A/N: Falls ich es noch nicht erwähnt habe, vielen Dank an meinen Beta Shiva!
"Findest du, dass sie gefährlich aussieht?" Tony lehnte seinen Kopf ein wenig zur Seite, in der Hoffnung aus der veränderten Perspektive etwas zu sehen, das ihm zuvor entgangen war.
"Das Äußere kann täuschen", entgegnete Ziva nachdenklich, ihren Blick starr auf die junge Frau vor ihr gerichtet.
Auf der anderen Seite der schaufenstergroßen Glasscheibe, im Verhörraum, saß Faith, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, ziellos in ihre Richtung starrend.
"Ich meine, wirkt sie auf dich wie 'ne Dämonenkillerin?" Tony lehnte den Kopf langsam auf die andere Seite.
"Jägerin."
"Huh?" Er sah Ziva verwirrt an.
"Jägerin, nicht Killerin", erklärte sie.
"Wo ist der Unterschied?"
"Keine Ahnung." Seine Kollegin lächelte, die Augen nicht von Faith abwendend. "Aber jetzt weißt du mal, wie das ist, wenn man ständig verbessert wird."
Tony verdrehte die Augen und richtete seine Aufmerksamkeit ebenfalls wieder auf die junge Frau im Nebenraum. Sie ähnelte der Person, die ihn in der vergangenen Nacht brutal niedergeschlagen hatte nur wenig. Im fluoreszierenden, klinischen Licht des Verhörraums wirkte sie eher harmlos, wie ein gelangweilter Teenager vielleicht, der beim Rauchen erwischt worden war. Sie sah nicht aus, wie jemand, der zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatte, geschweige denn wie jemand, der Nachts Jagd auf Vampire und Dämonen machte. Doch wie Ziva schon gesagt hatte, der äußere Eindruck kann täuschen. Eine Lektion, die die Erfahrung Tony gelehrt hatte.
Die auffliegende Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
"Was gibt's, Boss?"
Gibbs ging wortlos auf die Glasscheibe zu und betrachtete Faith mit einem durchdringenden Blick, von dem sie froh sein konnte, dass sie ihn nicht sah. "Wir haben noch eine Leiche."
"Wann", fragte Ziva, die das gleiche ungute Gefühl wie Tony zu haben schien.
"Letzte Nacht. Wright scheidet definitiv als Täter aus." Mit diesen Worten drehte sich Gibbs um und ging zur Tür. "DiNozzo, finde heraus, ob unsere Freundin etwas über die Sache weiß. Ziva, hol' Ducky und diesen Mr. Giles. Ich hab' ein paar Fragen."
Die beiden Agents folgten ihrem Boss aus dem Nebenraum.
"Ihr habt fünf Minuten!"
"Pass da drinnen auf deinen Kopf auf", bemerkte Ziva mit einem Augenzwinkern, bevor sie Gibbs in Richtung Fahrstuhl folgte. Tony gab seiner Kollegin ein sarkastisches Lachen mit auf den Weg und atmete ein letztes Mal tief ein, bevor er die Tür zum Verhörraum öffnete.
"Miss Lehane, ich -"
"Ich will jemanden anrufen", unterbrach sie ihn vom Stuhl aufspringend.
"Woha!" Tony wich einen Schritt zurück. "Ich muss sie bitten sich wieder hinzusetzen", sagte er mit ruhigem aber bestimmten Ton.
Faith zog lächelnd eine Augenbraue hoch. "Was, haben sie etwa Angst?"
"Ich würde sie nur ungern erschießen", antwortete Tony, eine Hand auf seine Waffe am Gürtel legend.
Von der Geste unbeeindruckt trat die junge Frau einen Schritt auf ihn zu. "Mich juckt's am Rücken." Sie machte ein paar halbherzige Versuche, sich trotz der Handschellen zu kratzen. "Könnten sie mir nicht die Dinger abnehmen, damit ich -"
"Vergessen sie's", unterbrach Tony. "Ich bin nicht gekommen um zu flirten -"
"Schade", sagte Faith mit gespieltem Bedauern.
"Ich hab' ein paar Fragen und nicht viel Zeit, also -"
"Ich will erst telefonieren", unterbrach sie ihn erneut, diesmal war ihr Ton jedoch wieder ernst und fordernd. "Ich hab' das Recht auf einen Anruf, also -"
"Tut mir Leid, wenn ich sie enttäuschen muss, aber ihnen steht erst ein Telefonat zu, wenn sie verhaftet wurden." Tony sah sie übertrieben mitleidig an.
