen die Bibliothek.
