31. Kapitel

William hatte momentan nicht die Absicht, überhaupt etwas über Elizabeth zu erzählen. Viel wichtiger war ihm seine Schwester. Er hatte sich mit seinem Kaffee an den Schreibtisch gesetzt und ging einige Emails durch. So vertieft war er in seine Arbeit, daß er das leise Klopfen an seiner Tür gar nicht hörte und aufschrak, als sich die Tür öffnete und seine Schwester ins Zimmer trat. Er lächelte, als er sie erkannte, nahm seine Lesebrille ab und ging auf sie zu.

„Hallo, Liebes," sagte er leise und nahm eine verwunderte Georgiana liebevoll in die Arme. „Ich habe dich noch gar nicht richtig begrüßt, bitte entschuldige. Herzlich willkommen zuhause, ich bin sehr froh, daß du wieder hier bist."

Georgiana sah ihn überrascht an, mit dieser Geste und seinen freundlichen Worten hatte er ihr so ziemlich den ganzen Wind aus den Segeln genommen.

„Laß uns dort drüben sitzen, am Fenster, und ein bißchen plaudern."

Er führte sie zur Couch am Ende des Raums und Georgiana nahm zögernd platz. Sie war auf der Hut.

„Du hast mir noch gar nicht erzählt, was dich wieder nach hause führt, Georgie," begann William im unverfänglichen Plauderton. Georgianas Gesichtsausdruck verdunkelte sich.

„Interessiert dich das wirklich?"

William sah sie erstaunt an. „Natürlich! Hast du den Eindruck, ich würde mich nicht für dich interessieren?"

Georgiana seufzte. „Ich hatte versucht, dich anzurufen vor ein paar Tagen."

„Mrs. Reynolds hat mir von einem Anruf berichtet, und da warst du schon in London. Du hast keine Nummer hinterlassen und deine Mobilrufnummer funktioniert nicht mehr."

Georgiana schwieg und William zwang sich zur Geduld.

„Georgie, laß uns nicht streiten. Ich freue mich sehr, daß du wieder hier bist. Aber ich würde trotzdem gerne den Grund dafür wissen. Warum hast du mich nicht aus Toronto angerufen, daß du kommst?"

„Du willst mich nicht hier haben, nicht wahr? Du hast Angst, daß ich deine ach so innige Zweisamkeit mit dieser Frau stören könnte."

William schüttelte den Kopf. Über Elizabeth wollte er nicht diskutieren. Das war ein ganz anderes Thema.

„Was für ein Unsinn, Liebes. Du gehörst genauso hierher wie ich und wie Tim und Maggie. Wie kommst du bloß auf solche Ideen?"

„Sie hat dich schon komplett in ihren Fängen, was? Und ihretwegen vernachlässigst du sogar deine Kinder, William."

William seufzte leicht ungeduldig. „Georgie, ich wollte mit dir über dich sprechen, nicht über Elizabeth. Ich möchte gerne wissen, was mit dir los ist. Du kommst nach England, aber du bleibst tagelang in London und kommst nicht nach hause. Du bist nicht erreichbar. Du siehst auch anders aus als sonst, und…"

„Und ich rauche und saufe und entspreche nicht mehr deinen Vorstellungen von der kleinen, süßen, blonden Georgie Darcy, die du gerne hättest. Ich bin nicht gekommen, um mir Vorwürfe machen zu lassen, Bruderherz."

William starrte sie schweigend an. Das lief nicht so gut, wie er gehofft hatte, aber er hätte es wissen müssen. Mit Georgie zu diskutieren war immer schon schwierig gewesen. Sie verstand ihn immer absichtlich falsch, so hatte er den Eindruck.

„Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich will nur verstehen. Hast du deinen Job in Toronto aufgegeben?"

Georgiana senkte den Blick, nickte langsam.

„Willst du mir erzählen, warum?"

Sie schüttelte den Kopf. Es entstand eine Pause. Schließlich sah sie William trotzig an. „Du wirst mir vermutlich gleich sagen, ‚ich habe es vorher schon gewußt' und ‚für dich rühr ich keinen Finger mehr in der Beziehung', nicht wahr?"

