Abby legte nachdenklich ihr Kinn auf die Hände und betrachtete die Zeichnung vor sich. Wie an dem Tag, an dem Kate gestorben war, hatte sie dass von ihrer Freundin gemalte Bild, welches sie selbst als kleine Fledermaus zeigte, vor den Bildschirm ihres Computers gestellt und betrachtete es nun schon seit mehreren Minuten.

Die seltsamen Ereignisse der vergangenen Nacht, dass was McGee ihr erzählt hatte, irgendwie hatte es sie an Kate erinnert, an die Tatsache, dass sie tot war und nie zurückkommen würde.

‚Beep, beep, beep'

Abby schreckte hoch und sah rüber in den vorderen Bereich ihres Labors. Der Computer musste einen Treffer gelandet haben. Sie manövrierte ihren Stuhl gekonnte am Schreibtisch vorbei, gab sich dann noch einen kraftvollen Stoß und rollte so durch das Labor. An dem mit Computern voll gestellten tresenartigen Tisch angekommen, bremste sie den Stuhl ab und wendete sich dem größten der Bildschirme zu, auf dem in einem grünen Kästchen blickte ‚Positiv Match'.

Sie ließ ein triumphierendes „Ha!" hören und griff dann zum Telefon. Gibbs hatte ihr das Beweismaterial des zweiten Tatorts vor etwa fünf Stunden vorbeigebracht und den Rest seines Teams angewiesen, nach der durchgearbeiteten Nacht eine kleine Pause einzulegen. Er selbst, da war sich Abby sicher, hatte kein Auge zu getan. Gibbs würde mit dem x-ten Kaffeebecher an seinem Schreibtisch sitzen und Tatortfotos oder ähnliches durchsehen.

„Ja Abbs?", hörte sie nach kurzer Wartezeit Gibbs Stimme am anderen Ende der Leitung sagen.

„Ich hab' was für euch!", verkündete Abby in gut gelauntem Ton. Sie selbst hatte ebenfalls eine kurze Nacht hinter sich, doch durch ihren gewohnt hohen Koffeinkonsum merkte man ihr dies absolut nicht an.

Das Nächste, was sie hörte war ein leises Knacken in der Leitung und Gibbs war weg. Typisch.

Abby wendete sich wieder ihrem Computer zu. Sie hatte auf dem Streichholzheftchen, das neben Sanders' Leiche gefunden worden war zwei fast vollständige Fingerabdrücke gefunden. Einer gehörte dem Opfer selbst, den anderen hatte sie in den letzten Stunden durch sämtliche Fingerabdruckdatenbanken gejagt, die ihr bekannt waren. Und nun endlich hatte sie einen Treffer.

Abby überflog kurz die Daten des Verdächtigen. Der in England geborene Warner Kingsleigh, wurde 1992 wegen Drogenhandels verurteilt, 1990 in die USA ausgewandert – Abby stutzte. 1995 gestorben. Den Daten zufolge war Warner Kingsleigh seit nun gut zehn Jahren tot. Sie atmete tief ein. Normalerweise hätte sie Information nervös gemacht. Sie hätte den Fingerabdruck wahrscheinlich neu eingescannt und noch einmal durch die Datenbank laufen lassen, um sicher zu sein, dass ihr kein Fehler unterlaufen war. Doch heute nicht. Wenn sie ehrlich war, hatte sie so etwas schon erwartet. Dieser Fall war nicht wie die Anderen, die sie zuvor bearbeitete hatten und das machte ihr – obwohl es vielleicht niemand von ihr so schnell erwartet hätte – Angst. Es waren nicht mal die Vampire und Dämonen und weiß Gott was sonst noch da draußen sein Unwesen trieb. Es war viel mehr die Angst um ihre Kollegen, ihre Freunde. Tony und Ziva waren schon in der vergangenen Nacht nur knapp einem dieser Monster entkommen und wie es aussah gab es noch mehr von denen.

Als sich die automatische Tür des Labors öffnete wirbelte Abby herum und sah wie Gibbs herein kam. Ihm folgten eine müde aussehende Ziva und Tony, der eine junge, dunkelhaarige Frau in Handschellen vor sich her schob. Und schließlich, in einigem Abstand und mit einem unsicheren Gesichtsausdruck, betrat auch McGee das Labor. Abby hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie das Labor auf der Suche nach einem Caf-Pow verlassen hatte. Irgendwie tat Tim ihr Leid, vielleicht hatte sie ihn ungerecht behandelt.

„Was hast du rausgefunden?", fragte Gibbs mit gewohnt ernster Mine.

Abby sah ihm mit einem Stirnrunzeln entgegen. Zwar konnte sie sich nach McGees Erzählungen denken, wer die ihre unbekannte Person waren, doch sie war trotzdem ein wenig enttäuscht, dass er ihre den Gast nicht vorstellte. Ein paar Sekunden lang sah sie sich die junge Frau an. „Das ist also die Jägerin", sagte sie schließlich mit besonderer Betonung in Gibbs' Richtung. „Nach dem, was Timmy mir erzählt hat, hab' ich irgendwie so 'ne Art… ich weiß auch nicht. Sie sieht nicht aus, wie jemand der so was macht", fügte sie wild gestikulierend hinzu.

Sie", begann Faith, Abby fragend anguckend, „ist anwesend."

„Abbs, was hast du", forderte Gibbs, die beiden Frauen nicht beachtend.

