Epilog
Der Künstler, für einen exorbitanten Betrag exklusiv aus Italien eingeflogen, richtete sich entnervt auf, warf seinem Auftraggeber einen finsteren Blick zu und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Signore Darcy, ich bitte sie! Sie mir ruinieren ganze Bild! Ich nix können Ausdruck von die Augen von Signora einfangen, wenn sie…wie sagt man….dauernd Hampelmann spielen!"
Elizabeth Darcy warf ihrem Gatten, der an ihrer Seite stand, einen amüsierten Blick zu. „William, der arme Kerl ist am Ende mit den Nerven," sagte sie leise und erhielt prompt ebenfalls einen Rüffel des Meisters, weil sie sich gewagt hatte, ihre Position zu verändern. „Signora! Bitte nicht bewegen!" Tim und Maggie brachten natürlich ebenfalls Unruhe ins Bild. Ruhig für ein Gemälde zu posieren konnte nicht unbedingt den Lieblingsbeschäftigungen der beiden kleinen wilden Teufel zugerechnet werden, die viel lieber im Park herumtoben wollten. Die einzigen, die brav und geduldig waren und dem Meister keinen Grund zum Ärger gaben waren Julie und Jonathan Darcy, die Zwillinge, ihres Zeichens jüngster Familienzuwachs der Darcys. Das lag wahrscheinlich in erster Linie daran, daß die beiden gerade mal etwas mehr als ein halbes Jahr alt waren und selig in den Armen ihrer Eltern schlummerten, vollkommen ignorant den Ausbrüchen des sensiblen Künstlers gegenüber.
William versuchte vergebens, sich zusammenzureißen. Immer wieder war er vom Anblick seiner kleinen Tochter abgelenkt, die so vertrauensvoll in seine Arme gekuschelt dalag und keinerlei Sorgen hatte. Er konnte nicht anders, er mußte sie immer wieder anschauen, er war einfach hingerissen von dem kleinen Menschlein, daß vor einem halben Jahr erst einen so schwierigen Start ins Leben gehabt hatte.
Nur ungern erinnerte er sich an den düsteren, eiskalten Winterabend vor etwa einem halben Jahr. Draußen ging mit ungeheurer Macht ein Blizzard über Derbyshire nieder, Elizabeth fühlte sich nicht gut und sämtliche Telefonleitungen waren zu allem Überfluß ausgefallen. Der errechnete Geburtstermin war erst in drei Wochen fällig, aber so wie es aussah, wollten sich die beiden kleinen Darcys in Elizabeths Bauch nicht daran halten. Sie drängten mit Macht ins Leben und waren sich natürlich nicht im geringsten bewußt, wie gefährlich dieser so wichtige Schritt heute nacht für sie werden konnte.
Elizabeth ins Krankenhaus nach Manchester zu fahren, wie ursprünglich geplant, stand vollkommen außer Frage. In Lambton gab es kein Krankenhaus, bloß eine Hebamme, die für alle Fälle vorher schon Monate im vorhinein informiert worden war. Niemand hätte vorher einen Gedanken daran verschwendet, daß man auf sie würde zurückgreifen müssen, aber als bei Elizabeth urplötzlich die Wehen einsetzten und Mrs. Reynolds besorgt die Intervalle beobachtete, blieb ihnen keine andere Wahl.
William mußte, da es keinerlei telefonische Verbindung mehr nach draußen gab, versuchen, nach Lambton zu fahren und die Hebamme mit dem Auto nach Pemberley zu bringen. Er haßte es, Elizabeth in diesen Stunden alleine lassen zu müssen, aber es gab keine andere Möglichkeit. Mrs. Reynolds versprach, keine Sekunde von ihrer Seite zu weichen, die Kinder waren in Georgianas Obhut, und William machte sich seufzend und sehr besorgt auf den Weg. Hoffentlich würde Elizabeth durchhalten, bis er wohlbehalten mit der Hebamme wieder zurück wäre.