„Warum sollte ich das tun? Ich kenne deine Gründe schließlich nicht. Du mußt mich schon für ein sehr großes, gefühlloses Arschloch halten, Schwesterherz."

Georgiana machte große Augen. Solche groben Worte war sie von ihrem kultivierten, wohlerzogenen Bruder nicht gewohnt. Dann traten Tränen in ihre Augen. „Ich hatte eine Fehlgeburt," flüsterte sie schließlich.

William starrte sie schockiert und sprachlos an. Eine Träne kullerte über ihre Wange und William kam in Bewegung. Er griff nach seinem Taschentuch und setzte sich neben seine Schwester auf die große Couch.

„Liebes, erzähl mir alles."

Und nach kurzem Zögern schüttete sie ihr Herz aus. Es war eine kurze, aber tragische Geschichte. Georgiana hatte an der Universität in Toronto, an der sie arbeitete, einen jungen Mann kennengelernt, in den sie sich auch prompt verliebt hatte. Wenige Monate später stellte sie fest, daß er nicht der Richtige für sie war. Er war viel zu besitzergreifend für ihren Geschmack und wollte für sie die Entscheidungen treffen. Er hatte schon ihr komplettes zukünftiges Leben gestaltet und fiel aus allen Wolken, als Georgie sich von ihm trennen wollte. Danach hatte sie keine ruhige Minute mehr und zu allem Überfluß hatte sie kurz danach festgestellt, daß sie schwanger war. Er bekam es heraus und es kam zu einer häßlichen Szene, bei der er Georgiana schlug, diese über eine Kante stürzte und ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Das Kind hatte sie dabei verloren und sofort nach ihrer Entlassung hatte sie sich auf den Weg nach London gemacht. Nachdem sie William nicht erreicht hatte und es ihr nach nochmaligem Nachdenken besser erschienen war, ihn nicht noch einmal anzurufen, verbrachte sie ein paar Tage bei einer Freundin in der Stadt. In dieser Zeit veränderte sie ihr komplettes Aussehen und erst Tage später fand sie den Mut, nach Pemberley zu fahren.

William war geschockt, wütend und sehr enttäuscht. Wütend über den Kerl, der ihr das angetan hatte, geschockt über die Tatsache, daß seine Schwester das alles alleine hatte durchstehen müssen und enttäuscht darüber, daß sie sich ihm nicht anvertrauen wollte in ihrer Not. „Hältst du mich wirklich für so ein Monster, daß du Angst hattest, mich anzurufen?" fragte er leise und seine Stimme klang traurig.

Georgiana schniefte. „Nein, William. Ich habe mich einfach nur geschämt, glaube ich. Oder ich wollte mir vielleicht auch nur selbst beweisen, daß ich alleine damit zurechtkommen kann."

William schloß seine Schwester schweigend in die Arme. „Ich wünschte mir, du hättest mehr Vertrauen in mich, Georgie."

„Es ist schwer für mich, einen großen Bruder zu haben, der in allem, was er tut, perfekt ist."

„Was für ein Unsinn, Liebes."

Georgiana sah zu ihm hoch. „Ach nein? Du hast dein Studium als Jahrgangsbester abgeschlossen, bist ein erfolgreicher Geschäftsmann, du hältst das ganze Anwesen perfekt in Schuß, hast zwei wundervolle Kinder…alles, was du machst, wird praktisch zu Gold."

„Ich habe meine Ehe in den Sand gesetzt."

Georgiana seufzte. „Ganz ehrlich gesagt, ich finde, ohne Caroline bist du besser dran. Ich habe nie verstanden, warum du sie überhaupt geheiratet hast."

„Ich frage mich das mittlerweile auch, Kleines."

„Willst du diese andere Frau wirklich heiraten?"

„Sie heißt Elizabeth, und ja, ich werde sie heiraten. Ich liebe sie über alles."

„Und was ist mit ihr? Liebt sie dich oder dein Geld?"

