McGee lehnte seinen Kopf unsanft gegen die kalte, metallene Wand des Fahrstuhls. Warum stellte er bloß immer wieder so dumme Fragen? Fragen, die andere, besonders aber sein Boss, überflüssig fanden. Fragen, die ihn in Situationen wie diese brachten.

Zwanzig Minuten zuvor hatte er an genau derselben Stelle gestanden und war nervös von einem Fuß auf den anderen getreten. Abby hatte den Haufen Staub, den sie am Tatort gefunden hatten analysiert und festgestellt, dass er aus menschlichen Überresten bestand. Wie die einer eingeäscherten Leiche. Nicht sicher, was er mit der Information und der aufgeregten Abby anstellen sollte, hatte sich McGee entschieden, Gibbs über die neue Entwicklung in dem Fall in Kenntnis zu setzen. Abgesehen davon hatten ihn die Ereignisse der Nacht ohnehin schon genug verwirrt. Die Theorien, die Abby angefangen hatte aufzustellen – von Verschwörung, über Außerirdische bis hin zu dunklen Mächten – trugen nicht gerade zur Klärung seiner Gedanken bei und so war er froh, eine Entschuldigung zu haben, dem Labor – und somit Abby – erstmal zu entkommen.

Hätte er doch bloß gewartet und sich angehört, was in Abbys verdrehtem Kopf vor sich ging. Es wäre hundertprozentig die angenehmere Alternative gewesen.

McGee öffnete die Augen und starrte auf die silberne Wand, die viel zu dicht vor seinem Gesicht war, um sie klar sehen zu können. Er nahm sie sowieso nicht wahr. Er sah andere Bilder vor sich, Bilder von Monstern, Vampiren, Dämonen. Die Geschichte, die er vor wenigen Minuten gehört hatte, erzählt von einem Mann den er nicht kannte, wiederholte sich immer und immer wieder in seinem Kopf.

Er war, auf der Suche nach Gibbs, in die Pathologie geplatzt. Alle Augen waren für eine Sekunde auf ihn gerichtet gewesen. Dann hatte Gibbs gesagt, dass was auch immer er zu berichten hatte warten müsse und er zuhören sollte, was der Mann, Giles, zu sagen hatte. Zunächst hatte er über das Lachen müssen, was er hörte. Er hatte erwartungsvoll rüber zu Tony gesehen, doch dessen Mine war wie versteinert gewesen. Das hier ist also kein Witz, hatte er schließlich beschlossen und die folgenden Minuten mit leicht geöffnetem Mund – wie immer, wenn er sich auf etwas konzentrierte – angestrengt zugehört.

Vampire, Dämonen – das Böse existiert. Eine Tatsache, mit der sie sich abfinden sollten, so wie es die Menschen getan haben, die lange vor Beginn unserer Zeitrechnung die erste Jägerin erschaffen haben. Ein Mädchen, dessen Seele sie mit dem Geist, dem Herz eines Dämonen vereinigt haben, dessen Schicksal es fort an sein sollte, gegen eben jene Mächte des Bösen zu kämpfen und die Menschheit vor ihnen zu beschützen. Seither wurde in jeder Generation eine Auserwählte geboren, eine Jägerin, die den Kampf gegen die dunklen Mächte fortführt. Faith ist eine von ihnen. Als Jägerin verfügt sie über gewisse... übermenschliche Kräfte, die sie ihnen, offensichtlich, vergangene Nacht demonstriert hat.

Das 'Pling' des Fahrstuhls riss McGee aus seinen Gedanken. Er öffnete die Augen erneut, blickte runter auf seine Hände und stellte fest, dass er nervös an dem Ring an seiner Hand herumspielte. Dieses dämliche Ding, dachte er.
Abby hatte ihm den Ring vor zwei Tagen zum Geburtstag geschenkt. Ein ungewöhnliches Geschenk, selbst für Abby. Später hatte er dann herausgefunden, dass sie seinen Geburtstag komplett vergessen hatte. Der Ring, den sie am Wochenende bei einem Garagenverkauf entdeckt hatte, war lediglich eine spontane Lösung gewesen. Doch davon hatte er noch nichts gewusst, als er das Ding auf seinen rechten, kleinen Finger gesteckt hatte, um Abby in dem Glauben zu lassen, er würde ihm gefallen. Doch jetzt bekam er ihn einfach nicht mehr ab. Während er auf die Tür des Forensiklabors zuging, beschloss er es an diesem Abend mit viel heißem Wasser und Seife zu versuchen.

