Die nächsten Tage verliefen relativ ruhig. Elizabeth versuchte ihr bestes, sich ihrer zukünftigen Schwägerin so normal wie nur möglich gegenüber zu verhalten. Zwar drängte sie ihr kein Gespräch auf, aber sie war höflich und freundlich und biederte sich nicht an. Georgiana ging ihr nicht aus dem Weg, aber spielte das Spiel soweit mit und behielt die Frau, die ihrer Meinung nach ihren Bruder ins sichere Unglück stürzen würde, scharf im Auge.
William mischte sich nicht ein, solange seine Schwester sich Elizabeth gegenüber halbwegs anständig benahm und hoffte inständig, die Zeit würde das Problem von alleine lösen.
William verbrachte die nächste Zeit so oft es ging zuhause, nur ab und zu ließ er sich für höchstens einen Tag nach London fliegen, wenn seine Anwesenheit in der Firma dringend notwendig war. War er auf Pemberley, so war es seit jeher Sitte, daß Mrs. Reynolds ihm die Morgenpost für die ganze Familie in sein Arbeitszimmer brachte. Normalerweise war er sowieso der einzige Empfänger, aber mittlerweile lebte Elizabeth hier und auch Mrs. Northam und natürlich nun Georgiana bekamen Post.
William hatte in den letzten Wochen immer ein kleines Ritual daraus gemacht, Elizabeths Post persönlich in ihrem Arbeitszimmer vorbeizubringen. Meistens brachte er eine kleine Nascherei mit oder einen Kaffee. Elizabeth liebte diese Unterbrechungen. Sie unterhielten sich dann für ein paar Minuten, küßten und schmusten ein bißchen miteinander und hatten so beide eine kleine, erfreuliche Abwechslung. Es war tatsächlich so, daß sie sich häufig erst bei Tisch wiedersahen, oft sogar erst abends, und so waren sie über jede Minute froh, die sie gemeinsam verbringen konnten. Beide waren enttäuscht, wenn Elizabeth an einem Tag einmal keine Post bekam.
Eines morgens kam Mrs. Reynolds schwer bepackt in Williams Arbeitszimmer. Sie schleppte einen großen Stapel an Post mit sich und William sprang hilfsbereit auf, um der Haushälterin behilflich zu sein.
„Was bringen sie denn da alles, Mrs. Reynolds? Liebe Güte, soviel Post auf einmal!"
Mrs. Reynolds atmete erleichtert auf, als sie ihre Last losgeworden war. „Der Großteil ist offenbar für Miss Elizabeth, Sir."
William warf einen neugierigen Blick auf den großen Stoß. Es waren viele Kataloge darunter. „Das nächste Mal schleppen sie sich nicht so ab, Mrs. Reynolds, hören sie? Für was beschäftige ich starke Männer!"
Mrs. Reynolds lachte. "Ist schon in Ordnung, Master William. Ich kann ja auch zweimal gehen, nicht wahr."
William schüttelte den Kopf und dankte seiner Haushälterin noch einmal. Dann wandte er sich stirnrunzelnd dem Postberg zu und begann, alles zu sortieren. Das meiste war tatsächlich für Elizabeth, hauptsächlich Versandhauskataloge. Einige von ganz normalen Warenhäusern, einige speziellerer Art, wie zum Beispiel von Möbelhäusern oder Kristall- und Porzellanherstellern. William wunderte sich. Nicht, daß Elizabeth sich Kataloge anforderte, aber die große Menge, die da heute angekommen war.
Er nahm die schwere Last an sich und ging damit zu Elizabeths Arbeitszimmer. Sie machte große Augen, als sie die Massen an Papier in seinen Armen sah.
„Was ist das?" fragte sie erstaunt, als William den Stapel mit einem übertriebenen Stöhnen auf ihrem Schreibtisch absetzte.
„Kataloge, Kataloge und nochmal Kataloge." William stellte sich hinter ihren Stuhl und knetete sanft ihre Schultern. „Heißt das, du machst in Zukunft keine Einkaufsbummel mehr mit mir? Ich glaube, ich habe in dem ganzen Berg auch einen Katalog für Wäsche gesehen – ich wäre schwer enttäuscht, wenn du mir dieses Vergnügen rauben würdest." neckte er nur halb im Spaß.
Elizabeth beäugte den Papierwust verwundert. „Wo kommt das Zeug her, William?"
„Normalerweise fordert man sich das an, um daraus zu bestellen."
„Ich habe nichts angefordert. Was soll ich mit Möbeln und Porzellanwaren?" William zuckte mit den Schultern. „Es könnte ja durchaus möglich sein, daß dir Pemberleys Bestand an Haushaltswaren nicht zusagt oder du das Haus neu möblieren willst…?"
Elizabeth wandte sich um. „Unsinn, William. Warum sollte ich das tun?"
