A/N: Vielen Dank an Mrs. DiNozzo für das Review!


Jenny Shepard verließ das MTAC mit finsterer Miene. Die Informationen, die sie gerade bekommen hatte waren alles andere, als gut und Gibbs hatte ihr noch immer nicht über die geplante Festnahme von Wright berichtet. Alles was sie wusste war, dass die Aktion nicht nach Plan verlaufen war.

Ohne aufzusehen ging sie ins Vorzimmer ihres Büros. Drinnen saß ihre Assistentin Cynthia, die gerade in ein anscheinend wichtiges Telefonat vertieft war. Ihr gegenüber saß ein gut aussehender Mann im Anzug. Innerlich seufzte Jenny. Ihren Termin mit Bob Singer, dem stellvertretenden Direktor des FBI hatte sie bisher erfolgreich verdrängt. Äußerlich ließ sie sich ihre schlechte Laune nicht anmerken und lächelte ihn freundlich an. Gentlemen-like stand Bob auf, erwiderte das Lächeln und reichte ihr die Hand.

„Mr. Singer", begrüßte sie ihn mit gezwungen freundlicher Stimme.

„Director Shepard." Sein Ton war nicht weniger aufgesetzt als ihrer.

„Ich bin gleich für sie da. Ich hoffe es macht ihnen nichts aus, noch einen kleinen Augenblick zu warten."

„Überhaupt nicht, Madame."

Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich erneut ein Lächeln auf die Lippen. Jenny hasste es, wenn man sie Madame nannte. Mit einem Kopfnicken drehte sie sich zu ihrer Assistentin um, die ihr Telefonat mittlerweile beendet hatte.

„Cynthia, hat Agent Gibbs sich schon gemeldet?"

„Heute morgen noch nicht, Director."

„Gut. Sagen sie ihm bitte, dass ich ihn so schnell wie möglich in meinem Büro sehen will."

Cynthia antwortete mit einem Nicken. Jenny drehte sich um, lächelte Bob Singer noch einmal freundlich zu und verschwand dann in ihrem Büro.
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Sie hasste diese Art von Briefing, die meistens in eine Art Wettbewerb darum ausarteten, wer die bessere Behörde leitete. Da der NCIS nicht wirklich eine Konkurrenz zum FBI darstellte, hatte Jenny die leise Vermutung, dass die Vertreter der Behörde diese Treffen lediglich wahrnahmen, um ihr männliches Ego zu stärken.

Abgesehen davon war Bob Singer ein besonders schmieriges Exemplar von Mann. Er hatte diese unerträgliche Angewohnheit Menschen, besonders Frauen, bei jeder Gelegenheit anzufassen und zu betatschen. Jenny schüttelte sich und ging dann rüber zu ihrem Schreibtisch. Mit einem Seufzer ließ sie sich in ihren Stuhl fallen und begann sich müde die Schläfen zu massieren. Ihre Nacht war kurz gewesen. Und sollten ihre Befürchtungen durch Gibbs' Bericht bestätigt werden, würde es auch noch ein langer Tag werden.

Das Klingeln ihres Telefons ließ Jenny kurz zusammenzucken. Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf, als könne man sie sehen, sobald sie das Gespräch annahm und drückte den Lautsprecherknopf.

„Ja?"

„Director Shepard, Agent Gibbs ist hier."

Das ging schnell, war der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss. „Schicken sie ihn rein." Jenny stutzte. Schicken sie ihn rein? Das war definitiv das erste Mal, dass Gibbs sich ankündigen ließ und nicht einfach in ihr Büro herein gestürmt kam. Irgendetwas stimmte nicht und es war mehr als eine missglückte Festnahme. „Und Cynthia, machen sie Mr. Singer doch bitte noch einen Kaffee", fügte Jenny hinzu. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass Bob wohl noch ein Weilchen ohne sie auskommen musste.

Kaum hatte sie das Gespräch beendet, öffnete sich auch schon die Tür zu ihrem Büro und Gibbs kam herein. Es war offensichtlich, dass der ältere Agent ebenfalls eine unerholsame Nacht hinter sich hatte. Jenny lächelte innerlich. Ihr sah man den Schlafmangel wahrscheinlich gleichermaßen an.

„Gutes Timing", begrüßte sie ihn und deutete mit einem Kopfnicken an, dass er sich setzten sollte. „Ich hab' schlechte Nachrichten."

