"Ich glaube, sie sind nicht hinter uns", meinte Sirius aufmunternd zu Jenny und beide lauschten einen Moment lang in die Dunkelheit.
Jenny war erschöpft, aber sie hatte noch immer Angst. "Sirius, was war das für eine Aktion?", wollte sie wissen, "das war mehr als ein Böser-Jungen-Streich. Ich fühle mich so... gedemütigt. Ich habe den Jungs doch nichts zuleide getan!"
Sirius nahm sie in den Arm. "Lucius ist ein bösartiges Ekel", versuchte er sie zu trösten, "und es war auch nichts persönliches. Regulus ist mein gemeingefährlicher Bruder, ich streite ständig mit ihm. Hat was gegen Nichtmagier. Und Snape, den Mistkäfer, kennst du ja. Er war vermutlich sauer, weil wir ihm die Tour mit Lily vermasselt haben..."
"Ach bitte, Sirius, bleib doch einmal ernst!", seufzte Jenny und lächelte schwach, "ich komme mit dieser Art von Streitereien unter Brüdern wohl nicht zurecht."
"Du hast recht", antwortete Sirius leise und küsste sie, "ich übrigens auch nicht. Was meinst du, sollen wir hier eine Pause machen, bevor wir uns einen neuen Platz zum Schlafen suchen?"
"Nein danke", lehnte Jenny ab, "lass uns von hier verschwinden. Wenn wir nicht bald einen Schlafplatz finden, schlafe ich wohl im Stehen ein."
"Dann lass uns sehen, woher das Licht dort kommt", schlug Sirius vor, "irgendwo findet sich immer ein Schlafplatz: bei einem Bauern im Heu, in einem Auto..."
Jenny nickte schwach und sie machten sich auf den Weg, immer auf die Lichter zu.
Auf einem großen Platz standen Wohnwagen und alle möglichen Fahrzeuge. Riesige Scheinwerfer erleuchteten die Nacht, wo Männer ein riesiges Zelt errichteten.
"Wow, ist das nicht ein Zirkus!", rief Jenny überrascht.
"Und wieso glaubst du, dass uns das viel weiter hilft, Jenny?", fragte Sirius müde. "Was soll das überhaupt sein? Ich sehe nur ein großes Zelt."
"Aber wo ein Zirkuszelt ist, gibt es auch wilde Tiere, Clowns, Hochseilakrobaten oder Zauberer", fuhr Jenny fort.
"Zauberer?" Sirius war das Stichwort nicht entgangen. "Du meinst, es gibt dort Zauberer?"
"Meist sind es keine richtigen Zauberer", antwortete Jenny lächelnd, "sondern Muggel, die irgendwelche Tricks vorführen und so tun, als könnten sie zaubern."
"Ach, und ich dachte schon...", meinte Sirius enttäuscht, "wieso sollte jemand so tun, als ob er zaubern kann!"
Die kurze Stille, in der Sirius und Jenny dem Geschehen auf dem Platz zusahen, wurde abrupt unterbrochen, als sie plötzlich jemanden neben sich räuspern hörten. Sirius und Jenny fuhren erschrocken herum.
"Guten Abend", begrüßte sie eine freundliche Männerstimme und sie sahen einen alten Herrn mit einem langen Bart, einem seltsamen Umhang und einem noch viel seltsameren Hut auf dem Kopf aus dem Dunkel auftauchen.
Sirius und Jenny murmelten höflich eine Begrüßung und der Alte fuhr fort.
"Ich könnte mir vorstellen, dass ich Ihnen beiden helfen kann", sagte er in einem gekünstelten, theatralischen Tonfall, "wenn Sie wünschen, wäre ich gerne bereit, Ihnen ein Obdach zu gewähren."
"Nein danke", antwortete Jenny schnell, "danke für das freundliche Angebot, aber meine Mum hat mir verboten, mit Fremden zu reden."
"Oh entschuldigen Sie bitte vielmals", kam es zurück, "ich vergaß vor Aufregung ganz, mich vorzustellen. Mein Name ist Flamel. Nikolas Flamel. Ich bin ein Zauberer... Und ich arbeite hier in dem Zirkus."
"Zauberer?" Sirius sah ihn erleichtert an. "Und ich hatte befürchtet, ich würde hier nur auf Muggel treffen. Ich bin auch Zauberer. Wir sind... ein bisschen in Schwierigkeiten... und würden uns freuen, ihre Angebot..."