Elizabeth hatte in der Tat keinerlei Absicht, etwas an der Einrichtung oder dem Hausrat zu verändern. Zum jetzigen Zeitpunkt war das überhaupt kein Thema – wie es sein würde, wenn sie mit William verheiratet wäre, wußte sie nicht. Aber auf alle Fälle wäre es nicht ihre erste Priorität. Das Haus nach ihren Wünschen auf den Kopf zu stellen war vielleicht Carolines Stil gewesen, aber nicht ihrer. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe wirklich keine Ahnung, woher die Sachen kommen. Ich habe nichts angefordert. Möbel im Landhausstil! Wedgwood Porzellan! Ts! Was soll ich denn damit?"
William küßte sie auf die Stirn und wollte das Zimmer wieder verlassen. Wenn sie es nicht selbst angefordert hatte, wer sonst? Daß Firmen Adressen erwarben und Werbung schickten war nichts außergewöhnliches, aber gleich so viel davon? Unwahrscheinlich. William war es im Prinzip egal, Elizabeth konnte sich so viele Kataloge anfordern, wie sie nur wollte. Sie tat ja nichts verwerfliches. Aber warum stritt sie es dann ab? War es ihr unangenehm? Dachte sie vielleicht, er würde einen falschen Eindruck von ihr bekommen?
„Wir sehen uns später, Liebes," sagte er nur und ließ sie alleine.
Elizabeth schaute ihm nach und blickte immer noch verwundert auf den großen Stapel Post.
Aber auch in den nächsten Tagen erhielt sie Kataloge und Briefe von den verschiedensten Firmen. Nicht nur von allgemein bekannten Versandhäusern, nein, auch exklusive Broschüren nobler Autohäuser trafen ein, Prospekte und Einladungen zu Probefahrten mit dem allerneuesten Jaguar, Hochglanzkataloge teurer Juweliere, Angebote für luxuriöse Immobilien in der Karibik, Material über Geldanlage verschiedenster Investmentbanken. Viele Briefe waren direkt an Elizabeth adressiert und bezogen sich auf das „freundliche Interesse", das sie dem jeweiligen Haus entgegenbrachte. Elizabeth verstand das nicht. Sie hatte nichts angefordert, nichts angefragt und schon gar nicht bei diesen exklusiven Unternehmen.
William sagte nichts dazu, aber er war nachdenklich geworden. Hatte Georgiana etwa recht gehabt? Begann Elizabeth nun, da sie verlobt waren, langsam nachzuforschen, wie sie sein Geld am besten ausgeben konnte? Häuser? Autos? Teuren Schmuck? Es paßte so gar nicht zu ihr und sie stritt auch weiterhin vehement ab, diese Dinge je angefordert zu haben. Woher jedoch einige Firmen, in der Mehrheit Banken, zum Teil sehr private Daten von ihr hatten, konnte sie sich nicht erklären.
Als kurz danach allerdings Werbesendungen von elitären Internaten eintrafen, die alle persönlich an Elizabeth adressiert waren, sich ebenfalls herzlich für das Interesse bedankten und sie und Mr. Darcy, ihren zukünftigen Ehemann (!) zu Besichtigungen und Informationsgesprächen wegen der Aufnahme von Tim und Maggie (!) einluden, konnte William nicht mehr länger schweigen.
Eines morgens öffnete er arglos einen dieser Briefe, da dieser nicht nur an Elizabeth, sondern auch an ihn selbst adressiert war. Er konnte nicht glauben, daß seine zukünftige Ehefrau ausführliche Informationen eingeholt hatte, um seine Kinder in ein Internat abzuschieben. Aber hier stand schwarz auf weiß, daß Ms Bennet sich im Namen ihres zukünftigen Ehemannes informieren wollte. Namen, Daten, alles stimmte. Aufgebracht suchte er Elizabeth in ihrem Arbeitszimmer auf. „Liz, woher kommen diese Briefe? Was soll das? Warum forderst du Unterlagen bei allen möglichen Internaten an? Meine Kinder werden ganz sicher nicht abgeschoben!"
Elizabeth, die gerade in ein gravierendes Problem vertieft gewesen war und exakt in diesem Moment eine Idee gehabt hatte, wie diese Sache vielleicht zu lösen wäre, wandte sich halb erstaunt, halb verärgert über die Störung um. „Was?" fragte sie abwesend und schärfer als beabsichtigt und versuchte angestrengt, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren, um den Faden nicht zu verlieren. Vergebens.
William baute sich vor ihr auf. „Ich möchte wissen, was das hier soll." Ungehalten warf er den Brief auf ihren Schreibtisch. Elizabeth seufzte, ergriff das Schreiben und runzelte die Stirn. „Schon wieder so ein idiotischer Brief! William, ich schwöre dir, ich habe keine Unterlagen angefordert und ich will die Kinder auch nicht auf irgendwelche Schulen abschieben. Nichts liegt mir ferner. Darf ich jetzt weiterarbeiten? Ich war der Lösung eben schon sehr nahe."
William schüttelte ungläubig den Kopf. „Elizabeth, woher kennen die diese Details? Namen? Daten? Aus welchem Grund sollten Schulen dir – und vor allem jetzt wohl auch mir – ungefragt solche Informationen zuschicken? Sei bitte ehrlich zu mir. Wenn du ein Problem mit den Kindern hast, kannst du mit mir darüber reden. Aber nicht so. Das ist falsch und hinterlistig."
