Elizabeth hatte das getan, was sie immer dann tat, wenn sie sich ablenken wollte: sich in ihre Arbeit gestürzt. Sie war froh, daß sie ein neues Projekt angefangen und daher jede Menge zu tun hatte. Einzig und allein ihr Laptop fehlte ihr sehr und sie hätte sich vor Wut in den Hintern beißen können, daß sie das Gerät auf Pemberley vergessen hatte. Hoffentlich schickte Mrs. Reynolds es umgehend nach Meryton. Sie hatte zwar einen kleinen, alten Desktop, aber der war natürlich im Vergleich sehr langsam und wirklich nur für Ausnahmefälle geeignet. Außerdem waren ihre wichtigen Dokumente natürlich auf dem Laptop gespeichert. Verdammt!
Sie versuchte so gut es ging, nicht an William zu denken, aber es fiel ihr schwer. Anfangs kamen ihr noch die Tränen und sie war sehr niedergeschlagen und traurig, aber mit der Zeit erwachte ihr Trotz. Und vor allem ihre Wut. Sie hatte schließlich nichts böses getan, aber William glaubte ihr nicht, und das kränkte und enttäuschte sie zutiefst. Er wollte die Hochzeit verschieben, er zweifelte an ihr. Oder hatte er einfach kalte Füße bekommen, wäre das auch geschehen, ohne diese dubiosen Postendungen? Inwieweit steckte seine Schwester dahinter? Sie wollte von Elizabeth nichts wissen, lehnte sie von vorneherein ab, war strikt gegen die Hochzeit. Hatte sie starken Einfluß auf ihn, und was hatte sie ihm eingeflüstert?
Elizabeth wußte bald selbst nicht mehr, was sie glauben sollte. Sie wußte aber, daß sie ihm nicht hinterherlaufen würde, dafür war sie zu stur und zu stolz. Es würde ihr zwar das Herz brechen, aber sie war entschlossen. William hatte sie schließlich vertrieben, sollte er sehen, wie er es wieder in Ordnung brachte. Und wenn nicht…tja.
William las die beiden Blätter, die seine Schwester ihm hinhielt, fassungslos durch. Also doch Ferrars? Das konnte nicht sein!
„Woher hast du das, Georgie?" fragte er leise.
„Von Elizabeths Schreibtisch. Sie hat es wohl dort vergessen. Ich hoffe, du glaubst jetzt, daß sie dich nur ausnutzen will. Sei froh, daß du sie rechtzeitig durchschaut hast."
William schüttelte den Kopf. „Ich kann es nicht glauben. Warum sollte eine intelligente Frau wie Elizabeth solche „Beweise" hier liegenlassen? Warum so etwas überhaupt ausdrucken und nicht einfach nur versenden?"
„Wenn sie überstürzt abgereist ist, kein Wunder! Sie hat sogar ihr Laptop vergessen, und das braucht sie sicherlich dringend für ihre Arbeit."
Das hörte sich plausibel an. Es hörte sich irgendwie alles plausibel an, das war das schlimme. Robert Ferrars. Sie hatten damals nur wenig über ihn gesprochen. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, daß Elizabeth sehr an diesem Typen hing und ihm hinterhertrauerte. Sie hatte offen mit ihm darüber gesprochen und er hatte ihr vertraut. William wollte nicht glauben, daß sie ihn so hinters Licht führte, das war nicht Elizabeths Stil. Nein, es mußte etwas anderes dahinterstecken. Aber wer sollte solche Schreiben verfassen und Elizabeth damit schaden? William erinnerte sich daran, daß Elizabeth Mrs. Northam in Verdacht hatte. Aber was hatte das Kindermädchen davon, wenn sie so etwas tat? Er konnte es sich auch nicht vorstellen. Vielleicht sollte er Mrs. Northam einfach darauf ansprechen. Aber wie würde das aussehen? Sie würde alles abstreiten und er konnte ihr nicht das Gegenteil beweisen.
„Georgie, das paßt nicht zu Elizabeth. Sie war immer offen und ehrlich zu mir. Ich glaube nicht, daß ich mich so in ihr getäuscht habe."