"Sirius!", unterbrach Jenny ihn, "Er ist ein Zirkuszauberer! Er zeigt den Leuten Zaubertricks, aber er ist... keiner von euch, na ja, wenn ich ihn so sehe, bin ich mir auch nicht mehr ganz sicher... Vielen Dank für ihre Freundlichkeit, Herr Flamel, aber wir werden lieber..."
"Ach sagt doch einfach Nikolas zu mir", unterbrach sie Flamel freundlich.
Jenny spürte ihren Widerstand schwinden. "Und ich bin Jenny", hörte sie sich sagen, "und das ist mein Freund Sirius."
"Habe die Ehre, Jenny, Sirius", sprach Flamel und verbeugte sich auf seine altmodische Art, so dass Jenny ein Kichern kaum unterdrücken konnte.
"Danke, Nikolas", antwortete Sirius, der dem Alten nun auch Vertrauen schenkte. "Wir könnten tatsächlich ein Dach über dem Kopf gebrauchen. Mussten plötzlich verschwinden, weil.. nun ja, ein paar üble Kerle aufgetaucht sind."
"Das habe ich mir schon gedacht", meinte Flamel bedächtig und gab den beiden ein Zeichen, ihm zu folgen. Jenny nahm Sirius an der Hand und sie folgten ihm in die Zeltstadt und zu einem kleinen Wohnwagen, auf den ein großes Portrait von Flamel gemalt war, der gerade ein weißes Kaninchen aus dem Hut zauberte.
"Tretet ein in meine bescheidene Behausung", sagte Flamel und öffnete die Türe.
Sirius und Jenny folgten ihm die drei Stufen in den Wohnwagen und waren über den Anblick überrascht, der sich ihnen bot, als sie den Wohnwagen betraten.
Sie betraten im Inneren des Wohnwagens eine großzügige Eingangshalle, in der einige altmodische Bilder an der Wand hingen. Jenny erschrak fürchterlich, als eines der Portraits, das eine ältere Dame mit einem schrägen Hut zeigte, ihr plötzlich freundlich zuzwinkerte.
Bevor sie Sirius davon berichten konnte, bat Flamel sie in eines der Zimmer, die von der Eingangshalle abgingen. In einem gemütlichen Wohnzimmer prasselte ein Kaminfeuer.
"Wollt ihr noch eine Kleinigkeit essen?", bot Flamel an, "oder etwas trinken?"
Dankend akzeptierten sie seinen Kräutertee, der merkwürdig schmeckte, ihnen aber gut tat.
"Woher haben Sie gewusst, dass wir kommen?", fragte Sirius. Die Frage hatte ihn schon die ganze Zeit beschäftigt.
Flamel nahm einen Schluck von dem Tee und antwortete dann: "Auf diese Frage habe ich schon gewartet." Er reichte Sirius ein Stück Pergament. Sirius betrachtete die Zeichnung, die auf den ersten Blick wie eine normale Landkarte der Umgebung aussah. Erst als er genauer hinsah, erkannte er, dass auf einigen der Wege Fußspuren gezeichnet waren, neben denen Namen standen. Einige der Fußspuren waren in Bewegung, andere verharrten an ein und demselben Ort. Er fand den Platz wo Flamels Wohnwagen stand und sah dort neben ihren eigenen Fußspuren die Namen "Nikolas Flamel" und "Sirius Black" stehen.
"Ich war schon unterwegs ins Bett", berichtete Flamel, "und habe noch einmal die Karte studiert. Auch ich hatte mal... ein paar Schwierigkeiten... mit ein paar üblen Kerlen."
"Was ist das für eine Karte?", fragte Sirius erstaunt.
"Ich habe sie verzaubert", lächelte Flamel, dem sein Interesse nicht entgangen war. "Sie zeigt mir die genaue Position von Zauberern und Hexen an. Wenn du magst, verrate ich dir den Spruch."
Jenny unterbrach die beiden Zauberer. "Aber heute hoffentlich nicht mehr", meinte sie, "ich bin totmüde..."
Flamel sprang auf. "Was bin ich doch für ein miserabler Gastgeber", begann er sich Vorwürfe zu machen, "ich bin untröstlich. Bitte nehmt meine Entschuldigung an! Ich hatte seit fast zweihundert Jahren keine Gäste mehr..."
Er führte Jenny und Sirius hinaus in die Halle und eine breite Treppe nach oben, wo er ihnen eines seiner Gästezimmer anbot. Das Zimmer war großzügig und komfortabel eingerichtet, aber die beiden war das in diesem Moment vollkommen gleich, denn sie fielen müde wie Steine in die Betten und waren wenige Minuten später eingeschlafen.
