William hätte seine Schwester beinahe nicht wiedererkannt. Sie hatte von Natur aus blonde Haare, die sie normalerweise immer lang trug. Ihre Haare waren stets ihr ganzer Stolz gewesen, wehe dem, der sich daran vergriffen hätte! Keinen Millimeter mehr als es nötig war, wäre jemals davon abgekommen. Und nun stand sie hier mit raspelkurzen, schwarzgefärbten, zotteligen Fransen. William starrte sie entgeistert an. „Was hast du mit deinen Haaren gemacht, Georgie?" fragte er leise und Georgiana lachte bitter auf. „Danke, mir geht es auch gut, William," sagte sie ätzend. „Bezeichnend für dich, daß dir das als erstes auffällt."
William trat auf sie zu. „Entschuldige, so war es nicht gemeint. Aber ich muß gestehen, es ist in der Tat ein Schock. Was führt dich hierher, Liebes? Wieso hast du nicht vorher angerufen?" Das ihm die Zigarette ebenfalls sehr mißfiel, verschwieg er lieber momentan.
„Ich habe angerufen. Aber du warst unterwegs in Schottland mit deiner neuen Gespielin, so wurde mir gesagt." Georgiana warf Elizabeth, die hinter William zögernd das Zimmer betreten hatte, einen abschätzigen, wenn auch im Endeffekt gleichgültigen Blick zu.
William wollte sich nicht provozieren lassen und ignorierte die bissige Bemerkung fürs erste. Seine Schwester war allem Anschein nach überraschend aus Kanada abgereist und hatte ihn nicht informiert, sie mußte einen gravierenden Grund dafür haben.
„Georgie, ich möchte dir Elizabeth Bennet vorstellen." Er hatte Elizabeths Hand genommen und sie war an seine Seite gekommen. „Elizabeth und ich werden dieses Jahr noch heiraten." Er lächelte seine Zukünftige an. „Liz, meine Schwester Georgiana."
Georgiana sah die Verlobte ihres Bruders scharf an und ignorierte deren ausgestreckte Hand. Sie schüttelte den Kopf. „Typisch William. Läßt sich schon wieder von einer Goldgräberin verführen und einfangen. Ah, und natürlich trägt sich auch schon den Familienschmuck. Ist sie so gut im Bett, hat sie dir den letzten Rest Verstand aus dem Hirn gevögelt?" Sie kicherte und nahm einen Schluck Whisky, offenbar war es nicht ihr erstes Glas gewesen. Elizabeth starrte ihre zukünftige Schwägerin sprachlos an, während William seinen Zorn nur mühsam im Griff hatte. „Du bist offenbar betrunken und weißt nicht, was du sagst. Wir reden später weiter, wenn du einigermaßen nüchtern bist." Er warf seiner Schwester einen angewiderten Blick zu und verließ mit einer sichtlich erschütterten Elizabeth den Raum.
„Liebes, warum gehst du nicht schon mal nach oben und machst dich ein bißchen frisch – ich komme gleich nach."
William wartete Elizabeths Antwort gar nicht erst ab und machte sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer. Er brauchte ein paar Minuten für sich und im Arbeitszimmer würde er nicht gestört werden. Müde ließ er sich auf die Couch fallen. Georgiana war zurück. Das war an sich etwas, was ihn freuen sollte und im Prinzip war er auch froh, daß sie wieder hier war, auch wenn er nicht genau wußte, warum sie so überstürzt zurückgekommen war. Und vor allem, warum sie nicht gleich nach Pemberley gefahren war, sondern zuerst nach London. Er war nie richtig damit einverstanden gewesen, daß sie nach Kanada ging, aber was hätte er dagegen tun sollen? Sie war schließlich erwachsen und konnte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Georgie hatte ihm immer vorgeworfen, sich zu stark in ihr Leben einzumischen und sie zu sehr bevormunden zu wollen. Er gab zu, daß sie in gewisser Weise recht hatte. Und wahrscheinlich hätte sie einige Dinge in ihrem Leben nicht getan, die sie so nur aus Trotz getan hatte. Nur, um sich gegen ihn durchzusetzen. Aber wenn es um seine Familie ging, trat nun einmal sein Beschützerinstinkt hervor, egal, ob es sich um seine Schwester, seine Kinder oder jetzt Elizabeth handelte. Er war der Löwe, der sein Rudel beschützte und ja, zum Teufel, manchmal übertrieb er es damit. Er sah es ein, aber er konnte nichts daran ändern. Nun ja, vielleicht konnte er schon, aber es fiel ihm verdammt schwer.
