McGee krallte sich in die Tür des NCIS Trucks, als hinge sein Leben davon ab. Angesichts der halsbrecherischen Fahrweise seines Vorgesetzten tat es das vielleicht wirklich. Der einzige gute Grund warum sie noch am leben waren, da war sich McGee sicher, war die Tatsache, dass es jetzt fast halb vier morgens war und sich ihnen nur ab und zu ein anderer Wagen in den Weg stellte.

Sie waren auf dem Weg zu Tony und Ziva, irgendetwas war schief gegangen. Das war so gut wie alles, was McGee wusste. Mehr hatte Gibbs ihm nicht gesagt und er zweifelte, ob sein Boss selber wusste, was genau passiert war. Er hatte diese unhöfliche Eigenschaft Telefongespräche ohne ein Wort der Verabschiedung einfach zu beenden. Wahrscheinlich hatte er selbst nur gehört, dass etwas schief gegangen war und hatte dann aufgelegt um sich so schnell wie möglich selbst ein Bild von der Situation zu machen.

Als sie sich ihrem Ziel näherten und McGee in einiger Entfernung sah, wie die Dunkelheit von den regelmäßigen, blauen Lichtblitzen eines Krankenwagens erhellt wurde, spürte er plötzlich etwas in seinem Hals. So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, den großen Kloß herunter zu schlucken.

Etwas ist schief gegangen. Das konnte so ziemlich alles bedeuten. Es konnte bedeuten, dass Wright entkommen konnte. Genauso gut konnte es heißen, dass einer seiner Kollegen verletzt wurde, oder schlimmer. Natürlich hoffte er, dass ersteres der Fall sein würde, doch die Gedanken und Bilder in seinem Gehirn verselbstständigten sich.
Die Horrorszenarien begannen sich vor McGees geistigem Auge förmlich zu überschlagen. Eines war schlimmer als das andere. Überall war Blut. Er hasste den Anblick von Blut, besonders, wenn es das von Kollegen war. Das Blut seiner Kollegen.

"Beweg' deinen Hintern, McGee!"

Gibbs Stimme riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Er hatte nicht bemerkt, dass der Truck nur wenige Meter neben dem Krankenwagen angehalten hatte und sein Boss bereits ausgestiegen war.

"Bin schon unterwegs."

Hektisch löste er seinen Sicherheitsgurt und stolperte förmlich aus dem Wagen. Erleichtert sah er Ziva auf den Truck zukommen. Ihr Gesichtsausdruck war ernst und wirkte verkrampft. Suchend begann er sich nach Tony umzusehen. Mit jeder Sekunde, in der er seinen Kollegen nicht erblickte, bewegte sich sein Kopf schneller. Die Bilder, in denen sie Farbe Rot dominierte, erschienen plötzlich wieder vor seinem inneren Auge und sein Magen krampfte sich zusammen.

"Was ist hier passiert?", fragte Gibbs in forderndem Ton in Zivas Richtung.

Sie fuhr sich mit einer Hand über den Kopf und seufzte laut. "Ist 'ne lange Geschichte. Wir sollten –"

"Wo ist Tony?", brach es aus McGee heraus, der einfach wissen musste, ob sein Kollege verletzt war.

Erschreckt folgte McGee Zivas Blick in Richtung des Krankenwagens. "Tony ist –"

"Au!"

Verdutzt verzog McGee das Gesicht. Er folgte Gibbs und Ziva, die auf den Krankenwagen zugingen. Als er seinen Kollegen erblickte, war ihm seine offenbar übertriebene Sorge schon wieder ein wenig peinlich.

Hätte er nach dem verzerrten Ausdruck in Tonys Gesicht und seinem opulenten Leidensbekundungen geurteilt, wäre er davon ausgegangen, sein Kollege sei nur knapp dem Tod entkommen. Die kleine Platzwunde an seinen Kopf, die vorsichtig von einer attraktiven Notärztin versorgt wurde, verriet ihm jedoch, dass Tony mal wieder maßlos übertrieb.

"- in guten Händen", beendete Ziva schließlich ihren Satz.

"Hey Boss."

"Wie geht's ihm?", fragte Gibbs die Ärztin, Tonys Begrüßung ignorierend.

"Es sieht schlimmer aus, als es ist", entgegnete die Frau mit einem Lächeln, während sie die frisch vernähte Wunde mit einem großen Pflaster verdeckte. "Mit ein bisschen Glück bleibt nicht mal eine Narbe. Eine Gehirnerschütterung konnte ich ausschließen, allerdings sollten ihre Kollegen es die nächsten Tage etwas ruhiger angehen lassen."

Gibbs warf Ziva einen berechnenden Blick zu. Fordernd hob er die Augenbrauen.

"Mir ging's schon schlechter", wehrte sie ab.

"Sie sollten ein Auge auf sie haben", bemerkte die Ärztin mit einem mitleidsvollen Blick in Gibbs' Richtung.

