Faith folgte Tony und Ziva aus dem Büro der Direktorin, blieb jedoch im Vorzimmer stehen, während die beiden Agents nach draußen in den Flur traten. Sie wartete, bis die Tür zugefallen war, bevor sie tief seufzte und sich mit geschlossenen Augen gegen eine der Wände fallen ließ.

Es war, als wäre sie noch immer im ‚Plan B', in dem man vor Rauch die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Sie hatte keinen klaren Gedanken mehr fassen können, seit sie ihm die Atemmaske vom Gesicht gerissen hatte.

Riley Finn.

Langsam rutschte Faith mit dem Rücken an der Wand zu Boden, wo sie die Arme fest um die Beine schlang und die Stirn auf die Knie legte.

Sie hatte Riley Finn nur ein einziges Mal zuvor getroffen, kurz nachdem sie aus dem Koma erwacht war. Damals war nichts mehr gewesen, wie sie es kannte. Sie war alleine gewesen, von der Polizei gesucht, auf der Flucht – wie schon so oft. Sie hatte mit Buffy die Körper getauscht, für einen Augenblick das Leben gehabt, das sie lebte. Familie, Freunde, jemanden, der sie liebte.

In der Nacht war sie zu Riley gegangen und er hatte sie geliebt. Er lag auf ihr, hatte ihr über die Wange gestreichelt und ihr tief in die Augen gesehen.

"Ich liebe dich."

"Wer bist du? Was willst du von ihr?"

Sie hatte nicht verstanden.

"Hätte ich es lassen sollen?"

"Das… das hier bedeutet gar nichts."

Sie war aufgesprungen, stand vor ihm. Er hatte sie angesehen, voller Sorge.

"Du zitterst ja."

Er war aufgestanden, hatte ihr die Decke um den Körper gelegt, ihr Haar geküsst.

"Was ist mit dir?"

"Gar nichts."

Gar nichts. Sie hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, sich von seinen Armen halten lassen.

Doch es war nicht sie, die er in den Armen gehalten hatte, es war nicht ihr Kopf, der auf seiner Schulter gelegen hatte, es war nicht ihr Körper, um den er die Decke gelegt hatte, nicht ihr Haar, das er geküsst hatte. Es waren nicht ihre Augen, in die er gesehen hatte, nicht ihre Wange über die er gestreichelt hatte. Es war nicht sie, der er gesagt hatte, dass er sie liebt.

Und obwohl sie das gewusst hatte, war sie die ganze Nacht geblieben. Für eine Nacht hatte sie ein Mensch geliebt. Irgendwie.

Dann war sie weggelaufen, in ihr der stärkste Schmerz, den sie je verspürt hatte. Die Ahnung davon, wie es sich anfühlen musste, geliebt zu werden.

Faith rieb sich die Augen, doch das Bild in ihrem Kopf wollte einfach nicht verschwinden. Der Ausdruck mit dem Riley sie angesehen hatte, nachdem sie ihm die Maske vom Gesicht gerissen hatte. Die Augen, die sie einmal erfüllt von Liebe angesehen hatten – weil er gedacht hatte, sie sei jemand anderes, sie sei Buffy – waren jetzt voller Hass und Abscheu. Er verachtete sie für das, was sie ihm und der Frau, die er geliebt hatte angetan hatte. Sie konnte es ihm nicht verübeln.

Für einen Moment war Faith wie gelähmt. Sie blickte starr in die Augen, die ihr nur Hass entgegen brachten. Ein Ausdruck, den sie gut kannte, mit dem sie zu viele Menschen ihr ganzes Leben lang angesehen hatten. In Sekundenbruchteilen war sie zurück in der Vergangenheit, ihre alten Instinkte waren geweckt. Weglaufen.

Faith stand auf, stolperte, fiel zu Boden. Sie kroch ein paar Meter, stand wieder auf und lief. Ziellos durch den dichten Rauch, hektisch, hysterisch. Sie wollte nicht wieder gehasst werden.

Sie schaffte es nicht mal bis zum Ausgang. Plötzlich waren drei Waffen auf ihren Kopf gerichtet, die von schwarz vermummten Männern gehalten wurden.