„William, sie hat das sicherlich von langer Hand geplant. Nach deiner Scheidung warst du sehr verwundbar und die Zeit hat für sie gearbeitet. Ich weiß nicht, es paßt einfach alles zusammen."
„Es paßt alles zu gut zusammen, meiner Meinung nach. Ich will das nicht einfach so hinnehmen. Es geht schließlich um die Frau, die ich liebe, die ich heiraten will und sie muß zumindest die Gelegenheit bekommen, sich zu verteidigen."
„Du willst sie immer noch heiraten?" fragte Georgiana fassungslos.
Ja, er hoffte noch immer, daß sie wieder zusammenkommen würden. William nickte schweigend. „Dir ist echt nicht zu helfen, Bruder," seufzte Georgiana und ließ ihn mit seinen trüben Gedanken alleine.
William rief Elizabeth an diesem Tag nicht mehr an. Auch nicht am nächsten. Er wußte, er zögerte eine dringend notwendige Aussprache nur unnötig hinaus, aber zum augenblicklichen Zeitpunkt versprach er sich nichts von einem Anruf. Außerdem gab ihm das Verhalten Mrs. Northams Grund zum Nachdenken. Sie fing plötzlich unerklärlicherweise an, verstärkt seine Nähe zu suchen. Sie verwickelte ihn in Gespräche, suchte ihn aus den verschiedensten Gründen auf, um Dinge mit ihm zu besprechen, die sich hinterher meist als unwichtig herausstellten und versuchte, ihm abends so oft es ging Gesellschaft zu leisten. Das ging ihm so auf die Nerven, daß er praktisch jeden Abend in seinem Arbeitszimmer oder oben in seinen Privaträumen verbrachte. Ihm dorthin zu folgen wagte sie glücklicherweise nicht. Die Bibliothek war ihm jedenfalls verleidet bis auf weiteres, denn daraus konnte er die Dame schlecht vertreiben. Er fühlte sich in seinem eigenen Haus wie ein Gast. Oder noch schlimmer, wie ein Gefangener.
Er fand ihr ganzes Verhalten seltsam. Was versprach sie sich davon? Elizabeth hatte schon von Beginn an vermutet, daß Mrs. Northam in ihn verliebt sei und mittlerweile fand er das gar nicht mehr so abwegig. Die Blicke, die sie ihm zuwarf, sprachen für sich und ärgerten ihn. Es dauerte nicht lange und er begann sich darüber Gedanken zu machen, ob sie nicht doch ihre Finger mit im Spiel hatte bei dieser ganzen Briefaktion. Und Elizabeth war nicht mehr hier – elegant aus dem Weg geräumt? War ein Mensch zu so etwas fähig? William konnte es nicht fassen.
Es war schließlich ein Zufall, der ihn auf den richtigen Weg brachte. Genauer gesagt, ein zufällig mitgehörtes Gespräch zwischen Mrs. Reynolds und Nelly. William stand in der Eingangshalle und wartete auf seine Sprößlinge, um mit ihnen in der Stadt einen Zahnarzttermin wahrzunehmen. Die beiden hatten es anscheinend nicht im geringsten eilig, welch Überraschung, und William wollte gerade mißgestimmt nach oben gehen, um die beiden Trödelbärchen eigenhändig zu holen, als er das Zimmermädchen Elizabeths Namen erwähnen hörte. Die beiden Frauen sahen ihn nicht.
„Was ist mit Miss Elizabeths Laptop, Nelly?" fragte Mrs. Reynolds ruhig. Das Mädchen errötete, Mrs. Reynolds war sehr ehrfurchterweckend, fand sie.
„Bitte denken sie nicht, daß ich eine alte Petze bin, Mrs. Reynolds, oder jemanden beschuldigen will oder aber…"
„Kind, ganz ruhig!" unterbrach Mrs. Reynolds und zwang sich zur Geduld. William mußte sich ein Lächeln verkneifen.
„Also, was hat Mrs. Northam zu dir gesagt? Daß du Miss Elizabeths Laptop nach Meryton schicken sollst?"
