"Guten Morgen, Schlafmütze", flüsterte sie ihm ins Ohr und ihre Hände wanderten zärtlich über seinen Körper, "steh auf, das Frühstück wartet schon!"
Sirius musste einen Moment überlegen, wo er war. Dann erinnerte er sich wieder. Der Zirkus, ein verzauberter Wohnwagen, Nikolas Flamel. Sie waren in Sicherheit. Er zog Jenny näher an sich heran und legte seinen Arm um sie.
"Komm doch noch ein bisschen zu mir", versuchte er sie zu überreden.
"Das könnte dir so passen!", lachte sie, "du solltest sehen, was unser Gastgeber zum Frühstück aufgefahren hat. So ein riesiges Frühstücksbüfett hab ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehn!"
Dieses Argument überzeugte schließlich auch Sirius, der plötzlich merkte, wie hungrig er war.
Jenny hatte nicht übertrieben, Flamel hatte tatsächlich alles, was man sich nur vorstellen konnte, zum Frühstück vorbereitet. Es gab frisches Obst, alle möglichen Sorten Müsli, Quark, Brötchen, Marmelade, Nutella, Wurst, Käse, kleine gebratene Würstchen, Speck und Eier, frisch gepresste Fruchtsäfte und natürlich auch Kaffee, Tee und heiße Schokolade.
"Ich wusste nicht genau, was ihr essen wollt", entschuldigte sich Flamel als Sirius und Jenny das Esszimmer betraten, "also hab ich einfach mal alles hingestellt. Wenn noch was fehlt, sagt mir einfach bescheid."
"Das kann ich mir kaum vorstellen", antwortete Sirius und häufte seinen Teller voll.
Nikolas Flamel nahm sich nur einen süßlich duftenden Tee und sie setzten ihre Unterhaltung vom Vorabend fort. Geduldig hörte sich Flamel die ganze Geschichte, die Sirius und Jenny ihm erzählten an.
Schließlich antwortete er: "Ich kann euch wirklich verstehen. Es gibt sie immer wieder, Vorurteile zwischen magischen und nichtmagischen Menschen, so wie es sie schon immer zwischen verschiedenen Rassen oder Religionen gab. Ich selbst habe viele Jahre meines Lebens darunter leiden müssen, denn meine Frau Cäcilia... na ja, vergessen wir das, ich möchte euch diese traurige Geschichte lieber ersparen."
Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: "Ich habe jedenfalls einen Weg gefunden, wie ich diesem Konflikt entgehen kann. Wenn ihr wollt, könnt ihr eine Weile hier bleiben."
Jenny und Sirius sahen sich an und Jenny antwortete für beide.
"Vielen Dank, Nikolas, wir bleiben gerne noch ein paar Tage, wenn es dir keine Umstände macht..."
"Aber nein!", widersprach Flamel, "ich hatte lange keinen Besuch mehr, und es wird Zeit, dass ich meinen alten Kopf benütze und mal wieder junge Leute um mich habe."
"Dann nehmen wir dein Angebot gerne an", antwortete Sirius.
"Fein!", rief Flamel begeistert, "aber dann müsst ihr heute Nachmittag unbedingt in die Vorstellung kommen! Ihr seid natürlich meine Ehrengäste!"
"Mit dem größten Vergnügen", antwortete Jenny abermals für beide.
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Jenny und Sirius hatten als Ehrengäste Plätze in der Loge bekommen, so dass sie das Geschehen in der Manege unmittelbar verfolgen konnten.
Eine Gruppe Pferde stürmte in die Manege. Eine junge Reiterin stand auf dem Rücken eines galoppierenden Rappen und das Publikum hielt bei ihren schwindelerregenden Turnübungen den Atem an.
Tom und Stan, die beiden Clowns, strapazierten ihre Lachmuskeln bei dem Versuch, mit einer Gießkanne und einem Gartenschlauch Musik zu machen.
Tony, der Messerwerfer, traf seine Frau mit absoluter Präzision nicht und verfehlte sie selbst aus zehn Metern Entfernung mit verbundenen Augen.
Es folgte eine atemberaubende Dressurnummer mit Tigern und Löwen, die gehorsam durch brennende Reifen sprangen und dem Dompteur aus der Hand fraßen.
Eine Schlangenbeschwörerin konnte mit ihrer Giftschlange reden. Hoch oben in der Kuppel des Zeltdachs flogen die Hochseilartisten durch die Luft, wirbelten in Saltos und Schrauben herum und fingen sich gegenseitig im letzten Moment wieder auf. "Ziemlich mutig ohne Netz!", flüsterte Jenny Sirius ins Ohr.
Es folgte Nikolas Flamel als Zirkuszauberer. Seine Tricks stellten alles, was Jenny bisher an Zauberei gesehen hatte, in den Schatten und er erhielt tosenden Beifall von den nichtmagischen Zuschauern, die erstaunt überlegten, wie Flamel es schaffte, sein weißes Kaninchen vor den Augen des Publikums in eine weiße Rose zu verwandeln, die er Jenny mit einer Verbeugung überreichte.