Ihre Fassade, die in diesem Moment – ohne dass sie es wollte, ohne dass sie es kontrollieren konnte – schlagartig wieder da war, war so etwas wie ein Selbsterhaltungstrieb. So zu tun, als wäre ihr alles und jeder egal. Als wäre das Leben nur ein Spiel bei dem es nicht darauf ankam, ob man gewann oder verlor, sondern dass man Spaß am Spielen hatte. Die Fassade, die sie früher immer irgendwie vor dem Hass der anderen – vor dem Hass auf sich selbst – beschützt hatte, ließ sie äußerlich ruhig werden, Kontrolle über die Situation gewinnen, auch wenn es sie innerlich zerriss.

Sie hatte die Fassade aufrechterhalten, eine herausfordernde Bemerkung über ihr erstes Zusammentreffen mit Riley gemacht und er hatte die Waffe auf ihren Kopf gerichtet. In dem Moment war es ihr egal gewesen. Sie hatte das Spiel gespielt und Spaß gehabt, genauso wie früher. Ihr altes Ich hatte sie besessen, wie ein Dämon.

Der Dämon hatte erst von ihr abgelassen, als sie alleine war. Erst jetzt, da sie im Vorzimmer des Büros saß war sie wieder der Mensch, der sie sein wollte. Der Mensch, von dem sie glaubte, dass es wirklich sie selbst war.

Es war vorbei. Alles was sie jetzt noch tun musste, war aus dem Gebäude verschwinden und den NCIS, den ganzen Tag und Riley's Blick vergessen. Sie musste die Fassade nur noch ein paar Minuten aufrecht erhalten, aus dem Raum gehen, an Gibbs und den anderen vorbei nach draußen, wo irgendwo Robin auf sie wartete. Sie wäre auch direkt aus dem Fenster gesprungen, würde sie sich nicht im vierten Stock befinden.

Faith atmete noch einmal tief durch und stand dann langsam auf. Sie ging zur Tür, schluckte und öffnete sie.

"…das können wir nicht zulassen, Boss." Tonys Stimme klang besorgt. Faith war es egal, sie wollte nur raus. Also sah sie nicht auf, ignorierte was sich auf dem Flur abspielte und ging stur in Richtung Treppe.

"Faith", rief ihr Giles' Stimme plötzlich entgegen. Sie sah auf und bemerkte erst jetzt, dass neben den drei Agenten auch Ducky und der ehemalige Wächter anwesend waren.

"Ich haue ab", entgegnete Faith knapp. "Versuchen sie mich aufzuhalten, wenn es ihnen nicht passt", fügte sie mit einem kurzen Blick in Gibbs' Richtung hinzu, bevor sie ihren Weg fortsetzte.

"Warten sie!" Der grauhaarige Agent folgte ihr und stellte sich ihr schließlich in den Weg. Faith sah kurz zu ihm auf. Die eisblauen Augen bohrten sich in ihre.

"Worauf? Dass sie mich zurück in den Knast schicken?" Sie schob sich an ihm vorbei, bevor sie Gibbs Hand am Ellbogen packte und fest hielt. Faith blieb stehen. Der Griff war bei weitem nicht kräftig genug um sie aufzuhalten.

"Ich brauche ihre Hilfe."

Ohne sich zu dem Agent zu wenden verdrehte Faith die Augen. "Sie sind an der falschen Adresse. Was auch immer sie wollen, suchen sie sich jemand anderen."

"Faith", hörte sie erneut Giles Stimme in warnendem Ton sagen.

"Können sie auch noch was anderes sagen. Ihr melodramatisches Faith-Gerufe geht mir nämlich langsam auf die Nerven."

Giles blieb stumm, er sah sie nur bittend an.

"Was?"

"Mein Agent ist tot, wenn sie uns nicht helfen." Faith drehte sich zu Gibbs, dessen Augen sie noch immer ansahen. Doch diesmal lag etwas Seltsames in seinem Blick. "Bitte."

Faith zog die Schultern hoch, löste ihre Augen von denen des Agenten und ließ ihren Blick durch das unter ihnen liegende Büro schweifen. "Ihre Soldaten holen ihn da schon raus. Sie brauchen mich nicht." Mit einer schnellen Bewegung befreite sie ihren Arm aus Gibbs' festem Griff und drehte sich ein weiteres Mal in Richtung Treppe.