„Nein, Ma'am. Sie hat gesagt, sie wollte sie nicht damit belästigen und Miss Bennet das Gerät selbst schicken. Aber es steht immer noch in Miss Bennets Arbeitszimmer." Sie machte eine Pause. „Vielleicht kommt Miss Bennet ja bald zurück und sie hat es deswegen nicht verschickt?" fragte sie hoffnungsvoll und William seufzte unterdrückt. Diese Hoffnung wäre zu schön, um wahr zu sein.
„Ich weiß nicht, wann Miss Elizabeth zurückkommt, Kind. Aber ich bin sicher, sie braucht das Gerät für ihre Arbeit und wir sollten es ihr sofort zusenden. Ich bin froh, daß du es mir gesagt hast. Master William wird ungehalten sein, wenn er erfährt, daß der Computer noch hier ist."
Die arme Nelly war nun den Tränen nah. Es gab nur noch einen weiteren Menschen auf der Welt, vor dem sie noch mehr Respekt hatte als vor der Haushälterin, und das war ihr Arbeitgeber. „Es tut mir leid, Mrs. Reynolds. Ich hatte wirklich gedacht, Mrs. Northam kümmert sich darum. Ich habe gesehen, wie sie das Gerät aus Miss Bennets Arbeitszimmer geholt hat und dachte, sie würde es gleich versenden. Aber später habe ich auch noch gesehen, wie sie es wieder zurückgebracht und daran gearbeitet hat. Ich glaube, sie hat etwas ausgedruckt oder so. Aber ich dachte, es hätte alles seine Richtigkeit. Bitte verzeihen sie mir, Mrs. Reynolds."
Der Haushälterin tat das junge Mädchen leid und tätschelte ihren Arm. „Du hast alles richtig gemacht, Liebes. Du mußtest dich darauf verlassen können, daß Mrs. Northam das Gerät verschickt. Nimm es dir nicht so zu Herzen."
Nelly knickste und bedankte sich bei der älteren Frau. Mrs. Reynolds schickte sie an ihre Arbeit zurück und ging nachdenklich in Richtung Küche.
William war dem Gespräch unbemerkt gefolgt und runzelte die Stirn. Mrs. Northam hatte Elizabeths Laptop aus deren Zimmer geholt, zurückgebracht und daran gearbeitet? Sachen ausgedruckt? Ein sehr böser Verdacht keimte in ihm auf. Er würde dem Kindermädchen auf den Zahn fühlen müssen, keine Frage.
Besagte Dame kam in diesem Augenblick die Treppe herunter, zwei sehr zögerliche und wenig glücklich aussehende Kinder im Schlepp. William mußte grinsen, als er die beiden „Delinquenten" sah, hatte aber auch Mitleid mit ihnen. Er konnte sich wahrhaftig schöneres vorstellen als einen Besuch beim Zahnarzt. Sie warfen ihm flehende Blicke zu und bettelten herzzerreißend, sie doch zu verschonen, aber William blieb unnachgiebig. „Ihr zögert es nur unnötig lange raus. Wenn ihr heute nicht geht, geht ihr eben nächste Woche, irgendwann müßt ihr nun mal hin. Also los, bringen wir es hinter uns."
Mrs. Northam versuchte, die beiden ein wenig zu beruhigen und drückte sie an sich, und diese kleine, harmlose Geste, die er doch schon so oft bei ihr gesehen hatte, löste in William unerklärlicherweise großen Unwillen aus. Es war irrational, er wußte es, es war im Prinzip nicht das geringste dagegen einzuwenden, daß das Kindermädchen die beiden gern hatte und sie umarmte oder mit ihnen kuschelte. Aber irgend etwas störte William ganz extrem. Er wollte irgendwie nicht, daß die Frau solch innigen Umgang mit seinen Kindern hatte. Sie war nicht deren Mutter, und doch führte sie sich so auf. Es war ihr ganzes Verhalten den beiden gegenüber, das William mißfiel. So...vertraulich. Irgendwie.