McGee blieb vor der Tür stehen und atmete tief durch. Ihm schoss erneut die Szene durch den Kopf, die ihn in diese unangenehme Situation gebracht hatte.

Er selbst, Gibbs, Tony und Ziva hatten, nachdem Giles seine Erzählung beendet hatte, den Raum verlassen, um vor der Tür in Ruhe ein paar Worte wechseln zu können. Viele Worte waren nicht gefallen. Gibbs hatte beschlossen, Direktor Shepard über die Entwicklungen in Kenntnis zu setzten und dann Tony und Ziva angewiesen, Faith vorerst im Verhörraum unterzubringen, nicht sicher, was er mit ihr anstellen sollte.
Und dann war es passiert. Die Worte waren aus seinem Mund gekommen, bevor er überhaupt merkte, was er sagte.

"Ähm, Boss?", fragte er vorsichtig.
Gibbs sah in fordernd an und grummelte ein 'was' in seine Richtung.
"Wie... wie willst du das Abby erklären?"
Gibbs trat einen Schritt auf ihn zu, so dass er direkt vor ihm stand. Sein Gesichtsausdruck lockerte sich auf eine beunruhigende Art. "Ich werde es ihr nicht erklären, McGee."
"Aber Boss", begann er zu protestieren, doch Gibbs unterbrach ihn.
"
Du wirst es ihr erklären."

Und nun stand er da, vor Abbys Labor und beobachtete sie durch die gläserne Tür, wie sie – wahrscheinlich zum hundertsten Mal – das restliche Beweismaterial des Falles überprüfte um einen Beleg für irgendeine ihrer Theorien zu finden. Er schüttelte sich bei dem Gedanken daran, auf welche verdrehten Ideen sie mittlerweile gekommen sein musste. Einer von ihnen würde er wahrscheinlich in wenigen Minuten bestätigen. Noch einmal atmete er tief ein, hielt die Luft an, als wäre Abbys Labor eine Art Aquarium, in das er hinabtauchen müsste, und drückte dann den Knopf, der die Tür öffnete.

"McGee", rief sie ihm enthusiastisch, wenn auch mit einer vorwurfsvollen Note entgegen. Sie sprang förmlich von ihrem Stuhl auf – der daraufhin quer durch den Raum schoss – und lief auf ihn zu. "Warum hat das so lange gedauert? Was hat Gibbs gesagt? Warum ist er nicht hier? Normalerweise würde er selber her kommen... McGee, alles okay?"

Abby sah ihn besorgt an und erst da merkte er, dass er nicht atmete und sie ansah, als sei er gerade in ihrem Aquarium-Labor ertrunken.
"Alles... in Ordnung", brachte er schließlich heraus. Sie sah ihn misstrauisch an, offensichtlich glaubte sie seine Lüge nicht. Kein Wunder. Abby war in der Beziehung genau wie Gibbs. Sie wusste einfach, wenn man sie anlog, nur hatte sie eine angenehmere Art damit umzugehen.

"Gibbs ist oben bei Direktor Shepard, er –"

"Was zur Hölle könnte wichtiger sein, als das hier?" Ihre Miene verdüsterte sich schlagartig. Abby konnte Direktor Shepard nicht besonders gut leiden. McGee hatte nicht wirklich aus ihr herausbekommen können warum, doch er glaubte, dass es etwas mit deren früherer Affäre mit Gibbs, der Kleiderordnung oder dem Assistenten, den sie Abby versucht hatte aufzuzwingen, zu tun hatte.