"Faith, hör' zu!", rief Giles hinter ihr her. Sie hielt ein weiteres Mal kurz inne, wartete mit dem Rücken zu den andren. "Nur eine Minute." Sie drehte sich um, fest entschlossen, dass nichts was Giles sagen würde ihre Entscheidung so schnell wie möglich zu verschwinden ändern konnte. "Wie ich Agent Gibbs eben bereits erzählt habe, habe ich die Missionen dieser Spezialeinheit, die hauptsächlich aus Überbleibseln der Initiative besteht, in den letzten Jahren mitverfolgt."

"Und?" Sie sah Giles herausfordernd an.

"Spezialeinheit ist die mehr oder weniger die offizielle Bezeichnung", fuhr er in ernstem Ton fort, "allerdings wäre Todesschwadron wohl angemessener. Diese Soldaten sind darauf trainiert ein Dämonennest kompromisslos aufzuheben und zu vernichten. Ohne Rücksicht auf Verluste."

"Damit meint er Zivilopfer", erklärte Gibbs. Seine Augen hatten sie nie verlassen.

"In den letzten zwei Jahren sind bei Einsätzen, allein von Rileys Einheit, fast 80 Menschen ums Leben gekommen. Wenn sie ein Nest finden gehen sie rein und vernichten alles, was sich bewegt. Schnell, präzise, sauber." Giles nahm sich die Brille von der Nase und begann sie mit dem Ärmel seines Hemdes zu säubern, wie er es so oft tat.

"Klingt nicht nach Riley." Egal wie hasserfüllt er sie noch vor wenigen Minuten angesehen hatte, für Faith war er nicht der skrupellose Killer.

"Ich muss dir nicht sagen, wie das ist", entgegnete Giles ernst. Er sah kurz zu ihr auf. "Oder?"

Faith schüttelte stumm den Kopf. Nein, er musste ihr nicht sagen wie es ist. Sie wusste besser als jeder andere, wie es war diese Kreaturen zu jagen. Rücksicht ist ein Luxus, den man sich in vielen Situationen nicht leisten kann. Opfer müssen in Kauf genommen werden, da nichts wichtiger ist, als den Vampir oder Dämon auszuschalten. Was sind schon ein oder zehn Opfer im Vergleich zu den Zahllosen, die es geben wird, wenn man ihn entkommen lässt?

Giles Stimme riss Faith aus ihren Gedanken. "Wenn wir etwas unternehmen, muss es so schnell wie möglich passieren. Riley und seine Leute werden mit größter Wahrscheinlichkeit bis zum Morgengrauen warten und sich den Sonnenschein zu Nutze machen."

"Und was genau haben sie vor? Sie wissen doch nicht mal, wo die sich verstecken, geschweige denn, ob ihr Freund noch am Leben ist."

"Ich weiß, dass er noch am Leben ist." Gibbs' Stimme war entschlossen, genau wie der Ausdruck in seinen Augen, die Faith ein weiteres Mal trafen.

"Agent DiNozzo hat mir erzählt, dass die Vampire überraschend von ihm abgelassen haben." sagte Giles. "Ich denke, dass sie verschwunden sind, als sie hatten, wonach sie gesucht haben. Sie haben euch in eine Falle gelockt."

"Warum McGee?" Endlich löste Gibbs seinen starren Blick von Faith und richtete ihn auf Giles.

"Ich glaube, ich weiß warum", antwortete der mit einem langsamen Nicken. "Er hatte einen Ring am Finger, ein außergewöhnliches Stück. Er kam mir gleich irgendwie bekannt vor, aber ich kann mich nicht erinnern, wo ich das Symbol schon einmal gesehen habe."

"Ist das denn so wichtig?" Faith sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Im schlimmsten Fall war es mal wieder Zeit für die Apokalypse. Na und? "Was auch immer die mit ihm oder dem Ring vorhaben, wenn sie nicht wissen, wo die sind, kann ich ihnen nicht helfen."