Abends waren sie bei den Zirkusleuten eingeladen, die nach der Vorstellung zusammen feierten. Flamel stellte sie der ganzen Mannschaft vor. Stan, einer der Clowns, schenkte ihnen Wein ein und die Frau des Messerwerfers bot ihnen zu Essen an.
Zwei Musiker aus der Zirkuskapelle spielten auf Akkordeon und Saxophon Tänze aus den verschiedensten Ländern und bald hatten sie mit den Zirkusleuten Freundschaft geschlossen.
So verbrachten sie zwei wundervolle Tage, die wie im Flug vorüber gingen.
Am dritten Tag saßen Jenny und Sirius wie jeden Morgen beim Frühstück, als Flamel ihnen mit feierlichen Worten einen Vorschlag unterbreitete.
"Ich kann euch eine Lösung für euer... Problem anbieten", begann er, "ich habe darüber nachgedacht und mich entschieden, mich nach... vielen Jahren als Zauberer zur Ruhe zu setzen, und würde dir, Sirius, den Job vermachen. Der Zirkus ist eine Oase der Freaks voll mit Leuten, die alle irgendwie aus dem Rahmen fallen. Du siehst, es ist der optimale Platz, wo ihr zusammenleben könnt. Hier ist jeder von euch willkommen. Hier leben Magische und Nichtmagische miteinander, wie sonst nirgends."
Sie schwiegen eine Weile und dachten über die Worte des alten Mannes nach.
"Ihr müsst euch nicht sofort entscheiden", fuhr er fort, "sondern könnt in Ruhe darüber nachdenken. Ich weiß genau, dass die Zirkusleute euch bereits jetzt schon ins Herz geschlossen haben, und der Direktor hat mir bereits seine Zustimmung gegeben."
"Das ist wirklich eine brillante Lösung", antwortete Sirius nachdenklich, "und wir sind dir für dein großes Vertrauen echt voll dankbar..."
"Sirius...", begann Jenny.
"...und haben uns in der Zirkusgemeinschaft auch schon gut eingelebt..."
"Sirius...", unterbrach ihn Jenny erneut. Er sah sie erstaunt an.
"Können wir drüber reden?", fuhr sie fort, "allein. Irgendwo, wo wir unsere Ruhe haben."
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Sie verließen das Zirkusgelände und wanderten Hand in Hand am Waldrand entlang. Sie schwiegen nachdenklich und dachten über Flamels Angebot nach. Wo der Weg in den Wald führte, fanden sie eine Bank, auf die sie sich setzten um zu reden.
"Ein fantastisches Angebot", begann Sirius, "vielleicht nicht gerade ein Traumjob, aber wir könnten immer zusammen sein."
"Nikolas ist süß", antwortete Jenny, "und es fällt mir schwer, seinen Vorschlag abzulehnen. Was wäre denn dein Traumjob?"
"Ich würde gern in Hogwarts oder einer anderen Zauberschule unterrichten", erzählte Sirius. "Oder in einem Forschungsinstitut des Zaubereiministeriums neue Abwehrzauber entwickeln."
"Und ich würde gerne Tiermedizin studieren", erklärte Jenny. "Wärst du wirklich bereit, auf das alles zu verzichten, nur um mit mir zusammen zu sein?"
"Ich denke schon", antwortete Sirius und küsste Jenny.
"Ach du bist ein feiger Schwachkopf", rief Jenny, "süß und romantisch."
"Immerhin", meinte Sirius.
"Glaubst du wirklich, ich würde mich in dieser Oase der Freaks vor der Welt verstecken?", rief sie voller Leidenschaft und Sirius begriff gut, wie ernst es ihr war.
"Deine Welt, meine Welt - wir werden uns dafür einsetzen müssen, dass sie uns akzeptieren, aber das müssen wir auf uns nehmen, damit wir zusammen sein können, ohne auf unsere Ziele zu verzichten."
Sirius nickte nachdenklich. "Du hast wie immer vollkommen recht, Jenny", antwortete er endlich, "in anderthalb Wochen sind die Ferien vorbei und ich werde nach Hogwarts zurückkehren, aber spätestens Weihnachten sehen wir uns wieder."
"Das ist lang genug", seufzte Jenny, "aber lass uns nicht davon reden. Nicht heute..."
Sie küsste ihn und Sirius küsste Jenny zurück, so zärtlich und leidenschaftlich er konnte.
"Lass uns noch einmal zum Baden gehen... an unseren Platz", flüsterte Jenny ihm ins Ohr.
"Morgen", antwortete Sirius, "werden wir unserer Oase Lebewohl sagen und uns auf den Weg nach Hause machen."