„Georgie, du kennst sie überhaupt nicht und hast dir schon eine Meinung über sie gebildet. Du hast ihr noch nicht einmal eine Sekunde die Gelegenheit gegeben, mit dir bekannt zu werden."

„William, ich möchte bloß nicht, daß du den gleichen Fehler machst wie mit Caroline. Ich glaube, du triffst eine übereilte Entscheidung, indem du sie gleich heiratest."

„Ich werde dieses Thema nicht mit dir diskutieren, Georgiana. Ich wünschte mir bloß, du würdest versuchen, Elizabeth wenigstens ein bißchen kennenzulernen, bevor du sie verurteilst."

„Du kannst mir nicht vorschreiben, wen ich zu mögen habe und wen nicht. Und deine Elizabeth mag ich nunmal nicht."

William seufzte und stand auf. „Bitte denk drüber nach, Liebes. Ich möchte ungern Unfrieden im Haus haben."

„Du willst, daß ich wieder abreise?"

„Natürlich nicht. Du bist hier schließlich genauso zu hause wie ich. Ich möchte bloß nicht, daß du mit Elizabeth Krieg führst. Sie ist deine zukünftige Schwägerin und daran solltest du dich gewöhnen. Ich bin sicher, ihr werdet euch mit der Zeit gut verstehen."

Georgiana war davon in keinster Weise überzeugt, aber sie schwieg. Vorläufig wollte sie auf Pemberley bleiben, um in Ruhe zu überlegen, wie es mit ihrem eigenen Leben weitergehen sollte. Elizabeth Bennet würde sie so weit wie möglich aus dem Weg gehen – sie aber trotz allem nicht aus den Augen lassen. Bei den ersten Anzeichen, daß sie mit ihrem Bruder falsches Spiel trieb, würde sie einschreiten.

Georgiana verließ das Arbeitszimmer und William setzte sich an seinen Schreibtisch, stützte den Kopf auf seine Hände und schloß müde die Augen. Er fragte sich, warum seine Schwester Elizabeth noch nicht einmal den Hauch einer Chance geben mochte. Sie hatte sie gesehen und sofort abgelehnt. Wie wollte sie anhand eines Blickes erkennen, daß sie bloß hinter seinem Geld her war? Was für ein Unsinn! Niemand wußte besser als er wie schwierig es war, Elizabeth dazu zu bewegen, etwas von ihm anzunehmen. Bei Geschenken für sie war er extrem vorsichtig. Und dabei würde er sie so gerne überhäufen, all ihre Wünsche erfüllen, wenn sie ihn nur ließe. Sie hatte ihm einmal gesagt, daß er ihr die größte Freude damit machte, Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr spazierenzugehen, zu kuscheln oder was auch immer. Kleinere Reisen übers Wochenende oder einfach nur mal über nacht nach London nahm sie daher gerne an, wobei sie immer darauf achtete, etwas dazu beizutragen. William mochte nicht glauben, daß Elizabeth so berechnend war – ihn in Sicherheit wiegen und dann nach der Hochzeit zuzuschlagen und seine Konten plündern? Nein, das konnte er beim besten Willen nicht glauben. Auch war sie immer darauf bedacht, die Kinder mit einzubeziehen, also zog dieser Vorwurf auch nicht, daß sie ihn seinen Kindern entfremden wollte. Er wußte, sie liebte die beiden und die Kinder hingen an ihr.

William goß sich einen Cognac ein. Einen kleinen, zum Nachdenken. Seine Schwester war wieder hier und hatte ein tragisches Erlebnis hinter sich. Er hoffte, einen Weg zu finden, an sie heranzukommen. William haßte den Gedanken, daß sie aus irgendwelchen Gründen Angst davor hatte, mit ihren Problemen zu ihm zu kommen. Er war immer für sie da, sie mußte es nur glauben.

Elizabeth selbst ließ Georgiana weitestgehend in Ruhe. Sie war höflich zu ihr, aber da sie die Ablehnung der jungen Frau spürte, hatte sie vorerst keinerlei Verlangen danach, sich mit ihr zu befreunden, so leid es ihr auch tat, denn sie fand Georgiana nicht unsympathisch. William hatte es natürlich nicht leicht mit der Situation und dem Problem, alle unter einen Hut zu kriegen.