Die Forensikerin drehte sich um, drückte ein paar Knöpfe und ließ so die Informationen über Warner Kingsleigh auf dem großen Plasmabildschirm erscheinen, während sie den Agenten von ihren Untersuchungen berichtete. „Auf dem Ausweis waren nur Fingerabdrücke von Sanders. Aber auf dem Streichholzheftchen hab ich einen gefunden, der nicht von unserem Toten ist."

„Warner Kingsleigh", las Gibbs laut vor.

„Jup", bestätigte Abby strahlend. „Und jetzt rate mal was?"

„Was?"

„Er ist seit über zehn Jahren tot."

„Also ist es sicher, Boss" sagte Tony. „Wir haben noch einen Vampir."

Gibbs bestätigte die Schlussfolgerungen seines Kollegen mit einem nachdenklichen Nicken und wand sich dann an Faith. „Ist ihnen letzte Nacht irgendetwas an Wright aufgefallen?"

Die junge Frau zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Keine ausgefallene Tatoos, Brandings oder so. Hat sich nicht besonders intelligent angestellt." Sie warf Gibbs einen abwertenden Blick zu. „Spielen sie jetzt hier den Wächter?"

„Was machen wir wegen Kingsleigh?", fragte Ziva, den Kommentar von Faith ignorierend. „Ihn festnehmen?"

Die Jägerin ließ ein sarkastisches Lachen hören. „Weil der Plan das letzte Mal schon so gut funktioniert hat?" Faith sah sie herausfordernd an.

„Letzte Nacht wussten wir nicht, womit wir es zu tun haben", argumentierte Ziva. „Wir müssen uns nur entsprechend auf die Situation vorbereiten."

Abby konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Obwohl sie sich langsam an Ziva und ihre Rolle innerhalb des Teams gewöhnte, gab es zwischen den Beiden ab und zu dennoch gewisse Spannungen. Doch wie sie sich jetzt dieser arroganten Faith entgegen stellte imponierte ihr und Ziva wurde ihr mit einem Schlag sehr viel sympathischer.

„Und was, wenn ihr auf mehr als nur einen Vampir stoßt?" Faith verdrehte die Augen. „Nur weil ihr wisst, dass sie existieren, macht euch das noch lange nicht zu Hobby-Dämonenjägern."

„Und was schlagen sie vor, Miss Lehane?" Gibbs trat dicht an Faith heran und brachte seine bedrohlichen Augen direkt vor ihre.

Sie zuckte erneut mit den Achseln. „Lassen sie mich um Kingsleigh kümmern. Ich könnte ein bisschen Action vertragen" fügte sie, die dank der gefesselten Hände verspannten Armmuskeln dehnend, hinzu.

Diesmal war es Gibbs der laut auflachte. „Vergessen sie's."

„Und was machen wir jetzt, Boss?" fragte Tony.

Gibbs drehte sich schweigend zum Plasmabildschirm um und starrte auf Kingsleighs Bild. Abby sah den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen und bekam unmittelbar ein schlechtes Gefühl. So sehr sie Faith auch nicht leiden konnte, in einem Punkt hatte sie Recht. Die Vampire spielten in einer anderen Liga als ihre Freunde.

„Das ‚Plan B' ist unser einziger Hinweis auf Kingsleigh", begann Gibbs, sich wieder zu seinem Team umdrehend. „Also werden wir heute Nacht hingehen und sehen, ob er dort auftaucht."

„Und wenn er auftaucht, was dann?" Faith sah ihn herausfordernd an.

„Für den Fall, werden sie uns begleiten." Gibbs erwiderte ihren Blick.

Die Jägerin lachte kurz auf. „Ich arbeite allein'."

„Jetzt nicht mehr", beschloss Gibbs, sein Ton ließ keinen Raum für Diskussionen.

„Hey, sie sind wohl nicht mehr ganz echt." Wie alle anderen im Raum zuckte Abby kurz zusammen. Es kam nicht oft vor, dass jemand so mit Gibbs sprach. Er selbst blieb jedoch ruhig und sah Faith lediglich auffordernd an. Die junge Frau schluckte, offenbar etwas verunsichert von der Reaktion ihres Gegenübers, fasste sich dann aber wieder. „Mit ihrer Erfahrung Jagd auf Kingsleigh zu machen grenz an Selbstmord. Ich hab' verdammt noch mal keine Lust da drinnen für sie und ihre Leute den Babysitter zu spielen."

Gibbs bewegte sich nicht. Seine hellblauen Augen starrten sie unbeirrt weiter an. „Die Alternative heißt für sie Todestrakt."

Faith zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern, diesmal war ihr die Unsicherheit jedoch deutlich anzusehen. „Ich bin schon einmal abgehauen."

„Und sie glauben, man würde das wieder zulassen?" Als er keine Antwort bekam wendete sich Gibbs seinen Kollegen zu. „Tony, Ziva, passt auf sie. McGee, mach den Wagen startklar. Wir treffen uns in 30 Minuten unten. Verstanden?" fügte er mit einem ernsten Blick in Tonys Richtung hinzu. „Gute Arbeit, Abby", sagte er noch, bevor er sich umdrehte und aus der Tür verschwand. Tony und Ziva folgten ihm, Faith vor sich her schiebend.

„McGee!" rief Abby Tim hinterher, als auch er sich umdrehte um seine Aufgabe zu erledigen. Mit einem unsicheren Blick sah er sie an.

„Pass auf dich auf, okay?", sagte sie mit leiser Stimme.

McGee nickte mit einem Lächeln und folgte dann seinen Kollegen aus der Tür.

Abby sah im einen Moment hinterher. Sie hatte ein ungutes Gefühl.