Gibbs drehte sich frustriert von ihr weg und schlug mit der Faust gegen die Wand. "Es muss etwas geben, das sie tun können."

Faith atmete kurz durch. Wie schwer konnte es schon sein, ein Vampirnest in einer Stadt wie Washington DC zu finden? Und das in weniger als vier Stunden, die sie anscheinend noch bis zum Sonnenaufgang Zeit hatten. Wenn sie das durchziehen wollte, brauchte sie Hilfe, auf die sie sich verlassen konnte. "Geben sie mir ihr Handy."

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"Hallo?" Unbewusst breitete sich ein sanftes Lächeln auf Faith' Gesicht aus, als sie Robins Stimme hörte.

"Ich bin's", antwortete sie knapp. "Wo bist du?"

"In der Nähe."

"Ich brauche deine Hilfe."

"Wobei?"

"Irgendwo in der Stadt gibt es ein Vampirnest, das wahrscheinlich von einem Haufen Soldaten bewacht wird. Ich muss wissen wo."

"Wie viel Zeit haben wir?"

"Keine."

"Wenn das so ist. Ich hab' da vielleicht was für dich." Faith konnte sein Lächeln spüren. Robin war immer wieder für eine Überraschung gut.

"Was meinst du?"

"Ich hab' angefangen mich zu langweilen, als du dich nicht wieder gemeldet hast. Also hab' ich mich ein bisschen in der Stadt umgesehen. Dachte, ich könnte dich da finden, wo ein bisschen Action ist."

"Also…?"

"Ich hab' mir ein paar Friedhöfe angesehen. Der vor dem ich jetzt gerade stehe wir von ein paar sehr unauffälligen Leuten bewacht."

"Wie unauffällig?"

"Eine falsche Entscheidung vom Trenchcoat entfernt."

"Welcher Friedhof?"

"Oak Hill Cemetery"

"Ich sehe dich in einer halben Stunde." Sie wartete nicht auf eine Antwort.

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Faith drehte sich wieder den Agenten zu. "Ich denke, ich weiß wo ihr Freund festgehalten wird."

"Dann los", entschied Gibbs und begann in Richtung Treppe zu gehen.

Diesmal rief Faith hinter ihm her. "Hey! Nicht so schnell." Er drehte sich um, sie fixierte seine Augen. "Diesmal gehe ich alleine. Ich hab' Verstärkung, auf die ich mich verlassen kann."

Gibbs trat gefährlich nahe an sie heran, seine Augen bohrten sich erneut in ihre. "Sagen sie mir, wo er ist."

Faith schüttelte ungläubig den Kopf. "Haben sie 'nen Todeswunsch, oder so was. Den kann ich ihnen nämlich auch hier und jetzt erfüllen." Gibbs antwortete nicht, er sah sie lediglich herausfordernd an. Er meine es also ernst. "Hat ihnen die Vorstellung heut' Abend nicht gereicht?"

"Ich lasse meine Leute nicht zurück", entgegnete er entschlossen.

"Sie sollten lernen, anderen zu vertrauen."

"Angefangen bei ihnen?" Er zog die Augenbrauen noch ein bisschen höher.

"Haben sie Angst, dass ich weglaufe und ihren Freund im Stich lasse?" Sie erwiderte den Blick. Ein paar Sekunden starrten sie sich schweigend an.

"Schön", sagte Faith schließlich. "Aber sie sind da drinnen für sich selbst verantwortlich. Wenn sie das überleben wollen, spielen sie nach meinen Regeln."

"Und die wären?"

"Leicht zu merken." Entschlossen stemmte sie die Hände in die Hüfte und trat ein paar Schritte zurück. Sie ließ ihren Blick über Gibbs' Kollegen schweifen, die zweifelsohne ebenfalls dumm genug sein würden, um ihrem Boss zu folgen. "Erstens: Das spitze Ende kommt ins Herz. Zweitens: Verlassen sie sich nicht auf ihre Kollegen, sie könnten bereits tot sein. Drittens: Unterschätzen sie ihre Gegner nicht."

"Nur drei?" Tony sah sie überrascht an. "Davon könntest du dir mal ‚ne Scheibe abschneiden, Boss."