William runzelte die Stirn, als Mrs. Northam nach ihrem Mantel griff. „Es ist nicht nötig, daß sie uns begleiten," sagte er entschieden und sein Tonfall duldete keine Widerrede.
„Aber..." wagte Mrs. Northam es dennoch, doch Williams Blick stoppte sie.
„Kommt, Kinder," sagte er nur und schob seinen unglücklichen Nachwuchs sanft, aber unnachgiebig nach draußen.
Den Rest der Fahrt über war William völlig in Gedanken versunken. Wie sollte er am besten vorgehen? Elizabeth einfach aufsuchen und versuchen, mit ihr zu reden? Sie anrufen? Zunächst mit Mrs. Northam reden? Wie sollte er ihr etwas beweisen? Er schrak hoch, als sein Sohn ihn ansprach.
„Daddy?"
„Hm?"
„Wann kommt Lizzy wieder nach hause?"
William seufzte leise. Nach hause. Selbst Timmy fand, daß sie hierher gehörte.
„Ich weiß nicht, Timmy." Was sollte er den Kindern sagen? Sollte er sie anlügen? Sollte er die Wahrheit sagen? Nein, das kam nicht in Frage.
„Ich vermisse sie," kam es schüchtern von der Rückbank. „Ich will Lizzy wiederhaben, Daddy. Können wir zu ihr fahren? Bitte!"
„Ja bitte, Daddy!" mischte sich Maggie ein.
William brach es fast das Herz. Nichts würde er lieber tun. Nach Meryton fahren, sich ihr zu Füßen werfen und sie bitten, wieder zu ihnen zurückzukommen. „Ich werde mit ihr sprechen, Kinder."
„Ich möchte nicht, daß Mrs. Northam unsere neue Mama wird," sagte Tim leise. William warf einen überraschten Blick in den Rückspiegel. Er hatte auf einmal Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren.
„Wie kommst du denn darauf, Sohn?"
„Sie hat uns gesagt, daß sie unsere neue Mama wird, wenn Lizzy nicht mehr wiederkommt. Sie meint, Lizzy hat uns nicht mehr lieb und kommt auch nicht mehr."
„Mrs. Northam wird ganz sicher nicht eure Mutter. Was hat sie genau gesagt, Timmy?" William war geschockt. Und sehr, sehr wütend. Was zum Teufel fiel dieser Frau ein?
Der Junge überlegte angestrengt. „Daß wir alle froh sein können, daß Lizzy nicht mehr wiederkommt weil ihr Plan geklappt hat. Und daß sie unsere neue Mama wird."
Ihr Plan? Welcher Plan? dachte William irritiert und hätte beinahe die Einfahrt zur Arztpraxis verpaßt, was auf der Rückbank für einen Moment Grund zur Hoffnung auslöste. William fluchte unterdrückt, fuhr die zehn Meter zurück und Tim und Maggie schauten sich enttäuscht an.
Aber Timmy wußte nicht genau, was Mrs. Northam damit gemeint hatte und da sie nun am Ziel waren und er ahnte,daß es vor dem großen Bohrer kein Entkommen gab, verfiel er wieder seinen ursprünglichen Furchtzustand, ebenso wie Maggie.
William hatte Mitleid mit seinen Sprößlingen und versprach ihnen einen anschließenden Besuch im Spielwarenladen, wenn sie alles gut überstanden hätten. Die Furcht wog trotzdem schwerer als die Vorfreude auf Spielsachen, aber selbst die schlimmste Aufgabe nahm irgendwann einmal ein Ende und als sie beide bereits nach wenigen Minuten wieder am Auto waren, waren sämtliche Ängste sofort vergessen. William hielt sein Versprechen und sie durften sich in ihrem Lieblingsladen etwas aussuchen. Da er der Meinung war, daß er in letzter Zeit sehr wenig von seinen Kindern gehabt hatte, spendierte er noch ein Eis hinterher und Timmy verstieg sich zu der kühnen Aussage, daß er für solcherlei Belohnungen gleich nochmal zum Zahnarzt gehen würde.
