Die Frau, die von dem Vampir brutal in den dunklen Raum gestoßen worden war, hatte sich nicht mehr gerührt. Sie musste sich den Kopf angeschlagen haben. McGee hatte mehrfach nach ihr gerufen, doch keine Antwort erhalten. Schließlich hatte er es aufgegeben und sich wieder dem kleinen Mädchen zugewendet.

„Alles wird gut. Meine Freunde holen uns hier raus", hatte er ihr versichert und gehofft sie nicht enttäuschen zu müssen. Er vertraute Gibbs. Sein Boss würde ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Auch wenn er manchmal das Gefühl hatte, vielleicht doch nicht als Agent geeignet zu sein und Gibbs Erwartungen nicht erfüllen zu können, sein Boss würde ihn niemals hängen lassen.

Die Tür öffnete sich wenig später ein weiteres Mal, drei blasse Männer betraten den Raum. Die spitzen Zähne des einen blitzten kurz auf, als er seine Opfer dämonisch angrinste.

„Bringt sie rüber", befahl er mit einer kalten Stimme, die Tim einen Schauer über den Rücken jagte.

Einer der beiden anderen Vampire zog die am Boden liegende Frau hoch, warf sie achtlos über die Schulter und trug sie aus dem Raum. Der andere kam auf Jody zu.

„Lassen sie sie in Ruhe", schrie McGee ihn an, bevor er merkte, was er tat.

Das Mädchen begann erneut leise zu weinen, als der Vampir, Tim ignorierend, ihre Fesseln löste und sie fest am Arm packte.

„Hey!", rief McGee erneut, um auf sich aufmerksam zu machen. Reflexartig trat er dem bleichen Mann gegen das Bein.

Als Reaktion hörte er ein unheimliches Fauchen. Der Mann ließ das kleine Mädchen los und sein Gesicht – welches sich zu einer furchterregenden Fratze verformte hatte – flog in seine Richtung. Alles was Tim spürte war ein Schlag gegen den Kopf, dann begann ein Feuerwerk vor seinen Augen zu explodieren.

„Lauf… Josy", sagte er mit schwacher Stimme, bevor alles um ihn herum in noch tieferer Dunkelheit versank.


„Hey, was machen sie hier?"

„Ich suche einen stillen Ort zum Beten."

Das nächste, was Gibbs hörte war ein Knistern in der Funkverbindung, gefolgt gedämpften Kampfgeräuschen. Seine Hände krallten sich tiefer in das Lenkrad. Es war keine zwei Minuten her, dass Faith aus dem Wagen gestiegen war, um sich mit ihrem Freund, Bekannten oder was auch immer er war zu treffen. Wie geplant war Tony ihr wenige Sekunden später zu der Telefonzelle gefolgt um die Waffen, die Robin Wood mitgebracht hatte, zu holen. Sobald die Wachen beseitigt waren, würden die drei Agents der Jägerin und ihrem Freund folgen und zusammen würden sie die Gruft stürmen um McGee daraus zu holen.

Gibbs biss die Zähne fest aufeinander. Der so genannte Plan kam ihm nicht besonders durchdacht vor und die Tatsache, dass er – mehr oder weniger – den Befehlen einer Mörderin folgte trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei. Doch er hatte keine Wahl, wollte er McGee, für den er sich verantwortlich fühlte, lebend wieder sehen.

Für eine Sekunde dachte er an Abby, die wahrscheinlich mittlerweile von Jenny erfahren hatte, dass McGee entführt worden war. Gibbs seufzte innerlich. Er war es Abby schuldig, ihr solche Dinge persönlich zu sagen, doch die Zeit hatte einfach gefehlt.

Die sich öffnende hintere Wagentür riss Gibbs aus seinen Gedanken. Tony stieg mit einer großen Sporttasche bepackt in das Auto. Durch den Rückspiegel beobachtete der Teamleiter, wie der Agent er sie öffnete.

„Wow." Langsam zog er eine Armbrust aus der von außen harmlos wirkenden Tasche. „Weißt du, wie man mit so was umgeht, Boss?" fragte er mit einem Grinsen in den Rückspiegel.

„Pack' das zurück, DiNozzo, bevor du dir noch ein Auge ausstichst", entgegnete Gibbs mit warnender Stimme.

„Es kann los gehen", ertönte plötzlich Faith' Stimme über das Funkgerät.

Weitere Worte waren nicht nötig. Tony griff sich die Tasche und folgte seinem Boss und Ziva aus dem Wagen. Die drei Agents liefen so unauffällig, wie man sich nachts um zwei auf einem Friedhof verhalten konnte, über den Parkplatz und durch das Eingangstor.

Gibbs sondierte die Gegend, auf der Suche nach weiteren Anzeichen der Soldaten, konnte jedoch in der Dunkelheit nichts erkennen.

„Das ist absolut klischeehaft", bemerkte Tony flüsternd, als sie schließlich einige Meter vor der Gruft, in der sich das Versteck der Vampire befinden sollte, auf Faith und Robin Wood trafen. Gibbs warf ihm einen strafenden Blick zu, auch wenn er DiNozzo Recht geben musste.

Er begrüßte den ihm unbekannten Mann mit einem kurzen Kopfnicken, woraufhin Tony Robin die Tasche reichte. Wortlos ging er in die Hocke und öffnete sie.

„Oh, Geschenke", bemerkte Faith mit einem erregten Blitzen in den Augen, dass bei Gibbs keine Zweifel daran ließ, dass sie sich auf das Bevorstehende auf irgendeine Art freute. Die Jägerin griff in die Tasche und zog drei Pflöcke heraus.