Es dauerte ewig, bis sich William durch den Sturm nach Lambton gekämpft hatte. Er hatte extra den Landrover mit Allradantrieb genommen, aber trotzdem kam er kaum vom Fleck. Die Scheibenwischer schafften es kaum, die ungewöhnlich große Menge an Schnee zu verdrängen und so konnte er nur Schrittempo fahren. Er hoffte, daß die Hebamme auch zuhause wäre.
Über drei Stunden dauerte es, bis William und die Geburtshelferin wieder zurück und wohlbehalten auf Pemberley ankamen. Elizabeths Schreie waren bis in die Eingangshalle zu hören und William wollte es schier das Herz zerbrechen, als er die Qual in ihrer Stimme hörte. Er rannte mit der Hebamme im Schlepp die Treppen hinauf zum Geburtszimmer und sie kamen gerade rechtzeitig, um das Köpfchen des ersten Kindes zu sehen, das sich mühsam seinen Weg ins Leben bahnte.
Mrs. Reynolds und Nelly leisteten ganze Arbeit. Mrs. Reynolds kniete zwischen Elizabeths Beinen, um dem neuen Erdenbürger den Eintritt in die Welt zu erleichtern, während Nelly an Elizabeths Seite saß, die Hand ihrer Herrin fest drückte und ihr beruhigende Worte ins Ohr murmelte. William eilte sofort an Elizabeths andere Seite und bedeutete Nelly, die ihn fragend ansah, sitzenzubleiben. Elizabeth konnte wahrscheinlich allen Zuspruch und Hilfe gebrauchen in ihrer Situation!
Die Hebamme trat routiniert und ruhig in Aktion und nur wenige Augenblicke später ertönte ein lauter Schrei und Jonathan Darcy teilte seinen Eltern und allen anderen Anwesenden unmißverständlich seine Ankunft mit.
William starrte mit großen Augen seinen Sohn an, der von Mrs. Reynolds fachmännisch versorgt wurde, während die Hebamme darauf wartete, daß der zweite Darcysproß sein Kommen ankündigte. Eine Welle des Schmerzes durchfuhr Elizabeth in diesem Moment, sie schrie wieder auf und krallte ihre Hände in Williams Arm.
Und da kam sie auch schon, die kleine Prinzessin, die kleine Julie. William war sofort alarmiert, als er das ernste Gesicht der Hebamme sah. Sie versuchte, ruhig und gelassen zu wirken, aber William sah ihre Anspannung nur zu deutlich. Sie hatte die Lippen zu einem dünnen Strich gepreßt und Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. Julie Darcy hatte sich zwar erfolgreich ans Licht der Welt gekämpft, aber ihr Gesicht war blau angelaufen und sie hatte ihre Nabelschnur um den Hals gewickelt. Elizabeth bekam von alldem Gott sei Dank nichts mit und William mußte sich dazu zwingen, seine Frau weiter im Arm zu halten und nicht nervös aufzuspringen und alle in Aufruhr zu stürzen.
Aber die Hebamme hatte Erfahrung mit solchen Schwierigkeiten und verlor nicht die Nerven. Ihre langjährige Routine zahlte sich in diesem Moment aus, indem sie der kleinen Julie Darcy ins Leben verhalf und ohne daß die Hilfe eines Arztes nötig war, brachte sie den Säugling umsichtig in Sicherheit. Die Kleine ließ nur wenige Augenblicke später einen lauten Schrei los, um ihren Platz in der Familie entschlossen kundzutun.
William fielen tausend Steine vom Herzen. Er sah an der Reaktion der Hebamme, daß es eine gefährliche Situation gewesen war, denn die gute Frau zitterte wie Espenlaub, als die Anspannung von ihr abfiel und sie die beiden Neugeborenen den überglücklichen Eltern gesäubert und ordentlich eingewickelt präsentierte.
William hatte erst später erfahren, wie knapp es für Julie wirklich gewesen war. Das Kind mußte einen Schutzengel gehabt haben. Es war ein riskantes Spiel mit der Zeit gewesen. Nur eine Minute länger, und sie hätte irreparable Hirnschädigungen zurückbehalten. Elizabeth hatte er nie etwas davon erzählt. Die Hebamme war für ihre gute Arbeit jedoch fürstlich entlohnt worden.