Elizabeth traute ihren Ohren nicht. „William, ich sagte dir doch, ich habe nichts in die Wege geleitet! Ich habe auch diese ganzen Kataloge nicht angefordert, die jeden Tag hier eintrudeln!"
„Und woher kommt das Zeug? Firmen schicken nicht aus heiterem Himmel Kataloge, und was war mit den Banken? Auch die hatten jegliche Informationen über dich. Warum bist du nicht einfach ehrlich zu mir?"
„William, ich bin ehrlich zu dir! Ich weiß nicht, woher der ganze Krempel kommt! Wie oft soll ich mich noch wiederholen?" Sie verlor langsam die Geduld.
William holte tief Luft. „Nun gut. Wie du willst." Er wandte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort ihr Arbeitszimmer. Elizabeth sah ihm erstaunt und ungläubig nach. Sein Verhalten verletzte sie tief. Wieso glaubte er ihr nicht? Aus welchem Grund sollte sie so etwas tun? Sie hing an den Kindern, aber es waren nun einmal nicht ihre eigenen, also würde sie sich auch nicht in Williams Erziehung einmischen. Später, wenn sie eine richtige Familie wären, konnte sie sich vielleicht etwas mehr einbringen. Aber momentan würde sie einen Teufel tun. Trotzdem würde sie niemals auf die Idee kommen, die beiden auf ein Internat schicken zu wollen. Sie fragte sich, ob Mrs. Northam ihre Finger im Spiel hatte, oder gar Georgiana. Wollten die beiden sie bei William in Mißkredit bringen? Aber so viel Heimtücke traute sie noch nicht einmal dem Kindermädchen oder ihrer angehenden Schwägerin zu.
Georgiana hatte natürlich mitbekommen, was alles an seltsamer Post für Elizabeth angekommen war und rieb es ihrem Bruder unter die Nase. „Du wolltest mir ja nicht glauben, William," sagte sie am nächsten Morgen, als sie ihren Bruder in dessen Arbeitszimmer aufsuchte. Wieder lag ein Stapel Post auf seinem Schreibtisch, und wieder war etwas für Elizabeth dabei. Georgiana warf einen Blick darauf und lachte. Ein Katalog von Sotheby's, ein Hochglanzprospekt für teure Schiffskreuzfahrten und wieder zwei Schreiben von Internaten, diesmal aus der Schweiz.
„Deine Gespielin hat schon einen ausgeprägten Sinn für Luxus, das kann man gar nicht abstreiten. Sotheby's! Liebe Güte!"
William lehnte sich zurück, nahm seine Brille ab und rieb sich müde über die Augen. „Ich wollte sie überraschen, Georgie. Sotheby's versteigert nächsten Monat wertvolle Stücke aus der Bibliothek der Rothschilds in Paris, und ich wollte gerne mit ihr hinfahren für ein verlängertes Wochenende."
„Aber?" hakte Georgiana nach. „Hast du also doch Zweifel bekommen?"
William seufzte. Er wußte überhaupt nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Er wollte Elizabeth natürlich glauben, aber er hatte auch Angst. Angst davor, daß er einen Fehler machte und eine Frau heiraten würde, die er völlig falsch eingeschätzt hatte. Diesen Fehler hatte er bei Caroline bereits gemacht und er konnte auf eine Wiederholung gut verzichten. Er konnte Georgiana nicht antworten.
„William, fändest du es nicht angebracht, die Hochzeit erst einmal zu verschieben? Miss Bennet scheint sich ihrer Sache so sicher zu sein! Und dann noch die Schreiben der Internate... was denkt sich diese Frau eigentlich? Glaubt sie im Ernst, du würdest dich von deinen Kindern trennen wegen ihr?"
William schüttelte den Kopf. „Georgie, sie liebt die Kinder," sagte er leise.
„Und deswegen kommen hier täglich Briefe von Internaten aus aller Welt an, na klar, William."
„Aber Georgie, was ich nicht verstehe: sollte sie wirklich diese ganzen Dinge angefordert haben mußte sie doch wissen, daß die Post zuerst zu mir kommt. Elizabeth ist eine intelligente Frau."
„Und sich ihrer Sache sehr sicher, Bruder. Vielleicht viel zu sicher."
William war sich so unsicher wie noch nie in seinem Leben. Konnte er sich so in Elizabeth täuschen? War sie so berechnend? Immer wieder spukten die Worte „denk an Caroline!" in seinem Kopf herum. Aber Elizabeth war nicht Caroline. Sie liebte ihn. Sie zeigte ihm jeden Tag, wie sehr. Ihre Zuneigung, ihr Lächeln, ihr ganzes Verhalten war aufrichtig. William hatte immer gedacht, er könnte nach dem Fiasko mit Caroline zwischen Aufrichtigkeit und Falschheit unterscheiden. Er konnte kaum glauben, daß ihn seine Menschenkenntnis so sehr im Stich lassen sollte. Vielleicht war es keine so schlechte Idee, die Hochzeit zu verschieben. Er brauchte einfach ein bißchen Zeit. Und die würde er nicht bekommen, ahnte er voraus.