Mrs. Northam dagegen hoffte, in Georgiana eine Verbündete in ihrem einsamen Kampf gegen Elizabeth gefunden zu haben. Sie bestärkte sie ständig darin, daß Elizabeth es nur auf das Geld der Darcys abgesehen hatte und brachte immer wieder plausible Beispiele dafür an. Aber nicht nur Georgiana mußte überzeugt werden, vor allem William sollte sehen, welche Schlange er sich da in sein Haus und in sein Herz holte.

Elizabeth fand William an diesem Abend mit einem Buch im Bett vor, er lächelte, als sie das Schlafzimmer betrat, aber er schien irgendwie gedanklich abwesend zu sein. Sie hatten sich kaum gesehen heute und Elizabeth wußte noch nichts von Georgianas Fehlgeburt. Sie ging ins Badezimmer und kam kurze Zeit später wieder zurück, bekleidet mit ihrem Lieblings Seidenshirt. William klappte das Buch zu, nahm seine Brille ab und beobachtete sie bei ihrem allabendlichen Ritual, dem ausgiebigen Haarebürsten. Manchmal übernahm er diese Aufgabe, aber noch lieber schaute er ihr dabei zu. Er liebte ihre Haare und mochte es, daß sie sie so aufopfernd pflegte. Nichts machte ihm mehr Spaß, als sein Gesicht in frischgewaschenen, duftenden, seidigen Haaren zu vergraben. Für ein paar Minuten beobachtete er sie schweigend, in seine Gedanken versunken. „Georgie hatte bis vor wenigen Tagen noch lange, blonde Haare," sagte er und seufzte. Elizabeth schaute ihn im Spiegel an. „Wieso hat sie sie abschneiden lassen?"

„Sie wollte sich verändern. Radikal verändern, sagt sie. Was ihr auch leider nur allzu gut gelungen ist." Traurig schüttelte er den Kopf. „Ich habe dir noch gar nicht die ganze Story erzählt.". Elizabeth beendete ihr Ritual und kletterte zu William ins Bett.

„Welche Story?"

William zog seine Zukünftige an sich und schloß die Augen. Elizabeth schaffte es immer wieder, ihn alleine mit ihrer Anwesenheit, ihrer Nähe zu beruhigen und zu besserer Laune zu verhelfen. Mit ihr an seiner Seite war alles halb so schlimm.

Er erzählte ihr Georgianas Geschichte mit kurzen Worten und Elizabeth war schockiert. „Die Arme! So ganz alleine in dieser Situation. Oh William, ich wünschte, ich könnte ihr helfen, aber sie läßt mich nicht an sich heran. Es tut mir so leid."

„Sie läßt noch nicht einmal mich an sich heran, Liebling. Ich bin froh, daß du sie nicht verurteilst und ihr die Zeit läßt, die sie braucht, um dich richtig kennenzulernen. Ich denke, sie hat in letzter Zeit soviel mitgemacht, und jetzt will ihr großer Bruder auch noch heiraten…"

„Ja, und dazu noch eine Frau, die sie nicht kennt und von der sie annimmt, daß sie nur auf das Familienvermögen aus ist. Ich kann ihre negative Einstellung ein bißchen verstehen, William. Sie kennt mich nicht und wurde mit dieser Nachricht praktisch überfallen. Vielleicht braucht sie einfach nur Zeit."

William seufzte. „Vielleicht." Elizabeths warmer, weicher Körper in seinen Armen beruhigte ihn und gab ihm Halt. Undenkbar, daß sie sich in eine „Goldgräberin" verwandeln sollte nach der Hochzeit. Er traute sich genügend Menschenkenntnis zu, um sich in dieser Sache sicher zu sein. Konnte das wirklich alles nur Show sein? War er durch seine Verliebtheit schon so verblendet, daß er zu keinen objektiven Gedanken mehr fähig war? Hatte Elizabeth ihn so sehr im Griff?