„Ich hoffe sie erinnern sich an Regel eins." Mit diesen Worten drücke sie jedem der Agenten eines der spitzen Holzstücke in die Hand. Sie selbst steckte sich einen weiteren Pflock in den Hosenbund und griff dann nach der Armbrust. „Lange keine mehr in der Hand gehabt", sagte sie mit einem Lächeln in Robins Richtung, der sich ebenfalls mit zwei Pflöcken und einer Art Axt bewaffnet hatte.

Dann wand sich Faith erneut Gibbs, Tony und Ziva zu. „Okay, einer sollte draußen bleiben und den Rest warnen, falls noch mehr von den Soldaten auftauchen."

„Ziva", beschloss Gibbs knapp. Sie war zwar hart im nehmen und durch ihr Mossadtraining für diesen Einsatz wahrscheinlich besser geeignet als Tony, doch sie war verletzt. Die Bisswunde an ihrem Hals wurde durch ein großes Pflaster verdeckt und sie machte äußerlich einen stabilen Eindruck, doch dem Teamleiter war es lieber, wenn sie draußen blieb.

Faith stimmte mit einem Nicken zu. „Gut, ich gehe zuerst rein, mache ihnen den Weg frei und werde die da drinnen ein bisschen ablenken. Sie suchen nach ihrem Kollegen, Robin wird ihnen dabei den Rücken frei halten. Sobald sie ihren Mann haben, sehen sie zu, dass sie da raus kommen, verstanden?"

Gibbs bestätigte mit einem erneuten Nicken.

„Ich komme nach, sobald sie draußen sind. Den Rest überlassen wir Riley und seiner Truppe." Sie atmete kurz tief durch und warf einen Blick auf die Uhr. „Wir haben siebeneinhalb Minuten."

Faith drehte sich um und lief dann leicht geduckt über den Weg rüber zum Eingang der Gruft. Sie sah sich kurz um und signalisierte dann den Anderen, dass sie nachkommen konnten. Robin folgte der Jägerin umgehend. Gibbs ließ seinen Blick ein weiteres Mal über den dunklen Friedhof schweifen. Als auch er niemanden – weder Mensch noch Vampir – entdecken konnte nickte er seinen beiden Agents zu und sie liefen ebenfalls in geduckter Haltung zum Eingang der Gruft. Faith sah ihn für einen Moment mit einem trotzigen Ausdruck an. Es schien sie zu nerven, dass Gibbs ihr nicht blind folgte, so wie es ihr Freund Wood tat. Dann wand sich die Jägerin der massiven Tür zu und holte zum Tritt aus. Mit einem lauten Scheppern fiel sie auf den Boden. Ohne sich noch einmal zu den anderen umzudrehen, verschwand Faith im Inneren der düsteren Gruft.

Mit der rechten Hand fest den Pflock umklammernd, ungewiss, was ihn erwarten würde folgte Gibbs der Jägerin wenige Sekunden später.


Ein spitzer Schrei drang an McGees Ohren. Mit einem Schlag war er hellwach. Er fand sich ein einem von Fackellicht erhellten Raum wieder, an der linken Hand von der Decke hängend. Die metallene Fessel bohrte sich in sein Gelenk und unterbrach den Blutfluss in seine Finger, die sich merkwürdig taub anfühlten.

Hastig sah er sich um. Im ganzen Raum waren dunkel gekleidete Gestalten versammelt, die ihn anstarrten. Sein Kopf wendete sich in die Richtung aus der er den Schrei vernommen hatte und Tim erschrak. Er spürte, wie jegliche Farbe aus seinem Gesicht wich und sich ein übles Gefühl in seinem Magen ausbreitete.

Neben ihm hingen, ebenfalls an einer Hand gefesselt, Josy und die Frau, die immer noch bewusstlos schien. Vor ihr stand ein Mann, durch eine schwarze Kutte vermummt. In der rechten Hand hielt er einen silbernen Dolch, von dessen langer Klinge Blut tropfte. Er hatte der Bewusstlosen soeben die Hand abgetrennt.

McGee stockte der Atem, als sich der Vampir mit einem beängstigenden Ausdruck im gesicht auf Josy zu bewegte. Das kleine Mädchen, das zuvor geschrieen und bitterlich geweint hatte verstummte abrupt. Geschockt, unfähig etwas zu sagen, zu rufen oder sich zu bewegen beobachtete McGee, wie der Mann nach der freien Hand des Mädchens griff. Tims Augen richteten sich augenblicklich auf Josys Zeigefinger, an dem ein Ring steckte. Unbewusst ballte er seine rechte Hand zu einer Faust. An seinem kleinen Finger steckte ein Ring der genauso aussah, wie der des kleinen Mädchens. Er wusste, was ihn erwartete.

Sein Blick fiel für eine Sekunde auf die dunkelhaarige Frau. Unter ihren Füßen hatte sich mittlerweile eine große Blutpfütze gebildet. McGee schluckte. Sie würde nicht wieder aufwachen.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht setzte der Vampir das Messer an das Handgelenk des kleinen Mädchens an und holte aus.

Ein Knall durchfuhr die tödliche Stille. Der Mann ließ von seinem Opfer ab und Blickte in Richtung der Tür. McGee folgte seinem Blick und traute seinen Augen nicht.

„Oh, tut mir Leid. Ich war auf der Suche nach einem ruhigen Platz zum Beten."