Es war kein Wunder, daß die kleine Julie von diesem Tag an der erklärte Liebling ihres Vaters war. Natürlich liebte William alle seine Kinder gleichermaßen, aber das Drama um die Geburt seiner jüngsten Tochter hatte er bis heute nicht vergessen. Und so brauchte sich der italienische Meister nicht zu wundern, daß William ständig von ihr abgelenkt wurde und er sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren konnte.
Alle, der Künstler ganz besonders, waren daher überaus erstaunt, daß einige Wochen später trotzdem ein wunderschönes Gemälde die große Galerie Pemberleys verzierte: William stehend mit Julie im Arm, Elizabeth neben ihm auf einem Stuhl sitzend mit Jonathan sowie Tim und Maggie rechts und links neben ihren Eltern stehend – die ganze Familie in einem Bild festgehalten.
William liebte dieses Bild. Er kam oft hoch in die Galerie, um es anzuschauen. Der italienische Meister war wirklich jeden Shilling wertgewesen. Er hatte Elizabeths strahlende Augen so gut getroffen, daß man denken könnte, es wäre eine Fotografie und William konnte viel Zeit damit verbringen, seine Lieben auf dem Bild zu betrachten.
Er war so dankbar, daß sich alles zum Guten gewendet hatte. Daß Elizabeth mit ihm zurückgekommen war, ihn geheiratet hatte, die dramatische Geburt der Zwillinge, ihr ganzes Leben bislang. Er war dankbar, daß sich Georgiana mit Elizabeth mittlerweile gut verstand und sie als seine Frau akzeptierte. Seine kleine Schwester hatte sich dafür entschieden, nochmal die Schulbank zu drücken und studierte Betriebs- und Landwirtschaft in Manchester, um nach Beendigung ihres Studiums mithelfen zu können, Pemberley zu verwalten. Sie lebte jeweils zur Hälfte mit ihnen auf Pemberley und zur anderen in einer kleinen Wohnung in Manchester und erklärte sich gerne dazu bereit, ab und zu auf die Kinder aufzupassen, damit deren Eltern auch einmal Zeit für sich haben konnten. William war darüber sehr froh, ebenso Elizabeth. Es dauerte nicht lange, und sie nahmen ihr Liebesleben genau da wieder auf, wo sie es kurzzeitig beendet hatten.
Die Familienplanung der Darcys war mit Ankunft der Zwillinge abgeschlossen. Während Tim bereits kurz nach der Hochzeit eingeschult wurde, konnten die anderen drei kleinen Darcys ihr freies Leben noch eine Zeitlang genießen. Elizabeth nahm nur noch ausgewählte Aufträge an und kümmerte sich ansonsten voller Hingabe um ihre Familie, während William seine Arbeitszeit zwischen London und Pemberley aufteilte.
Von Caroline, die sich mittlerweile wieder Bingley nannte, hatten sie nichts zu befürchten. Sie hatte auch jetzt noch keinerlei Interesse an ihren Kindern und machte niemals einen Versuch, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, geschweige denn, sich überhaupt nach ihnen zu erkundigen. Weder Tim noch Maggie fragten jemals nach ihrer leiblichen Mutter und Caroline geriet bald in Vergessenheit.
William war ehrlich gesagt sehr froh darüber. Er war immer noch sehr erstaunt darüber, was ihn jemals dazu hatte bewegen können, diese Frau zu heiraten. Aber Elizabeth ließ ihm keine Zeit für müßige Gedankenspielereien. William dankte dem Herrn jeden Tag aufs neue für das kostbare Geschenk, das dieser ihm in Gestalt von Elizabeth gemacht hatte, ganz zu schweigen von zwei weiteren wundervollen Kindern, die seine Familie und sein Glück komplettierten.
Aber der liebe Gott meinte es weiterhin gut mit William Darcy. Eines Tages stand er wieder vor dem Gemälde – mindestens einmal pro Tag machte er einen kleinen Ausflug dorthin, es war ihm regelrecht zu einer Art Ritual geworden – als er das Geräusch von kleinen Füßen auf dem Steinboden hörte und sich umdrehte. Er grinste, als er seine kleine Tochter sah, die mit ihren kurzen Beinchen eifrig hinter ihrem Daddy hergewackelt kam. William bückte sich, fing sie lachend auf und hob sie hoch, sein Gesicht in ihren dunklen Locken vergraben. „Hey, meine Süße, wo kommst du denn her? Bist du wieder deiner Mami ausgebüchst?"