William nahm sich vor, später in Ruhe mit seiner Schwester zu sprechen. Alleine, unter vier Augen. Sicherlich hatte sie es nicht so gemeint vorhin. Es mußte etwas vorgefallen sein, was sie zutiefst aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Und er würde für sie da sein, egal, was es war. Und ja, er würde nicht ausrasten. Das nahm er sich zumindest fest vor.
Nach etwa einer Viertelstunde verließ William sein Arbeitszimmer und machte sich auf den Weg nach oben. Elizabeth wartete bestimmt schon ungeduldig auf ihn.
Als William am Morgensalon vorbeikam, hörte er leises Weinen und eine weibliche, allerdings kaum zu verstehende Stimme. Er öffnete vorsichtig die Tür und sah seine Schwester, die tränenüberströmt an Mrs. Reynolds hing und immer noch schluchzte. Die Haushälterin strich ihr immer wieder sanft über den Rücken und murmelte beruhigend auf sie ein. Als sie William in der Tür sah, nickte sie ihm kurz zu und bedeutete ihm, daß sie alles im Griff hatte. Georgiana hatte sein Eintreten nicht bemerkt.
William schloß zögernd die Tür hinter sich und seufzte. Was würde da noch auf ihn zukommen… Aber zunächst mußte er sich um Elizabeth kümmern.
Er fand sie in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer vor und sie war gerade dabei, ihren kleinen Koffer auszupacken. Sie schien so in Gedanken versunken, daß auch sie sein Eintreten nicht bemerkte. Als sie eine dunkelblaue, sehr erotische Corsage hervorholte, die William ihr in London gekauft hatte, lächelte sie verträumt, als sie sich daran erinnerte, wie er sie ihr keine Stunde später nach dem Kauf bereits wieder ausgezogen hatte. William mußte ebenfalls lächeln, nur zu gut erinnerte er sich an den Abend. Elizabeth sah auf und wurde rot. Langsam ließ sie das Stück Stoff sinken, während William auf sie zutrat. Er legte ihr von hinten die Arme um den Bauch und zog sie an sich, sein Gesicht in ihren Haaren vergraben. „Entschuldige, daß ich dich hab so lange warten lassen," murmelte er. „Ich mußte es erst selbst verdauen, daß meine Schwester so überraschend hier aufgekreuzt ist. Und es tut mir leid, daß sie so unflätig auf dich reagiert hat, Liebling. Sie…"
Elizabeth wehrte ab. „Nein, William, sie ist offenbar ziemlich durcheinander und dann wird sie gleich damit konfrontiert, daß ihr Bruder wieder heiraten will. Ich bin eine Fremde für sie und sie hat sicherlich momentan andere Sorgen. Du solltest erst einmal herausfinden, was ihr Problem ist, Hon, dann kann sie sich vielleicht auch mit der Zeit an mich gewöhnen."
William küßte sie und seufzte.
„Danke, Liz. Ich muß gestehen, ich bin selbst ein wenig durcheinander. Unser Verhältnis ist manchmal etwas schwierig, aber bisher haben wir wenigstens immer miteinander reden können."
„Sie ist sehr alleine, nicht wahr?"
William starrte Elizabeth erstaunt an. Das war tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. „Nun ja, bisher war sie immer recht rebellisch. Ich muß gestehen, ich habe mich nicht immer so um sie gekümmert, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Aber sie wollte auch irgendwie nie, daß ich mich um sie kümmerte. Meine Vorschläge hat sie immer abgelehnt, wollte ihre eigenen Erfahrungen machen, ihre eigenen Pläne schmieden."