"Danke für ihre Hilfe", entgegnete er in einem Ton, der keinen Raum für Zweifel ließ, dass die Agents ein paar Minuten unter sich sein wollten.

Die Ärztin nickte kurz, als Zeichen, dass sie verstanden hatte und ging dann zu ihren Kollegen, vermutlich um ihnen mitzuteilen, dass ihre Arbeit hier beendet war.

Als sie außer Hörweite war, stellte Gibbs seine Agents ein weiteres Mal zur Rede.
"Was zur Hölle ist hier passiert? Wo ist Wright?"

Obwohl die Fragen nicht an ihn gerichtet waren, verzog MeGee das Gesicht. Gibbs' Laune war mal wieder auf einem Tiefpunkt angelangt. In diesem Moment war er froh, nicht an Tonys oder Zivas Stelle zu sein.

Die Beiden tauschten einen unsicheren Blick aus und zu McGees Überraschung begann Ziva zu erzählen. Normalerweise ließ sich Tony keine Gelegenheit entgehen um sich vor Gibbs zu beweisen und der Erste zu sein, der ihm Bericht erstattete.

"Wright war offensichtlich hinter seinem nächsten Opfer her, wir sind ihm gefolgt und haben ihn gestellt."

"Was ist mit dem Opfer?", unterbrach Gibbs.

"In einem anderen Krankenwagen unterwegs ins Metro", erklärte Tony. "Nichts Ernstes. Spätestens am Nachmittag können wir die Aussage aufnehmen."

Nach einer kurzen Pause und einem weiteren aufforderndem Blick von Gibbs erzählte Ziva weiter. "Er hat die Frau zur Seite gestoßen. Als er auf uns losgegangen ist, hab' ich geschossen und ihn am Arm erwischt. Schien ihm gar nichts auszumachen. Dann hat er mich angegriffen..." Sie zögerte. "Es... es ging alles so schnell, ich konnte nicht reagieren. Ich war für ein paar Sekunden weggetreten."

Gibbs nickte und wendete seine Aufmerksamkeit Tony zu. "Was ist dann passiert?"

"Ich hab' zweimal geschossen. Hab' ihn am Bein erwischt, doch der hat die Kugel weggesteckt, als wäre er der Terminator."

Gibbs strafte die Bemerkung mit einem seiner Blicke. "Was dann?"

"Da war plötzlich diese Frau. Die hat sich auf ihn gestürzt und mit ihm gekämpft. Und dann..."

"Was dann, DiNozzo?"

Tony tauschte einen weiteren Blick mit Ziva. Sie atmete tief ein und erzählte dann weiter. "Ich hab' von dem Kampf nicht viel mitbekommen, aber es sah so aus, als..." Die Worte schienen ihr schwer zu fallen, so als würde sie selbst nicht glauben, was sie sagte. "Als hätte sich Wright... in ein Häufchen Staub verwandelt."

"Was?", fragte Gibbs aufgebracht. McGee hätte schwören können, dass gerade eine heftig pulsierende Ader an der Stirn seines Bosses aufgetaucht war.

"Sieht so aus", begann Tony, während er nach etwas neben sich griff, "als hätte sie ihn gepfählt."

Er hielt Gibbs eine Tüte für Beweismaterial unter die Nase, in der sich, soweit McGee es erkennen konnte, ein spitzes Stückchen Holz befand.
Gibbs schüttelte resignierend den Kopf. Anscheinend war er zu der gleichen Schlussfolgerung wie McGee gekommen: Diesmal hat es die Beiden zu heftig am Kopf erwischt.

"Was ist mit der Frau?", fragte Gibbs mit einem Seufzer.

Tony deutete auf das Pflaster an seiner Stirn. "Ich hatte keine Chance, Boss."

"Als ich bei meiner Waffe war, war sie verschwunden", fügte Ziva hinzu.
Gibbs wendete sich für einen Augenblick von seinen Kollegen ab, wie McGee vermutete nur eine Vorsichtsmaßnahme. Angesichts dessen, was die Beiden gerade berichtete hatten und der Ader auf seiner Stirn, die kurz davor schien zu platzen, musste Gibbs selbst kurz vor einer Explosion stehen.

Doch zu McGees Überraschung blieb sein Vorgesetzter äußerlich ruhig. Sein Ton verriet allerdings, wie es innerlich in ihm aussehen musste.

"McGee, hol' die Ausrüstung und fang' mit den Fotos an." Gibbs drehte sich wieder zu Tony und Ziva und sah die Beiden ernst an. "Ihr Beide fahrt zum NCIS. Wenn wir hier fertig sind will ich wissen, wer diese Frau ist, verstanden?"

Sein Ton ließ keinen Raum für Diskussionen. Gibbs drehte sich um und ging in Richtung des Tatorts.

"Wartest du auf 'ne Extraeinladung, McGee?"