Julie kicherte und zog ihn am Ohr. Sie liebte es, Mami auszubüchsen und Daddy zu suchen!
William küßte sie zärtlich auf die Stirn und wandte sich dem großen Familienporträt zu. „Siehst du das Bild dort, Julie? Das kleine Bündel da auf Daddys Arm, das bist du. Da warst du gerade mal ein halbes Jahr alt. Und jetzt bist du schon so ein großes Mädchen von zwei Jahren."
Julie giggelte wieder und deutete auf das Gemälde. „Mami!" rief sie aus und William nickte stolz. „Ja, und sie hält deinen Bruder Jonathan in den Armen. Und da sind auch noch Timmy und Maggie, siehst du?" Er drückte seine Tochter liebevoll an sich und seufzte leise. „Und es wird nicht lange dauern, und du wirst eine hübsche, junge Frau sein und die Männer werden sich hier die Türklinke in die Hand geben. Dann wirst du deinen alten Vater verlassen und heiraten und…"
„William, sie ist gerade mal zwei Jahre alt!" kam eine amüsierte Stimme von der anderen Seite des Flures. „Sie hat noch eine Menge Zeit!"
William wurde rot. „Aber wie schnell ist es soweit und meine Töchter werden das Haus verlassen und ihren alten Dad vergessen! Ich weiß nicht, ob ich das aushalten werde." Er klang pikiert.
Elizabeth kam kopfschüttelnd näher. „Liebling, ich kann mir nicht vorstellen, daß dich deine beiden Prinzessinnen jemals vergessen könnten." Sie legte ihrem Mann die Arme um den Hals und küßte ihn sanft. „Außerdem hast du ja noch mich, deine alte Ehefrau."
William zog sie an sich und brummte etwas unverständliches. Dann erwiderte er ihren Kuß und Julie begann zu zappeln. Sie wollte wieder herunter und den Rest der Welt erobern. William beugte sich ihrem Willen und wandte seine Aufmerksamkeit ganz seiner „alten" Ehefrau zu. „Was hielte meine „alte" Ehefrau denn davon, wenn sie ein wenig ihren ehelichen Pflichten nachkäme? Ich glaube, du vernachlässigst mich in letzter Zeit ziemlich stark."
Elizabeth schüttelte ungläubig den Kopf. „William Darcy, soweit ich mich erinnern kann, ist es gerade mal sieben Stunden her, als ich zum letzten Mal meine ehelichen Pflichten erfüllt habe!"
„Siehst du, du vernachlässigst mich!" William wich lachend ihrer Hand aus, die ihn ordentlich kneifen wollte und ohne sich um Elizabeths Proteste zu kümmern, hob er sie hoch und trug sie in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Er achtete sehr genau darauf, daß sie ihre Pflichten nur zu gut erfüllte, aber Elizabeth hatte keinerlei Problem damit. Sie erfüllte ihre Pflichten offenbar so gut, daß sie – zur Überraschung und Freude aller – nur wenige Wochen später bekanntgeben konnte, daß ein weiterer Darcysproß unterwegs war.
Nach einer unkomplizierten Schwangerschaft verlief dieses Mal glücklicherweise alles glatt und Anne Darcy kam pünktlich zum errechneten Termin im Frühjahr und ohne jegliche Komplikationen im Krankenhaus von Manchester zur Welt – und William hatte eine weitere Prinzessin, die er maßlos verwöhnen konnte.
Seine Befürchtung übrigens, daß ihn seine geliebten Töchter eines Tages würden vergessen können, erfüllte sich glücklicherweise nicht.
Ende
Danke, lieber Leser, liebe Leserin, daß Du Dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen! Hat sie Dir gefallen - dann freue ich mich sehr, falls nicht, hm, schade! Aber vielleicht magst Du Dir ja auch noch eine Minute Zeit nehmen, um einen kleinen Kommentar zu hinterlassen :-))