Gibbs ließ ein kurzes, unbeeindrucktes Lachen hören. „Die habe ich auch", sagte er, während er sich ihr gegenüber setzte. „Ich zuerst."

„Du zuerst? Und ich dachte immer, du wärst ein Gentleman." Sie lächelte ihn herausfordernd an, auch wenn ihr nicht wirklich dazu zumute war.

„Oh, Jen", begann er, ihr Lächeln erwidernd. „Ich bin sicher, dass du dir erst anhören willst, was ich zu sagen habe."

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und faltete die Hände auf ihren Knien. „Bitte."

„Lance Corporal Lydia Simmons wurde von einem Vampir getötet."

Verdammt. Mit nur einem Satz hatte Gibbs ihre Befürchtungen bestätigt. Und was noch viel schlimmer war, er wusste anscheinend bescheid.

Damit hatte für Jenny ein gefährliches Spiel begonnen. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, doch innerlich spielten ihre Körperfunktionen verrückt. Adrenalin, erhöhter Puls- und Herzschlag, kontraktierende Pupillen. Gibbs' trainiertes Auge brauchte keine Sekunde um festzustellen, dass ihr ruhiges Äußeres nur eine Fassade war, doch die Aufregung konnte sie immer noch mit den unerwarteten Neuigkeiten entschuldigen.

Gibbs allgemein etwas vorzumachen war schon Herausforderung genug, doch hinzu kam, dass Jenny nicht eine von seinen Verdächtigen war. Er kannte sie nicht erst seit gestern. Er kannte sie besser, als die meisten Menschen sie kannten.

„Ich verstehe", antwortete sie langsam.

„Ich verstehe?" Gibbs sah sie ungläubig an. „Ich hatte eher etwas wie ‚willst du mich verarschen' erwartet."

„Ich dachte wir wären aus dem Alter für dumme Scherze raus."

Gibbs nickte zustimmend, der misstrauische Ausdruck in seinen Augen blieb, während er weiter erzählte, was in der vergangenen Nacht und am Morgen passiert war. Jenny hörte nur mit einem Ohr zu, einen Großteil der Geschichte konnte sie sich denken. Lediglich als das Wort ‚Jägerin' fiel wurde sie hellhörig.

„Eine Jägerin?", fragte sie mit halb gespielter Verwunderung. Dieser Tag wurde von Sekunde zu Sekunde schlechter. „Glaubst du ihr? Einer verurteilte Mörderin würde wahrscheinlich alles sagen, damit man sie nicht wieder einsperrt."

„Ducky vertraut ihr. Abgesehen davon klingt das selbst für eine Irre ein bisschen weit hergeholt."

„So weit, dass es schon wieder wahr sein muss?" Gibbs antwortete mit einem Achselzucken, welches Jenny mit Erleichterung beobachtete. Er war nicht leicht zu überzeugen, sie hatte darauf spekuliert, dass er noch Zweifel an der ganzen Sache haben würde. „Was ist mit dieser Jägerin? Wo ist sie jetzt?"

„Verhörraum. Tony und Ziva haben ein Auge auf sie."

„Und dieser Mr. Giles?"

„Bei Ducky. Wir haben keinen Grund ihn hier festzuhalten."

Sie nickte langsam. „Und jetzt?"

„Der Verdächtige ist ein haufen Staub. Soll ich das in meinen Bericht schreiben und den Fall einfach zu den Akten legen?"

Nicht sicher, ob sie Gibbs über das in Kenntnis setzten sollte, was sie gerade im MTAC erfahren hatte, stand Jenny von ihrem Stuhl auf und wendete sich dem Fenster hinter ihrem Schreibtisch zu. Sie atmete tief durch und fasste einen Entschluss.

„Es wurde eine weitere Leiche gefunden, Petty Officer Greg Sanders. Zwei kleine Einstiche am Hals, anscheinend die gleiche Vorgehensweise."

Jenny hörte, wie Gibbs ebenfalls aufstand. „Wann?"

„Die Leiche wurde vor knapp einer halben Stunde gefunden."

„Und das sagst du mir erst jetzt?"

Sie drehte sich zu ihm um. „Du hast darauf bestanden anzufangen."

„Wright fällt als Täter aus. Tony und Ziva haben ihn die ganze Nacht beschattet."

Jenny nickte zustimmend. Das war alles andere als gut.

„Wo?" Gibbs sah sie mit einem seiner durchdringenden Blicke an.