"Ich sitze hier seit einer Stunde, mit Handschellen gefesselt in einem Raum, der keine Fenster hat und die einzige Tür ist abgeschlossen." Sie sah ihn herausfordernd an. "Wenn nicht als Freiheitsberaubung, wie genau würden sie das bezeichnen?"
Tony sah sie einen Augenblick verwirrt an. "Gutes Argument", gab er schließlich zu.
Faith verdrehte die Augen, drehte sich von ihm weg und fing an in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen.
"Ein Verdacht reicht uns, um sie hier mindestens 24 Stunden festzuhalten."
Als Antwort erhielt er lediglich ein Achselzucken.
"Wen wollen sie Anrufen?"
Faith blieb stehen und warf ihm einen abwertenden Blick zu. "Geht sie nichts an."
"Die liebe Mutti und den Anwalt schließe ich mal aus."
"Weswegen sind sie hier?", fragte Faith, offensichtlich von Tonys Aufdringlichkeit genervt.
"Es wurde noch eine Leiche gefunden", entgegnete er in sachlichem Ton.
"Ja, und?"
"Wright ist nicht der Täter."
"Offensichtlich, da von ihm nur noch ein Häufchen Staub übrig ist." Faith zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. "Ist das alles?"
"Wussten sie, dass noch ein weiterer... Vampir in der Stadt ist?" Die Benutzung des Wortes Vampir in einem ernsthaften Zusammenhang war für Tony noch ein wenig gewöhnungsbedürftig.
Faith ließ ein kurzes, ironisches Lachen hören. "Auch wenn es 'ne komische Vorstellung ist, aber die tauchen meistens in Rudeln auf."
"Sind sie deswegen hier in Washington?", fragte Tony unbeeindruckt weiter.
"So ein guter Mensch bin ich nun auch wieder nicht."
"Was soll das heißen?"
"Ich bin...", Faith lächelte ihn übertrieben an, "war unterwegs nach New York und wollte nur die Nacht in DC bleiben. Im 'Plan B' ist mir Wright aufgefallen und ich bin ihm gefolgt. Den Rest der Geschichte dürften sie kennen."
"Ja", stimmte Tony langsam zu, sich unbewusst die Wunde am Kopf reibend. "Also ist das Jagen von Vampiren nur so 'ne Art Hobby für sie?"
Mit einem hohlen Lachen ging Faith auf die Glasscheibe zu und betrachtete ihr Spiegelbild für ein paar Sekunden. "Es ist was ich bin. Nichts, was ich mir ausgesucht habe." Sie wandte den Blick von sich ab und sah auf den Boden. "Es hätte mich fast kaputt gemacht." Ihre Stimme war ruhig, etwas unerwartet Verletzliches lag in ihr.
"Was meinen sie damit?", fragte Tony vorsichtig.
Faith sah ihn an und zuckte mit den Schultern "Ist lange her." Ihr Ton war wieder der gewohnt gleichgültige.
"Was ist in New York?"
"Jemand den ich anrufen möchte, um ihm zu sagen, dass ich mich verspäten werde."
"Wie lange? Zwanzig Jahre?" Tony sah sie ungläubig an.
"Ich hatte nicht vor, so lange zu bleiben." Faith' Ton verriet ihm, dass sie es ernst meinte.
Unbewusst wanderte seine Hand erneut zum Pistolenhalfter am Gürtel. "Also, was? Wollen sie mich wieder niederschlagen?"
Faith lächelte amüsiert und schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass ich besonders weit kommen würde. Zu viele Leute mit Waffen", fügte sie erklärend hinzu.
"Ah." Tony nickte mit übertriebenem Verständnis und erwiderte das Lächeln. Ohne weiter darüber nachzudenken griff er in seine Hosentasche und holte sein Handy hervor. "Sie haben eine Minute."
"Und wie soll ich wählen, sie Genie?" Faith deutete mit dem Kopf nach hinten zu ihren Hände, die noch immer auf dem Rücken gefesselt waren.
"Wie ist die Nummer?"
"555-76935", antwortete sie mit einem Augenrollen.
Tony wählte. "Wen rufen wir an?", fragte er neugierig, während er auf das Freizeichen wartete.
Faith lächelte. "Geht sie immer noch nichts an."