William hatte sich auf dem Bett niedergelassen und Elizabeth war an seine Seite gekommen. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Sie ist einiges jünger als du, nicht wahr?"
„Zehn Jahre."
„Und du mußtest ihr praktisch beide Elternteile ersetzen, das war sicherlich keine leichte Aufgabe. Und junge Mädchen können seeeeeeehr störrisch sein, ich spreche aus Erfahrung. Ich habe mich auch mit meinem Berufswunsch durchgesetzt, habe das Haus in Meryton alleine gekauft, weil ich es so wollte. Meine Eltern waren dagegen."
„Ja, aber du hast studiert, hast einen anständigen Beruf gelernt und vernünftige Sachen gemacht. Georgie hat ihr Studium geschmissen, erst in England gejobbt und ist dann nach Kanada gegangen. Außer ihrem Erbe hat sie kein geregeltes Einkommen."
„Was macht sie denn beruflich?"
„Sie hat zuerst Literatur und Kunstgeschichte studiert, dann an der National Gallery in London gejobbt und durch ein paar Beziehungen meinerseits eine Stelle in Toronto an der Uni bekommen. Ich war ehrlich gesagt von Anfang an dagegen, habe ihr aber trotzdem damit geholfen. Und ich kann es kaum erwarten zu hören, warum sie auch das vermasselt hat."
„William, du weißt doch überhaupt nicht, ob sie es vermasselt hat! Hör sie doch erstmal an. Bitte."
William schloß Elizabeth in die Arme und seufzte wieder. „Was würde ich nur ohne dich machen, Liebling. Du schaffst es immer wieder, mich auf dem Boden zu halten."
Sie küßten und kuschelten noch ein bißchen, dann wurde es Zeit für das Mittagessen. Sie waren gespannt, ob Georgiana überhaupt zum Essen erscheinen würde.
Als William und Elizabeth nach unten kamen, waren bloß Tim und Maggie im Eßzimmer zu sehen. Sie rannten sofort auf ihren Vater zu und ließen sich von ihm umarmen und küssen, und auch Elizabeth erhielt ihre nassen Schmatzer und Umarmungen. Sie hatten sie als Familienmitglied bereits vollständig akzeptiert und hingen sehr an ihr.
„Daddy! Was hast du uns mitgebracht?" rief Tim und zappelte ganz aufgeregt. William sah seinen Sohn gespielt ernst an. „Was ich euch mitgebracht habe? Solltest du nicht lieber fragen, ob ich euch überhaupt was mitgebracht habe? Ich habe nämlich gar nix für euch, ihr vorlaute Bande."
Tim sah enttäuscht aus, aber er schwieg tapfer. Elizabeth verkniff sich ein Lächeln. Natürlich hatte William seinen Kindern etwas mitgebracht, er brachte immer eine Kleinigkeit mit, wenn er unterwegs war. Er hatte es nur oben im Schlafzimmer vergessen. Maggie hingegen schien damit zufrieden zu sein, in Williams Armen sein zu dürfen. Sie hatte ihrem Vater die Arme um den Hals geschlungen und er drückte die Kleine liebevoll an sich. „Und du, meine Süße, wie geht es dir?" fragte er und erhielt noch einen feuchten Schmatz auf die Wange. „Ah, offenbar gut," grinste William und küßte sie zurück. „Willst du auch ein Geschenk?"
Maggie schüttelte den Kopf. „Nein?" „Ich hab dich lieb, Daddy," sagte sie einfach und William war gerührt. „Ich hab dich auch lieb, mein Schatz."
In diesem Moment ging die Tür auf und Georgiana trat ein, Mrs. Northam im Schlepp. Die beiden unterhielten sich angeregt und nichts wies im entferntesten darauf hin, daß Georgiana noch vor wenigen Minuten an Mrs. Reynolds Schulter geweint hatte. Sie hatte wieder eine brennende Zigarette in der Hand. William unterdrückte seinen aufkeimenden Ärger.