„Jefferson Street. Nicht weit vom Fundort der ersten Leiche entfernt."

Gibbs nickte und machte sich mit schnellen Schritten auf den Weg zur Tür.

„Halt' mich auf dem Laufenden." Seine Antwort war ein Nicken, dann war er verschwunden.

Jenny seufzte laut. Einen Moment lang hatte sie mit dem Gedanken gespielt, die Ermittlungen auf ein anderes Team zu übertragen, eins das nicht wusste, womit sie es wirklich zu tun hatten. Doch das Risiko, dass noch mehr die Wahrheit erfahren war entschieden zu groß.

Jenny hasste es, Gibbs zu belügen, doch sie hatte keine Wahl. Ihre Befehle bezüglich der Sache waren eindeutig gewesen. Von nun an übernahmen Gibbs und sein Team in diesem Fall nur noch eine Alibifunktion um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Irgendwann würde der Fall ungelöst zu den Akten gelegt werden und hoffentlich in Vergessenheit geraten. Niemand würde je erfahren, was wirklich passiert war. Von nun an würden sich die Profis um das Problem kümmern.

Jenny ging zurück zu ihrem Schreibtisch, setzte sich und drückte die Taste am Telefon, die sie mit ihrer Assistentin verbinden würde.

„Ja?", hörte sie Cynthias Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ich will in den nächsten Minuten keine Störungen. Von niemandem, verstanden?"

„Verstanden Ma'am."

Jenny beendete das Gespräch mit einem weiteren Tastendruck und nahm dann den Hörer ab und drückte die Schnellwahltaste eins. Nach wenigen Sekunden Stille ertönte eine weibliche, mechanische Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Die Nummer, die sie gewählt haben existiert nicht. Bitte legen sie auf."

Jenny ignorierte die Ansage und wartete auf ein Klicken.

„Autorisierungscode Juliet Sierra November Charlie India Sierra 7734893172", sagte sie ruhig in den Höhrer.

„Sie werden verbunden", antwortete die Stimme. „Einen Moment bitte."

Nach ein paar weiteren Sekunden Stille erklang die Stimme eines Mannes. „Director Shepard." Es war eine Aufforderung zu sprechen, keine Begrüßung.

Jenny räusperte sich. „Es gibt Probleme."

„Reden sie."

„Nun, für den Anfang haben wir eine Sicherheitslücke. Ein paar meiner Leute wissen bescheid."

„Wie viele?"

„Mindestens vier, ich vermute fünf." Jenny kannte Gibbs gut genug um zu wissen, dass er Abby Sciuto ebenfalls einweihen würde.

„Sie vermuten?" Die Stimme am anderen Ende der Leitung war bedrohlich laut geworden.

„Ich kümmere mich darum", entgegnete Jenny durch zusammengebissene Zähne.

„Das hoffe ich. Aber deswegen rufen sie nicht an. Was ist wirklich los?"

Jenny atmete tief durch. „Wie sich herausgestellt hat, handelte es sich bei Wright tatsächlich um einen GST."

„Handelte?"

„Er wurde neutralisiert."

„Von ihren Leuten?" Obwohl die Stimme ihres Gesprächspartners monoton blieb, hörte Jenny deutlich Verwunderung heraus.

„Nein. Genau da liegt das Problem."

„Worauf warten sie, Shepard?"

„Sie hatten Hilfe... Von einer Jägerin."

Jenny hörte den Mann am anderen Ende der Leitung tief einatmen.

„Das war noch nicht alles", berichtete sie weiter. „Es gibt wahrscheinlich ein weiteres Opfer. Meine Leute sind dran, aber es ist sicher, dass wir mindestens einen weiteren, aktiven GST in der Stadt haben."

„Ich schicke ihnen ein Team."

„Was ist mit der Jägerin?"

„Die Initiative hat Erfahrungen mit einer Jägerin gemacht. Den Berichten nach zu urteilen stellt sie definitiv ein Sicherheitsrisiko dar. Ich überlasse es ihnen dafür zu sorgen, dass sie uns nicht in die Quere kommt. Das gleiche gilt für ihre Leute. Verstanden?"

Jenny nickte zögerlich. „Verstanden."

„Ich melde mich wieder."

Das nächste, was sie hörte war ein regelmäßiges Tuten. Jenny legte den Hörer auf, fuhr sich mit beiden Händen über das müde Gesicht und entschied, dass sie heute besser im Bett geblieben wäre.