"Für die Sache kriege ich vielleicht 'nen Nobelpreis... und Gibbs hält es nicht mal für nötig –"

"Abby", versuchte McGee sie zu beruhigen. "Es ist was wirklich Wichtiges dazwischen gekommen. Ich... ich –"

Es war soweit, er hatte angefangen rumzustammeln. Wenn er ehrlich war, hatte er nicht den blassesten Schimmer, wie er anfangen sollte, geschweige denn wie er weitermachen oder die Geschichte zu Ende bringen sollte. Er atmete ein weiteres Mal tief durch – nicht sicher, ob es dazu diente sich zu beruhigen, oder Zeit zu schinden – und sah Abby dann ernst an. Er packte sie an den Schultern und schob sie rückwärts, sanft aber bestimmt, in Richtung ihres Schreibtischstuhls, der jetzt mitten im Raum stand.

Er drückte Abby in den Stuhl, beugte sich zu ihr runter, atmete er ein letztes Mal tief ein, kniff die Augen fest zu und begann dann, in einem irrwitzigen Tempo zu erzählen. "Wright-war-ein-Vampir. Die-Asche-die-du-analysiert-hast-waren-tatsächlich-seine-sterblichen-Überreste. Er-wurde-gepfählt-von-einer-Vampirjägerin-oder-so-die-jetzt-unten-im-Verhörraum-sitzt."

Er hatte es getan, er hatte es ihr erzählt... Aber warum sagte Abby nichts? Langsam öffnete McGee die Augen und blickte direkt in die der Forensikerin. Sie sah ihn an, als sei er komplett übergeschnappt. Ein paar Sekunden lang starrten sich die Beiden nur an, dann lehnte Abby den Kopf zur Seite. "Timmy... bist du high?", fragte sie, ihr Ton war eine Mischung aus Vorwurf, Besorgnis und totaler Verwirrung.

McGee seufzte. Das wäre irgendwie auch zu einfach gewesen. Er ließ ihre Schultern los, richtete sich auf und begann nervös vor Abby auf und ab zu laufen, ihre Blicke ignorierend.

Und dann begann er ein weiteres Mal zu erzählen. Langsam – vielleicht etwas zu langsam – stotternd, unterbrochen von zahllosen 'ähms' und 'uhs'. Er erzählte alles, was er wusste. Was Tony und Ziva am Tatort berichtet hatten, wie Gibbs die Beiden zu ignorieren schien und wie immer seine Arbeit gemacht hatte, wie er in die Pathologie geplatzt war und schließlich wiederholte er das, was Giles erzählt hatte fast Wort wörtlich. Einmal im Redeschwall hörte er nicht auf und erzählte Abby, wie er in die missliche Lage gekommen war, derjenige zu sein, der ihr dies alles erzählen musste.

"Dir wäre es also lieber gewesen, wenn mir Gibbs oder sonst jemand das alles erzählt hätte?", unterbrach sie ihn schließlich mit deutlich hörbarer Empörung.

McGee sah sie, um Verständnis bettelnd, an. Nach dem Fall im vergangenem Jahr, bei dem Kornkreise eine nicht unerhebliche Rolle gespielt und Abby bis zuletzt alles versucht hatte um den Beweis für etwas Übernatürliches zu finden, konnte sie doch nicht wirklich erwarten, dass er besonders scharf darauf war, ihr zu erzählen, dass Vampire und Dämonen wirklich existierten.

"Abby, hast... hast du verstanden, was ich gerade erzählt habe?", fragte er schließlich, verzweifelnd versuchend das Gespräch zurück auf das Wesentliche zu bringen.

"Jedes einzelne Wort."

"U-Und? I-Ich meine, bist du nicht vielleicht ein bisschen...überrascht, geschockt, verwirrt?"

"Ja, Timmy, bin ich." Sie sprang ein weiteres Mal von dem Stuhl auf und baute sich bedrohlich vor ihm auf. "Ich bin geschockt, dass du mir so was nicht selber sagen willst. Ich bin verwirrt, was die ganzen Dämonen, Vampire und das ganze Zeug angeht und überrascht bin ich von... von... der Gesamtsituation."

"Verwirrt? I-ich meine, Abby, da draußen laufen Vampire und weiß Gott was sonst noch rum. Findest du das nicht ein bisschen... ich weiß auch nicht... beunruhigend?"

Ein paar Sekunden lang starrte sie ihn nachdenklich an. "Ich brauche einen Caf-Pow!", beschloss sie und stürmte aus dem Labor – einen verdutzten Timothy McGee zurücklassend.