„Mach bitte die Zigarette aus, Georgie," sagte er ruhig. Georgiana sah aus, als wollte sie sich dagegen auflehnen, aber als sie ihre Nichte und ihren Neffen sah, die sich demonstrativ die Nase zuhielten und lautstark „bäääääääh" riefen, mußte sie grinsen und drückte ohne einen weiteren Kommentar die Kippe aus.
Die Kinder hingen sehr an ihrer Tante, wie Elizabeth feststellte, und Georgie liebte die beiden ebenfalls. Sie verhielt sich ihnen gegenüber ganz wundervoll. Elizabeth jedoch ignorierte sie völlig, mit William sprach sie kaum etwas, aber dafür um so mehr mit Mrs. Northam, die sich sehr wichtig vorkam und über jede noch so sinnfreie Bemerkung Georgianas lauthals lachte, daß schließlich sogar William genervt die Augen verdrehte. Er sprach relativ wenig bei Tisch und beobachtete vielmehr seine kleine Schwester sehr genau.
„Georgie, können wir nach dem Essen kurz miteinander sprechen?" fragte er, als der Nachtisch serviert wurde. Seine Schwester warf ihm einen skeptischen Blick zu. Er wußte, sie wollte ablehnen, aber dann seufzte sie auf und nickte. William nahm seinen Kaffee in seinem Arbeitszimmer und bat Georgie zu ihm zu kommen, sobald sie fertig war. Die Kinder waren nach oben gegangen für ihren Mittagsschlaf und Elizabeth hatte sich in ihr eigenes Zimmer zurückgezogen um zu arbeiten. Somit hörte sie nichts von dem Gespräch, das zwischen Georgiana und Mrs. Northam stattfand.
„Ich frage mich, wie sie ihn dazu gebracht hat, sich mit ihr zu verloben!" meinte Georgiana und steckte sich eine neue Zigarette an. „Die Ehe mit Caroline war schon ein großer Fehler, aber mit dieser Landpomeranze! Was hat sie ihm schon groß zu bieten? Lange Haare und ein paar üppige Kurven – das hatte Caroline nun allerdings nicht im Angebot." Georgiana schüttelte den Kopf. „Sie ist nur hinter seinem Geld her, seinem gesellschaftlichen Ansehen und guten Namen, meinen sie nicht auch?" Mrs. Northam nickte eifrig. Die Nachricht, daß ihr Arbeitgeber diese Person schon bald heiraten wollte, hatte sie sehr erschüttert. Vergeblich hatte sie sich bisher überlegt, wie sie dagegen vorgehen konnte. Möglicherweise eröffnete ihr Georgiana Darcy ja einen Weg. Sie schien von dieser Hochstaplerin auch nichts zu halten, so schien es. „Und die Kinder hat sie auch schon regelrecht geimpft," fuhr Mrs. Northam fort. „Sie nimmt Mr. Darcy so in Anspruch, daß er die Kleinen immer mehr vernachlässigt." Das stimmte natürlich nicht, aber Georgiana wußte es schließlich nicht besser und konnte sich schon vorstellen, daß das stimmte.
„Er hat ihr sogar schon den Verlobungsring aus den Familienjuwelen gegeben. Wer weiß, was sie sich als nächstes unter den Nagel reißt! Mein gutmütiger Bruder würde ihr schließlich alle Wünsche erfüllen! Ich bin gespannt, wann sie sich ihr neues Auto bestellt. Sie wird ihn schröpfen und ausbeuten bis zum geht nicht mehr, und dann wird sie ihm zu guter Letzt wahrscheinlich sogar noch ein Kind unterjubeln."
„Das vielleicht noch nicht einmal sein eigenes ist! Stellen sie sich vor, da gibt es diesen Mr. Ferrars…"
Eine Viertelstunde lang zerrissen sich die beiden die Mäuler über Elizabeth, dann machte sich Georgiana langsam auf den Weg zu Williams Arbeitszimmer. Sie war überzeugt davon, daß er ihr nur wundersame Geschichten über diese Frau erzählen würde.
